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Evolution des Lebens—und der Mensch Die erdgeschichtliche Dokumentation Von Erich Thenius Institut für Paläontologie der Universität Wien (Ausgearbeitete Fassung des Vortrages vom 30. April 1980) Inhalt Einleitung 79 Historischer Überblick 80 Möglichkeiten und Grenzen der Evolutions- forschung 87 Beispiele fossilbelegter Evolution 90 Die stammesgeschichtliche Stellung und Herkunft des Menschen 112 Zusammenfassung 131 Literatur 132 Diskussionsbeiträge 137 Einleitung Das im Rahmen der Vortragsreihe gehaltene Referat schließt sich an den Vortrag von F. Ehren- dorfer über die Entstehung des Lebens und die Faktoren der Evolution an. Entsprechend der für den Vortrag zur Verfügung stehenden Zeit und ©Ver. zur Verbr.naturwiss. Kenntnisse, download unter www.biologiezentrum.at

Evolution des Lebens—und der Mensch Die erdgeschichtliche ... · fossilien in Form von biologischem Kohlenstoff aus Sedimentgesteinen von Westgrönland (Isua-Gebiet) mit einem Alter

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Evolution des Lebens—und der MenschDie erdgeschichtliche Dokumentation

Von Erich TheniusInstitut für Paläontologie der Universität Wien

(Ausgearbeitete Fassung des Vortragesvom 30. April 1980)

Inhalt

Einleitung 79Historischer Überblick 80Möglichkeiten und Grenzen der Evolutions-

forschung 87Beispiele fossilbelegter Evolution 90Die stammesgeschichtliche Stellung und Herkunft

des Menschen 112Zusammenfassung 131Literatur 132Diskussionsbeiträge 137

EinleitungDas im Rahmen der Vortragsreihe gehaltene

Referat schließt sich an den Vortrag von F. Ehren-dorfer über die Entstehung des Lebens und dieFaktoren der Evolution an. Entsprechend der fürden Vortrag zur Verfügung stehenden Zeit und

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der Tatsache, daß die stammesgeschichtliche Her-kunft des Menschen aufgezeigt werden soll, sindnur einige wenige fossil belegte Beispiele gewähltworden, die nicht nur die Fossildokumentationaufzeigen sollen, sondern auch die Möglichkeitenund Grenzen der stammesgeschichtlichen Forschung.Zugleich wird versucht, den ständigen Wissensfort-schritt an Hand eines kurzen historischen Über-blickes über einige wesentliche biologische Erkennt-nisse darzulegen.

Historischer Überblick

Bereits im Altertum wurden Versteinerungen,wie etwa durch XENOPHANES (614 v. Chr.),HERODOT (500 v. Chr.) und ERATOSTHENES(276—196 v. Chr.) richtig als Reste einstiger Lebe-wesen erkannt. ARISTOTELES (384—322 v. Chr.)und die Schule der Scholastiker im Mittelalter be-trachteten die Versteinerungen als Naturspiele (Lu-sus naturae), die durch eine Vis plastica bzw. einenSuccus lapidescens entstanden seien. LEONARDODA VINCI (1452—1519) oder FRACASTORO(1483—1553), die marine Fossilien mit einer ein-stigen Meeresbedeckung in Verbindung brachten,bildeten lediglich vereinzelte Ausnahmen mit ihrenAuffassungen.

Daher stellte die Meinung der sog. „Diluvianer",die in den Fossilien Reste von Lebewesen sah, diedurch die biblische Sintflut (diluvium = Über-schwemmung) umgekommen seien, einen wesent-

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liehen Fortschritt dar. Der wohl bekannteste Ver-treter der „Diluvianer" war der Züricher Arzt undNaturforscher J. J. SCHEUCHZER (1672—1733),der 1726 das Skelett eines Riesensalamanders ausdem Miozän von öhningen am Bodensee als „Ho-mo diluvii tristis testis" beschrieb und damit alsdas eines durch die Sintflut ertrunkenen armenSünders deutete.

Bereits 1669 hatte NICOLAUS STENO (1638—1686) eine der wichtigsten Erkenntnisse für dieErdgeschichte in Form des Lagerungsgesetzes ge-wonnen. Dieses Gesetz besagt, daß bei ungestörterLagerung in einem Profil die untersten Ablagerun-gen die ältesten, die obersten die jüngsten sind.STENO erkannte in den Fossilien Überreste vonLebewesen. Dennoch dauerte es bis zum Ende des18. Jahrhunderts, bis die erste stratigraphische Ta-belle 1799 durch den englischen Ingenieur WIL-LIAM SMITH, den Begründer der Biostratigraphie(1769—1839), erstellt wurde. Er erkannte, daßjede Zeit ihre charakteristischen Versteinerungenbesitzt, die später von LEOPOLD VON BUCH(1774—1852) als Leitfossilien bezeichnet wurden.

Inzwischen hatte CARL VON LINNE (1707—1778) die binäre Nomenklatur, eine wesentlicheVoraussetzung für die systematische Gliederung(Taxonomie) der Organismen, geschaffen. Diese ur-sprünglich nur für die damals bekannten rezentenPflanzen- und Tierarten verwendeten internationalgültigen Namen wurden später auch für die fossi-

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len Pflanzen und Tiere verwendet. LINN£ haterstmalig Begriffe wie Mammalia (= Säugetiere)und Primates (= Herrentiere) geschaffen und alsAngehörige der letztgenannten Gruppe die Gat-tungen Lemur (Halbaffe), Simia (Affe) und Homo(Mensch) angeführt. LINNE ging es bei dieser taxo-nomischen Gliederung nicht um verwandtschaft-liche Beziehungen, sondern lediglich darum, ein Sy-stem in die von Gott geschaffene Formenmannig-faltigkeit zu bringen.

Dank dieser Voraussetzungen konnten nunmehrplanmäßige systematische Untersuchungen ein-setzen, die zu einer Bestandsaufnahme der fossilenLebewesen führten. GEORGES CUVIER (1769—1832), der bekannte Zoologe und Begründer derWirbeltierpaläontologie, der sich vor allem mit denalttertiären Wirbeltierfaunen des Pariser Beckensbefaßte, erkannte die Unterschiede dieser verschie-denaltrigen Faunen. Da er — im Gegensatz zu J.B. DE LAMARCK — jedoch den Standpunkt derUnveränderlichkeit der Art vertrat, konnte er die-se Verschiedenheiten nur durch wiederholtes Aus-sterben und nachfolgende Schöpfung erklären, dieschließlich zur sog. Katastrophentheorie führten.

Erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhun-derts begann sich die Vorstellung von der Evolu-tion der Lebewesen durchzusetzen. Im Jahre 1859veröffentlichte CHARLES DARWIN (1809—1882)sein Werk „On the origin of the species", das ihnzum Begründer der Abstammungslehre machte, un-

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geachtet der Tatsache, daß bereits vorher J. B. DELAMARCK als Zoologe, K. SCHAAFHAUSENals Anthropologe sowie F. A. QUENSTEDT undM. HÖRNES Vorstellungen über eine Evolutionentwickelten. DARWIN zeigte jedoch nicht nur,daß die Arten veränderlich sind und eine stammes-geschichtliche Entwicklung zur gegenwärtigen For-men- und Artenfülle der Lebewesen geführt hat,sondern versuchte diese auch zu begründen. Dievon DARWIN erkannten Voraussetzungen undUrsachen, wie Variabilität der Arten, Nachkom-menüberschuß und Auslese (Selektion) werdenauch heute noch als voll gültig anerkannt. Dazukommen noch die bei geschlechtlicher Fortpflan-zung mögliche Rekombination der Merkmale unddie Isolation durch räumliche, physiologische undethologische Faktoren. Da damals die Paläontologiedurch Fossilfunde noch keinen entscheidenden Bei-trag zur Abstammungslehre liefern konnte, führteDARWIN den Begriff „missing link" für derartigefehlende Übergangsglieder ein. Heute bezeichnetman solche nunmehr fossil dokumentierte Formenals „connecting links". So wurden, um nur ein Bei-spiel zu erwähnen, sämtliche Reste des UrvogelsArchaeopteryx aus dem Ober-Jura erst nach 1859gefunden.

Seither wurde von den Paläontologen eine un-geheure Fülle von fossilen Organismen geborgenund beschrieben und damit nicht nur der Nachweiszahlreicher heute ausgestorbener Tier- und Pflan-

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zenstämme erbracht, sondern auch Gesetz- und Re-gelmäßigkeiten der Evolution postuliert. Zu denbekanntesten zählen neben der DEPERET'schenRegel von der Größenzunahme, die Irreversibili-tätsregel 1893 durch LOUIS DOLLO (1857—1911)und die Watson'sche Regel vom Mosaikmodus derstammesgeschichtlichen Entwicklung (DE BEER1954). Die Irreversibilitätsregel besagt in der allge-meinen Form, daß die stammesgeschichtliche Ent-wicklung im Gegensatz zur anorganischen nichtumkehrbar ist. In der Fassung von O. ABEL (1911)bedeutet dies, daß ein völlig rückgebildetes Organnicht mehr in gleicher Weise gebildet werden kann.Der Mosaikmodus der stammesgeschichtlichen Ent-wicklung besagt, daß die Evolution der einzelnenMerkmale nicht gleichzeitig, also synchron erfolgt.Man spricht daher auch von der Heterobathmieder Organisation bzw. der Merkmalskomplexe (s.TAKHTAJAN 1978).

Aussagen über die Entstehung des Lebens sinddem Paläontologen nicht möglich. Immerhin lassensich Fossilreste bis weit in das Archaikum zurück-verfolgen. Sie dokumentieren das hohe erdge-schichtliche Alter des Lebens auf der Erde, dessenälteste Spuren neuerdings an Hand von Chemo-fossilien in Form von biologischem Kohlenstoff ausSedimentgesteinen von Westgrönland (Isua-Gebiet)mit einem Alter von 3,8 Milliarden Jahren angege-ben werden (GERWIN 1979). Bemerkenswert istferner, daß die ältesten, körperlich erhaltenen Fos-

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silreste aus etwa 3,5 Milliarden Jahren alten Ge-steinen des Archaikum als Prokaryota zu klassifi-zieren sind. Eukaryota (Organismen mit echtemZellkern) sind in Form von Grünalgen erst ausdem jüngeren Präkambrium (Proterozoikum) be-kannt (Abb. 1). Der älteste Nachweis einer Zelltei-

-4600 Millionen Jahre4000 3000

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1

Jänner Februar März April Mai Juni Juli August

P r ä k a m b r i u m ( C r y p t o z o i k u m )

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Abb. 1: Die Dauer der Erdgeschichte verglichen miteinem Kalenderjahr. Älteste Lebewesen (Prokaryota)seit etwa 3,3 bis 3,5 Milliarden Jahren bekannt, Euka-ryota seit fast 2 Milliarden Jahren, Vielzeller (Metazoa)seit ca. 700 Millionen Jahren nachgewiesen. Die Pri-maten erscheinen erstmalig in der jüngsten Kreidezeit,echte Affen im Alt-Oligozän, Menschenaffen im Jung-Oligozän, Hominiden im Jung-Miozän.

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lung (Mitose) wird mit ungefähr 1,3 bis 1,5 Mil-liarden, jener von Vielzellern (Cormo- bzw. Zoo-bionta [= Metazoa]) mit mindestens 700 Millio-nen Jahren angegeben. Damit ist die organischeEvolution, der zweifellos eine chemische Evolutionvorausgegangen ist, wie besagte Chemofossilien ausdem älteren Archaikum belegen, für das Präkam-brium dokumentiert. Charakteristisch ist jedoch,daß — abgesehen von den als Makrofossilien über-lieferten Stromatolithen, also Kaikabscheidungenvon Blaualgen — die meisten präkambrischen Fos-silien Mikrofossilien sind. Erst aus dem jüngstenCryptozoikum sind Reste von echten Makrofossi-lien bekannt.

Mit dem Beginn des Kambriums setzt eine reiche(Makro-)Fossilführung ein. Sie läßt sich durch dieFähigkeit der Organismen, Skelettsubstanzen auchaus anorganischen und damit fossil erhaltungsfähi-gen Substanzen zu bilden, erklären. Da im Kam-brium bereits Vertreter sämtlicher Evertebraten-stämme nachgewiesen sind, ist — mangels entspre-chender präkambrischer Fossilien — keine Aussageüber deren basale stammesgeschichtliche Zusam-menhänge möglich.

Daher sind in diesem Rahmen fast ausschließlichBeispiele aus dem Bereich der Wirbeltiere berück-sichtigt worden.

Zuvor jedoch noch einige grundsätzlich notwen-dige Bemerkungen über die Methoden der Evolu-tionsforschung.

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Möglichkeiten und Grenzen derEvolutionsforschung

Stammesgeschichtliche Forschung beruht imPrinzip auf vergleichenden Untersuchungen. DerSchwerpunkt liegt bzw. lag dabei auf morpholo-gischen Vergleichen homologer Organe bzw. Merk-male. Wurde ursprünglich nur der Grad der Ähn-lichkeit als Gradmesser für den Verwandtschafts-grad herangezogen (vgl. ZIMMERMANN 1967),so erkannte man nicht nur, daß Parallel- und Kon-vergenzerscheinungen verwandtschaftlich bedingteÄhnlichkeiten vortäuschen können, sondern auch,daß symplesio- und synapomorphe Merkmale imSinne von HENNIG (1950, 1966) zu unterscheidensind. Lediglich letztere geben Aufschluß über di-rekte Verwandtschaft und damit über den mono-phyletischen Ursprung einer Gruppe von Orga-nismen.

Zu den rein morphologischen Vergleichen sind inden letzten Jahren zusätzlich sowohl physiologischeund ethologische als auch karyologische und bio-chemische Vergleiche bzw. Untersuchungsmethodengekommen, die nicht nur Aussagen über die Evo-lution (von Merkmalen), sondern auch über denvermutlichen stammesgeschichtlichen Ablauf zu-lassen. Freilich muß man sich bewußt sein, daß essich bei letzteren stets um Deutungen handelt undman stets zwischen Befund und Interpretation un-terscheiden muß. In der Paläontologie kommt al-

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lerdings der Zeitfaktor als zusätzliches und wich-tiges Kriterium hinzu.

Während der Zoologe vor allem an Hand vonmorphologisch-anatomischen Reihen rezenter For-men Modelle der Evolution entwickeln kann, kannder Paläontologe unter Berücksichtigung einesMerkmals Stufenreihen aus zeitlich aufeinanderfol-genden Formen zusammenstellen. Bezieht sich dieEvolution auf verschiedene Merkmalskomplexe,deren jeweilige Synapomorphie überdies gesicherterscheint, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß eineAhnenreihe vorliegt, sehr groß (s. Abb. 2). Dazukommt noch, daß man bei Mikrofossilien im geo-logischen Profil (z. B. Bohrkerne mit Foraminiferenaus Erdölbohrungen, Kleinsäuger aus Spaltenfül-lungen) nicht nur mit Einzelindividuen, sondernmit ganzen Populationen (im paläontologischenSinn) arbeiten kann. Damit sind sowohl Aussagenüber die Variationsbreite möglich, als auch derNachweis fließender Merkmalsänderungen — so-weit sie die Schalen-, Skelett- oder Zahnmerkmalebetreffen. Da derartige Änderungen im Profil überetliche Generationen hinweg beobachtbar sind, kannes sich in solchen Fällen nicht einfach nur um phä-notypische, reversible Erscheinungen, d. h. nicht-erbliche Modifikationen handeln (vgl. BETTEN-STAEDT 1698). Wie BETTENSTAEDT zeigenkonnte, bestätigt die Mikropaläontologie an Handfossiler Foraminiferen die Mendel'schen Gesetze(= Fossilgenetik) und macht zugleich die Selektion

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Abb. 2: Handskelette der rechten Vorderextremität vonUrhuftieren (Condylarthra) und Unpaarhufern (Peris-sodactyla: Tapiridae, Rhinocerotidae und Equidae) alsBeispiele einer morphologischen Reihe (Tapirus — Di-cerorhinus — Equus), einer Stufenreihe (Phenacodus —Heptodon — Hipparion — Equus) und einer Ahnen-reihe (Tetraclaenodon — Hyracotherium — Mesohippus— Merychippus — Equus). Handskelette auf gleicheGröße gebracht.

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für den Artenwandel wahrscheinlich. Freilich sindüber die eigentlichen Ursachen meist nur Vermu-tungen möglich. Mit Hilfe derartiger fossiler Popu-lationen läßt sich die Artentstehung durch Trans-formation (Artenwandel im Lauf der Zeit) unddurch Speziation (Artentstehung durch Aufspal-tung aus einer gemeinsamen Stammform) doku-mentieren (Abb. 3). Außerdem zeigt sich, daß —eine entsprechende Fossildokumentation vorausge-setzt — die Evolution stets in kleinen Schrittenverlaufen ist, wie dies auch von den Genetikernangenommen wird und wie es angeblich nur fürdie sog. Mikroevolution zutreffen soll. Die Sum-mation derartiger kleiner Evolutionsschritte führt— im Sinne der additiven Typogenese — jedochauch zur sog. Makro- oder supraspezifischen Evo-lution.

Weitere, in Zusammenhang mit der Evolutionstehende Fragen, wie etwa Evolutionsgeschwindig-keit, Funktionswechsel, Mosaikmodus, Prädisposi-tion, Parallelentwicklung und Ko-Evolution wer-den im folgenden an Hand konkreter Beispiele be-sprochen.

Beispiele fossil belegter Evolution

Als einziges Beispiel der Evolution einer Everte-bratengruppe seien hier die Kopffüßer (Cephalo-poden) als Angehörige der Weichtiere (Mollusca)herangezogen, deren Evolution durch Fossilfunde

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Thplasiageorgsdorfensis

Abb. 3: Die Evolution der Foraminiferen der Haplo-phragmium- und Trip lasia- Gruppe in der Unter-kreide als Beispiele für die Artentstehung durch Trans-formation und Speziation. Nach H. GERHARDT (1963)figural ergänzt umgezeichnet.

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gut belegt ist (Abb. 4). Die Aussagen über die Evo-lution betreffen fast ausschließlich das Gehäuse bzw.die Schale. Die ältesten Fossilfunde sind aus demOber-Kambrium bekannt. Gegenwärtig lassen sichdie Tintenfische (Dibranchiata oder Coleoidea mitSepia, Loligo, Octopus usw.) mit einem Innenske-lett — sofern es nicht völlig reduziert ist — unddas Perlboot (Nautilus als einzige rezente Gattungder Tetrabranchiata) mit einem Außenskelett un-terscheiden. Letzteres bildet einen hydrostatischenApparat (Anfangskammer und Gaskammern =Phragmoconus) aus einem involut oder convolutaufgerollten planspiralen Gehäuse. Dieses hat sichaus einem ursprünglich orthoconen Gehäuse durchschrittweise Einrollung über cyrto- und gyroconeGehäuse gebildet. Planspirale Gehäuse sind jedochnicht nur bei den Nautiloidea entstanden, sondernauch bei den zur jüngsten Kreidezeit ausgestorbe-nen Ammonoidea, die besonders im Mesozoikumeine ungeheure Artenfülle hervorgebracht habenund ausgezeichnete Leitfossilien bilden. Die Ent-stehung sekundär entrollter Ammonitengehäuseaus planspiral eingerollten im Mesozoikum, wie sieals Heteromorphe oder Ancyloceratida zusammen-gefaßt werden, ist wiederholt als Beispiel gegen dieIrreversibilität der stammesgeschichtlichen Entwick-lung angeführt worden. Wie ein Vergleich mit pa-läozoischen, noch nicht planspiral eingerollten Ce-phalopodengehäusen zeigt, sind beträchtliche Un-terschiede im Bau der Lobenlinie, der Skulptur und

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E C T O f O C H LI A E N D O C O C H L I A

Abb. 4: Stammbaum der Kopffüßer (Cephalopoda).Nautilus mit Außengehäuse als „lebendes Fossil" unterden Nautiloidea. Endocochlia (= Tintenfische) meist mitInnenskelett. Beachte Umwandlung des Außenskelettesvom geradegestreckten (Orthoceras) über gekrümmte(Cyrtoceras, Goldringia) zu planspiral eingerollten(Eutrephoceras, Nautilus) bei den Nautiloidea sowieUmbildung zum Innenskelett bei den Endocochlia. NachTHENIUS (1976a)

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auch der Art der Windung vorhanden, so daß hiernicht von einer Umkehr der stammesgeschichtli-chen Entwicklung gesprochen werden kann.

Durch Fossilfunde aus dem Paläo- und Meso-zoikum (Belemnoidea) ist jedoch auch die Umbil-dung des ursprünglichen Außenskelettes u. zw. desPhragmoconus zum Innenskelett (z. B. Schulp beiSepia, Gladius bei Loligo) dokumentiert, wobeidem durch die Septen gekammerten und teilweisemit einer Flüssigkeit erfüllten Schulp bei Sepia nocheine gewisse hydrostatische Funktion zukommt.Dieser gekammerte Abschnitt entspricht demPhragmoconus der Nautiloidea. Die Fossilfundebelegen die Arten- und Formenfülle der einst welt-weit verbreiteten Nautiloideen und damit, daß dasauf ein Schrumpfareal im West-Pazifik bzw. östli-chen Indik beschränkte rezente Perlboot mit nurwenigen Arten (z. B. Nautilus pompilius, N. umbi-licatus) als „lebendes Fossil" zu bezeichnen ist. Nau-tilus besitzt verschiedene Merkmale, die gegenüberden Tintenfischen als altertümlich zu bezeichnensind (z. B. Außengehäuse, Lochkameraauge, Ner-vensystem, Trichterlappen, Fehlen eines Tinten-beutels), doch trifft dies nicht für sämtliche Merk-male zu. Der Nautilus-Typ selbst erscheint bereitsin der Trias. Er hat seither nur gringfügige Ver-änderungen erfahren, welche die geringe Evolu-tionsgeschwindigkeit der Nautiliden belegt. Dem-gegenüber ist die Arten- und Formenfülle der re-zenten Tintenfische erst seither entstanden.

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Das nächste Beispiel führt uns an Hand desProblems der phyletischen Herkunft der Säuge-tiere zu den Therapsiden als „connecting links".Zwischen (rezenten) Reptilien und Säugetieren be-stehen zahlreiche z. T. sehr tiefgreifende morpho-logische und physiologische Unterschiede (Abb. 5),die einst — bevor man die Therapsiden kannte —Anlaß dazu waren, die Abstammung der Säuge-tiere von Reptilien überhaupt abzulehnen.

Im Jahre 1884 beschrieb OWEN einen Schädel-rest (Fazialschädel) aus der Ober-Trias von Süd-afrika als Tritylodon longaevus als ältestes Säuge-tier. Die einheitliche knöcherne Nasenöflfnung, dieheterodonte Ausbildung des Gebisses, ein Dia-stema, die vielhöckrigen und mehrwurzeligenBackenzähne ließen damals keinen Zweifel an derZugehörigkeit zu den Säugetieren aufkommen.Erst vollständigere Fossilfunde aus annäherndgleichaltrigen Ablagerungen in Europa (Oligoky-phus) und Asien (Bienotherium) zeigten, daß hierkein Säugetier (mit sekundärem Kiefergelenk unddrei Gehörknöchelchen im Mittelohr) vorlag, son-dern ein Reptil mit etlichen säugetierähnlichenMerkmalen. In den letzten Jahrzehnten sind zahl-reiche derartige Reptilien aus dem Perm und derTrias von Südafrika, Südamerika, Asien und derAntarktis beschrieben worden, die auf Grundihrer Merkmale als „mammal-like reptiles", alsoals säugetierähnliche Reptilien bezeichnet werden.Sie dokumentieren, wie zur Triaszeit aus Reptilien

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REPTILIEN SÄUGETIERE

Fortpflanzung

Korpertemperatur

Körperbedeckung

Wachstum

Abb. 5: Reptil- und Säugetiermerkmale (Schema). Be-achte Unterschiede in der Art der Fortpflanzung, derKörpertemperatur und der Körperbedeckung, im Gebißund Kiefergelenk, Gehirn, Zahl der Gehörknöchelchenim Mittelohr und im Wachstum. Nach COLBERT (1965)ergänzt und umgezeichnet.

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der Säugetiertypus entstanden ist und zugleich, wiedies die Natur durch zahlreiche morphologischeund physiologische Änderungen, die zum Teil miteinem Funktionswechsel verbunden waren, inForm kleiner Evolutionsschritte im Laufe der Zeitrealisierte. Innerhalb verschiedener Gruppen unterder Teilgruppe der Theriodontia (z. B. Gorgo-nopsia, Cynodontia, Bauriamorpha, Ictidosauria)entstehen säugetierhafle Merkmale, wobei der Mo-saikmodus der stammesgeschichtlichen Entwicklungdeutlich wird. Nicht alle Merkmale evoluieren syn-chron, so daß sich die für den Zoologen so deutli-chen Grenzen zwischen Reptilien und Säugetierenmehr und mehr verwischen bzw. es dem Paläon-tologen erschweren, eine bestimmte Gruppe unterden Theriodontia als eigentliche Wurzelgruppe derSäuger zu nominieren. Wahrscheinlich sind es dieCynodontia (z. B. Cynognathus, Thrinäxodon, Pro-bainognathus). Sie zeigen nicht nur Veränderungenim Bau des Schädels und des Gebisses, sondern auchim postcranialen Skelett (Abb. 6). Fossilfunde be-stätigen weiters die von dem Anatomen Ch. REI-CHERT bereits in der ersten Hälfte des vorigenJahrhunderts auf Grund embryologischer Untersu-chungen an rezenten Reptilien und Säugetieren an-genommene Homologisierung der Gehörknöchel-chen der Säugetiere. Die beiden, bei Säugetieren zu-sätzlichen Elemente (Hammer und Amboß) imMittelohr sind nach der nunmehr als Reichert-Gaupp'sche Theorie bezeichneten Auffassung dem

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Tupaia

Thrinaxodon

Prestosuchus

Abb. 6: Die Therapsiden (Thrinaxodon aus der Unter-Trias) als „connecting links" zwischen den (übrigen)Reptilien (Prestosuchus, Trias) und Säugetieren (Tu-paia, rezent). Bei Therapsiden bereits verschiedeneMerkmale (z. B. Heterodontie des Gebisses, Phalangen-formel, Differenzierung der Rump fwirb eis äul e samtRippen) säugetierhaft ausgebildet. Nach THENIUS(1976 a).

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Articulare und dem Quadratum der Reptilien zuhomologisieren. Es sind jene Elemente, die das pri-märe Kiefergelenk bilden und als solche im Dienstdes Ernährungsapparats stehen. Bei den Säugetierenhingegen ist ein sekundäres Kiefergelenk (Squamo-so-Dentalgelenk) ausgebildet. Diese Umbildung istdurch Doppelgelenker (z. B. Probainognathus,Abb. 7) als Übergangsformen möglich geworden,indem neben dem primären Kiefergelenk (Quadra-to-Articulargelenk) das sekundäre Squamoso-Den-talgelenk bereits in Funktion war. Diese bedeuten-de morphologische Umkonstruktion ist mit einemFunktionswechsel verbunden, der auch physiologi-sche Konsequenzen erkennen läßt. Articulare undQuadratum sind nunmehr (bei den Säugetieren) alsElemente des schalleitenden Apparates ausgebildet.Sie erhöhen die Effizienz der Schallübertragungvom Trommelfell zum Innenohr und machen eswahrscheinlich, daß dieser Prozeß kein einmaligesEreignis war, sondern bei Prototheria (i. w. S.) undTheria innerhalb der Säugetiere unabhängig von-einander erworben wurde (vgl. THENIUS 1979).

In Verbindung damit wurde das homodontezum heterodonten Gebiß umgestaltet und auch der(bei Reptilien) aus mehreren Elementen zusammen-gesetzte Unterkiefer zur Mandibel (der Säugetiere),die nur aus dem (zahntragenden) Dentale besteht.Beim heterodonten Gebiß der Säugetiere kommt eszur Differenzierung des Backengebisses in Prämo-laren und Molaren, von denen letztere als mehr-

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PROBAI NOGNATHUS(THERAPSIDA)

STAPES j>Q COCHLEA

Q

INCUS=QMALLEUS=A

PRIMITIVES PROBAINO-REPTIL GNATHUS

GEHÖRREGION GEHÖRREGION(SCHNITT) (VON UNTEN)

TE

SÄUGETIERGEHÖRREGION

(SCHNITT)

Abb. 7: Oben: Probainognathus (Therapsida) aus derMittel-Trias Südamerikas mit doppeltem Kiefergelenk.Unten: Mittelohr mit Gehörknöchelchen bei Reptilien(Stapes) und Säugetieren (Malleus = Hammer, Incus =Amboß und Stapes = Steigbügel). Beispiel für einenFunktionswechsel während der Evolution, indem dieElemente des primären Kiefergelenkes (Articulare = Aund Quadratum = Q) der Reptilien bei Säugetieren eineschalleitende Funktion übernehmen. Beachte Ausbil-dung des sekundären Kiefer- oder Squamoso-Dentalge-lenkes lateral vom primären Quadrato-Articulargelenk.A = Articulare, D = Dentale, Mt = Membrana tym-pani, Q = Quadratum, Sq = Squamosum, St = Stapes,Te = Tuba eustachii. Nach ROMER (1970), kombiniertund ergänzt umgezeichnet.

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höckrige und mehrwurzelige Zähne nicht nur zumFesthalten und Zerschneiden, sondern auch zumZerquetschen und Zerkauen der Nahrung dienen.In funktioneller Hinsicht erscheint daher ein auseinem Element bestehender Unterkiefer vorteil-hafter. Die durch das heterodonte Gebiß raschereAufschließung der Nahrung läßt sich wiederum mitder Endothermie (Warmblütigkeit) in Zusammen-hang bringen, für deren Ausbildung bei speziali-sierten Therapsiden auch andere Befunde (z. B.Turbinalia in der Nasenhöhle, Haare) sprechen.Dies berechtigt zur Annahme, daß bereits evoluierteTherapsiden behaarte Reptilien mit der Möglich-keit, die Körpertemperatur konstant zu halten,waren. Weiters ist anzunehmen, daß in Zusammen-hang damit eine entsprechende Umkonstruktiondes Blutkreislaufsystems erfolgt ist. Wegen sonsti-ger morphologischer und physiologischer Ände-rungen kann hier nur auf die Spezialliteratur ver-wiesen werden (vgl. THENIUS 1979).

Das nächste Beispiel führt uns zu den Rüssel-tieren (Proboscidea) innerhalb der Säugetiere. IhreFossilgeschichte ist seit dem Eozän bekannt. Siezeigt, daß fossil dem Paläontologen auch Aussagenüber die Entstehung und Evolution nicht oderkaum erhaltener Weichteile möglich sind, wie etwades Rüssels. Die bei den rezenten Elefantenarten(Elephas maximus aus Südasien und Loxodonta afri-cana in Afrika) sind die einzigen Überlebenden einereinst fast weltweit verbreiteten Säugetiergruppe,

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die im Tertiär durch die Mastodonten viel formen-reicher entwickelt war. Mit Moeritherium aus demEozän sind etwa tapirgroße Formen aus Nordafrikabekannt geworden, die zwar nicht als direkteStammformen der posteozänen Proboscidea in Be-tracht kommen, deren Schädel jedoch als Modellfür die Vorfahren der oligozänen Mastodonten(Palaeomastodon) angesehen werden kann. Diegroße knöcherne Nasenöffnung spricht für eine be-wegliche Nasenpartie, ohne daß jedoch die Ober-lippe zu einer Art Rüssel verlängert war. Dies istnach dem Schädelbau für Palaeomastodon (Abb. 8)aus dem Oligozän anzunehmen, eine Gattung, dienach dem Bau von Schädel und Gebiß die 'Wurzel-gruppe der jungtertiären Mastodonten (Gompho-therium) bildet. Die bei Palaeomastodon vergrö-ßerte und nach hinten verschobene Nasenöffnungund die beginnende Verlängerung des Fazialschä-dels samt Unterkiefer lassen auf eine rüsselartigverlängerte Oberlippe schließen. Unter weitererVerschiebung der Nasenöffnung erfolgt bei denMastodonten eine Verkürzung des Fazialschädelsund auch des Unterkiefers samt dessen Stoßzähnen,so daß aus langkiefrigen (longirostrinen) Formenkurzkiefrige (brevirostrine) Typen entstehen. Dieverlängerte, durch Muskeln verstärkte Oberlippewird samt Nase der Rüssel, der sich bei dem Ele-fanten (z. B. Elephas, Loxodonta, Mammuthus) desQuartärs noch verlängert und damit zum univer-salen Werkzeug wird. Die Gebiß-Evolution führt

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Abb. 8: Stufenreihe zur Entstehung des Rüssels undzur Evolution des letzten Oberkieferbackenzahnes (Ma)bei den Rüsseltieren (Proboscidea). Beachte Umbildungdes ursprünglich vierhöckrigen, niedrigkronigen M J

von Moeritherium und Palaeomastodon zum Lamellen-zahn der Elefanten und Entstehung der Hochkronig-keit erst im Plio-Pleistozän. Nach THENIUS (1976 a).

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von ursprünglich vierhöckrigen, niedrigkronigenMolaren bei Palaeomastodon zu vielhöckrigenBackenzähnen der Mastodonten (z. B. Gompho-therium, Anancus), aus denen sich nunmehr relativrasch im Plio-Pleistozän die hochkronigen Lamel-lenzähne der Elefanten entwickeln (Abb. 8). Siesind ein Beispiel für die unterschiedliche Evolu-tionsgeschwindigkeit (des Molarengebisses) und zei-gen, wie — in Zusammenhang mit Umweltsände-rungen — aus Weichpflanzenfressern schließlichGrasfresser (z. B. Mammute) werden und dadurchneue Lebensräume erschließen können. Bei denProboscidiern kommt es zwar während der Evolu-tion zu einer Größenzunahme, doch sind die beidenrezenten Arten nicht die größten. Die von ver-schiedenen Inseln bekannt gewordenen Zwergele-fanten sind stammesgeschichtliche Endformen.

Das Beispiel der Proboscidea hat bereits die Be-deutung der Gebiß-Evolution erkennen lassen.Auch bei der Evolution der Pferdeartigen (Equidae)unter den Unpaarhufern bildet sie — zusammenmit Adaptationen im Verdauungstrakt — einenwichtigen Merkmalskomplex. Die Evolution derEquiden hat als sog. Pferdereihe innerhalb derPaläontologie bereits frühzeitig eine wichtige Rollegespielt. Wurde sie doch einst als Modell einerorthogenetischen, d. h. gerichteten Entwicklung an-gesehen. Seitherige Untersuchungen vor allemdurch STIRTON (1940) und SIMPSON (1951)zeigten jedoch, daß dies nicht der Fall ist, sondern

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nur auf irrigen Interpretationen bzw. mangelnderFossildokumentation beruht. Die Evolution verliefkeineswegs geradlinig. So stirbt der Hauptstammder Anchitherien mit Anchitherium, Hypohippusund Megahippus im Jung-Miozän aus, von demsich bereits im älteren Miozän sowohl die wiederausgestorbenen dreizehigen Hipparionen als auchdie zu den Einhufern (Pliohippus, Equus) führen-den Linien abgespalten hatten. Ähnlich wie bei denRüsseltieren verläuft die Gebiß-Evolution nicht mitkonstanter Geschwindigkeit. Im mittleren und jün-geren Miozän kommt es bei der Merychippus-Gruppe relativ rasch zur Hochkronigkeit (Hypso-dontie) der Backenzähne, nachdem bereits im Alt-tertiär die sog. Molarisierung der Prämolaren er-folgt war. Die Hypsodontie läßt sich in Nord-amerika, der Urheimat der Equiden, mit der Ent-stehung und Entfaltung der Gramineen (Prärie-gräser: Stipeae) in Zusammenhang bringen (Abb. 9),die im Jungtertiär weite Gebiete Nordamerikasbedeckten. Es ist ein Beispiel für eine Parallel-Evo-lution, wie sie bereits W. KOWALEVSKY (1874)erkannte und wie sie verschiedentlich zwischen ver-schiedenen Arten zu beobachten ist. Sie kannschließlich zu einer richtigen Ko-Evolution und da-mit zu einer gegenseitigen Abhängigkeit führen,wie sie etwa zwischen Wirtstieren und Parasitenoder zwischen Blütenpflanzen und ihren Bestäu-bern (z. B. Insekten, Vögel, Fledermäuse) besteht.Auch hier lassen sich entsprechend dem jeweiligen

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Parohippus villicans

Abb. 9: Parallel-Evolution der Backenzähne (M sup.)der Equiden (Parahippus — Merychippus — Nannippus)und der Präriegräser (Stipeae mit Stipidium, Berrioch-loa, Parastipidium, „Stipa", Stipa und Nassella im Mio-Pliozän Nordamerikas. Beachte zunehmende Hochkro-nigkeit der M sup. und Entfaltung der Stipeae. NachUnterlagen von ELIAS (1942) und STIRTON (1947)kombiniert und umgezeichnet.

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zeitlichen Auftreten von der Paläontologie herBelege beibringen.

Nun aber wieder zurück zu den Equiden. Dieältesten Equiden (Hyracotherium = „Eohippus"und Orohippus aus dem Alt-Eozän, Propalaeothe-rium aus dem Mittel-Eozän) waren katzen- bisfuchsgroße, vier- bis dreizehige Säugetiere mitniedrigkronigen Backenzähnen, die nach ihrer Or-ganisation und ihrem Vorkommen (z. B. Braun-kohlen) als Blattäser und Urwaldformen anzuspre-chen sind. Eine Annahme, -die erst vor wenigenJahren durch Funde des Mageninhaltes des Ur-pferdchens Propalaeotherium messelense aus demMittel-Eozän von Messel NE Darmstadt glänzendbestätigt werden konnte (FRANZEN 1977). DerMageninhalt besteht aus einer dichten Packung vonLaubblättern, unter denen Lorbeergewächse (Lau-raceen) dominieren, ferner von Blütenblättern vomGagelstrauch (Myrica) und Pollenkörnern. VonGräsern keine Spur. Mit der Umbildung desBackengebisses (Molarisierung der Prämolaren,Hochkronigkeit) verlängert sich der Fazialschädel,die Augenhöhlen verschieben sich von der Schädel-mitte nach hinten und die Kiefer werden zusehendshöher, aber auch im Gehirn (Endocranialausgüsse)kommt es zu entsprechenden Änderungen, wie vorallem EDINGER (1948) und RADINSKY (1976)nachweisen konnten (Abb. 10). Das Gehirn des Ur-pferdchens Hyracotherium zeigt große Riechkol-ben, nur schwachgefurchte Großhirnhemisphären

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NlO

Merychippus

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Mesohippus

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Hyracothenum

Abb. 10: Die Evolution der Pferdeartigen (Equidae) imKänozoikum. Stufenreihe von Handskelett, Schädel,„Gehirn" (= Endocranialausguß) und M sup. BeachteGrößenzunahme, Reduktion der Seitenzehen, Verlän-gerung des Fazialschädels, Komplikation des Großhirnsund zunehmende Hypsodontie der Molaren im Jung-tertiär. Nach THENIUS (1979).

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und ein nicht vom Großhirn bedecktes Kleinhirn(Cerebellum). Das Gehirn läßt sich am ehesten mitdem von Insektenfressern vergleichen. Erst im Oli-gozän manifestiert sich der Huftiercharakter desEndocraniums und im Miozän bildet sich derequide Bau heraus, der sich bis zum Holozän zwarvergrößert, ohne jedoch grundsätzlichen Änderun-gen unterworfen zu sein.

Da eine ähnliche Relation zwischen der Gehirn-und der somatischen Körperevolution auch von an-deren fossilen Säugetieren nachgewiesen werdenkonnte, spricht man — entsprechend der Entdecke-rin — von der Edinger'schen Regel. Sie besagt, daßdie Gehirnevolution langsamer verläuft als die so-matische Evolution (z. B. Schädel, Gebiß, Extremi-täten), wo der equide Habitus früher in Erschei-nung tritt. Dieses Beispiel zeigt deutlich, daß dieEvolution eines einzigen Merkmals noch keines-wegs der stammesgeschichtlichen Entwicklung ent-sprechen muß. In Zusammenhang mit der Gebiß-Evolution erfolgte auch eine Umbildung des Ver-dauungstraktes, die bei den Equiden im Gegensatzzu den Wiederkäuern nicht mit einer Fermentationim Rumen, sondern mit einer caecalen Verdauungdas Aufschließen widerstandsfähiger Pflanzenresteermöglicht (vgl. JANIS 1976).

Das nächste Beispiel führt uns zu den bärenarti-gen Raubtieren (Farn. Ursidae) und damit zur stam-mesgeschichtlichen Herkunft des Eisbären (Ursusmaritimus). Unter den echten Bären (Ursinae mit

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der Gattung Ursus) lassen sich zwei Gruppen un-terscheiden: Die Schwarzbären (Subgenus Euarctos= „Selenarctos") und die Braunbären (SubgenusUrsus). Beide sind in der Alten und Neuen Weltverbreitet. "Welcher Gruppe steht der Eisbär näher?Das Backengebiß (dem taxonomisch eine wichtigeRolle zugeschrieben wird) von Ursus maritimuszeigt eine größere Ähnlichkeit mit der Schwarz-bärengruppe (Kragenbär und Baribal) als mit denBraunbären. Demgegenüber sprechen gemeinsameEntoparasiten (Nematoden: Toxascaris transfuga)und in Tiergärten züchtbare fertile Bastarde mitdem Braunbären (Ursus arctos) für nähere ver-wandtschaftliche Beziehungen mit letzteren, vondenen sie in freier Wildbahn räumlich völlig ge-trennt sind und von denen sie im Aussehen undVerhalten stark abweichen. Wie jedoch eine Gebiß-analyse erkennen ließ (THENIUS 1953), ist dasBackengebiß des Eisbären in Zusammenhang mitder carnivoren Ernährung (vorwiegend Robben)sekundär gegenüber dem Omnivoren Gebiß desBraunbären vereinfacht und dadurch dem der et-was altertümlichen Schwarzbären ähnlicher. DerEisbär ist — wie auch jungpleistozäne Fossilfundebestätigen (KURTfiN 1964) — ein erdgeschichtlichjunger Abkömmling der Braunbärengruppe, der inVerbindung mit Lebensraum und Ernährung adap-tiv stark verändert ist (Abb. 11). Karyologischsind keine Unterschiede zwischen Braun- und Eis-bär vorhanden (WURSTER 1969). Dieses Beispiel

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Abb. 11: Die Evolution der Gattung Ursus unter denBären (Ursidae). Eisbär {Ursus maritimus) als erdge-schichtlich junge Seitenlinie des Braunbären (U. arctos).Nach THENIUS (1976 a).

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lehrt zugleich, daß der morphologische Grad derÄhnlichkeit nicht zwangsläufig den Grad der Ver-wandtschaft widerspiegelt und daß vor allem dieadaptive Evolution zu starken Verschiedenheitenauch näher verwandter Formen führen kann.Schon aus diesen Überlegungen ist es sinnvoll, zu-sätzliche Befunde heranzuziehen, wie dies an Handrezenter Arten möglich ist.

Die stammesgeschichtliche Stellung und Herkunftdes Menschen

Damit wollen wir uns jenen Säugetieren zuwen-den, die bereits LINNE als Primaten (Herren-tiere) bezeichnete und welche Halbaffen, Affen undMenschen umfaßt. Für die Primaten bilden Greif-hand und das stereoskopische Sehen die wichtigstenSchlüsselmerkmale. Sie stehen primär mit einerbaumbewohnenden (= arboricolen) Lebensweisein Zusammenhang. Nach diesen Schlüsselmerk-malen ist der Mensch (Homo sapiens) vom Syste-matiker als Angehöriger der Primaten zu klassifi-zieren und für den Phylogenetiker bedeutet dies,daß Homo von (nichthominiden) Primaten abzu-leiten ist. Primäre Probleme sind dabei sowohl dievermutliche Wurzelgruppe als auch, welche rezentePrimaten die nächsten Verwandten des Menschenbilden.

Morphologisch stehen die Menschenaffen (Farn.Pongidae) mit Orang (Pongo), Gorilla (Gorilla)und Schimpanse (Pan) dem Menschen am nächsten.

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Nach dem englischen Anatomen und Anthropolo-gen Sir Arthur KEITH (1929) hat der Mensch von1065 anatomischen Merkmalen mit den Hunds-affen (Cercopithecidae wie etwa Meerkatzen, Pa-vianen, Makaken und Languren) 113, mit denGibbons (Hylobatidae) 117, mit dem Orang hin-gegen 354, dem Gorilla 385 und dem Schimpansen396 Merkmale gemeinsam. 312 Merkmale sind fürden Menschen (Hominidae) allein kennzeichnend.Diese morphologischen Ähnlichkeiten und Über-einstimmungen werden durch das Verhalten bestä-tigt. Experimente und Untersuchungen an freile-benden Schimpansen durch KORTLANDT (1967)und JANE VAN LAWICK-GOODALL (1971) ha-ben erstaunliche Parallelen im Verhalten erbrachtund zugleich gezeigt, daß Schimpansen nicht nur„tool-user", also Werkzeugverwender, sondernwiederholt auch „tool-maker", d. h. Werkzeugher-steller sind. Letzteres betrifft unter anderem be-wußt hergerichtete Zweige zum Fang von Termi-ten, abgerissene Blätter zum Aufsaugen von Regen-wasser, das mit dem Mund nicht erreicht werdenkann usw.

Das Neugierverhalten, die Plastizität des Ver-haltens, das viel weniger an starre, ererbte Verhal-tensformen gebunden ist, das Mienenspiel und dieSignalsprache sind vielfach erstaunlich menschen-ähnlich. Schimpansen sind zwar nicht in der Lagezu sprechen, da ihnen zumindest die anatomischenVoraussetzungen fehlen, doch können sie — wie

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Beobachtungen und Experimente an Exemplaren inmenschlicher Obhut gezeigt haben — sich in einerSymbolsprache (z. B. Taubstummensprache) aus-drücken und sogar abstrakt denken (vgl. LINDEN1980).

Die Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen mitMenschenaffen betreffen aber auch die Karyologiemit den Chromosomen und die Biochemie mit Ei-weiß und Blutfarbstoffen (z. B. Aminosäuresequen-zen, Globuline, Hämoglobine). Der Karyotyp(Chromosomensatz) des Menschen stimmt mit demder Menschenaffen (Pongidae) im Prinzip überein,die Zahl des diploiden Chromosomensatzes weichtjedoch mit 46 von dem der Pongiden mit 48 etwasab. Morphologisch ist eine größere Ähnlichkeit mitden Chromosomen der afrikanischen Pongiden ge-geben, unter denen wiederum die größte Überein-stimmung mit dem Zwergschimpansen (Pan panis-cus) vorhanden ist. Ein nur nach den Chromosomenerstellter „Stammbaum" stellt Mensch und Men-schenaffen innerhalb der Altweltaffen zu einer Li-nie, von der wiederum die afrikanischen Pongidenmit Homo eine untereinander näher stehendeGruppe bilden (Abb. 12). Das bedeutet, daß derasiatische Orang (Pongo) karyologisch etwas fernersteht.

Diese Auffassung wird durch die Serologie bestä-tigt. Mit Hilfe der Präzipitinmethode, wie sie be-reits 1904 von NUTTALL entwickelt wurde, vonUHLENHUT (1905) und MOLLISON (1923) aus-

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gebaut sowie zuletzt von GOODMAN (1963,1975) und SARICH (1968) verfeinert wurde,konnten die verwandtschaftlichen Beziehungen in-nerhalb der Primaten auf serodiagnostischer Basisbeurteilt werden. Ein Phänogramm auf Grund derabgestuften serologischen Affinitäten entspricht

UJ<Q

PAPIONINI COLOBINAE HYLO- PONGIDAE z CERCO-BATIOAE 1 PITHECINI

A4 48 44 50 52 48 48 48 46

44??

Abb. 12: Evolution der Altweltaffen (Catarrhini) unddes Menschen nach den Chromosomen. Zahlen bedeu-ten diploiden (2n) Chromosomensatz. Beachte Stellungdes Menschen {Homo) innerhalb der Hominoidea (Pon-go, Gorilla, Pan und Homo). R = Reduktion der Chro-mosomenzahl durch Chromosomenfusion. Nach CHIA-RELLI (1973) umgezeichnet.

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durchaus den nach morphologisch-anatomischenBefunden erzielten Ergebnissen (Abb. 13). EineAusnahme bilden jedoch Menschenaffen undMensch, indem dem Orang (Pohgo pygmaeus) eineSonderstellung zukommt, während Gorilla, Schim-panse (Pan) und Mensch (Homo sapiens) zu einereinzigen Familie (Hominidae) zu stellen wären.D. h., es bestehen nähere serologische Affinitätenzwischen den afrikanischen Menschenaffen und demMenschen als zwischen afrikanischen und asiati-schen Pongiden. Entsprechen die serologischen Affi-

i Pl„ l V , CERCO:COLO= piTHECINAE

BINAE J

CERCOPITHECOIOEA

PLATYRRHINI

STREPSIRHINI ANTHROPOIDEA

Abb. 13: Phänogramm (Ähnlichkeitsdiagramm) nachserodiagnostischen Befunden an Primaten, Tupaia(Spitzhörnchen) und Erinaceus (Igel). Beachte weit-gehende Übereinstimmung mit Ergebnissen der mor-phologisch-anatomischen Verwandtschaftsforschung mitAusnahme der Hominidae, zu denen hier außer Homoauch Gorilla (Gorilla) und Pan (Schimpanse) gerechnetwerden. Serologisch stehen Schimpanse und Gorilladem Menschen näher als dem Orang (Pongo). NachGOODMAN (1963) umgezeichnet.

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nitäten der tatsächlichen Blutsverwandtschaft? VorBeantwortung dieser Frage einige Bemerkungenzur Fossildokumentation der Hominoidea, wie hierPongiden (ohne Hylobatiden) und Hominiden zu-sammengefaßt werden.

Die Fossildokumentation der Hominoidea be-ruht vorwiegend auf Zahn- und Kieferresten, zudenen gelegentlich mehr oder weniger vollständigerhaltene Schädelreste und vereinzelt auch post-craniale Skelettelemente kommen. Da dem Gebiß(und dem Kiefer) eine wesentliche taxonomischeRolle zukommt und dieses auch spezifische Unter-schiede widerspiegelt, sind weitgehende Aussagenin taxonomischer Hinsicht möglich.

Die Entdeckung der ursprünglich nur auf einemKinderschädel beruhenden Australopithecus-Gruppein Südafrika durch R. DART (1925) führte zu wie-derholten Diskussionen über deren systematischeund phylogenetische Stellung, die erst durch dieEntdeckung vollständiger Reste beendet wurde.Das Gebiß von Australopithecus africanus undA.(Parantbropus) robustus (einschl. boisei) aus demPlio-Pleistozän Afrikas ist typisch hominid gebaut(Rundbogengebiß ohne Affenlücke, Eckzähne nichtcaniniform) und ist in einzelnen Merkmalen (kleineSchneidezähne, Milchbackenzähne komplizierter,vergrößerte Backenzähne bei A. robustus) sogar alshyperhominid zu bezeichnen (Abb. 14). Es ist da-durch zwar wesentlich von dem sämtlicher Men-schenaffen (Pongiden) verschieden, zeigt jedoch

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B

Abb. 14: Oberkiefergebiß eines Menschenaffen (A = Go-rilla) und eines Menschen (C = Homo) im Vergleich zuAustralopithecus = B. Beachte Torbogengebiß, Affen-lücke, kräftige Eckzähne und breite Schneidezähne beiGorilla, Rundbogengebiß ohne Affenlücke u. dgl. beiAustralopithecus und Homo. Nach LE GROS CLARK(1958) umgezeichnet.

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verschiedene „trends", die gegen eine direkte stam-mesgeschichtliche Ableitung von Homo sprechen.Zu diesen morphologischen Befunden kam durchR. E. LEAKEY (1976) der Nachweis gleichaltriger,jedoch fortschrittlicher Hominiden in Ostafrika(z. B. Homo habilis aus dem bed I der Olduvai-Schlucht [ = Olduvai hominid No. 7] in Tansania,KNM-ER 1470 aus der Koobi Fora Formation vonTurkana [ = Rudolf] See in Kenya; s. DAY 1977),die dokumentieren, daß im jüngsten Tertiär (diekorrigierte radiometrische Datierung von KNM-ER1470 beträgt etwa 1,8 Millionen Jahre) nebenAustralopithecus bereits Angehörige der GattungHomo lebten. Diese unterscheiden sich vongleichaltrigen Australopithecus-Formen vor allemdurch das kräftige Vordergebiß (Homo habilis)bzw. die größere Gehirnschädelkapazität (ca.770 ccm). Für Australopithecus africanus gibt TO-BIAS (1975) 428—480 ccm, für die größere ArtA. robustus 506—530 ccm an, während die ent-sprechenden Werte nach HOLLOWAY (1976) 428bis 582 bzw. 500—530 ccm lauten. Sie fallen damitvöllig in die Variationsbreite der heutigen Men-schenaffen, deren Variationsbreite bei erwachsenenIndividuen (99 und C?C?) nach SCHULTZ (1965)von 276—502 ccm bei Pongo pygmaeus, von 282—454 ccm bei Pan troglodytes, von 275—381 ccmbei Pan paniscus und von 350—752 ccm bei Gorillagorilla reicht. Zweifellos sind es nur Richtwerte, dadie Schädel meist nicht vollständig erhalten sind

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und außerdem die absolute Körpergröße eine Rollespielt. Dazu kommen bei Australopithecus robustusnoch ausgeprägte Scheitelkämme, die seinerzeitgleichfalls gegen die Zugehörigkeit zu den Homini-den ins Treffen geführt wurden. Derartige Scheitel-kämme sind funktionsbedingt und entstehen über-all dort, wo die Kaumuskulatur nicht genügendAnsatzfläche am Hirnschädel hat. Dies ist sowohlbei den kleinhirnigen Australopithecus-Formen mitmächtiger Kaumuskulatur als auch beim Gorillader Fall.

Wie jedoch zahlreiche postcraniale Skelettele-mente (z. B. Becken, Femur, Tarsalia und Meta-tarsalia) eindeutig belegen, waren Australopithecusafricanus und A. robustus Aufrechtgeher, d. h. bi-pede Primaten. Damit sind sie definitionsgemäßAngehörige der Hominiden. Allerdings besitzen sieim postcranialen Skelett verschiedene pongideMerkmale, die auf eine einst arboricole Lebens-weise hinweisen.

Nach der Definition der Humanbiologen sindHominiden bipede Primaten. Dies bedeutet gegen-über der einstigen Definition nach der Gehirnschä-delkapazität zugleich die Erkenntnis, daß dieMenschwerdung oder Hominisation primär nichtdurch die Gehirn-Evolution, sondern durch denaufrechten Gang eingeleitet wurde.

Auch nach der Definition der Prähistoriker wä-ren die erwähnten Australopithecus-Arten kaumals Hominiden zu klassifizieren, da nicht bewiesen

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ist, daß sie „tool-maker", also Gerätehersteller wa-ren. Die Stein-Artefakte stammen nur von Fund-stellen, von denen auch Homo nachgewiesen ist(z. B. Olduvai bed I = Homo habilis, Swartkrans= „Telanthropus capensis" = Homo sp.). DieKnochengeräte der sog. „osteodontokeratischenKultur" aus Makapansgat, die von DART (1957)Australopithecus „prometheus" (= africanus) zuge-schrieben wurden, sind lediglich dessen Mahlzeit-reste.

Mit dem Nachweis von Australopithecus afaren-sis aus dem Jung-Pliozän von Hadar (Abessinien)durch JOHANSON & al. (1978) dürfte die ge-meinsame Stammform der oben erwähntenAustralopithecus-Arten (A. africanus und robustus)und Homo gefunden sein. Australopithecus afaren-sis verhält sich durch verschiedene „pongide" Merk-male im Gebiß (z. B. Affenlücke, kräftiger Canin;Abb. 15) und im postcranialen Skelett (z. B. Baudes Humerus, kurzer Oberschenkel, Beckenschau-fel weniger stark verbreitert) etwas primitiver alsAustralopithecus africanus und A. robustus und istmit einem Alter von 2—3,7 Millionen Jahren auchentsprechend älter. Nach dem postcranialen Skelettwar A. afarensis ein bipeder Primate, was für dienoch älteren Australopithecusfunde (Zähne ausdem älteren Pliozän bzw. jüngsten Miozän miteinem Alter von 4 bis 7 Millionen Jahren) zwarfraglich, aber durchaus nicht auszuschließen ist. Derdauernd aufrechte Gang von Australopithecus afa-

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rensis wird durch Fußspuren, die in vulkanischenTuffiten von Laetoli (Tansania) erhalten gebliebensind, bestätigt. Diesen Tuffiten wird ein Alter von3,6 Millionen Jahren zugeschrieben.

Zählt Australopithecus somit zu den erdgeschicht-lich ältesten Hominiden? Diese Frage ist derzeit

Abb. 15: Australopithecus afarensis. Oberkiefergebiß(a) und Mandibel (b, c) aus dem Pliozän von Hadar(Äthiopien). Vorderes Mandibulargebiß nach einemExemplar von Laetoli (Tansania) ergänzt. BeachteAffenlücke, Eck- und Schneidezähne im Oberkiefer, je-doch hominiden Zahnbogen. 1/t nat. Größe. Nach JOHAN-SON & WHITE (1979) und HENKE & ROTHE (1980)ergänzt umgezeichnet.

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nicht definitiv zu beantworten. Aus dem jüngerenMittel-Miozän und dem Jung-Miozän sind seit Jah-ren Zahn- und Kieferreste bekannt, die verschie-dene hominide Merkmale besitzen. Sie sind alsRamapithecus erstmalig durch LEWIS (1934) ausdem Pliozän von Südasien beschrieben worden undseither auch aus dem Miozän von Afrika („Kenya-pithecus" wickeri), Europa (Graecopithecus undRudapithecus) und Vorder- und Südasien („Siva-pithecus" alpani, „Dryopithecus" punjabicus) be-kannt geworden (vgl. SIMONS 1977). Ramapithe-cus unterscheidet sich von den gleichaltrigen Pon-giden (z. B. Dryopithecus, Proconsul, Sivapithecus)durch die v-förmig divergierenden Zahnreihen, dasetwas reduziertere Vordergebiß, hominide Prämo-larcn, durch den dickeren Zahnschmelz und die et-was andere Abkauung der Molaren (Abb. 16). Überdie Art der Fortbewegung ist mangels (beschrie-bener) postcranialer Skelettreste keine definitiveAussage möglich. Daher muß auch die Zugehörig-keit von Ramapithecus TM den Hominiden nochoffen bleiben.

Dennoch gestatten die bisher vorliegenden Fos-silfunde eine Reihe von Aussagen, nicht nur überdie Abstammung, sondern auch über die vermut-lichen Ursachen der Menschwerdung. Mit demNachweis von Australopithecus im jüngsten Miozänund dem gleichzeitigen Vorkommen echter Pongi-den (Dryopithecus, Sivapithecus) ist die weit zu-rückliegende Aufspaltung in Pongiden und Homi-

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niden belegt. Weiters erscheint nach Fossilfundeneine bereits im Mittelmiozän erfolgte Abspaltungder zu Pongo führenden Linie vom Pan-Gorilla-Stock wahrscheinlich. Dies bedeutet, daß die aus

DRYOPITHECUS( PROCONSUL)

RAMAPITHECUS

Abb. 16: Unterkiefer von Ramapithecus im Vergleichmit Pongiden {Pan, Dryopithecus) und Hominiden(Australopithecus). Beachte unterschiedliche Ausbil-dung des Vordergebisses und des Zahnbogens. NachSIMONS (1977).

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den karyologischen und serodiagnostischen Befun-den gezogenen taxonomischen Schlußfolgerungennicht zutreffend sind. Sie lassen sich einfach durchdie Arbeitshypothese von der rascheren „adapti-ven" Evolution erklären. Diese Hypothese besagt,daß Anpassungsmerkmale rascher auftreten als ent-sprechende Änderungen der Eiweißstoffe (z. B. Al-bumine). Diese Hypothese wird übrigens durchähnliche Befunde an adaptiv stark verändertenTieren (z. B. Robben, Wale) gestützt und damitzur Theorie. Robben sind morphologisch von denLandraubtieren (Fissipedia) stark verschieden undwerden daher diesen von den Systematikern als Pin-nipedia gegenübergestellt. Es sind jedoch durch dasWasserleben stark adaptiv veränderte Abkömmlingeder Arctoidea (z. B. Bären, Marder) unter denLandraubtieren, von denen sie sich serologisch nichtunterscheiden. Nach serologischen Befunden wärendie Pinnipedier somit als Arctoidea zu klassifizie-ren. Die Wale (Cetacea), die als völlig an das Was-serleben angepaßte Säugetiere morphologisch unterdiesen isoliert stehen und deswegen bis vor kurzemauch als Angehörige einer eigenen Infraklasse (Mu-tica) klassifiziert wurden, stehen serologisch Huf-tieren und zwar primitiven Paarhufern am näch-sten. Befunde, die erst in jüngster Zeit durch Fos-silfunde dadurch bestätigt wurden, als Paarhuferund Wale von einer gemeinsamen Wurzelgruppeunter den alttertiären Urhuftieren (Condylarthra)abzuleiten sind (vgl. THENIUS 1969, 1976).

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Die Menschwerdung ist zweifellos mit einemAnpassungsprozeß an neue Umweltbedingungeneingeleitet worden, der zu entsprechenden mor-phologischen Unterschieden gegenüber den Pongi-den geführt hat. Während sich die meisten Pongi-den in zunehmendem Maß an ein Leben im tropi-schen Urwald (einschl. Montanwälder) angepaßthaben, was sich in der Fortbewegung, in der Er-nährung, im Sozialverhalten u. dgl. mehr ausprägt,ist der Mensch sekundär an die offene Landschaftangepaßt. Diese Behauptung ist heute durch mor-phologisch-anatomische Befunde zwingend belegtund läßt sich mit der paläogeographischen . bzw.paläoklimatologischen Entwicklung in Zusammen-hang bringen. Der Mensch besitzt eine Reihe spe-zieller Merkmale im Bau der Arme und des Brust-korbes, die er im Gegensatz zu den übrigen Alt-weltaffen nur mit den Menschenaffen gemeinsamhat und die sich nur durch eine einstige brachiato-rische (arboricol-bimanuelle, aufrecht hängende)Fortbewegungsweise der gemeinsamen Vorfahrenerklären läßt (FRAN2EN 1972).

Nach dieser Brachiatoren-Hypothese, wie sie imPrinzip bereits GREGORY (1928) vertreten hat,erfolgte die (dauernde) Aufrichtung des Körpers imSinne einer orthograden Bipedie nicht direkt voneinem pronograden Quadrupeden, sondern überFormen mit einer (brachiatorischen) Armverlänge-rung, die jedoch nicht den für Pongo typischenGrad erreicht hatte. Diese Armverlängerung er-

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möglicht nach FRANZEN (1972) nunmehr eineallmähliche Entwicklung vom halb-aufgerichtetenquadrupeden zum vollaufrechten bipeden Gang,wobei die Verlängerung der Beine erst im Zugeeiner ökonomisierung erfolgte. Dies wird durchdie neuen Australopithecus-Skelettfunde („Lucy")bestätigt. Nach dieser Auffassung bildet die Arm-verlängerung eine Prädisposition im Sinne vonREMANE (1966). Sie ermöglichte beim Übergangzum Bodenleben den aufrechten Gang und führteim Bereich der Gesäßmuskulatur zu einem Funk-tionswechsel. Der bei den Menschenaffen nur alsStrecker dienende dorsale Anteil des Glutaeus-Muskels wird beim Menschen auch zum Beuger.

Die Brachiatoren-Hypothese erklärt auch, wiesoes bei anderen bodenlebenden Primaten (z. B. Pa-viane, Husarenaffen) nicht auch zur Bipedie kam.

Durch die oben erwähnten fossilen Primaten-funde läßt sich auch die vermutliche Zeitspanne derEntstehung des aufrechten Ganges einengen. Siehat sich wahrscheinlich im Jung-Miozän vollzogen.Es ist dies eine Zeit, wo es weltweit zu einem Rück-gang der Wälder und zur Ausdehnung offener Sa-vannenlandschaften gekommen ist, die möglicher-weise mit der ersten maximalen Ausdehnung desantarktischen Eisschildes in ursächlichem Zusam-menhang steht. Diese Ausdehnung der Savannenführte zu einem starken Rückgang der Pongiden inEurasien und wohl auch in Afrika.

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Der dauernd aufrechte Gang (Bipedie) ermög-lichte den Hominiden nunmehr die Verwendungder Greifhand ausschließlich als vielseitiges Werk-zeug in Zusammenhang mit der Gehirn-Evolution(Neencephalisation, s. STARCK 1965). Da bei denHominiden infolge der Hirnhäute keine Abprä-gung der Furchen des Großhirns an der Innenseitedes Hirnschädels erfolgt, sind keine Aussagen überdie einzelnen Großhirnfurchen, geschweige dennüber den cytoarchitektonischen Bau möglich. Da-durch sind auch keine konkreten Angaben überden Zeitpunkt des Erwerbes der artikulierten, be-griffsbildenden Sprache des Menschen zu machen(STARCK 1965). Lediglich Angaben über die Aus-bildung des Schläfenlappens bzw. das Gehirnvolu-men lassen Vergleiche zu. Letzteres wird im Laufeder Evolution schrittweise vergrößert, es kam nicht— wie seinerzeit auf Grund einer ungenügendenFossildokumentation angenommen wurde — zueiner jeweiligen Verdoppelung des Gehirnvolu-mens. Über die Vergrößerung des Großhirns lassensich nur Vermutungen äußern. Man wird kaumfehlgehen, sie mit der bei den Hominiden verlän-gerten Lernphase in der Jugend und vielleicht auchmit der Entwicklung der für den Menschen ein-maligen Wortsprache in Zusammenhang zu bringen.

Zusammenfassend sei festgestellt, daß die afri-kanischen Menschenaffen die nächsten lebendenVerwandten des Menschen sind und daß alle aufgemeinsame Stammformen im Mittel-Miozän zu-

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rückzuführen sind. Die verschiedenen morphologi-schen und anatomischen Merkmale des Menschenwerden nur aus seiner Stammesgeschichte verständ-lich. Sie sind das Ergebnis eines Mosaiks von Akze-lerations- und Retardationsvorgängen. Sie zeigenzugleich durch die Anfälligkeiten für Erkrankun-gen der Wirbelsäule und der Beine, daß der mensch-liche Körper ursprünglich nicht für eine Bipediekonstruiert wurde.

Abschließend kann gesagt werden, daß dieMenschwerdung kein plötzliches Ereignis war, son-dern als langsamer Evolutionsprozeß zu verstehenist, der auf das Zusammentreffen verschiedener„zufälliger" Ereignisse und Gegebenheiten zurück-geführt werden kann. Der Mensch ist aus der Sichtder Naturwissenschaften weder ein Produkt derSchöpfung, noch ein Produkt einer gezielten Evo-lution, wie es etwa P. TEILHARD DE CHARDIN(1961) angenommen hat. Desgleichen ist auch nichtanzunehmen, daß die weitere Evolution nur nochim Menschen fortgeführt wird (vgl. dazu SIMP-SON 1964 und WAHLERT 1966). Die Sonderstel-lung des Menschen, die sich etwa in seiner Selbst-erkenntnis ausprägt, ist ebenso das Ergebnis derEvolution, wie etwa die rein morphologisch-ana-tomischen Merkmale (vgl. HOFER & ALTNER1972).

Daß die Gehirnentwicklung (Neencephalisation)allein nicht ausschlaggebend war, zeigen die Wale(z. B. Delphine, Tümmler) mit ihrem erstaunlich

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hohen Neencephalisationsgrad. Der Anteil der Fur-chenrinde erreicht beim Tümmler (Phocaena) über66% und liegt damit etwas über dem Durch-schnittswert der Europäer (SALLER 1964). DieWale (Cetacea) sind:dem Leben im Wasser verhaf-tet und ihre Vorderextremitäten sind zu Flossenumgestaltet. Bei den Hominoidea hingegen war dieHand als Greiforgan, wie sie für Greifkletterertypisch ist, bestens dazu prädestiniert, um das denMenschen kennzeichnende universelle Werkzeug zuwerden. Es ist dies ein weiteres Beispiel für eine„Präadaptation" (= Prädisposition). Die Verwen-dung der Hand zur Werkzeugherstellung erklärtauch die Tatsache, daß ab dem Homo erectus-Stz-dium unter den Hominiden jeweils nur mehr eineArt gleichzeitig lebte. Vorher war die Differenzie-rung in mehrere Arten notwendig. Die Entwick-lung der Wortsprache, die — entsprechend fehlen-der anatomischer Voraussetzungen — beim Nean-dertaler noch nicht entwickelt gewesen sein dürfte,und das abstrakte Denken leitete schließlich diekulturelle Evolution ein, die durch die Weitergabevon Erfahrungen durch Tradition (in Wort undSchrift) eine wesentlich raschere Evolution ermög-lichte als die biologische Evolution, die über dieeinzig mögliche, nämlich die genetische Information(DNS) verläuft (OSCHE 1973). Nach den Wortenvon K. LORENZ (1973) handelt es sich bei derkumulierten Tradition um eine Art „Vererbungerworbener Eigenschaften". Keines der zur artiku-

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lierten Lautsprache des Menschen notwendigenTeilsysteme (lauterzeugender Apparat: Thorax,Kehlkopf, Zunge; rezeptorisches System und Steu-erungssystem im Gehirn) dient, wie STARCK(1979) hervorhebt, primär der Sprachfunktion. Siesind jedoch für diese Leistung prädisponiert undbilden damit weitere Beispiele für die Bedeutungder Prädisposition bei der Evolution der Organis-men.

ZusammenfassungVortrag im Rahmen der Reihe „Naturwissen-

schaft und Theologie" im Sommersemester 1980.Nach einem kurzen historischen Überblick überwichtige Ansichten und Erkenntnisse wird auf dieMethoden der Evolutionsforschung hingewiesen(morphologisch-anatomische Reihen, Stufen- undAhnenreihen; Merkmalsevolution; Fossilgenetik;Artentstehung durch Transformation und Spezia-tion).

Die Evolution der Organismen wird an Handausgewählter Beispiele (Cephalopoda, Therapsida,Proboscidea, Equidae und Ursidae) aufgezeigt, mitdenen zugleich der Mosaikmodus der stammesge-schichtlichen Entwicklung, sog. „connecting links"und „lebende Fossilien", ferner der Funktionswech-sel, die Parallel- und Ko-Evolution, „gerichtete"Evolution sowie Prädispositionen (= „Präadapta-tionen") im Laufe der Zeit innerhalb eines Stammesdemonstriert werden. Von einer gerichteten Evo-

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lution kann lediglich im Sinne einer zunehmendenEffizienz bzw. ökonomisierung (durch den Selek-tionsdruck) die Rede sein.

Schließlich wird die Fossilgeschichte der Homini-den besprochen und die Widersprüche, die sichdarin durch karyologische und serologische Befundeergeben, zu erklären versucht (Hypothese von derrascheren „adaptiven" Evolution gegenüber derProtein-Evolution). Als Ergebnis der Fossildoku-mentation wird die Menschwerdung als langsamerEvolutionsprozeß dargestellt, der auf das Zusam-mentreffen verschiedener „zufälliger" Ereignisseund Gegebenheiten zurückgeführt werden kann.Die Menschwerdung (Hominisation) wird mit demErwerb der Bipedie eingeleitet. Sie führt über dieGehirnentwicklung (Neencephalisation) zum Er-werb der Wortsprache und zur Erfindung derSchrift und damit zur kulturellen Evolution.

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WURSTER, D. H., 1969: Cytogenetic and phylogeneticstudies in Carnivora. — In: BENIRSCHKE, K. (ed.):Comparative mammalian cytogenetics, 310—329, NewYork (Springer).

ZIMMERMANN, W., 1967: Methoden der Evolutions-wissenschaft. — In: HEBERER, G. (Hgeb.): Die Evo-lution der Organismen I, 61—160, Stuttgart (Fischer).

Diskussionsbeiträge

Schulte: Aus der Sicht der Naturwissenschaft istes also vollständig unberechtigt zu sagen, derMensch sei das Ziel oder die Spitze der Evolution.Das heißt, es kann irgendwo in den verschiedenenStämmen noch eine weitere Evolution stattfinden.Es wäre somit auch ein Aussterben des Menschenund dennoch ein Weitergehen des Lebens möglich.

Thenius: Teilhard DE CHARDIN war der Auf-fassung, daß der Mensch das Ziel der Evolution sei.Einzelne Paläontologen, wie etwa H. K. ERBENaus Bonn, sind der Meinung, daß sich die Mensch-heit selbst ausrottet, wenn sie so weitermacht, wiebisher. In der Natur kommt es bei Überbevölke-rung normalerweise zu einer Selbstregulation derPopulationen (z. B. bei Spitzhörnchen fressen dieMütter die Jungen, bei Ratten werden die Männ-chen unfruchtbar, bei Kaninchen werden die Foe-ten im Mutterleib resorbiert). Der Mensch jedochentzieht sich derartigen Regulationsvorgängen, sodaß es tatsächlich zur Selbstvernichtung kommenkönnte.

Frage: Sollte nicht alles getan werden, daß dieMenschheit erhalten bleibt? Nach dem Bibelwort

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„macht Euch die Erde Untertan". SüdamerikanischeIndianer sind ausgerottet worden, weil sie nicht alsMenschen betrachtet wurden, da in der Bibel nichtsdavon steht. Erst in der im Jahr 1590 veröffent-lichten päpstlichen Bulle wurden auch Indianer alsMenschen anerkannt.

Thenius: Für Diskussion historischer Reminis-zenzen ist hier keine Zeit.

Guttmann (als Vorsitzender): Derartige Fragensollen der Schlußdiskussion vorbehalten bleiben.Heute wären nur fachliche Fragen zu diskutieren.

Frage: Einfluß von Kontinentaldrift, Eiszeitenund Pol Verschiebungen auf die Menschheit?

Thenius: Für die menschliche Entwicklung ist dieKontinentalverschiebung uninteressant. Eiszeitenhingegen schon. Es sei hier nur an die pleistozänenKaltzeiten erinnert, die zur Meeresspiegelabsen-kung und damit zur Entstehung von Landbrücken,wie etwa die Beringbrücke, geführt haben. Letzterehat die Ausbreitung der Vorfahren der Indianerund Eskimos in die Neue Welt ermöglicht und da-mit zur (weiteren) rassischen Differenzierung bei-getragen, wie überhaupt die Evolution der Orga-nismen nur im Zusammenhang mit den ökologi-schen Gegebenheiten zu sehen ist. Auch dieMenschwerdung selbst wird — wie im Vortrag er-wähnt — dadurch erst verständlich.

Zemann: Kann man etwas darüber sagen, ob undwodurch die Irreversibilitätsregel abgesichert ist?Vielleicht ist es durch die statistische Streuung der

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Mutationen unwahrscheinlich, daß der Weg zu-rückgeht. Gibt es eine Erklärung dafür?

Thenius: Die Irreversibilitätsregel beruht aufpaläontologischen Befunden und ihrer Deutung. Inder Fassung von O. ABEL bedeutet die Irreversibi-litätsregel, daß ein völlig reduziertes Merkmal oderOrgan nie wieder in der gleichen Form gebildetwird. So können aus heutigen Einhufern keinedrei- oder fünfzehigen Formen mehr entstehen.Dreizehige Atavismen sind pathologische Erschei-nungen, die morphologisch überhaupt nicht deneinstigen Dreihufern entsprechen. Beim Meer-schweinchen, das normalerweise dreizehige Hinter-füße besitzt, treten gelegentlich vierzehige Formenauf. Hier ist möglicherweise noch die (Erb-)Anlagefür die 4. Zehe vorhanden. Ein Beweis dafür fehltjedoch. Bei den sog. heteromorphen Ammonoideendes Mesozoikums kommt es sekundär zur Entrol-lung des Gehäuses. Hier steuert — wie Untersu-chungen an rezenten Schnecken(gehäusen) gezeigthaben — ein einziger Faktor die Gehäuseform.

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