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Fachbereich 01 Rechtswissenschaften
Seminar WS 2012/2013
Fußball und Recht: Oder das Runde muss ins Eckige
Zuschauerverhalten und Verbandsautonomie
Probeseminararbeit bei Prof. Dr. Monika Böhm,
RA Prof. Dr. Ulrich Ellinghaus, RA Christian Frodl
Stud. Iur. Svenja Steinitz
Sölzerhöfe 3c
36251 Bad Hersfeld
Matrikel-Nr.: 2238381
II
Gliederung
A) Einleitung 1
B) Hauptteil 2
I. Verantwortlichkeit des Vereins für das Verhalten der Zuschauer 2
1. Verbandsrechtliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern 3
a) Maßnahme gegen Zuschauer aufgrund unmittelbarer Satzungswirkung 3
b) Haftung des Zuschauers durch Vertrag 3
2. Bindung des Vereins an das Verbandsregelwerk 4
a) Organisationsstruktur im Sportrecht 4
b) Mitgliedschaftsverhältnis 4
c) Geltung des Verbandsrechts gegenüber mittelbaren Mitgliedern 5
aa) Korporationsrechtliche Lösung 5
bb) Individualrechtliche Lösung 5
II. Zulässigkeit von Sanktionierung auf Grundlage der Verbandsautonomie 6
1. Selbstgeschaffenes Recht der Verbände 6
a) Recht zur Selbstorganisation gemäß Art. 9 Abs. 1 GG 6
b) Die privatrechtliche Ausgestaltung gem. §§ 21 ff. BGB 7
c) Verbandsautonomie auf supranationaler Ebene 8
2. Sicherung der Regel durch Sanktionierung 9
3. Grenzen des selbstgesetzten Verbandsrechts 10
a) Privatrechtliche Maßstäbe 10
b) Berücksichtigung rechtsstaatlicher Grundsätze 11
aa) Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes 11
bb) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 11
III
c) Grundrechte der Normgebundenen 12
4. Durchsetzung der Sanktion vor dem Verbandsgericht 12
a) Eigene Gerichtsbarkeit kraft Verbandsautonomie 12
b) Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien 13
5. Selbstgesetztes Recht des DFB im Falle von Zuschauerausschreitungen 14
a) Sanktionsbegründende Regelungen 14
b) Haftung nach dem Prinzip „strict liability“ 14
aa) Verschuldensunabhängige Haftung ohne Unwerturteil 15
bb) Feststellung eines Unwerturteiles am Einzelfall 16
cc) Für das Verbandswohl zweckmäßig 17
dd) Keine Unbilligkeit der strict-liability am Maßstab nationaler Haftungsgrundsätze 19
(1) Anlehnung an die Unschuldsvermutung 19
(2) Anlehnung an zivilrechtliche Haftungsgrundsätze 20
III. Spannungsverhältnis zwischen Verband und Staat bei Zuschauerausschreitungen 22
1. Polizeiliche Maßnahmen bei Zuschauerausschreitungen 23
a) Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Zuschauerausschreitungen 23
b) Verein als verhaltensverantwortlicher Adressat der polizeilichen Maßnahme 24
c) Verein als Nichtstörer-Adressat der polizeilichen Maßnahme 24
aa) Zuschauerverhalten als gegenwärtige erhebliche Gefahr 25
bb) Vorgehen gegen den Verantwortlichen unverhältnismäßig 26
cc) Gefahrenabwehr für den Verantwortlichen nicht möglich 27
dd) Opfergrenze 27
2. Die Hierarchie Verbandsrecht und staatliches Recht 28
a) Die „Zweispurigkeit“ des Verbandsrechts 28
IV
b) Zulässigkeit staatlicher Eingriffe 29
c) Polizeirechtliche Maßnahmen bei Zuschauerausschreitungen im Rahmen
staatlicher Befugnisse 29
C) Fazit 31
V
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1 A) Einleitung
Die Gewaltbereitschaft in deutschen Fußballstadien steigt, Vereine und
Verbände sehen sich zunehmend mit Gewalt in verschiedenen
Ausprägungen konfrontiert.
Besonders das Relegationsspiel vom 15.05.2012 der Fortuna Düsseldorf
gegen Hertha BSC in der Deutschen Bundesliga prägt die aktuelle
Situation in Deutschlands Fußballstadien. Der Ablauf des besagten Spiels
wurde zunächst durch bengalische Feuer auf dem Platz behindert, der
Schiedsrichter musste das Feld durch Polizei und Ordner absichern
lassen. In der Nachspielzeit stürmten plötzlich tausende Fans das
Spielfeld, obwohl das Spiel vom Schiedsrichter längst nicht abgepfiffen
war.1
Auch außerhalb der Stadien leben Fußballfans ihre Gewaltbereitschaft
zunehmend aus. Erst am 31.10.2012 eskalierten bei der Begegnung SG
Dynamo Dresden und Hannover 96 die Fans bereits auf dem Weg zum
Stadion. Nachdem sich die Stimmung bereits im Vorfeld aufheizte,
sprangen Fans schließlich unkontrollierbar über Absperrungen und
drangen in das Stadion ein. Das DFB Sportgericht verhängte daraufhin
unter Hinweis der verschuldensunabhängigen Haftung der Vereine einen
Ausschluss des Vereins Dynamo Dresden aus dem DFB-Pokal.2
Auch die Deutsche Fußball-Liga reagiert auf die zunehmenden
Zuschauerausschreitungen: In Frankfurt am Main stimmten alle 36 Klubs
der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga am 12.12.2012 dem von DFL
und DFB entwickelten Sicherheitskonzept zu.3 Abgestimmt wurde über
ein 32-seitiges Positionspapier "Sicheres Stadionerlebnis", das von DFL
und DFB erarbeitet wurde und einen Maßnahmenkatalog enthält, der
unter anderem Strafen für die Nichteinhaltung festgesetzter Regelungen
zur einheitlichen Stadionsicherheit vorsieht.4
1 Bundesliga Relegation: Fan-Chaos überschattet Düsseldorfer Aufstieg. In: Spiegel Online vom 16.05.12, http://www.spiegel.de/sport/fussball/fortuna-duesseldorf-gegen-
hertha-bsc-chaos-bei-relegation-a-833407.html (abgerufen am 10.10.2012). 2 DFB Sportgericht, SpuRt 2013, 83 ff. 3 DFL Mitgliederversammlung: Klubs stimmen Sicherheitspapier in allen Punkten zu. In: Sueddeutsche.de vom 12.12.2012, http://www.sueddeutsche.de/sport/dfl-
mitgliederversammlung-klubs-stimmen-sicherheitspapier-in-allen-punkten-zu-
1.1548876 (abgerufen am 31.07.2013). 4 Fußball Bundesliga: Neue Standards für die Sicherheit. In: FAZ Online vom
27.09.2012, http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/fussball-bundesliga-neue-
standards-fuer-die-sicherheit-11906109.html (abgerufen am 24.10.2012).
2 Aufgrund der aktuellen Stadionsituation sieht sich mittlerweile auch der
Staat gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen. So verhängte etwa die
Polizei nach wiederholten heftigen Auseinandersetzungen zwischen
Vereinsanhängern und Polizei während der FC St. Pauli-Spiele ein
Verbot gegen das von der DFL vorgesehene Kartenkontingent für den
Gastverein5 (hier Hansa Rostock). Das OVG Hamburg gibt der Polizei
Recht und hält das polizeiliche Verbot für zulässig und begründet.6 Liga-
Präsident Reinhard Rauball kritisierte: "Das Urteil stellt einen massiven
Eingriff in die Selbstverwaltung des Ligaverbandes dar."7
Welche Maßnahmen anhand der Autonomie der Verbände überhaupt bei
Zuschauerausschreitungen möglich sind soll vorliegend geklärt werden.
Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob der Verband dem Verein
Regelungen bzw. Sanktionen wegen Zuschauerverhaltens auferlegen
kann sowie die Möglichkeit einer verschuldensunabhängigen Haftung der
Vereine für ihre Zuschauer („strict liability“). Abschließend sollen in
Hinsicht auf das polizeilich verhängte Kartenvergabeverbot die
Möglichkeit öffentlich-rechtlicher Maßnahmen bei
Zuschauerausschreitungen erläutert und daran auch die Grenzen der
Verbandsautonomie aufgezeigt werden.
B) Hauptteil
I. Verantwortlichkeit des Vereins für das Verhalten der
Zuschauer
Konkret Beteiligte im Fall von Zuschauerausschreitungen sind die
Zuschauer selbst, indem sie entweder Gegenstände auf das Spielfeld
werfen, bengalische Feuer zünden oder Gewalt inner- oder außerhalb des
Stadions ausüben. Somit kommen in erster Linie die Zuschauer als
Adressaten von Maßnahmen gegen gewalttätige Ausschreitungen in
Betracht. Darüber hinaus besteht jedoch die Möglichkeit der
Inanspruchnahme des Vereins, der das Spiel ausgetragen hat. Es ist
nachfolgend zu klären, wer als Adressat verbandsrechtlicher
Maßnahmen in Frage kommt, für wen also ein verbandsrechtliches
Regelwerk verbindlich sein kann.
5 Abschnitt III, § 3 Nr. 4 Spielordnung DFL. 6 OVG Hamburg, NJW 2012, 1975. 7 Beschwerde angekündigt: FC St. Pauli will gegen Ticketverbot für Hansa Rostock
vorgehen. In: Legal Tribune ONLINE, 04.04.2012, http://www.lto.de/persistant/a_id/5943/ (abgerufen am 18.10.2012).
3
1. Verbandsrechtliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern
a) Maßnahme gegen Zuschauer aufgrund unmittelbarer
Satzungswirkung
Der Zuständigkeitsbereich der Verbandsgerichtsbarkeit ergibt sich
unmittelbar aus dessen Satzung.8 Aus diesem Grund kommt in erster
Linie eine Bindungswirkung des Zuschauers an die Verbandsmaßnahme
anhand Verbindlichkeit der Verbandssatzung in Betracht.
Eine unmittelbare Wirkung der Verbandssatzung entfaltet sich
grundsätzlich nur gegenüber (unmittelbaren) Mitgliedern.9 Der
Zuschauer fungiert jedoch bei einer Sportveranstaltung eher als
Außenstehender. Eine Mitgliedschaft beim Verband kann sich daraus
noch nicht herleiten lassen und somit auch keine direkte
Bindungswirkung des Verbandregelwerks10.
b) Haftung des Zuschauers durch Vertrag
Neben einer mitgliedschaftlichen Unterwerfung an ein
Verbandsregelwerk kommt eine vertragliche Bindungswirkung in
Betracht. Der Zuschauer schließt beim Lösen seiner Eintrittskarte
tatsächlich regelmäßig einen Stadionbesuchsvertrag (oder
Zuschauervertrag) mit dem Veranstalter, der dem Zuschauer unter
anderem das Recht zur Nutzung der Sportanlage gibt und Schutzpflichten
des Veranstalters gegenüber dem Zuschauer begründet. Dieser Vertrag
stellt jedoch keine vertragliche Beziehung zwischen Verband und
Zuschauer her, bei der der Zuschauer etwa das Verbandsregelwerk
anerkennt.11 Tatsächlich kommt es bei Verletzung des Zuschauervertrags
sogar zu Schadensersatzansprüchen des Zuschauers gegen den
Veranstalter.12
Darüber hinaus würde eine solche Unterwerfung insbesondere dem Sinn
und Zweck einer Verbandsmaßnahme widersprechen, nämlich der
Schaffung gleicher Wettkampfbedingungen für den Sportler. Bei der
8 Stöber/Otto, Vereinsrecht, Rn 37. 9 Adolphsen/Hoefer/Nolte, Sportrecht in der Praxis, Rn 153. 10 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 24. 11
Dippel, Haftung für Rassismus, S.160; Fritzweiler, PHB, 3. Teil Rn 158; Weller, Die Haftung von Fußballvereinen für Randale und Rassismus, NJW 2007, 960 ff.
12 Weller, NJW 2007, 960, 964.
4 Verbandsmaßnahme geht es um die Ahndung und Sanktionierung
verbandsrechtlicher Verhaltenspflichten. Bei einem Zuschauer ergibt sich
ein Bedürfnis zur verbandsrechtlichen Sanktionsgewalt nach diesem Sinn
und Zweck nicht, da er nicht am Wettkampf teilnimmt und sich keiner
verbandsrechtlichen Verhaltenspflicht zu unterstellen braucht.
2. Bindung des Vereins an das Verbandsregelwerk
Auch gegenüber Vereinen kommt eine verbandsrechtliche Maßnahme in
erster Linie durch Mitgliedschaft in Betracht. Ob der Bundesligaverein
Mitglied des übergeordneten Verbandes ist (hier DFB), lässt sich anhand
der besonderen Organisationsstruktur des Sportrechts untersuchen.
a) Organisationsstruktur im Sportrecht
Um das Organisationsgefüge und die Mitgliedsverhältnisse zu klären,
gilt im Sport eine relativ strikte Normpyramide, die von der Vereinsbasis
bis zum internationalen Spitzenverband reicht. Der Sportler selbst steht
dabei auf unterster Stufe und ist meist unmittelbares Mitglied im
Sportverein. Der Sportverein wiederum gehört einem Regionalverband
an, der Regionalverband einem nationalen Fachverband (z.B. dem DFB),
dieser schließlich einem internationalen Fachverband, wie beispielsweise
der FIFA.13 Dabei gilt das sogenannte „Ein-Platz-Prinzip“, welches die
jeweilige Monopolstellung der Verbände sicherstellt. Genauer handelt es
sich dabei um die Regelung, dass es pro Region, vom Bezirk über den
nationalen bis zum internationalen Fachverband, nur einen autorisierten
Verband geben kann.14
b) Mitgliedschaftsverhältnis
Aus der aufgezeigten Organisationsstruktur ergibt sich, dass der Verein,
den die Verbandsmaßnahme treffen soll, kein unmittelbares Mitglied des
erlassenden Verbands (z.B. des DFB), sondern lediglich des jeweiligen
regionalen Sportverbands ist. Dies machen auch die Satzungsregelungen
des DFB deutlich: Gemäß § 7 Nr. 2 DFB-Satzung sind dessen 21 Landes-
und fünf Regionalverbände sowie der Ligaverband unmittelbare
13 Haas, SportR, B 1. Kapitel Rn 49; Rössner/Adolphsen, Sportrecht in der Praxis, Rn 9. 14 Summerer, PHB, 2. Teil Rn 108.
5 Mitglieder des DFB. Die Vereine der 1. und 2. Bundesliga hingegen sind
Mitglieder des Ligaverbandes (Deutsche Fußball Liga), § 7 Satzung
DFL. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass zwischen Bundesligaverein
und Verband lediglich eine mittelbare Mitgliedschaft besteht. Die
(inter-)nationalen Verbandsregeln üben daher zunächst keine
unmittelbare Wirkung auf die Bundesligavereine aus.
c) Geltung des Verbandsrechts gegenüber mittelbaren Mitgliedern
aa) Korporationsrechtliche Lösung
Die Satzungsbestimmungen des DFB bzw. des übergeordneten Verbands
können trotz fehlender unmittelbarer Mitgliedschaft für die
Bundesligavereine (als mittelbare Mitglieder) Geltung erlangen, wenn
der Verein vom Erlass einer eigenen Ordnung absieht und stattdessen die
Verbandsregelungen lückenlos in der Vereinssatzung verankert.15 Dies
geschieht, indem der Verein in der eigenen Satzung die Regeln und
Bestimmungen des übergeordneten Verbandes für unmittelbar
verbindlich erklärt (statische Verweisung).16 Dabei spricht es gegen die
freie Willensbildung im Rahmen der Vereinsautonomie, die jeweils
gültige Satzung des Verbands einschließlich sämtlicher Änderungen
automatisch und „in der jeweils gültigen Fassung“ zu übernehmen
(dynamische Verweisung).17
bb) Individualrechtliche Lösung
Eine weitere Möglichkeit der Geltendmachung des Verbandsrechts
gegenüber mittelbaren Mitgliedern besteht durch vertragliche
Unterwerfung. Es handelt sich dabei um einen Regelanerkennungs- oder
Unterwerfungsvertrag, durch den Dritte die Regelwerke des Verbandes
für sich akzeptieren.18
Im professionellen Fußball wird diese Art der Bindungswirkung häufig
neben der korporationsrechtlichen Lösung mithilfe von Zulassungs- oder
Lizenzverträgen wahrgenommen, bei denen sich der Verein nur für die
Teilnahme an einem bestimmten Wettbewerb oder in einer bestimmten
15 Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn 425; Summerer, PHB, 2. Teil Rn 153. 16 Summerer, PHB, 2. Teil Rn 154; Stöber/Otto, Vereinsrecht, Rn 974. 17 BGH NJW 1995, 583, 585; Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 35. 18 BGH NJW 1995, 583, 584; Haas, SportR, B., 2. Kapitel Rn 18.
6 Spielklasse vertraglich an das Verbandsregelwerk binden lässt.19 Beispiel
für eine Lizensierung ist die Deutsche Bundesliga, bei der der
Ligaverband ein Lizensierungsverfahren mit den Vereinen durchführt.
§ 1 der Lizensierungsordnung des Ligaverbandes (LO) sieht vor, dass
Vereine und Kapitalgesellschaften anhand eines Lizenzvertrags mit dem
Ligaverband eine Berechtigung zur Teilnahme an der Bundesliga
erhalten. § 1 Abs.3 LO weist darauf hin, dass sich der Verein durch den
Vertrag der Satzung, dem Statut, der Ordnungen, Richtlinien und
Durchführungsbestimmungen des Ligaverbandes und des DFB sowie den
Entscheidungen der Organe der DFL sowie des DFB unterwirft.
Ergebnis: Der Zuschauer kommt als Adressat verbandsrechtlicher
Maßnahmen nicht in Frage, da es regelmäßig an einer rechtlichen
Beziehung zwischen Zuschauer und Verband fehlt. Stattdessen treffen
verbandsrechtliche Maßnahmen den spielhabenden Verein. Dies ergibt
sich aus einer korporations- oder individualrechtlichen Verweisung des
Verbandsregelwerks, womit auch mittelbare Mitglieder des Verbands in
Verantwortung gezogen werden können.
II. Zulässigkeit von Sanktionierung auf Grundlage der
Verbandsautonomie
Weiterhin soll erörtert werden, welche Maßnahmen der Verband im Fall
von Zuschauerausschreitungen gegen den verantwortlichen Verein
ergreifen kann. Die grundsätzliche Frage, woraus der Verband überhaupt
zu Maßnahmen befugt ist, kann bereits durch Art. 9 Abs. 1 GG sowie
§§ 21 ff. BGB beantwortet werden. Denn hieraus ergibt sich die
sogenannte Verbandsautonomie, die die Grundlage des
verbandsrechtlichen Handelns bildet.20
1. Selbstgeschaffenes Recht der Verbände
a) Recht zur Selbstorganisation gemäß Art. 9 Abs. 1 GG
Die Schaffung eines verbandseigenen Regelwerks, durch welches der
Verband überhaupt gegen einen Verein tätig werden kann, wird durch
das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG begründet.
19 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 37. 20 Haas/Martens, Sportrecht, S. 60.
7 Dem Wortlaut nach sind gemäß Art. 9 Abs. 1 GG alle Deutschen
berechtigt, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Der Schutzbereich ist
jedoch wesentlich weitreichender: Das Recht der Vereinigungsfreiheit
gewährt Vereinen, Verbänden und deren Mitgliedern darüber hinaus
Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer
Willensbildung und die Führung der eigenen Geschäfte.21 „Denn ohne
solche Selbstbestimmung könnte von einem freien Vereinigungswesen
keine Rede sein; Fremdbestimmung würde dem Schutzzweck des Art. 9
Abs. 1 GG zuwiderlaufen“.22
Die durch Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistete Selbstorganisation im
Rahmen der Verbandsautonomie umfasst insbesondere die Freiheit der
Satzungsgestaltung und dabei das Recht, sich in freier Selbstbestimmung
eine eigene innere Ordnung zu geben.23
b) Die privatrechtliche Ausgestaltung gem. §§ 21 ff. BGB
Neben der verfassungsrechtlichen Verbürgung in Art. 9 GG regeln
zusätzlich die §§ 21 ff. BGB im Zivilrecht eine privatrechtliche
Ausgestaltung der Verbandsautonomie.
Besonders ausgedrückt wird die Normsetzungsbefugnis in § 25 BGB.
Dem Wortlaut nach kann der Verband durch seine Verbandssatzung eine
eigene Verfassung bestimmen. Noch weitgehender kommt die
Verbandsautonomie zum Vorschein, wenn § 25 als Erst-recht-Vorschrift
gelesen wird: Der Verein darf seine Verfassung selbst regeln und darf
daher erst recht im Range unter der Vereinsverfassung stehende
Regelungen treffen.24
Doch ist § 25 BGB nicht eine bloße Wiederholung der in
Art. 9 Abs. 1 GG bereits gesetzten Verbandsautonomie. Vielmehr stellt
die Vorschrift sicher, dass die Satzung den Rang der Verfassung
21 BVerfGE 50, 290, 354; Adolphsen/Hoefer/Nolte, Sportrecht in der Praxis, Rn 133;
Kemper, in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 9 Rn 2. 22 BVerfGE 50, 290, 354. 23 Grunsky, SpuRt 2007, 188, 190; Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn 349;
Schwarz/Schöpflin in Bamberger/Roth, BGB, § 21 Rn 55. 24 Adolphsen/Hoefer/Nolte, Sportrecht in der Praxis, Rn 133.
8 einnimmt und somit das selbstgesetzte Recht des Verbands erst durch
Satzungsverankerung Geltung erlangt.25
Die vom Verband erlassene Verfassung im Rahmen der Satzung ist seine
rechtliche Grundordnung.26 Pflicht für den Verband ist, alle für das
Vereinsleben maßgeblichen „Grundentscheidungen“ in seiner Satzung
festzulegen.27 Dies dient vor allem dazu, dass das Mitglied (z.B. der
Verein) beim Eintritt in die Sportorganisation die Möglichkeit hat,
Kenntnis über die ihm gegenüber verbindlichen Regeln zu erlangen.28
Mindestens muss in der Satzung enthalten sein, welchen Zweck, Namen,
Sitz der Verband hat, seine Organisation, Bestimmungen über die
Mitgliedschaftspflichten etc.29 Innerhalb der Satzung hat der Verband
kraft Autonomie auch das Recht, eigene Wertvorstellungen innerhalb der
geschaffenen Regeln zur Geltung zu bringen und somit auf die einzelne
Sportart konkret zu reagieren.30
Über die Satzung hinaus ist es dem Verband freigestellt, seinen Betrieb
durch weitere, der Satzung untergeordnete, abstrakt-generell formulierte
Bestimmungen zu regeln, die dann meist als „Ordnungen“ oder „Statut“
bezeichnet werden.31
c) Verbandsautonomie auf supranationaler Ebene
Auch auf europäischer Ebene zeigt sich die große Bedeutung der
Verbandsautonomie. Im sogenannten „Bosman-Urteil“ stellte der EuGH
fest, dass die Vereinigungsfreiheit auch in der
Gemeinschaftsrechtsordnung geschützt wird.32 Zwar findet sich keine
eindeutige Niederschrift des Grundrechts auf europäischer Ebene, die
etwa der des Art. 9 Abs. 1 GG entspricht, doch folgt die
Verbandsautonomie in supranationaler Hinsicht aus Art. 11 EMRK sowie
aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten.
Auch Art. 11 EMRK spricht von einer Versammlungs- und
Vereinigungsfreiheit und beinhaltet das Recht, „sich frei und friedlich
25 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 42; Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck,
GG, Art. 9 Rn 2; Summerer, PHB Teil 2, Rn 3. 26 Schwarz/Schöpflin in Bamberger/Roth, BGB, § 25 Rn 2. 27 BGHZ 47, 172, 177; Summerer, PHB, 2. Teil Rn 8. 28 BGH NJW 1995, 583, 584. 29 Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn 356. 30 Haas/Martens, Sportrecht, S. 61. 31 Adolphsen/Hoefer/Nolte, Sportrecht in der Praxis, Rn 137, 138. 32 Siehe EuGH NJW 1996, 505, 509.
9 mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen
zusammenzuschließen“.
2. Sicherung der Regel durch Sanktionierung
Da der Sport eigene Verhaltensweisen in der jeweiligen Sportart fordert,
ist insbesondere die Durchsetzung einer Sportregel auf eigene, vom Staat
unabhängige Sanktionen angewiesen. Die Notwendigkeit ergibt sich vor
allem daraus, dass ein vom Sport missbilligtes Verhalten zum Teil stark
von der staatlichen Rechtsordnung abweicht (vgl. Legalität einiger
Medikamente, die im Sport jedoch verboten sind). Erst durch eine eigene
Straf- bzw. Disziplinargewalt hat der Verband die Möglichkeit, auf das
sportspezifische Verhalten und gegebenenfalls die daraus resultierenden
Verstöße zu reagieren und seine eigenen Regeln zu sichern.33
Es ist daher nur konsequent, dem Sportverband neben dem Recht zur
eigenen, von den allgemeinen staatlichen Regeln abweichenden
Regelsetzung auch das Recht der Regeldurchsetzung anhand einer
eigenen Disziplinargewalt zuzubilligen. Aus diesem Grund umschließt
die Verbandsautonomie auch das Recht zur Anordnung von Sanktionen
und zu deren Vollzug im Falle der Regelverletzung.34
Grundsätzlich sollen Sanktionen im Sport sicherstellen, die Teilnehmer
am Sportleben der gleichen Sport- und Wettkampfordnung zu
unterstellen und dadurch faire Bedingungen zu schaffen. Dabei kann die
Sanktion auch dazu dienen, die Durchführung eines geregelten Sport-
und Wettkampfbetriebs zu sichern.35 Hieraus ergibt sich, dass etwa auch
eine Sanktion wie der Zuschauerausschluss durchaus seine
Rechtfertigung im Sinn einer sportrechtlichen Sanktion finden kann.
Dem Charakter nach handelt es sich bei der Sportsanktion um eine
Ordnungsmaßnahme disziplinierender Art, deren sich die
Verbands-/Vereinsmitglieder durch ihren freiwilligen Beitritt
unterwerfen. Aufgrund dieses eigenständigen Instituts und der
freiwilligen Unterwerfung unter die Disziplinargewalt ist die
33 Haas, SportR, B., 2.Kapitel Rn 2; Haas/Martens, Sportrecht, S. 62. 34 BGH NJW 1995, 583, 584; Haas, SportR, B., 2.Kapitel Rn 2; Haas/Martens,
Sportrecht, S. 61 ff.; Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn 2682ff. 35 BGHZ 128, 93.
10 Verbandssanktion nicht als Vertragsstrafe anzusehen und übergeht auch
nicht die öffentliche Strafgewalt des Staates.36
Schließlich muss die Sanktion, indem sie zu den für das Vereinsleben
wesentlichen Grundentscheidungen gehört, zwingend in der
Verbandssatzung verständlich und offensichtlich geregelt werden und
kann in unter der Satzung stehenden Ordnungen lediglich konkretisiert
oder erweitert werden.37
3. Grenzen des selbstgesetzten Verbandsrechts
Auch als privater Normgeber kann der Verband sein autonomes Recht
nicht im rechtsfreien Raum bestimmen.38 In diesem Zusammenhang
äußerte eine Großzahl der Bundesligavereine Bedenken der
Unverhältnismäßigkeit sowie Verstöße gegen das Recht bei dem von
DFL und DFB ausgearbeiteten Vorschlag eines Sicherheitskonzepts zur
Stadionsicherheit, insbesondere bei Maßnahmen wie einem
Zuschauerausschluss.39 Es ist daher zu untersuchen, welche Grundsätze
der Verband bei seiner Normgebungsbefugnis tatsächlich
zu beachten hat.
a) Privatrechtliche Maßstäbe
Indem die Verbandsautonomie auch eine privatrechtliche Ausgestaltung
erfährt, gelten auch die für das Privatrecht aufgestellten Begrenzungen.
Für den Sportler besteht insbesondere durch die verbandsrechtliche
Regelsetzung die Gefahr der Fremdbestimmung, da das
Verbandsmitglied als eigentlicher Adressat einer Verbandsregel keine
Möglichkeit hat, auf den Inhalt der Bestimmung Einfluss zu nehmen.
Daher gelten die §§ 134, 138 BGB auch im Sportrecht, um einem
Missbrauch der Machtposition des jeweiligen Verbandes vorzubeugen.40
36 Haas, SportR, B., 2. Kapitel Rn 87; Stöber/Otto, Vereinsrecht, Rn 981; Thumm, in:
Verantwortlichkeit und Haftung im Sport, S. 15. 37 Summerer, PHB, 2. Teil Rn 8; Stöber/Otto, Vereinsrecht, Rn 979. 38 Adolphsen/Hoefer/Nolte, Sportrecht in der Praxis, Rn 166. 39 Gewalt in Fußball-Stadien: Fan-Anwälte bezeichnen Sicherheitspapier als
rechtswidrig. In: Spiegel Online vom 23.10.2012, http://www.spiegel.de/sport/fussball/sicherheitspapier-fuer-fan-anwaelte-
rechtswidrig-dfl-widerspricht-a-863000.html (abgerufen am 24.10.2012). 40 Adolphsen/Hoefer/Nolte, Sportrecht in der Praxis, Rn 173,174; Haas/Martens,
Sportrecht, S. 77ff.
11 Weiterhin unterliegt der Sportverband den Schranken des § 242 BGB,
wonach eine vom Verband gesetzte Norm keine unangemessene
Beeinträchtigung der Interessen seiner Mitglieder darstellen darf. Zur
Überprüfung der Einhaltung der Mitgliederinteressen in der
verbandsrechtlichen Regel bedarf es schließlich der gerichtlichen
Inhaltskontrolle.41
b) Berücksichtigung rechtsstaatlicher Grundsätze
Die Festlegung des verbandsautonomen Regelwerks obliegt darüber
hinaus der Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze.42 Dabei stellt sich
insbesondere die Frage, wie diese Grundsätze ihren Weg in das private
Verbandsrecht finden.
aa) Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes
Der aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleitete Bestimmtheitsgrundsatz ist auch
für die Normgebung der Verbände verbindlich, weshalb die
Verbandsregelung und insbesondere Sanktionstatbestände hinreichend
bestimmt sein müssen. Es muss für jedes Mitglied klar erkennbar sein, ob
ein bestimmtes Verhalten sanktioniert wird und welche Sanktion (etwa
eine bloße Verwarnung, Geldstrafe, Platzverbot oder gar ein Ausschluss)
für das Fehlverhalten verhängt werden kann.43
bb) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Das von DFL und DFB entwickelte Sicherheitskonzept wird nicht von
jedem Verein gut aufgenommen. Einige Vereine erheben gegen die im
Sicherheitskonzept enthaltenen Maßnahmen den Einwand der
Unverhältnismäßigkeit.
Eine vorbehaltlose Übernahme des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in
das Privatrecht ist jedoch aufgrund der Geltung der Privatautonomie
nicht angebracht. Dennoch hat das Prinzip der verhältnismäßigen
Handlungsweise auch im Privatrecht eine korrigierende Funktion
eingenommen. Dies wird insbesondere in § 138 BGB oder § 353
Abs. 1 BGB, dem Schutz vor dem Missbrauch einer Machtposition,
deutlich. Diese Schutzfunktion soll vor allem dann gelten, wenn ein 41 Haas, SportR, B., 2. Kapitel, Rn 41; Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn
3055ff. 42 Adolphsen/Hoefer/Nolte, Sportrecht in der Praxis, Rn 166; Thumm, in:
Verantwortlichkeit und Haftung im Sport, S. 15. 43 Summerer, PHB, 2. Teil Rn 253.
12 privates Rechtssubjekt zur Reaktion auf Fehlverhalten z.B. durch
Sanktionierung berechtigt ist.44 Zwar ist die Verbandssanktion nicht als
Vertragsstrafe im Sinne des § 343 BGB anzusehen (s.o.), doch besteht
auch bei den Verbänden durch die Rechtsetzungsbefugnis und das Ein-
Platz-Prinzip (es besteht pro Sportart nur ein Spitzenverband) eine
Monopolstellung der Verbände. Hierdurch wird eine deutliche
Machtposition der Verbände gegenüber den Mitgliedern begründet.45
Die Situation im Verbandsrecht ist somit mit der im öffentlichen Recht
vergleichbar und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im
Sportverbandsrecht anwendbar.46
c) Grundrechte der Normgebundenen
Maßstab für eine Interessenabwägung der Belange von Verband und
Mitglied sollen vor allem das Grundgesetz und die darin enthaltenen
Grundrechte (insbes. Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 12 GG) sein.47 Fraglich
erscheint zunächst die Geltung von Grundrechten der Mitgliedsvereine
gegenüber den Verbänden, denn grundsätzlich stellen Grundrechte
Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat dar.48 Demnach kommt
keine unmittelbare Anwendung der Grundrechte auf das Rechtsverhältnis
zwischen Verband und Mitgliedsverein in Frage. Dennoch enthält das
Grundgesetz auch eine objektive Wertordnung, die den Geltungsbereich
der Grundrechte auch in andere Rechtsgebiete ausstrahlen lässt. Ihren
Weg in das Privatrecht und somit auch in das Verbandsrecht finden die
Grundrechte über die zivilrechtlichen Generalklauseln, wie etwa § 242
BGB.49 Dies führt dazu, dass auch Verbände bei ihrer Rechtssetzung
sorgfältig die Grundrechte ihrer Mitglieder zu beachten haben.
4. Durchsetzung der Sanktion vor dem Verbandsgericht
a) Eigene Gerichtsbarkeit kraft Verbandsautonomie
Die Sanktionen des DFB werden häufig vom verbandsinternen
Sportgericht50 erlassen. Die eigene Gerichtsbarkeit ergibt sich dabei aus
44 Bucherberger, SpuRt 1996, 157, 160. 45 Summerer, PHB, 2. Teil Rn 108. 46 Buchberger, SpuRt 1996, 157, 161. 47 Haas, SportR, B., 2. Kapitel, Rn 42. 48 BVerfGE 7, 198, 204. 49 BVerfGE 7, 198, 206; Buchberger, SpuRt 1996, 122, 123. 50 § 3 Abs. 1 Rechts und Verfahrensordnung des DFB Stand 10/12: Rechtsorgane sind
das DFB-Sportgericht, Bundesgericht oder der Kontrollausschluss.
13 der Verbandsautonomie. Denn neben der Befugnis zur verbandsinternen
Rechtsetzung ergibt sich aus der Verbandsautonomie gemäß
Art. 9 Abs. 1 GG auch das Recht zur Selbstverwaltung.51 Aus der
Selbstverwaltung folgt schließlich die Berechtigung zur Anwendung und
zum Vollzug des selbstgesetzten Rechts anhand eines eigenen Gerichts
und somit auch zur verbandsinternen Rechtsprechung. Auch hier gilt
wieder der Grundsatz, die Verbandsgerichtsbarkeit in der Satzung zu
verankern und das Verbandsgericht dort für zuständig zu erklären.
Eine private Gerichtsbarkeit verstößt nicht gegen das
Rechtsprechungsmonopol des staatlichen Richters gemäß Art. 92 GG.
Ein Verstoß gegen Art. 92 GG würde dann vorliegen, wenn die privat
verhängten Strafen den Bereich des Privatrechts verlassen und sich eine
öffentliche Strafgewalt anmaßen würden.52
Der Spruch eines Verbandsgerichts folgt jedoch allein aus der
Satzungsanordnung des Verbandes, denen sich das Verbandsmitglied (ob
mittelbar oder unmittelbar) kraft Privatautonomie unterwirft. Weiterhin
entwickelt die Verbandsrechtsprechung keinen Zwangscharakter im
Maße der staatlichen Rechtsprechung, was daran deutlich wird, dass ein
Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten bei der Verbandsgerichtsbarkeit
grundsätzlich offen bleiben muss.53
b) Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien
Darüber hinaus hat auch das Verbandsgericht einige rechtsstaatliche
Grundsätze zu beachten. So ergibt sich unter anderem der Grundsatz des
Gebots auf rechtliches Gehör. Dies bedeutet, dass sich der Betroffene
gegen die Vorwürfe ausführlich verteidigen können muss, indem er sich
zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern kann.54 Auch Ausdruck
des Art. 20 Abs. 3 GG ist die Garantie eines „fairen“ Verfahrens. Dieses
beinhaltet in etwa das Recht auf einen Verteidiger oder die Einhaltung
des Bestimmtheitsgrundsatzes.55
51 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S.42, 43; Summerer, PHB, 2. Teil Rn 3;
Stöber/Otto, Vereinsrecht, Rn 993. 52 BGHZ 21, 370, 374. 53 Pfister/Summerer, PHB, 2. Teil Rn 279; Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn
2782. 54 Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn 2823. 55 Haas, SportR, B., 2. Kapitel Rn 108.
14
5. Selbstgesetztes Recht des DFB im Falle von
Zuschauerausschreitungen
a) Sanktionsbegründende Regelungen
Die möglichen Sanktionen des DFB sind in § 44 Abs. 2 der DFB-
Satzung aufgezählt und werden in der DFB-Rechts- und
Verfahrensordnung noch weiter konkretisiert. Für den Fall von
Zuschauerausschreitungen kommt zunächst die Verhängung einer
Geldstrafe in Betracht, die gemäß § 44 Abs. 2 c) DFB-Satzung in einer
Höhe von bis zu 250.000 € zulässig ist.
Immer häufiger wird außerdem von der Möglichkeit des Ausschlusses
der Öffentlichkeit gemäß § 44 Abs.2 k) DFB-Satzung Gebrauch gemacht.
Als ultima ratio käme etwa auch die Aberkennung von Punkten gemäß
lit. l) oder eine der anderen schwerwiegenden Sanktionen des § 44 DFB-
Satzung in Betracht.
b) Haftung nach dem Prinzip „strict liability“
In den Normen der Verbandsregelwerke finden sich häufig Regelungen,
nach denen die Vereine unabhängig von ihrem Verschulden für die
Ausschreitungen ihrer Anhänger einstehen sollen. Die Verbände legen
somit eine objektive Verantwortlichkeit („strict liability“) der Vereine für
das Fehlverhalten ihrer Fans fest.56
Vereine und Verbände versuchen mit Hilfe der strict liability auf die
spezifischen Probleme im Sport zu reagieren. Dazu gehört etwa die
Gefährdung des Spielbetriebs durch Pyrotechnik, sowie Angriffe auf die
die Grundwerte des Sports durch rassistische, verfassungs- und
fremdenfeindliche Äußerungen und Sanktionen.57
Häufig ist es den verantwortlichen Verbänden jedoch nicht möglich,
unmittelbar auf die Anhänger eines Vereins zur Verhinderung künftiger
rechtswidriger Störungen einzuwirken. Eine verschuldensunabhängige
Haftung der Vereine für ihre Anhänger hingegen soll für Vereine die
Möglichkeit der Einwirkung auf ihre eigenen Anhänger schaffen, etwa in
56 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 62. 57 DFB-Sportgericht, SpuRt 2013, 200, 202.
15 Formen der Kommunikation, Kooperation, aber auch durch
Stadionverbote oder Regress im Schadensfall.58
Eine objektive Verantwortlichkeit der Vereine für deren Zuschauer findet
sich auch in den Regelwerken des DFB. Nach § 9 a Abs. 1 der DFB-
Rechts- und Verfahrensordnung (DFB-RVO) sind die Vereine und deren
Tochtergesellschaften neben dem Verhalten ihrer Spieler, Offiziellen,
Mitarbeiter, Erfüllungsgehilfen, Mitglieder und Anhänger auch für das
der Zuschauer verantwortlich. Dabei wird von § 9 a Abs. 2 DFB-RVO
konkretisiert, dass der gastgebende Verein und der Gastverein „im
Stadionbereich vor, während und nach dem Spiel für Zwischenfälle
jeglicher Art“ haften. Eine ähnliche Regelung findet sich beispielsweise
in Art. 6 der UEFA-Rechtspflegeordnung.
Grundsätzlich steht es den Verbänden anhand ihrer Verbandsautonomie
frei, ihr eigenes Recht zu setzen und darin auch eigene Grundsätze wie
eine verschuldensunabhängige Haftung zu erlassen.
aa) Verschuldensunabhängige Haftung ohne Unwerturteil
Solange eine verbandsrechtliche Sanktion mit einem Unwerturteil
verbunden ist, ist das Verschulden des Vereins unabdingbare
Voraussetzung für Strafe.59 Der internationale Sportschiedsgerichtshof
(Court of Arbitration for Sport – CAS) hielt daher in zwei grundlegenden
Entscheidungen die verschuldensunabhängige Haftung der Clubs für ihre
Zuschauer nur für zulässig, wenn der Verein nicht für die Verletzung
eigener Organisationspflichten zur Verantwortung gezogen wird. Eine
verschuldensunabhängige Haftung ist laut CAS also nur dann zulässig,
wenn kein schuldhaftes Verhalten des Vereins bestraft, sondern ihm ein
Fehlverhalten seiner Anhänger zugerechnet werden soll.60
Die Rechtsprechung des CAS entspricht insofern den Grundsätzen des
deutschen Rechts, dass Verschulden notwendige Voraussetzung für die
Festsetzung einer Verbandsstrafe ist, die ein Unwerturteil aussprechen
soll.61 Insofern muss § 9 a DFB-RVO dahingehend ausgelegt werden,
eine verschuldensunabhängige Haftung der Vereine für deren Anhänger
nur nach präventiven Maßstäben zu etablieren. Über § 9 a DFB-RVO
58 DFB-Sportgericht, SpuRt 2013, 200, 202. 59 Orth, SpuRt 2013, 186; Thumm, in: Verantwortlichkeit und Haftung im Sport, S. 17. 60 Vgl. CAS (3.6.2003 – 2002/A/423) PSV Eindhoven/UEFA; CAS (20.4.2007 –
2007/A/1217) Feyenoord Rotterdam/UEFA. 61 OLG Hamm, NJW-RR 2002, 389, 390.
16 kann eine Sanktion oder Maßnahme also nur dann dem Verein
zugerechnet werden, wenn diese zwingend der künftigen Sicherung eines
ordnungsgemäßen Spielbetriebs dient.62
Dass § 9 a DFB-RVO grundsätzlich diesem Auslegungsmaßstab folgt,
kann sich aus der im Jahr 2004 beschlossenen Neufassung der Vorschrift
ergeben, bei der ausdrücklich auf die Parallele zu Art. 6 UEFA-RPO
hingewiesen wird.63 Bestätigt wurde dies auch vom DFB-Sportgericht in
seiner Entscheidung vom 10.12.2012. Das Gericht weist ausdrücklich
darauf hin, die Normgebung und Rechtsprechung des DFB befinde sich
im Einklang mit § 6 Abs. 1 UEFA-RPO.64
Art. 6 UEFA-RPO wiederum entspricht der Rechtsprechung des CAS
und begründet eine objektive Verantwortlichkeit der Vereine nur für ein
Fehlverhalten der Zuschauer, nicht für eigene Organisationspflichten und
spricht damit kein verschuldensnotwendiges Unwerturteil aus.65
Nach diesen Grundsätzen ist ein Verschulden des Vereins nicht
zwingende Voraussetzungen für ein Sanktionieren, eine
verschuldensunabhängige Haftung damit grundsätzlich zulässig.
bb) Feststellung eines Unwerturteiles am Einzelfall
Dennoch ist die Entscheidung, ob es sich bei den häufig ergriffenen
Maßnahmen tatsächlich um Sanktionen ohne Strafeinschlag handelt,
nicht voreilig zu treffen. Gerade die Einordnung der Sanktion als
präventive Maßnahme wird teils aufgrund ihres Charakters und ihrer
Herleitung stark kritisiert.
Problematisch ist bereits der angewandte Wortlaut. Nicht gesprochen
wird von präventiven Maßnahmen, stattdessen werden Maßnahmen, die
etwa über die Zurechnungsnorm des § 9 a DVB-RVO getroffen werden,
bereits als „Strafe“ ausgesprochen. Weiterhin bezeichnet die etwaige
Ermächtigungsgrundlage § 44 DFB-Satzung unter der Überschrift der
„Strafgewalt“ die Maßnahmen als „Strafarten“. Schließlich werden die
62 DFB-Sportgericht, SpuRt 2013, 200, 202. 63 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 166; Thumm, in: Verantwortlichkeit und
Haftung im Sport, S. 17. 64 DFB-Sportgericht, SpuRt 2013, 83, 84. 65 CAS (03.06.2003 – 2002/A/423) PSV Eindhoven/UEFA.
17 Maßnahmen sowohl von Betroffenen als auch von der Öffentlichkeit
meist auch als Strafe aufgefasst.66
Weiterhin ist die Herleitung der strict liability aufgrund der
Verantwortlichkeit des Vereins für die von ihm hervorgerufene
Anhängergruppe in Frage gestellt. Anstelle von Prävention werde dem
Verein gerade durch ein Urteil eine Unfähigkeit zur Verhinderung von
Ausschreitungen seiner Anhänger trotz Garantenstellung nachgewiesen
und gegenüber anderen Vereinen versündigt. Darüber hinaus werde dem
Verein ein tatbestandlicher Bruch des Verbandsziels Fair Play zu Lasten
gelegt.67
Konsequenz dieser Argumentationskette wäre eine Unzulässigkeit der
Verschuldensunabhängigen Haftung beziehungsweise die Geltung des
Schuldprinzips als rechtlicher Mindestmaßstab. Daneben sei es durchaus
möglich, dem Verband selbst rechtliche Mittel zur Bekämpfung von
Fanausschreitungen zur Verfügung zu stellen. Das Gericht68 stelle selbst
besondere zivilrechtliche Verkehrspflichten des Vereins auf, die durch
die Eröffnung einer Gefahrenquelle entstehen. Erfülle der Verein diese
Pflichten nicht, könne der Verband aufgrund Verschuldens mangelnder
Kontrolle seiner Fans den Verein bestrafen.69
Das DFB-Schiedsgericht hält daran fest, es gehe bei § 9 a DFB-RVO
nicht um Strafe.70 Es stehe außerdem in der Einschätzungsprärogative
des jeweiligen Verbandes, ob die Zurechnung des Zuschauerverhaltens
geeignet ist, das verfolgte präventive Ziel zu erreichen.71
cc) Für das Verbandswohl zweckmäßig
Nach nationalem Recht ist die Zulässigkeit einer verbandsrechtlichen
strict-liability-Regelung für Zuschauerausschreitungen weiterhin von der
Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abhängig zu machen.
Auf der einen Seite ist dabei die in Art. 9 Abs. 1 GG gefestigte
Autonomie der Verbände zu beachten, auf der anderen Seite die
Berufsfreiheit der Vereine aus Art. 12 Abs. 1 GG, wobei die
verbandsrechtlichen Sanktionen bei Zuschauerausschreitungen
66 Orth, SpuRt 2013 186, 188. 67 Orth, SpuRt 2013, 186, 189. 68 Vgl. DFB-Sportgericht, II. 2. b), SpuRt 2013, 200, 203. 69 Orth, SpuRt 2013, 186, 189. 70 DFB-Sportgericht, SpuRt 2013, 200, 202. 71 DFB-Sportgericht, SpuRt 2013, 200, 203.
18 regelmäßig nur die Berufsausübungsfreiheit der Vereine berühren.72 Ein
Eingriff in die Berufsausübung unterliegt dabei geringeren Schranken als
ein Eingriff in die Berufswahl und ist dann zulässig, wenn „vernünftige
Erwägungen des Gemeinwohls (hier: des Verbandswohls) es
zweckmäßig erscheinen lassen“.73
Eine Bekämpfung von Zuschauerausschreitungen entspricht dabei dem
Verbandswohl und lässt einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der
Vereine als zweckmäßig erscheinen. In der Satzungspräambel nennt der
DFB als eines seiner primären Ziele: „Der DFB handelt in sozialer und
gesellschaftspolitischer Verantwortung und fühlt sich in hohem Maße
dem Gedanken des Fair Play verbunden“. Primäre Satzungszwecke, also
das Fair Play und die Bekämpfung von Gewalt, sehen sich dabei durch
Zuschauerausschreitungen zunehmend in Bedrängnis. Ein geregelter
Spielablauf ist häufig nicht mehr möglich, wenn entweder Gegenstände
auf das Spielfeld geschleudert werden oder gar Zuschauer das Feld
stürmen. Weiterhin nimmt die Gewalt im Stadion und mittlerweile auch
außerhalb des Veranstaltungsorts immer weiter zu. Zum Schutz des
fairen Wettkampfes und des Sports im Allgemeinen ist es sinnvoll, dem
Verband die Möglichkeit zuzuschreiben, Regelungen für die
verschuldensunabhängige Verantwortlichkeit der Vereine für ihre
Anhänger zu begründen. Sanktionen der Verbände wie Geldstrafe,
Ausschluss der Öffentlichkeit oder die Aberkennung von Punkten zur
Verfolgung der satzungsmäßigen Ziele betreffen lediglich das „Wie“ der
beruflichen Tätigkeit der Vereine und sind grundsätzlich von geringerer
Intensität.74 In wirtschaftlicher Hinsicht hat der Verein dann sogar noch
die Möglichkeit, zivilrechtliche Regressforderungen gegenüber den
konkreten Tätern geltend zu machen.75 Zusammenfassend lässt sich
damit sagen, dass das Prinzip der „strict-liability“ in § 9 a DFB-RVO
einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält,76 solange es bei einer
Zurechnung des Fehlverhaltens seiner Zuschauer bleibt und kein
Unwerturteil ausgesprochen werden soll.
72 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 169 ff. 73 BVerfGE 7, 377, 378. 74 Vgl. Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 167 ff. 75 OLG Rostock, NJW 2006, 1819, 1820. 76 Ausführlich dazu siehe: Haslinger, Zuschauerausschreitungen S. 155-176.
19 dd) Keine Unbilligkeit der strict-liability am Maßstab nationaler
Haftungsgrundsätze
Das DFB- Sportgericht hält aufgrund der grundgesetzlich
zugeschriebenen Verbandsautonomie eine vergleichbare Parallelnorm zur
verschuldensunabhängigen Haftung auf nationaler Ebene für unnötig.77
Dennoch wäre auf nationaler Ebene eine verschuldensunabhängige
(Kausal-) Haftung der Vereine leichter zu begründen, wenn allgemeine
nationale Vorschriften bei ähnlicher Interessenlage vergleichbare
Haftungsmaßstäbe vorsehen würden. Es sind daher die unterschiedlichen
Haftungsmaßstäbe in den einzelnen Rechtsgebieten zu beleuchten.
(1) Anlehnung an die Unschuldsvermutung
Vorherrschender Grundsatz im Strafverfahren ist die
Unschuldsvermutung. Die Unschuldsvermutung besagt, dass der einer
Straftat Beschuldigte solange als unschuldig gilt, bis ein gegenteiliger
Beweis erbracht wird. Im Strafrecht hat also der Staat die Pflicht, dem
Beschuldigten seine Schuld nachzuweisen.78 Durch die
Haftungsvermutung der strict liability wird jedoch eine
Beweislastumkehr etabliert, die sich von der Unschuldsvermutung
anhand einer Pflicht zum Nachweis eines schuldhaften Verhaltens
loslöst.
Im verbandsrechtlichen Verfahren muss der Verein also bei einer strict-
liability-Regelung darlegen, dass ihn die vermutete Schuld nicht trifft
und diese Vermutung durch Mitwirkung im Verfahren beseitigen.79
Im Ergebnis ist die Unschuldsvermutung des Strafrechts auf ein
Verfahren gegen den Verein wegen Zuschauerausschreitungen nicht
anwendbar. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die
Sportgerichtsbarkeit als Ausfluss der Privatautonomie ihren Ursprung
sowie ihre Legitimation im Zivilrecht hat und dem staatlichen
Strafverfahren nicht gleich steht.80 Damit findet auch das Verbot einer
Mitwirkungspflicht aus dem Strafrecht hier keine Anwendung.
77 DFB-Sportgericht, SpuRt 2013, 200, 203. 78 HK-Strafrecht/ Dölling, II vor § 1 Rn 19. 79 Kolbe, Strafprozessuale Aspekte der strafrechtlichen Dopingverfolgung, S. 111. 80 Eufe, Unschuldsvermutung im Dopingverfahren, S. 12; Mertens, SpuRt 2006, 177, 179.
20
(2) Anlehnung an zivilrechtliche Haftungsgrundsätze
Vielmehr heranzuziehen sind die Grundsätze des Zivilrechts. Hier
herrscht im deutschen Recht für eine Schadensersatzpflicht des
Schuldners das Verschuldensprinzip, welches insbesondere in
§ 276 Abs. 1 BGB verankert wurde. Danach haftet der Schuldner nur für
eigenes Verschulden in Form von Vorsatz oder Fahrlässigkeit.81
Die verschuldensunabhängige Haftung im Sportrecht könnte durch die
Übertragung der Grundsätze der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung
begründet werden. Die zivilrechtliche Gefährdungshaftung beruht auf
dem Gedanken, dass derjenige, der eine abstrakte Gefahr eröffnet, auch
ohne Verschuldensnachweis für daraus resultierende Schäden haften soll
(etwa der Betrieb eines Kfz in §§ 7 ff. StVG). Es bedarf hierbei jedoch
immer einer gesetzlichen Grundlage (Enumerationsprinzip), es existiert
also keine allgemeine Gefährdungshaftung. Die Haftungsvermutung ist
im deutschen Zivilrecht demnach nur einzelnen Ausnahmetatbeständen
zu entnehmen.82
Auch bei der Ausrichtung von Sportveranstaltungen insbesondere im
Fußball wird mittlerweile eine erhöhte Gefahrensituation für Zuschauer,
Sportler und Ordner geschaffen (s.o.). Indem bei Sportveranstaltungen
durch die Eröffnung eines Stadions für große Zuschauerzahlen eine
abstrakte Gefahrenquelle geschaffen wird, könnte diese Situation mit der
Ausgangsüberlegung der Gefährdungshaftung vergleichbar sein und die
Eröffnung einer Gefahrenquelle dem Verein zugerechnet werden. Auf
Grundlage der Verbandsautonomie wäre es den Verbänden dann in den
oben genannten Grenzen möglich, eine eigene Gefährdungshaftung zu
präventiven Zwecken in ihren Verbandsregelwerken zu statuieren.83
Gegen diese Rechtfertigung der verbandsrechtlichen Kausalhaftung
spricht jedoch der beschriebene sehr eng gesteckte Anwendungsbereich
der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung.84
Weiterhin ist nach dem Sinn und Zweck des Prinzips der
Gefährdungshaftung für Sportveranstaltungen deren Veranstalter als
Verantwortlicher heranzuziehen, indem dieser erst die Gefahrenquelle
81 Palandt/ Grüneberg, BGB, § 276 Rn 3. 82 Palandt/ Sprau, BGB, vor § 823 Rn 6. 83 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 186 ff. 84 Hilpert, Fußballstrafrecht, § 9 a RuVO Rn 84; ders., Sportrecht und Sportrechtsprechung S. 103.
21 eröffnet. Dies ist aber in der Regel nicht der Verein, sondern vielmehr
der Verband. Die Verbände sehen sich zumindest als Mitveranstalter und
geben den Rahmen und die Voraussetzungen für den Spielbetrieb vor.
Eine Eröffnung der Gefahrenquelle wäre also nicht dem Verein, sondern
dem Verband zuzurechnen. Es wäre dann wenig vertretbar, das Risiko
der Sportveranstaltung den nicht unmittelbar verantwortlichen Vereinen
zuzurechnen.85 Damit kann im Ergebnis eine strict-liability-Regelung
nicht an die zivilrechtliche Gefährdungshaftung angelehnt werden.
Herangezogen werden könnte jedoch der Haftungsmaßstab des
Beseitigungsanspruches aus § 1004 Abs. 1 BGB. Im Rahmen dieses
zivilrechtlichen Beseitigungsanspruches ist ein Störer für die Beseitigung
einer Störung des Eigentums eines anderen verpflichtet, ohne ein
Verschuldenserfordernis.
Parallelen zwischen den Haftungsgrundsätzen sind zunächst darin zu
sehen, dass in beiden Konstellationen eine erhebliche Störung durch
einen Dritten auf eine vorhandene Rechtsposition ausgeübt wird. Zwar ist
der Fußballverband nicht unmittelbarer Anspruchsinhaber, denn dies ist
im Falle des § 1004 Abs. 1 BGB grundsätzlich der Eigentümer des
beeinträchtigten Grundstücks, in diesem Falle also des betroffenen
Stadions. Doch muss es aufgrund der Vergleichbarkeit der
verbandsrechtlichen Kausalhaftung mit dem zivilrechtlichen
Beseitigungsanspruches auch möglich sein, dass sich der Fußballverband
auf eine ähnliche absolute Rechtsposition wie das Eigentum berufen
kann. Diese Rechtsposition liegt für Sportverbände als
Wettbewerbsveranstalter in deren Veranstalterrecht, welches gleichzeitig
wirtschaftliche Grundlage sowie Gründungszweck des Verbandes
darstellt und dem Wesen des zivilrechtlichen Eigentums (§ 903 BGB)
sehr ähnelt.86
Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass es sich bei der Haftung für
Zuschauerausschreitungen ohne Verschuldenszurechnung lediglich um
Maßnahmen zu präventiven Zwecken ohne Unwerturteil handelt, die
lediglich das Ziel der Wettbewerbsgerechtigkeit verfolgen. Nicht
ausgedrückt werden darf jedoch irgendeine Form der Missbilligung.87
85 Thumm, in: Verantwortlichkeit und Haftung im Sport, S. 23. 86 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 191 ff. 87 Thumm, in: Verantwortlichkeit und Haftung im Sport, S. 23.
22 Zweck der Sanktion bei Zuschauerausschreitungen ist immer auch die
Beseitigung der Störung der sozialen Ordnung, selbst wenn dabei
gleichzeitig eine Sühnefunktion erfüllt werden soll.88 Letztlich ist auf die
konkrete Verbandsmaßnahme abzustellen, wobei jedoch bereits
festgestellt wurde,89 dass eine Haftung der Vereine für ein
Zuschauerverhalten eben keine Strafe für ein Fehlverhalten der
Zuschauer sein soll, sondern Verantwortung.
Im Ergebnis kann damit festgehalten werden, dass auch auf nationaler
Ebene vergleichbare Haftungsgrundsätze zu einer
verschuldensunabhängigen Kausalhaftung in § 1004 Abs. 1 BGB zu
finden sind, die eine Gültigkeit der strict liability zusätzlich
unterstreichen. Auch das DFB-Sportgericht bestätigt, dass sich
§ 9 a DFB-RVO an Gesichtspunkten und Tatbeständen des Zivilrechts
wie Gefahrveranlassung oder Gefahrbeherrschung orientiert.90
Ergebnis: Unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Grundsätze sowie
der Grundrechte geben Art. 9 Abs. 1 GG, § 25 BGB und auch
Art. 11 EMRK einem Verband das Recht, sich infolge seiner
Selbstorganisation eine eigene innere Ordnung zu geben und damit
einhergehend verbindliche Regelungen aufzustellen. Aus dieser
Verbandsautonomie leitet sich auch das Recht zur Sanktionierung sowie
einer eigenen Verbandsgerichtsbarkeit ab, das dem Verband erlaubt,
einen Verein wegen Fehlverhaltens seiner Anhänger
verschuldensunabhängig zur Verantwortung zu ziehen.
III. Spannungsverhältnis zwischen Verband und Staat bei
Zuschauerausschreitungen
In seinem Beschluss vom 13.04.2012 hält das OVG Hamburg die
Verhängung eines Kartenabgabeverbots durch die Polizei für zulässig.
Die Verbände sehen darin einen massiven Eingriff in ihr Recht auf
Selbstverwaltung, indem die Polizei hier in die verbandsrechtlich
vorgesehene Abgabe von Eintrittskarten an den Gastverein (vgl.
§ 3 Abs. 4 Spielordnung DFL) eingreift.
88 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 196. 89 Siehe II. 5. b) aa). 90 DFB-Sportgericht, SpuRt 2013, 200, 203.
23 Anhand der Entscheidung des OVG soll aufgezeigt werden, welche
öffentlich-rechtliche Maßnahme bei Zuschauerausschreitungen möglich
sein kann. Weiterhin ist zu erläutern, ob darin möglicherweise ein
Einschnitt in die verbandsrechtliche Selbstverwaltung vorliegt oder ein
derartiger staatlicher Eingriff unter bestimmten Umständen vom Verband
hinzunehmen ist.
1. Polizeiliche Maßnahmen bei Zuschauerausschreitungen
Die Durchführung eines Fußballspiels ist immer zugleich Magnet großer
Menschenmassen. Die Gewaltbereitschaft vieler Zuschauer kann dabei
auch Maßnahmen der Ordnungsbehörden, insbesondere der Polizei, zur
Gefahrenabwehr erforderlich werden lassen. Ziel und Kern des Polizei-
und Ordnungsrecht ist die Gefahrenabwehr, also Gefahren für
Rechtsgüter abzuwehren und Störungen zu beseitigen, um den Eintritt
von weiteren oder neuen Schäden zu verhindern.91 Gesetzlich
aufgenommen wurde diese Befugnis in § 11 HSOG,92 wonach die
Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden die erforderlichen Maßnahmen
treffen können, um eine bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung abzuwehren.
a) Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei
Zuschauerausschreitungen
Gemäß § 11 HSOG ist damit zunächst festzustellen, ob im Hinblick auf
Zuschauerausschreitungen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung besteht bzw. bestehen kann.
Grundsätzlich liegt eine Gefahr vor, wenn eine Sachlage oder ein
Verhalten bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut
schädigen wird.93
Eine Gefahr im Falle von Zuschauerausschreitungen kann jedenfalls
dann angenommen werden, wenn es sich um ein sogenanntes
„Hochrisikospiel“ handelt, also eine Begegnung von Vereinen, bei der
91 Kugelmann, POR, 2. Kapitel Rn 11. 92 Weil das Polizei- und Ordnungsrecht gemäß Art. 70 GG Ländersache ist, beziehe
ich mich in dieser Arbeit auf das Hessische Polizeirecht, HSOG. 93 Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, § 4 Rn 2.
24 schon in den vergangenen Jahren wiederholt gewaltsame
Auseinandersetzungen stattfanden.94
b) Verein als verhaltensverantwortlicher Adressat der polizeilichen
Maßnahme
Das VG Hamburg zog bereits in Erwägung, dass der Verein bei
Zuschauerausschreitungen als Verhaltensverantwortlicher gemäß
§ 6 Abs. 1 HSOG (§ 8 Abs. 1 HbgSOG) als Adressat
gefahrenabwehrrechtlicher Maßnahmen in Betracht kommt.
Verhaltensverantwortlicher ist, wer durch sein hinzukommendes
Verhalten die entscheidende Grenze überschreitet und so die Gefahr
unmittelbar begründet.95
Das VG Hamburg führte hierzu aus, dass bereits bei der Ausrichtung
einer kommerziellen Großveranstaltung eine
Verfahrensverantwortlichkeit der Vereine begründet werden kann, indem
sie durch Abgabe von Karten für das Fußballspiel an ihre Anhänger ein
vorhersehbares Sonderrisiko schaffen, ohne sicherstellen zu können,
dieses zu beherrschen. Das OVG lässt diese Frage offen, äußert jedoch
bereits Bedenken gegen diese Annahme. Eine Verhaltensstörerhaftung
könnte zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der
verschiedenen polizeirechtlichen Störerbegriffe führen. Bei einer
Großveranstaltung ist es kaum möglich auseinanderzuhalten, welche
Personen für eine Störung verantwortlich sind, das heißt, ob sie sich
mittels Abgabe von Eintrittskarten, freiem Eintritt oder wegen bloßer
Attraktivität der Veranstaltung in der Nähe der Veranstaltung befinden.96
c) Verein als Nichtstörer-Adressat der polizeilichen Maßnahme
Ausnahmsweise kann die Polizei auch gegen Personen vorgehen, denen
eine Gefahr nicht zurechenbar ist, wie etwa den Verein für das
Fehlverhalten seiner Anhänger. Es kommt dann in Betracht, den Verein
als Nichtstörer im Sinne von § 9 Abs. 1 HSOG polizeirechtlich in
Anspruch zu nehmen.
94 OVG Hamburg, NJW 2012, 1975, 1976. 95 Hornmann, HSOG, § 6 Rn 21; Mühl/Leggereit/Hausmann, POR Hessen, Rn 90. 96 OVG Hamburg NJW 2012, 1975, 1978 ff.
25 Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 HSOG kann die Gefahrenabwehr- und die
Polizeibehörde Maßnahmen gegen andere Personen als die nach den §§ 6
oder 7 HSOG Verantwortlichen richten. Es müssen jedoch die
Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1-4 HSOG kumulativ vorliegen.
aa) Zuschauerverhalten als gegenwärtige erhebliche Gefahr
Als schwieriger erweist sich die Frage, ob eine polizeirechtliche
Maßnahme, wie ein Kartenabgabeverbot, auch im Vorfeld der
Veranstaltung für die Zukunft erlassen werden kann, indem gemäß
§ 9 Abs. 1 HSOG die Gefahr gegenwärtig sein muss.
Eine gegenwärtige Gefahr umfasst die bereits eingetretene und
fortwirkende Störung und die unmittelbar bevorstehende Gefahr, bei der
die schädigende Einwirkung in allernächster Zeit mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht.97
Das VG Hamburg hatte dazu erörtert, man könne zur Inanspruchnahme
des Nichtstörers auf das Erfordernis der unmittelbar bevorstehenden
Gefahr verzichten, wenn die Gefahr mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit an einem genau bestimmbaren oder bereits
bestimmten, gleichwohl noch in ferner Zukunft liegenden Zeitpunkt
eintreten wird.
Dagegen spricht jedoch, dass das SOG den Begriff der unmittelbar
bevorstehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nur in
solchen Regelungszusammenhängen verwendet hat, in denen eine
„akute“ Gefahrenabwehr geboten ist.98 Auch § 9 Abs. 1 HSOG soll
aufgrund des Charakters als Ausnahmeregelung gegenüber
§§ 6, 7 HSOG restriktiv auszulegen und somit nur auf eine akute Gefahr
anwendbar sein.99
Zur Klärung zieht das OVG Hamburg die Wertung des § 15 Abs. 1
VersG heran. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung
oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig
machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren
Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung „bei Durchführung
der Versammlung oder des Aufzuges“ unmittelbar gefährdet ist. Es ist
also bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eine
97 Hornmann, HSOG, § 9 Rn 8. 98 OVG Hamburg, NJW 2012, 1975, 1976. 99 Hornmann, HSOG, § 9 Rn 3ff.
26 Maßnahme auch im Vorfeld der Veranstaltung möglich. Das
Tatbestandsmerkmal des § 15 Abs. 1 VersG „bei Durchführung der
Versammlung“ könnte auch bei der Auslegung der entsprechenden
polizeirechtlichen Landesregelungen einschlägig sein. Dafür spricht, dass
eine restriktive Auslegung des Begriffs „Nichtstörer“ die Polizei dazu
zwingen würde, trotz Vorliegens der übrigen
Tatbestandsvoraussetzungen mit den Maßnahmen zur Gefahrenabwehr
gegenüber dem Nichtstörer bis kurz vor Gefahreneintritt zu warten. Die
enge Auslegung würde damit den Nichtstörer aufgrund der
Kurzfristigkeit der Maßnahme massiv in der Gewährung auf vorläufigen
Rechtsschutz einschränken. Darüber hinaus würde das Risiko bestehen,
dass die zur Gefahrenabwehr eingesetzte Maßnahme dann ihr Ziel nur
schwer oder stark eingeschränkt erreichen wird.100
Die Frage, ob das Vorliegen eines höchstwahrscheinlichen
Gefahreneintritts bei Durchführung einer öffentlichen Veranstaltung,
deren Zeitpunkt schon länger bekannt ist und feststeht, dass die übrigen
Voraussetzungen der Inanspruchnahme nichtverantwortlicher Personen
vorliegen, bereits eine „unmittelbar bevorstehende“ Gefahr begründet,
lässt das OVG Hamburg offen. In derartigen Fallkonstellationen bleibt
somit die kommende Rechtsprechung zu diesem Thema abzuwarten. Bis
dahin könnte § 15 Abs. 1 VersG als Auslegungshilfe herangezogen
werden.
bb) Vorgehen gegen den Verantwortlichen unverhältnismäßig
Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 HSOG muss sich die verantwortliche Behörde
primär an die Verantwortlichen im Sinne der §§ 6, 7 HSOG halten und
kann sich erst dann gegen den Nichtstörer wenden, wenn Maßnahmen
gegen die nach §§ 6, 7 HSOG Verantwortlichen nicht oder nicht
rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen.
Mögliche Maßnahmen durch die Polizei gegen potenzielle Störer sind
etwa Meldeauflagen vor dem Spiel oder Aufenthaltsverbote im Bereich
der Veranstaltung. Angesichts der strengen Voraussetzungen der
Rechtsprechung für eine individuelle polizeiliche Inanspruchnahme sind
diese Maßnahmen im Falle von Zuschauerausschreitungen jedoch nicht
ausreichend. Der Personenkreis, der unter diese Voraussetzungen fällt, ist
100 OVG Hamburg, NJW 2012, 1975, 1977.
27 nur sehr gering im Vergleich zu der Zahl der insgesamt zu erwartenden
Störer.101 Eine Gefahr gegenüber Dritten kann durch die
Inanspruchnahme des Vorgehens gegen die potenziellen Störer somit nur
schwierig bewältigt werden.
cc) Gefahrenabwehr für den Verantwortlichen nicht möglich
Weiterhin ist die Gefahrenabwehr gegenüber einem Nichtstörer gemäß
§ 9 Abs. 1 Nr. 3 HSOG nur dann möglich, wenn die zuständige Behörde
die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch beauftragte
Dritte abwehren kann. Auf finanzielle Engpässe und die
Haushaltssituation der Behörden ist dabei keine Rücksicht zu nehmen, da
sonst ein Eingriff in subjektive Rechte je nach der öffentlichen
Haushaltslage erlaubt wäre.102
Letztlich kommt es in diesem Punkt auf den Einzelfall an. Ein eventuell
zu bevorzugendes Aufstocken der eigenen Kräfte könnte dann nicht mehr
ausreichend sein, wenn diese nicht mehr in der Lage sind, die sich
abzeichnenden Gefahren etwa bei Hochrisikospielen für die
Allgemeinheit abzuwehren. Ist beispielsweise bekannt, dass bei den
letzten Begegnungen immer wieder Beamte und Unbeteiligte verletzt
wurden, oder besteht Gefahrenpotential an einer Vielzahl
unterschiedlicher Stellen - verschiedene An- und Abfahrtswege bei
verschiedenen Verkehrsmitteln, im Stadion und in dessen näherer
Umgebung, oder auch in angrenzenden Stadtteilen – ist anzunehmen,
dass die eigenen Kräfte der Vereine nicht mehr ausreichend sind.103
dd) Opfergrenze
Schließlich ist zur Inanspruchnahme des Vereins als Nichtstörer nach
§ 9 Abs. 1 Nr. 4 HSOG erforderlich, dass die nicht verantwortliche
Person ohne erhebliche eigene Gefährdung oder Verletzung
höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden kann. Die
Inanspruchnahme darf also die aus dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit abgeleitete Opfergrenze nicht überschreiten und nur
101 OVG Hamburg, NJW 2012, 1975, 1977. 102 OVG Hamburg, NJW 2012, 1975, 1977; Hornmann, HSOG, § 9 Rn 12; Kugelmann,
POR, 6. Kapitel Rn 88. 103 OVG Hamburg, NJW 2012, 1975, 1978.
28 eingesetzt werden, solange die Gefahrenabwehr nicht anders möglich
ist.104
Die Verhängung eines etwaigen Kartenabgabeverbots durch die Polizei
entspricht nach Auffassung des OVG Hamburg auch dann noch dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip, wenn zu erwarten ist, dass trotz des Verbots
eine Großzahl von Anhängern die Reise an den Veranstaltungsort
antreten. Denn durch ein Kartenabgabeverbot ist zu erwarten, dass eine
Gefahr zumindest noch vermindert oder vorübergehend abgewehrt
werden kann. Anhand des Kartenabgabeverbots besteht für die Polizei
die Möglichkeit, in einem sehr frühen Stadium und in weiten Bereichen
vor dem Stadion mit der Kontrolle der anreisenden Anhänger zu
beginnen und gewaltbereiten Personen gegebenenfalls die Weiterfahrt
zum Stadion untersagen oder sie auf der Weiterfahrt zu begleiten.105
2. Die Hierarchie Verbandsrecht und staatliches Recht
a) Die „Zweispurigkeit“ des Verbandsrechts
Aus nationalem und europäischem Recht hat der Verband die
Autonomie, die internen Angelegenheiten eigenverantwortlich und
staatsfern zu regeln. Dennoch wird anhand der vom OVG Hamburg für
zulässig erklärten Maßnahme der Polizei gegen
Zuschauerausschreitungen die gleichzeitige Existenz mehrerer
Rechtsordnungen im Verbandsrecht deutlich. Aus der Geltung zweier
Normkomplexe ergibt sich eine „Zweispurigkeit“ im deutschen
Sportrecht: Auf der einen Seite das kraft Verbandsautonomie
selbstgesetzte Recht des Verbands zur Sportorganisation, auf der anderen
Seite das allgemeingültige nationale Recht.106
Vereinfacht lassen sich die verschiedenen Normebenen anhand einer
Pyramide beschreiben: Auf oberster Stufe steht die gewöhnliche
Rechtswelt mit nationalen und supranationalen Rechtsnormen. Auf
zweiter Stufe folgt die autonome Sportorganisation, die vor allem das
vom Verband gesetzte Recht und darin enthaltene Sanktionen meint. Auf
unterster Stufe stehen schließlich Spielregeln und
Tatsachenentscheidungen, die beispielsweise während eines laufenden
104 Hornmann, HSOG, § 9 Rn 13; Kugelmann, POR, 6. Kapitel Rn 92. 105 OVG Hamburg, NJW 2012, 1975, 1979. 106 Wüterich/Breucker, Sportrecht in der Praxis, Rn 517.
29 Fußballspiels direkt vom Schiedsrichter erlassen werden und
unanfechtbare Bindungswirkung entfalten.107
Im Gegensatz zum nationalen Recht hat das spezifische Sportrecht dabei
die Aufgabe, die vielfältigen Erscheinungsformen und
Konfliktsituationen im Sport interessengerecht zu erfassen. Dass das
Verbandsrecht dabei nicht völlig ohne staatliche Regulierung und
Kontrolle auskommt, wurde bereits in Bezug auf die staatlichen
Beschränkungen des selbstgesetzten Verbandsrechts aufgezeigt.
Sobald die Selbstregulierungskräfte des selbstgesetzten Verbandsrechts
zur Sportorganisation nicht mehr ausreichen oder es zu
Wertungskollisionen kommt, hat staatliches Recht Vorrang. Daraus
ergibt sich, dass das vom Verband gesetzte Sportrecht keinesfalls
ausnahmslos dem staatlichen Recht vorgeht. Im Gegenteil: Zwingendes
Recht ist staatliches Recht.108
b) Zulässigkeit staatlicher Eingriffe
Eine Ermächtigungsgrundlage für staatliches Handeln und gleichzeitige
Begrenzung von Verbandsautonomie liegt beispielsweise darin, dass die
Selbstverwaltung der Verbände auf gewisse staatliche Regelungen
angewiesen ist, die den Verband in die allgemeine Rechtsordnung
einfügen, die Sicherheit des Rechtsverkehrs gewährleisten, Rechte der
Mitglieder sichern und den schutzbedürftigen Belangen Dritter oder auch
öffentlichen Interessen Rechnung tragen.109 Regelmäßig ist hierbei zum
Schutz der Verbandsautonomie eine volle Verhältnismäßigkeitsprüfung
notwendig.110 Dennoch hat der Sport Einbußen in seiner eigenen
Organisation hinzunehmen.111
c) Polizeirechtliche Maßnahmen bei Zuschauerausschreitungen im
Rahmen staatlicher Befugnisse
Fraglich ist nun, wie es sich mit einer öffentlich-rechtlichen Maßnahme
bei Zuschauerausschreitungen, wie das polizeilich verhängte
107 Rössner/Adolphsen, Sportrecht in der Praxis, Rn 3 ff. 108 Summerer, PHB, 2. Teil Rn 10. 109 BVerfGE 50, 290, 354. 110 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, § 9 Rn 14. 111 Summerer, PHB, 2. Teil Rn 11.
30 Kartenabgabeverbot, gegenüber der Verbandsautonomie verhält.
Reinhard Rauball (Liga-Präsident) betonte, es sei "schade, wenn der
Fußball durch solche Einschnitte in seiner Autonomie eingeschränkt
wird. Auf der anderen Seite ist ein Schulterschluss mit Politik, Polizei
und Justiz angesichts der gravierenden Vorfälle in der letzten Zeit
zwingend erforderlich.“112 Diese Aussage ist für das Verhältnis
öffentlich-rechtlicher Maßnahmen zum Recht auf Selbstverwaltung der
Verbände sehr zutreffend:
Geht es bei Zuschauerausschreitungen um den Schutz der Allgemeinheit
oder Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, geht das staatliche
Recht dem selbstgesetzten Verbandsrecht vor.113 Zwar sehen auch die
Verbände Maßnahmen und Sanktionen bei Zuschauerverhalten vor, diese
reichen jedoch nicht weit über die Grenzen des Stadions hinaus (vgl.
§ 9 a DFB-RVO „im Stadionbereich“) und beziehen sich weitgehend auf
einen geregelten Spielablauf. Ergeben sich schließlich weitergehende
Gefahren wie im oben aufgezeigten Falle des OVG Hamburg, reichen die
Verbandsregeln nicht mehr aus. Es bedarf eines staatlichen Eingriffs, der
schließlich unter bestimmten Umständen in erlassene Regelungen eines
Vereins oder Verbands eingreifen muss und darf.
Gerade im Falle der Zuschauerausschreitungen im Sport hat sich gezeigt,
dass verbandsrechtliche Maßnahmen scheinbar immer häufiger nicht
mehr ausreichen und sich die Gewalttätigkeit über die Stadiongrenzen
hinaus ausweitet. Der Staat hat dann die Pflicht, Gefahren von der
Allgemeinheit abzuwehren. Die Ergreifung öffentlich-rechtlicher
Maßnahmen bei Zuschauerausschreitungen ist dann nicht unbedingt eine
Frage des Eingriffs in die Selbstverwaltung, sondern vielmehr eine Frage
der Verhältnismäßigkeit. Denn ein Eingriff liegt unstreitig vor, dieser
muss jedoch auch zweckmäßig und gerechtfertigt sein.
Ergebnis: Kommt es bei einer Sportveranstaltung zu
Zuschauerausschreitungen, ist unter bestimmten Umständen auch der
Staat zu öffentlich-rechtlichen Maßnahmen befugt. Dies kann im Falle
gewisser Risikobegegnungen auch bereits im Vorfeld der betroffenen
112 Beschwerde angekündigt: FC St. Pauli will gegen Ticketverbot für Hansa Rostock
vorgehen. In: Legal Tribune ONLINE, 04.04.2012, http://www.lto.de/persistant/a_id/5943/ (abgerufen am 18.10.2012).
113 Pfister, PHB, Einführung Rn 7.
31 Veranstaltung gegen den ausrichtenden Verein erfolgen, es kommt
jedoch stark auf den Einzelfall an. Die Ermächtigung öffentlich-
rechtlicher Maßnahmen ergibt sich aus der Zweispurigkeit im
Verbandsrecht, die eine gewisse Normhierarchie zwischen staatlichem
Recht und Verbandsrecht vorsieht. Die Verbandsautonomie findet
danach ihre Grenzen, wo staatliches Recht einzugreifen hat.
C) Fazit
Zu Beginn wurde die Frage aufgeworfen, welche Maßnahmen ein
Verband im Fall von Zuschauerausschreitungen bei einer
Sportveranstaltung unternehmen kann. Anhand seiner
verfassungsrechtlich verankerten Verbandsautonomie ist der Verband zur
eigenen Regelsetzung, Durchsetzung der Regel anhand von Sanktionen
sowie einer eigenen Gerichtsbarkeit befugt. Ausdruck dieser
Verbandsautonomie für den Fall von Zuschauerausschreitungen findet
sich beispielsweise in § 9 a DFB-RVO, wonach der spielhabende Verein
für seine Zuschauer verschuldensunabhängig verantwortlich ist und
gegebenenfalls Adressat von Sanktionen aus § 44 DFB-Satzung wird.
Zulässig ist eine verschuldensunabhängige Haftung solange, als der
Verein nicht für ein Fehlverhalten seiner Zuschauer bestraft werden soll.
Parallelen lassen sich hierbei zum Beseitigungsanspruch des deutschen
Zivilrechts aus § 1004 Abs. 1 BGB ziehen.
Aufgrund der gleichzeitigen Existenz des autonomen Verbandsrechts
neben dem nationalen Recht ist in bestimmten Situationen ein Eingriff
des Staats in die Selbstverwaltung der Verbände notwendig und begrenzt
somit zeitgleich deren Autonomie. In Situationen, denen der Verband
nicht mehr gerecht werden kann, hat der Staat unter Wahrung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und staatsrechtlicher Voraussetzungen
das Recht, anhand polizeilicher Gefahrenabwehr den
Zuschauerausschreitungen neben den Verbänden entgegenzutreten. Vor
allem bei Ausschreitungen außerhalb des Stadionbereichs ist die Mithilfe
der Polizei unerlässlich.