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Diplomarbeit
Facialisparesen und die Wirkung von Nimodipin
Eine retrospektive Studie
eingereicht von
Michelle Dailey
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor(in) der Zahnheilkunde
(Dr. med. dent.)
ausgeführt an
der klinischen Abteilung für Mund-, Kiefer- und
Gesichtschirurgie
der Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Graz
unter der Anleitung von
Univ.-Prof. Dr. Hans Kärcher
Univ.-Ass. DDr. Lucia Gerzanic
Univ.-Prof. DDr. Günter Schultes
Graz 2014
I
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.
Graz, am 18. 02. 2014… Michelle Dailey
II
Danksagung
Mein Dank gilt Univ.-Ass. DDr. Lucia Gerzanic sowie Univ.-Prof. DDr.
Günter Schultes für ihre Betreuung und Hilfestellungen beim Erstellen
dieser Arbeit.
Weiters möchte ich mich bei Frau Dipl. Ing. Irene Mischak bedanken,
welche mir bei der statistischen Aufarbeitung der Daten zur Seite
stand.
My Thanks goes out to my parents and the Lord above, who made me
understand that if I really want something, the Universe is there to help
me realize it.
III
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis .......................................................................................... V
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen ........................................................... VI
Zusammenfassung ............................................................................................... VII
Abstract ............................................................................................................... VIII
Einleitung................................................................................................................ 1
1. Geschichte ......................................................................................................... 2
2. Zur Anatomie des Nervus facialis ................................................................. 4
2. 1 Der Branchiomotorische Teil des Nervus facialis ......................................... 5
2. 2 Der Somatoafferente Teil des Nervus facialis .............................................. 5
2. 3 Nervus intermedius ...................................................................................... 6
2. 4 Zur Facialisparese ........................................................................................ 7
2. 4. 1 Periphere Facialisparese ...................................................................... 7
2. 4. 2 Zentrale Facialisparese ......................................................................... 9
2. 5 Ursachen und Behandlung von Facialisparesen ........................................ 11
3. Das Medikament Nimodipin(neutrotopR) ......................................................... 13
3. 1 Charakteristik ............................................................................................. 13
3. 2 Wirkung ...................................................................................................... 13
3. 3 Anwendung ................................................................................................ 14
4. Methoden zur Klassifizierung von Facialisparesen ........................................... 15
4. 1 Die House-Brackmann Skala ..................................................................... 16
4. 2 Burres-Fisch System .................................................................................. 18
4. 3 Nottingham System .................................................................................... 18
4. 4 Sunnybrook Skala ...................................................................................... 20
4. 5 Computergestützte Bewertungsverfahren .................................................. 21
4. 6 Facial Nerve Grading System 2.0 .............................................................. 22
4. 7 Das grobe System ...................................................................................... 23
IV
5. Studien und Erkenntnisse zur Behandlung....................................................... 25
5. 1 Regenerationsraten .................................................................................... 25
5. 2 Facialisparesen nach Operationen ............................................................. 26
5. 3 Regenerative Eingriffe am Nervus facialis ................................................. 26
5. 4 Einsatz von Nimodipin ................................................................................ 32
5. 5 Schwannomaresektionen und der Nervus facialis ...................................... 36
5. 6 Akustikusneuronome und der Nervus facialis ............................................ 38
5. 7 Infarkte als Auslöser einer peripheren Facialisparese ................................ 41
6. Material und Methoden ..................................................................................... 42
7. Ergebnisse ....................................................................................................... 43
8. Diskussion ........................................................................................................ 52
Literaturverzeichnis .............................................................................................. 53
V
Abkürzungsverzeichnis
Vgl. Vergleiche
etc. et cetera
et al. et alii/aliae
IT Informationstechnik
FND Facial Nerve Disorders
FNGS Facial Nerve Grading System
HNO Hals-Nasen-Ohren
EMG Elektromyographie
MRT Magnetresonanztomographie
bFGF b-Firoblast Growth Factor
HAES Hydrocyethylstärke
mmHg Millimeter Qecksilbersäule
VI
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
Tabelle 1: Deskriptive Statistik…………………………………………………………48
Tabelle 2: Differenzwerte der ersten Untersuchung und der
Kontrolluntersuchung……………………………………………………………………48
Abbildung 1: Altersverteilung der untersuchten Patienten………………………….43
Abbildung 2: Verschiedene Diagnosen der Facialisparesen……………………….44
Abbildung 3: Verschiedene Ursachen der Verletzungen……………………………44
Abbildung 4: Angewandte Therapien………………………………………………….45
Abbildung 5: Vergleich der ENG – Ergebnisse………………………………………49
Abbildung 6: Wertedifferenz der ENG – Kontrolluntersuchung im
Vergleich zur ersten Untersuchung……………………………………………………50
VII
Zusammenfassung
Die Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Erscheinungsformen der
Fazialisparese, sowie mit deren operativer und medikamentöser Behandlung. Bei
Letzterem liegt der Schwerpunkt vor allem auf der Behandlung von
Facialisparesen mit Nimodipin, einem Calciumkanalblocker aus der Gruppe der
1,4-Dihydropyridine, welcher unter dem Namen Nimotop® vertrieben wird. Zu
Beginn der Arbeit werden zuerst die Anatomie des Nervus facialis erläutert und
grundlegende Kenntnisse zu den Erscheinungsformen der Facialisparese
dargelegt. Hierauf folgt ein kurzer Abriss der historischen Entwicklung der
medizinischen Behandlung der Facialisparese von den frühen Hochkulturen, bis in
die Gegenwart. Danach wird kurz auf jene Skalierungssysteme für Facialisparesen
eingegangen, welche bisher die meiste Verbreitung gefunden haben.
Anschließend wird dem aktuellen Stand der Behandlung von Facialisparesen und
dem Einsatz von Nimodipin anhand aktueller Beiträge in der Fachliteratur
nachgegangen. Anschließend wird anhand ausgesuchter Fälle die Wirkung von
Nimodipin bei Patienten mit Facialisparesen untersucht. Hierzu werden Mittels
EMG und ENG Daten erhoben, quantifiziert und ausgewertet.
VIII
Abstract
This thesis is about the characteristics of the facial nerve paralysis and its surgical
and medical treatment. Regarding the medical treatment the author focusses on
the use of nimodipine, which is a calcium antagonist called Nimotop®. This work
starts with an overview of the anatomy of the facial nerve and some rudimentary
information about the characteristics of the facial nerve paralysis. After that follows
a short treatise of the history of facial nerve treatment, beginning with an
explanation of the knowledge which the old cultures had about the facial nerve
paralysis. Subsequently there is a short discourse about the most common
grading systems used to evaluate facial nerve paralysis. Then the current state of
knowledge about facial paralysis and its surgical and medical treatment, using
nimodipine, will be explained based on actual literature and papers. After that we
examine cases in which nimodipine has been used for the treatment of facial
paralysis, using ENG and EMG. With this we try to show the positive effect of the
drug on the regeneration of the facial nerve.
1
Einleitung
Das Dasein des Menschen ist von ständiger Interaktion mit seinen
Mitmenschen geprägt. Ein großer Teil der zwischenmenschlichen
Kommunikation findet über Medien statt, der größte Teil wird von der direkten
Kommunikation geführt.. In der direkten Kommunikation spielt die Mimik des
Menschen eine zentrale Rolle. An ihr können wir erkennen, ob ein Mensch
müde oder wach, fröhlich oder traurig, gut gestimmt oder zornig ist. Die Mimik
steuert einen wesentlichen Teil zu unserer Kommunikation bei.
Schon aus diesem Grund ist stellt eine Störung der mimischen Fähigkeiten
eines Menschen eine erhebliche Einschränkung dar. Wir schauen Menschen
zuerst ins Gesicht, um zu erkennen und zu lernen, Gesichter einzelnen
Personen zuzuordnen. Eine Störung im Gesicht stellt also auch eine Störung
des zentralen Persönlichkeitsmerkmales und somit eine erhebliche psychische
Belastung für den Betroffenen dar. Aus diesem Grund stellt die Behandlung von
Facialisparesen mehr als nur eine kosmetische Korrektur dar. Die Behandlung
und Korrektur sind für den Patienten von entscheidender Bedeutung für sein
weiteres Sozialleben.
Facialisparesen haben geschichtlich wiederholt die Aufmerksamkeit der
Menschen auf sich gelenkt. Das spezifische Bild, welches der, an ihr Erkrankte,
nach Außen abgibt, hatte schon die Künstler der alten Hochkulturen dazu
bewegt, es der Nachwelt zu überliefern. Gleichzeitig wuchs auch der
Forschungsdrang der Menschen und mit ihm der Wille, diese Krankheit mit
medizinischen Mitteln zu bekämpfen. So sind uns bereits von den alten Römern
konservative Behandlungsformen überliefert, die gegen Paresen helfen sollen
und von den Arabern sogar Hinweise zur chirurgischen Behandlung. (Schelley
2013, 85)
In neuerer Zeit hat die Behandlung von Facialisparesen rasante Fortschritte
gemacht. Nicht nur, was die chirurgische Behandlung betrifft, sondern auch im
Hinblick auf die Möglichkeiten der medikamentösen Therapie vor und nach der
Operation. In der folgenden Arbeit sollen die Behandlungsmöglichkeiten von
2
Facialisparesen dargestellt und die Möglichkeiten des Einsatzes von Nimodipin
anhand von Literatur und empirisch erhobenen Daten evaluiert werden.
1. Geschichte
Die Facialisparese als medizinisches Phänomen war bereits den alten
Ägyptern, den alten Griechen, den Römern, den Inkas und anderen
präkolumbianischen Völkern Amerikas bekannt. Eine Ägyptische Statue von vor
4000 Jahren stellt einen Mann dar, der offensichtlich an einer halbseitigen
Gesichtslähmung litt. Auch aus dem alten Griechenland sind uns Totenmasken
überliefert, die Symptome aufweisen, welche den Verdacht auf eine
Facialisparese zumindest nahelegen. Der römische Arzt und Schriftsteller Aulus
Cornelius Celsius (ca. 25 v. Chr. – 50 n. Chr.), beschrieb in seinem Werk
ebenfalls die Symptome der Facialisparese. (De Lima Resende et al. 2008,
765) Der früheste nachvollziehbare Versuch, eine Facialisparese zu behandeln
ist uns vom persischen Arzt Razi aus dem 9. Jahrhundert nach Christus
überliefert. (Shelley 2013, 85) Die erste medizinische Studie der Krankheit wird
jedoch dem arabischen Arzt Avicenna (979-1037 n. Chr.) zugeschrieben. Auch
ihm fiel auf, dass eine Lähmung, welche im Gehirn selbst ihre Ursache hatte,
die gesamte Körperhälfte betrifft, während eine bloße Erkrankung des Nervens
nur jene Teile des Körpers betrifft, welche von diesem Nerven versorgt werden.
Zu den Ursachen der peripheren Facialisparese zählte er Kompressionen durch
Wundverbände, Tumoren oder eine Durchtrennung des Nervs. (De Lima
Resende et al. 2008, 768) Die von Avicenna zur Behandlung der peripheren
Facialisparese empfohlenen Mittel waren zumeist pflanzlicher Basis und hatten
einen gefäßerweiternden Effekt. Sie sollten oberflächlich aufgetragen werden.
Aber auch operative Eingriffe zur Behebung des Defekts waren Avicenna
bekannt. Zu weitergehenden Behandlung empfahl er auch Gesichts und
Nackenmassagen. Für den Fall eines durchtrennten Nervs schrieb er, dass in
einem solchen Fall ein Zusammennähen der Stümpfe die einzige Hoffnung auf
3
eine Genesung sei. Eine Facialisparese, welche länger als sechs Monate
andauerte, hatte nach Avicenna kaum eine Chance auf Heilung.
Im Heidelberg des Jahre 1798 verfasste Nicolaus Anton Friedreich eine Studie
über die Entwicklung und die Behandlung der Parese des Nervus facialis,
anhand der Fälle dreier Patienten. Diese waren vor dem Eintritt der Lähmung
kalter Zugluft ausgesetzt gewesen, hieraus schloss Friedreich, dass die
Facialisparese durch äußere Einwirkungen auf den Nervus facialis verursacht
werden könnte. Er veröffentlichte darauf seine Beobachtungen unter dem Titel
De paralysis musculorum faciei rheumatica (1798). Dieses Werk wurde zwei
Jahre später in der englischsprachigen Zeitschrift Annals of Medicine in
Edinburgh besprochen. Es wird vermutet, dass Charles Bell diesen Artikel
gelesen haben könnte, da er zu dieser Zeit gerade in Edinburgh studierte. (De
Lima Resende et al. 2008, 768) Nachdem Charles Bell dort kurzfristig mit
seinem Bruder eine eigene anatomische Schule geleitet hatte, ging er im Jahr
1804 nach London. Hier veröffentlichte er weitere Werke, wie etwa auch
Anleitungen für Künstler, zur anatomisch korrekten Wiedergabe des
menschlichen Körpers. (Walker 2004, 123) Im Jahre 1812 gründete Bell eine
medizinische Schule beim Middlesex Hospital in London, wo er zum
Chefchirurgen aufstieg. Als seiner Karriere besonders dienlich erwies sich der
napoleonische Krieg. Anhand von Verwundungen des Gesichts durch
Gewehrkugeln, erkannte er, dass der siebente kraniale Nerv die
Ausdrucksmöglichkeiten des Gesichts bedingt. (Walker 2004, 123) Im Jahr
1821 veröffentlichte er ein Papier, in welchem eine vollständige Facialisparese
beschrieb. Wichtiger jedoch war das 1829 von ihm veröffentlichte Papier,
welches den Titel ‚On the Nerves oft he Face; Being a second paper on that
subject‘ trug. Hierin stellte er die kranialen Nerven V und VII dar und legte dar,
dass nur letzterer die Muskeln kontrollierte, welche für die Mimik notwendig
sind.(Shelley 2013, 85) Obwohl Friedreich die gleichen Symptome der
Facialisparese bereits einige Zeit vor Bell beschrieben hatte, setzte sich in der
Folge die Bezeichnung „Bell’s Palsy“ oder aber auch „Bellsche Lähmung
durch“. Die medizinischen Kenntnisse über den Nervus facialis wurden nach
Bells Veröffentlichung lange Zeit nicht weiterentwickelt. Erst als Schwartze und
Eysell im Jahre 1873 eine neue Technik für eine kortikale Mastoidektomie
4
beschrieben, änderte sich dies. Denn die Folgen dieser Operationsmethode
waren sehr häufig Gehörverlust, sowie eine Gesichtslähmung. Unter den
Versuchen, diese zu beheben, verfiel man zuerst vor allem auf Substitutionen,
selbst wenn eine Verbindung der beiden Enden des lädierten Nervus facialis
prinzipiell möglich gewesen wäre. Im Jahre 1894 wurde von Ballance eine
direkte Reparatur des Nervus facialis, welche jedoch an einer Entzündung
scheiterte. Erst im Jahre 1925 wurde von Bunnel die erste erfolgreiche
Reparatur eines Facialnervs berichtete. In der Folge verfeinerten sich die
Techniken immer mehr. So wurde im Jahre 1908 von Alt an der Wiener
Ohrenklinik erstmals eine Dekompression des Facialnervs durchgeführt. (May
2000, 305) Der technische Fortschritt ließ in der Folge immer bessere
Operationsmethoden zu. So dass eine Verbesserung der Verfahren bis zum
heutigen Tage anhält.
2. Zur Anatomie des Nervus facialis
Der Nervus facialis ist der VII. Hirnnerv. Er tritt durch Porus und Meatus
acusticus internus in das Os temporale ein und verlässt dieses am Foramen
stylomastoideum, worauf er bogenförmig in die Glandula parotidea eintritt.
Innerhalb dieser bildet er den Plexus intraparotideus. Der Nervus facialis ist
jener Nerv, welcher alle mimischen Muskeln und das Platysma versorgt.
Darüber hinaus, versorgt er in der Paukenhöhle den Musculus stapedius, den
Musculus stylohyoideus der oberen Zungenbeinmuskeln, sowie den hinteren
Bauch des Musculus digastricus. Es handelt sich beim Nervus facialis um einen
so genannten gemischten Nerv. Das heißt, dass er verschiedene Fasern,
nämlich branchiomotorische, somatoafferente, viszeroefferente Fasern, sowie
Geschmacksfasern. Der sensible Anteil des Nervus facialis verläuft im Nervus
intermedius. (Schiebler 2007, 670)
5
2. 1 Der Branchiomotorische Teil des Nervus facialis
Die beiden Hauptnerven des Branchiomotorischen Teils des Nervus facialis
werden als Nervus stapedius und Nervus auricularis posterior bezeichnet. Der
Nervus stapedius verläuft vom Canalis nervi facialis zum Musculus stapedius
und dient dessen Versorgung mit Nervenreizen.Der Nervus auricularis posterior
zweigt sich bereits kurz nach dem Austritt des Nervus facialis aus dem
Foramen stylomastoideum ab. Von dort aus zieht er zwischen dem Processus
mastoideus und der Ohrmuschel zu den Muskeln derselbigen, wie auch zum
Venter occipitalis des Musculus occipitofrontalis. (Schiebler 2007, 671)
Neben diesen Hauptnerven gehören noch folgende Rami zum
branchiomotorischen Teil des Nervus facialis: Der Ramus digastricus verläuft
vom Austritt des Nervus facialis zum hinteren Bauch des Musculus digastricus.
Der Ramus stylohyoideus verläuft vom Austritt des Nervus facialis zum
Musculus stylohyoideus. Die Rami temporales, Rami zygomatici, Rami
buccales, Rami marginalis mandibulae sind Teil des Plexus intraparotideus und
innervieren die mimische Gesichtsmuskulatur. Die Rami colli bilden den am
weitesten kaudal gelegenen Ast. Dieser bildet zusammen mit einem Ast des
Nervus transversus colli eine Anastomose, welche das Platysma versorgt.
(Schiebler 2007, 671)
2. 2 Der Somatoafferente Teil des Nervus facialis
Durch die beiden Rami des somatoafferenten Teils wird ein Teil der Innervation
der Haut des äußeren Gehörgangs und der Schleimhaut des Tympanons
beteiligt. Darüber hinaus scheint auch die Zungenspitze über sensible Fasern
des Nervus facialis zu verfügen. (Schiebler 2007, 671)
6
2. 3 Nervus intermedius
Der Nervus Intermedius wird von den viszeroefferenten Ästen und den
Geschmacksfasern des Nervus facialis gebildet. Dabei teilt er sich im
Geniculum nervi facialis in zwei Endäste auf, welche im Folgenden näher
bezeichnet werden sollen.
Nervus petrosus major
Der Nervus petrosus major zweigt am Ganglion geniculi vom Nervus facialis ab
und verläuft von da durch den Sulcus nervi petrosi majoris des Os temporale
hin zum Foramen lacerum. Hier erreicht er den Canalis ptyerygoideus, welchen
er durchzieht, bevor er als Radix facialis im Ganglion pterygoplatinum endet.
(Schiebler 2007, 671)
Chorda tympani
Die Chorda tympani enthält sowohl parasympathische Fasern wie auch
Geschmacksfasern. Sie zweigen im Canalis vom Nervus facialis ab und ziehen
von dort, unter der Schleimhaut der Paukenhöhle entlang, durch die Fissura
petrotympanica des Kiefergelenks. Sie lagert sich nach dem Austritt aus der
Fissura dem Nervus lingualis an. Die parasympathischen Fasern der Chorda
tympani sind präganglionäre Fasern, welche am Ganglion geniculi vorbeilaufen
und von dort in die Chorda tympani gelangen. Von dort ziehen sie mit dem
Nervus lingualis zum Ganglion submandibluare. Die postganglionären Fasern
führen zu den Glandulae submandibularis, sowie sublingualis und den
Glandulae linguales anteriores. Die Geschmacksfasern leiten die Empfindungen
der Geschmacksknospen, welche in den vorderen zwei Dritteln des
Zungenrückens befindlich sind, an die Chorda tympani weiter. Die
somatoafferenten Fasern führen aus der Schleimhaut der Paukenhöhle heraus
und führen von dort möglicherweise zum Ganglion geniculi. (Schiebler et al.
2007, 671)
7
2. 4 Zur Facialisparese
2. 4. 1 Periphere Facialisparese
2. 4. 1. 1 Symptome der peripheren Facialisparese
Eine periphere Facialisparese äußert sich durch eine erkennbare einseitige
Lähmung sämtlicher, vom Nervus facialis versorgten, Muskeln. Jedoch muss
diese Lähmung nicht immer vollständig sein. So können etwa
Restinnervationen einzelner Äste und hierbei vor allem die des Stirnastes die
Diagnose erschweren. Häufig sind auch Störungen der Sensibilität in der
Ohrmuschel, im Gehörgang und unmittelbar hinter dem Ohr zu beobachten,
wobei diesen jedoch keine prognostische Bedeutung zukommt. (Poeck/Hacke
2006, 627)
Neben der Lähmung der Gesichtsmuskulatur sind auch andere Symptome zu
beobachten, welche eine genauere Diagnose der Ursache der peripheren
Facialisparese ermöglichen. Ist etwa eine Beeinträchtigung der Tränensekretion
zu beobachten, so deutet dies auf eine proximale Läsion vom Ganglion geniculi
an. Die Überprüfung erfolgt über den so genannten Schirmer-Test. Hierzu wird
Fließpapier am unteren Lid des Auges befestigt und dessen Befeuchtung nach
5-10 Minuten überprüft. Eine Überempfindlichkeit der gelähmten Seite weist auf
eine Läsion des Nervs proximal vom Abgang des Nervus stapedius hin.
(Poeck/Hacke 2006, 627)
Weitere Symptome können eine Geschmacksstörung oder eine Abnahme der
Speichelsekretion sein. Eine Geschmacksstörung auf den vorderen zwei
Dritteln der Zunge weist auf eine Schädigung afferenter und gustatorischer
Fasern im Fazialiskanal hin. Eine Abnahme der Speichelsekretion weist auf
eine Schädigung des Nervus intermedius zwischen dessen sensiblen Ganglion
geniculi und dem Abgang der Chorda tympani hin. (Poeck/Hacke 2006, 627)
8
2. 4. 1. 2 Ursachen der peripheren Facialisparese
Die häufigste Erscheinungsform der peripheren Facialisparese, welche akut
innerhalb von 1-2 Tagen auftritt ist ätiologisch ungeklärt. Aufgrund des
Umstandes, dass viele Patienten, welche an dieser Form leiden, angeben, dass
sie kurz vor dem Auftreten der peripheren Facialisparese der Zugluft ausgesetzt
waren, wird deshalb von idiopathischer oder entzündlicher Facialisparese
gesprochen. (Poeck/Hacke 2006, 628) Histologische Untersuchungen und
PCR-Untersuchungen können jedoch aufzeigen, dass es sich bei diesem
Krankheitsbild wohl um eine Infektion mit dem Herpes-simplex-Virus vom Typ I
handelt, so dass die Bezeichnung „idiopathisch“ wohl veraltet ist. (Berlit 2006,
393) Häufig ist auch ein Befall des Nervus facialis bei lymphozitärer Meningitis
als Ursache festzustellen. War früher eine besonders häufige Ursache die
abortive Polio, so sind es nun vor allem neutrope Viren oder Borrelien, welche
als Ursache zu nennen sind. Daneben können aber auch andere Ursachen, wie
Entzündungen, Neoplasmen oder Mastoditis, in Frage kommen. (Poeck/Hacke
2006, 628)
2. 4. 1. 3 Diagnostik der peripheren Facialisparese
Im Allgemeinen gilt es Facialisparesen möglichst früh und wiederholt
elektrophysiologisch zu untersuchen. Hauptaugenmerk liegt bei der
Untersuchung auf dem Blinkreflex und der Neurographie des distalen Nervus
facialis. Bei der Neurographie wird die Reizschwelle, ab welcher der Musculus
orbicularis oris oder der Musculus orbicularis oculi motorisch reagieren
ermittelt. Darüber hinaus werden auch die Latenzzeit bei überschwelliger
Reizung und die maximale Potentialamplitude ermittelt. Die Ergebnisse aus
diesen Untersuchungen werden dann mit den Ergebnissen, welche bei der
Untersuchung der gesunden Seite ermittelt wurden, verglichen. Dies kann auch
im Rahmen einer Verlaufsuntersuchung geschehen. (Poeck/Hacke 2006, 628)
9
Die Nadelmyographie soll die Unterscheidung zwischen einer hochgradigen
und einer kompletten Facialisparese erleichtern. Wenn durch laute Töne und
Geräusche keine reflektorische Kontraktion des Musculus stapedius erreicht
werden kann, so weist dies auf einen Läsionsort proximal vom Abgang des
Nervus stapedius hin. Ist der Blinkreflex in allen Anteilen schon früh auf der
betroffenen Seite erloschen, so liegt ein kompletter Funktionsausfall des Nervus
facialis vor, wohingegen der periphere Nerv erregbar bleibt, wenn nur ein
Leitungsblock vorliegen sollte. Im Fall eine Waller-Degeneration nimmt die
Reizschwelle hingegen schnell zu und die Potentialamplitude nimmt ab.
(Poeck/Hacke 2006, 628)
2. 4. 2 Zentrale Facialisparese
Von der peripheren Facialisparese wird für gewöhnlich die zentrale
Facialisparese unterschieden, welche sich insbesondere dadurch auszeichnet,
dass die Stirn noch immer gerunzelt werden kann, wenn auch zumeist nicht so
kräftig, wie auf der nicht betroffenen Seite. Der Grund hierfür liegt darin, dass
die zentralen Fasern nicht nur gekreuzt zum gegenseitigen Facialiskern ziehen,
sondern auch ungekreuzt zum Facialiskern der eigenen Seite. (Poeck/Hacke
2006, 627)
2. 4. 2. 1 Symptome der zentralen Facialisparese
Ähnlich wie bei der peripheren Facialisparese ist auch bei der zentralen
Facialisparese eine Schwäche der mimischen Muskulatur festzustellen,
wenngleich diese vor allem im Bereich der Mund- und Wangenmuskulatur
festgestellt werden kann. Daneben kann häufig auch eine Sprechstörung und in
Abhängigkeit vom Schädigungsort eine Hörstörung auftreten. Es treten
10
gleichzeitig auch eine zentrale Bewegungsstörung von Arm und Hand, sowie
eine Abweichung der herausgestreckten Zunge auf. Die Zunge lässt sich also
nicht mehr gerade hinaustrecken, sondern weicht in Richtung der
geschwächten Seite ab. (Poeck/Hacke 2006, 627)
2. 4. 2. 2 Ursachen der zentralen Facialisparese
Die Ursachen einer zentralen Facialisparese liegen, wie bereits der Name
indiziert, deutlich tiefer, als bei der peripheren Facialisparese. Häufige
Ursachen hierfür sind: ein Hirninfarkt, ein Tumor oder eine Blutung.
Bei einer einseitigen zentralen Facialisparese, wie sie etwa durch einen
Schlaganfall hervorgerufen werden kann, ist die Innervation des Musculus
frontalis und des Musculus orbicularis oculi beider Gesichtshälften gegeben, da
diese doppelt versorgt werden.
2. 4. 2. 3 Diagnostik der zentralen Facialisparese
Trifft die Parese nur die willkürlichen, nicht jedoch die emotionalen mimischen
Bewegungen, so ist dies ein Anzeichen für ein Thalamussyndrom. (Berlit 2006,
62) Andere Ursachen entziehen sich der direkten Einsicht durch den Arzt und
sind nur unter Einbeziehung technischer Hilfsmittel möglich.
11
2. 5 Ursachen und Behandlung von Facialisparesen
Der Nervus facialis ist von allen Nerven des Körpers am häufigsten von
Paresen betroffen. (Terzis / Lee 1987, S. 587) Terzis und Lee hegen Zweifel an
der Effektivität der Methoden zur Behandlung der Bellschen Parese und führen
dies vor allem auf die mangelhaften Kenntnisse der genauen Ätiologie dieser
Krankheit zurück. (Terzis / Lee 1987, S. 587)
Die häufigste Ursache einer akuten extratemporalen Facialisparese ist nach
Terzis und Lee jedoch eine traumatische. Ursache kann dabei sowohl ein
Unfall, wie auch ein chirurgischer Eingriff sein. Sowohl stumpfe, wie auch
scharfe Gegenstände in beliebig hoher Geschwindigkeit können dabei eine
Parese hervorrufen. Aber auch extreme Temperaturen sind als Verursacher
bekannt. (Terzis / Lee 1987, S.592) Überdies können auch Neoplasmen und
Entzündungen als Verursacher der Parese erkannt werden. Dabei können
gerade maligne Tumoren eine teilweise Dissektion des Nervens unumgänglich
machen. Weiters können auch intrakraniale und intratemporale Entzündungen
als Ursache in Frage kommen. (Terzis / Lee 1987, S. 593)
Die Unterscheidung zwischen extratemporalen, intratemporalen und
intracranialen Verletzungen ist für die genaue Bewertung einer Parese des
Nervus facialis von besonderer Relevanz. Aus diesem Grunde ist eine gute
Visualisierung des Nervus facialis nach Terzis und Lee grundlegend für den
erfolgreichen Verlauf eines operativen Eingriffes. (Terzis / Lee 1987, S. 592-
593) Eine genaue und gründliche Untersuchung der Facialisparese beinhaltet
dabei sowohl eine vollständige historische, wie auch physische Untersuchung.
Die Krankengeschichte kann die Diagnose unterstützen. So können
vergangene Verletzungen, Lähmungen, Krankheiten oder auch die
Familiengeschichte, wichtige Anhaltspunkte für die Behandlung liefern. Eine
genaue Untersuchung sollte dabei sowohl die gelähmten, wie auch die
gesunden Nerven berücksichtigen. (Terzis / Lee 1987, S. 593)
Die zur Verfügung stehenden Tests für die Beurteilung einer Facialisparese
teilen sich dabei in topographische, wie elektrodiagnostische Tests. Hierbei ist
12
anzumerken, dass die meisten dieser Tests zwar primär auf eine Untersuchung
der Bellschen Parese ausgelegt sind, jedoch auch bei anderen Formen der
Parese angewandt werden können. (Terzis / Lee 1987, S. 593)
Die topographischen Tests umfassen dabei die Messung des Tränenflusses,
Stapedius-Reflex-Tests sowie Speichelfluss und pH-Tests. Die
elektrodiagnostischen Tests dienen der Untersuchung der neuromuskulären
Struktur und helfen dabei, den Grad der Einschränkung der Nervenfunktion zu
bestimmen. Dabei können wichtige Hinweise darauf gewonnen werden, ob die
Verletzung des Nervs heilbar und ein chirurgischer Eingriff notwendig ist.
(Terzis / Lee 1987, S. 594)
Radiologische Untersuchungen sind dann wichtig, wenn Läsionen des
intrakranialen oder intratemporalen Segments des Nervus facialis vorliegen. Bei
extratemporalen Ursachen können radiologische Untersuchungen dazu dienen,
intratemporale Ursachen auszuschließen oder eine akute Facialislähmung als
Folge eines gebrochenen Unterkiefers festzustellen. (Terzis / Lee 1987, S. 595)
Eine genaue prä- wie postoperative Dokumentation hilft, die Behandlung vor
während und nach eines operativen Angriffes an die Spezifika des vorliegenden
Falles anzupassen. (Terzis / Lee 1987, S. 595)
Bei der Behandlung einer Facialisparese muss der Patient zuerst ganzheitlich
betrachtet werden. Etwaige weitere Verletzungen müssen je nach Priorität
zuerst behandelt werden. Je schneller der Nerv jedoch behandelt werden kann,
desto besser sind die Erfolgswahrscheinlichkeiten des Eingriffs. Eine verzögerte
Reparatur sollte jedoch bei Patienten mit weitreichenden Verletzungen und
Wundkontaminationen angedacht werden und nach drei Wochen erfolgen.
Dabei sind drei Hauptfaktoren maßgeblich für den Erfolg einer Reparatur des
extratemporalen Nervus facialis: der Grad der Verletzung, die biologische
Kondition, und die Wahl der Operationstechnik. (Terzis / Lee 1987, S. 596) Die
Reparationstechniken können dabei Anastomosen und Nerventransplantate
beinhalten. Aber auch die Entscheidung, eine Reparatur zu unterlassen, kann
unter Umständen zur Heilung führen. (Terzis / Lee 1987, S. 597)
13
In der postoperativen Behandlung sollte, gerade nach Transplantationen, ein
großer Wert auf die Schonung der behandelten Stelle gelegt werden. Jede
Form der physischen Einwirkung auf die behandelte Stelle sollte vermieden
werden um den Behandlungserfolg sicher zu stellen. (Terzis / Lee 1987, S. 597)
Nach der Innervation der Muskeln sollte eine intensive physische Therapie
erfolgen, welche unter anderem Gesichtsmuskelübungen beinhalten sollte.
(Terzis / Lee 1987, S. 598)
3. Das Medikament Nimodipin (neutrotop R)
In der Behandlung von Verletzungen des Nervus facialis hat sich, wie einige
Studien gezeigt haben der Einsatz von Nimodipin durchgesetzt. die
Eigenschaften, des Medikamentes sollen im Folgenden beschrieben werden.
3. 1 Charakteristik
Nimodipin wird unter dem Handelsnamen Nimotop® vertrieben. Dabei handelt
es sich um einen Calciumkanalblocker aus der Gruppe der 1,4-Dihydropyridine.
Nimpodipin ist eine gelbliche kristalline Substanz, die nicht wasserlöslich ist.
3. 2 Wirkung
Nimodipin wirkt als Calciumblocker, der die Verfügbarkeit von freien
interzellulären Calciumionen, welche für die Aktivierung von Zellenfunktionen
notwendig sind, senkt. (Kazda 1985, 70)
Auch wenn jede Form der Muskelkontraktion, auch der vaskulären Muskeln
durch eine Hebung der Konzentration intrazellulärer Calciumionen initiiert wird,
14
reagieren nicht alle Muskeln gleichermaßen sensibel auf die Anwendung von
Calciumkanalblockern. Dies hat den Grund, dass unterschiedliche Zellen für
ihre Aktivierung unterschiedliche Quellen von Calciumionen nutzen. So
verfügen die Zellen der Skelettmuskulatur über eigene Calciumionenspeicher.
Diese nehmen je nach Bedarf Calciumionen auf oder geben diese ab. So leiten
sie die Kontraktionen oder die Entspannung der Muskeln ein. Dadurch sind die
Zellen resistent gegen die Wirkung von Calciumkanalblockern. (Kazda 1985,
70) Im Gegensatz dazu sind die vaskularen Muskeln im Allgemeinen von der
interzellulären Versorgung von Calciumionen über den Zwischenzellraum
abhängig. Es gibt Unterschiede zwischen den einzelnen vaskulären Regionen,
je nachdem ob eigene Calciumionenspeicher vorhanden sind oder nicht.
(Kazda 1985, 70) Wurden Gefäße isoliert, so wirkt Nimodipin unabhängig von
seiner Herkunft, dass durch Depolarisation induzierte Spasmen entstehen.
Durch spasmogene Agonisten, wie Serotonin, Ketecholamine, Histamin,
Thromboxan oder Vollblut induzierte Spasmen werden bei isolierten
Zerebralgefäßen, nicht an peripheren Gefäßen gehemmt. In vivo wirkt
Nimodipin hindernd auf zerebrovaskulären Spasmus und Gehirnschäden.
(Kazda 1985, 70) Warum Nimodipin bevorzugt die Calciumkanäle blockiert ist
unbekannt. Andere Calciumblocker zeigen in Bezug auf die Rezeptorkanäle
andere Affinitäten als Nimodipin. (Kazda 1985, 71)
3. 3 Anwendung
Die Anwendung von Nimodipin in Bezug auf die Behandlung der Nervus facialis
soll anhand bestehender Studien in einem späteren Kapitel erläutert werden. Es
wurde in der Literatur mehrfach aufgezeigt, dass es in der Regeneration des
verletzten Nervens positive Wirkungen entfaltet, die den Heilungsprozess
beschleunigen und verbessern.
15
4. Methoden zur Klassifizierung von Facialisparesen
Im Jahr 1983 wurde von House und Brackmann die House-Brackmann Skala
eingeführt, welche eine Bestimmung der Schwere einer Facialisparese
klassifiziert. Diese Methode wurde in der darauf folgenden Zeit zur
Standardmethode in der Beurteilung von Dysfunktionen des Nervus facialis. Es
zeigte sich bald, dass die Methode gewisse Defizite aufwies. So wird kritisiert,
dass die House-Brackmann Skala keine Möglichkeit der feineren
Unterscheidung zwischen den einzelnen Graden von Nervendysfunktionen
erlaubte. Auch ist die Gradierung von Dysfunktionen anhand der House-
Brackmann Skala äußerst subjektiv, was zu einer erhöhten Variabilität der
Ergebnisse bei verschiedenen Beobachtern führen kann. Aus diesem Grund
wurden im Laufe der Zeit alternative Methoden entwickelt, welche einen
höheren Reliabilitätsgrad aufweisen sollten. (Kang 2002, 767) Der hohe
Komplexitätsgrad der Innervierung des Gesichtes hat zur Folge, dass eine
genaue Beurteilung des Funktionsgrades des Nervus facialis äußerst schwer
ist. die Tatsache, dass es sich beim Nervus facialis um einen gemischten Nerv
handelt, der verschiedene Funktionen hat, kann eine genaue Beurteilung seiner
Funktion beeinträchtigen. Verletzungen des Nervens können dadurch eine
Reihe von Funktionen in unterschiedlicher Intensität beeinträchtigen. Ein
ganzheitliches Gradierungssystem des Nervus facialis muss alle Faktoren zu
einer Beurteilung des Nervens in seiner Gesamtheit verdichten. Dies geschieht
durch unterschiedliche Gewichtung verschiedener Einschränkungen. Die
Fähigkeit die Stirn zu falten weniger stark gewichtet, als die Fähigkeit den Mund
zu spitzen. Ein weiteres Problem zeigt sich auch in der Gefahr einer anomalen
Regeneration des Nervus facialis nach seiner Verletzung. Dies kann zu
verschiedenen sekundären Defekten führen, welche verschiedene Symptome
zur Folge haben können. Diese können für den Patienten ebenfalls äußerst
unangenehm sein. Hierzu zählen die „Krokodilstränen“, die eine verstärkte
Tränensekretion während der Nahrungsaufnahme des Patienten oder
verschiedene Gesichtsspasmen, die die Lebensqualität des Patienten massiv
einschränken können. Trotzdem werden sekundäre Defekte von einigen
16
Systemen ignoriert. (Kang 2002, 767) Auch der subjektive Eindruck, den die
menschliche Mimik auf den Untersuchenden macht, kann dazu führen, dass
eine Diagnose verfälscht wird. Deshalb wurden verschiedene Methoden
entwickelt, welche die Skalierung der Beschädigung des Nervus facialis anhand
vollständig objektiver Methoden ermöglichen. Diese weisen jedoch wiederum
einen hohen Komplexitätsgrad auf, fordern also verschiedene Berechnungen,
welche sehr zeitaufwendig sein können und sich aus diesem Grunde oftmals
als nicht praktikabel erweisen können. (Kang 2002, 768)
4. 1 Die House-Brackmann Skala
House war der erste, welcher eine detaillierte Studie zur Skalierung von
Verletzungen des Nervus facialis veröffentlichte. Er evaluierte hierzu acht
bereits bestehende Skalierungssysteme des Nervus facialis und teilte sie in drei
verschiedene Kategorien ein: grob, regional und spezifisch. Im Anschluss
überprüfte er die verschiedenen Methoden im Hinblick auf die Interobserver-
Variabilität, indem er Videoaufnahmen von Patienten mit unterschiedlichen
Graden einer Facialisparese verwendete. Hierbei kam er zu dem Ergebnis,
dass die groben Skalierungssysteme mit den regionalen und den spezifischen
Systemen gleichermaßen korrelierten und zog daraus den Schluss, dass die
zusätzlichen Details, welche in die komplexeren Systeme einflossen unnötig
waren. (Kang 2002, 768) House entwickelte darauf eine Skala, welche sich an
den groben Systemen orientierte und schlug eine neue grobe, subjektive Skala
vor, welche sechs Arten der Funktion des Fazialnervs berücksichtigte und einen
Schwerpunkt auf die Möglichkeit legte, verschiedene Grade gezielt einzusetzen
um eine moderate Funktion des Nervus facialis charakterisieren zu können. Die
Skala berücksichtigte das Bewegungen des ruhenden, wie des bewegten
Gesichts und ließ auch mögliche sekundäre Defekte nicht aus. Dieses System
wurde in der Folge weiteren Modifikationen unterworfen. So wurde zuerst ein
von Brackmann und Barrs entwickeltes System, welches die Erholung des
Nervus facialis nach einer nach einer Akustikusneurinomoperation beurteilen
17
sollte, in das System implementiert. Gemessen wurde der Abstand der
Augenbraue und des Mundwinkels in der Bewegung. Diese Abstände wurden in
25 mm Abständen im Vergleich zur gesunden Gesichtshälfte gezählt und mit 1-
4 bewertet. Die so entstandenen Werte wurden addiert und in der Hause-
Brackmann Skala den Werten I – VI zugeschrieben. Des Weiteren wurde auch
eine prozentuelle Gesamtangabe der Funktion des Nervus facialis hinzugefügt
um eine Übernahme der Ergebnisse anderer Skalen in das House-Brackmann
System zu erleichtern. Dieses System, welches nun erst tatsächlich zum
House-Brackmann System geworden war, wurde sodann zu einer
Standardmethode in der Beurteilung der Funktion des Nervus facialis. Jedoch
zeigten sich sehr bald auch spezifische Nachteile des Systems. So wurde bald
darauf hingewiesen, dass das House-Brackmann System keine Möglichkeit
zulässt, feinere Unterschiede der Dysfunktion des Nervus facialis darzustellen.
Vor allem der medizinische Fortschritt in der Behandlung macht die Darstellung
solcher Nuancen jedoch notwendig. (Kang 2002, 768) Das größte Problem der
House-Brackmann Skala ist jedoch die hohe Interobserver-Variabilität, welche
in dem hohen Anteil an subjektiven Beobachtungen, welche in die Bewertung
einfließen, begründet ist. Zwar konnte House beobachten, dass eine recht hohe
Interobserver-Reliabilität besteht, wenn es um Extremwerte der Dysfunktion
geht, jedoch sinkt diese deutlich, wenn es um geringfügigere Beschädigungen
des Nervens geht. Um dem entgegenzuwirken, wurde das System zwar
abermals geringfügig modifiziert, jedoch zeigte dies in weiterführenden Studien
keine nennenswerte Veränderung des Reliabilitätsgrades an. Auch die
Berücksichtigung der sekundären Defekte wurde kritisiert, da in diesem Bereich
dem Untersuchenden ein zu hoher Spielraum für die subjektive Einschätzung
gegeben wurde. (Kang 2002, 768) Der Umstand, dass hier auch keine
Möglichkeit besteht, Synkinesen und Kontrakturen zu evaluieren, macht diese
Methode ebenfalls unbrauchbar, wenn es um die systemische regionale
Anwendung geht. (Lee et al. 2013, 135)
18
4. 2 Burres-Fisch System
Die hohe Interobserver-Variabilität des House-Brackmann Systems, welche vor
allem auf dem großen Anteil an subjektiven Daten beruhte, führte zur
Entwicklung neuerer Systeme, wie etwa des Burre-Fisch Systems. Das Burres-
Fisch System zeichnet sich dadurch aus, dass es ausschließlich auf objektiv
messbaren Daten basiert. Die Funktionswerte des Nervus facialis werden in
diesem System, auf Grundlage einer Studie von sieben Standardäußerungen
des Gesichts, anhand einer linearen Werteskala quantifiziert. Die Werte werden
anhand einer Reihe von Gleichungen berechnet. Diese beschreiben den
Prozentgrad an Verschiebungen der verschiedenen anatomischen Landmarken
des Gesichts während der Bewegung, mit jenen in Ruhestellung. Ein
besonderer Vorteil dieses Systems gegenüber dem House-Brackmann System
liegt vor allem in dem Umstand einer kontinuierlich gradierenden Skala. Diese
erlaubt eine feinere Nuancierung der Bewertung der Beeinträchtigung. Jedoch
zeigte sich in Studien, dass die mit der Burres-Fisch Methode ermittelten
Ergebnisse deutlich mit jenen der House-Brackmann Methode korrelierten,
wiewohl Erstere auf rein objektive messbaren Werten beruht. Ein großer
Nachteil der Methode ist darüber hinaus die Tatsache, dass sie sehr viel Zeit für
die Berechnung der Ergebnisse benötigt. Das macht sie für den praktischen
Gebrauch ungeeignet, vor allem, wenn sie, wie bereits ausgeführt, bis zu einem
gewissen Grad zu gleichen Ergebnissen führt, wie das House-Brackmann
System. Auch der Umstand, dass sekundäre Defekte nicht in die
Bewertungsskala dieses Systems einfließen, macht sie zu einem eher
unpraktischen Werkzeug. (Kang 2002, 769)
4. 3 Nottingham System
Um das Problem des hohen Zeitaufwandes in den Griff zu bekommen, wurde
im Jahre 1994 das Nottingham System entwickelt, welches einerseits den
19
hohen Grad an objektiven Daten beibehalten, jedoch eine schnellere
Anwendung ermöglichen sollte. Darüber hinaus sollten in ihm auch Daten in
Bezug auf die sekundären Defekte einfließen. Dieses Skalierungssystem wird in
drei verschiedenen Schritten durchgeführt. Zuerst werden die Distanzen
zwischen dem supraorbitalen Punkt und dem infraorbitalen Punkt, sowie
zwischen dem lateralen Canthus und dem Mundwinkel auf beiden Seiten
während dreier Bewegungen gemessen. Die Bewegungen bestehen aus dem
Anheben einer Augenbraue, dem festen Schließen der Augen und dem
Lächeln. Danach werden die Längenunterschiede zwischen dem Ruhezustand
und dem höchstmöglichen Bewegungsaufwand für jede Seite
zusammengezählt. Jene Seite, mit dem niedrigeren Wert – also jene, auf
welcher der Nervus facialis beschädigt ist – wird dann mit dem Wert der
funktionstüchtigen Seite prozentual in Beziehung gesetzt. (Kang 2002, 769) Im
zweiten Schritt wird hinter dieser Prozentangabe ein Buchstabe gesetzt. So
wird das Vorhandensein oder das nicht Vorhandensein verschiedener
Symptome angezeigt. Hemifaziale Spasmen, Kontrakturen oder Synkinesen
werden bei Vorhandensein mit einem ‚P‘ angezeigt oder, sollten sie nicht
vorhanden sein mit einem ‚A‘. In der Folge wird auch das Auftreten von
Krokodilstränen, trockenen Augen oder Dysgeusie bei Vorhandensein eines
dieser Symptome mit einem ‚Y‘ angegeben, sonst mit einem ‚N‘. Damit werden
die Ergebnisse des Nottingham Systems in einer ähnlichen Art und Weise
angegeben, wie dies beispielsweise bei der Skalierung von Tumoren der Fall
ist. Ein besonderer Vorteil dieses Systems besteht vor allem in der geringen
Zeit, welche seine Anwendung auf den Patienten kostet. Nach Angaben der
Autoren soll es in unter drei Minuten möglich sein, mithilfe dieses Systems die
Schädigung des Nervus facialis zu bewerten. Ein offensichtlicher Nachteil
besteht jedoch darin, dass dieses System nur auf eine halbseitige Lähmung des
Gesichtes anwendbar ist, da stets eine, kranke Seite mit einer Gesunden Seite
in Beziehung gesetzt wird. So würde eine beidseitige Lähmung nach dem
Nottingham System de facto als gesund aufscheinen. (Kang 2002, 770)
20
4. 4 Sunnybrook Skala
Im Jahr 1996 schlugen Ross et al. ein weiteres System vor, welches zur
Bestimmung der Schädigung des Gesichtsnervens dienen soll. Hierbei sollten
subjektive Werte einzeln gewichtet und zusammen mit sekundären Defekten in
eine Gesamtbewertung einfließen. Anhand dieses Systems soll der
Untersuchende zuerst die Symmetrie von Auge, Wange und Mund im
Ruhezustand einordnen. Er kann für jede einzelne Einheit einen Wert von 0 – 2
festsetzen. Diese Werte werden im Anschluss addiert und mit fünf multipliziert.
In weiterer Folge soll der Untersuchende die Bewegungsmöglichkeiten des
Gesichts bei der Durchführung dreier standardisierter Bewegungen beobachten
und jeweils auf einer Skala von 1 – 5 bewerten. Die einzelnen Ergebnisse
werden sodann wiederum summiert und mit 4 multipliziert. Zuletzt soll der Grad
der Synkinese ebenfalls während der fünf standardisierten
Gesichtsbewegungen eingeschätzt und auf einer Skala von 0 bis 4 bewertet
werden. Der Gesamtwert wird nun so berechnet, dass der Wert des
Ruhezustandes und der Wert der Synkinesebeurteilung, vom Wert der
Bewegungsbewertung abgezogen werden. Im Ergebnis lässt diese Methode
eine feinere Nuancierung der Bewertung der Funktion des Nervus facialis vor
und nach einer Behandlung einer Nervenverletzung zu. Solche rehabilitative
Veränderungen waren mit dem House-Brackmann System bis dahin kaum
darzustellen. (Kang 2002, 770)
Die Nachteile des Sunnybrook Systems liegen vor allem darin, dass die
Einbeziehung der sekundären Defekte zwar in einer nachvollziehbaren Art und
Weise erfolgt, dass aber über die Einbeziehung von Synkinesen hinaus, keine
weiteren sekundären Defekte berücksichtigt werden können. Außerdem ist
dieses System von einer starken Interobserver-Variabilität gekennzeichnet.
(Kang 2002, 770)
21
4. 5 Computergestützte Bewertungsverfahren
Der technische Fortschritt im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung hat
in der letzten Zeit dazu geführt, dass bei der Beurteilung der
Funktionstüchtigkeit des Nervus facialis immer stärker auch Computergestützte
Verfahren Anwendung finden. Ein Computer kann zur Bestimmung von
Facialisparesen deutlich größere Datenmengen in deutlich kürzerer Zeit
verarbeiten und somit quantifizier- und reproduzierbare Daten schaffen.
Außerdem können Computersysteme deutlich geringere Unterschiede in der
Funktion des Nervus facialis wahrnehmen, weil sie auch solche Veränderungen
erfassen können, die für den menschlichen Beobachter fast nicht wahrnehmbar
sind. Eine Methode ist jene, welche von Neely et. al.. entwickelt wurde. Sie
fertigten Fotografien von den Patienten an, welche deren Gesicht im
Ruhezustand zeigten und eine Reihe von aufeinanderfolgenden Fotografien,
welche das Gesicht in Bewegung zeigten. Nach der Digitalisierung der Bilder
wurden jene Bilder, welche vom Gesicht des Patienten in Bewegung
aufgenommen wurden, von dem im Ruhezustand aufgenommenen Gesicht
subtrahiert. So dass auf dem Ursprungsbild nur jene Pixel weiterhin angezeigt
werden, die sich nicht verändert haben. Jene Pixel die sich nicht veränderten,
zeigen somit auch jene Stellen des Gesichtes an, welche nicht bewegt werden
konnten. Anhand der vom Computer ausgezählten unveränderten Pixel konnte
somit auch eine Bewertung errechnet werden, welche mit den Bewertungen des
House-Brackmann Systems korrelierte. In einer weitergehenden Stufe wurde
dieses System dahingehend verfeinert, dass es nun auch durch die subjektiven
Bewertungen eines speziell geschulten Beobachters ergänzt wurde. Der
Beobachter konnte so die Bewertungen in ihrer Relevanz unterschiedlich
gewichten. (Kang 2002, 770) Ein weiteres computerunterstütztes Verfahren
basiert nicht auf direkten Veränderungen der Pixel, sondern misst die
Veränderungen in der Belichtung zwischen zwei Abbildungen eines Gesichtes
und weiteren Bildern, welche während der Bewegung aufgenommen wurden.
Auch dieses Verfahren scheint sehr gut mit bereits existierenden subjektiven
22
Verfahren zu korrelieren und weist dabei sehr präzise Werte auf. (Kang 2002,
770) Ein Hauptproblem dieser computergestützten Verfahren ist sicherlich, dass
für ihre Umsetzung eine spezielle elektronische Ausrüstung vorhanden sein
muss. Aus diesem Grund wurde auch mit Software experimentiert, welche ein
Verfahren auf weiter verbreiteten Computersystemen ermöglichen soll. So
wurde mit handelsüblicher Bildbearbeitungssoftware, wie Adobe Photoshop,
experimentiert. Auch mit solchen Programmen lässt sich eine Pixelsubtraktion
durchführen. Direkt zeigte dieses Verfahren jedoch nur sehr unbefriedigende
Ergebnisse. (Kang 2002, 770) Von Nachteil könnte dabei der hohe
Sachverstand sein, welcher von den Untersuchenden beim Umgang mit dieser
Software erfordert wird. Eine Möglichkeit im Krankenhausalltag wäre es jedoch,
eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den behandelnden Ärzten und
den hauseigenen IT-Fachkräften zu initiieren.
Eine wesentlich modernere Verfahrensweise ist die Anwendung der Moire-
Topographie auf das menschliche Gesicht. Hierbei wird ein dreidimensionales
Abbild des Gesichtes aufgenommen. Dabei lassen sich die beiden
Gesichtshälften sehr gut miteinander vergleichen, so, dass auch sehr feine
Unterschiede gemessen werden können. Studien hierzu haben gezeigt, dass
ein, durch dieses Verfahren ermittelter Moire-Index sehr gut mit Ergebnissen
des House-Brackmann Systems korrelierte. Der Nachteil dieser Methode
besteht jedoch wiederum darin, dass auch für sie die Anschaffung eines
speziellen Computersystems und eine Schulung des Anwenders notwendig
sind. (Kang 2002, 770) Der hohe Aufwand, welchen die computerunterstützten
Systeme folglich aufweisen, macht diese für den praktischen Einsatz in der
Medizin weniger interessant (Kang 2002, 770)
4. 6 Facial Nerve Grading System 2.0
Im Jahre 2009 wurde vom FND Komitee das Facial Nerve Grading System 2.0
eingeführt, welches die Beschränkungen des House-Brackmann Systems
ausräumen sollte, ohne jedoch dessen einfache Anwendbarkeit zu gefährden.
23
Zwar können durch dieses System nicht quantifizierbare sensorische Defizite
nicht verarbeitet werden, jedoch ist hiermit eine genaue Bestimmung der
Bereiche der Augenbrauen, des Auges und der nasolabialen Falte, der
Mundregionen möglich. Auch können die Bewegungsmöglichkeiten des
Gesichtes zu jedem Zeitpunkt der Lähmung beurteilt werden. Während das
House-Brackmann System Synkinesen noch unter anderen Punkten
subsummierte, werden diese im FNGS 2.0 in einer eigenen Kategorie erfasst
und im Wertebereich von 0-3 skaliert. Darüber hinaus eignet sich das FNGS 2.0
auch für eine genauere Einteilung jener Grade, welche im House-Brackmann
System mit den Graden II und IV skaliert wurden und schwer voneinander zu
unterscheiden sind. (Lee 2013, 137) Im Vergleich zum House-Brackmann
System zeigte sich beim FNGS 2.0 System, dass eine geringere
Genesungsrate bei behandelten Patienten mit Facialisparesen festzustellen
war. Diese geringere Rate lässt sich sicherlich auf die deutlich detailliertere
Erfassung von Werten zurückführen, so dass eine regionale Anwendung und
auch die Evaluation von Synkinesen zur besseren Erfassung der tatsächlichen
Genesungsraten beitragen. (Lee 2013, 137) Das FNGS 2.0 ist nicht nur sehr
nützlich, wenn es darum geht, zwischen den Graden III und IV genauer zu
unterscheiden, sondern leistet auch bei der Beurteilung von schwach
ausgeprägten Paresen zwischen III und IV bessere Dienste, als das House-
Brackmann System. Die bessere Erfassung der Genesungsraten und die
strengere Beurteilung einer vollständigen Genesung sind besonders im Bereich
der Forschung von Vorteil. Bei der Beurteilung der Wirksamkeit von
Medikamenten ist eine strengere Erfassung des Zustandes der vollkommenen
Genesung jedenfalls von Vorteil. (Lee 2013, 137).
4. 7 Das grobe System
Der Umstand, dass bereits das House-Brackmann System einen gewissen
Komplexitätsgrad aufweist und deswegen im klinischen Alltag sehr
wahrscheinlich nur grob umgesetzt wird, ist die Grundlage für ein simplifiziertes
System, welches von Alicandri-Ciufelli et al. 2013 vorgeschlagen wurde. Im
24
klinischen Alltag würde das House-Brackmann System oftmals nur sehr
oberflächlich eingesetzt werden, die Parese des Patienten würde also anhand
offensichtlicher Merkmale eingeteilt. So seien etwa die Grade I, für die normale
Gesichtsfunktion und der Grad VI für die vollständige Parese relativ leicht zu
beurteilen. Auf dieser Grundlage schlugen also Alicandri-Ciufelli et. al. eine
simple und oberflächliche Einteilung in sechs Grade vor. Wobei Grad I für eine
normale Funktion, Grad II für eine leichte Parese, Grad III für eine stärker
ausgeprägte Parese mit der noch vorhandenen Fähigkeit, die Augen zu
schließen, Grad IV für eine ebensolche ohne die Fähigkeit, die Augen zu
schließen, Grad V für eine nahezu vollständige Parese mit nur noch geringen
Bewegungsmöglichkeiten und Grad VI für die vollständige Parese stehen
würden. (Alicandri-Ciufelli et. al., 176) Alicandri-Ciufelli et al. verglichen die
Bewertungsergebnisse des House-Brackmann Systems mit jenen der gröberen
Methode anhand der Beurteilung von 50 Patienten mit Facialisparesen. Dabei
zeigte sich eine sehr starke Korrelation zwischen den Ergebnissen. Das
gröbere System wies darüber hinaus eine wesentlich höhere Interobserver-
Reliabilität auf, als das klassische House-Brackmann System. Aufgrund des
Umstandes, dass in Zukunft verstärkt computergestützte Beurteilungsverfahren
in der Bewertung von Facialisparesen genutzt werden, sei die Nutzung des
gröberen Systems vor allem eine Ergänzung, welche den praktischen Umgang
erleichtern solle. Sie stellt damit nach Meinung der Autoren einen sinnvollen, da
praktischen und leicht anzuwendenden Ersatz für das House-Brackmann
System da, vor allem wenn davon ausgegangen wird, dass sie nicht das
alleinige Mittel zur Beurteilung der Paresen sind, sondern nur ein ergänzendes
Hilfsmittel. (Alicandri-Ciufelli et. al., 178)
25
5. Studien und Erkenntnisse zur Behandlung
5. 1 Regenerationsraten
In einer 2002 veröffentlichten Studie beschrieb Peitersen den spontanen
Krankheitsverlauf von 2500 Patienten. Ziel dieser Studie war es, den spontanen
Verlauf der idiopathischen Facialisparese zu erklären. Dies geschah unter der
Voraussetzung, dass keine weiteren medizinischen Handlungen vorgenommen
werden sollten. (Peitersen 2002, 4) Die Daten von 2570 Fällen wurden aus
einem Zeitraum von 25 Jahren ausgewertet. Unter den untersuchten Fällen
befanden sich 1701 Fälle der Bellschen Parese und 869 andere Formen der
Parese. Insgesamt wurden 38 verschiedene Ätiologien erkannt. Bei der ersten
Untersuchung jedes Patienten wurde eine allgemeine HNO-Untersuchung
durchgeführt. Diese beinhaltete eine gründliche Beschreibung des Grades und
der Verortung der Parese, des Geschmacks, sowie Tests der Reflexe des
Steigbügelmuskels und des Tränennasenganges. Dazu wurde auch eine
Überprüfung des Hör- und Gleichgewichtssinnes durchgeführt.
Folgeuntersuchungen wurden im ersten Monat wöchentlich und darauf
monatlich (bis zu maximal einem Jahr) bis zur vollständigen Genesung
durchgeführt. In der Erstuntersuchung wurden zu 30% unvollständige und zu
70% vollständige Lähmungen diagnostiziert. In den Folgeuntersuchungen
zeigte sich aber, dass sich die Funktion des Nervus facialis bei 85% der
Patienten innerhalb der ersten drei Wochen regenerierte. Bei den restlichen
15% der Patienten dauerte der Heilungsprozess zwischen 3 und 5 Monaten.
Bei 12% der Patienten wurden leichte Folgeschäden diagnostiziert, bei 13%
waren es mittlere und bei 4% der Patienten schwere Folgeschäden.
Kontrakturen konnten bei 17% der Patienten festgestellt werden. Aus dem
Vergleich mit den in der Literatur veröffentlichten Ergebnissen zeigte Peitersen,
dass durch keine bekannte Behandlungsform bessere Ergebnisse in Bezug auf
die Dauer der Heilung und die Folgeschäden erzielt werden könnte. Deshalb
26
warnt Peitersen insbesondere vor einem Einsatz von Prednison, da keine
Beweise für dessen Wirksamkeit erzielt worden seien und Behandlungen mit
diesem Mittel von daher ethisch kaum zu rechtfertigen seien. (Peitersen 2002,
27)
5. 2 Facialisparesen nach Operationen
In einem 2011 veröffentlichten Bericht beschrieb Richard A. Rison das Auftreten
einer Facialisparese nach einer Temporalarterienbiopsie. Da im Falle der
Riesenzellenarteriitis diese Methode zum Gold-Standard zählt, ist ihre
Anwendung relativ häufig. Gerade die Tatsache, dass Temporalarterienbiopsien
in den verschiedensten Fachrichtungen durchgeführt werden, macht es nach
Rison notwendig, auf das Gefahrenpotential des Eingriffes - insbesondere was
die Gefahr der Verletzung des Nervus facialis betrifft - hinzuweisen. (Peitersen,
2002, 27) 2008 beschrieb Finsterer, dass es bisweilen schwer sein kann, eine
Bellsche Lähmung zu diagnostizieren, wenn Faktoren gefunden werden, welche
ebenfalls eine Facialisparese hervorrufen können. Er wies auch darauf hin,
dass die Ätiologie der Bellschen Lähmung noch immer unbekannt sei, wiewohl
verschiedene Theorien, wie etwa eine Autoimmunkrankheit oder ein viraler
Infekt postuliert worden seien. (Finsterer 2008, 750)
5. 3 Regenerative Eingriffe am Nervus facialis
Castro Ferreira schlägt in einem 1987 erschienenen Artikel die Anwendung
eines Cross-Facial-Nerve Graft vor. Ein Cross-Facial Nerve Graft kann sowohl
in einem, als auch in zwei Operationsschritten gesetzt werden. Castro-Ferreira
empfiehlt jedoch das zweistufige Operationsverfahren. (Ferreira 1987, S. 601)
Die Vorteile des zweistufigen Verfahrens liegen demnach vor allem in einer
kürzeren Operationszeit pro Eingriff. In einer einem einstufigen Verfahren
besteht aufgrund der erhöhten Dauer des Eingriffs eine größere Gefahr, dass
27
die Genauigkeit des Chirurgen zum Ende des Eingriffs hin nachlässt. Des
Weiteren könnte der distale Stumpf des Transplantats in der zweiten Stufe
direkt untersucht und sein Zustand präzise evaluiert werden. Darüber hinaus
könnte die Entscheidung darüber, ob das Transplantat mit dem Nervus facialis
verbunden werden oder dazu genutzt werden sollte einen Muskeltransfer zu
reinnervieren, auf den zweiten Eingriff verschoben werden. Dadurch ergibt sich
die Möglichkeit einer weiteren Evaluierung des Status des gelähmten
Gesichtsmuskels. (Ferreira 1987, S. 601) Beim ersten Eingriff wird auf der nicht
gelähmten Gesichtsseite zuerst ein lateraler Schnitt bei der nasolabialen Falte
durchgeführt, um den Bichat-Fettpropf freizulegen, welchen Castro-Ferreira als
gute Landmarke für die Verortung des Plexus buccalis des Nervus facialis
empfiehlt. Ein Nervenstimulator hilft dabei, die distalen Teile der oberen und
unteren bukkalen Zweige zu lokalisieren und nach ihren Innvervationsgebieten
zu unterscheiden. Jener Zweig, welcher kranialer gelegen ist, wird dabei
aufgrund der Tatsache, dass sein Durchmesser dem des
Wadennerventransplantats ähnelt, ausgewählt. Eine Durchtrennung dieses
Astes führt nach Castro-Ferreira zu keinen nennenswerten Lähmungen auf der
gesunden Gesichtshälfte. (Ferreira 1987, S. 602) Der untere bukkale Zweig
unterteilt sich in zwei oder drei Verästelungen und ist mit kommunizierenden
Zweigen des oberen bukkalen Zweigs verbunden. Hier werden zumeist zwei
Verästelungen ausgewählt und mit einem anderen Segment des Nervus suralis
verbunden. (Ferreira 1987, S. 602) Hierauf wird ein ganzer suraler Nerv
entnommen, aufgeteilt und über einen subkutanen Tunnel durch die obere
Lippe zur gelähmten Gesichtshälfte geschoben, wo er so nah am Ohr wie
möglich an der Dermis befestigt wird. Eine genaue mikrochirurgische
Annäherung der Stümpfe der Facialisäste und des Transplantats sollte
vorgenommen werden, um dessen bestmögliche Reinnervation zu
gewährleisten. Dies wird mit dem oberen Zweig über einen Nervennaht
verbunden, während die unteren Zweige mit einem anderen Segment des
Nervus suralis verbunden werden sollten. (Ferreira 1987, S. 602) Nach vier bis
fünf Monaten wird das Nerventransplantat über ein Hautstraffungsverfahren
freigelegt. Hierauf werden die Neuroma unter dem Mikroskop untersucht. In den
meisten Fällen sollten diese das Muster eines normalen Nervs zeigen. (Ferreira
28
1987, S. 602) Nach Castro-Ferreira zeigt sich, dass sich das
Nerventransplantat, welches mit den oberen bukkalen Zweigen verbunden
wurde, meistens besser an die neue Umgebung anpasst, als die anderen
Transplantate. Sollte anschließend die Entscheidung für eine Verknüpfung mit
dem Nervus facialis fallen, werden die bukkalen und zygomatischen Zweige
dort abgetrennt, wo sie die Ohrspeicheldrüse verlassen. Danach werden sie
getrennt und mit ihrem distalen Teil mit dem Transplantat vernäht. Sollte die
Entscheidung für einen Muskeltransfer fallen, kann das Transplantat entweder
mit dem motorischen Nerv oder mit dem Muskel selbst vernäht werden.
(Ferreira 1987, S. 603) Nach Castro-Ferreira sind drei Faktoren für den
Chirurgen von besonderer Bedeutung, wenn es um die Wahl der Art der
operativen Behandlung und die Prognose einer Facialislähmung geht: erstens
ob die Lähmung vollständig ist oder nicht, zweitens ob der Nervus facialis
rekonstruiert werden kann oder nicht und drittens ob die Lähmung vor kurzem
aufgetreten ist oder schon seit längerem besteht. (Ferreira 1987, S. 602) Ein
Cross-Facial Nerve Graft sollte dabei nur dann angewandt werden, wenn die
Lähmung nicht durch eine Rekonstruktion des Nervus facialis behandelt werden
kann. Bei seit längerem bestehenden Lähmungen kann eine solche Prozedur
möglicherweise ebenfalls nicht angewandt werden, da hier die Regeneration
des Nervus facialis und die Muskelreinnervation und – reaktivierung
beeinträchtigt sein könnte. (Ferreira 1987, S. 602) Castro-Ferreira empfiehlt
daher, seine Methode nur bei Patienten anzuwenden, deren Lähmung vor
maximal sechs Monaten eingetreten ist. (Ferreira 1987, S. 602)
In einer von Volk et al. im Jahre 2010 veröffentlichten Studie, schlugen die
Autoren auf Basis von Fallstudien eine standardisierte Vorgehensweise bei der
operativen Behebung von Facialisparesen vor. Hierzu stellten sie auch wichtige
Prämissen auf, welche für die Operation am Nerv im Falle einer Facialis Parese
gegeben sein müssten: so sollte sichergestellt werden, dass es sich um eine
periphere Läsion des Nervus facialis handele und nicht um eine zentrale, wie es
etwa nach Operationen am Hirnstamm der Fall sein kann. Diese Zuordnung
sollte unbedingt im Vorfeld einer etwaigen Operation erfolgen, da eine direkte
Rekonstruktion des Facialnervs bei Patienten mit einer zentralen Parese nicht
erfolgreich verlaufen könnte. (Volk et al. 2010, 2) Auch die Patienten, welche für
29
eine Operation in Frage kommen, wurden von Volk et al. in zwei verschiedene
Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe besteht aus jenen Patienten, welche keine
Anzeichen einer Regeneration des Nervus facialis aufweisen, weil ein
Aussprossen der Axone proximal zum Läsionsort behindert wird. Die zweite
Gruppe besteht aus jenen Patienten, bei denen zwar eine Regeneration
stattgefunden hat, jedoch in einer defizitären Art und Weise, welche sie
funktionell behindert. Hierzu wären etwa auftretende Synkenisien oder
Dyskinesien zu zählen. (Volk et al. 2010, 2) Volk et al. empfehlen eine
standardisierte Arbeitsabfolge, welche präoperativ mit dem Patienten
durchgeführt werden sollte. Zuerst sollten EMGs durchgeführt werden, welche
dem Arzt genaue Informationen über die Schwere von etwaigen Defekten
geben könnten. So Prognosen über die Wahrscheinlichkeit der spontanen
Heilung angestellt werden. Aber auch die Schwere von Heilungsdefiziten lässt
sich solchermaßen abschätzen. (Volk et al. 2010, 3) Ein MRT hilft, die Läsion
des Facialen Nervs im Hirnstamm zu lokalisieren. Auch der zerebellopontine
Winkel und der intratemporale Verlauf des Nervs können mit dieser Methode
visualisiert werden. Im Falle einer bereits länger vorhandenen Schädigung des
Nervs kann über ein MRT auch ermittelt werden, in wie weit die mimische
Muskulatur noch als vital angesehen werden kann. (Volk et al. 2010, 3)
Die Wahl der richtigen Rehabilitationstechnik muss sich nach Volk et al. nach
der Verortung und an der Dauer der Parese richten. Anhand dieser beiden
Faktoren können die möglichen Techniken grob in drei Kategorien eingeteilt
werden: erstens die frühe (innerhalb der ersten zwei Monate) extratemporale
Rekonstruktion, zweitens die frühe Rekonstruktion im Falle einer proximalen
Läsion oder der Unmöglichkeit einer extratemporalen Rekonstruktion und
drittens die verzögerte oder späte (12-18 Monate nach der Läsion)
Rekonstruktion, etwa auch im Falle einer angeborenen Parese. (Volk et al.
2010, 4) Besonders die frühe extratemporale Rekonstruktion des Nervus
facialis ist dabei jene, bei welcher die meisten Umstände berücksichtigt werden
müssen. So sollten bei Patienten mit einer traumatischen Läsion oder bei einer,
durch einen operativen Eingriff verursachten Läsion, die Nervenenden so bald
wie möglich vernäht werden. Im Falle einer Tumorresektion sollte noch während
desselben Eingriffes vernäht werden. (Volk et al. 2010, 5)
30
Innerhalb der ersten zwei Monate nach dem Trauma kann ein Vernähen der
Nervenstummel zumeist noch geschehen, ohne dass Nervengewebe den
Chirurgen dabei behindert. Ein direktes Vernähen kann dabei jedoch
durchgeführt werden, wenn die Nervenstummel scharfkantig also durch ein
direktes Trauma beeinflusst worden waren. (Volk et al. 2010, 4)
Wird eine Operation zu spät angesetzt, oder kann aus anderen Gründen ein
Abstand zwischen den Nervenenden erkannt werden, welche über einen
Zentimeter Länge hinausgeht, muss eine Nerventransplantation vorgenommen
werden. Als Spendernerven haben sich hierfür der größere aurikulare Nerv und
der surale Nerv als geeignet erwiesen. Volk et al. raten von der Verwendung
von Nervenrohren als alloplastischer Alternative jedoch ab. (Volk et al. 2010, 4)
Bei Läsionen des Nervus facialis, welche proximal zur Foramen
stylomastoideum zu verorten sind, ist es laut Volk et al. notwendig, genau zu
überprüfen, ob eine Rekonstruktion mit dem proximalen Nerv noch immer
durchgeführt werden sollte oder ob stattdessen eine nervenübergreifende Naht
gesetzt werden sollte. Bei einer Rekonstruktion des intratemporalen
Facialisnervs kann eine komplette Transplantation zu besseren funktionalen
Ergebnissen führen als eine bloß teilweise, bei welcher versucht wird, die noch
vorhandenen Nervenfasern zu erhalten. Allgemein seien nach Volk et al. die
funktionellen Ergebnisse nach einer nervenübergreifenden Naht (wenn ein
neuer motorischer Nerv verwendet wird) bei proximalen Läsionen des Nervus
facialis besser. In jedem Fall aber seien beide Methoden einer Umleitung des
Nervs vorzuziehen. (Volk et al. 2010, 5) Nach einer Zeit von mehr als sechs
Monaten ohne Innervierung ist ein starker motorischer Nerv notwendig um die
mimische Muskulatur erneut zu beleben. Eine Anastomose des Nervus facialis
und des Nervus hypoglossus kann hierbei auch nach bis zu zwei Jahren nach
der Operation zu befriedigenden Ergebnissen führen. Dabei sollte jedoch
beachtet werden, dass der erwartbare Regenerationsgrad mit der Zeit immer
stärker absinkt. Der Patient sollte überdies darüber informiert werden, dass es
sechs Monate und länger dauern kann, bis die ersten Anzeichen einer
Reinnervation der mimischen Muskulatur bemerkbar wird. Sollte eine
Vernetzung des beeinträchtigten Nervus facialis mit dem der Gegenseite
durchgeführt werden, so kann eine Reinnervation wesentlich mehr Zeit
31
benötigen, da eine größere Distanz überbrückt werden muss. Um hierbei eine
gewisse Abhilfe zu verschaffen, kann eine so genannte Babysitter-Prozedur
durchgeführt werden, indem parallel eine Anastomose des beeinträchtigten
Nervus facialis und des Nervus hypoglossus hergestellt wird. (Volk et al. 2010,
8)
Nachdem die Zeit, bis erste Anzeichen einer Rehabilitation erkannt werden
können äußerst lang ist, können weitere kleinere begleitende chirurgische
Korrekturen notwendig werden, welche durch die langandauernde Lähmung
des Gesichts des Patienten hervorgerufen werden. Der Patient sollte deshalb,
so Volk et al., auf jeden Fall bereits vor einer etwaigen Operation über diesen
Umstand informiert werden. (Volk et al. 2010, 8)
Dyskinesien und Synkinesien welche bei einer Regeneration von Nerven
auftreten können, können durch den Einsatz von Botulinum Toxin vermindert
werden. Da der Einsatz von Botulinum Toxin reversibel ist, kann er individuell
an die Belange des Patienten angepasst werden. Auch hat die Einführung
dieses Toxins dazu geführt, dass heutzutage keine selektiven Neurektomien
oder Myektomien notwendig sind. Da letztere Eingriffe irreversibel sind, sollten
sie nur dann in Betracht gezogen werden, wenn sich der Einsatz von Botulinum
Toxin als unwirksam erweist. Stellenweise kann es auch vorkommen, dass die
beeinträchtigte Gesichtshälfte im Kontrast mit der gesunden Hälfte beschädigter
wirkt, als sie eigentlich ist. In diesem Fall kann Botulinum Toxin auch auf die
gesunde Seite angewendet werden um einen ausgleichenden, kosmetischen
Effekt zu erzielen. (Volk et al. 2010, 8) Die mimische Therapie des Patienten
sollte erst dann einsetzen, wenn die ersten Anzeichen einer Regeneration
sichtbar geworden sind, da ansonsten der Patient unnötigerweise frustriert
werden könnte. Im Falle einer hypoglossalen-facialen Anastomose muss die
Therapie zuerst den Schwerpunkt auf die Bewegungen der Zunge setzen,
welche zu den Bewegungen der Mimik führen. Erst nach einiger Zeit wird er
sein Gesicht bewegen können ohne dabei an die Bewegung der Zunge denken
zu müssen. (Volk et al. 2010, 10)
In einer von Naohito, Hato et al. 2012 veröffentlichten Studie wurde der Einsatz
von bFGF-imprägnierten biologisch abbaubaren Gelatinehydrogel bei
Patienten, welche unter dem Bellschen Syndrom litten untersucht. Hierbei
32
sollten die regenerationserleichternden Effekte des Einsatzes einer neuen
Dekompressionsmethode für den Nervus facialis unter Einsatz des Firoblasten-
Wachstumsfaktors bei Patienten mit einer schweren Bellschen Lähmung
untersucht werden. Das Forschungssample bestand aus 20 an einer schweren
Bellschen Lähmung erkrankten Patienten, welche zwei Wochen nach Auftreten
der Lähmung mit dieser neuen Methode behandelt worden waren. Der Nervus
facialis wurde beim Pars mastoidea freigelegt und ein mit Firoblasten-
Wachstumsfaktor imprägniertes Hydrogel um den Nerven herum aufgetragen.
Die Regeneration des Nervus facialis wurde in der Folge nach dem House-
Brackmann System evaluiert. Die Ergebnisse wurden mit einer
vorangegangenen Studie über die Regenerationsraten nach einer
konventionellen Dekompressionschirurgie und konservativer Behandlung
verglichen. Es zeigte sich dabei, dass das Erreichen des Grad I auf der House-
Brackmann Skala, bei der neuen Methode (75%) deutlich über jenen des
konventionellen Eingriffs (44,8%) und der konservativen Methode (23,3%) lag.
Die Autoren schlossen aus ihrer Studie, dass die Vorteile ihrer
Operationsmethode in einem sehr geringen Komplikationsrisiko und einer
langen Periode, in welcher ein Eingriff nach einer Lähmung effizient ist, liegen.
(Naohito 2011, 10)
5. 4 Einsatz von Nimodipin
In einer von Angelov et al. im Jahr 1996 veröffentlichten Studie wurde der
Einfluss von Nimodipin auf die Regeneration des Nervus facialis bei Ratten
untersucht. Bei den Ratten wurde zuerst eine Anastomose des linken mit dem
rechten Facialisnerv durchgeführt. In der Folge erhielt die eine Hälfte der Ratten
normales Futter, während die andere Hälfte mit Nimodipin versetztes Futter
erhielt. Insgesamt wurden 126 Versuchstiere eingesetzt, welche in 21 Gruppen
zu je 6 Ratten eingeteilt wurden. Während eine Gruppe als Kontrollgruppe
diente, wurde bei den Ratten der übrigen 20 Gruppen eine Facialisanastomose
durchgeführt. Zehn der Gruppen wurden in der Folge mit einem Placebomittel
33
behandelt, während die anderen zehn mit Nimodipin behandelt wurden. Die
Raten wurden nach Ablauf von zehn verschiedenen Behandlungszeiten (nach
10, 14, 16, 18, 21, 24, 28, 42, 56 oder 112 Tagen) nach der Operation, getötet
und untersucht. Im Ergebnis zeigte sich, dass bereits nach 14-28 Tagen nach
der Operation die Zahl der Facialisaxone welche ihr Ziel erfolgreich erreicht
hatten, bei jenen Ratten, welche mit Nimodipin behandelt worden waren
deutlich höher war, als bei jenen, welche kein Nimodipin erhalten hatten. Bei
Letzteren zeigte sich 42 Tage nach der Operation eine massive
Hyperinnervation. Zwar trat diese auch bei jenen Ratten auf, die Nimodipin
erhalten hatten, jedoch überstieg sie dort nicht mehr als 15%. Nimodipin hatte
also den Effekt, dass es auf der einen Seite die Geschwindigkeit in welcher die
Axone sich erneut versprossten erhöhte und auf der anderen Seite eine
exzessive Neurotisation unterband. (Angelov et al. 1996, 1041-1048)
2001 untersuchten Mattsson et al. die Auswirkungen einer Nimodipinmedikation
im Falle einer intrakranialen Quetschung des Nervus facialis anhand von 30
Ratten. Bei diesen wurde eine Kraniotomie auf der rechten Seite durchgeführt.
Danach wurde der Temporalisknochen entfernt und der Nervus facialis
freigelegt. Der Facialnerv wurde 0.5 mm vom Hirnstamm entfernt gequetscht.
Fünfzehn Ratten waren bereits drei Tage zuvor Nimodipinpellets implantiert
worden. Die Ratten wurden schrittweise (nach 7, 21 oder 28 Tagen) getötet und
anschließend untersucht. Es zeigte sich dabei, dass Nimodipin zwar nicht den
Neuronenverlust dämpfen, aber den zeitlichen Ablauf der Erholung und des
Nachwachsens der Axone erhöhen konnte. Es konnte auch eine erhöhte Zahl
und Größe der myelinisierten Axone im Nervus facialis festgestellt werden.
Auch am gesunden Nerv ließen sich vergrößerte Axone und Myelinscheiden
feststellen. Die Autoren sahen dies als Hinweis auf eine mögliche Verwendung
von Nimodipin im klinischen Bereich um das Axonenwachstum und die
Remyelination zu unterstützen. (Mattsson et al. 2001, 106-117)
In einer 2004 veröffentlichten Studie beschrieben Scheller et al. den klinischen
Verlauf einer verzögerten Fazialisparese nach der Resektion von
Akustikusneurinomen und postoperativer vasoaktiver Therapie. Sie
untersuchten dabei den klinischen Verlauf und die EMG-Signale bei einer
Patientengruppe, welche erst nach dem Absetzen einer vasoaktiven Therapie
34
eine verzögerte Parese eintrat. In den Jahren von 1990 – 2001 beobachten sie
sieben Patienten welche über 10 Tage HAES und Nimodipin verabreicht
bekommen hatten und nach dem Absetzen dieser Medikamente eine Parese
des Nervus facialis erlitten hatten. Bei sechs der sieben Patienten wurden
kontinuierlich abgeleitete intraoperative EMG-Signale ausgewertet. Die Paresen
der Patienten entwickelten sich sämtlich innerhalb von zwei bis fünf Tagen nach
dem Absetzen der Medikation. Innerhalb eines erneuten Therapiezyklus
konnten sich diese jedoch wieder erholen. Als Ursache für das Auftreten der
Parese nach dem Absetzen vermuteten Scheller et al. eine gestörte
Mikrozirkulation. Darüber hinaus konnten Scheller et al. zwei verschiedene
Gruppen von Patienten identifizieren: die erste Gruppe von Patienten war jene,
welche eine für Paresen typische EMG-Aktivität aufwiesen und bei denen die
Medikamente eine unmittelbar nach der Operation auftretende Parese zunächst
maskierten. Bei den anderen Patienten habe sich das Eintreten der Parese
zunächst verzögert. Als Ursache hierfür vermuteten Scheller et al. einen
möglichen protektiven Effekt der Medikamente, welche durch eine
Verbesserung der Mikrozirkulation entstanden sein könnte. (Scheller et al.
2004, 103-107)
2006 veröffentlichten Strauss et al. ein retrospektive Studie, in welcher sie den
Einfluss einer vasoaktiven Behandlungen auf den Nervus facialis untersuchten.
Das Forschungsgut bestand dabei aus 45 Patienten, an denen eine Resektion
eines Vestibularisschwannomens durchgeführt worden war. Die Daten aus
intraoperativem EMG und etwaige postoperative Verschlechterungen der
Funktion des Facialnervs wurden evaluiert. Von den Patienten wurden 20 mit
Nimodipin und Hydroxyethylstärke behandelt. Die übrigen 20 Patienten
erhielten keine weitergehende Medikation. Die Funktionalität des Nervus facialis
wurde sowohl vor als auch nach der Operation, wie auch ein Jahr nach dem
Eingriff, untersucht. Auf lange Sicht ließ sich feststellen, dass bei jenen
Patienten, welche durch die Operation eine deutliche Verschlechterung ihrer
Facialisfunktion erfahren hatten, der Regenerationsgrad deutlich besser war,
wenn sie Nimodipin und Hydroxyethylstärke erhalten hatten. (Strauss et al.
2006, 580-582)
35
2007 veröffentlichten Scheller et al. die Ergebnisse einer Studie, welche die
Wirkung von vasoaktiven Maßnahmen bei 30 Patienten mit einer
Vestibularisschwannomaresektion beschrieb. Die 30 Patienten wurden zu
Beginn in zwei Gruppen zu 14 und 16 Personen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt
bereits einen Tag vor der Operation Nimodipin und Hydroxyethylstärke. Die
andere Gruppe erhielt keine präoperative Medikation. Während der Operation
wurde eine Überwachung durchgeführt, welche sowohl ein durchgehendes
EMG des Nervus facialis, als auch akustisch evozierte Potentiale beinhaltete.
Wenn sich elektrophysiologische Zeichen einer Verschlechterung des Nervus
facialis oder des Nervus cochlearis ausmachen ließen, so wurde umgehend mit
einer vasoaktiven Medikation begonnen. Es zeigte sich, dass die
prophylaktische vasoaktive Medikation zu wesentlich besseren Resultaten
führte als keine oder eine intraoperative Medikation. Die Autoren gehen deshalb
davon aus, dass vasoaktive Medikation zukünftig als Routineprophylaxe
empfohlen sein wird. (Scheller et al. 2007, 94-96)
Im Jahr 2010 veröffentlichten Lindsay et al. eine Studie, in welcher sie der
Frage nachgingen, ob Nimodipin die Wiederherstellung der Funktionen des
Nervus facialis nach einer Quetschverletzung beschleunigt oder verbessert.
Hierzu wurde bei 30 Ratten eine Quetschverletzung des Nervus facialis am
linken Hauptstamm herbeigeführt. Die Ratten wurden in zwei Gruppen zu 15
Tieren aufgeteilt, wovon eine als Kontrollgruppe fungierte. Vier Tage vor dem
Zufügen der Verletzung wurde einer Gruppe ein Nimodipin absonderndes Pellet
unter der Haut implantiert. Die Tiere wurden vor dem Eingriff einmal überprüft.
Nach dem Eingriff fanden in regelmäßigen Abständen weitere Tests statt. Jene
Gruppe, welche Nimodipin erhalten hatte, wies bereits fünf Tage nach der
Operation bessere Werte auf als die Vergleichsgruppe. Insgesamt wiesen diese
Tiere eine höhere Regenerationsrate auf, als die unbehandelten Tiere. Die
Autoren schlossen daraus, dass auch aufgrund des geringen
Nebenwirkungsprofils, eine Anwendung von Nimodipin bei Patienten mit
Verletzungen des Nervus facialis zu empfehlen sei. (Lindsay et al. 2010, 49-52)
In einer 2013 veröffentlichten Studie gingen Scheller et al. der Frage nach, ob
der neuroprotektive Effekt von Nimodipin in einem Zusammenhang mit seinem
Serumspiegel steht. Hierzu wurde eine konsekutive Serie von 37, an einem
36
Vestibularisschwannom leidenden, Patienten ab dem ersten Tag vor der
Operation, bis zum siebenten Tag nach der Operation, einer retrospektiven
Analyse unterzogen. Die Patienten wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Die erste
Gruppe von 17 Patienten erhielt eine Standarddosierung an enteralem
Nimodipin. Die zweite Gruppe von 20 Patienten erhielt eine Standarddosierung
an parenteralem Nimodipin. Der Nimodipinspiegel wurde in prä- und
postoperativen Serum- und Liquorproben gemessen. Sowohl die Funktionen
des Nervus cochlearis, wie auch die des Nervus facialis wurden vor der
Operation, kurz danach und ein Jahr darauf dokumentiert. Im Ergebnis zeigte
sich, dass die Funktionswerte des Nervus facialis in jener Gruppe signifikant
besser waren, welche eine parenterale Nimodipinmedikation erhalten hatte.
Eine logistische Regressionsanalyse zeigte, dass das Risiko für eine
Verschlechterung der Facialisfunktion bei diesen um sieben Mal geringer war,
als bei jener Gruppe welche enterales Nimodipin erhalten hatten. Der
Nimodipinspiegel war in dieser Gruppe während und nach der Operation, wie
auch in Serum und Liquor signifikant höher. Scheller et al. schlossen daraus,
dass die neuroprotektive Effizienz des Nimodipins in einem Zusammenhang mit
seinem Serumspiegel steht und von daher auch mit der Art der Verabreichung.
Aus diesem Grund empfahlen sie eine parenterale Verabreichung von
Nimodipin in der Behandlung von Vestibularisschwannomen. (Scheller et al.
2013)
5. 5 Schwannomaresektionen und der Nervus facialis
In einer 2009 veröffentlichten Studie untersuchten Upile et al. die Eignung der
Arteria stylomastoidea als einer Landmarke für den Nervus facialis während der
Operation an der Ohrspeicheldrüse. Hierzu wurden 100 aufeinanderfolgende
Parotidektomien evaluiert und anatomische Studien an 50 Leichnamen
durchgeführt. Es konnte dadurch festgestellt werden, dass die Arteria
stylomastideum dazu tendiert, in ihrer Position weniger zu variieren, als der
Nervus facialis. Folgt man dieser Arterie, so lässt sich der Stamm des
37
Facialisnerves, welchen sie versorgt relativ leicht ausmachen. Der Ursprung der
Arteria stylomastoideum ließ sich entweder an der Arteria occipitalis oder an der
Arteria auricularis posterior festmachen. Upile et al. schlossen daraus, dass
eine Nutzung der Arteria stylomastoidea als Landmarke, das Verletzungsrisiko
des Nervus facialis bei Operationen weiter verringern könnte. (Upile et al. 2009,
1-5)
In einer von Bloch et al. im Jahr 2010 veröffentlichten Studie wurden die
Faktoren untersucht, welche dazu dienen könnten die Funktion des Nervus
facialis nach der chirurgischen Resektion eines Vestibularisschwannoms
aufrechtzuerhalten. Zu diesem Zweck wurden die prognostischen Faktoren, wie
Alter, Größe des Tumors, Ausmaß der Resektion und die chirurgische Methode,
in Bezug auf die postoperative Funktionstüchtigkeit des Nervus facialis
ausgewertet. Hierzu wurden alle, in der Datenbank befindlichen,
Vestibularisschwannom-Patienten aus den Jahren 1984-2009 überprüft.
Patienten mit einer präoperativen Facialisparese wurden aus der Auswahl
entfernt. Insgesamt wurden die Daten von 624 Patienten ausgewertet. Die
Auswertung ergab, dass allein die Größe des Tumors signifikante
Auswirkungen auf den Zustand des Nervus facialis nach der Operation hatte.
Da eine Facialislähmung schwere Auswirkungen auf den psychischen Zustand
eines Patienten haben kann, empfahlen die Autoren der Studie, bei großen und
anatomisch unvorteilhaften Tumoren besondere Vorsicht walten zu lassen.
(Bloch et al. 2011, 281-286)
In einer 2011 veröffentlichten Studie untersuchten Wierzbicka et al. die
Signifikanz von Facialisparesen und nicht diagnostizierter Nerveninfiltration bei
Patienten mit Ohrspeicheldrüsenmalignitäten. Hierzu wurden 103 Patienten aus
dem Zeitraum von 1996 – 2006 untersucht. Bei der Erstuntersuchung litten 32
Patienten unter einer Facialisparese. Während der Studie wurde die Korrelation
zwischen der Funktionalität des Nervus facialis vor der Behandlung und den
Eigenschaften des Patienten untersucht. Es zeigte sich, dass eine
Facialisparese eine starke prognostische Korrelation mit einem schlechten
Ausgang der Behandlung bösartiger Neoplasmen in der Ohrspeicheldrüse
aufwies. Eine Beeinträchtigung des Nervus facialis vor dem chirurgischen
Eingriff deutet demnach signifikant auf eine kürzere Überlebenszeit hin. Eine
38
Facialisparese korrelierte mit größeren Tumoren und einem höheren
histologischen Grad der Bösartigkeit. (Wierzbicka et al. 2012, 1177-1182)
5. 6 Akustikusneuronome und der Nervus facialis
Im Jahr 2002 veröffentlichte Strauss eine prospektive Studie über die
chirurgischen Implikationen des Verlaufs des Nervus facialis innerhalb des
Kleinhirnbrückenwinkels. Hierzu wurden 22 konsekutive Patienten, welche
innerhalb der Jahre von 1997 bis 2001 einer Operation via suboccipito-lateralen
Zugang, aufgrund eines mittleren Akustikusneuronoms, unterzogen worden
waren, in die Studie aufgenommen. Bei allen Patienten war ein prä- und ein
postoperatives MRT angefertigt worden. Darüber hinaus wurde präoperative
Elektromyographie durchgeführt. Die Bewertung beruhte auf den Daten der
intraoperativen Elektromyographie, sowie auf den Videoaufnahmen der
Operation. Im Durchschnitt wurden die Patienten 19 Monate nach dem Eingriff
erneut untersucht. Die präoperative Evaluation der Funktionalität des Nervus
facialis ließ folgende Verteilung nach der House-Brackmann Skala erkennen: 6
Patienten mit Grad I, 14 Patienten mit Grad II, zwei Patienten mit Grad III.
Während der Operation konnte bei acht Patienten im Wurzelbereich eine
deutliche Aufspaltung des Nervs während seines intrazisternalen Verlaufs
erkannt werden. Der Nervus facialis konnte hier in einen kleineren Teil, welcher
kranial und parallel zum Nervus trigeminus verlief und einen größeren Teil,
welcher auf der Vorderseite des Tumors verlief, unterschieden werden. Beide
Teile trafen dann vor dem Porus wieder zusammen, ohne dass sich das
Nervenbündel weiter aufspaltete. In zwei Fällen wurde der Nerv auf der hinteren
Oberfläche des kranialen Tumors gefunden. In einem Fall trat der Nerv im
unteren Teil des Kanals in den Porus ein und nahm erst im mittleren Teil des
Kanals seine erwartete anatomische Position ein. Bei den übrigen Patienten
war entweder einer kranialer, mittlerer oder kaudaler Verlauf anzutreffen. Nach
der Operation hatte sich die Fazialisfunktion bei den meisten Patienten
verschlechtert. Bei 10 Patienten wurde die Fazialisfunktion mit den Graden II –
III auf der House-Brackmann Skala und bei einem Patienten sogar mit dem
39
Grad V bewertet. Strauss empfahl daher, dass bei der Operation von medialen
Akustikusneuronomen ein besonderes Augenmerk auf einen möglichen
atypischen Verlauf des Nervus facialis gelegt werden sollte, da ein solcher in
den meisten Fällen zu erwarten sei. So war ein aufgeteilter Verlauf in 36% der
untersuchten Fälle anzutreffen. Um die Funktion des Nervus facialis zu
erhalten, empfahl Strauss den sorgfältigen Einsatz einer intraoperativen
Stimulation des Gesichtsnervs, sowie dessen durchgehende intraoperative
Überwachung. (Strauss 2002, 1083-1090)
In einem 2010 veröffentlichten Papier beschrieben Midori et al. die
Auswirkungen der durchgehenden intraoperativen Überwachung des
Facialnervs Mittels Elektromyographie bei der Resektion von
Akustikusneurinomen. Hierzu wurden die Daten jener derartig chirurgisch
behandelten Patienten in Bezug auf die Nützlichkeit der Methode in der
Erhaltung der Funktion des Nervus facialis ausgewertet. Insgesamt wurden die
Daten von 216 Patienten ausgewertet. Dabei wurde die Funktionstüchtigkeit
direkt nach der Operation sowie im Jahr darauf gemessen. Im Ergebnis zeigte
sich, dass die Erhaltungsrate der Funktionalität des Nervus facialis bei den
Patienten bei einer durchschnittlichen Tumorenresektionsquote von 98,2%, bei
98,6% lag. Die Amplitudenerhaltungsrate korrelierte signifikant mit der Funktion
des Nervus facialis und zwar sowohl direkt nach der Operation, wie auch ein
Jahr darauf, um eine Facialisparese zu vermeiden, erschien eine
Amplitudenerhaltungsrate von über 50% eine hilfreiche Warnschwelle zu sein.
Die Autoren schließen aus ihren Ergebnissen, dass eine durchgehende
intraoperative Überwachung mittels Elektromyographie bei der Resektion von
Akustikusneuronomen sowohl die Schädigungsrate des Nervus facialis senkt,
als die Exzisionsrate des Tumors erhöht. (Midori 2011, 1059-1067)
In einer 2010 veröffentlichten Studie untersuchten Hillman et al. die
Auswirkungen einer operativen Entfernung eines Akustikusneurinoms auf den
Nervus facialis. Die Autoren sichteten zu diesem Zweck die Bewertungen der
Funktionalität des Nervus facialis bei Patienten, bei welchen ein
Akustikusneurinom innerhalb der letzten 15 Jahre entfernt worden war und
verglichen die Ergebnisse, welche durch zwei unterschiedliche chirurgische
Herangehensweisen erreicht worden waren. Es handelte sich hierbei um den
40
chirurgischen Zugang über den retrosigmoiden Zugang oder jenen über die
mittlere Fossa. Überdies flossen auch Hörtests und Rezidivraten in die Arbeit
ein. Von den Patienten, welche im genannten Zeitraum behandelt worden
waren, waren bei 38 genügend Daten vorhanden um sie in die Studie
aufzunehmen. Es zeigte sich, dass bei Patienten, bei welchen der chirurgische
Zugang über die mittlere Fossa gewählt worden war, bei 80% der Nervus
facialis noch einen Wert von I-II auf der House-Brackmann Skala aufwies. Bei
Patienten, bei welchen der retrosigmoide Zugang gewählt worden war, wiesen
90% einen Grad von I-II auf der House-Brackmann Skala auf. Bei einer
genaueren Analyse stellte sich heraus, dass die Regenerationsgeschwindigkeit
des Nervus facialis nach einer Operation über den retrosgmoiden Zugang
deutlich höher war und Patienten, welche so operiert worden waren, über einen
längeren Zeitraum betrachtet deutlich häufiger Ergebnisse von Grad I auf der
House-Brackmann Skala erzielten. Bei der anderen Operationsmethode zeigten
sich hingegen geringere Rückfallraten und das Hörvermögen konnte ebenfalls
besser erhalten werden. Die Autoren schließen aus diesen Ergebnissen, dass
die feinen Unterschiede zwischen den Herangehensweisen dem Chirurgen
bekannt sein müssen und er die Methoden gut abwägen sollte, um die
bestmöglichen Ergebnisse für den jeweiligen Patienten zu erreichen.(Hillman et
al. 2010, 115-119)
41
5. 7 Infarkte als Auslöser einer peripheren Facialisparese
In einer 2011 veröffentlichten Fallstudie beschrieben Agarwal et al. den Fall
eines Mannes, dessen lakunärer Infarkt in seiner Symptomatik dem Bellschen
Syndrom ähnelte. Der 47-jährige Mann litt 14 Stunden lang an Übelkeit,
Erbrechen, allgemeiner Schwäche, Gesichtslähmung und schlechter
Aussprache bevor er ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Während der
Untersuchung zeigte sich, dass der Patient ansprechbar, aber lethargisch war.
Sein Blutdruck lag bei 216/142 mmHg. Er war nicht mehr dazu in der Lage,
seine Stirn auf der linken Seite in Falten zu legen. Ebenfalls konnte er auch sein
linkes Auge nicht mehr schließen. Auf seiner gesamten linken Gesichtshälfte
wurde eine Schwächung der mimischen Muskulatur diagnostiziert. Beim
Lächeln zeigten sich eine rechtsseitige Abweichung und ein Verlust der linken
nasolabialen Falte. Ein MRT des Kopfes ergab zuerst keine Hinweise auf einen
Schlaganfall. Eine Bellsche Lähmung wurde jedoch, aufgrund der Schärfe der
Symptome, des Bluthochdrucks und des enzephalopathischen Eindrucks als
wenig wahrscheinlich eingestuft. Erst eine erneute Sichtung des MRT-Bildes
unter Hinzuziehung eines Neurologen ergab, dass es sich um einen 4 mm
Infarkt handelte, welche sich auf die linke dorsale Seite des Pons auswirkte. Die
letztendliche Diagnose war die einer, durch einen lakunären Infarkt des
dorsalen Pons ausgelösten, Facialisparese und einer hypertensiven
Enzephalopathie. Die Autoren wiesen in der Schlussfolgerung darauf hin, dass
bei der Untersuchung einer Facialisparese ein Infarkt des dorsalen Pons nicht
ausgeschlossen werden darf. (Agarwal et al. 2011, 1-5)
42
6. Material und Methoden
Für diese Studie wurden Operationsberichte der Grazer Universitätsklinik für
Mund-, Kiefer- u. Gesichtschirurgie aus den letzten vier Jahren vor Abfassung
dieser Arbeit, ausgewertet. Dabei wurden solche Patienten ausgewählt, welche
eine Einschränkung der Funktion des Nervus facialis erlitten hatten. Unter
diesen wurden jene Fälle für diese Arbeit ausgewählt, innerhalb derer Paresen
unter Einsatz von Nimodipin behandelt worden waren. Dabei stellte sich heraus,
dass die Größe des Patientenguts aufgrund dieser Einschränkung äußerst
gering war. So hatten im untersuchten Zeitraum nur sechs Patienten eine
Behandlung mit Nimodipin erfahren.Ein Patient war weiblich und fünf waren
männlich, was einem Geschlechterverhältnis von 1:5 entspricht. Die
vorhandenen Daten wurden mittels des Tabellenkalkulationsprogrammes Excel
verarbeitet. Es handelte sich in erster Linie um die Dokumentation von
Geschlecht, Alter der Patienten zur Zeit der Primärversorgung, Ursachen der
Facialisparesen und deren Diagnosen, der jeweils angewandten Therapien und
Medikation.
Die Patienten wurden ca. 3 Wochen nach dem Eingriff einer Kontrolle mittels
ENG und EMG unterzogen. Eine weitere Kontrolle fand drei Monate später
statt. Die aus den Untersuchungen mittels ENG und EMG gewonnenen Daten
wurden ebenfalls mithilfe des Tabellenkalkulationsprogramms MS Excel
ausgewertet. Hierbei wurden die Abweichungen zwischen der ersten
Untersuchung, welche drei Wochen nach dem Eingriff geschah und der zweiten
Untersuchung, welche drei Monate nach dem Eingriff durchgeführt wurde,
untersucht. Mittels ENG wurden die Amplitudendifferenzen im Seitenvergleich
ermittelt. Die Ableitung der Werte fand hier mit Oberflächenelektroden statt.
Mittels EMG wurde die Gesichtsmuskulatur auf pathologische
Spontanaktivitäten untersucht. Die Ableitung wurde hier mit konzentrischen
Nadelelektroden durchgeführt.
Die statistische Auswertung und Interpretation wurden durch die Mitarbeit der
Biostatistikerin Dipl.-Ing. Irene Mischak unterstützt.
43
7. Ergebnisse
Die aus den Untersuchungen gewonnenen Daten wurden mittels des
Tabellenkalkulationsprogrammes Excel MS Excel ausgewertet. Ein Patient war
weiblich und fünf waren männlich, was einem Geschlechterverhältnis von 1:5
entspricht. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 41 Jahre. Der jüngste
Patient wurde im Alter von 28 Jahren behandelt und der älteste Patient im Alter
von 84 Jahren.
Abb. 1: Altersverteilung der untersuchten Patienten
Doch allein innerhalb dieses kleinen Patientenguts ließen sich verschiedene
Ursachen für eine Facialisparese ausmachen. Die häufigste Ursache war dabei
eine Fraktur des Unterkiefers, wobei zwei Patienten eine Unterkieferfraktur auf
der linken Seite und zwei weitere eine Fraktur des rechten Unterkiefers erlitten
hatten. Ein Patient hatte eine Jochbogenfraktur auf der linken Seite und ein
weiterer eine Facialisdurchtrennung auf der linken Seite durch eine Polzensäge
erlitten.
45
Abb. 4: Angewandte Therapien
Die angewandten Therapien unterschieden sich je nach Ursache der Parese.
Während bei jenen Patienten, welche eine Fraktur erlitten hatten, eine
Reposition und Osteosynthese durchgeführt wurde, wurde bei jenem Patienten,
welcher eine Facialisdurchtrennung erlitten hatte eine Facialisrekonstruktion
durchgeführt.
Neben der Medikation mit Nimodipin erhielt ein Patient Solu-Dacortin und ein
weiterer Novalgin. Die übrigen Patienten wurden mit Antibiotika behandelt.
Die Patienten erhielten über sechs Wochen nach dem Eingriff je 6x2 30mg
Nimodipin täglich. Ab der sechsten Woche wurde die Medikation langsam
abgesetzt. In der siebenten Woche erhielten die Patienten täglich 4x2 30mg
Nimodipin und in der 7. Woche täglich 2x2 30mg.
46
Die aus den Untersuchungen mittels ENG und EMG gewonnenen Daten
wurden ebenfalls mithilfe des Tabellenkalkulationsprogramms MS Excel
ausgewertet. Hierbei wurden die Abweichungen zwischen der ersten
Untersuchung, welche drei Wochen nach dem Eingriff geschah und der zweiten
Untersuchung, welche drei Monate nach dem Eingriff durchgeführt wurde,
untersucht.
ENG-Auswertung
Mittels ENG wurden die Amplitudendifferenzen im Seitenvergleich ermittelt. Die
Ableitung der Werte fand hier mit Oberflächenelektroden statt. Folgende Daten
wurden dabei erhoben:
1) Nervus facialis motorisch im Seitenvergleich mit Ableitung zum Musculus
frontalis
Bei den Patienten konnten weder bei der ersten Untersuchung, noch bei der
Kontrolluntersuchung Amplitudendifferenzen festgestellt werden.
2) Nervus facialis motorisch im Seitenvergleich mit Ableitung zum Musculus
nasalis
Bei den Patienten konnten weder bei der ersten Untersuchung, noch bei der
Kontrolluntersuchung Amplitudendifferenzen festgestellt werden.
3) Nervus facialis motorisch im Seitenvergleich mit Ableitung zum Musculus
orbicularis oculi.
Sowohl bei der ersten Untersuchung wie auch bei der Kontrolluntersuchung
konnten bei 5 von 6 Patienten (83%) Amplitudendifferenzen festgestellt werden.
47
4) Nervus facialis motorisch im Seitenvergleich mit Ableitung zum Musculus
orbicularis oris.
Sowohl bei der ersten, wie auch bei der Kontrolluntersuchung konnte bei einem
Patienten (16%) eine Amplitudendifferenz festgestellt werden.
EMG-Auswertung
Mittels EMG wurde die Gesichtsmuskulatur auf pathologische
Spontanaktivitäten untersucht. Die Ableitung wurde hier mit konzentrischen
Nadelelektroden durchgeführt. Folgende Daten wurden dabei erhoben:
1) Pathologische Spontanaktivitäten des Musculus frontalis
2) Pathologische Spontanaktivitäten des Musculus orbicularis oculi
3) Pathologische Spontanaktivitäten des Musculus nasalis
Bei keinem Patienten wiesen die Muskeln pathologische Spontanaktivitäten auf.
Sowohl bei der ersten Untersuchung, wie auch bei der Kontrolluntersuchung.
48
Zusammenfassung der Ergebnisse
Die aus der ENG erhobenen mV-Zahlen wurden in der Folge zusammengefasst
und ausgewertet. Dabei wurden die Minimal- und Maximalwerte, die Mittelwerte
und die Standardabweichungen berechnet. Zuletzt wurden auch die Differenzen
zwischen der Erstuntersuchung und der Kontrolluntersuchung berechnet. Die
aus dieser Berechnung hervorgehenden absoluten Werte sind in folgenden
Tabellen zusammengefasst:
Absolutwerte Minimum Maximum Mittelwert Standardabweichung
rechts 0,37 2,45 1,72 0,90
links 0,23 3,00 1,20 1,20
Kontrolle
rechts 0,98 2,43 2,01 0,58
Kontrolle
links 1,34 2,95 2,17 0,54
Tab. 1: Deskriptive Statistik
Absolutwerte Minimum Maximum Mittelwert Standardabweichung
rechts -0,020 0,890 0,290 0,376
links -0,050 1,670 0,972 0,769
Tab. 2: Differenzwerte der ersten Untersuchung und der Kontrolluntersuchung
49
Graphisch dargestellt lässt sich die durchschnittliche Verbesserung der
Funktion des Nervus facialis von der ersten Untersuchung bis zur
Kontrolluntersuchung wie folgt visualisieren. Hierbei soll nun jedoch aufgrund
der Tatsache, dass zwei Patienten Facialisparesen auf der rechten Seite erlitten
und vier Patienten Facialisparesen auf der linken Seite hatten, nur noch
zwischen lädierter und gesunder Seite unterschieden werden:
Abb. 5: Vergleich der ENG-Ergebnisse
Quelle: Eigene Darstellung
Die Grafik zeigt deutlich, dass sich die Funktion des Nervus facialis auf der
lädierten Seite über den Zeitraum von drei Monaten nach dem Eingriff deutlich
verbessert hat. Die Werte der lädierten Seite haben sich dabei den Werten der
gesunden Seite angenähert. Betrug die Funktion der lädierten Seite im
Vergleich zur gesunden Seite bei der Erstuntersuchung noch 19,75%, so waren
es bei der Kontrolluntersuchung bereits 68,82%, womit sich im Durchschnitt bei
den untersuchten Fällen eine Verbesserung der lädierten Seite um das 3,5 -
fache feststellen lässt.
50
Ebenfalls sehr deutlich zeigt sich diese Verbesserung im Hinblick auf die
durchschnittliche Wertedifferenz zwischen der Erstuntersuchung und der
Kontrolluntersuchung:
Abb.6: Wertedifferenz der ENG-Kontrolluntersuchung im Vergleich zur ersten
Untersuchung
Quelle: Eigene Darstellung
Im Hinblick auf diese Ergebnisse lässt sich festhalten, dass in den untersuchten
Fällen die Therapie durchwegs angeschlagen hat und die
Amplitudendifferenzen zwischen der gelähmten Seite und der gesunden Seite
im Zuge der Behandlung mit Nimodipin binnen dreier Monate deutlich verringert
werden konnte.
51
Mögliche Fehlerquellen
Die Validität der für diese Arbeit erhobenen Daten ist aus verschiedenen
Gründen limitiert. So können die erhobenen und verarbeiteten Patientendaten
stets auch gewisse Ungenauigkeiten oder auch Fehler beinhalten. So wurden
für diese Arbeit die Aufzeichnungen aus den OP-Büchern der Universitätsklinik
für Mund-, Kiefer- u. Gesichtschirurgie entnommen, welche nur die
relevantesten Informationen beinhalten und darüber hinaus unvollständig oder
gar fehlerhaft sein können. Auch handelt es sich bei den dokumentierten
Diagnosen häufig um Verdachtsdiagnosen oder aber auch schlagwortartig
skizzierte Diagnosen, welche zwar einen Hinweis auf das Verletzungsmuster
geben, jedoch einen gewissen Spielraum für Interpretationen bieten. Darüber
hinaus spielt auch die Sorgfalt, mit welcher die Aufzeichnungen von den
verschiedenen jeweils behandelnden Medizinern ausgefüllt worden sind, eine
gewisse Rolle, da diese von Fall zu Fall schwankt.
52
8. Diskussion
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen eine positive Regenerationsrate bei
Patienten mit Facialisparesen innerhalb von drei Monaten nach einem erfolgten
Eingriff bei Medikation mit Nimodipin. Diese Ergebnisse befinden sich im
Einklang mit den, innerhalb dieser Arbeit evaluierten, Studien.
So beschrieben auch Angelov et al. den positiven Effekt, welchen Nimodipin auf
auf die Geschwindigkeit der Axonenversprossung hat, aber auch dessen
hemmende Wirkung in Bezug auf Hyperinneravation. (Angelov et al. 1996,
1041-1048) Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Mattsson et al. und
weisen darüber hinaus auf die unterstützende Wirkung Nimodipins in Bezug auf
die Remyelination hin. (Mattsson et al. 2001, 106-117) Strauss et al. zeigen
hingegen, dass sich der Regenerationsgrad von Facialisparesen durch die
Verwendung von Hydroxyethylstärke zusätzlich verbessern lässt. (Strauss et al.
2006, 580-582). Dies lässt sich in Bezug auch die hier untersuchten Ergebnisse
weder bestätigen, noch widerlegen, da die zur Verfügung stehenden
Informationen nicht auf eine derartige Behandlung schließen lassen. Scheller et
al. wiesen darüber hinaus darauf hin, dass die Medikation mit Nimodipin bereits
vor einer Operation durchgeführt werden sollte, da dies zu wesentlich besseren
Resultaten führen könnte, als eine rein postoperative Medikation. (Scheller et
al. 2007, 94-96) Aufgrund des festgestellten, sehr geringen
Nebenwirkungsprofils von Nimodipin (Lindsay et al. 2010, 49-52), gibt es keinen
Grund zu der Annahme, warum dies in Zukunft nicht getan werden sollte. Im
Hinblick auf den engen Zusammenhang von Nimodipin mit dem Serumspiegel
der Patienten und der daraus folgenden Empfehlung für eine parenterale
Verabreichung des Medikaments (Scheller et al. 2013) sollte die
prophylaktische Verabreichung von Nimodipin auch dieser Empfehlung gemäß
erfolgen. In der Nachbehandlung ist eine parenterale Verabreichung von
Nimodipin jedoch mit unnötigem Aufwand verbunden, da nicht davon
ausgegangen werden kann, dass jeder Patient in der Lage wäre, dies selbst zu
tun.
53
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