94
Familiengerechtigkeit Gutachten im Auftrag der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz zu einer familiengerechten Reform der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Geleitwort von Bischof Dr. Reinhard Marx, Trier Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz Juli 2006

Familiengerechtigkeit - dbk.de · Familiengerechtigkeit Gutachten im Auftrag der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz zu einer familiengerechten

Embed Size (px)

Citation preview

Familiengerechtigkeit

Gutachten im Auftrag der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz

zu einer familiengerechten Reform

der gesetzlichen Rentenversicherung

mit einem Geleitwort von Bischof Dr. Reinhard Marx, Trier Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale

Fragen der Deutschen Bischofskonferenz

Juli 2006

Familiengerechtigkeit Gutachten im Auftrag der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz zu einer familiengerechten Reform der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Geleitwort von Bischof Dr. Reinhard Marx, Trier Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz Juli 2006 Herausgeber: Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz Kaiserstraße 161, 53113 Bonn

Geleitwort

Vor mehr als 50 Jahren forderte der Kieler Sozial� und Bevölkerungswissen-schaftler Gerhard Mackenroth in seinem legendären Referat zur Sozialreformeine Korrektur des Individualprinzips durch das Familienprinzip. Er bezeich-nete den Familienlastenausgleich als die �sozialpolitische Groÿaufgabe des 20.Jahrhunderts�. Ein halbes Jahrhundert später müssen wir eingestehen, dassdiese Aufgabe nicht gelöst wurde. Es gibt noch erheblichen Handlungsbedarf.

�Ohne Kinder gibt es keine Zukunft� heiÿt es zu Recht in dem bischöf-lichen Impulstext �Das Soziale neu denken� von 2003. Eltern erfahren sichdurch ihre Kinder auf einzigartige Weise beschenkt. Gleichzeitig leisten Fa-milien durch die Geburt und Erziehung von Kindern einen grundlegendenBeitrag zu Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Doch sind wir von einer ge-sellschaftlichen und �nanziellen Anerkennung dieser von Familien erbrachtenLeistungen weit entfernt. Zu oft gelten Kinder als �Privatvergnügen� und diefamilienpolitischen Aufwendungen des Staates als Subventionen von Famili-en. Es geht nicht darum, Familien zu unterstützen, weil Kinder kostspieligsind. Es geht darum anzuerkennen, dass die Aufwendungen für Kinder derAllgemeinheit zugute kommen. Diese Einsicht wächst angesichts der demo-graphischen Entwicklung. Mehr und mehr wird deutlich: Familienpolitik isteine Investition in die Zukunft.

Wenn aber das Verhältnis zwischen den Leistungen der Familien und denGegenleistungen der Gemeinschaft nicht ausgewogen ist, bleiben die Familienstrukturell benachteiligt und Kinderlose im Vergleich zu denjenigen, die El-ternverantwortung übernehmen, begünstigt. Diese Ungerechtigkeit tritt be-sonders gravierend in der gesetzlichen Rentenversicherung zutage.

Die gesetzliche Rentenversicherung � basierend auf dem so genanntenSchreiber�Plan von 1955 � ist ein Solidarvertrag zwischen den Generatio-nen. Er ist eben kein Sparvertrag nach dem Muster der Lebensversicherung.Die gesetzliche Rente beruht auf einem Drei�Generationen�Vertrag und istdamit auf die Solidarität von Erwerbstätigen und Rentnern, ebenso wie aufdie Solidarität von Alleinlebenden und Familien mit Kindern angewiesen.

Im Zentrum steht dabei die erwerbstätige Generation. Sie zahlt einer-seits �nanzielle Beiträge für die Rentnergeneration, andererseits übernimmtsie Elternverantwortung und Erziehungsleistungen für die nachwachsendeGeneration. Die Erwerbstätigen von heute haben in der Kindheit von derGeneration ihrer Eltern Unterstützung erfahren und sind als Rentner von

I

morgen auf die Solidarität der nachwachsenden Generation angewiesen. Die-ses Rentenkonzept wird also von der Erwartung getragen, dass es auch inZukunft Erwerbstätige gibt, die mit ihren Beiträgen die Renten der Älteren�nanzieren. Ein solches Altersicherungssystem bedarf einer intakten Gene-rationenfolge.

Zu Zeiten Konrad Adenauers schien diese Generationenfolge gewährleis-tet, wie der Ausspruch �Kinder haben die Leute immer� nahe legt. Dass diesheute nicht mehr gilt, spüren wir nur zu gut: Das Verhältnis der Zahl derErwerbstätigen zur Zahl der Rentenbezieher verschiebt sich und trägt zueinem wachsenden Finanzierungs- und Gerechtigkeitsproblem zwischen denGenerationen bei.

Doch nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Generationen trittein Gerechtigkeitsproblem auf. Denn die Leistungen, die Eltern für den Nach-wuchs erbringen, werden im Vergleich zu den �nanziellen Beiträgen, die je-weils von der erwerbstätigen Generation aufgebracht und im Wege der Um-lage an die Rentenbezieher weitergereicht werden, zu wenig berücksichtigt.Beide �Beitragsformen� � der �nanzielle wie der generative � sind aberunentbehrlich für ein umlage�nanziertes soziales Sicherungssystem. Die Be-rücksichtigung von Kindererziehungsleistungen ist ein wesentlicher Bestand-teil des Solidaritätsprinzips und keineswegs eine versicherungsfremde Leis-tung, wie oft fälschlich behauptet wird. Es ist ein Konstruktionsfehler derRentenversicherung, die Kindererziehungsleistungen nicht zu berücksichti-gen. Denn die Rente wird auf der Basis der gezahlten Beiträge gewährt,so dass dem kinderlosen Doppelverdienerehepaar eine deutlich höhere Ren-te zusteht als dem Elternehepaar, das aufgrund von Kindererziehungszeitenoder eingeschränkter Erwerbstätigkeit weniger Beiträge zahlt, obwohl docheinst von ihren Kindern die Renten gesichert werden müssen. Oswald vonNell�Breuning bezeichnete schon bald nach der Reform 1957 die Rentenver-sicherung als ein �System zur Prämierung von Kinderlosigkeit�.

Auch der �Vater der dynamischen Rente�, Wilfrid Schreiber, Bonner Volks-wirt und Geschäftsführer des Bundes Katholischer Unternehmer, sah dieseProblematik. Er schlug eine so genannte Kinder- und Jugendrente vor. Da-bei handelt es sich um eine Art �Investitionskredit� in die nachwachsendeGeneration, der entweder in Form der Erziehung eigener Kinder oder in barzu erstatten wäre. Auf diese Weise trügen auch Kinderlose zum Unterhaltder nachwachsenden Generation bei. Dabei ging es Schreiber nicht um eine�Strafsteuer�. Der �Investitionskredit� wäre vielmehr ein Äquivalent für dieerhaltene Erziehungsleistung.

Blickt man vor dem Hintergrund dieser Gerechtigkeitsproblematik aufdie jüngsten Rentenversicherungsreformen, sind diese höchst fraglich. Zwar

II

schützen die Einführung des so genannten Nachhaltigkeitsfaktors und die An-hebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre die erwerbstätige Generationvor einer übermäÿigen Belastung, doch die damit einhergehenden Renten-kürzungen erfolgen völlig unabhängig davon, ob jemand Kinder erzogen hat.So bleiben die Ungerechtigkeiten zwischen denjenigen, die durch die Geburt,Betreuung und Erziehung von Kindern einen Beitrag zum Erhalt des Systemsleisten, und denjenigen, die keine Erziehungsleistungen übernehmen, beste-hen. Die bereits niedrigen Renten derjenigen, die wegen der Kindererziehunggeringere oder überhaupt keine Rentenbeiträge zahlen konnten, werden so-gar nochmals gesenkt. In der gesetzlichen Rentenversicherung besteht unterdem Gesichtspunkt der �Familiengerechtigkeit� also nach wie vor dringenderReformbedarf.

Nicht nur wir Bischöfe machen uns für Generationen- und Familienge-rechtigkeit stark. In vielen Debattenbeiträgen und konkreten Lösungsvor-schlägen aus Politik und Wissenschaft haben diese Begri�e eine Rolle ge-spielt. Doch meist verebbt die Diskussion angesichts der Einwände, bei einerBerücksichtigung des generativen Beitrags handle es sich um versicherungs-fremde, nicht �nanzierbare Leistungen. Oder es wurde angeführt, solche Maÿ-nahmen führten zu einer nicht akzeptablen Polarisierung zwischen Kinder-losen und Kindererziehenden. Die notwendige Suche nach familiengerechtenVeränderungen der gesetzlichen Rentenversicherung ist an dieser Stelle bis-lang stecken geblieben. Dabei darf es nicht bleiben. Als Bischöfe möchtenwir diese Diskussionsblockade aufbrechen.

Daher hat die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen derDeutschen Bischofskonferenz ein Gutachten zur familiengerechten Reformder gesetzlichen Rentenversicherung in Auftrag gegeben, das von Prof. Dr.Jörg Althammer und Dipl. oec. Andreas Mayert am Lehrstuhl für Sozial-politik und Sozialökonomik der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum erstellt wurde. Diese Studie diskutiert verschiedene Lö-sungsvorschläge zur Berücksichtigung familialer Leistungen und berechnetden Finanzierungsbedarf für den Fall einer Ausweitung von Kindererzie-hungszeiten. Mit der Verö�entlichung dieses Gutachtens ho�en wir die De-batte zu beleben, zu einer Versachlichung beizutragen und dem Anliegen ei-ner familiengerechten Reform Nachdruck zu verleihen. Es mag andere Wegeals den hier eingeschlagenen geben. Entscheidend ist, dass eine familienge-rechte Reform der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt. Die vorliegendeStudie zeigt, dass eine familiengerechte Weiterentwicklung der gesetzlichenRentenversicherung möglich ist. Wir müssen es nur wollen.

In der Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme spiegelt sich wider,was der Gesellschaft und dem Staat die Familie wert ist. Hier drückt sich

III

aus, wie wir für die Erhaltung dieses inzwischen gesellschaftlich knappenGutes, die Förderung der Anreize für die Familien und die Gewährleistungvon Familiengerechtigkeit eintreten. Wir sollten uns dies etwas kosten lassen.Denn es ist die zentrale Aufgabe des Staates, für eine gerechte GesellschaftSorge zu tragen.

Juli 2006 Bischof Dr. Reinhard MarxVorsitzender der Kommissionfür gesellschaftliche und soziale Fragender deutschen Bischofskonferenz

IV

Familiengerechte Reformder gesetzlichen Rentenversicherung

Notwendigkeit und Ausgestaltungsmöglichkeiten

einer verstärkten Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten

in der gesetzlichen Rentenversicherung

Prof. Dr. Jörg AlthammerDipl. oec. Andreas Mayert

Lehrstuhl für Sozialpolitik und SozialökonomikSozialwissenschaftliche Fakultät

Ruhr-Universität Bochum

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

2 Die GRV im demogra�schen Wandel 2

2.1 Die Finanzierung der GRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2 Entwicklung der beitragssatzbestimmenden Faktoren . . . . . 6

2.2.1 Entwicklung der demographischen Komponente . . . . 62.2.2 Entwicklung der Rentenanspruchskomponente . . . . . 132.2.3 Entwicklung der Bundes�nanzierungskomponente . . . 222.2.4 Die Entwicklung der Rücklagenkomponente . . . . . . 232.2.5 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.3 Die jüngsten Rentenreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.3.1 Die Riester-Rente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262.3.2 Der Nachhaltigkeitsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . 272.3.3 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

3 Kindererziehungszeiten in der GRV 33

3.1 Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333.2 Aktueller Stand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403.3 Aktuelle Reformvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443.4 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

4 Familienorientierte Reform der GRV 47

4.1 Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474.2 Ausgestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494.3 Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524.4 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

4.4.1 Grundsätzliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544.4.2 Institutionelle Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564.4.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

5 Ausweitung von Kindererziehungszeiten 59

5.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595.2 Ausgabenorientierte Einnahmepolitik . . . . . . . . . . . . . . 62

5.2.1 Situation vor Erhöhung der Kindererziehungszeiten . . 625.2.2 Schätzung der Kosten des 2+-Modells . . . . . . . . . 635.2.3 Die Zusatzbelastung bis 2040 . . . . . . . . . . . . . . 645.2.4 Gegen�nanzierungse�ekte . . . . . . . . . . . . . . . . 655.2.5 Verteilungse�ekte des 2+-Modells . . . . . . . . . . . . 66

5.3 Einnahmeorientierte Ausgabenpolitik . . . . . . . . . . . . . . 68

5.3.1 Notwendige Absenkung des aktuellen Rentenwerts . . 685.3.2 Verteilungse�ekte des 2+�Modells (Variante II) . . . . 69

6 Fazit 72

A Anhang 76

1 Einleitung

Das System sozialer Sicherung be�ndet sich in einer grundlegenden Krise.Bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten belasten die hohe und strukturellverfestigte Arbeitslosigkeit und das geringe Wirtschaftswachstum die Finan-zierungsgrundlagen der sozialen Sicherung. Diese �nanziellen Belastungenmachten bereits in der Vergangenheit zahlreiche Einschnitte in das Leis-tungsrecht und die Erschlieÿung neuer, für eine Sozialversicherung system-fremder Finanzierungsquellen notwendig. Damit stellen sich bereits heuteernsthafte Fragen an die Legitimität eines Systems sozialer Sicherung, daseinem Teil der Bevölkerung Belastungen aufbürdet, ohne dass diesen Zah-lungen entsprechende Gegenleistungen gegenüber stehen. Doch die gröÿtenHerausforderungen stehen dem System sozialer Sicherung noch bevor. Dennbereits heute ist absehbar, dass der demogra�sche Wandel weitere Leistungs-kürzungen und eine deutliche Absenkung des Rentenniveaus notwendig ma-chen wird. Dies wird zur Folge haben, dass in vielen Fällen das Niveau derGrundsicherung im Alter durch die eigenen Ansprüche aus der gesetzlichenRentenversicherung nicht erreicht oder allenfalls geringfügig überschrittenwird. Dadurch wird jedoch die Akzeptanz eines auf dem Prinzip der Lohn�und Beitragsbezogenheit basierenden Systems sozialer Sicherung vollends inFrage gestellt.

Deshalb mehren sich die Forderungen nach einer ursachenadäquaten Re-form des Systems sozialer Sicherung. Denn wenn es zutri�t, dass insbeson-dere der drastische Geburteneinbruch in der zweiten Hälfte der 60er Jahrefür die langfristige Krise des sozialen Sicherungssystems verantwortlich ist,dann wäre es nur konsequent, diese Änderung des generativen Verhaltens inder Rentenversicherung adäquat zu berücksichtigen. Damit weist die aktuel-le Sozialstaatsdiskussion wieder auf ein grundsätzliches Konstruktionsde�zitder umlage�nanzierten sozialen Sicherungssysteme hin. Denn bekanntlichempfahl bereits der �Vater� der dynamischen Rente, Wilfrid Schreiber, Er-ziehungsleistungen bei den Rentenanwartschaften zu berücksichten.

Dass Familien mit der Geburt und Erziehung ihrer Kinder einen system-notwendigen Beitrag zur umlage�nanzierten Sozialversicherung leisten, istmittlerweile allgemein akzeptiert. Dennoch gibt es zahlreiche Politiker, Sozi-alrechtler und Ökonomen, die einer familienorientierten Reform der sozialenSicherungssysteme kritisch bis ablehnend gegenüber stehen. Aufgabe diesesGutachtens ist es daher, die jeweiligen Vor� und Nachteile einer familienori-entierten Reform darzustellen und umfassend kritisch zu würdigen.

Das Gutachten ist wie folgt aufgebaut: zunächst werden die zentralenElemente der gesetzlichen Rentenversicherung, ihre Demographieabhängig-

2 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

keit und die jüngsten Rentenreformen dargestellt. Anschlieÿend werden dieNotwendigkeit und die Ausgestaltungsmöglichkeiten einer Berücksichtigungvon Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung diskutiert. Im An-schluss daran wird ein konkreter Vorschlag zur familienorientierten Reforminnerhalb des bestehenden Systems erörtert. Eine Zusammenfassung der Er-gebnisse schlieÿt das Gutachten ab.

2 Die GRV im demogra�schen Wandel

2.1 Die Finanzierung der GRV

Bevor die in der GRV bestehenden und zukünftig zu erwartenden Finan-zierungsprobleme dargestellt und alternative Reformvorschläge erörtert wer-den, soll zunächst die spezi�sche Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversi-cherung in Deutschland erläutert werden. Die Rentenversicherung �nanziertsich nach dem Umlageverfahren. Das bedeutet, dass zu jedem Zeitpunktdie Summe der Einzahlungen die Summe der Auszahlungen gerade abdeckt.Grundsätzlich �ndet also weder eine Verschuldung noch eine Ersparnisbil-dung statt1.

Die Einnahmen der Rentenversicherung ergeben sich aus der Summe derBeitragszahlungen (B), dem Bundeszuschuss (BZ) und ggf. den Entnahmenvon Mitteln aus dem Kapitalstock der Rentenversicherung, der sog. �Nach-haltigkeitsrücklage� (E):

Einnahmen = B + BZ + E mit B = SV B · w · b. (1)

Die Beitragszahlungen setzen sich zusammen aus der Zahl der sozial-versicherungsp�ichtig Beschäftigten (SVB)2, dem durchschnittlichen Brutto-einkommen der sozialversicherungsp�ichtig Beschäftigten (w) und dem Bei-tragssatz zur GRV (b).

1Die Umlage�nanzierung der GRV ist in �153 SGB VI geregelt. Danach sind in derRentenversicherung die Ausgaben eines Kalenderjahres durch die Einnahmen eines Ka-lenderjahres zu decken. Reichen die Einnahmen eines Kalenderjahres nicht zur Ausgaben-deckung aus, ist eine Entnahme der benötigten Mittel aus der sog. Nachhaltigkeitsrücklagemöglich. Die Nachhaltigkeitsrücklage, die früher Schwankungsreserve hieÿ, stellt das ein-zige �Sparguthaben� der GRV dar. Sie beträgt gemäÿ �158 Abs.1 SGB VI mindestens 0,2und maximal 1,5 Monatsausgaben der GRV.

2Zu diesen zählen auch sozialversicherungsp�ichtige Arbeitslose, Kindererziehendewährend der Kindererziehungszeit und P�egepersonen, da für diese Personengruppen Ren-tenversicherungsbeiträge durch die Bundesagentur für Arbeit, durch den Bund bzw. durchdie soziale P�egeversicherung entrichtet werden.

2.1 Die Finanzierung der GRV 3

Die Ausgaben der Rentenversicherung ergeben sich aus der Anzahl derleistungsberechtigten Rentner (R), dem durchschnittlichen Zahlbetrag einer(Brutto�)Rente (p) und ggf. Zuführungen von Mitteln zur Nachhaltigkeits-rücklage (Z).

Ausgaben = R · p + Z. (2)

Da die Ausgaben den Einnahmen entsprechen müssen, gilt für jede Rech-nungsperiode:

BZ + E + SV B · w · b = R · p + Z. (3)

Löst man diese Gleichung nach b auf, so erhält man den Beitragssatz, dernotwendig ist, um das in (3) beschriebene Gleichgewicht zu gewährleisten:

b =R

SV B· p

w− BZ

SV B · w+

(Z − E

SV B · w

). (4)

Durch die vier Brüche der rechten Seite der Gleichung (4) werden die fürdie �nanzielle Situation der Rentenversicherung zentralen Gröÿen beschrie-ben:

� Der Quotient RSV B ist der sog. �Rentnerquotient�. Er bringt zum Aus-

druck, wie viele Rentner auf einen Beitragszahler kommen3;

� Der Quotient pw ist das sog. �Bruttorentenniveau�. Dies ist ein Indika-

tor für die Sicherungsleistung der Rentenversicherung. Es gibt an, wieviel Prozent des Bruttoeinkommens eines Durchschnittsverdieners einDurchschnittsrentner an Renteneinkommen erhält 4.

3Im Allgemeinen werden dabei nicht die gesamten tatsächlichen Rentner den gesamtentatsächlichen sozialversicherungsp�ichtigen Beschäftigten gegenübergestellt, sondern eine�ktive Zahl von sog. �Äquivalenzrentnern� einer ebenso �ktiven Zahl von �Äquivalenzbei-tragszahlern�. Die Zahl der Äquivalenzrentner erhält man durch Division der gesamtenRentenausgaben eines Rechnungsjahres mit der Regelaltersrente eines Versicherten mit 45Entgeltpunkten desselben Rechnungsjahres. Die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler erhältman durch die Division der gesamten Beitragseinnahmen eines Rechnungsjahres durchden Rentenbeitrag eines Durchschnittsverdieners. Vgl. hierzu auch Hain/Lohmann/Lübke(2004, S. 33).

4Als Indikator für das Sicherungsniveau der GRV wird seit Einführung der nachgela-gerten Besteuerung von Versichertenrenten durch das Alterseinkünftegesetz vom 29.4.2004meist das �Nettorentenniveau vor Steuern� verwendet. Es beschreibt das Verhältnis einerRente nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und vor Abzug von Steuern zumdurchschnittlichen Einkommen eines Beschäftigten ebenfalls nach Abzug von Sozialversi-cherungsbeiträgen und vor Abzug von Steuern. Es beträgt zurzeit ca. 53,6%. Das Brutto-rentenniveau beträgt aktuell ca. 48%.

4 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

� Der Quotient BZSV B·w gibt das Verhältnis von Bundeszuschuss zur Ein-

nahmebasis der GRV an. Dieser Indikator ist noch nicht geläu�g, dader Bundeszuschuss bislang ins Verhältnis zu den Rentenausgaben ge-setzt wurde. Dies ist auf einen Perspektivenwechsel in der Funktion derBundesbeteiligung zurückzuführen. Denn bislang bestand die Funktiondes Bundeszuschusses darin, sog. �versicherungsfremde� Leistungen ab-zudecken. Mittlerweile wird der Bundeszuschuss jedoch explizit als einInstrument zur Stabilisierung des Beitragssatzes gesehen5. Der Quoti-ent beschreibt insofern die übernommene Finanzierungsverantwortungdes Bundes für die Rentenversicherung, weshalb er im Folgenden als�Bundes�nanzierungsquotient� bezeichnet werden soll.

� Der Quotient Z−ESV B·w gibt an, ob der Nachhaltigkeitsrücklage Mittel

zugeführt oder entnommen werden. Entnahmen aus der Rücklage derRentenversicherung stabilisieren den Beitragssatz; dabei ist jedoch zubeachten, dass jede Entnahme aus der Nachhaltigkeitsrücklage die ge-setzliche Rentenversicherung anfälliger für nicht antizipierte Schwan-kungen der Einnahmen bzw. Ausgaben macht.

Um alle für die Renten�nanzierung entscheidenden Bestandteile simultandarzustellen, ist in Gleichung (4) noch die Formel zur Berechnung der mo-natlichen Rente einzusetzen. Diese lautet (vgl. Lampert/Althammer (2004,S. 268 �.)):

p =∑

t

EP · Zf · RaF · aRW. (5)

Jeder Versicherte erhält für jeden Beitragsmonat eine bestimmte An-zahl von Entgeltpunkten (EP) gutgeschrieben. Die Höhe der Entgeltpunktebemisst sich nach der relativen Höhe des versicherungsp�ichtigen Arbeitsein-kommens. Ein Arbeitnehmer, der ein Jahr lang ein sozialversicherungsp�ich-tiges Arbeitseinkommen in Höhe des Durchschnittseinkommens erreicht hat,erhält also genau einen Entgeltpunkt. Die Anzahl der Entgeltpunkte wirdüber das gesamte Erwerbsleben aufsummiert und mit dem sog. Zugangs-faktor (Zf) gewichtet. Dieser Zugangsfaktor regelt die Rentenzu� bzw. �abschläge bei hinausgeschobener oder vorgezogener Inanspruchnahme derRente. Der Rentenartfaktor (RaF) berücksichtigt die unterschiedliche Siche-rungsfunktion originärer und abgeleiteter Renten; für die reguläre Altersren-te beträgt der Rentenartfaktor eins. Das Produkt aus Entgeltpunkten, Zu-

5Wesentliche Schritte in diese Richtung waren die Erhöhung der Mehrwertsteuer umeinen Prozentpunkt durch das Rentenreformgesetz �99 sowie die Einführung der Ökosteuerdurch das Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform vom 24.3.1999.

2.1 Die Finanzierung der GRV 5

gangsfaktor und Rentenartfaktor stellt die �persönlichen Bemessungsgrund-lage� eines gesetzlich Versicherten dar. Diese Mengenkomponente wird mitdem aktuellen Rentenwert (aRW) bewertet. Der aktuelle Rentenwert beträgtderzeit (2005) 26,13 Euro in West� und 22,97 Euro in Ostdeutschland. Deraktuelle Rentenwert gibt also die Höhe einer Monatsrente an, die ein Durch-schnittsverdiener nach einem Jahr Beitragszahlung erhält. Er wird jährlichgemäÿ der Rentenanpassungsformel fortgeschrieben und stellt somit die dy-namische Komponente der Rentenformel dar.

Wenn man den Zugangsfaktor und den Rentenartfaktor gleich eins setzt,d.h. sofern man von einer regulär bezogenen Altersrente ausgeht, ergibt sichdie Höhe einer Durchschnittsrente gemäÿ

p =∑

t EP · aRW

R. (6)

(6) eingesetzt in (4) liefert die für die Finanzierung der gesetzlichenRentenversicherung entscheidenden Gröÿen in einer direkt interpretierbarenForm:

b =R

SV B︸ ︷︷ ︸(1)

·

EP

R

w· aRW

︸ ︷︷ ︸

2

− B

SV B · w︸ ︷︷ ︸(3)

+(

Z − E

SV B · w

)︸ ︷︷ ︸

(4)

. (7)

1. Die erste Komponente wird häu�g als �demogra�sche Kompo-

nente� bezeichnet6, denn ihre Ausprägung hängt o�ensichtlich vomGröÿenverhältnis der Rentnergeneration zur Erwerbstätigengenerati-on ab. Dieses Verhältnis wird vom Geburtenverhalten und von derEntwicklung der Lebenserwartung beein�usst7. Ein weiterer wichtigerEin�ussfaktor ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Bei steigenderArbeitslosigkeit sinkt die Zahl der sozialversicherungsp�ichtig Beschäf-tigten. Gleiches gilt, wenn sozialversicherungsp�ichtige Beschäftigungdurch geringfügige Beschäftigung, Selbständigkeit oder Abwanderungin die Schattenwirtschaft substituiert wird. Auf die Auswirkungen derArbeitsmarktkrise auf die Finanzierung der GRV kann im Rahmen die-ses Gutachtens jedoch nicht eingegangen werden.

2. Die zweite Komponente kann man als �Rentenanspruchskompo-

nente� bezeichnen. Setzt man die Zahl der Rentner und das Durch-6Vgl. Feucht (1995, S. 217).7Entscheidend ist hier die sog. �fernere Lebenserwartung� der über 65-Jährigen, also die

erwartete Lebensdauer unter der Bedingung, dass die Person bereits das 65. Lebensjahrerreicht hat.

6 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

schnittseinkommen konstant, wird ihr Ausmaÿ durch die gesamte Sum-me der erworbenen Entgeltpunkte und ihre Bewertung durch den aktu-ellen Rentenwert bestimmt. Persönliche Entgeltpunkte entstehen pri-mär durch Beitragszahlungen, allerdings �nden auch Zurechnungen aussozialpolitischen Gründen statt. Auch Zeiten der Kindererziehung er-höhen die Summe der Entgeltpunkte und damit die Rentenanspruchs-komponente. Der aktuelle Rentenwert folgt prinzipiell der Bruttolohn-entwicklung; diese Beziehung zwischen Bruttolöhnen und Renten wur-de auf Grund verschiedener Modi�kationen der Rentenformel jedochabgeschwächt8.

3. Die dritte Komponente ist die �Bundes�nanzierungskomponen-

te� , deren Ausmaÿ von der Höhe des Bundeszuschusses abhängt.

4. Die vierte Komponente ist die �Rücklagenkomponente� ; sie gibtan, in welchem Umfang Zuführungen oder Entnahmen aus der Nach-haltigkeitsrücklage vorgenommen werden.

Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, inwiefern die einzelnen Kom-ponenten zur �nanziellen Be� oder Entlastung der gesetzlichen Rentenver-sicherung beigetragen haben und welche Entwicklungen angesichts des de-mogra�schen Wandels zukünftig zu erwarten sind. Im Anschluss daran wirduntersucht, welche Maÿnahmen die Politik in den letzten Jahren getro�enhat, um auf die gegenwärtige und insbesondere auf die sich abzeichnendeSituation zu reagieren.

2.2 Entwicklung der beitragssatzbestimmenden Faktoren

2.2.1 Entwicklung der demographischen Komponente

Deutschland ist � wie alle industrialisierten Volkswirtschaften � vom Pro-zess der sog. �doppelten Alterung� betro�en. Damit wird die Tatsache be-schrieben, dass zur gleichen Zeit die Lebenserwartung der Bevölkerung zu-nimmt und die Fertilität unter das Ersatzniveau sinkt, d.h. eine Vorgänger-generation zahlenmäÿig nicht mehr durch die Nachfolgegeneration ersetztwird. Beide E�ekte führen dazu, dass der Rentnerquotient im Zeitverlaufsteigt. Mit der Zahl der Älteren steigt bei gegebenem Renteneintrittsalterdie Zahl der Rentner, mit einer sinkenden Kinderzahl sinkt mit einer zeitli-chen Verzögerung die Zahl der sozialversicherungsp�ichtig Beschäftigten.

8Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2.3.3

2.2 Entwicklung der beitragssatzbestimmenden Faktoren 7

Einen Eindruck über die erste Komponente der demogra�schen Entwick-lung gibt Tabelle 1. Wie die Tabelle zeigt, hat sich sowohl die fernere Lebens-erwartung als auch die Wahrscheinlichkeit, das Renteneintrittsalter über-haupt zu erreichen, in den vergangenen Dekaden deutlich erhöht. So lag dieWahrscheinlichkeit des Bezugs einer Altersrente in der zweiten Hälfte des19. Jhd. unter 30%, und die Restlebenserwartung betrug gerade 10 Jah-re. Mittlerweile liegt die Erlebenswahrscheinlichkeit bei den Frauen bei 90%und bei den Männern bei über 80%. Die fernere Lebenserwartung beträgtaktuell 19,5 Jahre für die Frauen und 15,8 Jahre bei den Männern. Damithat sich die Zahl der Personen, die das Rentenalter erreichen, seit den Bis-marck'schen Sozialreformen mehr als verdreifacht und die rein demogra�schbedingte Rentenbezugsdauer fast verdoppelt.

Tabelle 1: Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland

Fernere Lebenserwartung Überlebenswahrscheinlichkeit

Jahr Frauen Männer Frauen Männer1881 10,0 9,6 29,7 24,81900 10,6 10,1 37,8 31,31910 11,1 10,4 43,5 36,11926 12,2 11,5 57,7 52,71934 12,6 11,9 63,7 58,11951 13,7 12,8 73,9 65,01962 14,6 12,4 79,9 66,91972 15,2 12,0 81,7 68,21988 17,3 13,8 86,9 75,11997 18,7 14,9 89,0 78,22000 19,3 15,6 89,9 80,72002 19,5 15,8 90,2 81,32010 20,8 17,1 � �2020 21,9 17,8 � �2030 22,6 18,4 � �2040 23,2 19,0 � �

Quelle: VDR (2004)

Seit Einführung der dynamischen Rente 1957 hat die fernere Lebenser-wartung der Frauen um ca. 5,5 Jahre, die der Männer um ca. 3,5 Jahre zuge-nommen. Allein durch diese Entwicklung ist also die durchschnittliche Ren-tenbezugsdauer eines durchschnittlichen Rentners bzw. einer durchschnittli-chen Rentnerin um die genannten Gröÿen gestiegen. Für die Zukunft wirdein weiterer Anstieg der Lebenserwartung erwartet.

8 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

Der Anstieg der durchschnittlichen Rentenbezugsdauer ist aber nicht nurdemogra�sch bedingt. Verschiedene Möglichkeiten zum vorzeitigen Bezugvon Altersrenten sowie eine zunehmende Zahl von Erwerbsminderungsrent-nern haben dazu geführt, dass die durchschnittliche Rentenbezugsdauer inder Vergangenheit noch weit mehr zugenommen hat. So sank das durch-schnittliche Zugangsalter zu einer Altersrente der zwischen 1904 und 1938geborenen Männer von 62 Jahren auf 59,7 Jahre9. Insgesamt hat der frühereRentenzugang der Männer zu einer weiteren Zunahme der durchschnittli-chen Rentenbezugsdauer um ca. 2,5 Jahre geführt. Bei den Frauen ist dasBild etwas anders, was an der seit den 70er Jahren stark gestiegenen Erwerbs-quote der Frauen liegt. Insgesamt hat jedoch auch das Rentenzugangsalterder Frauen im Betrachtungszeitraum um ca. ein Jahr abgenommen10. Beiden Erwerbsminderungsrenten lässt sich eine ähnliche Entwicklung beobach-ten. Hier sank das durchschnittliche Rentenzugangsalter von 1960-2003 beiden Männern von 55,8 auf 50,9 und bei den Frauen von 56,2 auf 49,3 Jah-re11. Ein erster Grund für die �nanziellen Engpässe der GRV liegt somit inden ständig länger werdenden Rentenbezugszeiten. Fraglich ist, ob sich die-se Entwicklung fortsetzen wird. Denn die Politik hat seit der Rentenreform1992 Maÿnahmen ergri�en, die den Trend zu einem vorgezogenen Altersren-tenzugang stoppen sollen. Da ausnahmslos alle Bevölkerungsprognosen voneiner weiteren Erhöhung der ferneren Lebenserwartung in den nächsten Jahr-zehnten ausgehen12, dürfte von dieser Seite der Druck auf die demogra�scheKomponente jedoch noch weiter zunehmen.

Aber selbst wenn sich die Rentenbezugsdauer nicht weiter erhöht, wirddie demogra�sche Komponente in Gleichung 7 in den kommenden Jahrzehn-ten ansteigen. Ursache dafür ist die Geburtenentwicklung in Deutschland.Wie die Abbildung 1, S. 10 zeigt, ist die endgültige Kinderzahl je Frau be-ständig gesunken und liegt bei den Müttern des Geburtsjahrgangs 1967 bei

9Besonders ausgeprägt war der Rückgang des Rentenzugangsalters bei den Geburts-kohorten der Jahre 1908 � 1920. Der Grund hierfür wird deutlich, wenn man betrachtet,in welchen Jahren diese Kohorten regulär verrentet worden wären, nämlich in den Jahrenzwischen 1973 und 1985. Dieser Zeitraum kennzeichnet den Beginn der Massenarbeitslo-sigkeit in Deutschland.

10Die schrittweise Erhöhung des Zugangsalters für den abschlagsfreien Bezug einer vor-gezogenen Altersrente sowie die Einführung von versicherungsmathematischen Abschlägenbei einem vorgezogenen Renteneintritt haben jedoch dazu geführt, dass in den letzten bei-den Jahren das durchschnittliche Rentenzugangsalter wieder leicht angestiegen ist. Vgl.hierzu Büttner/Wojtkowski (2005).

11Vgl. VDR (2004, S. 65).12Ein Überblick über Annahmen und Ergebnisse verschiedener Bevölkerungsprognosen

�ndet sich in Enquete-Kommission Demogra�scher Wandel (2002), S. 28 �.

2.2 Entwicklung der beitragssatzbestimmenden Faktoren 9

1,5 und damit deutlich unterhalb des bestandserhaltenden Niveaus13. DieAbbildung macht aber auch deutlich, dass der Geburtenrückgang kein neuesPhänomen ist. Vielmehr war die endgültige Kinderzahl schon seit den Ge-burtskohorten der 1880'er Jahre unter das Ersatzniveau gesunken, das da-mals aufgrund der höheren Kindersterblichkeit noch etwas höher lag. Den-noch bleibt festzuhalten, dass die durchschnittliche Kinderzahl nach dem�Baby-Boom� der 1950er und 1960er Jahre (zuzuschreiben den weiblichenGeburtskohorten 1920-1938) stetig auf immer neue Minusrekorde gefallenist. Während die Geburtskohorte 1934 beinahe das Ersatzniveau von durch-schnittlich 2,1 Kindern erreichte, beträgt die endgültige Kinderzahl der Ge-burtskohorte 1967 (also die der Kinder der sog. �Baby-Boom-Generation�)gerade noch 1,5. Eine Trendwende bei den Geburtenzahlen wird von allenBevölkerungsprognosen auch in Zukunft nicht erwartet. Man geht davon aus,dass sich die zusammengefasste Geburtenzi�er und somit mittelfristig auchdie endgültige Kinderzahl der Frauenjahrgänge nach 1967 auf dem Niveauvon etwa 1,4 stabilisieren wird.

Aktuell hat der Geburtenrückgang, im Gegensatz zur zunehmenden Le-benserwartung, aber noch keinen negativen Ein�uss auf die demogra�scheKomponente genommen. Im Gegenteil stellt sich die demogra�sche Situati-on zur Zeit sogar relativ günstig für die gesetzliche Rentenversicherung dar.Denn die geburtenstarken Jahrgänge be�nden sich zur Zeit im Alter zwischen40 und 50 Jahren und bilden somit das produktive Rückgrat der deutschenVolkswirtschaft. Die Dramatik der zukünftigen demogra�schen Entwicklungergibt sich aus der Tatsache, dass gerade diese geburtenstarken Jahrgängeselbst relativ wenige Kinder erzogen und � aufgrund der Beitragsbezogen-heit der Rente � relativ hohe Rentenansprüche erworben haben. Wenn diegeburtenstarken Jahrgänge also selbst in den Ruhestand treten, rückt ihneneine zahlenmäÿig deutlich geringere Erwerbstätigengeneration nach. Diese�Alterungswelle� der deutschen Gesellschaft lässt sich anhand der sog. �Be-völkerungspyramiden� verdeutlichen.

13Die endgültige Kinderzahl einer Geburtskohorte ist nicht identisch mit der zusam-mengefassten Geburtenzi�er eines Jahres. Letztere gibt an, wie viele Kinder alle Frauenim gebärfähigen Alter innerhalb eines Jahres durchschnittlich zur Welt gebracht haben.Die zusammengefasste Geburtenzi�er lag zum Höhepunkt des Baby-Booms 1964 bei 2,7,im Jahr 2003 nur noch bei 1,35 (Vgl. Lipinski/Stutzer (2004, S. 3)).

10 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

Abbildung 1: Endgültige Kinderzahl der Frauen der Geburtsjahrgänge 1865� 1967 in DeutschlandQuelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2004)

2.2 Entwicklung der beitragssatzbestimmenden Faktoren 11Abbildung2:AufbauderBevölkerung

inDeutschland

indenJahren

1975,2000

und2025

Quelle:BundesinstitutfürBevölkerungsforschung

(2004)

12 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

Die geburtenstarken Jahrgänge sind in der Bevölkerungspyramide desJahres 1975 deutlich zu erkennen. Im Jahr 2000 war dieser �Bauch� der Be-völkerungspyramide nach oben gewandert, die geburtenstarken Jahrgängestehen nun in der Mitte ihre Erwerbslebens. Da sie selbst jedoch nur weni-ge Nachkommen hinterlassen haben, sind die jungen Altersklassen, die ihnennachfolgen, nur noch schwach besetzt. Im Jahr 2025 werden die geburtenstar-ken Jahrgänge das Rentenalter erreicht haben; der �Bauch� ist dann in dieobere Hälfte der Pyramide gewandert. Um die Umlagerenten zu �nanzieren,steht eine Nachfolgegeneration bereit, die nur noch ca. 2/3 der Kopfzahl ihrerVorgängergeneration aufweist. Zu diesem Zeitpunkt wird die demogra�scheKomponente in relativ kurzer Frist stark ansteigen, da dann eine zunehmendeZahl von Rentnern mit einer abnehmenden Zahl an Erwerbspersonen einher-geht. Die Tabelle 2 zeigt die bisherige Entwicklung des Rentnerquotientenund seine voraussichtliche Entwicklung bis zum Jahr 2040 . Der Rentnerquo-tient wird dabei hier de�niert als das Verhältnis der Äquivalenzrentner zuden Äquivalenzbeitragszahlern.

Tabelle 2: Entwicklung des Rentnerquotienten

Jahr Äquivalenz- Äquivalenz- Rentner-rentner beitragszahler quotient

2000 13,5 28,5 47,42005 14,7 27,8 52,72010 14,9 28,1 53,02015 15,2 28,1 54,22020 16,1 28,0 57,52025 17,0 27,1 62,82030 17,9 26,3 68,02035 18,4 25,5 77,22040 18,7 25,0 74,5

Quelle: BMGS 2003

Bei der Interpretation der Tabelle ist zu berücksichtigen, dass in den Pro-gnosewerten bereits eine Nettozuwanderung von 100.000 Personen pro Jahrberücksichtigt ist. Die Zuwanderung, die notwendig wäre um die Altersstruk-tur und somit den Rentnerquotienten stabil zu halten, läge um ein Vielfacheshöher.

Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die demogra�sche Komponentebereits in der Vergangenheit zu �nanziellen Belastungen der GRV geführthat. Diese gingen bislang vor allem auf eine höhere Lebenserwartung und

2.2 Entwicklung der beitragssatzbestimmenden Faktoren 13

auf vorgezogene Renteneintritte zurück, die zu einer längeren Rentenbezugs-dauer geführt haben. In den nächsten Jahrzehnten werden jedoch vor allemdie Geburtenausfälle seit dem Ende der 60er Jahre gepaart mit dem Renten-eintritt der geburtenstarken Jahrgänge zu einer dramatischen Erhöhung desRentnerquotienten führen.

2.2.2 Entwicklung der Rentenanspruchskomponente

Setzt man die Zahl der Rentner sowie das Durchschnittseinkommen kon-stant14, so sind für die Entwicklung der Rentenanspruchskomponente zweiGröÿen relevant: Die zunächst �ktive Gröÿe der im Rentenversicherungssys-tem gewährten Entgeltpunkte, die man als eine Art Anspruchstitel gegenüberder Rentenversicherung interpretieren kann, sowie die Bewertung dieser An-spruchstitel mit dem aktuellen Rentenwert. Die Entwicklung beider Gröÿenist in besonderer Form abhängig von politischen Entscheidungen und somitauch von der herrschenden politischen bzw. gesellschaftlichen Ansicht überArt und Umfang des Erwerbs von Leistungen in der gesetzlichen Rentenver-sicherung15.

Bei der Gewährung von abstrakten Anspruchstiteln gegen die gesetz-liche Rentenversicherung liegt ein häu�g verkanntes Problem darin, dassEntlastungs� und Belastungswirkungen der GRV zeitlich auseinander fallen:Ansprüche können sofort vergeben werden, während die �nanzielle Belas-tung der Versicherten erst wesentlich später eintritt. Wie die �Neue PolitischeÖkonomie� zeigt, kann dies im demokratischen Willensbildungsprozess undaufgrund der Komplexität des Sozialversicherungsrechts dazu führen, dassdie Höhe der Leistungsansprüche über das e�ziente Maÿ hinaus angehobenwird16. Im Folgenden wird zunächst untersucht, ob es in Deutschland zueiner solchen �Anspruchsin�ation� gekommen ist. Im Anschluss wird dannanalysiert, wie sich die Bewertung der gewährten Ansprüche im Zeitverlaufentwickelt hat.

Exkurs: Hat es in der Rentenversicherung eine Anspruchsin�ation

gegeben?

Drei Mechanismen führen intertemporal zu einer Vermehrung der Ansprüche

14Die Entwicklung der Rentnerzahl wurde schon unter 2.2.1 besprochen. Das Durch-schnittseinkommen ist eine Gröÿe, die von der gesetzlichen Rentenversicherung letztlichnicht beein�ussbar ist (wohl aber, welches Maÿ für das Durchschnittseinkommen gewähltwird).

15Also ob z.B. eine reine Grund- oder Existenzsicherung angestrebt wird oder aber derim Erwerbsleben erreichte Lebensstandard gesichert werden soll.

16Vgl. Browning (1975) sowie für einen Überblick über die relevante Literatur Mulligan/Gil/Sala-i Martin (2002).

14 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

an die GRV:

� die Ausweitung des versicherten Personenkreises,

� die Ausweitung der versicherten Risiken und

� die Anerkennung von Ansprüchen aus sozialpolitischen Erwägungenbzw. im Rahmen des sozialen Ausgleichs.

Die Ausweitung des versicherten Personenkreises hat in der Regel den obenbeschriebenen E�ekt. Die Einnahmen der GRV steigen zunächst, da die neuhinzukommenden Versicherten Beiträge entrichten. Die �nanzielle Belastungder gesetzlichen Rentenversicherung tritt erst zu einem späteren Zeitpunktein, nämlich dann, wenn die neu hinzugekommenen Versicherten ihre An-sprüche in der Ruhestandsphase geltend machen.

Eine Auswertung der wichtigsten rentenpolitischen Maÿnahmen seit Be-stehen der umlage�nanzierten Rentenversicherung zeigt17, dass es seit 1957tatsächlich zu erheblichen Ausweitungen des versicherten Personenkreisesgekommen ist (vgl. Anhang A). Allerdings waren diese Erweiterungen derVersicherungsp�icht sehr unterschiedlich motiviert. So folgten z.B. die Aus-weitung der Versicherungsleistungen auf Flüchtlinge und Vertriebene durchdas Fremdrentengesetz, die Versicherungsp�icht von Behinderten in Werk-stätten und die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in erster Linie so-zialpolitischen Notwendigkeiten. Auf der anderen Seite folgte aber z.B. dieAusweitung der Versicherungsp�icht auf alle Angestellten nachweislich demZiel der Konsolidierung der Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherungnach dem Konjunktureinbruch 1966/67. Die Möglichkeit zur freiwilligen Ver-sicherung und zur Nachentrichtung von Beiträgen durch die Rentenreform1972 diente der Finanzierung der �exiblen Altersgrenze, der vorgezogenenRentenanpassung 1973 und weiterer Ausweitungen der Rentenleistungen inden 70er Jahren. Auch die jüngsten Erweiterungen des Versichertenkreisesum arbeitnehmerähnliche Selbständige und geringfügig Beschäftigte ist ehereine Reaktion auf das Wegbrechen der Finanzierungsbasis der GRV dennder Versuch, den betro�enen Personen eine ausreichende Altersvorsorge zusichern. Der Zähler der Rentenanspruchskomponente, die Summe der ge-währten Entgeltpunkte, hat aufgrund dieser Maÿnahmen im Zeitverlauf zu-genommen bzw. wird weiter zunehmen. Vor diesem Hintergrund sind auchVorschläge zu sehen, den Versichertenkreis um Selbständige und Beamtezu erweitern18. Hierdurch könnten zwar kurz- und mittelfristig positive Fi-

17Vergleiche zum Folgenden insbesondere Hermann (1990).18Für eine Übersicht über die Finanzierungse�ekte einer solchen Politik vgl. Dünn/

Fasshauer (2003, S. 457 f.)

2.2 Entwicklung der beitragssatzbestimmenden Faktoren 15

nanzierungse�ekte für die Rentenversicherung entstehen, langfristig würdejedoch die Rentenanspruchskomponente belastet werden. Auch bei inter-temporaler Betrachtung hätte die Ausweitung des versicherungsp�ichtigenPersonenkreises keinen positiven Finanzierungse�ekt, da der betro�ene Per-sonenkreis aufgrund seiner höheren Lebenserwartung im Durchschnitt höhereKosten verursacht. Allerdings würde auch hier, sofern die Ausweitung nichtauch bereits im Ruhestand be�ndliche Personen betri�t, der Belastungse�ekterst zu einem späteren Zeitpunkt spürbar werden.

Neben der Ausweitung des versicherungsp�ichtigen Personenkreises könn-te eine Ausweitung der Ansprüche auch durch eine Ausweitung der von

der gesetzlichen Rentenversicherung übernommenen Risiken verursacht sein.Traditionell werden in der gesetzlichen Rentenversicherung folgende Risikenabgesichert:

� Langlebigkeit,

� Erwerbsunfähigkeit und

� Hinterbliebenenschaft.

Das Risiko der Langlebigkeit wird in der GRV durch die Vergabe vonLeibrenten abgesichert, d.h. dass die Rentenzahlungen bis zum Lebensendegeleistet werden. Dieses Risiko ist seit je her originärer Bestandteil der ge-setzlichen Rentenversicherung. Auch die staatlich geförderte private Lebens-versicherung (�Riester-Rente�) setzt voraus, dass das Anlageprodukt das sog.�biometrische Risiko� der Langlebigkeit abdeckt.

Das Risiko der Invalidität bzw. Erwerbsunfähigkeit wird in der GRV da-durch versichert, dass im Falle einer anerkannten vollständigen oder teilwei-sen Erwerbsunfähigkeit schon vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rentegezahlt wird. Diese bemisst sich zudem nicht nach den bis zu diesem Zeit-punkt akkumulierten Ansprüchen, sondern es wird eine �ktive Hinzurech-nung von Ansprüchen vorgenommen, die abbilden soll, welches Anspruchs-niveau der betro�ene Versicherte wahrscheinlich bis zur Regelaltersgrenzeerreicht hätte, wenn er nicht invalide geworden wäre. Auch das Invaliditäts-risiko ist bereits seit der Rentenreform 1957 Bestandteil der GRV, es wurdejedoch im Zeitverlauf erweitert. So wurde z.B. die �exible Altersgrenze, dielangjährigen Versicherten vorzeitig eine abschlagsfreie Altersrente ermöglich-te, explizit damit begründet, dass Versicherte mit langen Beitragszeiten imErwerbsleben �verbraucht� worden seien und ihnen daher eine vorzeitige Al-tersrente zuerkannt werden solle. Die �exible Altersgrenze wurde zwar mit

16 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

der Rentenreform 1992 wieder abgescha�t; Vorschläge in diese Richtung exis-tieren jedoch weiterhin19.

Das Risiko der Hinterbliebenenschaft wird über die Witwen� bzw. Witwer�sowie die Waisenrenten abgesichert. Abgesichert wird hier letztlich das Haus-haltseinkommen der Hinterbliebenen, wenn der (Haupt�)verdiener stirbt. DieHinterbliebenenrenten sind seit 1911 obligatorischer Bestandteil der gesetz-lichen Alterssicherung. Durch die jüngsten Rentenreformen wurden die Leis-tungen bei Hinterbliebenenschaft jedoch wesentlich eingeschränkt, so dassstrittig ist, ob Hinterbliebenenschaft überhaupt noch als versichertes Risikoder GRV zu gelten hat oder ob Hinterbliebenenrenten nicht als eine (versiche-rungsfremde) Maÿnahme des sozialen Ausgleichs anzusehen sind. Die Ein-schränkung ergibt sich daraus, dass mit Inkrafttreten des Altersvermögenser-gänzungsgesetzes im Jahr 2001 die Einkommensanrechnung bei Hinterbliebe-nenrenten stark verschärft wurde. Ursprünglich begründeten Witwen� bzw.Witwerrenten einen unbedingten Rechtsanspruch. Spätestens seit 2001 habensie den Charakter einer bedürftigkeitsgeprüften Leistung. Die �neue� Naturder Hinterbliebenenrenten kann an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiertwerden; dennoch lässt sich festhalten, dass der Umfang des traditionell inder GRV abgesicherten Risikos der Hinterbliebenenschaft im Zeitverlauf zu-mindestens deutlich reduziert wurde.

Neben diesen traditionellen Sicherungsfunktionen hat die gesetzliche Ren-tenversicherung in den letzten Jahrzehnten auch zunehmend Arbeitsmark-trisiken mit versichert, so dass in diesem Zusammenhang tatsächlich voneiner Ausweitung des versicherten Risikos gesprochen werden kann. Am au-genscheinlichsten geschah dies durch die massiven Frühverrentungen in den80er und 90er Jahren über die Altersrente bei Arbeitslosigkeit und Altersteil-zeit. Ziel war es, durch die Förderung des Austritts aus dem Erwerbslebenälterer Arbeitnehmer den Angebotsdruck auf dem Arbeitsmarkt und somitdie Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Die GRV wurde o�en als Instrument derArbeitsmarktpolitik eingesetzt. Diese Politik muss jedoch als gescheitert be-trachtet werden20. Bei den Erwerbsminderungsrenten wird seit langer Zeitdarüber diskutiert, ob der sog. �konkreten� oder aber der �abstrakten� Be-trachtungsweise gefolgt werden soll, wenn darüber beschlossen wird, ob einePerson als teilweise oder vollständig erwerbsgemindert zu gelten hat. Eine

19Nach den Reformvorschlägen der Herzog-Kommission soll z.B. Versicherten mit 45Beitragsjahren ein abschlagsfreier Zugang zur Altersrente ermöglichen werden (vgl. Kom-mission �Soziale Sicherheit� zur Reform der sozialen Sicherungssysteme (2003)). Für eineumfassende Diskussion dieser Vorschläge vgl. Kaldibayewa/Thiede (2004).

20Zur Diskussion des Scheiterns dieser Politik vgl. z.B. Mulligan/Sala-i Martin (1999,S. 28 f.)

2.2 Entwicklung der beitragssatzbestimmenden Faktoren 17

Person gilt als teilweise erwerbsgemindert, wenn sie nur noch zwischen dreiund sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Kann sie weniger als dreiStunden erwerbstätig sein, gilt sie als vollständig erwerbsgemindert. Nachder abstrakten Betrachtungsweise reicht diese Unterscheidung zur Abgren-zung aus. Nach der konkreten Betrachtungsweise wird bei einer teilweisenErwerbsminderung zusätzlich geprüft, ob die betro�ene Person auch fak-tisch in der Lage ist, einen Arbeitsplatz zu �nden, der eine Beschäftigungzwischen drei und sechs Stunden ermöglicht. Ist dies nicht der Fall, gilt die-se Person als vollständig erwerbsgemindert. Die konkrete Betrachtungsweisehat sich, durch ständige Rechtsprechung der Sozialgerichte, als die prakti-zierte Variante durchgesetzt. Die GRV trägt somit das Erwerbsrisiko vonteilweise erwerbsgeminderten Versicherten mit21. Es lässt sich folglich nichteindeutig schlieÿen, ob Ausweitungen des versicherten Risikos seit 1957 zuzusätzlichen �nanzielle Belastungen für die GRV geführt haben. Auf dereinen Seite ist die GRV ganz unzweifelhaft durch die Übernahme eines Teilsdes Arbeitslosigkeitsrisikos belastet worden, auf der anderen Seite jedoch hates gerade bei den Hinterbliebenenrenten Einschränkungen des versichertenRisikos gegeben. Tendenziell ist eher mit einer Einschränkung der durch dieGRV versicherten Risiken auf den Kernbereich der Alters- und Invaliditäts-sicherung zu rechnen.

Gleiches gilt für die Zuerkennung von Ansprüchen aus sozialpolitischen

Erwägungen, d.h. für Leistungen im Rahmen des sozialen Ausgleichs. Dar-unter sind insbesondere jene Ansprüche zu verstehen, die von der GRV fürZeiten gewährt werden, in denen ein Versicherter aus Gründen, die ihm nichtanzulasten sind, keine oder nur geringe Beiträge gezahlt hat (sog. Anrech-nungszeiten). Auch dieser Maÿnahmenkatalog kann hier nicht erschöpfendbehandelt werden. Festzuhalten bleibt jedoch, dass spätestens seit der Ren-tenreform 1992 das Äquivalenzprinzip in der Rentenversicherung deutlich ge-stärkt wurde. Einzig im Bereich der Kindererziehungszeiten hat es seit demnoch Leistungsausweitungen gegeben, diese sind jedoch nicht als Maÿnahmedes sozialen Ausgleichs zu sehen � obwohl sie z. T. unglücklicherweise nachdem Bedarfsprinzip ausgestaltet waren und sind. In Tabelle 3 sind, beginnendmit der Rentenreform 1992, die wichtigsten Änderungen bei den Maÿnah-men des sozialen Ausgleichs bis heute aufgeführt, die beinahe ausnahmslosLeistungseinschränkungen beinhalteten.

Als Fazit lässt sich somit in Bezug auf die Ausgangsfrage feststellen, dasses durchaus zu einer spürbaren Belastung der (abstrakten) Anspruchskom-

21Die Bundesagentur für Arbeit zahlt an die GRV dafür eine Kompensation. Diese stehtjedoch in keinem Verhältnis zu den verursachten Lasten.

18 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

Tabelle 3: Veränderungen des sozialen Ausgleichs in der gesetzlichen Ren-tenversicherung

Jahr Gesetz Maÿnahme

1992 Rentenreform-

gesetz

Einschränkung der anrechenbaren Aus-

bildungsjahre, Abscha�ung der Rente

nach Mindesteinkommen

1996 Wachstums-

förderungsgesetz

Weitere Einsparungen bei den Ausbil-

dungszeiten

1999 Haushalts-

sanierungsgesetz

Niedrigere Bemessung von Beiträgen für

Empfänger von Arbeitslosenhilfe sowie

Wehr- und Zivildienstleistende

2004 Renten-

versicherungs-

nachhaltigkeits-

gesetz

Einschränkung bei der Bewertung schuli-

scher und beru�icher Ausbildung

ponente der Bilanzgleichung der gesetzlichen Rentenversicherung gekommenist. Diese zusätzlichen Belastungen sind zum Teil bereits heute spürbar, zumTeil werden sie erst in den nächsten Jahren zum Tragen kommen. Zurück-zuführen sind sie weitestgehend auf die Ausweitung des versicherten Perso-nenkreises und auf die Ausweitung des versicherten Risikos um das Arbeits-marktrisiko. In den letzten Jahren ist jedoch die Tendenz erkennbar, diegesetzliche Rentenversicherung wieder stärker nach dem Äquivalenzprinzipauszugestalten und den Leistungskatalog auf die Kernbereiche der Alters-und der Invaliditätssicherung einzugrenzen.

Weiterhin ist zu klären, ob die Art der Bewertung der (abstrakten) An-spruchskomponente zusätzliche Belastungen für die gesetzliche Rentenversi-cherung verursacht hat. Teilweise �ndet sich die Behauptung, dass übermä-ÿige Rentenanpassungen, insbes. die zweistelligen Rentenerhöhungen zu Be-ginn der 70er Jahre, zur �nanziellen Schie�age der GRV beigetragen hätten.Grundsätzlich kämen dafür zwei Ursachen in Betracht. Zum einen könntees zu überhöhten diskretionären Rentenanpassungen gekommen sein, zumanderen könnte die Art der Rentendynamisierung zu systematisch überhöh-ten Anpassungen geführt haben. Ersteres kann direkt ausgeschlossen wer-den. Denn immer dann, wenn bei der Rentenanpassung von der eigentlichenRentenanpassungsformel diskretionär abgewichen wurde, geschah dies zumNachteil der Rentner. So wurde bereits 1958 eine Rentenanpassung ganzausgesetzt. In den Jahren 1979, 1980 und 1981 wurden die Anpassungssätze

2.2 Entwicklung der beitragssatzbestimmenden Faktoren 19

diskretionär festgesetzt und lagen unterhalb jener Sätze, die sich nach derdamals gültigen Rentenanpassungsformel ergeben hätten. Im Jahr 2000 wur-den die Renten nur nach der In�ationsrate angepasst. Schlieÿlich wurde durchdas 2. SGB VI�Änderungsgesetz die Rentenanpassung im Jahr 2004 ausge-setzt. Zu �überhöhten� Rentenanpassungen könnte es demnach nur gekom-men sein, wenn die (jeweils geltende) Rentenanpassungsformel dazu führte,dass die Renten stärker stiegen als die zugrunde liegende Finanzierungsbasis.Die Rentenanpassungsformel hat seit der Rentenreform 1957 eine Vielzahlvon Veränderungen erfahren. Grund dafür war, dass die 1957 eingeführteRentenanpassungsformel tatsächlich im Laufe der Zeit dazu führen musste,dass die Renten im Verhältnis zur Finanzierungsbasis bzw. zu den Einkom-men der Erwerbstätigen übermäÿig wuchsen22. Dafür gab es drei Gründe:

� Von 1958 bis 1983 folgte die Anpassung der Renten nicht der aktuel-len Veränderungsrate der Einkommen, sondern der Entwicklung desarithmetischen Mittels aus den Durchschnittsentgelten des zweiten,dritten und vierten Jahres vor dem Rentenanpassungszeitpunkt. Da-durch erfolgte die Rentenanpassung mit einer entsprechenden zeitlichenVerzögerung. Dies war bei stetig steigenden Einkommen weitgehendunproblematisch. In Folge der Rezession nach den Ölpreisschocks der70er Jahre gingen die (Real-)Einkommen jedoch zurück, während dieRentenanpassungen sich noch an den Einkommenszuwächsen vor derRezession orientierten. Durch die zeitlich verzögerte Rentenanpassungwurden die Erwerbstätigen somit in der Abschwungphase zusätzlichmit steigenden Rentenversicherungsbeiträgen belastet.

� Von 1958 bis 1991 wurden die Renten gemäÿ der Bruttolohnentwick-lung angepasst. Dies war ebenfalls solange unproblematisch, wie dieSteuer� und Abgabenquote der Arbeitseinkommen nicht stärker stiegwie die Steuern und Abgaben, die auf den Renten lasteten. Dies warjedoch nicht der Fall. Insbesondere seit den 70er Jahren nahmen dieSteuern und Abgaben auf die Bruttoeinkommen stark zu, während dieSteuer� und Abgabenbelastung der Renten so gut wie konstant blieb.Während dies keinen Ein�uss auf das Bruttorentenniveau hatte, nahminfolge der höheren Belastung der Arbeitseinkommen das Nettoren-tenniveau in den 70er Jahren stark zu. Mit anderen Worten: Das ver-fügbare Einkommen der Rentner stieg im Verhältnis zum verfügbarenEinkommen der Arbeitnehmer überproportional an.

22Bis 1949 waren der GRV Rentenanpassungen überhaupt fremd, zwischen 1949 und1957 wurden diese diskretionär vorgenommen. Die Innovation der Rentenreform 1957 be-stand vor allem in der Einführung der Rentendynamisierung.

20 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

� Von 1958 bis 1991 gab es bei den Rentenanpassungen keine Rückkopp-lung an die Veränderung des Rentnerquotienten. Auch danach erfolgtedie Berücksichtigung der Entwicklung des Rentnerquotienten nur im-plizit. Erst mit dem Nachhaltigkeitsfaktor wurde 2004 eine expliziteRückkopplung eingeführt. Eine (ausgereifte) umlage�nanzierte Alters-sicherung verzinst sich implizit mit der Wachstumsrate der Lohnsum-me, die sich wiederum aus den Wachstumsraten der Einkommen undder Zahl der sozialversicherungsp�ichtigen Beschäftigten ergibt. DieRentenanpassungsformel berücksichtigte jedoch bis 2004 lediglich dieWachstumsrate der Einkommen, was zu zusätzlichen Belastungen fürdie GRV führen muss, wenn die Lohnsumme langsamer wächst als dieEinkommen. Wie oben geschildert, war dies in der Vergangenheit derFall und wird aufgrund der Geburtenausfälle in Zukunft noch stärkerins Gewicht fallen.

Die Politik hat hierauf mit diversen Reformmaÿnahmen reagiert. So folgtdie Rentenanpassung seit 1984 ohne zeitliche Verzögerung der Veränderungs-rate der zugrunde liegenden Einkommensgröÿe im Vorjahr. Mit dem Renten-reformgesetz des Jahres 1992 erfolgte der Übergang von der Brutto� zur Net-toanpassung der Renten. Die Rentenanpassungen �elen danach schwächeraus, wenn die Nettoquote der Erwerbstätigen sank und erhöhte sich entspre-chend, wenn deren Abgabenlast abnahm. Dies hatte jedoch zur Folge, dass je-de steuersenkende Maÿnahme automatisch einen Anstieg der Bestandsrentennach sich zog23. Aus diesem Grund ging man im Jahr 2001 zur sog. �modi�-zierten Bruttoanpassung� über. Danach orientiert sich der Rentenanstieg imPrinzip wieder an der Bruttolohnentwicklung. Von der Entwicklung der Brut-tolöhne wird abgewichen, wenn die Belastung der aktiven Erwerbstätigenfür ihre eigene Altersvorsorge zunimmt, d.h. wenn der Beitragssatz zur GRVsteigt und/oder wenn sich der Ausgabenanteil zum Aufbau einer kapitalge-deckten Alterssicherung erhöht. Dabei wird unterstellt, dass die gesetzlichenRegelungen zur privaten, kapitalgedeckten Altersvorsorge voll ausgeschöpftwerden. Schlieÿlich wurde mit dem Rentenversicherungsnachhaltigkeitsge-setz vom 16.6.2004 der sog. Nachhaltigkeitsfaktor in die GRV eingeführt.Diese Modi�kation der Anpassungsformel stellt eine direkte Anbindung derRentenanpassung an die Entwicklung des Rentnerquotienten her. Dies be-

23Die Problematik dieses Anpassungsverfahrens wurde insbesondere in der zweiten Hälf-te der 90er Jahre deutlich. Die mehrfache Erhöhung der persönlichen und der kindbeding-ten steuerlichen Freibeträge sollte nach der Intention des Gesetzgebers insbesondere denjungen Familien zugute kommen. Bei stringenter Anwendung der Nettolohnorientierungder Rente hätte sich dies jedoch auch in einem steigenden aktuellen Rentenwert niederge-schlagen.

2.2 Entwicklung der beitragssatzbestimmenden Faktoren 21

deutet, dass immer dann, wenn die Zahl der (Äquivalenz)�rentner im Ver-hältnis zu den (Äquivalenz)�beitragszahlern zunimmt, die Rentenanpassunggeringer ausfällt als die Entwicklung der (modi�zierten) Bruttoeinkommen.Die Rentenanpassung folgt insofern nur noch bedingt der Einkommensent-wicklung.

Abbildung 3 zeigt die Entwicklung des Brutto- und des Nettorentenni-veaus von 1957 bis 2003. Deutlich sind hier die oben beschriebenen Ent-wicklungen zu erkennen. Aufgrund der bis 1991 geltenden verzögerten Ren-tenanpassung stiegen sowohl das Brutto� als auch das Nettorentenniveauim Zuge der Rezessionen 1966/67 und 1973 stark an. Die Bruttoanpassungder Renten führte des Weiteren dazu, dass das Nettorentenniveau in dieserZeit stärker zunahm als das Bruttorentenniveau. Seit der Rentenreform 1992schwankt das Nettorentenniveau um 70%, während das Bruttorentenniveauleicht gesunken ist.

Abbildung 3: Entwicklung des Rentenniveaus in DeutschlandQuelle: VDR (2004)

Es lässt sich somit schlieÿen, dass die gesetzliche Rentenversicherung auchaufgrund einer fehlspezi�zierten Rentenanpassungsformel �nanziell belastetwurde. Dies gilt insbesondere für die 70er Jahre. Die De�zite bei der Berech-

22 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

nung der Rentenanpassung wurden in den letzten zwei Jahrzehnten jedochweitgehend beseitigt.

2.2.3 Entwicklung der Bundes�nanzierungskomponente

Die dritte Komponente beschreibt die Beteiligung des Bundes an den Ein-nahmen der gesetzlichen Rentenversicherung. Eine höhere Beteiligung desBundes führt zu einer Entlastung der �nanziellen Situation der GRV et viceversa. Schon seit der Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr1889 beteiligt sich der Staat an der Finanzierung der Rentenversicherung.Diese Beteiligung der ö�entlichen Hand wird mit der Tatsache gerechtfer-tigt, dass die gesetzliche Rentenversicherung auch sog. �versicherungsfremdeLeistungen� übernimmt. Darunter sind all jene Maÿnahmen zu verstehen,die nicht der Absicherung der biometrischen Risiken dienen, also insbeson-dere die Maÿnahmen des sozialen Ausgleichs. Allerdings wurde nie versucht,diese Leistungen zu quanti�zieren und den Bundeszuschuss entsprechend zubemessen. Stattdessen wurde er stets pauschaliert gezahlt. Bei der Einfüh-rung der dynamischen Rente im Jahr 1957 wurde er so bemessen, dass ca. einDrittel der Rentenausgaben abgedeckt wurden. Bis zur Rentenreform 1992wurde der Bundeszuschuss gemäÿ der Entwicklung der Bruttoeinkommenfortgeschrieben. Da in dieser Zeit aber die Zahl der versicherungsp�ichtigenPersonen durch die Ausweitung des von der GRV erfassten Personenkrei-ses zunahm, nahm die Beteiligung des Bundes sowohl an den Ausgaben alsauch an den Beitragseinnahmen der GRV im Zeitverlauf stark ab. Ziel derRentenreform 1992 war es, die für die Zukunft zu erwartenden Belastun-gen auf Beitragszahler, Rentner und den Bund gleichmäÿig aufzuteilen. Zudiesem Zweck wurde der Bundeszuschuss nun gemäÿ der Entwicklung desBruttolohns und des Beitragssatzes angepasst, so dass der Finanzierungs-anteil des Bundes zunahm. Seit Ende der 90er Jahre hat sich die Funktiondes Bundeszuschuses grundlegend gewandelt. Während die Beteiligung derö�entlichen Hand bis dahin mit den versicherungsfremden Leistungen be-gründet wurde, hat er mittlerweile explizit die Funktion, den Beitragssatzzur gesetzlichen Rentenversicherung zu stabilisieren. So wurden im Jahr 1998Mittel aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer an die Rentenversicherung ab-geführt (sog. �zusätzlicher Bundeszuschuss�). Seit 1999 kommen Mittel ausdem Aufkommen der Ökosteuer hinzu (sog. �Erhöhungsbetrag zum zusätz-lichen Bundeszuschuss�). Hinzuzurechenen sind des Weiteren die vom Bundbereitgestellten Mittel zur Abdeckung sog. �echter Beitragszahlungen� fürKindererziehungszeiten.

Abbildung 4, S. 23, zeigt das Verhältnis des Bundeszuschusses zu den

2.2 Entwicklung der beitragssatzbestimmenden Faktoren 23

Beitragseinahmen der GRV im Zeitraum von 1960 bis 2003 (vgl. Gleichung7). Die sukzessive Erhöhung des Finanzierungsanteils des Bundes im Ver-gleich zu den Beitragseinnahmen seit 1992, verstärkt seit 1998, ist deutlichzu erkennen.

Abbildung 4: Entwicklung des BundeszuschussesQuelle: VDR (2004)

Die Politik hat folglich in der Vergangenheit die dritte Komponente of-fen zum Zweck einer �nanziellen Entlastung der GRV eingesetzt. Wie groÿdie entlastende Auswirkung des zusätzlichen Bundeszuschusses bzw. des Er-höhungsbetrages des zusätzlichen Bundeszuschusses ist, lässt sich ermitteln,wenn man jenen �ktiven Beitragssatz berechnet, der ohne diese zusätzlichenZuschüsse in der GRV gezahlt werden müsste. Dieser betrug 2003 21,7%.Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Entlastungse�ekt des Bundes-zuschusses im Zeitverlauf stetig abnimmt. Denn da bei einer Erhöhung desBundeszuschusses der Beitragssatz weniger stark steigt, fallen die Rentenan-passungen aufgrund der modi�zierten Bruttoanpassung entsprechend höheraus. Damit wird der Finanzierungse�ekt im Laufe der Zeit aufgezehrt (vgl.hierzu auch Krupp (2003)).

2.2.4 Die Entwicklung der Rücklagenkomponente

Die gesetzliche Rentenversicherung baut als umlage�nanziertes Alterssiche-rungssystem grundsätzlich keine Rücklagen auf. Mit der Rentenreform 1957

24 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

wurde die GRV jedoch verp�ichtet, eine Mindestreserve in Höhe von einerJahresausgabe vorzuhalten. Grund dafür war zum einen die Unsicherheit dar-über, wie sich die neue Rentenformel bewähren würde, zum anderen dientedie Rücklage als Schwankungsreserve, die unterjährige Beitragserhöhungenbei Unterdeckung der laufenden Rentenansprüche verhindern sollte. Im Lau-fe der Zeit wurde die Höhe dieser Mindestrücklage jedoch sukzessive abge-senkt, die frei werdenden Mittel zur Finanzierung von Leistungsausweitungenund zur Stabilisierung des Beitragssatzes genutzt (�De�zit�nanzierung�). DieMindestrücklage wurde 1969 zunächst auf die Höhe von 3 Monatsausgaben,1977 auf die Höhe einer Monatsausgabe verringert. Zwischen 2002 und 2004wurde die Mindestrücklage schlieÿlich auf erst 0,8, dann 0,5 und zuletzt 0,2Monatsaugeben abgesenkt. Aktuell (Juli 2005) beträgt sie gerade noch 856Mio. Euro bzw. 0,06 Monatsausgaben.

Der Aufbau der Mindestrücklagen führte in den ersten Jahren nach derRentenreform 1957 und in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zu zusätzlichenBelastungen der GRV. In den 70er Jahren und vor allem in den letzten dreiJahren dienten die Rücklagen der GRV dagegen als Finanzierungsinstrumentzur Entlastung der Beitragszahler. Diese Möglichkeit der De�zit�nanzierungist jedoch nun an einen Endpunkt gelangt, da die Mittel der Rücklage nahezuaufgebraucht sind.

2.2.5 Zwischenfazit

Seit der Rentenreform 1957 haben verschiedene Faktoren zu einer Verschlech-terung der �nanziellen Situation der gesetzlichen Rentenversicherung beige-tragen, die sich bis in die 90er Jahre hinein gröÿtenteils in Beitragserhö-hungen, spätestens seit der Rentenreform 1992 aber auch in Leistungsein-schränkungen niedergeschlagen haben. Diese Faktoren sind zum Teil auf Ent-wicklungen auÿerhalb des Rentenversicherungssystems, zum Teil aber auchauf rentenpolitische Entscheidungen zurückzuführen. In Bezug auf die de-mogra�sche Komponente konnte dabei herausgearbeitet werden, dass dienegative Entwicklung des Rentnerquotienten in der Vergangenheit vor al-lem auf die stark verlängerten Rentenbezugszeiten zurückzuführen war, dieselbst wiederum durch eine steigende Lebenserwartung und einen vorgezoge-nen Renteneintritt bedingt waren. Die gesunkenen Fertilitätsraten wirktensich bislang kaum auf die Rentenversicherung aus, da sich zurzeit die Kin-der der geburtenstarken Jahrgänge der 50er und 60er Jahre noch mitten imErwerbsleben be�nden. Auch die Arbeitsmarktsituation, die von Massenar-beitslosigkeit und einer Flucht aus sozialversicherungsp�ichtiger Erwerbstä-tigkeit geprägt ist, hat sich negativ auf den Rentnerquotienten ausgewirkt.

2.3 Die jüngsten Rentenreformen 25

Bei der Rentenanspruchskomponente hat die Erweiterung des versichertenPersonenkreises für zusätzliche Belastungen gesorgt. Zudem wurde das inder GRV versicherte Risiko dadurch erweitert, dass die GRV einen Teil desArbeitsmarktrisikos mit trägt. Die Rentenanpassungen �elen zum Teil durcheine falsch spezi�zierte Rentenanpassungsformel zu hoch aus. Die Bundes-�nanzierungskomponente hat in den 60er und 70er Jahren für zusätzlicheBelastungen der GRV gesorgt, da sie die Ausgaben für versicherungsfremdeLeistungen nicht abdeckte und unzureichend dynamisiert war. Seit den 90erJahren, verstärkt seit 1998, wird der Bundeszuschuss jedoch o�en zur Ent-lastung der GRV eingesetzt. Die Rücklagenkomponente diente � mit kurzenAusnahmen � im Grunde seit 1969 der �nanziellen Entlastung der Renten-versicherung; diese Möglichkeit des Abbaus von Kapitalreserven ist jedochan einen Endpunkt gelangt.

Zukünftig werden sich die Probleme in der Rentenversicherung jedochverlagern. Neben einer weiteren Erhöhung der Lebenserwartung wird vor al-lem die geringe Geburtenzahl der geburtenstarken Jahrgänge ab etwa 2020 zueinem dramatischen Anstieg des Rentnerquotienten führen. Von Seiten desArbeitsmarktes werden zwar entlastende E�ekte prognostiziert, die den Aus-gabenanstieg jedoch nur zu einem geringen Teil kompensieren können. Da inZukunft weder die Bundes�nanzierungskomponente noch die Rücklagenkom-ponente zur �nanziellen Entlastung der GRV herangezogen werden können,müssen entweder die Rentenleistungen sinken oder es muss der Beitragssatzangehoben werden. Der Gesetzgeber hat deshalb in den vergangenen Jah-ren zwei tiefgreifende Reformen verabschiedet: die sog. �Riester�Rente� undden �Nachhaltigkeitsfaktor�. Beide Reformmaÿnahmen werden im folgendenAbschnitt kurz dargestellt.

2.3 Die jüngsten Rentenreformen: Notwendigkeit und kriti-

sche Würdigung

Spätestens mit dem Prognos-Gutachten von 1987, in dem unter Beibehal-tung des damals geltenden Rechts bis 2030 Beitragssätze zur GRV zwi-schen 36% und 41% prognostiziert wurden, ist das Problem der demogra-�schen Alterung als das Hauptproblem der zukünftigen Finanzierung derGRV in das Bewusstsein der politischen Entscheidungsträger gerückt. Mitdem Rentenreformgesetz 1992, das bereits 1989 verabschiedet worden war,verband sich explizit das Ziel, die zukünftig zu erwartenden Belastungen aufdie drei beteiligten Gruppen des Rentensystems, also auf Rentner, Beitrags-zahler und den Bund, gleichmäÿig aufzuteilen. Dies geschah unter anderemdadurch, dass man von der Brutto- zur Nettoanpassung der Renten über-

26 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

ging und somit implizit Erhöhungen des Belastungs- bzw. Rentnerquotientenin der Form berücksichtigte, dass dadurch ausgelöste Beitragssatzerhöhun-gen dämpfend auf die Rentenanpassungen wirkten. Explizit wurden der Be-lastungsquotient selbst bzw. Gröÿen, die diesen bestimmen, noch nicht indie Rentenanpassungsformel aufgenommen. Auch am Prinzip der ausgaben-orientierten Einnahmepolitik, operationalisiert durch das Ziel eines Netto-Standardrentenniveaus von 70%, wurde noch keine Veränderung vorgenom-men.

Mit der Rentenreform 1999 sollte dann durch den sog. demogra�scherFaktor eine Gröÿe in die Rentenanpassungsformel aufgenommen werden, diemit der Veränderungsrate der Lebenserwartung zumindest einen der Bestim-mungsfaktoren der Entwicklung des Rentnerquotienten berücksichtigte. MitHilfe des demogra�schen Faktors sollte die Belastungserhöhung einer zuneh-menden Lebenserwartung zu 50% zu Lasten eines geringen Rentenniveaus,also zu Lasten der Rentner, und zu 50% zu Lasten eines höheren Beitragssat-zes, also zu Lasten der Beitragszahler gehen. Das Nettorentenniveau sollteso auf 67% abgesenkt und auf diesem Niveau stabilisiert werden. Durch denRegierungswechsel im Jahr 1998 kam der demogra�sche Faktor jedoch nichtzur Anwendung.

2.3.1 Die Riester-Rente

Mit der Rentenreform 2001 wurde die Rentenanpassungsformel erneut ab-geändert. Es erfolgte nun der Übergang zur sog. modi�zierten Bruttoanpas-sung. Die Rentenanpassung sollte nun nicht mehr von jeder Veränderungder Nettoquote der Erwerbstätigen betro�en werden, sondern nur noch vonsolchen, die auf eine Veränderung der Alterssicherungsaufwendungen zurück-gehen. Anpassungsdämpfend wirkten insofern nur noch Beitragssatzerhöhun-gen der GRV sowie Aufwendungen zur Vorsorge im Rahmen der zusätzlichen,kapitalgedeckten und staatlich geförderten Altersvorsorge (�Riester-Rente�).Die Rentenreform des Jahres 2001 stellt rentenpolitisch einen Paradigmen-wechsel dar: Erstmals trat das Ziel der Beitragssatzstabilisierung gleichbe-rechtigt neben das Ziel der Sicherung eines bestimmten Rentenniveaus. Sosollten die Beitragssätze zur Rentenversicherung bis 2020 höchstens 20%und ab 2030 maximal 22% betragen. Das Nettorentenniveau der gesetzli-chen Alterssicherung sollte langfristig auf 64% abgesenkt werden. Das Zielder Lebensstandardsicherung, das mit einem Nettorentenniveau von 67%quanti�ziert wurde, kann nur noch mit dem Aufbau einer privaten, kapi-talgedeckten Alterssicherung erreicht werden. Der Aufbau dieser privatenAltersvorsorge wird steuerlich über einen Sonderausgabenabzug oder alter-

2.3 Die jüngsten Rentenreformen 27

nativ durch Prämienvergabe gefördert. Ab 2008 beträgt der Höchstbetragdes Sonderausgabenabzugs 2.100 Euro, die Grundzulage 154 Euro und dieKinderzulage 185 Euro je Kind.

2.3.2 Der Nachhaltigkeitsfaktor

Bereits im Jahr 2003 zeigte sich, dass die im Rentenreformgesetz 2001 for-mulierten Beitragssatzziele nicht eingehalten werden konnten. Dafür warenneben den aktuellen konjunkturellen Problemen und einer zurück gehen-den Zahl an sozialversicherungsp�ichtig Beschäftigten auch neue Prognosenbezüglich der Lebenserwartung und der langfristigen Beschäftigungsentwick-lung ausschlaggebend. Aus diesem Grund wurde die Formel zur Anpassungder Renten im Jahr 2004 nochmals modi�ziert.24 Das Bruttorentenniveauwird nun von derzeit 48% auf voraussichtlich 39% im Jahr 2030 absinken,das Nettorentenniveau (nach Steuern) von derzeit 67% auf dann 57%. DesWeiteren wurde das Ziel aufgegeben, ein bestimmtes Niveau des verfügba-ren Einkommens über die Rentenversicherung abzusichern. Dieses Ziel, dasbislang an der Vorgabe eines bestimmten Nettorentenniveaus nach Steuernoperationalisiert worden war, wurde nun durch die neue Zielgröÿe �Netto-rentenniveau vor Steuern� ersetzt. Dieses Nettorentenniveau vor Steuernbeträgt zur Zeit ca. 52% und wird sich bis 2030 auf etwa 44% reduzieren(vgl. Hain/Lohmann/Lübke (2004)).

Diese deutliche Reduktion des Rentenniveaus erfolgt über den sog. �Nach-haltigkeitsfaktor�, der neu in die Rentenanpassungsformel aufgenommen wur-de. Die Formel für die Dynamisierung des aktuellen Rentenwerts lautet nun:

ARt = ARt−1·BEt−1

BEt−2·100 − AV A2010 − RV Bt−1

100 − AV A2010 − RV Bt−2︸ ︷︷ ︸Riesterfaktor

·((

1 − RQt−1

RQt−2

)· α + 1

)︸ ︷︷ ︸

Nachhaltigkeitsfaktor

. (8)

Dabei sind ARt der zu bestimmende aktuelle Rentenwert, ARt−1 derRentenwert der Vorperiode, BEt−1, BEt−2 die Bruttolohn� und �gehalts-summe je durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer des vergangenen unddes vorvergangenen Kalenderjahres, AV A2010 der Altersvorsorgeanteil fürdas Jahr 2010 in Höhe von 4%, RV Bt−1, RV Bt−2 der Beitragssatz zur Ren-

24Grundlage war der Bericht der �Kommission für Nachhaltigkeit in der Finanzierungder sozialen Sicherungssysteme� (sog. �Rürup-Kommission�). Ziel der Reformmaÿnahmenist es, �die Beiträge langfristig bezahlbar und die Renten so sicher zu machen, wie dasin einer sich ständig verändernden Gesellschaft möglich ist.� Vgl. Bundesregierung (2003,S. 45).

28 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

tenversicherung und RQt−1, RQt−2 der Rentnerquotient jeweils des vergan-genen und des vorvergangenen Jahres.

Mit dem Nachhaltigkeitsfaktor wird erstmalig die Veränderung des Rent-nerquotienten explizit in der Rentenformel berücksichtigt. Eine Änderungdes Rentnerquotienten geht mit dem Faktor αε[0; 1] in die Rentenformel ein.Ein α von 1 würde bedeuten, dass die gesamte Veränderung des Rentnerquo-tienten auf die Rentenanpassung durchschlägt, ein α von 0, dass der Nachhal-tigkeitsfaktor nicht zur Anwendung kommt. Der Wert für α wurde mit 0,25festgelegt; dieser Festlegung liegt jedoch keine Entscheidung über die Las-tenverteilung zwischen den Generationen zugrunde, sondern das Erreichender oben genannten Beitragssatzziele. Sofern jedoch auch diese Maÿnahmennicht ausreichen sollten, um den Beitragssatz zur Rentenversicherung zu sta-bilisieren, kann über eine Variation des α�Faktors das Rentenniveau jederzeitin beliebigem Umfang verändert werden. Die diskretionäre Anpassung desGewichtungsfaktors wird im Begründungsteil des Gesetzes explizit erwähnt.

Durch die jüngsten Reformmaÿnahmen werden die Rentenanpassungenin Zukunft deutlich hinter der Einkommensentwicklung zurückbleiben. Deraktuelle Rentenwert wird durch diese Maÿnahmen pro Jahr um 0,7 Pro-zentpunkte langsamer wachsen als nach dem zuvor geltenden Recht, er wirddadurch im Jahr 2030 um 17%, das Ausgabenvolumen der GRV um 38 Mrd.Euro geringer sein. Dazu trägt der Nachhaltigkeitsfaktor selbst jedoch nurzu weniger als der Hälfte bei, wie Tabelle 4 verdeutlicht:

Tabelle 4: Beiträge der Formelmodi�kationen zur Reduktion des aktuellenRentenwerts

Maÿnahme E�ekt

Nachhaltigkeitsfaktor 7,5%Altersvorsorgeanteil 4,5 %Anrechnung von Beitragssatzerhöhungen auf den Rentenan-stieg

2,0 %

Umstellung von VGR-Entgelten auf versicherungsp�ichtigeEntgelte

2,0 %

Summe 17,0 %

Quelle: Hain/Lohmann/Lübke (2004)

Die Abbildungen 5 bis 7 fassen die Auswirkungen der jüngeren Refor-men der GRV auf Beitragssatz, Rentenniveau und interne Rendite der ge-setzlichen Rentenversicherung zusammen. Abbildung 5 zeigt dabei, wie sichder Beitragsatz bis zum Jahr 2030 bei jeweils verschiedenen Rechtzuständenverändert hätte bzw. nach dem heutigen Rechtszustand erwartungsgemäÿ

2.3 Die jüngsten Rentenreformen 29

Abbildung 5: Auswirkung der jüngsten Reformen auf den Beitragssatz zurGRVQuelle: BfA/VDR

verändern wird. Die Abbildung 6 zeigt, wie sich das Nettorentenniveau vorSteuern vor Umsetzung des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes sowie begleitender�Notmaÿnahmen� entwickelt hätte bzw. wie es sich nun voraussichtlich bis2030 entwickeln wird. Die Abbildung 7 gibt schlieÿlich an, wie sich die Ren-dite der gesetzlichen Rentenversicherung für verschiedene Versichertenjahr-gänge voraussichtlich darstellen wird.

2.3.3 Kritik

Die Beitragssatzprognosen zeigen, dass die jüngsten Reformen die zu erwar-tende Dynamik der Beitragssätze deutlich abgemildert haben. Die Berück-sichtigung des Rentnerquotienten in die Rentenanpassungsformel sorgt füreinen automatischen Stabilisierungsmechanismus in der Rentenversicherung.Darüber hinaus kann das Ausmaÿ dieser Berücksichtigung durch Variationdes α�Faktors jederzeit geändert werden. Allerdings führt die Stabilisierungdes Beitragssatzes bei steigendem Rentnerquotienten dazu, dass das Siche-rungsniveau erheblich sinkt. Diese Entwicklung verschärft sich noch durchdie im Alterseinkünftegesetz vom 5.7.2004 beschlossene Rentenbesteuerung,die seit dem 1.1.2005 sukzessive umgesetzt wird. So wird für einen Stan-dardrentner das Nettorentenniveau nach Steuern, das allein aufgrund des

30 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

Abbildung 6: Auswirkung der jüngsten Reformen auf das RentenniveauQuelle: SVR, Jg. 2004/05

Abbildung 7: Implizite Renditen der gesetzlichen RentenversicherungQuelle: SVR, Jg. 2004/05

2.3 Die jüngsten Rentenreformen 31

Nachhaltigkeitsfaktors im Jahr 2030 nur noch 58,5% betragen würde, umweitere 6,3 Prozentpunkte auf 52,2% gesenkt. Die verfügbare Rente einesStandardrentners wird im Jahr 2030 also nur noch halb so hoch sein wie dasverfügbare Einkommen eines Durchschnittsverdieners25. An dieser Entwick-lung ist problematisch, dass der Abstand der Rente zur sozialen Grundsi-cherung im Alter selbst für langjährige Beitragszahler zunehmend geringerausfällt. Dies kann zu einem gravierenden Akzeptanzproblem der GRV füh-ren, da die Beitragszahlungen den Charakter einer reinen Steuer erhalten. Esist ebenfalls nicht gelungen, die Verteilung der zukünftigen Lasten auf Bei-tragszahler und Rentner transparent zu gestalten. So hätten die gewünschtenBeitragssatzziele auch allein mit dem Nachhaltigkeitsfaktor erreicht werdenkönnen, ohne dass es dazu noch der sog. �Riester-Treppe� und der modi�-zierten Bruttoanpassung bedurft hätte. Der α�Faktor hätte dann tatsächlichdie Belastungsverteilung auf Rentner und Beitragszahler beschrieben26.

Die für dieses Gutachten entscheidende Kritik setzt jedoch an einer an-deren Stelle an. Der Rentenreform 2001 und dem Nachhaltigkeitsgesetz von2004 liegt die Motivation zugrunde, mit einer nachhaltigen FinanzierungGenerationengerechtigkeit in der GRV herzustellen. Der Inhalt der Begrif-fe Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit ist o�en, so dass zunächstuntersucht werden soll, was sich hinter beiden Begri�en verbirgt, bevor eineKritik an diesem Konzept vorgenommen wird. Nach De�nition des Sozial-beirats27 liegt Generationengerechtigkeit dann vor, wenn es im Zeitverlaufzu keiner Begünstigung oder Benachteiligung einer Generation auf Kostenoder zu Gunsten einer anderen Generation kommt. Im Rahmen der GRVwürde das bedeuten, dass Generationengerechtigkeit dann vorliegen wür-de, wenn für alle gegenwärtigen und künftigen Generationen das Verhält-nis von Leistung (im herkömmlichen Sinne: Beitragszahlung) und Gegenleis-tung (Rente), mithin die Rendite der GRV, gleich bleiben würde. Dies wirdjedoch durch die Maÿnahmen der jüngeren Rentenreformen nicht gewähr-leistet. Aufgrund der jüngsten Rentenreformen werden insbesondere die Ge-burtsjahrgänge 1940-1965 von starken Renditeeinbuÿen betro�en sein. Dieslässt sich mit der Tatsache begründen, dass es gerade diese Generationensind, die zu wenig Nachkommen hatten und daher von den relativ wenigenNachkommen keine Absicherung im Alter erwarten können, wie dies für diegeburtenstärkeren Vorgängergenerationen der Fall war. Jede Generation wä-re nach dieser Argumentation selbst für die von ihr erwirtschaftete Renditeverantwortlich. Generationengerechtigkeit würde dann eine auf die gesamte

25Vgl. Hain/Lohmann/Lübke (2004, S. 344).26Vgl. Krupp (2003, S. 710).27Vgl. Sozialbeirat (2001), Zi�er 22.

32 2 DIE GRV IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

Tabelle 5: Anteil der Frauen der Geburtsjahrgänge 1935 - 1967 nach Anzahlder geborenen Kinder

Geburts- Kinderlos Ein Kind Zwei Kinder Drei u.jahrgang mehr Kinder

1935 6,7 23,2 11,5 58,61940 10,5 23,7 24,4 41,51945 13,0 26,9 29,6 30,51950 14,8 27,4 31,6 26,31955 19,2 24,4 31,8 24,61960 21,3 22,1 32,5 24,51965 26,5 20,2 31,8 21,71967 28,6 19,5 31,3 20,6

Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2004)

Generation ausgedehnte Leistungsgerechtigkeit bedeuten28. Eine solche Ar-gumentation würde anerkennen, dass in einem Umlagesystem letztlich nichtdie gezahlten Beiträge, sondern die eigene Altersvorsorge durch Gewährleis-tung einer ausreichend groÿen und hinreichend gut ausgebildeten Nachfolge-generation entscheidend für das zu erwartende Alterssicherungsniveau sind.Impliziert würde damit jedoch zugleich die Vorstellung, dass alle Mitgliedereiner Generation zu gleichen Teilen verantwortlich für die zu kleine Nach-folgegeneration sind. Allerdings wird dabei nicht berücksichtigt, dass auchinnerhalb der jeweiligen demographischen Kohorten die Fertilität streut. Diesmacht die Tabelle 5 deutlich. Diese Tabelle zeigt den Anteil der kinderlosenFrauen und der Frauen mit einem, mit zwei oder mit drei und mehr Kindernder Geburtskohorten der Jahre 1935 bis 1967.

Man erkennt, dass der demogra�sche Wandel auf zwei Faktoren zurück-zuführen ist: eine deutlichen Zunahme des Anteils der Kinderlosen einerseitsund einem ebenso deutlichen Rückgang der kinderreichen Familien anderer-seits. Einer Politik, die alle Mitglieder einer Generation für den Geburten-rückgang in Haftung nimmt, ist daher der Vorwurf zu machen, dass sie mitder Verfolgung des Ziels der intergenerationalen Gerechtigkeit das Ziel derintragenerationalen Gerechtigkeit vernachlässigt29.

28Sinn/Werding (2000, S. 19), nennen dies das inter-generation-equity�Prinzip.29So z.B. Erbe (1986, S. 201), Werding (2002, S. 182) und Evangelische Arbeitsgemein-

schaft für Familienfragen e.V. (2005, S. 5), Dinkel (1981, S. 138), Sinn/Werding (2000,S. 17) und Werding (2003, S. 157). Albers S. 25/26 fasst diesen Punkt wie folgt zusammen:�Eine gleichmäÿige Verteilung der aus dem verschlechterten Altersaufbau resultierendenBelastungen auf die alte und aktive Generation erweckt auf den ersten Blick den Eindruck

33

3 Berücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung

in der GRV

3.1 Entwicklung der Berücksichtigung von Zeiten der Kin-

dererziehung in der GRV

Im Folgenden wird die Entwicklung des rentenversicherungsrechtlichen Fa-milienlasten� und �leisungsausgleichs dargestellt. Dabei werden die Ziele undInstrumente der einzelnen Maÿnahmen überblicksrtig dargestellt. Des Wei-teren wird untersucht, wie sich diese Reformen auf die Rentenanwartschaftenvon kindererziehenden Versicherten auswirken. Um diese Wirkungen darzu-stellen, werden die einzelnen Gesetzgebungsschritte am Beispiel von insge-samt zehn idealtypischen weiblichen Versicherungsbiogra�en erläutert. Die-se Biogra�en unterscheiden sich hinsichtlich des Zeitpunkts der Geburt derKinder und der Erwerbsbiogra�e der Mutter. Sie sollen verdeutlichen, wiesich der Rentenanspruch aus Kindererziehungszeiten in Abhängigkeit vondiesen Gröÿen im Zeitablauf entwickelt hat. Anschlieÿend wird der aktuelleStand der familienorientierten Elemente in der gesetzlichen Rentenversiche-rung nochmals zusammenfassend dargestellt und kritisch gewürdigt.

Es wird bei allen Biogra�en unterstellt, dass zwei Kinder geboren wur-den, der Berufseintritt mit 21 Jahren und der Renteneintritt mit 65 Jahrenerfolgt und dass der Zeitpunkt des Renteneintritts nach dem 31.12.2001 liegt.Konkret werden folgende Biogra�etypen untersucht:

BioMin und BioMax: Diese Versichertenbiogra�en sind so konstruiert,dass der Geldwert aus den Erziehungsansprüchen entweder minimiertoder maximiert wird. Diese beiden Biogra�etypen stellen somit dietheoretisch denkbaren �Extremfälle� dar. Im Fall Biomax wird ange-nommen, dass beide Kinder nach 1991 geboren wurden. Nach demBerufseintritt ist die Erziehungsperson für drei Jahre in Vollzeit er-werbstätig mit einem Verdienst in Höhe des Durchschnittseinkommens.Im 24. Lebensjahr wird das erste Kind geboren, im Anschluss an dieGeburt wird die Erwerbstätigkeit für 3 Jahre unterbrochen. Nach derErziehungsphase wird für 7 Jahre eine Teilzeitbeschäftigung mit einemVerdienst in Höhe von 66,67% des Durchschnittseinkommens aufge-nommen. Mit 34 erfolgt die Geburt des 2. Kindes, wonach sich wieder-um eine dreijährige Erziehungszeit und eine 7�jährige Teilzeitbeschäfti-gung mit einem Verdienst in Höhe von zwei Dritteln des Durchschnitt-

sozialer Gerechtigkeit. (...). Es besteht (aber) nicht nur das Verfassungsverbot, Gleichesungleich zu behandeln, sondern es ist auch unbefriedigend, Ungleiches gleich zu behan-deln.�

34 3 KINDERERZIEHUNGSZEITEN IN DER GRV

seinkommens anschlieÿen. Für die restliche Zeit liegt keine versiche-rungsp�ichtige Beschäftigung vor. Für BioMin wird angenommen, dassbeide Kinder nach 1991 im 24. und 34. Lebensjahr geboren wurden.Die sozialversicherungsp�ichtige Beschäftigung wird jedoch zu keinerZeit unterbrochen; vielmehr wird über die gesamte Erwerbsbiogra�eein Einkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze bezogen.

Bio91 und Bio92: Bei diesen beiden Biogra�etypen wird unterstellt, dassdie betre�ende Erziehungsperson zunächst für drei Jahre vollzeiter-werbstätig mit einem Einkommen in Höhe von 80% des versicherungs-p�ichtigen Durchschnittseinkommens ist. An die Geburt des erstenKindes schlieÿen sich zwei Jahre der Kindererziehung an, anschlieÿendist die Erziehungsperson für ein Jahr teilzeitbeschäftigt mit einem Ein-kommen in Höhe von 40% des Durchschnittseinkommens. Nach derGeburt des zweiten Kindes erfolgt eine fünfjährige Unterbrechung derErwerbstätigkeit. Daran schlieÿen sich zehn Jahre der Teilzeitbeschäf-tigung mit einem Einkommen in Höhe von 40% des Durchschnittsein-kommens an, für den Rest der Erwerbsbiogra�e wird eine Vollzeitbe-schäftigung mit einem Einkommen in Höhe von 80% des Durchschnitt-seinkommens angenommen. Die Biogra�etypen unterscheiden sich nurhinsichtlich des Zeitpunkts der Geburt der Kinder: in Bio91 wird un-terstellt, dass die Geburt der beiden Kinder vor, in Bio92 nach demJahr 1991 liegt.

BioVZxJ und BioTZxJ: Anhand dieser Biogra�etypen wird der Ein�ussder Erwerbsbiogra�e auf die Höhe der Ansprüche aus Kindererzie-hungszeiten überprüft. Alle Biogra�etypen gehen von der Geburt vonzwei Kindern aus, die im zeitlichen Abstand von einem, drei oder sechsJahren zur Welt kommen. Die Biogra�en BioVZ1J bis BioVZ6J unter-stellen eine durchgängige Vollzeiterwerbstätigkeit zum durchschnitt-lichen versicherungsp�ichtigen Arbeitsentgelt, das nach der Geburtder Kinder für je ein Jahr unterbrochen wird. Die Biogra�etypologienBioTZ1J bis BioTZ6J unterstellen eine jeweils dreijährige Kindererzie-hungszeit nach der Geburt, und anschlieÿend eine Teilzeiterwerbstätig-keit in Höhe von 50% des durchschnittlichen versicherungsp�ichtigenArbeitseinkommens.

Mit Hilfe dieser Biogra�etypen soll zum einen gezeigt werden, in welchemUmfang die Berücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung die Rentenan-wartschaft von Kindererziehenden seit 1986 erhöht hat. Zum anderen sollverdeutlicht werden, inwieweit die rentensteigernde Wirkung von der indi-

3.1 Entwicklung 35

viduellen Erwerbsbiogra�e und dem Zeitpunkt der Geburt abhängt. Daherunterscheiden sich die Biogra�en nur hinsichtlich des Erwerbsverhaltens derErziehungsperson und des Zeitpunktes der Geburt der Kinder; die Kinder-zahl und der Zeitpunkt des Renteneintritts ist in allen Fällen identisch. Zweider Versichertenbiogra�en wurden dabei bewusst so konstruiert, dass sie dieextremen Fälle einer vollkommenen Anrechnung bzw. einer vollkommenenNicht-Anrechnung der Kinderberücksichtigungstatbestände in der GRV dar-stellen. Sie sind daher nicht als typische Versichertenbiogra�en zu verste-hen, sondern markieren vielmehr theoretisch denkbare Extremwerte. Alleanderen Versichertenbiogra�en bilden hingegen typische Versicherungsver-läufe von Kindererziehenden ab, in deren Verlauf sich Phasen der Vollzeit-und Teilzeiterwerbstätigkeit sowie der reinen Erziehungstätigkeit �nden30.

Tabelle 6, S. 36 fasst die Ergebnisse der im Folgenden vorgenommenenAnalyse zusammen. Zur besseren Vergleichbarkeit wurden die Rentenanwart-schaften jeweils mit dem heute geltenden aktuellen Rentenwert (West) be-rechnet.

30Vgl. hierzu auch Himmelreicher/Schmähl (2004).

36 3 KINDERERZIEHUNGSZEITEN IN DER GRV

Tabelle6:

Auswirkungen

derRechtsänderungenzurKinderberücksichtigungfürverschiedene

Versichertenbiogra�en

BioMax

BioMin

Bio91

Bio92

BioVZ1J

BioVZ3J

BioVZ6J

BioTZ1J

BioTZ3J

BioTZ6J

Entgeltpunkte

vor1986

12,33

83,25

26,0

26,0

43,0

43,0

43,0

21,0

21,0

21,0

Rentenanwartschaften

vor1986

322

2175

679

679

1124

1124

1124

549

549

549

Entgeltpunkte

in1986

13,88

83,25

27,5

27,5

44,5

44,5

44,5

22,5

22,5

22,5

Rentenanwartschaften

in1986

362

2175

719

719

1163

1163

1163

588

588

588

Entgeltpunkte

in1992

16,88

83,25

27,5

30,1

44,5

44,5

44,5

25,5

25,5

25,5

Rentenanwartschaften

in1992

441

2175

719

787

1163

1163

1163

666

666

666

Entgeltpunkte

in2000

18,38

83,25

28,0

32,0

48,4

48,4

48,4

27,0

27,0

27,0

Rentenanwartschaften

in2000

480

2175

732

836

1265

1265

1265

706

706

706

Entgeltpunkte

in2002

23,0

83,25

28,0

33,7

48,4

48,4

48,4

27,8

28,12

28,6

Rentenanwartschaften

in2002

601

2175

731

880

1265

1265

1265

726

735

747

GesamteEntgeltpunkteausKindererziehung

(aktuellesRecht)

10,7

02,0

7,7

5,4

5,4

5,4

6,8

7,1

7,6

Gesamte

RentenansprücheausKindererzie-

hung(aktuellesRecht)

279

052

200

141,1

141,1

141,1

177,7

186,1

198,6

MonetäresBeitragsäquivalent

61.509

011.532

44.168

31.136

31.136

31.136

39.209

41.054

43.822

3.1 Entwicklung 37

Bis 1986 wurden Zeiten der Kindererziehung weder rentenbegründendnoch rentensteigernd berücksichtigt. Eine solche Berücksichtigung erfolgteerstmals ab dem 1.1.1986 durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungs-

zeitengesetz vom 11.7.1985. Danach wurden einer Erziehungsperson währendder ersten zwölf Monate nach der Geburt eines Kindes 0,0625 EP pro Mo-nat angerechnet, sofern sie nach dem 31.12.1920 geboren wurde31. Es wur-de also ein Einkommen in Höhe von zwei Dritteln des durchschnittlichenversicherungsp�ichtigen Arbeitsentgelts unterstellt. Auf diese Entgeltpunktewurden jedoch vorhandene Entgeltpunkte aus Beitrags�, Anrechnungs� oderErsatzzeiten angerechnet (sog. �substitutive� Anrechnung). Diese substitu-tive Anrechnung von Kindererziehungszeiten wurde mit dem sog. �Lücken-schlieÿungsprinzip� begründet; danach bestand die Aufgabe der Erziehungs-zeiten darin, erziehungsbedingte Lücken in der Versicherungsbiogra�e aus-zugleichen. Personen, die bereits auf andere Weise eine lückenlose Belegungdes betrachteten Zeitraumes aufweisen konnten, hatten demnach keinen An-spruch auf diese Leistung. Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten ver-stand sich somit explizit als Maÿnahme des sozialen Ausgleichs.

Für die Biogra�en BioMax, Bio91 und Bio92 sowie die Teilzeit� undVollzeitbiogra�en (BioTZxJ und BioVZxJ)bedeutete diese neue Regelungeine Erhöhung ihrer Anwartschaften um 1,5 Entgeltpunkte, da diese in den12 Monaten nach der Geburt ihrer beiden Kinder keine sonstigen Beitrags-zahlungen aufweisen. Für den Biogra�etyp BioMin ergab sich keine Verän-derung, da in den 12 Monaten nach der Geburt mehr als 0,75 EP durchP�ichtbeiträge aus einer sozialversicherungsp�ichtigen Beschäftigung erwor-ben wurden.

Mit dem Kindererziehungsleistungsgesetz vom 12.7.1987 wurde auch Er-ziehungspersonen, die vor dem 1.1.1921 geboren wurden, eine sog. �Kinder-erziehungsleistung� angerechnet. Diese entsprach in der Höhe der Anwart-schaft aus einer maximalen Anrechnung der Kindererziehungszeit, es han-delte sich dabei jedoch nicht um eine rentenrechtliche Leistung, vielmehrtrat die Kindererziehungsleistung neben den Anspruch aus der Versicherten-rente. Sie wurde deshalb auch dann ausbezahlt, wenn ansonsten keinerleiVersichertenrentenanspruch bestand und die allgemeinen Wartezeiten nichterfüllt waren.

Mit dem Rentenüberleitungsgesetz vom 25.7.1991 wurden diese renten-rechtlichen Regelungen auf die neuen Bundesländer ausgedehnt.

Ab dem 1.1.1992 führte das Rentenreformgesetz 1992 vom 18.12.1989 zu

31Für Erziehungspersonen, die vor dem 1.1.1921 geboren wurden, erfolgte zunächst keineAnrechnung der Erziehungszeit.

38 3 KINDERERZIEHUNGSZEITEN IN DER GRV

einer Erweiterung der Kinderberücksichtigung im Rahmen der GRV. Die Re-gelung der Kindererziehungszeiten wurde in das SGB VI integriert und denZeiten für Geburten vor 1986 wurde der Status von P�ichtversicherungszei-ten zuerkannt32. Zudem wurde die Kindererziehungszeit für Geburten ab dem1.1.1992 von 12 auf 36 Monate erweitert. Die Bewertung mit 0,75 EP pro JahrKindererziehungszeit und die substitutive Anrechnung wurden beibehalten.Unabhängig vom Zeitpunkt der Geburt der Kinder wurde auÿerdem die sog.�Kinderberücksichtigungszeit� eingeführt. Diese beginnt mit dem Tag nachder Geburt des Kindes und endet nach zehn Jahren. Sie wirkte allerdings� im Gegensatz zur Kindererziehungszeit � nicht direkt rentensteigernd;indirekt kann sie jedoch im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung zu ei-nem höheren Gesamtleistungswert und dadurch zu einer besseren Bewertungsog. beitragsfreier Zeiten führen.33 Für die Biogra�en BioMax und BioTZxJbedeutete die Verlängerung der Kindererziehungszeit auf 3 Jahre eine Er-höhung der erzielten Entgeltpunkte um 3 EP, da der zusätzliche Zeitraumnach den Geburten der beiden Kinder nicht mit sonstigen rentensteigerndenZeiten belegt ist. Auch die Situation von Biogra�etyp Bio92 verbesserte sich.Die substitutive Anrechnung der EP für Kindererziehungszeiten führt jedochdazu, dass für das Jahr, in dem eine Teilzeitbeschäftigung ausgeübt wurde,statt der maximalen 0,75 nur 0,35 EP für Kindererziehungszeiten angerech-net wurden. Insgesamt konnte Bio92 somit durch die Rentenreform 1992zusätzliche 2,6 EP erwerben. Für Biogra�etyp Bio91 änderte sich dagegennichts, da beide Kinder vor 1992 geboren wurden. Schlieÿlich führte die Ren-tenreform 1992 auch bei den Biogra�etypen BioMin und BioVZxJ zu keinerzusätzlichen Berücksichtigung der erbrachten Kindererziehungsleistung, dabei diesen Biogra�etypen im gesamten belegungsfähigen Zeitraum P�icht-beitragszeiten vorliegen, die jeweils zu einer Anrechnung von mehr als 0,75EP pro Jahr führen. Ein Vergleich der Vollzeit� mit den Teilzeitbiogra�enverdeutlicht den Ein�uss der Erwerbsbiogra�e auf die Höhe der anzurech-nenden Kindererziehungszeiten. Während sich die Rentenanwartschaft vonvollzeiterwerbstätigen Erziehungspersonen nicht veränderten, erhöhte sichder Anspruch von teilzeitbeschäftigten Eltern um drei Entgeltpunkte.

32Zuvor waren diese Versicherungszeiten eigener Art gewesen. Materiell hatte dies zwarkeine Auswirkungen, aber P�ichtversicherungszeiten wird in Bezug auf die verfassungs-rechtliche Schutzgarantie der Rentenanwartschaften ein höherer Stellenwert zugesprochen.

33Beitragsfreie Zeiten sind rentenrechtliche Zeiten, die nicht durch P�ichtbeiträge be-legt sind oder Anrechnungs�, Ersatz� oder Zurechnungszeiten sind. Z.B. sind die Jahreinnerhalb der Kinderberücksichtigungszeit, die nicht zugleich Kindererziehungszeiten sind,beitragsfreie Zeiten. Die Gesamtleistungsbewertung ist kompliziert; eine genauere Darstel-lung würde den Umfang dieses Kapitels sprengen. Zudem ist ihr Gewicht in Bezug auf dieBerücksichtigung von Kindererziehung im Rahmen der GRV marginal.

3.1 Entwicklung 39

Für die rentenrechtliche Behandlung von Kindererziehungszeiten stelltdie Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.7.1992 eine Zäsurdar (sog. �Trümmerfrauenurteil�). Das Bundesverfassungsgericht erkannte inseinem Urteil an, dass die Kindererziehung neben der monetären Beitrags-zahlung eine bestandserhaltende Funktion für die GRV hat,34 so dass Erzie-hungspersonen, die während der Erziehungszeit nicht oder nur eingeschränkterwerbstätig sein können, durch das Prinzip der Beitragsbezogenheit derRente systematisch benachteiligt werden. Es gab dem Gesetzgeber den Auf-trag, diese Benachteiligung mit jedem künftigen Reformschritt abzubauen.

In der Entscheidung vom 12.3.199635 nahm das Bundesverfassungsge-richt erneut Ein�uss auf die familienorientierten Leistungen der GRV, da esin der substitutiven Anrechnung von Kindererziehungszeiten einen Verstoÿgegen den Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 GG erkannte. In seiner Be-gründung stellte das Verfassungsgericht weiterhin fest, dass die rentenrecht-liche Berücksichtigung von Kindererziehungsleistungen eine Honorierung des�generativen� Beitrags der Familien zu einem umlage�nanzierten Alterssi-cherungssystem darstellt, und sich nicht in der Schlieÿung rentenrechtlicherLücken oder im Ausgleich rentensystematischer Nachteile erschöpft36.

Seit dem 1.7.1998 werden Ansprüche aus Kindererziehungszeiten bei ei-ner Doppelbelegung dieser Zeiten mit anderen rentensteigernden Zeiten denansonsten erworbenen Ansprüchen additiv hinzugefügt (�Honorierungsmo-dell�). Zusätzlich wurde die Zahl der pro Monat angerechneten Entgeltpunk-te für Kindererziehungszeiten vom 1.7.1998 bis zum 1.7.2000 sukzessive von0,0625 auf 0,0833 EP angehoben. Pro Jahr Kindererziehungszeit kann seitheralso maximal ein Entgeltpunkt erworben werden. Allerdings darf die Summeder aus Beiträgen und Kindererziehungszeiten erworbenen Ansprüchen nichtden durch die Beitragsbemessungsgrenze vorgegebenen Höchstwert von ca.1,85 Entgeltpunkten pro Jahr übersteigen. Dadurch werden � trotz addi-tiver Anrechnung � nicht in jedem Fall drei Entgeltpunkte je Geburt inAnsatz gebracht. Wenn z.B. die Erziehungsperson während der ersten dreiJahre der Kindererziehung versicherungsp�ichtige Einkünfte in Höhe desDurchschnittsverdienstes bezieht, werden ihr für die Kindererziehungszeit

34Zeiten der Kindererziehung und monetäre Beitragszahlung wurden jedoch nicht gleichgesetzt, da beide Leistungsformen eine unterschiedliche Funktion wahrnehmen. Das Bun-desverfassungsgericht wies jedoch darauf hin, dass beide Leistungen für die Funktionsfä-higkeit der umlage�nanzierten Rentenversicherung gleichermaÿen wichtig sind.

35Vgl. Bundesverfassungsgericht (1996).36Vgl. Bundesverfassungsgericht (1996, S. 264): �Der Wert der Kindererziehung für die

Rentenversicherung wird nicht dadurch geschmälert oder gar aufgehoben, dass die Erzie-hungsperson während der Zeit der ersten Lebensphase des Kindes einer versicherungs-p�ichtigen Beschäftigung nachgegangen ist oder nachgeht.�

40 3 KINDERERZIEHUNGSZEITEN IN DER GRV

nur noch zusätzlich ca. 0,85 Entgeltpunkte angerechnet. Des Weiteren wer-den Geburten seit 1992 weiterhin unterschiedlich behandelt als Geburten vordiesem Termin. Für alle Biogra�etypen mit Ausnahme von BioMin bedeu-tete die Neuregelung eine Erhöhung der durch Kindererziehung erworbenenEntgeltpunkte. Gröÿte Gewinner der Reform waren die erwerbszentriertenBiogra�etypen BioVZxJ. Diese erwarben für das erste Jahr nach den Ge-burten ihrer beiden Kinder jeweils weitere 0,25 Entgeltpunkte. Dazu führtedie additive Anrechnung der Entgeltpunkte aus Kindererziehungzeiten dazu,dass in den insgesamt vier Jahren, in denen gleichzeitig mit der Kinderer-ziehungszeit eine Vollzeitbeschäftigung ausgeübt wurde, zusätzlich je 0,85Entgeltpunkte erworben wurden. Damit erhöhte sich die Gesamtzahl derEntgeltpunkte aus Kindererziehung um 3,9. Biogra�etyp Bio92 erhielt ins-gesamt zusätzliche 1,9 EP, die sich aus den zusätzlichen 0,25 Entgeltpunktenpro Jahr Kindererziehungszeit sowie aus den gewonnenen 0,4 Entgeltpunktenaus der additiven Anrechnung bei gleichzeitiger sozialversicherungsp�ichtigerBeschäftigung ergeben. Die Biogra�etypen BioMax und BioTZxJ erzieltenzusätzliche 1,5 Entgeltpunkte, für jedes der insgesamt 6 Jahre Kindererzie-hungszeit also 0,25 Entgeltpunkte mehr. Auch Biogra�etyp Bio91 wurde nunbesser gestellt; die Erhöhung der Rentenanwartschaft �el jedoch mit zusätz-lichen 0,5 Entgeltpunkten vergleichsweise gering aus, da sich die zusätzlicheAnrechnung nur auf zwei Jahre Kindererziehungszeit auswirkt, während esz.B. bei Bio92 insgesamt sechs Jahre sind. Für BioMin änderte sich wiederumnichts. Da im Zeitraum der Kindererziehungszeit jeweils ein Einkommen inHöhe der Beitragsbemessungsgrenze erzielt und somit allein durch P�ichtbei-tragszeiten die maximal mögliche Zahl an EP erworben wurde, kommen dieEntgeltpunkte aus Kindererziehungszeiten trotz der additiven Anrechnungnicht zum Ansatz.

3.2 Aktueller Stand der Regelungen

Wie bereits oben beschrieben, werden derzeit pro Kind maximal drei Entgelt-punkte für Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherungangerechnet. Durch das Rentenreformgesetz 1999 änderte sich die Finan-zierung dieser Leistungen. Seitdem unterlegt der Bund die angerechnetenKindererziehungszeiten mit sog. �echten Beitragszahlungen�. Während zuvordiese Leistungen unter den Bundeszuschuss subsumiert wurden, werden sieseit 1999 explizit ausgewiesen und mit einem eigenständigen Bundeszuschussabgedeckt. Dabei werden jedoch nicht die Ausgaben der GRV für die Kin-dererziehungszeiten kompensiert, sondern der Bund übernimmt die Beiträgefür die in einem Jahr neu entstandenen Ansprüche der Kindererziehenden.

3.2 Aktueller Stand 41

Damit verfehlt diese Maÿnahme ihre familienpolitische Intention. Denn dadie Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung nicht angespart, son-dern in derselben Periode an die Rentner ausgeschüttet werden, handelt essich bei dem zusätzlichen Bundeszuschuss lediglich um eine Erhöhung derBundeskomponente zur Finanzierung der laufenden Renten.

Mit in Kraft treten desAltersvermögensergänzungsgesetzes vom 21.3.2001zum 1.1.2002 wurden die bislang jüngsten familienpolitischen Änderungen inder GRV wirksam. Dabei kam es zwar zu keiner Ausweitung der Kinderer-ziehungszeiten, aber die Kinderberücksichtigungszeiten wurden rentenrecht-lich aufgewertet. Für Rentenneuzugänge ab dem 1.1.2002 können seitdemKinderberücksichtigungszeiten für Kinder, die nach dem 1.1.1992 geborenwurden, höher bewertet oder Entgeltpunkte gutgeschrieben werden. EineHöherbewertung erfolgt, wenn während der Kinderberücksichtigungszeit ei-ne sozialversicherungsp�ichtge Beschäftigung ausgeübt und weniger als dasDurchschnittseinkommen verdient wird, d.h. wenn aus P�ichtbeiträgen we-niger als 0,0833 Entgeltpunkte pro Monat erworben werden. Die erworbe-nen Entgeltpunkte werden dann um 50%, jedoch maximal auf 0,0833 Ent-geltpunkte, erhöht. Maximal können somit 0,0278 Entgeltpunkte pro Mo-nat bzw. 0,33 Entgeltpunkte pro Jahr zusätzlich erworben werden. Wird inden sieben Jahren, welche die Kinderberücksichtigungszeit die Kindererzie-hungszeit überschreitet, jeweils die maximal mögliche Höherbewertung vonAnsprüchen aus P�ichtbeiträgen vorgenommen, können demnach zusätzlich2,33 Entgeltpunkte erworben werden. Zu einer Gutschrift von Entgeltpunk-ten kommt es, wenn sich die Kinderberücksichtigungszeiten für zwei Kinderüberschneiden. Für diese Zeiten werden dann unabhängig von einer Erwerbs-tätigkeit pro Monat 0,0278 Entgeltpunkte bzw. pro Jahr 0,33 Entgeltpunktegutgeschrieben. Werden jedoch zeitgleich Ansprüche aus einer sozialversiche-rungsp�ichtigen Beschäftigung erworben, so kann dies die Gutschrift schmä-lern oder ganz ersetzen, genau wie dies bei der substitutiven Anrechnungvon Kindererziehungszeiten bis 1998 der Fall war. Sofern also das versi-cherungsp�ichtige Einkommen das Durchschnittseinkommen überschreitet,�ndet keine Gutschrift statt. Die rentenrechtliche Aufwertung der Kinder-berücksichtigungszeiten soll, ähnlich wie dies bei den Kindererziehungszei-ten in deren Anfangsjahren der Fall war, zu einer Besserstellung von Erzie-hungspersonen führen, die während der intensiven frühen Erziehungsphaseeines Kindes nur eine Teilzeitbeschäftigung aufnehmen oder während dergleichzeitigen Erziehung zweier Kinder keine Erwerbstätigkeit ausüben. DieKinderberücksichtigungszeiten verstehen sich daher nicht als Kompensationdes generativen Beitrags von Familien für das umlage�nanzierte Alterssiche-rungssystem, sondern dienen wiederum der Schlieÿung erziehungsbedingter

42 3 KINDERERZIEHUNGSZEITEN IN DER GRV

Lücken in der Versichertenbiogra�e. Äuÿerst problematisch ist zudem, dassimmer dann, wenn nur ein Kind betreut wird, Berücksichtigungszeiten nuranfallen, wenn die Erziehungsperson erwerbstätig ist und ein unterdurch-schnittliches Arbeitseinkommen bezieht. Diese Regelung lässt sich weder ausdem Honorierungs� noch aus dem Lückenschlieÿungsprinzip herleiten undist deshalb in höchstem Maÿ reformbedürftig.

Eine weitere, familienpolitisch relevante Regelung betri�t die Reformder Hinterbliebenenversicherung. Mit dem Altersvermögensergänzungsgesetz

wurde der Leistungsanspruch einer �groÿen� Witwenrente von maximal 60%auf maximal 55% der Rente des verstorbenen Ehegpartners gesenkt. ZumAugleich für Witwen bzw. Witwer, die Kinder erzogen haben, wird auf die-sen abgeleiteten Rentenanspruch jedoch ein Kinderbonus in Höhe von zweiEntgeltpunkten für das erste Kind und einem Entgeltpunkt für jedes weitereKind gewährt. Mit dieser Maÿnahme soll verhindert werden, dass Hinter-bliebene, die aufgrund von Kindererziehungsphasen nur geringe eigene Ren-tenansprüche aufgebaut haben, durch die Absenkung des abgeleiteten Ren-tenanspruchs in eine �nanziell prekäre Lage geraten. Es handelt sich auchhier um eine Maÿname des Familienlastenausgleichs. Zu kritisieren ist dabeidie nicht begründbare Ungleichbehandlung zwischen dem ersten und allenweiteren Kindern.

Von der rentenrechtlichen Ausweitung der Kinderberücksichtigung pro�-tierten nur die Biogra�etypen BioMax, Bio92 und BioTZxJ. BioMax erwarbnoch einmal zusätzliche 4,62 Entgeltpunkte, da für die insgesamt 14 JahreKinderberücksichtigungszeit die jeweils maximal mögliche Zahl von 0,33 Ent-geltpunkt angerechnet wird. Auch Bio92 wurde besser gestellt: In zwei Jahrenliegt eine gleichzeitige Kinderberücksichtigungszeit für zwei Kinder vor, sodass trotz Nicht-Erwerbstätigkeit jeweils 0,33 Entgeltpunkte gutgeschriebenwerden. Schlieÿlich werden auch alle teilzeitzentrierten Biogra�etypen bes-ser gestellt, wobei das absolute Ausmaÿ der zusätzlichen Kinderberücksich-tigung allerdings abhängig vom Timing der Geburten ist. Der Grund dafürist, dass Kinderberücksichtigungszeiten anders behandelt werden als Kinder-erziehungszeiten: Während für zwei Kinder immer eine Kindererziehungszeitvon insgesamt sechs Jahren (2*3 Jahre) rentenrechtlich berücksichtigt wird,hängt die insgesamt anzurechnende Kinderberücksichtigungszeit auch vomZeitraum ab, der zwischen den Geburten liegt. Erfolgen die Geburten z.B.in aufeinander folgenden Jahren, so beträgt die Kinderberücksichtigungszeitnicht 20 Jahre (2*10 Jahre), sondern 11 Jahre. Liegt zwischen den Gebur-ten ein Zeitraum von sechs Jahren, beträgt die Kinderberücksichtigungszeit16 Jahre. Aus diesem Grund führte das Altersvermögensergänzungsgesetzbeim Biogra�etyp BioTZ6J zu einer stärkeren zusätzlichen Berücksichtigung

3.2 Aktueller Stand 43

Tabelle 7: Auswirkungen des neuen Hinterbliebenenrechts in Abhängigkeitvon der Versichertenbiographie

BioMax BioMin Bio91 Bio92

Witwenrente ohne An-rechnung

647 647 706 647

Anrechnung des eigenenRentenanspruchs

0 819 17 76

Witwenrente nach An-rechnung

647 -173 689 571

Kinderzuschlag 78 78 0 78Gesamter Witwenren-tenanspruch

725 0 689 649

der erbrachten Kindererziehungsleistung als bei den Biogra�etypen BioTZ3Jund BioTZ1J. Diese Neuegelung führt also zu willkürlichen Ungleichbehand-lungen von Erziehungspersonen.

Die familienpolitischen E�ekte der Neuregelung des Hinterbliebenenrechtskann am Beispiel der vier Biogra�etypen BioMin, BioMax, Bio91 und Bio92erläutert werden. Angenommen sei dabei jeweils, dass der verstorbene Ehe-partner eine Standardrentner�Biogra�e aufweist, also 45 Entgeltpunkte bzw.einen monatlichen Rentenanspruch in Höhe von 1.176 Euro erworben hat.Die Rente des/der Hinterbliebenen aus eigenen Ansprüchen wurde für jedenBiogra�etyp nach den derzeit geltenden Regeln berechnet. Zusätzlich sei an-genommen, dass die Ehe bei den Biogra�etypen BioMax, BioMin und Bio92nach 2001 geschlossen wurde, während der Biogra�etyp Bio91 vor 2002 ge-heiratet hat. Die Ergebnisse dieser Berechnungen sind in der Tabelle 7, Seite43 wiedergegeben.

Man erkennt, dass die Höhe des Witwenrentenanspruchs nicht nur vonder Anwendung des neuen Hinterbliebenenrechts abhängt. Ein weiterer we-sentlicher Faktor ist die Höhe des anzurechnenden eigenständigen Renten-anspruchs. Bei der Biogra�e BioMax kommt es zu keiner Anrechnung deroriginären Rente, da die Rente aus eigenem Anspruch trotz der bereits aus-geprägten Kinderberücksichtigung immer noch unter dem Freibetrag in Hö-he von 690 Euro monatlich liegt. Der Witwenrentenanspruch ist durch denKinderzuschlag höher als er nach altem Recht gewesen wäre (725 Euro statt705 Euro). Biogra�etyp BioMin pro�tiert von dem Kinderzuschlag hinge-gen nicht. Die Rente aus eigenem Anspruch ist so hoch, dass die abgelei-tete Rente inklusive des Kinderzuschlags komplett entfällt. Die Auswirkun-

44 3 KINDERERZIEHUNGSZEITEN IN DER GRV

gen des neuen Hinterbliebenenrechts sind bei den Biogra�etypen Bio91 undBio92 komplexer. Der gestiegene originäre Anspruch durch die Kindererzie-hungszeiten führt bei Bio92 dazu, dass auch die Anrechnung des abgeleite-ten Rentenanspruchs deutlich höher ausfällt. Dabei ist zu berücksichtigen,dass der Unterschied in der Anrechnung nur auf die unterschiedliche Höheder anzurechnenden Kindererziehungszeiten zurückzuführen ist, da sich dieErwerbsbiogra�en der beiden Biogra�etypen nicht unterscheiden. Auf dieseWeise wird ein Teil der Kinderberücksichtigung im eigenen Rentenanspruchdurch die geringere Witwenrente kompensiert.

Die Tabelle 8 auf Seite 45 fasst die derzeit gültigen Regelungen zur Be-rücksichtigung von Kindererziehungszeiten innerhalb der GRV nochmals zu-sammen.

3.3 Aktuelle Reformvorhaben

Der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien CDU/CSU und SPD vom 11.11. 2005 sieht vor, die familienpolitische Komponente bei der Riester�Rentedeutlich auszubauen. Konkret ist geplant, dass für Geburten ab 2008 die Prä-mie für Kinder von derzeit 185 Euro auf 300 Euro angehoben werden soll. BeiVollausschöpfung der Prämie steigt damit der Zuschuss zur kapitalgedeck-ten Altersvorsorge pro Kind von derzeit 39.960 Euro auf 64.800 Euro. Beieiner als konstant unterstellten Geburtenzahl von 700.000 Kindern pro Jahrund unter der Annahme, dass alle Geburten zu Prämienausgaben in vollerHöhe führen, bedeutet dies im Jahr der Einführung einen �skalischen Mehr-aufwand in Höhe von 212 Mio. Euro. Dieser Transferbedarf steigt bis auf3,8 Mrd. Euro in der Reifephase des Systems an. Der tatsächliche �skalischeAufwand wird vermutlich deutlich unter diesen Zahlen liegen; dies ist dannaber auf eine zu geringe Inanspruchnahme dieser Leistungen zurückzuführenund familienpolitisch problematisch.

So sehr eine Umschichtung der ö�entlichen Ausgaben zu Gunsten der Fa-milien aus familienpolitischer Perspektive zu begrüÿen ist, so ist die konkreteMaÿnahme jedoch familienpolitisch ungeeignet. Denn zum Kreis der För-derberechtigten zählen nicht alle Erziehungspersonen, sondern ausschlieÿlichdie Berechtigten nach dem Altersversorgungszulagengesetz, also insbesonde-re die sozialversicherungsp�ichtig Beschäftigen sowie Beamte. Selbstständigesind davon explizit ausgenommen. Auÿerdem sind nicht erwerbstätige Erzie-hungspersonen nach dem dritten Lebensjahr des Kindes nur noch mittelbarzulagenberechtigt. Dies bedeutet, dass diese Erziehungspersonen nur danneinen Anspruch auf Zulage geltend machen können, wenn der Ehepartnereinen Altersvorsorgevertrag abgeschlossen hat. Es handelt sich also nicht um

3.3 Aktuelle Reformvorhaben 45

Tabelle 8: Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten nach geltendemRentenrechtMaÿnahme Rechtsgrundlage und InhaltKinder-erziehungs-zeiten(KEZ)

Rechtsgrundlage: �� 56, 70 SGB VI

Berechtigter Personenkreis: Erziehungs-

personen, die nach dem

31.12.1921 (West) bzw. 31.12.1926 (Ost) ge-

boren wurden.

Maÿnahme: Versicherungsp�icht in der

GRV für 12

(bei Geburten vor dem 01.01.1992) bzw. 36

(bei Geburten ab dem

01.01.1992) Monate

Rentensteigernde Wirkung: KEZ sind

P�ichtbeitragszeiten,

denen 0,0833 Entgeltpunkte monatlich resp.

1 Entgeltpunkt pro Jahr additiv zu sonstigen

Entgeltpunkten

aus Beitragszeiten zugerechnet werden (insge-

samt jedoch

maximal ca. 1,8 EP)

Rentenbegründende Wirkung: KEZ sind

P�ichtbeitragszeiten und haben deshalb ren-

tenbegründende Wirkung.

Kinder-berücksichtigungs-zeiten(KBZ)

Rechtsgrundlage: �� 57, 259 SGB VI

Berechtigter Personenkreis: Wie oben.

Maÿnahme: Anrechnung von 10 Jahren

Kinderberücksichtigungszeit je Kind

Rentensteigernde Wirkung: a) Erhöhung

des Gesamtleistungswerts bei der Bewertung

beitragsfreier Zeiten b) Bei Geburten nach

dem 01.01.1992 und Vorliegen von mind. 25

Jahren rentenrechtlicher Zeiten Höherbewer-

tung von EP aus Beitragszeiten um 50 vH,

max. auf 1 EP, bzw. Gutschrift von 0,33 EP

bei gleichzeitiger Berücksichtigung von 2 oder

mehr Kindern.

Rentenbegründende Wirkung: KBZ sind

i.d.R. nicht rentenbegründend. Ausnahme:

sog. �lange Wartezeit� von 35 Jahren.

Kinder-erziehungs-leistungen(KEL)

Rechtsgrundlage: �� 294�299 SGB VI

Berechtigter Personenkreis: Mütter der

Geburtsjahrgänge vor 1921 (West) bzw. 1927

(Ost)

Maÿnahme: Pro Kind wird zusätzlich zum

originären Rentenanspruch eine sog. Kinder-

erziehungsleistung gezahlt

Rentensteigernde Wirkung: 1 EP (zurzeit

26,13 Euro (West) bzw. 22,97 Euro (Ost) mtl.

Rentenbegründende Wirkung: Die KEL

ist ein eigenständiger Rentenanspruch und

begründet daher keine rentenrechtlichen Zei-

ten.

Kinderkomponentei.d. Witwenrente

Rechtsgrundlage: �� 46, 78a SGB VI

Berechtigter Personenkreis: Hinterblie-

bene Ehegatten mit Anspruch auf Hinterblie-

benenrente, die für mind. ein Kind KEZ er-

halten.

Maÿnahme: Gewährung zusätzlicher EP auf

den abgeleiteten Rentenanspruch

Rentensteigernde Wirkung: 2 EP für das

erste, je 1 EP für jedes weitere Kind

46 3 KINDERERZIEHUNGSZEITEN IN DER GRV

einen unbedingten Anspruch.

Grundsätzlich ist zu kritisieren, dass die Familienförderkomponente in ei-nem kapitalfundierten Sicherungssystem fehlplaziert ist. Denn in einer klei-nen, o�enen Volkswirtschaft sind kapitalgedeckte Alterssicherungssystemeweit weniger anfällig gegen demogra�sche Änderungen als Systeme, die aufdem Umlageverfahren basieren. Insofern löst die Geburt eines Kindes hierkeine �skalische Externalität aus, die aus Gründen der Leistungsgerechtigkeitzu kompensieren wäre. Der Familienleistungsausgleich ist hier also bereitskonzeptionell fehlplaziert.

3.4 Zwischenfazit

Die Ausführungen dieses Kapitels haben gezeigt, dass das geltende Ren-tenrecht bereits zahlreiche familienorientierte Maÿnahmen kennt. Begrün-dung und Ausgestaltung dieser familienpolitischen Leistungen haben sichim Zeitablauf jedoch deutlich geändert. Zunächst verstanden sich die fa-milienpolitischen Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung als einElement des sozialen Ausgleichs. Ihre Funktion bestand darin, erziehungs-bedingte Lücken in der Versichertenbiogra�e zu schlieÿen und geringe Ren-tenansprüche von Erziehungspersonen zu erhöhen. Dementsprechend kamendiese Leistungen nur nachrangig im Bedarfsfall zum Ansatz (�Lückenschlie-ÿungsprinzip�). Später setzte sich der Gedanke durch, dass die Anrechnungvon Zeiten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung eineHonorierung des �generativen� Beitrags der Familien für ein umlage�nanzie-res soziales Sicherungssystem darstellt. Durch die jüngsten Reformen fälltes jedoch zunehmend schwer, den normativen Stellenwert der familienpoliti-schen Leistungen zu verorten. Einerseits spricht die nachrangige Anrechnungvon Kinderberücksichtigungszeiten dafür, dass es sich bei diesen Leistun-gen wiederum um eine Maÿnahme des Sozialausgleichs handelt. Dem wider-spricht jedoch die Tatsache, dass diese Zeiten im Regelfall nur angerechnetwerden, wenn gleichzeitig eine Erwerbstätigkeit vorliegt. Auch die Erhöhungder Hinterbliebenenansprüche nach der Kinderzahl erscheint zunächst als so-zialpolitisch motiviert; dem widerspricht jedoch, dass der Anrechnungssatzbei Kindern höherer Ordnungszahl niedriger ist als beim ersten Kind. Auchdie familienpolitischen Elemente bei der Förderung der �Riester�Rente� sindnormativ schwer zu verorten. Denn da die kapitalgedeckte Alterssicherungweit weniger stark von der demogra�schen Entwicklung abhängt, ist hierschon die grundsätzliche Notwendigkeit fraglich. Äuÿerst problematisch istdie geplante Ausgestaltung dieser Maÿnahmen: denn wenn man sicher stel-len möchte, dass alle Erziehungspersonen über einen gewissen Kapitalstock

47

verfügen, ist die Begrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises aufsozialversicherungsp�ichtig Beschäftigte und Beamte nicht zu rechtfertigen.Darüber hinaus sind die Erziehungspersonen im Regelfall nur mittelbar zula-genberechtigt; sofern also der unmittelbar Berechtigte keinen Versicherungs-vertrag abschlieÿt, geht auch die Erziehungsperson leer aus. Die geplanteNeuregelung der Riester�Rente ist also familienpolitisch problematisch undsollte überdacht werden.

4 Familienorientierte Reform der GRV

Im vorangegangenen Kapitel wurden die bestehenden familienpolitischenLeistungen der gesetzlichen Rentenversicherung dargestellt und einer institu-tionellen Kritik unterzogen. Dabei wurde noch nicht der Frage nach der prin-zipiellen Notwendigkeit einer Berücksichtigung von Erziehungsleistungen inder gesetzlichen Rentenversicherung nachgegangen. Dies soll nun in Gliede-rungpunkt 4.1 nachgeholt werden. Anschlieÿend werden die unterschiedlichenMöglichkeiten zur Ausgestaltung und Finanzierung dieser Leistungen darge-stellt. Eine Diskussion der kritischen Einwände gegen die Berücksichtigungvon Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung schlieÿtdas Kapitel ab.

4.1 Notwendigkeit

Die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Erziehungsleistungen im Sys-tem sozialer Sicherung lässt sich sowohl verteilungspolitisch als auch ökono-misch begründen. Die verteilungspolitische Argumentation lässt sich dahin-gehend unterscheiden, ob diese familienpolitischen Leistungen dem Sozial-ausgleich innerhalb des Systems sozialer Sicherung zugerechnet werden, alsodem Kriterium der Bedarfsgerechtigkeit entsprechen, oder ob sie als Kom-pensation bestimmter Vorleistungen der Familien angesehen werden, alsodem Kriterium der Leistungsgerechtigkeit zuzuordnen sind.

Ursprünglich wurden die Kindererziehungszeiten dem Sozialausgleich zu-geordnet. Aufgabe der subsidiären Anrechnung von Kindererziehungszeitenin der gesetzlichen Rentenversicherung war es, erziehungsbedingte Lückenin der Erwerbsbiogra�e zu schlieÿen. Dabei stellt sich jedoch die Frage,weswegen erziehungsbedingte Erwerbsunterbrechungen sozialpolitisch andersbehandelt werden sollen als andere Ausfälle von Beitragsleistungen, bspw.durch unfreiwillige Arbeitslosigkeit37. Nach dem Kriterium der Bedarfsge-

37Im Fall der Kindererziehung stellt sich die Frage sogar verschärft, da die Entscheidungfür die Geburt eines Kindes und die Wahl der Betreuungsform im eigenen Ermessen der

48 4 FAMILIENORIENTIERTE REFORM DER GRV

rechtigkeit lieÿe sich allenfalls rechtfertigen, erziehungsbedingte Erwerbsun-terbrechungen im allgemeinen Sozialausgleich zu berücksichtigen. Eine ei-genständige Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten lässt sich darausnicht ableiten.

Die normative Rechtfertigung der Berücksichtigung von Erziehungsleis-tungen in der Sozialversicherung erfolgt daher in der Literatur überwiegendüber das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit und der allokativen E�zienz.Aus den Ausführungen des Abschnitts 2.2 wurde deutlich, dass ein Anstiegdes Altersquotienten in einem umlage�nanzierten Alterssicherungssystem zu�nanziellen Belastungen führt. Denn die von den Versicherten geleistetenBeitragszahlungen werden ja nicht wie beim Kapitaldeckungsverfahren an-gespart und in der Ruhestandsphase an den gleichen Personenkreis ausbe-zahlt, sondern dienen dazu, die laufenden Rentenansprüche abzudecken. Dieabsolute Höhe der Rentenzahlungen eines gesetzlich Versicherten ergibt sichalso nicht aus der Höhe der selbst gezahlten Beiträge, denn diese Geldersind ja bereits vollständig verausgabt worden. Die Höhe der eigenen Bei-tragszahlungen schlägt sich nur in der Relation der individuellen Rentenver-sicherungsansprüche zu den Ansprüchen der übrigen Beitragszahler nieder(sog. �Teilhabeäquivalenz�). Die absolute Höhe des durchschnittlichen Ren-tenanspruchs ergibt sich aus der wirtschaftlichen Leistung der erwerbstätigenBevölkerung, also der zukünftigen Lohnsumme. Diese wiederum ist abhängigvon der Anzahl der Erwerbstätigen und ihrer Produktivität. Die Produkti-vität je Erwerbstätigen hängt wiederum von der Ausbildung ab. Insofern istauch die umlage�nanzierte Alterssicherung � ebenso wie die kapitalgedeckteRentenversicherung � durch Vermögenswerte fundiert: während die kapital-gedeckte Alterssicherung über den Bestand an Produktiv� und Sachvermö-gen gedeckt ist, besteht die Deckung beim Umlageverfahren im �Humanver-mögen� der Gesellschaft, also in der Summe der wirtschaftlich verwertbarenArbeitsleistungen. Nimmt man die Entwicklung der durchschnittlichen Ar-beitsproduktivität als exogen gegeben an, so ergibt sich der Bestand desHumanvermögens einer Gesellschaft durch die Bevölkerungsentwicklung. El-tern leisten damit durch die Geburt und Erziehung ihrer Kinder einen fürdie �nanzielle Stabilität und Nachhaltigkeit umlage�nanzierter sozialer Si-cherungssysteme ebenso unverzichtbaren Beitrag wie die Zahler monetärerBeiträge. Werden diese Leistungen nicht adäquat im Sozialversicherungsys-tem abbildet, so �ndet eine Umverteilung von den Eltern zu den Kinder-losen statt. Diese Umverteilung widerspricht nicht nur dem Kriterium derLeistungsgerechtigkeit, sondern kann unter Umständen auch die Bereitschaft

Eltern steht.

4.2 Ausgestaltungsmöglichkeiten 49

Tabelle 9: Grundsätzliche Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Kinder-erziehungsleistungen in der Rentenversicherung

Beitragsdi�erenzierung Leistungsdi�erenzierung(1) Prozentual (a) Gesamtbeitrag (4) Gewährung von

Entgeltpunkten(a) ohne Abschläge

(b) Nur Arbeitneh-merbeitrag

(b) mit Abschlägen

(2) Absolut (�Bei-tragsbonus�)

(5) Höherbe-wertung vonEntgeltpunkten

(3) Freibeträge aufdie Beitragsbemes-sungsgrundlage

(6) Gutschriftvon Entgeltpunk-ten unter best.Voraussetzungen(7) Di�erenzierungder Rentenanpas-sung

beeinträchtigen, Kinder zu bekommen. Dieser fertilitätsreduzierende E�ektumlage�nanzierter Alterssicherungssysteme ist in der Literatur als Social -Security-Hypothese geläu�g.

4.2 Ausgestaltungsmöglichkeiten

In der Literatur existieren zahlreiche Modelle, die eine familienorientiertenWeiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zum Ziel haben.

Die prinzipiellen Ausgestaltungsmöglichkeiten sind in Tabelle 9, S. 49zusammengefasst.

Grundsätzlich kann die Berücksichtigung der Kindererziehung auf derBeitrags� oder der Leistungsseite erfolgen. Für die beitragsseitige Berück-sichtigung von Kindererziehungsleistungen spricht, dass die Entlastung indiesem Fall unmittelbar nach der Geburt des Kindes statt�ndet. Begüns-tig werden also junge Familien, die sich in der Erziehungsphase be�nden.Eine Di�erenzierung des Beitrags nach der Kinderzahl kann auf verschiede-ne Arten erfolgen. Eine erste Möglichkeit ist die Beitragssatzdi�erenzierungnach der Kinderzahl (Variante (1) in der Tabelle 9). Dabei kann entwederder gesamte zu zahlende Beitragssatz auf das Bruttoeinkommen nach derKinderzahl gesta�elt werden (Alternative (1a)), oder nur der vom Arbeit-nehmer zu zahlende Beitragssatzanteil (Variante (1b)). Eine Beitragssatz-di�erenzierung führt, unabhängig davon ob Alternative (1a) oder (1b) ge-wählt wird, dazu, dass der absolute Beitragsentlastungse�ekt je nach Höhedes beitragsp�ichtigen Bruttoeinkommens höher bzw. geringer ausfällt. Die-

50 4 FAMILIENORIENTIERTE REFORM DER GRV

se Ungleichbhandlung ist weder ökonomisch noch gerechtigkeitstheoretischzu rechtfertigen. Eine Di�erenzierung des Gesamtbeitrags gemäÿ (1a) führtferner dazu, dass sich die Beschäftigungskosten der Arbeitnehmer nach derKinderzahl unterscheiden; Kinderlose bzw. Kinderarme sind in diesem Fallfür den Arbeitgerber �teurer� als Kindererziehende.

Eine alternative Möglichkeit, bei welcher die Beitragsentlastung unab-hängig vom beitragsp�ichtigen Bruttoeinkommen ist, ist die Gewährung ei-nes bestimmten Euro-Betrages als Beitragsbonus, der vom zu zahlenden Bei-trag abgezogen wird (Variante (2)).

Eine dritte Möglichkeit der Beitragsdi�erenzierung besteht darin, dass� analog zur Ermittlung des zu versteuernden Einkommens � pro Kind einbestimmter Freibetrag gewährt wird (Variante (3)). In diesem Fall ist nurdas den Freibetrag übersteigende Bruttoeinkommen bis zur Beitragsbemes-sungsgrenze beitragsp�ichtig. Auch bei diesem Vorschlag ist die Höhe derBeitragsentlastung � zumindestens für sehr geringe Arbeitseinkommen �von den Bruttoeinkünften abhängig. Bei allen Formen der Beitragsdi�eren-zierung muss eine Entscheidung darüber getro�en werden, ob die Beitrags-entlastung nur für eine bestimmte Phase der Kindererziehung gewährt wirdoder ob sie für die gesamte restliche Versicherungszeit gelten soll.

Eine Leistungsdi�erenzierung ist durch die Gewährung von Entgeltpunk-ten nach der erbrachten Erziehungsleistung bzw. pro erzogenem Kind mög-lich, so wie dies heute bei den Kindererziehungs� und �berücksichtigungszeitenbereits geschieht (Variante (4)). Wenn man diese Entgeltpunkte als Kompen-sation des �generativen� Beitrags der Familien zur Rentenversicherung inter-pretiert, so sind diese Entgeltpunkte �unbedingt� zu gewähren, d.h. für dieHöhe der Anrechnung spielen weder soziale Tatbestände eine Rolle noch dieFrage, ob bzw. in welchem Ausmaÿ die Erziehungsperson während der Zeit,für die Entgeltpunkte gewährt werden, einer Erwerbstätigkeit nachgegangenist.

Weiterhin ist bei einer leistungsseitigen Berücksichtigung danach zu dif-ferenzieren, ob

1. der Erwerb von Entgeltpunkten im Rahmen einer ausgabenorientiertenEinnahmepolitik erfolgt, d.h. nicht zugleich zu Einschnitten bei deninsgesamt gewährten Rentenansprüchen führt (4a), oder ob

2. die Gewährung von zusätzlichen EP aus Kindererziehung mit einerVerringerung der gewährten EP aus monetären Beitragszahlungen ein-hergeht (einnahmeorientierte Ausgabenpolitik (4b)).

So könnte z.B. die Zahl der Entgeltpunkte, die pro Jahr durch die mo-netären Beitragszahlungen eines Durchschnittsverdieners erworben werden,

4.2 Ausgestaltungsmöglichkeiten 51

von derzeit einem Entgeltpunkt auf einen niedrigeren Wert verringert wer-den. Da eine Kürzung der persönlichen Entgeltpunkte bei Bestandsrentenaus verfassungsrechtlichen Gründen nur eingeschränkt möglich ist, könntedies nur beim künftigen Rentenneuzugängen geschehen. So könnte etwa beider Bestimmung der sog. �persönlichen Entgeltpunkte� im Rahmen der Ren-tenfeststellung eines Neurentners, ähnlich wie dies beim Zugangsfaktor heutebereits der Fall ist, ein Abschlag bei Kinderlosigkeit bzw. einer geringen Kin-derzahl eingeführt werden.

Des Weiteren könnte man zur Gegen�nanzierung den aktuellen Renten-wert verringern. Diese Lösung könnte direkt sowohl für den Rentenzugangals auch für den vorhandenen Rentenbestand vorgenommen werden.

Eine zweite Möglichkeit der Leistungsdi�erenzierung besteht darin, dassdie erworbenen Entgeltpunkte von Erziehungspersonen unter bestimmtenVoraussetzungen aufgewertet werden (Variante (5)). Dies entspricht der der-zeit geltenden Regelung zu den Kinderberücksichtigungszeiten. Die erforder-liche Voraussetzung kann z.B. darin bestehen, dass die Zahl der aus mone-tären Beitragszahlungen erworbenen Entgeltpunkte einen bestimmten Min-destwert unterschreitet und bestimmte rentenrechtliche Wartezeiten erfülltsind.

Die dritte Möglichkeit der Leistungsdi�erenzierung besteht in der Gut-schrift von Entgeltpunkten für Erziehungspersonen, die bestimmte weitereVoraussetzungen erfüllen (Variante (6)). Im Gegensatz zur vierten Varianteentsteht also kein unbedingter Leistungsanspruch. Dies entspricht der aktuel-len Regelung der Kinderberücksichtigungszeiten bei gleichzeitiger Betreuungvon zwei oder mehr Kindern. Auch der Kinderzuschlag bei der neuen Hin-terbliebenenrente kann als eine solche bedingte Gutschrift gewertet werden.

Eine vierte Möglichkeit der Leistungsdi�erenzierung besteht darin, Erzie-hungspersonen und Kinderlose bei den jährlichen Rentenanpassungen unter-schiedlich zu behandeln (Variante (7)). Eine einfache Maÿnahme bestündez.B. darin, dass die Renten von Erziehungspersonen dynamisiert werden,während die Renten von Kinderlosen nicht angepasst werden. Alternativ da-zu könnten bestimmte Elemente der Rentenanpassungsformel, wie z.B. derNachhaltigkeitsfaktor, nur auf Kinderlose angewendet werden.

Denkbar ist schlieÿlich eine Mischung von Maÿnahmen auf der Beitrags-und der Leistungsseite. In diesem Fall werden Kindererziehende bei der Bei-tragszahlung unmittelbar entlastet und erwerben zugleich höhere Rentenan-wartschaften als Kinderlose.

52 4 FAMILIENORIENTIERTE REFORM DER GRV

Tabelle 10: Finanzierungsmöglichkeiten von Kindererziehungsleistungen inder RentenversicherungInterne Finanzierungsmöglichkeiten Externe Finanzierungsmöglichkeiten

Beitragserhöhung Erhöhung des allgemeinen bzw. des zusätzli-

chen Bundeszuschusses

Abbau anderer Versicherungsleistungen

Sofortige Senkung des aktuellen Rentenwerts Beitragszahlungen des Bundes

Sukzessive Senkung des aktuellen Renten-

werts

4.3 Finanzierung

Grundsätzlich kann eine Ausweitung der Kinderberücksichtigung in der GRVdurch Umschichtungen innerhalb der Versichertengemeinschaft (interne Fi-nanzierungsmöglichkeiten), durch die Zuführung von Mitteln von auÿerhalbder Versichertengemeinschaft (externe Finanzierungsmöglichkeiten) oder durcheine Mischung aus beiden Maÿnahmen �nanziert werden. Die Tabelle 10 fasstdie wesentlichen Möglichkeiten einer internen bzw. externen Finanzierungzusammen, die im weiteren Verlauf näher beschrieben werden.

Interne Finanzierungsmöglichkeiten

Im Sinne einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik müsste eine Auswei-tung der Kinderberücksichtigung in der GRV durch Beitragserhöhungen �-nanziert werden. Zu den Beitragserhöhungen würde es bei einer Leistungsdif-ferenzierung dann kommen, wenn die gewährten zusätzlichen Rentenanwart-schaften von den Erziehungspersonen �eingelöst� würden. Sofern nur zukünf-tige Rentenzugänge von der Ausweitung der Kinderberücksichtigung pro�-tieren, wäre dies erst zu einem Zeitpunkt in der Zukunft der Fall. Gilt dieerweiterte Kinderberücksichtigung hingegen auch für die aktuellen Rentenbe-zieher, müsste der Beitragssatz dementsprechend sofort angehoben werden.Bei einer Beitragsdi�erenzierung müssten dagegen die Beitragsausfälle beiden Erziehungspersonen sofort durch höhere Beitragszahlungen der Kinder-losen kompensiert werden.

Wird hingegen gemäÿ einer einnahmeorientierte Ausgabenpolitik verfah-ren, so könnte eine erweiterte Kinderberücksichtigung durch den Abbau an-derer Versicherungsleistungen der GRV �nanziert werden. So könnte manz.B. daran denken, die Hinterbliebenenrentenansprüche (noch) weiter ab-zusenken bzw. ganz abzuscha�en, da eine stärkere Berücksichtigung derKindererziehungsleistung vor allem die eigenständigen Rentenansprüche vonFrauen erhöht, die dann nicht mehr auf eine abgeleitete Rente angewiesenwären.

4.4 Kritik 53

Sofern von einer familienorientierten Rentenreform auch Bestandsrentnererfasst werden sollen, könnte im Rahmen einer einnahmeorientierten Ausga-benpolitik auch der aktuelle Rentenwert soweit abgesenkt werden, dass diezusätzlichen Ansprüche aus Kindererziehung nicht zu zusätzlichen Ausgabender GRV führen. Kindererziehende würden dadurch zwar mehr Entgeltpunk-te erwerben, diese hätten dann aber einen geringeren Wert. Eine absoluteBesserstellung von Eltern �ndet also nur statt, wenn die Zahl der zusätzli-chen Entgeltpunkte den geringeren Gegenwert überkompensiert. Kinderlosewären hingegen in jedem Fall schlechter gestellt. Wenn die Erweiterung derKinderberücksichtigung hingegen erst in Zukunft zu höheren Ausgaben derGRV führt, z.B. weil sie sich auf künftige Rentenzugänge oder auf Geburtenab einem bestimmten Zeitpunkt beschränkt, kann eine einnahmeorientierteAusgabenpolitik gewährleistet werden, in dem künftige Rentenanpassungeninsoweit gedämpft werden, wie die zusätzlichen Ansprüche aus der Kinder-berücksichtigung zum Tragen kommen. Auch auf diese Weise würde der ak-tuelle Rentenwert verringert; diese Verringerung würde jedoch nicht sofort,sondern schrittweise erfolgen.

Externe Finanzierungsmöglichkeiten

Für eine externe Finanzierung kommt insbesondere eine Erhöhung des Bun-deszuschusses in Betracht38. Die Höhe des Bundeszuschusses kann sich zumeinen an der Höhe der Ausgaben der Rentenversicherung für Kindererzie-hungszeiten orientieren. Aktuell werden jedoch nicht die Ausgaben der Ren-tenversicherung abgedeckt, sondern es werden �ktive �Beitragszahlungen� fürKindererziehungszeiten zur Rentenversicherung geleistet. Wie bereits obendargestellt, übersteigen damit die Leistungen des Bundes die erziehungs-zeitbedingten Ausgaben der Rentenversicherung. Dadurch werden nicht dieFamilien, sondern die heutigen Beitragszahler � bzw. bei einer einahmeori-entierten Ausgabenpolitik die heutigen Rentner � entlastet.

4.4 Kritik

Dass die umlage�nanzierte gesetzliche Rentenversicherung durch den demo-gra�schen Wandel in erhebliche �nanzielle Schwierigkeiten kommen wird unddass Eltern durch die Geburt und Erziehung ihrer Kinder einen �generativenBeitrag� zur Stabilisierung dieses Systems leisten, ist mittlerweile in der Li-teratur und in der praktischen Politik weitgehend unstrittig. Dennoch stöÿtdie Forderung nach einer familienorientierten Reform des Systems der gesetz-

38Weitere Finanzierungsmodalitäten wie bspw. die Einführung einer Wertschöpfungs-abgabe oder einer �Maschinensteuer� werden im Folgenden nicht berücksichtigt.

54 4 FAMILIENORIENTIERTE REFORM DER GRV

lichen Alterssicherung bei Sozialrechtlern, aber auch bei zahlreichen Ökono-men auf z.T. heftigen Widerspruch. Die Kritik beruht zum einen auf grundle-genden Einwänden gegen eine Berücksichtigung von Kindererziehungszeitenin der gesetzlichen Rentenversicherung, zum anderen werden Probleme beider institutionellen Ausgestaltung eines Familienbezugs in der Rentenversi-cherung erkannt. Diese beiden Argumentationsstränge sollen im Folgendennäher diskutiert werden.

4.4.1 Grundsätzliche Kritik

In der Literatur werden folgende Kritikpunkte grundsätzlicher Art gegeneine Berücksichtigung des generativen Beitrags im System der gesetzlichenRentenversicherung vorgebracht39:

1. Die Erziehung und Ausbildung der nachfolgenden Generation hat nichtnur für die Rentenversicherung, sondern für die Gesamtgesellschaft einebestandserhaltende Funktion. Familienpolitik ist daher eine gesamt-gesellschaftliche Aufgabe und kann nicht auf die Rentenversicherungbeschränkt werden.

2. Die Kinderlosen leisten auch heute bereits erhebliche Aufwendungenfür die Betreuung, Erziehung und Bildung der Kinder. Durch die öf-fentliche Bereitstellung von Betreuungs� und Bildungseinrichtungenleisten auch Personen, die selbst keine Kinder haben, Investitionen indas Humanvermögen der nachwachsenden Generation.

3. Die Sozialversicherung ist ihrem Wesen nach ein auf monetären Bei-tragszahlungen beruhendes Versicherungssystem, bei dem die mone-täre Beitragsleistung gemäÿ dem Prinzip der Teilhabeäquivalenz in ei-nem direkten Verhältnis zur Rentenleistung steht. Leistungen, die nichtauf monetären Beitragszahlungen beruhen, schwächen das Äquivalenz-prinzip und senken auf Seiten der Beitragszahler die Akzeptanz dergesetzlichen Rentenversicherung. Beitragszahlungen bekommen so denCharakter einer verzerrenden Steuer, die sich negativ auf das Arbeits-angebot auswirkt.

4. Die gesetzliche Rentenversicherung beinhaltet durch die Anrechnungvon Kindererziehungs� und Kinderberücksichtigungszeiten bereits einen

39Vgl. aus der Vielzahl der Publikationen zu diesem Thema Binne (1994), Köhler-Rama(2002), Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (Hrsg.) (2003), Barbier(2003) sowie zusammenfassend insbesondere Konrad/Richter (2005).

4.4 Kritik 55

ausreichenden Familienlasten� und �leistungsausgleich. Eine Auswei-tung dieser Maÿnahmen ist daher nicht notwendig.

5. Die Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland ist ein in sichgegliedertes System, in dem es zu Wanderungsbewegungen zwischenden Versicherungszweigen in intergenerationaler Hinsicht kommt. EineBerücksichtigung von Kindererziehungszeiten nur in der gesetzlichenRentenversicherung würde Einzelfallungerechtigkeiten zur Folge haben.

6. Die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichenRentenversicherung ist eine ungeeignte Maÿnahme der Bevölkerungs-politik und ein ine�zientes Instrument zur Förderung der eigenständi-gen Alterssicherung der Frau. Bevölkerungs� wie frauenpolitisch sinn-voller wäre es, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch einenAusbau von Kinderbetreuungseinrichtungen zu verbessern.

So plausibel die Kritikpunkte im Einzelnen zunächst sein mögen, hal-ten sie jedoch einer näheren Überprüfung nicht Stand. So ist zwar unbe-stritten, dass Erziehungsleistungen auch gesamtgesellschaftlich von Bedeu-tung sind und entsprechende Externalitäten verursachen. Hier geht es jedochum einen systemimmanenten externen E�ekt, der durch das spezi�sche Fi-nanzierungsverfahren in der gesetzlichen Rentenversicherung verursacht wirdund deshalb auch dort zu kompensieren ist. Die Anrechnung von Zeiten derKindererziehung ist in einem nach dem Umlageverfahren �nanzierten Al-terssicherungssystem insofern auch nicht versicherungsfremd, sondern einenotwendige Maÿnahme zur adäquaten Berücksichtigung einer notwendigenVorleistung für die soziale Alterssicherung.

Ein sozialpolitisches Problem stellen hingegen die generationenübergrei-fenden Wanderungsbewegungen zwischen den Sicherungssystemen dar. Denndadurch werden Eltern, die nicht vom System sozialer Sicherung erfasst sindund deshalb auch nicht von den Erziehungsleistungen pro�tieren, schlech-tergestellt. Dieses Problem lässt sich jedoch weitgehend beseitigen, indemKindererziehungszeiten einen unbedingten Rechtsanspruch begründen unddie Ausgaben über einen Bundeszuschuss abgedeckt sind.

Es ist weiterhin richtig, dass Kinderlose bereits heute in erheblichemUmfang an der Erziehung und Ausbildung der nachwachsenden Generationbeteiligt sind. Dennoch ist nach allen vorliegenden empirischen Befunden da-von auszugehen, dass Familien einen positiven Netto�E�ekt generieren. DieAutoren der unlängst erschienenen Studie �Starke Familien� bezi�ern den�skalischen Netto�E�ekt für die gesetzliche Rentenversicherung auf 77.600

56 4 FAMILIENORIENTIERTE REFORM DER GRV

Euro40. Hierin sind bereits die familienorientierten Rentenleistungen enthal-ten. Etwas älteren Schätzungen des wissenschaftlichen Beirats für Familienzufolge liegt der Anteil der ö�entlichen Leistungen an den Erziehungs� undBildungsaufwendungen zwischen 30% und 50% der Gesamtaufwendungen.Damit tragen die Familien nach wie vor den gröÿten Teil der erziehungsbe-dingten Lasten selbst.

Ebenfalls nicht stichhaltig ist der Hinweis auf das Prinzip der Teilha-beäquivalenz. Denn es ist ja gerade der Konstruktionsfehler des bestehen-den Systems, dass sich der individuelle Rentenanspruch im Wesentlichen ausder Höhe der monetären Beitragszahlungen ableitet, obwohl die Rentenzah-lungen realwirtschaftlich ausschlieÿlich auf der Produktivität der nachfol-genden Erwerbstätigengeneration beruhen; die selbst entrichteten monetä-ren Beitragszahlungen sind für die Höhe des eigenen Rentenanspruchs re-alwirtschaftlich völlig irrelevant. Eine gewisse Berechtigung erhält das Ar-gument durch die negativen Arbeitsangebotse�ekte, mit denen zu rechnenwäre, wenn sich die Rentenleistungen ausschlieÿlich an der Kinderzahl orien-tieren würden. Eine derart weitgehende familienorientierte Reform ist aberweder inhaltlich geboten noch wird sie im politischen Bereich gefordert.

4.4.2 Institutionelle Kritik

Neben den grundsätzlichen Einwänden gegen eine familienorientierte Reformder sozialen Alterssicherung wird auch Kritik an der institutionellen Ausge-staltung dieser Leistungen geübt. Und tatsächlich erweist sich der derzeitigerentenversicherungsinterne Familienleistungsausgleich als hochgradig de�zi-tär und dringend reformbedürftig. Um den Rahmen für eine Reform abzu-stecken, die sowohl den sozialpolitischen wie den familienpolitischen Zielenentspricht, werden zunächst die prinzipiellen Ausgestaltungsmöglichkeitenkritisch diskutiert.

Wie bereits im Abschnitt 4.2 erläutert wurde, lassen sich Kindererzie-hungsleistungen auf der Beitrags� wie auf der Leistungsseite berücksichtigen.Für eine Berücksichtigung im Beitragsrecht spricht zum einen, dass die Ent-lastung zeitnah erfolgt. Des Weiteren wird die Familie in jener Phase entlas-tet, in der ihre Einkommenssituation durch den erziehungsbedingten Wegfalleines Erwerbseinkommens am stärksten belastet ist. Demgegenüber ist an derBeitragsdi�erenzierung zum einen zu kritisieren, dass von dieser Maÿnahmenur sozialversicherungsp�ichtig Beschäftigte pro�tieren. Nicht berücksichtigtwerden die Erziehungsleistungen von Selbständigen, Beamten, geringfügigBeschäftigten oder Nichterwerbstätigen. Diese Ungleichbehandlung ist sach-

40Robert Bosch Stiftung (Hrsg.) (2006)

4.4 Kritik 57

lich nicht zu rechtfertigen. Sofern eine Di�erenzierung des Beitragssatzes er-folgt, werden die Bezieher höherer Einkommen stärker entlastet als Bezieherniedriger Einkommen. Auch dies ist inhaltlich nicht zu rechtfertigen. Wirddiese Beitragssatzdi�erenzierung auch auf den Arbeitgeberbeitrag angewen-det, so variieren die Beschäftigungskosten mit der Kinderzahl. Beschränktman die Beitragssatzdi�erenzierung hingegen auf den Arbeitnehmeranteil,wird die gesamte Beitragsberechnung kompliziert und intransparent. Ausdiesen Gründen wird eine Di�erenzierung des Beitragssatzes nach der Kin-derzahl heute nicht mehr gefordert. Aktuelle Vorschläge zur beitragsseitigenEntlastung von Familien sehen eine Bonusleistung zur Rentenversicherungvor. Allerdings bleiben die Einwände hinsichtlich des geförderten Personen-kreises bestehen.

Diesen Einwänden kann man dadurch Rechnung tragen, dass die Be-rücksichtigung der Kindererziehung nicht im Beitragsrecht, sondern auf derLeistungsseite erfolgt. Bei geeigneter Ausgestaltung könnte so allen Erzie-hungspersonen ein einheitlicher Entlastungsbetrag je Kind zugerechnet wer-den. Dem wird jedoch entgegen gehalten, dass die Erziehenden in diesemFall die �nanziellen Mittel zu einem Zeitpunkt erhalten, zu dem sie am we-nigsten gebraucht würden. Der �nanzielle Bedarf bestehe zum Zeitpunkt derErziehung, nicht im Alter. Auÿerdem unterliegt dieses Modell einem hohenpolitischen Risiko. Denn zunächst erhalten Eltern ja nur einen abstraktenAnspruch gegen das System sozialer Sicherung. In welcher Höhe sich die-ses Leistungsversprechen letztlich manifestiert, ist nicht nur von der wirt-schaftlichen Entwicklung, sondern auch von den weiteren Maÿnahmen desGesetzgebers abhängig. Schlieÿlich wird kritisiert, dass eine Erhöhung derKindererziehungszeiten neue Ansprüche gegen das umlage�nanzierte Systemkonstituiert, die die nachfolgende Generation zu tragen hat. Es kommt alsonicht zu einem Ausgleich zwischen Eltern und Kinderlosen, sondern lediglichzu einer zusätzlichen Belastung der Kindgeneration.

Das erste Argument ist wenig stichhaltig. Denn zum einen ist es nicht dieAufgabe des Familienleistungsausgleichs, �nanzielle Mittel bedarfsadäquatzuzuweisen, zum anderen ist dies aufgrund der pluralisierten Familienbiogra-�en auch gar nicht möglich. Implizit �ndet in jedem Fall eine Entlastung derjungen Familien statt: denn um das Sicherungsniveau aufrecht zu erhalten,müssten die Familien ja in jedem Fall entsprechende Vorsorgebeiträge leis-ten. Diese können durch kinderzahlorientierte Leistungen eingespart werden.Richtig ist hingegen der Hinweis auf die politischen Risiken im Falle einerLeistungsdi�erenzierung. Dieses Risiko ist aber nicht auf die Anrechnungvon Kindererziehungszeiten beschränkt, sondern der gesetzlichen Rentenver-

58 4 FAMILIENORIENTIERTE REFORM DER GRV

sicherung grundsätzlich immanent41. Unzutre�end ist ebenfalls das dritteArgument. Denn wenn man die Kindererziehungszeiten im Sinne einer aus-gabeorientierten Einnahmepolitik zusätzlich zu den bereits bestehenden An-sprüchen anrechnet, so werden zwar die nachkommenden Generationen stär-ker belastet; dennoch erfolgt intragenerational eine Umschichtung zuguns-ten der Eltern. Will man aus Gründen der intergenerationalen Gerechtigkeiteine weitere Belastung nachfolgender Generationen mit Beitragszahlungenvermeiden, so sind die zusätzlichen Erziehungszeiten über eine Absenkungder allgemeinen Anwartschaften zu re�nanzieren.

4.4.3 Fazit

Die wesentlichen Ergebnisse sollen nochmals kurz zusammengefasst werden.

In einem umlage�nanzierten Alterssicherungssystem ist die Berücksichti-gung von Zeiten der Kindererziehung keine �versicherungsfremde Leistung�,sondern ein systemnotwendiges Element zur Aufrechterhaltung der langfris-tigen Finanzierbarkeit dieses Systems. Es handelt sich somit auch nicht umein Instrument der Bevölkerungspolitik42 bzw. um eine �familienpolitischeInstrumentalisierung� der Rentenversicherung oder gar eine �Bestrafung Kin-derloser�. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, die Leistungen, die die Familien fürdie Gesellschaft erbringen, auch zu honorieren. Insofern wären die Zeiten derKindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung auch dann zu be-rücksichtigen, wenn sich dadurch keine Änderung des Fertilitätsverhaltenseinstellen würde.

Wenn man die rentenversicherungsrechtlichen Kindererziehungszeiten un-ter dem Kriterium der Leistungsgerechtigkeit diskutiert, lassen sich einigeGrundsätze für eine adäquate Ausgestaltung der Kindererziehungszeiten ab-leiten. So sollten diese Leistungen �unbedingt� gewährt werden, d.h. für An-spruch und Höhe der Leistungen sollte weder der Zeitpunkt der Geburt nochdie Erwerbsbiogra�e der Erziehungsperson oder das Haushaltseinkommenrelevant sein. Des Weiteren sollten alle Erziehungspersonen in den Genussdieser Leistungen kommen. Ebenso müsste sicher gestellt werden, dass al-le Gesellschaftsmitglieder entsprechend ihrer subjektiven Leistungsfähigkeitzur Finanzierung dieser Leistungen herangezogen werden.

41In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass jede in die Zukunft gerichteteAktivität bestimmte Risiken � auch politischer Art � aufweist. Dies gilt für Bildungs�und Berufsentscheidungen ebenso wie für jede Art der Altersvorsorge, unabhängig vonihrer Finanzierung.

42Es ist jedoch davon auszugehen, dass bei einer adäquaten Honorierung der LeistungenKindererziehender auch die Bereitschaft zur Gründung einer Familie � auch mit mehrerenKindern � steigt.

59

Vor diesem Hintergrund ist die derzeitige Ausgestaltung der familienori-entierten Rentenleistungen hochgradig de�zitär und reformbedürftig. Hinterden zahlreichen Instrumenten stehen unterschiedliche verteilungspolitischeZielvorstellungen und familienpolitische Leitbilder. Darüber hinaus hängtdie Höhe der Rentenanwartschaften, die eine Erziehungsperson für die Er-ziehung eines Kindes erwirbt, in hohem Maÿe vom Zeitpunkt der Geburtdes Kindes und der Erwerbsbiogra�e des Erziehenden ab. Diese unterschied-liche Behandlung ist nicht begründbar und sollte bei einer Erweiterung derKinderberücksichtigung in der GRV nicht noch weiter ausgebaut werden.

Um eine Lastenverschiebung auf nachfolgende Generationen zu vermei-den und den Anteil der Renten, der für erbrachte Kindererziehungsleistungengewährt wird, auch tatsächlich zu erhöhen, sollte eine Erweiterung der Kin-derberücksichtigung für die GRV kostenneutral umgesetzt werden. Da diesnur mit Leistungseinschnitten an anderer Stelle möglich ist, ist darauf zuachten, dass die Erweiterung der familienorientierten Leistungen und die da-mit einhergehenden Leistungsseinschnitte in einem möglichst transparentenVerfahren vollzogen werden.

5 Die Ausweitung von Kindererziehungszeiten in

der GRV

5.1 Vorbemerkungen

Im Folgenden soll ein konkreter Vorschlag für eine familiengerechte Reformder gesetzlichen Rentenversicherung vorgestellt werden. Dabei wird unter-stellt, dass die rentenbegründenden und �steigernden Zeiten der Kinderer-ziehung von derzeit drei bzw. einem Jahr um jeweils zwei Jahre angehobenwerden (sog. �2+�Modell�). Diese Ausweitung soll sowohl für Geburten vor1992 als auch für Geburten nach 1991 gelten. Für Geburten vor 1992 werdendann also maximal drei Jahre statt bisher einem Jahr, für Geburten nach1991 maximal fünf Jahre statt bisher drei Jahren Kindererziehungszeit ange-rechnet. Diese Ausweitung soll nicht nur für den zukünftigen Rentenzuganggelten, sondern auch bereits auf den Rentenbestand angewendet werden.Zeiten der Kindererziehung werden weiterhin mit maximal 0,0833 Entgelt-punkten pro Monat bewertet. Maximal können daher durch das 2+-Modellzusätzlich zwei Entgeltpunkte pro angerechnetem Kind erworben werden. Al-le anderen Komponenten des Rentenrechts werden als konstant unterstellt.Insbesondere wird die Kinderberücksichtigungszeit von 10 Jahren nicht ver-längert. Die zur Berechnung verwendeten aktuellen Rentenwerte Ost bzw.West entsprechen den in 2005 gültigen Werten.

60 5 AUSWEITUNG VON KINDERERZIEHUNGSZEITEN

Datengrundlage der Berechnungen ist das Scienti�c Use File (SUF) derRentenzugangsstatistik des Jahres 2003, das vom VDR zur Verfügung ge-stellt wurde. Dieser Datensatz enthält eine 10%-Stichprobe des Rentenzu-gangs an Altersrenten, Erwerbsminderungsrenten und Erziehungsrenten imBerichtsjahr 2003. Dabei stehen anonymisierte Individualdaten von insge-samt 100298 Versicherten zur Verfügung, die Informationen über demogra�-sche Merkmale (z.B. Geschlecht, Alter, rentenrechtlich berücksichtigungsfä-hige Kinderzahl), geogra�sche Merkmale (z.B. Wohnort Ost oder West) undrentenrechtliche Tatbestände (z.B. Rentenart, Entgeltpunkte, Vorliegen undAnrechnung von Kindererziehungs� und Anrechnungszeiten) der jeweiligenVersicherten enthalten. Den Berechnungen wurde grundsätzlich der gesam-te Datensatz zugrunde gelegt. Aufgrund fehlender Angaben können für dieBerechnungen nur 95,14% des Gesamtdatensatzes verwendet werden. DieStichprobe umfasst damit insgesamt 95.426 Fälle. Um eine einfache Hoch-rechnung der Angaben vorzunehmen, werden die Berechnungswerte für diefehlenden Fälle geschätzt. Eine Vergleichsrechnung zeigt, dass Versichertemit fehlenden Angaben im Durchschnitt deutlich niedrigere Rentenansprü-che erwerben. Dies wird bei der Schätzung berücksichtigt. Angegeben sindjeweils die bereits auf den gesamten Rentenzugang 2003 hochgerechnetenund auf das Gesamtjahr bezogene Werte.

Das 2+-Modell wird in zwei Varianten berechnet. In Variante I führendie zusätzlichen Entgeltpunkte gemäÿ den geltenden aktuellen Rentenwer-ten Ost bzw. West zu zusätzlichen Ansprüchen. Die Ausgaben der GRVsteigen um die zusätzlich erworbenen Ansprüche (ausgabenorientierte Ein-

nahmenpolitik). Es gibt jedoch zwei implizite Gegen�nanzierungse�ekte. Einimpliziter Gegen�nanzierungse�ekt tritt dadurch ein, dass die Kinderberück-sichtigungszeit von zehn Jahren nicht verlängert wird. Die um zwei Jahrelängere Überschneidung von Kindererziehungszeit und Kinderberücksichti-gungszeit führt für Geburten ab 1992 zu einem leichten Rückgang der Ausga-ben der GRV für die Höherbewertung von Beitragszeiten und die Gutschriftvon Entgeltpunkten während der Kinderberücksichtigungszeit. Ein weitererimpliziter Gegen�nanzierungse�ekt tritt dadurch auf, dass die höheren eigen-ständigen Rentenanwartschaften von Kindererziehenden zu etwas geringerenAusgaben der GRV bei der Hinterbliebenenrente führen. Das Ausmaÿ desersten Gegen�nanzierungse�ekts �ieÿt in die Berechnungen mit ein; eine Be-rechnung des zweiten Gegene�ektes war aufgrund fehlender Informationennicht möglich. Er dürfte jedoch nur marginal sein.

Um den Ausgabenanstieg möglichst realitätsnah abzubilden, werden beider Berechnung die zusätzlichen 24 Monate Kindererziehungszeit bei je-dem Versicherten mit jener Zahl an Entgeltpunkten bewertet, mit denen die

5.1 Vorbemerkungen 61

bereits angerechneten Kalendermonate für Kindererziehungszeit im Durch-schnitt bewertet worden sind. Lag die Bewertung bisher bei weniger als0,0833, wird folglich angenommen, dass dies auch in den zusätzlichen Mona-ten Kindererziehungszeit der Fall sein wird. Grund für diese Vorgehensweiseist die Tatsache, dass die einer Erziehungsperson pro Monat Kindererzie-hungszeit angerechneten Entgeltpunkte aus verschiedenen Gründen kleineroder sogar gröÿer als 0,0833 sein können:

1. Es wurde eine vorgezogene Rente in Anspruch genommen, so dass derZugangsfaktor kleiner als 1 ist. Die Rentenabschläge mindern auch dieEntgeltpunkte aus Kindererziehungszeiten.

2. Es wurde eine �verspätete� Rente in Anspruch genommen, so dass derZugangsfaktor gröÿer als 1 ist. Die Rentenzuschläge erhöhen auch dieEntgeltpunkte aus Kindererziehungszeiten.

3. Während der Kindererziehungszeit wurde eine sozialversicherungsp�ich-tige Beschäftigung ausgeübt und ein überdurchschnittliches Brutto-einkommen erzielt. Die Summe aus Entgeltpunkten aus Beschäftigungund Entgeltpunkten für Kindererziehungszeiten darf jedoch nicht dieZahl an Entgeltpunkten überschreiten, die maximal in einem Jahrdurch monetäre Beiträge erworben werden kann. Wird diese Zahl über-schritten, werden die Entgeltpunkte aus Kindererziehungszeiten ge-kürzt.

4. Die Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten stammen aus einem Ver-sorgungsausgleich oder wurden im Rahmen eines Versorgungsausgleichsverringert.

5. Die Kindererziehungszeiten liegen in Zeiten, die nach dem Fremdren-tengesetz bewertet wurden.

6. Es wurde eine Teilrente in Anspruch genommen. So halbiert z.B. einTeilrentenanspruch von 1

2 auch die Entgeltpunkte aus Kindererzie-hungszeiten.

Eine volle Anrechnung von je 0,0833 Entgeltpunkten pro Monat und Kindwürde daher die entstehenden Kosten überzeichnen.

62 5 AUSWEITUNG VON KINDERERZIEHUNGSZEITEN

5.2 Ausgabenorientierte Einnahmepolitik

5.2.1 Situation vor Erhöhung der Kindererziehungszeiten

Für den Rentenzugang des Jahres 2003 belaufen sich die gesamten erwor-benen persönlichen Entgeltpunkte auf ca. 346 Mio.43. Daraus ergeben sichBruttorentenansprüche von etwas über 8,6 Mrd. Euro. Rentenrechtlich be-rücksichtigt wurden im Rentenzugang 2003 990 Tsd. Kinder44. Für diesewurden insgesamt 11,4 Mio. Kalendermonate an Kindererziehungszeiten an-gerechnet,45 die mit insgesamt 860 Tsd. Entgeltpunkten bewertet wurden.Daraus ergibt sich eine tatsächliche Bewertung der Kindererziehungszeit mit0,7577 EP monatlich. Bezogen auf ein Jahr wurden 10,3 Mio. Entgeltpunktefür Kindererziehungszeiten angerechnet; aus diesen Zeiten stammen somit2,98% der gesamten erworbenen Entgeltpunkte. Die dadurch entstehendenjährlichen Bruttorentenansprüche belaufen sich auf 264,6 Mio. Euro; diessind 3,06% der gesamten erworbenen Bruttorentenansprüche.46

Die Anrechnung von weiteren 24 Monaten Kindererziehungszeit pro Kindwürde pro Jahr zu zusätzlichen 19,9 Mio. Entgeltpunkten aus Kinderer-ziehungszeiten führen. Die Gesamtzahl an Entgeltpunkten aus Kindererzie-hungszeiten würde somit 30,3 Mio. betragen; dies wären 8,26% der insge-samt erworbenen Entgeltpunkte. Die zusätzlich erworbenen Entgeltpunktewürden zu zusätzlichen Bruttorentenansprüchen in Höhe von 511 Mio. Eu-ro führen. Die gesamten Bruttorentenansprüche aus Kindererziehungszeitenwürden sich dann pro Jahr auf 775,2 Mio. Euro belaufen, dies wären 8,24%der gesamten erworbenen Bruttorentenansprüche. Die Tabelle 11 fasst dieErgebnisse nochmals im Überblick zusammen.

43Im zugrundeliegenden Datensatz wurde die Summe der maximal erreichbaren Ent-geltpunkte auf 70 beschränkt. Da es eine geringe Zahl von Versicherten gibt, deren An-wartschaft 70 Entgeltpunkte übersteigt (insgesamt betri�t dies 1,6% des Rentenzugangs),wird die gesamte Zahl von persönlichen Entgeltpunkten geringfügig unterschätzt.

44Im Datensatz VRZ 2003 werden maximal fünf Kinder einzeln ausgewiesen. 2% derFälle im Datensatz weisen das Merkmal �5 und mehr� Kinder auf. Da man annehmenkann, dass ein kleiner Teil dieser 2% 6 oder noch mehr Kinder hat, wird die Zahl derKinder leicht unterschätzt.

45Durchschnittlich wurden demnach pro Kind 11,47 Kalendermonate Kindererziehungs-zeit angerechnet. Der Unterschied zu einer Anrechnung von 12 Monaten pro Kind ergibtsich dadurch, dass in einigen Fällen die Kindererziehungszeit zwischen den Ehepartnernaufgeteilt wurde und einige Kinder im ersten Lebensjahr verstorben sind.

46Abweichungen zum relativen Anteil der Entgeltpunkte an allen EP entstehen durchRundungsfehler und v.a. durch die approximative Berechnung der gesamten Bruttoren-tenansprüche. Die Abweichung von �nur� 0,08 Prozentpunkten spricht jedoch dafür, dassdie relevanten Daten relativ exakt ermittelt wurden.

5.2 Ausgabenorientierte Einnahmepolitik 63

Tabelle 11: Zusätzliche Bruttorentenansprüche und zusätzliche Entgeltpunk-te im 2+-Modell (in Mio. und in vH)

Status Quo 2+-Modell(1) gesamte persönliche EP 346,3 366,2(2) gesamte Bruttorentenansprüche 8 637,6 9 148,1(3) Angerechnete EP für KErzZ 10,327 30,259(4) Anteil EP aus KErzZ an ges. EP 3,0% 8,3%(5) Bruttorentenansprüche aus KErzZ 264,6 775,2(6) Anteil von (5) an (2) in vH 3,1% 8,2%

5.2.2 Schätzung der Kosten des 2+-Modells

Allein für den Rentenzugang 2003 ohne Hinterbliebenenrenten betragen diezusätzlichen jährlichen Ausgaben der GRV durch Umsetzung des 2+-Modellsca. 510,6 Mio. Euro. Nimmt man in einer groben Schätzung an, dass derRentenbestand aus 18 bis 20 Rentenzugangsjahrgängen besteht und diesein Gröÿe und Struktur vergleichbar sind, würden die jährlichen Zusatzbe-lastungen der GRV zwischen 9,2 und 10,2 Mrd. Euro betragen. Geht manweiterhin davon aus, dass der Rentenbestand aus 19,5 identischen Renten-zugangskohorten besteht,47 so belaufen sich die zusätzlichen Ausgaben auf9,96 Mrd. Euro. Zur Finanzierung dieser Zusatzbelastung müsste entwederder Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung um 1,3 bis 1,4 Prozent-punkte angehoben werden, oder der Bundeszuschuss müsste entsprechendsteigen. Im bestehenden Recht würde ein Teil der Zusatzbelastung ohnehinvom Bund übernommen, da bei einer Umsetzung des 2+-Modells der � 177SGB VI, der die Beitragszahlungen des Bundes für Kindererziehungszeitenregelt, geändert werden müsste. Bei der Bemessung des Bundeszuschusseswäre nun nicht mehr die Zahl der unter Dreijährigen, sondern die Zahl derunter Fünfjährigen relevant. Der Anteil der Rentenansprüche, der auf Kin-dererziehungszeiten beruht, würde von ca. 3% auf ca. 8,25% wachsen.

Weiterhin ist noch zu klären, inwieweit die hier nicht beachteten Hin-terbliebenenrenten die Zusatzkosten erhöhen würden. Eine exakte Quanti�-

47Rechnet man die Ausgaben für Kindererziehungszeiten vor Umsetzung des 2+-Modellsauf den Rentenbestand hoch, so ergeben sich unter den o.a. Annahmen Rentenausgabenfür Kindererziehungszeiten in Höhe von 5,16 Mrd. Euro. Dies entspricht fast exakt denAngaben des VDR im Rentenversicherungsbericht 2003, der ohne Hinterbliebenenrenten,aber unter Berücksichtigung der Erziehungsrenten, von einem Aufwand in Höhe von 5,156Mrd. Euro für gewährte Kindererziehungszeiten ausgeht. Zudem beträgt die mittlere Ren-tenbezugszeit von Frauen, denen zum weit überwiegenden Teil die Kindererziehungszeitenangerechnet werden, ebenfalls ca. 19,5 Jahre.

64 5 AUSWEITUNG VON KINDERERZIEHUNGSZEITEN

zierung dieses E�ekts ist aufgrund der Datenlage nicht möglich. Wenn manjedoch unterstellt, dass der im Rentenversicherungsbericht 2003 ausgewiese-ne Anteil der Kindererziehungszeiten in Hinterbliebenenrenten48 zu den ge-samten Rentenansprüchen aus Kindererziehungszeiten (5,651%) analog fürdie zusätzlich entstehenden Ansprüche aus Kindererziehungszeiten bei Um-setzung des 2+-Modells gilt, so belaufen sich die zusätzlichen Ausgaben imBereich der Hinterbliebenenrente auf ca. 519 � 577 Mio. Euro.

Die gesamten zusätzlichen Rentenausgaben der GRV würden dann alsoauf ca. 9,7 � 10,8 Mrd. Euro steigen. Geht man wiederum davon aus, dass derRentenbestand aus 19,5 identischen Rentenzugangskohorten besteht, dannbetragen die Zusatzlasten der GRV ca. 10,52 Mrd. Euro pro Jahr. Zur Fi-nanzierung wäre eine weitere Beitragssatzerhöhung um 1,5 Prozentpunktenauf dann 21,0% nötig.

5.2.3 Die Zusatzbelastung bis 2040

In den nächsten Jahren wird sich sowohl die Zahl der Rentenempfänger alsauch die Struktur des Rentenbestandes ändern. Interessant ist daher dieFrage, wie sich die jährliche Zusatzbelastung der GRV bei Umsetzung des2+-Modells in der Variante I in den nächsten Jahren bzw. Jahrzehnten ver-ändern wird. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat dies imRahmen dieses Gutachtens mithilfe eines Simulationsmodells berechnet. DieErgebnisse �nden sich in Tabelle 12.

Tabelle 12: Zusatzkosten einer Erhöhung der Kindererziehungszeiten in derGRV (in Mrd. Euro)

Zusätzliche Ausgaben im Jahr2010

im Jahr2020

im Jahr2030

im Jahr2040

KErzZ für Geburten vor 1992 11,7 11,9 10,4 6,3KErzZ für Geburten nach 1992 0,1 0,5 2,9 6,6Insgesamt 11,8 12,4 13,3 12,9

Man erkennt, dass sich im Rentenbestand bislang kaum Versicherte be-�nden, deren Kinder seit 1992 geboren wurden. Würde man, wie dies in derVergangenheit üblich war, eine Verlängerung der Kindererziehungszeiten umzwei Jahre allein für Geburten seit 1992 einführen, wären die zusätzlichenKosten bis zum Jahr 2020 nur sehr gering. Die Ungleichbehandlung von Ver-sicherten, deren Kinder vor 1992 bzw. seit 1992 zur Welt gekommen sind,

48(Vgl. Bundesregierung (2003, S. 53 �.))

5.2 Ausgabenorientierte Einnahmepolitik 65

würde aber noch weiter gesteigert. Insgesamt werden die Zusatzkosten zwi-schen 12 und 14 Mrd. Euro pro Jahr schwanken, der Beitragssatz zur GRVwürde so bei Umsetzung des 2+-Modells um 1,7�2,0 % höher liegen als imstatus quo.

5.2.4 Gegen�nanzierungse�ekte

Wie bereits oben beschrieben, werden die Mehrausgaben der GRV durch dieVerlängerung der Kindererziehungszeiten zum Teil durch geringere Ausgabenfür Kinderberücksichtigungszeiten kompensiert. Dieser E�ekt wurde in denobigen Berechnungen noch nicht berücksichtigt. Die BfA hat im Rahmenihrer Simulationsrechnung auch diesen E�ekt bestimmt49. Die Ergebnissesind in Tabelle 13 aufgeführt:

Tabelle 13: Gegen�nanzierungse�ekte

Zusätzliche Ausgaben imJahr2010

imJahr2020

imJahr2030

imJahr2040

Ohne Anrechnung der Kinderberück-sichtigungszeiten

11,8 12,4 13,3 12,9

Mit Anrechnung der Kinderberücksich-tigungszeiten

11,8 12,3 13,0 12,3

Minderung der Mehrausgaben 0% 0,4% 2,1% 4,9%

Man erkennt, dass der Gegen�nanzierungse�ekt zunächst nur marginalausfällt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Höherbewertung von Bei-tragszeiten bzw. die Gutschrift von Entgeltpunkten während der Kinder-berücksichtigungszeit nur für den Rentenzugang seit dem 1.1.2002 und fürKinder, die seit 1992 geboren wurden, gilt. Erst ab 2030 nimmt der Gegen-�nanzierungse�ekt ein spürbares Ausmaÿ an, bleibt jedoch im Verhältnis zuden zusätzlichen Ausgaben bei Umsetzung des 2+-Modells in der Variante Ibescheiden.

49Die Berechnungen beruhen dabei auf einer Sonderauswertung der AVID 1996. Dabeiwurde ermittelt, in welchem Umfang sich aufgrund der Regelungen bez. der Kinderbe-rücksichtigungszeiten zusätzliche Entgeltpunkte für die kindererziehenden Versichertenergeben werden. Da die AVID-Stichprobe Versicherte der Geburtsjahrgänge 1936 bis 1955enthält, deren Kinder typischerweise vor 1992 geboren wurden, wird dabei �ktiv davonausgegangen, dass auch in diesen Fällen bereits drei Jahre an Kindererziehungszeiten an-gerechnet wurden.

66 5 AUSWEITUNG VON KINDERERZIEHUNGSZEITEN

5.2.5 Verteilungse�ekte des 2+-Modells

Bei einer Umsetzung des 2+-Modells in der Variante I werden so gut wie alleKindererziehenden besser gestellt. Für Kinderlose ändert sich die Situationnicht, da keine Gegen�nanzierung innerhalb des Systems vorgenommen wird.Eine explizite Verteilungsanalyse lohnt daher nicht. Interessant ist aber, wiesich die Umsetzung des 2+-Modells auf die Rentenanwartschaften der imvorhergehenden Abschnitt vorgestellten vier weiblichen Biogra�etypen aus-wirkt. In der Vergangenheit war es so, dass Erweiterungen der Kinderbe-rücksichtigung stets zu einer weiteren Spreizung der Rentenanwartschaftenführten. Tabelle 14 S. 67 zeigt, dass eine Umsetzung des 2+-Modells nichtnur einen neutralen, sondern sogar einen egalisierenden E�ekt hätte.

5.2 Ausgabenorientierte Einnahmepolitik 67

Tabelle14:Verteilungse�ekte

des2+

-Modells

BioMax

BioMin

Bio91

Bio92

BioVZ1J

BioVZ3J

BioVZ6J

BioTZ1J

BioTZ3J

BioTZ6J

EntgeltpunkteRechtsstand2002

23,0

83,3

28,0

33,7

48,4

48,4

48,4

27,8

28,1

28,6

RentenansprücheRechtsstand2002

(inEuro)

601

2.175

732

880

1.265

1.265

1.265

726

735

747

Entgeltpunkte

bei

Umsetzung

2+ModellVarianteI

25,7

83,3

32,0

36,6

51,8

51,8

51,8

31,2

31,5

32,0

Rentenansprüche

bei

Umsetzung

2+ModellVarianteI(inEuro)

671

2.175

836

956

1.354

1.354

1.354

814

823

835

Zusätzliche

EP

bei

Umsetzung

2+Modell

2,7

04,0

2,9

3,4

3,4

3,4

3,4

3,4

3,4

Zusätzliche

Rentenansprüche

bei

Umsetzung2+

Modell(inEuro)

70,0

0104,5

76,8

88,8

88,8

88,8

87,8

87,8

87,8

68 5 AUSWEITUNG VON KINDERERZIEHUNGSZEITEN

Denn während durch die jüngsten Rentenreformen Geburten ab dem Jahr1992 stets bei der Rentenbemessung bevorzugt wurden, hat die Umsetzungdes 2+-Modells einen gegenteiligen E�ekt. Dies hat seinen Grund in der Tat-sache, dass die Möglichkeiten einer Höherbewertung von Beitragszeiten bzw.einer Gutschrift von Entgeltpunkten während der Kinderberücksichtigungs-zeit nur für Geburten ab 1992 bestand. Eine Ausweitung der Kindererzie-hungszeiten führt, wie bereits oben beschrieben, dazu, dass die zusätzlichgewährten Entgeltpunkte aus Kindererziehungszeiten zum Teil durch denWegfall von während der Kinderberücksichtigungszeit gewährten Entgelt-punkten kompensiert werden. Genau dies ist bei den Biogra�etypen BioMaxund Bio92 der Fall. BioMax verliert in 4 Jahren je 0,33 EP aus einer Hö-herbewertung von Beitragszeiten während der Kinderberücksichtigungszeit,so dass statt der maximal möglichen vier Entgeltpunkte bei Umsetzung des2+-Modells nur zusätzliche 4−(4·0, 33) = 2, 68 EP angerechnet werden. Bio-gra�etyp Bio92 verliert in 2 Jahren je 0,33 EP aus einer Gutschrift währendder gleichzeitigen Erziehung zweier Kinder sowie in zwei weiteren Jahren je0,2 EP aus der Höherbewertung von Beitragszeiten während der Kinderbe-rücksichtigungszeit, insgesamt werden so statt möglicher vier Entgeltpunktelediglich 4 − (2 · 0, 33 + 2 · 0, 2) = 2, 94 EP angerechnet. Biogra�etyp Bio91 hatte dagegen bislang keine Möglichkeit, während der Kinderberücksich-tigungszeit EP zu erwerben und bekommt die vollen 4 EP angerechnet. EineUmsetzung des 2+-Modells in der Variante I ist folglich nicht nur neutral ge-genüber Geburten verschiedenen Zeitpunktes, sondern verringert sogar diebislang bestehende rentenrechtliche Ungleichbehandlung.

5.3 Einnahmeorientierte Ausgabenpolitik

In der Variante II soll das 2+�Modell ausgabenneutral für die Rentenver-sicherung umgesetzt werden. Dies soll durch eine Absenkung des aktuellenRentenwerts geschehen, so dass trotz der zusätzlichen Rentenanwartschaftenaus Kindererziehungszeiten die Gesamtausgaben der GRV konstant bleiben.

5.3.1 Notwendige Absenkung des aktuellen Rentenwerts

Im Folgenden wird eine Abschätzung vorgenommen, um wie viel die aktuel-len Rentenwerte Ost bzw. West verringert werden müssten, um eine kosten-neutrale Umsetzung des 2+-Modells zu gewährleisten. Der durchschnittli-che Wert eines Entgeltpunktes im Status Quo für Gesamtdeutschland ergibtsich aus dem Quotienten der gesamten Bruttorentenansprüche und der ge-samten erworbenen persönlichen Entgeltpunkte. Dabei ergibt sich ein Wert

5.3 Einnahmeorientierte Ausgabenpolitik 69

von 8.637.565.560/346.287.720 = 24, 94332 Euro.50 Die Ausweitung der Kin-dererziehungszeiten würde die Zahl der erworbenen Entgeltpunkte um 19,9Mio. Entgeltpunkte auf insgesamt 366,2 Mio. Entgeltpunkte erhöhen. Umeine kostenneutrale Umsetzung zu gewährleisten, müsste dementsprechendder aktuelle Rentenwert um jeweils 5,44% auf 24,71 Euro (West) bzw. 21,72Euro (Ost) sinken.

5.3.2 Verteilungse�ekte des 2+�Modells (Variante II)

Während Kinderlose bei Umsetzung des 2+�Modells in Variante II in jedemFall schlechter gestellt werden (ihre Entgeltpunkte haben nun einen gerin-geren Wert), könnten Kindererziehende sowohl besser als auch schlechtergestellt werden. Die ambivalente Auswirkung des 2+�Modells auf Kinderer-ziehende ergibt sich aus zwei Ein�ussfaktoren:

1. Pro Kind können zwar mehr EP erworben werden, aber über die ge-samte Versichertenzeit sinkt der Wert jedes erworbenen EP. Es ist alsofraglich, ob die zusätzlich erworbenen EP aus Kindererziehungszeitenden Wertverlust pro EP (über-)kompensieren.

2. Auch bisher besteht nach Ablauf der dreijährigen Kindererziehungs-zeit die Möglichkeit, zusätzliche EP für Kindererziehung zu erwerben.Grundlage dafür ist die Höherbewertung von Beitragszeiten währendder Kinderberücksichtigungszeit. Wie bereits oben ausgeführt, kommtes bei einer Ausweitung der Kindererziehungszeiten zu einem partiellenVerlust von Ansprüchen aus Kinderberücksichtigungszeiten.

Als Faustregel lässt sich festhalten, dass kindererziehende Versichertedurch die Neuregelung umso besser gestellt werden, je mehr Kinder sie er-zogen und je weniger Entgeltpunkte sie aus monetären Beitragszahlungen

50Der Wert eines Entgeltpunktes beträgt nominal 26,13 Euro für Westrentner bzw.22,97 Euro für Ostrentner. Der hier ermittelte Wert ist ein �virtueller� aktueller Renten-wert, der zum Ausdruck bringt, wie hoch im Durchschnitt des gesamten Rentenzugangsder aktuelle Rentenwert sein müsste, damit mit den ermittelten persönlichen Entgeltpunk-ten gerade die Bruttorentenansprüche erfüllt werden können. Der Wert von 24,94 Euroergibt sich dabei einmal dadurch, dass der Rentenzugang sowohl aus West- als auch ausOstrentnern besteht. Zusätzlich führen Einkommensanrechnungen bei den Erwerbsmin-derungsrenten sowie Teilrenten dazu, dass der virtuelle aktuelle Rentenwert zu niedrigausgewiesen wird. Da es hier jedoch nur um die Ermittlung der ungefähr notwendigenprozentualen Verringerung der aktuellen Rentenwerte geht, spielen diese Einschränkungenkeine groÿe Rolle: Würde man z.B. die Bruttorentenansprüche der Bezieher einer Teilren-te auf Vollrentenansprüche hochrechnen, würden dadurch die Bruttorentenansprüche umden gleichen Prozentsatz erhöht wie die durchschnittlich erworbenen Entgeltpunkte proKind, das Verhältnis bliebe unverändert.

70 5 AUSWEITUNG VON KINDERERZIEHUNGSZEITEN

erworben haben. Um einen umfassenden Eindruck über die Verteilungse�ek-te zu erhalten, sind jedoch nicht nur die individuellen Versichertenbiogra�en,sondern auch die Rentenansprüche des Gesamthaushalts zu berücksichtigen.

Im Folgenden werden zur Analyse der Auswirkungen 13 weibliche Ver-sichertenbiogra�en und 39 Haushaltsbiogra�en untersucht. Die 13 weibli-chen Versichertenbiogra�en bestehen aus den zehn bereits in Abschnitt 3.1beschriebenen Biogra�etypen sowie 3 weiteren typischen Versicherungsbio-gra�en, die sich nach dem Erwerbsverhalten der versicherten Person und derZahl der erzogenen Kinder unterscheiden. Die Gesamtzahl von 39 Haushalts-biogra�en ergibt sich durch Kombination der 13 weiblichen Biogra�en mitdrei männlichen Biogra�etypen, die sich lediglich in der Zahl der erworbenenEntgeltpunkte unterscheiden. Dabei wurde jeweils ein Berufseintritt mit dem21. Lebensjahr und ein Renteneintritt nach Vollendung des 65. Lebensjahressowie nach dem 1.1.2002 angenommen. Zudem wurde unterstellt, dass dieKinder nach dem 31.12.1991 geboren wurden.

Zusätzliche Individualbiogra�en Frauen

� Bio1K: Angenommen wird die Biogra�e einer Frau, die ein Kind erzo-gen hat. Nach dem Berufseintritt zu Beginn des 21.Lebensjahres wirdacht Jahre lang eine Vollzeitbeschäftigung mit einem Einkommen inHöhe von 80% des Durchschnittseinkommens ausgeübt. Mit 29 wirddas einzige Kind geboren; nach der Geburt schlieÿen sich zwei JahreKindererziehung im Haushalt an, im Anschluss daran acht Jahre Teil-zeitbeschäftigung mit einem Einkommen in Höhe von 40% des Durch-schnittseinkommens. Die restliche Versichertenbiogra�e ist mit Voll-zeitbeschäftigung zu einem Einkommen in Höhe von 80% des Durch-schnittseinkommens belegt.

� Bio3K: Angenommen wird die Biogra�e einer Frau, die drei Kindererzogen hat. Nach dem Berufseintritt zu Beginn des 21. Lebensjahreswird 3 Jahre lang eine Vollzeitbeschäftigung mit einem Einkommen inHöhe von 80% des Durchschnittseinkommens ausgeübt. Das erste Kindwird mit 24 geboren, danach zwei Jahre Kindererziehungszeit im Haus-halt und ein Jahr Teilzeitbeschäftigung mit einem Einkommen in Höhevon 40% des Durchschnittseinkommens. Das zweite Kind wird im Altervon 27 Jahren geboren, anschlieÿend drei Jahre Kindererziehungszeitim Haushalt. Das dritte Kind wird mit 30 geboren, anschlieÿend zehnJahre Kindererziehungszeit im Haushalt. Daran schlieÿen sich 10 Jah-re Teilzeitbeschäftigung mit einem Einkommen in Höhe von 33% desDurchschnittseinkommens an. Der Rest der Versichertenbiogra�e ist

5.3 Einnahmeorientierte Ausgabenpolitik 71

mit Vollzeitbeschäftigung und einem Einkommen in Höhe von 66% desDurchschnittseinkommens belegt.

� Bio5K: Abgebildet wird der Extremfall einer Frau, die 5 Kinder erzogenhat und zu keiner Zeit sozialversicherungsp�ichtig beschäftigt war. DieKinder werden im 21., 24., 27., 30. und 33. Lebensjahr der Muttergeboren.

Individualbiogra�en Männer Die Männerbiogra�en dienen allein zur Her-leitung der Haushaltsbiogra�en von Familien unterschiedlicher Einkommensklas-sen. Sie sind in ihrem Verlauf nicht typisch, wohl aber in der Zahl der erwor-benen Entgeltpunkte.

� M1: Lebenslanger Geringverdiener. Angenommen wird, dass pro Jahrim Durchschnitt 0,8 EP erworben wurden, insgesamt somit 36 EP.

� M2: Lebenslanger Durchschnittsverdiener. Angenommen wird, dass proJahr im Durchschnitt 1,0 EP erworben wurden, insgesamt somit 45 EP.

� M3: Lebenslanger Besserverdienender. Angenommen wird, dass proJahr im Durchschnitt 1,3333 EP erworben wurden, insgesamt somit60 EP.

Die Ergebnisse dieser Analyse sind in den nachfolgenden Tabellen 15und 16 aufgeführt. Die Ergebnisse bei den Individual- und Haushaltsbiogra-�en zeigen die Gültigkeit der oben genannten Faustregel. Bei den Indivi-dualbiogra�en werden alle Biogra�etypen mit Ausnahme von BioMin undBio1K besser gestellt. Die Schlechterstellung von BioMin ergibt sich daraus,dass die Erweiterung der Kindererziehungszeiten zu keinen zusätzlich ange-rechneten Entgeltpunkten führt, da in den betro�enen Jahren allein durchBeitragszahlungen die in einem Jahr maximal erzielbaren Entgeltpunkte er-reicht wurden. Die Abwertung des aktuellen Rentenwertes um 5,44% schlägtdaher voll auf die Rentenansprüche durch. Bio1K wird schlechter gestellt,weil die Rentenansprüche aus den zusätzlich erworbenen Entgeltpunkten fürdie Erziehung eines Kindes durch die Abwertung aller insgesamt erworbenenEntgeltpunkte überkompensiert werden. Bei den Haushaltsbiogra�en zeigtsich, dass bei einer Umsetzung des 2+�Modells in der Variante II keines-wegs alle kindererziehenden Familien in Bezug auf das Renteneinkommenabsolut besser gestellt werden. Sie werden jedoch in jedem Fall im Vergleichzu kinderlosen Paaren besser gestellt51. Eine absolute Besserstellung ergibt

51Die Rentenansprüche kinderloser Paare werden immer um 5,44% abgewertet.

72 6 FAZIT

Tabelle 15: Rentenanwartschaften im 2+-Modell (Variante II) � Individual-biogra�en

Anwart- Anwartschaft Veränderungschaft 2005 2+-Modell(Var. II) in vH

BioMax 601 635 +5,6%BioMin 2.175 2.057 -5,4%Bio91 732 791 +8,0%Bio92 880 904 +2,8%Bio1K 930 919 -1,2%Bio3K 705 782 +11,0%Bio5K 392 618 +57,6%BioVZ1J 1.265 1.280 +1,2%BioVZ3J 1.265 1.280 +1,2%BioVZ6J 1.265 1.280 +1,2%BioTZ1J 726 770 +6,0%BioTZ3J 735 778 +5,9%BioTZ6J 747 790 +5,7%

sich für kinderreiche Familien sowie für Familien mit relativ geringen Ren-tenansprüchen aus monetären Beitragszahlungen. Zu prüfen ist schlieÿlichnoch, inwieweit die Umsetzung des 2+-Modells in der Variante II zu ei-ner stärkeren rentenrechtlichen Berücksichtigung der Kindererziehung führt.Um dies zu zeigen, werden die erworbenen Rentenanwartschaften von Kin-dererziehenden vor und nach Umsetzung des 2+�Modells ermittelt (absoluteBewertung der erbrachten Kindererziehungsleistung) und zu den insgesamterworbenen Rentenanwartschaften in Beziehung gesetzt (relative Bewertungder erbrachten Kindererziehungsleistung).

Es zeigt sich, dass nicht nur die absolute Berücksichtigung der erbrachtenKindererziehungsleistung für alle Biogra�etypen (mit Ausnahme von Bio-Min) zunimmt, sondern auch der relative Anteil der Ansprüche aus Kinder-erziehung an allen Rentenansprüchen.

6 Fazit

Die Bundesrepublik Deutschland ist in höherem Maÿe als andere entwickelteVolkswirtschaften dem demogra�schen Wandel unterworfen. Die inländischeGeburtenrate ist bei weitem nicht ausreichend, um den Bevölkerungsstandstabil zu halten. Verschärfend kommt hinzu, dass in den kommenden Jahr-

73

Tabelle 16: Rentenanwartschaften im 2+-Modell (Variante II) � Haushalts-biogra�en

Anwartschaft Anwartschaft Veränderung2005 2+-Modell(Var. II) in vH

BioMax+M1 1.542 1.524 -1,1%BioMax+M2 1.777 1.747 -1,7%BioMax+M3 2.169 2.117 -2,4%BioMin+M1 3.116 2.947 -5,4%BioMin+M2 3.351 3.169 -5,4%BioMin+M3 3.743 3.540 -5,4%

Bio91+M1 1.672 1.680 +0,5%Bio91+M2 1.908 1.903 -0,2%Bio91+M3 2.299 2.273 -1,1%Bio92+M1 1.820 1.794 -1,4%Bio92+M2 2.055 2.016 -1,9%Bio92+M3 2.447 2.387 -2,5%

Bio1K+M1 1.871 1.809 -3,3%Bio1K+M2 2.106 2.031 -3,5%Bio1K+M3 2.498 2.402 -3,9%Bio3K+M1 1.646 1.672 +1,6%Bio3K+M2 1.881 1.894 +0,7%Bio3K+M3 2.273 2.265 -0,3%Bio5K+M1 1.333 1.507 +13,1%Bio5K+M2 1.568 1.730 +10,3%Bio5K+M3 1.960 2.100 +7,2%

BioVZ1J+M1 2.205 2.170 -1,6%BioVZ1J+M2 2.441 2.392 -2,0%BioVZ1J+M3 2.832 2.763 -2,5%BioVZ3J+M1 2.205 2.170 -1,6%BioVZ3J+M2 2.441 2.392 -2,0%BioVZ3J+M3 2.832 2.763 -2,5%BioVZ6J+M1 2.205 2.170 -1,6%BioVZ6J+M2 2.441 2.392 -2,0%BioVZ6J+M3 2.832 2.763 -2,5%

BioTZ1J+M1 1.667 1.660 -0,5%BioTZ1J+M2 1.902 1.882 -1,1%BioTZ1J+M3 2.294 2.253 -1,8%BioTZ3J+M1 1.675 1.667 -0,5%BioTZ3J+M2 1.911 1.890 -1,1%BioTZ3J+M3 2.303 2.260 -1,8%BioTZ6J+M1 1.688 1.679 -0,5%BioTZ6J+M2 1.923 1.902 -1,1%BioTZ6J+M3 2.315 2.272 -1,9%

74 6 FAZIT

zehnten die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand treten und diegeburtenschwachen Jahrgänge nachrücken. Dadurch wird sich der Altenquo-tient in Deutschland deutlich erhöhen. Dieser Anstieg des Altenquotientenlässt sich durch politische Maÿnahmen nicht aufhalten. Selbst wenn es gelän-ge, die Fertilitätsrate zeitnah auf das bestandserhaltende Niveau anzuheben,könnte der Wandel im Altersaufbau der Bevölkerung nicht verhindert wer-den, da die Personen, die ab 2020 in das Erwerbsleben eintreten, ja bereitsgeboren sind. Das Geburtende�zit lässt sich realistischerweise auch nichtdurch eine verstärkte Zuwanderung lösen. Denn dazu wäre ein drastischerAnstieg des Migrationssaldos erforderlich. Abgesehen von den sozialen An-passungsproblemen einer masiv verstärkten Immigration stellt sich die Frage,ob Deutschland tatsächlich in der Lage ist, hoch produktive Migranten zuattrahieren. Bei realistischer Betrachtung geht es also nicht mehr darum, dendemogra�schen Wandel aufzuhalten, sondern primär darum, sich auf diesenWandel wirtschafts� wie sozialpolitisch einzustellen.

Der demogra�sche Wandel verursacht vor allem im umlage�nanziertenSystem sozialer Sicherung � und hier insbesondere in der gesetzlichen Ren-tenversicherung � erhebliche Belastungen. Denn ein nach dem Umlagever-fahren �nanziertes soziales Sicherungssystem ist zur Sicherung der Leistungs-ansprüche darauf angewiesen, dass eine nachfolgende Generation mit ihrerProduktivkraft diese Anwartschaften realwirtschaftlich abdeckt. Sofern eineGeneration weniger Kinder bekommt als die Vorgängergeneration � ökono-misch formuliert: sofern eine Generation zu wenig in das künftige Human-vermögen investiert � müssen entweder die künftigen Beitragssätze erhöhtoder die Leistungsansprüche für diese Generation abgesenkt werden. AusGünden der intergenerationalen Gerechtigkeit ist es dabei unzulässig, dieAnpassungslasten über höhere Beiträge an die nachfolgenden Generationenabzuwälzen. Insofern sind die jüngsten Rentenreformen notwendige Maÿnah-men zur �nanziellen Stabilisierung der Rentenausgaben und damit zur Si-cherung der langfristigen Finanzierbarkeit dieses Systems. Allerdings habendiese Reformen einen weiteren zentralen Mangel des Systems nicht besei-tigt: die intragenerationalen Umverteilungse�ekte von den Familien zu denKinderlosen.

Ein familiengerechtes System der sozialen Alterssicherung würde die Er-ziehungsleistung deutlich stärker berücksichtigen, als das bislang der Fallist. Um ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen zu vermeiden, sollte jedeGeburt � unabhängig vom Zeitpunkt der Geburt, von der Höhe des Einkom-mens der Eltern und von der Erwerbsbioga�e der Erziehungsperson � eineneinheitlichen und unbedingten Rentenanspruch auslösen. Gemessen an dieserAnforderung erweist sich der rentenversicherungsinterne Familienleistungs-

75

ausgleich als hochgradig de�zitär und reformbedürftig. So werden Geburtenab 1992 deutlich besser gestellt als frühere Geburten, und die Höhe des Hin-terbliebenenanspruchs von Erziehungspersonen di�eriert nach der Ordnungs-zahl des Kindes und der Höhe des originären Rentenanspruchs. Als besondersproblematisch erweist sich die Tatsache, dass ein Anspruch auf Kinderbe-rücksichtigungszeit i.d.R. die Erwerbstätigkeit der Erziehungsperson voraus-setzt. Damit ist diese Maÿnahme weder ein Element des Familienleistungs�noch des Familienlastenausgleichs.

Im Rahmen dieses Gutachtens wird ein Modell vorgestellt, dass dem Kri-terium der Familiengerechtigkeit weitgehend entspricht. Durch die Anhebungder anrechnungsfähigen Zeiten der Kindererziehung um je zwei Jahre (sog.�2+�Modell�) könnten zum einen die De�zite der derzeitigen Regelung abge-baut werden. Auÿerdem hätten alle Erziehungspersonen einen eigenständi-gen Rentenanspruch, der sich am externen E�ekt der Erziehungsleistung fürdie Rentenversicherung orientiert. Durch eine sachadäquate Bemessung deszusätzlichen Bundeszuschusses an den erziehungsbedingten Leistungsausga-ben wäre darüber hinaus sichergestellt, dass sich alle Gesellschaftsmitgliederentsprechend ihrer subjektiven Leistungsfähigkeit an der Finanzierung derfamilienpolitischen Leistungen beteiligen.

76 A ANHANG

AAnhang

Tabelle17:Entwicklungdesversicherungsp�ichtigenPersonenkreises

Jahr

Maÿnahm

eWirkung

Intertem

poral

neutral

Intertem

poral

nicht

neu-

tral

�ohne

zusätzliche

Einnahmen

Intertem

poral

nicht

neu-

tral

�mit

zusätzlichen

Einnahmen

1957

Gesetzüber

dieAltershilfefürLandwirte

v.1.7.1957

X1960

Fremdrentengesetz

X1962

Handwerkerversicherungsgesetz

X1965

ErhöhungderP�ichtgrenze

fürAngestellteum40%(H

ärtenovellev.9.6.1965)

X1968

Einführungder

Versicherungsp�ichtfüralleAngestellten(Finanzierungsän-

derungsgesetzv.21.12.1967)

X

1972

Möglichkeitzurfreiwilligen

VersicherungfürallePersonen

abdem

16.Le-

bensjahr

X

1972

MöglichkeitzurSelbständigezurfreiwilligen

VersicherungmitBeitragsnach-

entrichtung

X

1983

EinführungderVersicherungsp�ichtfürselbständigeKünstlerundPublizisten

X1984

EinbeziehungvonSonderzahlungen

(Urlaubs�

undWeihnachtsgeld)in

die

Versicherungsp�icht

X

77Tabelle18:Entwicklungdesversicherungsp�ichtigenPersonenkreises

Jahr

Maÿnahm

eWirkung

Intertem

poral

neutral

Intertem

poral

nicht

neu-

tral

�ohne

zusätzliche

Einnahmen

Intertem

poral

nicht

neu-

tral

�mit

zusätzlichen

Einnahmen

1986

EinbeziehungvonErziehungspersonen

indie

Versicherungsp�icht(A

nrech-

nungvonmax.12MonatenKindererziehungszeiten)

X

1992

Erweiterungder

Versicherungsp�ichtvonErziehungspersonen

(Anrechnung

vonmax.36MonatenKindererziehungszeiten)

X

1995

EinbeziehungvonP�egepersonen

indieVersicherungsp�icht(B

eitragszahlung

durchP�egeversicherung)

X

1999

Einführungsog.�echterBeitragszahlungen�des

Bundes

fürErziehungszeiten

X1999

Einbeziehungarbeitnehmerähnlich

Selbständiger

indieGRV

X1999

Möglichkeitzurfreiwilligen

Versicherungvongeringfügig

Beschäftigten

X2002

Versicherungsp�ichtvonBezieherneines

Existenzgründungszuschusses

(�Ich�

AG�)

X

78 Literatur

Literatur

Albers, W.: Die Anpassung des Systems der gesetzlichen Rentenversiche-rung an demographische Änderungen. In Finanzierungsprobleme dersozialen Sicherung. 1990, 9�40

Barbier, H.-D.: Nicht unter dem Mutterkreuz - Anmerkungen zur Debatteüber die Sanierung der Rentenversicherung. Zeitschrift für Wirtschafts-politik, 2003, 215�220

Binne, W.: Kinderzahlabhängige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversiche-rung. Deutsche Rentenversicherung, 1994, 309�321

Browning, E. K.: Why the social security budget is too large in a demo-cratic society. Economic Enquiry, 1975, 373�388

Büttner, R./Wojtkowski, S.: Die Wirkungsweisen der Rentenreformenauf den Altersübergang. 2005

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Bevölkerung. Fakten-Trends-Ursachen-Erwartungen. Wiesbaden, 2004

Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (Hrsg.):

Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme.2003

Bundesregierung: Rentenversicherungsbericht 2003. 2003

Bundesverfassungsgericht: Entscheidung v. 12.März 1996, 1 BvR 609/90u. 692/90. 1996

Dinkel, R.: Kinder- und Alterslastenausgleich bei abnehmender Bevölke-rung. Finanzarchiv, 1981, 136�145

Dünn, S./Fasshauer, S.: Die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung- Aktuelle Optionen. Deutsche Rentenversicherung, 2003, 444�464

Erbe, R.: Familienlastenausgleich über die gesetzliche Rentenversicherung?Wirtschaftsdienst, 1986, 194�202

Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Familienfragen e.V.: EAF-Modell für eine familien- und generationengerechte Alterssicherung.2005, Familienpolitische Informationen

Literatur 79

Feucht, R.: Lasten der umlage�nanzierten Altersrente vor dem Hinter-grund eines demogra�schen Wandels. Zeitschrift für Bevölkerungswis-senschaft, 1995, 215�231

Hain, W./Lohmann, A./Lübke, E.: Veränderungen bei der Rentenan-passung durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz. Deutsche Rentenversi-cherung, 2004, 333�349

Hermann, Chr.: Die Zeit von 1957-1991. In Ruland (Hrsg.): Handbuchder gesetzlichen Rentenversicherung. 1990, 105�140

Himmelreicher, R./Schmähl, W.: Private Vorsorge statt gesetzlicherRenten: Wer gewinnt, wer verliert? Münster, 2004

Kaldibayewa, K./Thiede, R.: Abschlagsfreier vorzeitiger Rentenbeginnfür langjährige Versicherte? Die Angestelltenversicherung, 2004, 497�505

Köhler-Rama, T.: Kinderzahlabhängige Beiträge in der gesetzlichen Ren-tenversicherung: Rückschritt statt Fortschritt. Die Angestelltenversi-cherung, 2002, 1�6

Kommission �Soziale Sicherheit� zur Reform der sozialen Siche-

rungssysteme: Bericht der Kommission. Berlin, 2003

Konrad, K./Richter, R.: Zur Berücksichtigung von Kindern bei umlage�-nanzierter Alterssicherung. Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 2005,115�130

Krupp, H.-J.: Zur Interpretation des Nachhaltigkeitsfaktors. Wirtschafts-dienst, 2003, 705�710

Lampert, H./Althammer, J.: Lehrbuch der Sozialpolitik. Springer, 2004

Lipinski, H./Stutzer, E.: Wollen die Deutschen keine Kinder? Statisti-sches Monatsheft Baden-Württemberg, 2004, 3�8

Mulligan, C./Gil, R./Martin, X. Sala-i: Social Security and Democracy.2002

Mulligan, C./Martin, X. Sala-i: Social security in theory and practice:E�ciency theories, narrative theories and implications for reform. 1999

Robert Bosch Stiftung (Hrsg.): Starke Familien. Bericht der Kommission�Familie und demographischer Wandel�. 2006

80 Literatur

Sinn, H.-W./Werding, M.: Rentenniveausenkung und Teilkapitalde-ckung. ifo-Empfehlungen zur Konsolidierung des Umlageverfahrens.2000

VDR: Rentenversicherung in Zahlen 2004. 2004

Werding, M.: Der Generationenvertrag vor der demographischen Krise:Familienpolitische Aspekte der Rentenreform. In Mückl (Hrsg.): Fa-milienpolitik: Grundlagen und Gegenwartsprobleme. 2002, 167�189

Werding, M.: Rente nach Kinderzahl: Argumente zugunsten einer unpo-pulären Idee. Zeitschrift für Wirtschaftpolitik, 2003, 204�214

TABELLENVERZEICHNIS 81

Tabellenverzeichnis

1 Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland . . . . . . . 72 Entwicklung des Rentnerquotienten . . . . . . . . . . . . . . . 123 Veränderungen des sozialen Ausgleichs in der gesetzlichen Ren-

tenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Beiträge der Formelmodi�kationen zur Reduktion des aktuel-

len Rentenwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Anteil der Frauen der Geburtsjahrgänge 1935 - 1967 nach An-

zahl der geborenen Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Auswirkungen der Rechtsänderungen zur Kinderberücksichti-

gung für verschiedene Versichertenbiogra�en . . . . . . . . . . 367 Auswirkungen des neuen Hinterbliebenenrechts in Abhängig-

keit von der Versichertenbiographie . . . . . . . . . . . . . . . 438 Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten nach geltendem

Rentenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Grundsätzliche Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Kin-

dererziehungsleistungen in der Rentenversicherung . . . . . . 4910 Finanzierungsmöglichkeiten von Kindererziehungsleistungen in

der Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5211 Zusätzliche Bruttorentenansprüche und zusätzliche Entgelt-

punkte im 2+-Modell (in Mio. und in vH) . . . . . . . . . . . 6312 Zusatzkosten einer Erhöhung der Kindererziehungszeiten in

der GRV (in Mrd. Euro) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6413 Gegen�nanzierungse�ekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6514 Verteilungse�ekte des 2+-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . 6715 Rentenanwartschaften im 2+-Modell (Variante II) � Individu-

albiogra�en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7216 Rentenanwartschaften im 2+-Modell (Variante II) � Haus-

haltsbiogra�en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7317 Entwicklung des versicherungsp�ichtigen Personenkreises . . . 7618 Entwicklung des versicherungsp�ichtigen Personenkreises . . . 77

Abbildungsverzeichnis

1 Endgültige Kinderzahl der Frauen der Geburtsjahrgänge 1865� 1967 in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2 Aufbau der Bevölkerung in Deutschland in den Jahren 1975,2000 und 2025 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

3 Entwicklung des Rentenniveaus in Deutschland . . . . . . . . 21

82 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

4 Entwicklung des Bundeszuschusses . . . . . . . . . . . . . . . 235 Auswirkung der jüngsten Reformen auf den Beitragssatz zur

GRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Auswirkung der jüngsten Reformen auf das Rentenniveau . . 307 Implizite Renditen der gesetzlichen Rentenversicherung . . . . 30