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FESTSCHRIFT ALBERT BRACKMANN DARGEBRACHT VON FREUNDEN, KOLLEGEN UND SCHULERN HERAUSGEGEBEN VON LEO SANTIFALLER 193 I HERMANN BöHLAUS NACHF. G.M.B.H. I WEIMAR

FESTSCHRIFT ALBERT BRACKMANN - MGH-Bibliothek · 2015. 3. 30. · Im Synodikon (Seelenregister) von Ljubec, einer mit der Genealogie des Hauses Svjatoslavs wohl vertrauten Quelle,

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  • FESTSCHRIFT

    ALBERTBRACKMANN

    DARGEBRACHTVON FREUNDEN, KOLLEGEN UND SCHULERN

    HERAUSGEGEBEN VON

    LEO SANTIFALLER

    193 I

    HERMANN BöHLAUS NACHF. G.M.B.H. I WEIMAR

  • VerwandtschafHiche Beziehungen dessächsischen Adels zum russischen Fürsten-hause im XI. Jahrhundert

    Von Raissa Bloch

    Schon oft hat die mittelalterliche Forschung den Versuchgemacht, über Umfang und Charakter der Beziehungen dereuropäischen Staaten zu dem jüngsten von ihnen, dem großenund reichen Fürstentum am Dnepr, ein Urteil zu gewinnen.Die Untersuchungen von Va sil'e vs ki] , Ediger, Leib,Braun, Saitan, Loz in ski,Rozanov, Lae hr-) haben ge-zeigt, daß das Land der Russen gerade in den ersten Jahr-hunderten seiner Existenz für Europa keinesfalls einen ab-Strakten Begriff bedeutete, sondern ein Land, das man alsebenbürtig betrachtete, mit dem man gerne Handel trieb unddessen Hilfe man auch gelegentlich in Anspruch nahm. Erstim 13· Jahrhundert wurde es durch den Tatareneinfall ausdem Kreis der europäischen Staaten herausgerissen, um dannwieder nach dreihundert Jahren als Moskovien allmählichdem WeSten bekannt zu werden.s)

    1) V. G. Vasil'evskij, Drevnjaja torgovlja Kieva s Regensburgom in:lurnal Ministerstva Narodnago Prosvjascenija 1888 Juli S.121-150;Th. Ediger, Rußlands älteste Beziehungen zu Deutschland, Frankreichund der römischen Kurie. Diss. (Halle 19II); B. Leib, Rome, Kiev etByzanee a la fin du Xle siecle (Paris 1924); Fr. Braun, Rußland und dieDeutschen in alter Zeit in: Germanica. Eduard Sievers zum 75. Geburts-tage (Halle 1925) S. 683ff.; M. E. Saitan, Germanija i Kiev v XI v. in:Letopis' zanjatij postojannoj istoriko-archeografiöeskoj komissii I (XXXIV)(Leningrad 1927) S.I-26; G. Lo zins ki , La Russie dans la litteraturetrancaise du Moyen Age in: Revue des etudes slaves IX (1929) fase. 1--2S·71-88; fase.3-4 S.253-269; S. P. Rozanov, Eupraxie-Adelheid,fille de Vsevolod (I071-Il09) in: Bulletin de I'academie des sciences del'URSS. Classe des Humanites (Leningrad 1929)n. 8 S. 617-646 (russisch);G. Laehr, Die Anfänge des russischen Reiches in: Eberings HistorischeStudien Heft 189 (Berlin 1930).

    I) Über die Beziehungen Moskoviens zuWesteuropa vgl. S. F. PIa tonov,Moskva i zapad (Berlin 1926).

  • 186 Raissa Bloch,

    Die Zeit der regsten Beziehungen zwischen Rußland undden westeuropäischen Staaten vor dem Tatareneinfall ist ohneZweifel das II. Jahrhundert, die Regierungsjahre des Groß-fürsten Jaroslav des Weisen und seiner unmittelbaren Nach-folger. Dieser Fürst, der als Vorkämpfer für die Einheit desrussischen Staates und als Gesetzgeber zu den bedeutendstenPersönlichkeiten der Kiever Periode gehört, hat sich eifrigstbemüht, wie auch schon früher seinVater Vladimir, durch einweitgreifendes System von Eheschließungen sich und seineKinder mit den Herrschern der wichtigsten europäischenStaaten zu verbinden. Selbst Gemahl der Ingigerd, Tochterdes schwedischen Königs Olaf, hatte er seine Töchter Anastasiamit Andreas von Ungarn, Elisabeth mit Harald von Nor-wegen und Anna mit Heinrich I. von Frankreich vermählt.Sein Sohn Izjaslav war mit der polnischen Gertrud, TochterMieszkos H. verheiratet, und sein Sohn Vsevolod wurde durchdie Ehe mit einer griechischen Prinzessin der Begründer desrussischen Zweiges des Hauses Monomach.') Die Quellenberichten auch, daß Jaroslav Versuche gemacht hat, zu demsalischen Königshaus in verwandtschaftliche Beziehungen zutreten. Seine Boten erschienen 1°40mit Geschenken am HofeHeinrichs lll., als dieser in AllStedt das Fest des hl. Andreasfeierte,") Zwei Jahre darauf kamen Gesandte nach Goslarmit reichen Gaben 3), kehrten aber traurig nach Hause zurück,quia de /ilia regis sui, quam l'egi Henrico nupturam spe,.ave,.ant,certum repudium repoTtabant.~)Diese weitgehende Heiratspolitik der russischen Fürsten

    läßt vermuten, daß man sich auch auf anderen Wegen be-mühte, an die Länder Europas Anschluß zu gewinnen. Schonkraft seines Ursprungs war das Kiever Reich auf Byzanz unddie skandinavischen Staaten angewiesen. Auch das Verhältniszu Polen war durch die gegenseitige Lage beider Länder be-dingt. Doch lassen sich auch zahlreiche Beziehungen zu den

    1) s. N. de Baumgarten, Genealogies et mariages occidentaux desRuriquides russes du Xe an XIIIe siecle (Orientalia christiana 9, I, Roma1927)Tal. I; ders. in Orient. ehrist. 18, 2 (1930) p. 165~I68; vgl. B. Leib.o. c. S. 143-178.

    2) Annalista Saxo. Mon. Germ. Scr. VI 684.8) Annales Altahenses maiores ad a. 1043. Mon. Germ. Ser. rer. Germ. S. 3:2.') Lamp. Ann. Mon. Germ. Ser. rer. Germ. S.58.

  • Verwandschaftl. Bezieh.d. sächs, Adels z. russ. Fürstenhause. 187

    jenseits Polens und Böhmens liegenden deutschen Gebietennachweisen. Selbstverständlich kamen vor allen Dingen dieöstlichen Marken, die bayrische OStmark, Meißen und dieNordmark in Betracht. Auf die aus Kiev nach Regensburgführende Handelsstraße und auf den regen Verkehr zwischenden beiden Städten am Dnepr und an der Donau hat schonVasil'evskij hingewiesen.t) Die folgende Untersuchung solleinen bescheidenen Beitrag bieten zur Klärung des Ver-hältnisses des Kiever Reichs zu den sächsischen Fürsten-tümern im I 1. Jahrhundert.

    Für die uns beschäftigende Frage geben die russischen An-nalen nur wenig Aufschluß. Ihr Verfasser, ein Klever Mönch,der sein Werk Anfang des 12. Jahrhunderts aufGrund ältererVorlagen abgefaßt hat, iSt ganz auf die Geschehnisse in seinemVaterlande eingestellt und zieht es meistens vor, die Be-ziehungen zum ketzerischen WeSten mit Schweigen zu über-gehen, so daß wir gewöhnlich auf die westliche Geschichts-schreibung angewiesen sind. Aus ihr erfahren wir von Heirats-verbindungen sächsischer Dynestenfamilien mit dem Ge-schlecht der russischen Fürsten.

    Lampert von Hersfeld berichtet zum Jahre 1057 von einemGrafen Otto, dem Sohn des Markgrafen der sächsischen Nord-mark Burchard II. aus einer "ungleichen Ehe" mit einerSlavin,") Dieser Otto, der in Böhmen erzogen wurde, hat esversucht, nach dem Tode seines Bruders, des MarkgrafenWilhe1m, sein Erbe, die Nordmark, für sich zu erobern. Erfand Anhang bei den sächsischen Großen, wurde aber 1057erschlagen. Diesen Bericht entnimmt dem Lampert der An-nalista Saxo"), und die Sächsische Weltchronik erzählt, daß dieMutter des Grafen Otto eine Russin war.') Näher sind wir überdie Persönlichkeit der Gemahlin Burchards II. nicht unter-

    1) o. c.I) Lamp. Ann. ed. o. Holder-Egger in Mon. Germ. Scr. rer. Germ ..

    s. 71: Otto frater Wilhelmi marchionis, sed matrimonio impari, matre scilicetsclavica, natus, vir acer ingenio et manu impiger.

    I) Ann. Saxo. Mon. Germ. Ser. VI 692.') Sächsische Weltchronik. Mon. Germ. Deutsche Chroniken II 199:

    "des (Ottos) mdder was van Ruzen."

  • 188 Raissa Bloch,

    richtet. Da Otto im Jahre 1057 bereits als vir acer ingenio etmanu impiger bezeichnet wird, ist ihre Heirat nicht nach1°35-37 anzusetzen.") Bei der späten Abfassungszeit derSächsischen Chronik besteht immer die Möglichkeit, daß hiereine Verwechselung vorliegt und daß man die Heimat derMutter Ottos nicht in Rußland, sondern in den Nachbar-gebieten, vielleicht in Böhmen zu suchen hat.

    Viel besser sind wir über eine andere Heirat unterrichtet,die das russische Fürstengeschlecht mit dem niedersächsischenAdel in Verbindung brachte. Bei Albert von Stade findet sichzum Jahre I 112 ein ausführlicher genealogischer Exkurs übereine nobilis femina de Suevia, Ida von Elstorpe und ihre Kinder.Es wird erzählt, daß Ida, die Tochter eines Bruders Hein-richs Ill. und einer Schwester Leas IX., sich in erster Ehe miteinem Lippold vermählte, von dem sie eine Tochter Odahatte, die Nonne in Rinteln war. Diese wurde von Ida los-gekauft, die dem Kloster pro filia die Villa Stedenthorp beiHeslinge schenkte. Dann gab sie die Mutter einem rex Ruziaezur Frau. Diesem gebar Oda einen Sohn Warteslaw. Nach demTode ihres Mannes ließ sie unzähliges Geld (infinita pecunia)an verborgenen Stellen vergraben und kehrte mit ihrem Sohnund einem Teile des Geldes nach Sachsen zurück. Diejenigen,die beim Vergraben der Schätze geholfen hatten, ließ sie töten,um nicht von ihnen verraten zu werden. In Sachsen heiratetesie wieder. Ihr Sohn Warteslaw aber wurde nach Rußlandzurückberufen und regierte an seines Vaters Stelle. Vor seinemTode gelang es ihm, das Geld, das seine Mutter verborgenhatte, wieder aufzufinden.P) So weit der Stader Annalist.

    Diese Erzählung, die manchen legendären Zug aufweist,scheint doch einen historischen Kern zu enthalten. Es sindvon der Forschung verschiedene Vermutungen über die Per-sönlichkeit des russischen Gemahls Odas ausgesprochen WOI-den. Man hat in ihm bald den einen, bald den andern Sohn

    1) Da Lampert ausdrücklich von einem Matrimonium impal' spricht,so ist in diesem Falle schwer, an eine russische Fürstentochter aus derGeneration der Kinder Wladimirs des Heiligen zu denken. S. dagegenN. de Baumgarten, Genealogies et mariages occidentaux des Ruriquidesrusses. Taf. I.

    2) s. Ann. Stad. Mon. Germ. Scr. XVI 319.

  • Verwandtschaftl. Bezieh. d. sächs. Adels z. russ. Fürstenhause. 189

    Jaroslavs des Weisen gesehen, ohne dabei zu einer endgültigenEntscheidung zu kommen.") Und doch iSt gerade diese Fragenach der Persönlichkeit des russischen Fürsten nicht ganzgleichgültig, wenn man in die Beziehungen zwischen Rußlandund Sachsen einen Einblick gewinnen will.

    Derselbe Stader Annalist, dem wir die Nachricht über Odaverdanken, nennt einige Zeilen weiter einen Sohn Idas vonElstorpe, den Trierer Propst Burchard.t) Diesen Burchard er-wähnt aber Lampert von Hersfeld in dem Bericht über dieBotschaft, die Heinrich IV. 1075 auf Bitten Izjaslavs, des ver-triebenen russischen Großfürsten, an dessen Bruder Svjatoslav

    1) Nachdem sich die meisten Forscher für den Großfürsten von KievSvjatoslav ausgesprochen haben, hat neuerdings Fr. Braun {O. c. in derSievers-Festschrift S. 685ft.) die Ansicht vertreten, daß Oda mit Vjaöeslavvon Smolensk, einem der jüngsten Söhne ]aroslavs des Weisen, verheiratetwar. Vgl. dagegen S. P. Rozanov, O. c. S. 620ft. über die ältere Literaturs. Th. Ediger, O. c. S.45 n·3. Die Aufsätze von N. v. Baumgartenkonnte ich leider nicht einsehen. E. Brandenburg spricht in seinemAufsatz "Probleme um die Kaiserin Gisela" in: Berichte über die Ver-handlungen der Sächs. Ak. der Wiss. PhiI.-hist. KI. Bd. 80 (1928) H. 4S.36tf., von der Unzuverlässigkeit der Angaben des Stader Annalistenüber Ida von Elstorpe und ihre Kinder. Was Idas Abstammung von demBruderHeinrichs Ill. und der SchwesterLeos IX. betrifft, so ist sein Skepti-zismus vollkommen berechtigt, doch zeigt der Bericht über Idas TochterOda. der mit den historischen Tatsachen im wesentlichen übereinstimmt,daß man die Angaben Alberts nicht ohne weiteres als unglaubwürdig ver-werfen darf.

    2) Ann. Stad. Mon. Germ. Scr. XVI 320: Item Ldae filius fuit Burchardus,Treverensis maiM praepositus . . . Aus dem Bericht Alberts von Stadeergibt sich folgende Tafel (ich berücksichtige nur die Teile des Berichtes,die für die weiteren Ausführungen von Bedeutung sein können):

    Bruder Heinrichs Ill.Gem. Schwester Leos IX.

    lIda von Elstorpe1. Gem. Lippold

    ~Oda, Nonne in

    Rinteln, später Gem.eines Rex Ruziae

    2. Gem. Graf Dedo 3. Gem. Graf Etheler

    ~Warteslaw.

    Graf Ekbert, SohnIdas (aus welcher Ehe.

    steht nicht fest)t durch Udo von Stade,

    seinen Verwandten;vg!. S. 202.

    Burchard, Propst inTrier, Sohn Idas, wahr-scheinlich nicht von

    Lippold.

  • 190 Raissa Bloch,

    nach Kiev schickte:Missus est protinus a rege Burchardus Tre-verensis ecclesiae praepositus, agere cum illo de iniuriis quasfratri intulerat, et commoners, ut regno quod iniuste invasisset, ultrodecederet.1) "Dieser Burchard", setzt Lampert fort, "war des-wegen für eine solche Botschaft besonders geeignet, weil seineSchwester mit dem Fürsten, zu dem er geschickt wurde, ver-heiratet war. Aus diesem Grunde hatte er es mit großer Mühevom König erreicht, daß er nicht strenger gegen jenen vor-gehe. "2) Aus der Zusammenstellung der Berichte des StaderAnnalisten und Lamperts ergibt sich mit Deutlichkeit, daßOda die Frau Svjatoslavs von Kiev gewesen ist, Und dochscheinen einige Tatsachen diesem klaren Schluß zu wider-sprechen. I. Albert von Stade erzählt, daß Oda von demrussischen Fürsten einen Sohn Warteslaw hatte, der später anseines Vaters Stelle regierte. Svjatoslav hatte aber keinen Sohndieses Namens. Seine fünf Söhne sind der russischen Chronikwohl bekannt. Sie hießen Gleb, Oleg, David, Roman, Ja-roslav,") 2. Im Synodikon (Seelenregister) von Ljubec, einermit der Genealogie des Hauses Svjatoslavs wohl vertrautenQuelle, wird als dessen Frau eine Kilikia genannt.')Was den Namen Warteslaw betrifft, so liegt offenbar bei

    Albert von Stade, wie schon Ediger") richtig bemerkt hat,eine Verwechselung vor. Es gab in der russischen Geschichteder Klever Periode keinen Fürsten dieses Namens. So hießaber der bekannte Bundesgenosse Heinrichs IV., der seit 1085zum König gekrönte böhmische Für~, wie auch viele andere

    1) Lamp. ann. S. 202.I) lb.: Is legationi "uie propterea opportunus videbatur, quod ilk ad

    quem miueban«, sororem eius in eoniugio "abllbat et ipse hac de causa apudregem, ne quid in ilium interim gravius deceJlneretur, summis precib#s ob-tinuerat.

    3) s. N. de Baumgarten, Genealogies et mariages occidentaux desRuriquides russes, Taf. 4.

    ') Das Synodikon (Seelenregister) von Ljubeö ist eine wichtige Quellefür die Genealogie der cernigovschen Fürsten im 11.-14. Jahrhundert:s. N. Kvasnin-Samarin, Po povodu Ijubeckago sinodika in: ttenijaO. M. 1. (Vorträge der Gesellschaft für russische Geschichte und Alter-tümer) Bd. IV (Moskva 1874) S. 213-226; R. V. Zotov, Ooernigovskichknjazjach po Ljubeckomu sinodiku in: Letopic' zanjatij archeogratiC!eskojkomissii IX (St. Petersburg 1893) S. 24.

    5) O. C. S. 48.

  • Verwandtschaftl. Bezieh. d. sächs. Adels z. russ. Fürstenhause. 191

    in Böhmen und in den in OSt- und Norddeutschland gelegenenslavischen Gebieten.') Der fremdklingende Name des russi-schen Fürsten wurde von dem Annalisten unbewußt durcheinen bekannteren ersetzt. Um diesen Vorgang zu erklären,muß man aber doch eine gewisse Ähnlichkeit zwischen demNamen Warteslaw und dem des russischen Fürsten vermuten.Nun ist aber bekannt, daß Svjatoslavs jüngster Sohn Jaroslavhieß. Die Verwechselung von Jaroslav und Warteslaw iStdurchaus möglich,")Der Widerspruch zwischen den Angaben des Stader Anna-

    listen und denjenigen der russischen Quellen scheint aberimmer noch nicht beseitigt zu sein. Albert von Stade sprichtnämlich nur von einem Sohn der Oda; es iSt jedoch allgemeinbekannt, daß Svjatoslav fünf Söhne hatte. Die Möglichkeiteiner Erklärung dieses Widerspruchs bietet eine Miniatur ausdem berühmten Izbornik des Fürsten Svjatoslav, einer 1073für diesen FürSten von einem russischen Schreiber verfertigtenHandschrift.3) Der Fürst Svjatoslav wird hier mit seinerganzen Familie dargestellt. Zu seiner Rechten Steht dieFürStin. Im Hintergrunde seine vier Söhne: Gleb, Oleg,

    1) über Warteslaw, Wratislaw von Böhmen vgl. M. v. Knonau, Jahr-bücher Heinrichs IV. Bd. IV S. 49 et passim.

    2) Fr. Braun (0. c. S. 68Sf.), der trotz der Angaben Lamperts von Hers-feld und Alberts von Stade die Meinung vertritt, daß Oda mit einem derjüngsten Söhne Jaroslavs, dem Fürsten Vjaöeslav von Smolensk verheiratetwar, vermutet die NamensverwechseIung von Boris Vjaöeslaviö (so hießder Sohn des Fürsten Vjaceslav) mit Warteslaw. Abgesehen davon, daßkein Grund vorliegt, den bereits IOS7 verstorbenen Vjaöeslav für OdasGemahl und Bons, den Fürsten des weit entlegenen Tmutarakanj fürihren Sohn zu erklären (Braun wiederholt dabei eine nicht genug begründeteBehauptung des am Anfang des 19. Jahrhunderts lebenden russischenHistorikers Karamzin), scheint mir die Verwechselung von Jaroslav undWarteslaw mehr für sich zu haben.

    3) Sie enthält eine Sammlung von Stellen aus Kirchenvätern und ausbyzantinischen Schriftstellern in altbulgarischer übersetzung und behandeltFragen der Theologie und der Kirchengeschichte. Ursprünglich wurdediese Sammlung für den Bulgarenkönig Sirneon angefertigt. Ihre Abschrifterhielt Svjatoslav, der in der Taufe den Namen Simeon bekommen hatte;s.M. Gr uäe vaki j, Istorija Ukraini-Rusi II (L'vov 1905) S. 67; V. S.Ikon-nikov, Opyt russkoj istoriografii H, I (Kiev 1908) S.227· Abbild. derMiniatur bei Th. Schiemann, Rußland, Polen u. Livland bis ins 17· Jahr-hllDdert I (Berlin 188S) S. lOS·

  • 192 Raissa Bloch,

    David Roman vorne der fünfte Sohn, ein kleines Kind, dem, ,die Mutter die Hand in der Schutzgeste auf die Schulter legt.Die Namen der dargestellten Personen werden oben durchInschrift angegeben, mit Ausnahme der Gemahlin Svjatoslavs,die einfach als "Knjaginja", Fürstin, bezeichnet wird. DerKünstler hat sich offenbar bemüht, den Altersunterschiedzwischen den vier erwachsenen Söhnen Svjatoslavs und demkleinen Jaroslav zu betonen. Für einen solchen Altersunter-schied scheint auch die Tatsache zu sprechen, daß Jaroslavzwei seiner Brüder, die des natürlichen Todes gestorben sind,um viele Jahre überlebt hat.") Es liegt die Vermutung nahe,daß Svjatoslav zweimal verheiratet war, und daß die Fürstinauf dem Bilde eben seine zweite Frau, die Mutter seinesjüngsten Sohnes, darstellen soll. Dann erklärt sich auch dieTatsache, daß im Seelenregister von Ljubec nicht Oda, sondernKilikia als Frau Svjatoslavs genannt wird. So hat offenbarseine erste Frau geheißen. Dem entsprechend Stehen hier nurdie Namen der ältesten vier Söhne. Der jüngSte, Jaroslav,wird mit Schweigen übergangen. Die Frage, warum der Ver-fasser des Synodikon die zweite Frau Svjatoslavs, Oda, in seineLiSte nicht eingetragen hat, kann nicht mit voller Sicherheitbeantwortet werden. 1St in diesem Schweigen eine Tendenzzu erkennen, oder vielleicht hatte man in Rußland diese zweiteFrau des Fürsten von Kiev und Cernigov zur Zeit der Ab-fassung des Synodikon einfach vergessen, die ja auch in ihreHeimat zurückgekehrtwar, um dort ihr Leben zu beschließen?

    Es scheint also nichts der Annahme zu widersprechen, daßOda die Frau Svjatoslavs gewesen ist. Es lassen sich aber nocheinige Beobachtungen machen, die zur Erkenntnis desrichtigen historischen Kerns im Bericht Alberts von Stadedienen und zugleich für die Charakterisrik der Beziehungenzwischen Rußland und Sachsen neue Züge bringen können.

    1) Jaroslav ist II29 gestorben. Oleg starb schon IllS und David 1123.Die ältesten zwei Söhne Svjatoslavs, Gleb und Roman, wurden erschlagen:der erste 1078. der zweite 1079. S. Polnoje sobranie russkich letopisej,izd. postojannoju istorico-archeograficeskoj komissieju Akademii NaukSSSR (Sammlung Russischer Annalen hrsg. von der archäographischenKommission der Akademie der Wissenschaften der UdSSR., weiterzitiert als Russische Annalen) a I (Leningrad 1926) S. 199. 204; 8 II (Lenin-grad 1923) S. 283, 290.

  • Verwandtschaftl. Bezieh. d. sächs. Adels z. russ. Fürstenhause. 193

    Albert von Stade berichtet, daß Oda nach dem Tode ihresMannes mit ihrem Sohn Rußland verlassen habe.') Aus seinerErzählung können wir entnehmen, daß ihr Entschluß, in dieHeimat zurückzukehren, nicht unter ruhigen Verhältnissengefaßt wurde. Sie hat versucht, für sich und für ihren Sohnmöglichst viel Geld mitzunehmen, und was sie nicht mit-nehmen konnte, ließ sie vergraben. Diejenigen, die ihr dabeigeholfen hatten, wurden von ihr umgebracht, denn sie mußtesich vor Verrat hüten. Gerade dieser Teil des Berichtes derStader Chronik erweckt den Verdacht, daß er ins Reich derLegende gehöre. Und doch muß bei genauerer Betrachtungfestgestellt werden, daß diese Erzählung in vollem EinklangeSteht mit dem, was die russischen Quellen über die Ereignissenach dem Tode Svjatoslavs zu sagen wissen.

    Der Fürst Svjatoslav ]aroslavic von Kiev Starb am 2.7. De-zember 1076, nur 49 jährig, infolge einer ungünstig verlaufenenoperation.2) Weder in Kiev noch auf der Seite seiner Feindehatte man seinen Tod erwartet. Sein ältester Bruder Izjaslav,der von ihm durch Gewalt aus Kiev vertrieben war, befandsich damals in Polen, wo er mit Boleslaw verhandelte, nach-dem ihm Heinrich N. seine Hilfe verweigert hatte,") Gleichnach dem Tode Svjatoslavs versuchte sein jüngerer BruderVsevolod, Fürst von Perejaslavl', sich Kievs zu bemächtigen+),doch die Drohungen des älteren Bruders, Izjaslav, der nunmit einem polnischen Heere in Wolynj erschienen war, be-wirkten eine Änderung seiner Politik. Der vorsichtige undschlaue Vsevolod schloß mit seinem Bruder Frieden. Izjaslavkehrte am I 5. Juli 1°77 nach Kiev zurück 5), und nun wirktenheide FürSten gemeinsam in dem einen Bestreben, den Söhnendes VerStorbenen ihre Teilfürstentümer zu entreißen. Ausallen ihren Gebieten vertrieben, suchten die Söhne Svjatoslavsihr Erbe mit den Waffen zu verteidigen. Die Fehde dauertelange Jahre. Izjaslav hat in ihr den Tod gefunden6), und die

    1) Ann. Stad. Mon. Germ. SeroXVI 319.S) Russ. Ann. SI 199. Vg!. M. Gruaevskij, O. e. II S.67·3) Lamp. Ann. S. 225f. Sigeberti Chron. Mon. Germ. SeroVI 362.') Schon am I. Januar war Kiev in seinen Händen; s. Russ. Ann. 2 I 199·6) lb.') Am 3. Oktober 1078, in der Schlacht an der Ne~tina niva; s, Russ.

    Ann. J I 202.Bra

  • 194 Raissa Bloch,

    ganze Regierung Vsevolods, an den nun die Herrschaft überKiev übergegangen war, Stand unter dem Zeichen des Kampfesmit den sogenannten "Izgojen", den enterbten jüngerenFürsten, "des Kampfes der Oheime mit den Neffen"l), derdurch die Unvollkommenheit des ErbfolgesyStems immer neueNahrung erhielt.

    Wenn wir nach diesem historischen Überblick nun zu demBericht des Stader Annalisten zurückkehren, so erscheint unsgar nicht erstaunlich, daß Oda nach dem Tode ihres Mannessich in ihre Heimat begab und daß sie ihren kleinen Sohnmitnahm, da ja auch die älteren um ihr Erbe gekommenwaren und es nicht zu verteidigen vermochten, obgleich siesich nicht scheuten, die wilden Polovzer auf ihr Vaterland zuhetzen. Unter diesen Umständen iSt es auch durchaus glaub-würdig, daß Oda auf allen möglichen Wegen gesucht hat, sichund ihrem Sohn auch für die Zukunft die nötigen finanziellenMittel zu sichern, und daß sie sich vor Verrat hüten mußte.Was das "unzählige Geld" (infinita pecunia) selbst betrifft,

    von dem Albert von Stade so anschaulich erzählt, so ist dieseAusdrucksweise zwar übertrieben, muß aber in eine Reihe ge-Stellt werden mit allen Äußerungen über den erstaunlichenReichtum des Klever Reiches, die uns häufig in den Quellenbegegnen.t) Angewandt auf Svjatoslavs Erbe erhalten jedochdiese Worte eine besondere Bedeutung. Svjatoslav scheinttatsächlich besondere Reichtümer angehäuft zu haben. Lam-pert spricht von den Schätzen, die der Trierer Propst Burcharddem deutschen König als Geschenk dieses Fürsten mitgebrachthatte. "So viel war es an Gold und Silber und kostbaren Ge-wändern, daß man sich nicht erinnerte, daß jemals so viel aufeinmal nach Deutschland gekommen wäre."3) Dieser Nach-

    1) Ausdruck S. M. Solovjevs [Istorija Rossü s drevnejäich vremen IIKap.2).

    Z) S. die Zusammenstellung solcher Äußerungen in dem aufschlußreichenAufsatz von G. Lo zi ns ki , La Russie dans la Iitterature francaise duMoyen Age in: Revue des etudes slaves IX (1929) fasC.3-4 S.2s8ff.

    3) Lamp. Ann. S. 228: tantum regi deferens auri et argenti et tlesti"mpreciosorum. "t nulla retro memoria tantum regno Teuionico uno temporeillatum referat"r. Lampert erzählt sogar. daß der König. dessen Mittelerschöpft waren. diese Geschenke benutzt hat. um dem Heere den Soldzu bezahlen. was aber offenbar eine tendenziöse Übertreibung ist.

  • Verwandtschaftl. Bezieh. d. sächs. Adels z. russ. Fürstenhause. 195

    rieht entspricht ein kurzer Bericht in der Russischen Chronik.Zum Jahre 1075 wird erzählt, wie Svjatoslav den deutschenGesandten (offenbar war es die Gesandtschaft Burchards)prahlerisch seinen Reichtum zeigte: "Und als sie die unzähligeMenge von Gold und Silber und Gewändern sahen, so schlossensie, das sei alles nichtig und es liege alles tot; das Gefolge, dieKrieger wären besser als das Geld." Und der Chronist fügtbelehrend hinzu: "Es prahlte Hesekias, der König der Juden,vor Salomon, dem Könige der Assyrier, und sein ganzerReichtum wurde nach Babyion verschleppt. So wurde auchnach dem Tode dieses Fürsten sein ganzes Vermögen nachallen Seiten zerStreut."l) War es nicht vielleicht der Glanzdieses Reichtums, der Ida von Elstorpe bewogen hatte, ihreTochter Oda, die Nonne von Rinteln, aus dem Kloster loszu-kaufen und sie dem russischen Fürsten zur Frau zu geben?

    Und nun einige Worte über den Sohn der Oda. Albert vonStade erzählt, er sei nach Rußland zurückberufen worden undhabe an seines Vaters Stelle regiert.s) Auch dieser Bericht ent-hält keinen Widerspruch mit dem, was von russischer Seiteüber Jaroslav bekannt iSt. Nachdem er uns als Kind auf derMiniatur von 1073 begegnet ist, verschwindet er für vieleJahre aus der Geschichte. Die Chronik erwähnt ihn erst zumJahre 1096, und zwar als Gehilfen seines Bruders Oleg beiseinem Kampfe um den Besitz der Fürstentümer Murom undRostov.") Im nächsten Jahre war er auf der Fürstenversamm-lung zu Ljubec anwesend, die zum Zwecke der Herstellung desFriedens im Lande berufen wurde. Dort wurde jedem Fürstensein Teilfürstentum aufs neue zugewiesen nach dem Prinzip,daß jeder sein väterliches Erbe erhalten sollte.') Bei dieserTeilung erhielt Jaroslav das Fürstentum Murom. II23 er-hielt er nach dem Tode seines Bruders David das FürstenrumCernigov5), wo schon früher sein Vater regiert hatte, so daßder Bericht des Stader AnnaliSten auch in diesem Punkte der

    1) Russ. Ann. I I 198f. Die Worte der deutschen Gesandten über denWert der Krieger und des Goldes werden an einer andern Stelle (2 I 126)in etwas abweichender Form Vladimir dem Heiligen zugeschrieben.

    J) Ann. Stad. Mon. Germ. Sero XVI 319: Warteslaw autem reoocatusin Ruziam pro patre regnavit.

    3) Russ. Ann. I I 238ft. ') lb. S. 256f. 5) Russ. Ann. S 11 283.13*

  • Raissa Bloch,

    Wirklichkeit nicht widerspricht. Es bleibt aber dahingeStellt,ob Jaroslav tatsächlich in den Besitz der von seiner Muttergeborgenen Schätze vor seinem Tode gelangt iSt.I) I 118wurde er von seinem Neffen Vsevolod Olgoviö aus Cernigovvcrtrieben.P) Im Kampfe mit diesem vergingen seine letztenJahre. Er Starb 1130 in Murom,")

    Zwei andere Heiraten, die den sächsischen Adel mit demrussischen Fürstenhause in Verbindung brachten, werden vomAnnalists Saxo erwähnt. Er berichtet nämlich, daß der Mark-graf Otto (von Meißen), Graf von Orlamünde, aus seiner Ehemit Adele von Löwen in Brabant eine Tochter Cunigundehatte, die mit einem Rex Ruzorum verheiratet war. Nachdessen Tode kehrte sie wieder in ihre Heimat zurück. Hierheiratete sie Cono, den Sohn Ottos von Nordheim. IhreTochter aber, die sie vom russischen Fürsten hatte, wurde miteinem thüringischen Fürsten namens Günter verheiratet. DerSohn dieser Tochter war der Graf Sizzo.")Auch über den russischen Gemahl der Kunigunde von Orla-

    münde wurden von der Forschung die verschiedensten Ver-mutungen susgesprochen.s) Doch scheinen Ed ig e rs) undBraun?) das Richtige getroffen zu haben, die ihn für den

    1) Ann. Stad.I. c. S) RuBS.Ann. 3 II 287. 3) lb. S. 290.

    ') Ann. Saxo. Mon. Germ. Scr. VI 693, 737. Es ergibt sich folgendeTafel (ich berücksichtige nur die für mich weaentlichenTeile desBerichtes):

    Adele von Loeven in Brabant1. Gern. 000, Graf von Orlamünde,

    Markgraf von MeiBen.

    tKunigunde

    I. Gern. ein Rex Ruzorum

    2. Gern. Dedi, Markgraf der Thü-ringischen Mark.

    2. Gem. Cono v. Beich- 3. Gem. WiprechtI lingen, Sohn Ottosl v. Nordheim

    Tochter (Name unbekannt)Gem. Günter de fr'incipibus

    Th'Uringonlm.

    ~Graf Sizzo (v. Käfernburg).

    6) S. ältere Literatur bei Th, Ediger, O. c. S.4S n. 3.8) lb. S. 49-55. ') O. c. S. 686---689.

    v. Groitzsch

  • VerwandtschaftI. Bezieh. d. sächs. Adels z. russ, Fürstenhause. 197

    Fürsten J aropolk Izjaslavic, den Sohn von jenem Izjaslaverklärten, der von seinem Bruder aus Kiev vertrieben warund bei Heinrich IV.) bei Gregor VII. und beim polnischenKönig Boleslav n. Hilfe gesucht hatte.t)Otto von Orlamünde, der 1062. Markgraf von Meißen ge-

    worden war") und 1067 starb"), war bereits 1062 mit Adelevon Löven verheiratet.s) Der sächsische Annalist nennt schonzu diesem Jahre Kunigunde unter ihren Kindern.") Geb-hardi vermutet, daß Kunigunde um 1060 geboren war.6)Da ihr zweiter Gemahl, der Sohn Ottos von Nordheim, Cono,den Beinamen von Beichlingen erst seit 1088 führte"), und erdiese Grafschaft durch die Heirat mit Kunigunde erhaltenhatte 8), so iSt ihre Ehe mit dem russischen Fürsten ungefährin den Zeitraum zwischen 1074 und 1087 zu setzen.P) Nunberichtet Lampert zum Jahre 1075, daß der aus Kiev ver-triebene Izjaslav, der auch beim polnischen Könige keineHilfe fand, sich an den Hof Heinrichs IV. in Begleitung Dedis,des Markgrafen der Thüringischen Mark 10), begeben hatte.Bei diesem Markgrafen erwartete er einige Zeit später dieRückkehr der Gesandtschaft, die von Heinrich N. zu Svjatos-lav geschickt worden warP) Dieser Markgraf Dedi, der schonOktober 1075 Starb, war in zweiter Ehe mit Kunigundens

    1) über Izjaslav s. zuletzt M. E. Saitan, O. c. S.9-14.') Lamp. Ann. S. 79.3) lb. S. 104. Vgl. K. Hopf, Historisch-genealogischer Atlas I (Gotha

    1858) S. 140 Taf. 249.') Ann. Saxo. Mon. Germ. Scr. VI 693.6) lb.S) J. L. L. Ge bhardi, Historisch-genealogische Abhandlungen IV

    (Braunschweig-Hildesheim 1767) S. 132.7) Ann. Saxo. Mon. Germ. Scr. VI 725; Chron. Gozecense. Mon. Germ.

    Scr. X 148.8) J. L. L. Ge bh a rd i,O. c. 1. c.9) Von allen russischen Fürsten, die um diese Zeit lebten und vor 1088

    starben, können nur folgende in Betracht kommen: der Sohn IzjaslavsJaropolk, die beiden älteren Söhne Svjatoslavs: Gleb und David, der SohnVjaceslavs Boris; s. Th. Ediger, O. c. S. 50.

    10) Die Thüringische Mark bestand aus den vereinten und mit Meißenverbundenen Marken Merseburg und Zeitz. Dazu gehörte auch die Nieder-lausitz. Vg!. O. Posse, Die Wettiner (Leipzig 1897), Taf. I-ll) Lamp. Ann. S.202: RuzenOf'um re« Dedi marehioni Saxonico, euius

    ductu eo advenerat, a rege eommissus est servandus, donee legati reverterentur.

  • 198 Raissa Bloch.

    Mutter Adele verheiratet.l) Es iSt bekannt, daß der FürStJaropolk Izjaslavic seinem Vater nach Deutschland gefolgtwar.s) Er ist es offenbar gewesen, der Kunigunde geheiratethat, und zwar während seines Aufenthalts am Hofe des Mark-grafen Dedi, d. h. um die Zeit bis Oktober 1075.3)Über die Motive, die zu dieser Heirat geführt haben,

    können wir nur Vermutungen aussprechen. Es iSt jedenfallsanzunehmen, daß für den hilfesuchenden Izjaslav die Heiratseines Sohnes mit der Stieftochter Dedis durchaus erwünschtwar. Nicht nur bei seinen Verhandlungen mit Heinrich IV.,sondern auch bei seinen Beziehungen zu Polen, die sichgerade damals verschärft hatten 4), konnte er die Unter-Stützung des mächtigen Markgrafen brauchen. Andererseitswar auch für Dedi die Verwandtschaft mit dem Rex Russorumnicht ohne Vorteile, konnte dieser doch in Kiev wieder zurRegierung gelangen, und war man doch über seinen Reichtumunterrichtet: sowohl aufGrund der Heinrich N. überbrachtenGeschenkes), als auf Grund des durch BoleslaventwendetenGeldes,")

    Kunigundens Gemahl, der Fürst Jaropolk, hat immerseinem Vater nahe gestanden. Vieles spricht dafür, daßIzjaslav zu seinen Gunstert an eine Durchbrechung der ge-setzlichen Erbfolgeordnung t) dachte und ihn zu seinem Nach-folger in Kiev bestimmte, 8) Jaropolk hat bei den Verhand-lungen seines Vaters mit dem Papst keine unbeträchtlicheRolle gespielt. Er iSt in Rom gewesen und hat im Namenseines Vaters dessen Fürstentum dem apostolischen Stuhlübertragen, um es dann dono sancti Petri aus den Händen

    1) O. Posse, O. c. Taf. I.I) Greg. VII Registrum ed. E. Caspar I 236. Vgl. M. E. Saitan.

    O. c. S. 11fi.I) Um diese Zeit ist Dedi gestorben.f) S. Russ. Ann. I I 183 und Brief Gregors VII. an Boleslav II. in:

    Registrum Greg. VII ed. E. Caspar I 233.5) Lamp. Ann. S. 202.I) S. Brief Gregors VII. an Boleslav H. Reg. I 235.7) Wobei die Macht von einem Bruder zum andern überging. Über die

    Erbfolgeordnung im Kiever Reich s. K. Stählin. Geschichte Rußlandsvon den Anfängen bis zur Gegenwart (Berlin-Leipzig 1923) S. 59-"63.

    8) M. E. Saitan. O. c. S. 12. Vgl. S.200.

  • Verwandtschaftl. Bezieh. d. sächs, Adels z. russ. Fürstenhause. 199

    Gregors VII. zurückzuerhalten.t) Wir wissen nicht, wasJaropolk und sein Vater Izjaslav unter diesem Verhältnis ver-Standen haben. Praktische Folgen für die russische Kirchehatte die Übergabe des Kiever Reiches an den Papst jeden-falls nicht. Ohne Zweifel wollte Izjaslav sein Ansehen da-durch Steigern, daß ihm von autoritativer Seite die Recht-mäßigkeit seiner Ansprüche bestätigt wurde. SelbStverStänd-lieh schweigen die russischen Quellen über diese vom ortho-doxen Standpunkt wenig ruhmvolle Handlung, doch betonendie bekannten Kiever Miniaturen des Egbertpsalters in Civi-dale, die einige Jahre später, zwischen 1°78 und 1087, aufVeranlassung von Jaropolks Mutter, der polnischen Königs-tochter Gertrud 2), entstanden sind 8), das besondere VerhältnisJ aropolks zum hI. Petrus. Eine dieser Miniaturen Stellt denApostel als großeFigur dar und neben ihm zwei kleineFiguren,zwei Bittende, einen Fürsten und eine Fürstin. Der Fürst läßt sichdurch eine halb griechische, halb slavische Inschrift als Jaro-polk erkennen, die Fürstin ist ohne Zweifel seine Frau Kuni-gunde. Auf einem anderen Bilde setzt der thronende Christuseinem Fürsten und einer Fürstin die Krone aufs Haupt. BeideFiguren sind mit den vorangehenden identisch. Jaropolkwird durch den hl, Petrus herangeführt, seine Frau durch diehI. Irene. Daraus ergeben sich die zweiten Namen beider.4)

    1) Reg. Greg. VII. ed. E. Caspar I 236: Filius uester limina apostolorumvisitans ad nos venit et, quod I'egnum illud dono sancti Petri per manus nostrasvellet optinere, eidem beato Petro apostolorum p"incipi debita fidelitate ex-hibita, devotis p"ecibus postulauit, indubitanter asseuerans illam suam peti-tionem uestro consensu ratam fore QC stabilitam, si apostotice auctoritatisgratia ac munimine donaretu«.

    2) Die Gemahlin Izjaslavs, Gertrud, war die Tochter Mieszkos II.;s. N. de Baumgarten, O. c. Taf. I. .

    3) Über diese Miniaturen s. H. v. Sauerland-A. Haseloff, Der PsalterErzbischof Egberts von Trier. Festschrift der Gesellschaft für nützlicheForschungen zu Trier (Trier 1901) S.2411. Abbildungen ib, Taf. 42, 45;N. P. Kondakov, Izobrasenija russkoj knjazeskoj semji v miniatjurachXI veka (St. Peterburg 1906) passim (mit Abbildungen).

    ') Daß ]aropolk Petrus hieß, ergibt sich auch aus den Gebeten seinerMutter Gertrud in derselben Handschrift; s. H. v. Sauerland-A. Hase-loff, O. c. S. 1911. Auch ist es bekannt, daß er in der Kirche des hl. Petrusbegraben wurde, die er begründet hatte; es war durchaus üblich, daßman die Fürsten in den Kirchen ihrer Schutzheiligen begraben ließ; vgl,Gruiievskij, O. c. II S.67.

  • 200 Raissa Bloch,

    Offenbar hat Kunigunde nach der Heirat mit Jaropolk denNamen Irene bekommen. Es bleibt aber dahingestellt, obdiese Heirat schon vor den Verhandlungen Jaropolks mit demPapste geschlossen worden war. Das Bild, das die Kompositionder Krönung des byzantinischen Kaiserpaars durch Christuswiederholt"), spricht jedenfalls deutlich dafür, daß die Um-gebung ]aropolks keine geringe Vorstellung von seiner Würdehatte.

    Der AnnaliSta Saxo berichtet, daß Kunigunde nach demTode ihres russischen Gemahls in ihre Heimat zurückkehrte.sjDie russischen Annalen bringen Nachrichten über die Er-eignisse, die sie zu diesem Entschluß geführt haben. J aropolk,der zu Lebzeiten seines Vaters auch in Rußland Stets in seinerNähe geblieben ist3), erhielt nach dessen Tode die Fürsten-tümer Wolynj und Turov. Jetzt, wo die Familie Vsevolodszur Macht kam, mußte der Lieblingssohn Izjaslavs mit einergefährlichen Gegnerschaft rechnen. 1085 wurde er durchVsevolods Sohn Vladimir Monomach aus seinen Besitzungenvertrieben und mußte nach Polen fliehen.') Bei dieser Ge-legenheit erwähnen die Annalen seine Frau und seine Mutter.Sie wurden zusammen mit seinem Gefolge von Monomachnach Kiev gebracht, offenbar als Gefangene; alles, was derFürst besessen hatte, wurde ihm weggenommen.s) Schon imnächsten Jahre schloß er mit Monomach Frieden und kehrtein sein Fürstentum zurück, doch bald darauf fiel er durch dieHand eines Meuchelmörders (am 22. November 1086).6) EsiSt nicht erstaunlich, daß unter solchen Umständen seine Fraues vorgezogen hat, in ihre Heimat zurückzukehren.')

    Aus dem AnnaliSta Saxo erfahren wir, daß die Tochter derKunigunde von Orlamünde und Jaropolks einen Grafen

    1) N. P. Kondakov, O. e. S.28f.S) Ann. Saxo. Mon. Germ. SeroVI 693, 737.3) Izjaslav machte ihn zum Fürsten des bei Kiev gelegenen Vyagorod;

    S. Russ. Ann. t I 200. Jaropolk kämpfte an seines Vaters Seite in derSchlacht an der Ndatina niva, in der Izjaslav den Tod fand; S. ib. S. 202.

    I) Russ. ann. I I 205. 5) lb. 6) lb. S. 206.7) 1088 ist sie schon mit dem Sohn Ottos von Nordheim Cono ver-

    heiratet; S. oben S. 197. Er starb r roj. IIIO verheiratete sie sich zumdritten Male mitWiprecht von Groitzseh. Sie starb II40. S. Th. Ediger.O. e. S. 55·

  • Verwandtschaftl. Bezieh. d. sächs, Adels z, russ. Fürstenhause. 201

    Günter von Thüringen geheiratet hat. I) Wahrscheinlich hatKunigunde nach dem Tode ihres ersten Mannes ihre Tochtermit nach Sachsen genommen. Die anderen Kinder Jaropolks(die russischen Annalen nennen zwei Söhne) blieben aber inRußland und sind deswegen dem AnnaliSta Saxo nicht be-kannr.s)

    Über die Tochter Kunigundens sind die Nachrichten dürftig.Wir kennen nicht einmal ihren Namen. Im Jahre 1086 konntesie nicht mehr als 10 Jahre zählen.s) Auch über ihren Gemahl,den thüringischen Fürsten Günter, sind wir nur schlechtunterrichtet; viel besser dagegen über ihren Sohn Sizzo vonKäfernburg. den Begründer des Hauses der Grafen vonSchwarzburg. 4) Da dieser schon 1 II Z regierender Herr war+),so iSt die Heirat der Tochter Kunigundens mit Günter in dieZeit ea, 1090-1093 zu setzen. Es iSt aber unwahrscheinlich,daß man in Deutschland aus Anlaß dieser Heirat in irgend-welche Beziehungen zum Heimatlande der Braut getreten ist.

    Wenn durch die Heirat Kunigundens mit Jaropolk ver-wandtschaftliche Beziehungen des Adels der ThüringischenMark zu dem russischen Fürstenhause hergestellt wurden, soführt uns die Heirat von Jaroslavs Enkelin Eupraxia mit demFürsten Heinrich von Stade wieder in das Gebiet der Nord-mark und in die Kreise desselben Adels zurück, denen schonSvjatoslavs Gemahlin Oda angehört hatte. Der Markgraf derNordmark Heinrich war der Sohn jenes Markgrafen Udo vonStade, der nach dem Bericht Alberts von Stade und desRosenfelder Chronikon den Sohn Idas von Elstorpe, seinen

    1) Ann. Saxo I. c. Vgl. S. IS n.40.2) Vgl. Fr. Braun, O. c. S. 686---689.3) Die Heirat Kunigundens mit Jaropolk ist nach dem Jahre 1074

    zu setzen.') S. J. L. L. Gebhardi, O. c. S. 57ft. Die Angaben von G. W. v. Rau-

    mer, Histor. Charten und Stammtafeln zu den Regesta Bist. Branden-burgensis I (Berlin 1837), Taf. 14, über die Verwandtschaft mit dem russi-schen Fürstenhause sind ganz unzuverlässig. Sizzo hat um II43 das thü-ringische Kloster Georgenthal begründet.

    0) Er unterschreibt als Zeuge in einer Urkunde Heinrichs V. vom 16. JuniIIl2 (St. 3087).

  • 202 Raissa Bloch,

    Verwandten Ekbert, getötet hatte und später von ihr zumErben eingesetzt worden war. Er gehörte also demselbenHause wie Oda und der Trierer Propst Burchard an.') GroßeBesitzungen waren in seinen Händen vereinigt.s) Auch wardie Braut, die ihm aus Kiev zugeschickt wurde, die Tochterdes mächtigsten und reichsten aller russischen Fürsten.Der Großfür~ V sevolod Jaroslavic stand im Mittelpunkt

    aller jener verwandtschaftlichen Beziehungen, die durch diejahrzehntelange Heiratspolitik seines Hauses entstanden waren.Er selbst setzte diese Politik fort. Er war in erster Ehe mit einerTochter des Kaisers Konstantirr Monomachos verheiratet.Eine seiner Töchter, deren Namen wir nicht kennen, war mitLeo, dem Sohn des Kaisers Diegenes vermählt, die andere,Janka, mit Konstantin Dukas verlobt,") Sein Sohn VladimirMonomach hatte zur Frau Githa, die Tochter Haralds, desletzten angelsächsischen Königs, die Nichte des Königs Svenvon Dänemark. Er war mit dem französischen, dem ungari-schen, dem polnischen, dem schwedischen Königshause ver-wandt.") Innerhalb des russischen Reichs hatte er sich durchvorsichtige und kluge Politik eine hervorragende Stellungerrungen. Der russische Annalist sagt von ihm, er habe, alser Großfürst von Kiev wurde, die Herrschaft über ganz Ruß-land in seiner Hand gehabt.5) Jedenfalls waren die bedeutend-sten Fürstentümer ihm und seinen Söhnen unterStellt.6)

    Eupraxia oder Praxedis, wie sie in den deutschen Quellengewöhnlich genannt wird, war aus der zweiten Ehe Vsevolods

    1) Ann Stad., Mon. Germ. Scr. XVI 319f. Chronicon mon, Rosenfe1d.seu Hassefeld. in: J. Vogt, Monumenta ined. rer. Germ. praecipue Bee-mensium I (Bremen 1740) S.123£· S. Geneal. Tafel der Grafen von Stadein: Mon. Germ. Scr. XVI 379. Vgl. oben S. 189 n.2.

    I) Ann. Stad. 1. c. Chron. mon. Rosenfeld. 1. c.

    3) S. P. Rozanov, O. c. S.623; B. Leib, O. c. S.143f., 170.

    ') Seine Schwester Anna war mit Heinrich I. von Frankreich vermählt,die zweite Schwester mit Andreas n. von Ungarn, die dritte mit Haraldvon Norwegen und dann mit Sven von Dänemark. Sein Bruder Izjaslavhatte die Tochter Mieszkos II. von Polen. die Schwester Kazimirs 1., zurFrau. S. Leib. O. c. S.143-178.

    6) Russ. Ann. ~ I 204.

    8) M. Gr uäe vs ki] , O. c. II S'716.

  • VerwandtschaftI. Bezieh. d. sächs. Adels z. russ. Fürstenhause. 203

    mit einer Polovzer Fürstentochter nach 1067 geboren.') DasJahr ihrer Heirat mit dem Markgrafen Heinrich i!ftunbekannt.Wir wissen auch nichts über die Verhandlungen, die dieserHeirat vorangegangen sind. Die Vermutung Rozanovs 2),daß Oda von Stade dabei die Vermittlerrolle gespielt hat,findet in den Quellen keine Unterstützung und bleibt einebloße Hypothese. Im Rosenfelder Chronikon wird erzählt,daß die Tochter des russischen Königs mit großem Prunknach Sachsen gekommen sei; ihr folgten Kamele, die mitreichen Kleidern, Kostbarkeiten und unzähligen Schätzen be-laden waren.3) Wenn auch dieser Bericht der spät entstandenenChronik legendäre Züge aufweist, so scheint er doch dasWesentliche zu treffen. Ohne Zweifel war für den sächsischenMarkgrafen die Heirat mit der Tochter Vsevolods erwünschtund vorteilhaft.

    1087 starb der Markgraf Heinrich, ohne Kinder zu hinter-lassen. Schon 1088 wurde Praxedis die Braut Heinrichs IV.,und am 14. Augu!ft 1089 fand in Köln ihre Krönung durchden Erzbischof Hartwig von Magdeburg statt, der unmittel-bar die Hochzeit folgte.') An dieser Stellemöchte ich nichtwieder die Einzelheiten der für Heinrich IV. so verhängnis-vollen Praxedis-Episode schildern, da dieses bereits mehr-mals mit großer Ausführlichkeit geschehen i!ft.5) Ich möchtenur einiges über die Motive sagen, die Heinrich IV. vermut-lich zu dieser Heirat bewegt haben. Denn bloß an eine gegen-seitige Zuneigung zu denken, i!ft in diesem Falle schwer,

    1) s. s. P. Ro aan ov, o. c. S.618; vgl. M. v. Knonau, JahrbücherHeinrichs IV., Bd. IV S. 217 n. 38. Der deutsche Name der Praxediswar Adelheid.

    S) o. c. S. 623.3) Chron, mon. Rosenfeld. seu Hassefeld. in: Mon. ined. rer. Germ.

    praecipue Bremensiam I S. 125: Haec venit in islam regionem cum magnapompa, pretiosas vestes et gemmas camelis portantibus, divitiasque infinitas.

    ') S. Max Kirchner, Die deutschen Kaiserinnen in der Zeit von Kon-rad 1. bis zum Tode Lothars von Supplinburg (Berlin 1910) S. 44f1.;S. P. Rozanov, O. c. S.627·i) Über Praxedis s. Ph. Krug, Forschungen in der älteren Geschichte

    Rußlands II (St. Petersburg 1848) S. 581-618; M. Kirchner, O. c. S. 44f1.(mit Verweis auf Literatur); B. Leib, o. c. S. 164-166; M. E. Saitan,o. c. S. 16--19 und zuletzt S. P. Rozanov, O. c. S. 617-646, der Praxedisvom psychologischen Standpunkt zu rechtfertigen sucht.

  • 204 Raissa Bloch,

    besonders da die politischen Vorteile, die Heinrich sich vonder Vermählung mit Praxedis versprechen konnte, gar nichtso "gering und unsicher" waren, wie es Kirchner be-hauptet.')

    Selbstverständlich war es nicht die Herstellung der freund-schaftlichen Beziehungen zu Sachsen, die der Kaiser durchdiese Heirat erstrebte. Dann hätte sich Heinrich besser dieTochter eines sächsischen Fürsten zur Frau genommen, nichteine Fremde. Auch iSt es schwer zu vermuten, daß die neun-zehnjährige Witwe des Markgrafen Heinrich in besondersfreundschaftlichen Beziehungen zum sächsischen Adel ge-Standen hat.s) Nicht als sächsische Fürstin, sondern alsTochter Vsevolods von Kiev war Praxedis für Heinrich IV.eine erwünschte Gemahlin. Dieselben Motive, die den Adelder Nordmark und der Thüringischen Mark bewogen hatten,Anschluß an das Kiever Reich zu suchen, mußten auch beidieser Heirat des deutschen Kaisers den Ausschlag gegebenhaben. Schon früher war er mehrere Male mit diesem Reich inBerührung gekommen 3) und hat Gelegenheit gehabt, sichvon dessen Reichtum zu überzeugen.') Ohne Zweifel konnteHeinrich aus der Verwandtschaft mit dem mächtigen Vsevolodmanchen Vorteil für sich erwarten.Dazu gesellten sich aber andere Motive, die mit der ge-

    samten Kirchenpolitik des Kaisers in engster VerbindungStanden. Bekanntlich wurden damals vom kaiserlichen PapstClemens In. Versuche gemacht, mit der orientalischen KircheVerhandlungen anzuknüpfen, deren Ziel die Kirchenunion

    1) O. c. S.45.2) S. dagegen M. Kirchner, O. c. S·45 und B. Leib, O. c. S. 165.3) An seinem Hofe hatte Izjaslav von Kiev 1075 Zuflucht gefunden,

    wie schon früher (1061) dessen Schwester Anastasia, die Frau des ungari-schen Königs Andreas; vgl. M. v. Knonau, jahrbücher Heinrichs IV.,Bd. I 93 n. 79; II 481f. 1068 und 1075 sind seine Gesandten nach Kievgegangen; s. Bruno, De bello saxonieo e. 13. Mon. Germ. Sero rer. Germ.S. 8f. Ann. Saxo ad a. 1068. Mon. Germ. Sero VI 696. Lamp. Ann.p.202, 225.

    I) Lampert von Hersfeld (1. c.) spricht von den überaus reichen Ge-schenken, die Heinrich IV. von Izjaslav und von dessen Gegner Svjatoslaverhalten hat. Vg!. die Zusammenstellung der Äußerungen über den Reich-tum Rußlands bei G. Lo ai ns ki , O. C. S.258ft.

  • Verwandtschaftl. Bezieh. d. sächs. Adels z, russ. Fürstenhause.205

    sein sollte.t) In dieser Angelegenheit stand er mit demPatriarchen von Konstantinopel in BriefwechseL Er schickteauch einen Bischof zum Kiever Metropoliten Johannes II.2)Wahrscheinlich steht die Sendung dieses Bischofs mit einerGesandtschaft Heinrichs IV. an Vsevolod in Zusammenhang,die in Angelegenheit der Heirat des Kaisers mit Praxedis1088-89 nach Kiev gegangen war,") Die Interessen beider,Wiberts und des Kaisers, berührten sich hier aufs engste.Wäre es Wibert gelungen, die Anerkennung durch dieorientalische Kirche und das Beseitigen des Schismas zu er-reichen, so war dadurch die Sache Urbans n. verloren. Hein-rich N. aberwäre dann zum Verteidiger des wahren Glaubensund der christlichen Einheit geworden.s) Die Heirat mitPraxedis und die Freundschaft mit ihrem Vater, dem Groß-fürsten von Kiev, konnte bei der Durchführung dieser weit-gehenden Pläne erhebliche Hilfe leisten,Wie bekannt, hatte die orientalische Politik Wiberts keinen

    Erfolg. Der Kiever Metropolit Johannes n. verwies ihn ineinem sehr freundlichen Brief an den Patriarchen von Kon-§lantinopel, mit dem damals bereits Urban 11.Verhandlungenführte.5) Ungefähr um dieselbe Zeit verfaßte Johannes n.seine bekannten "Kanonischen Antworten" auf verschiedeneFragen des Kirchenlebens, wo im 13. Kapitel der Für§l ge-tadelt wird, der seine Töchter nach Ländern verheiratet, indenen man ungesäuerte Brote zum Abendmahl verwendet.Über einen solchen Fürsten soll die kirchliche Strafe verhängt

    1) WaIter Holttmann. Studien zur Orientpolitik des Papsttums in:Historische Vierteljahrschrift XXII (1924/25) S. 182.

    D) S. Brief des Metropoliten Johannes Ir. ed. A. S. Pavlov in einerRezension von A. Popov, Istoriko-literaturnyj obzor drevnerusskichpolemiöeskich soöinenij protiv Latinjan (Moskva 1875) in: Otöet 0 devjat-nadcatom prisusdenii nagrad Grafa Uvarova (St. Peterburg 1878) S.355:en, leeo, a.v~e "at Tli navea d/l-tO, "at baeno, brla"ono, 'lij, aij, lee6'l1'J'lO,&.n~rrElk "al aatpiik ~lefeavwaev.

    3) W. Holtzmann, O. c. S. 18I.') S. B. Leib, O. c. S. 23ft.; M. E. Saitan, O. c. S.17.6) W. Holtzmann, O. c. S. 185-190; Derselbe, Die Unionsverhand-

    lungen zwischen Kaiser AIexios I. und Papst Urban Ir. im Jahre 1089 in:Byzantinische Zeitschrift XXVIII (I928) S·38-67. Der Kiever Metro-polit JOhannes n. ist noch im selben Jahre 1089 gestorben; s. ib. S. 4r.

  • 206 R. Bloch, Verwandschaftl. Bez. d. sächs, Adels z. russ. Fürstenhause.

    werden.") Es iSt ohne weiteres klar, daß diese Bestimmung eineAnspielung auf V sevolod enthält, dessen Tochter sich jagerade damals mit dem deutschen Kaiser vermählt hatte.Die kirchlichen Kreise in Kiev waren offenbar gegen die An-näherung an den ketzerischen WeSten. Auch übergehen dierussischen Annalen die Verhandlungen, die um 1089 zwischenKiev und Deutschland geführt wurden, mit Schweigen.

    Die Heirat Heinrichs IV. mit Praxedis erscheint als letztein der Reihe der Ehen, die zwischen den Vertretern derdeutschen und russischen Fürstengeschlechter in der zweitenHälfte des I I. Jahrhunderts geschlossen wurden. Sie fallenalle in denselben ziemlich engen Zeitraum und sprechen deut-lich für rege gegenseitige Beziehungen des Kiever Fürsten-tums zu Deutschland, genau genommen zu den östlichensächsischen Marken, unter den älteren Nachfolgern Jaroslavsdes Weisen. In den darauffolgenden Jahrzehnten erfahrenwir nichts mehr von solchen Heiratsverbindungen. Vielleichtwar man sich der Glaubensverschledenheit bewußter ge-worden, vielleicht waren die Zustände im Kiever Reich, dieFehden der Fürsten, die Ständig von den Polovzern drohendeGefahr, die Ursache, daß man sich mehr auf sich selbst kon-zentrierte und weniger nach dem WeSten hinübersah.

    1) Die Kanonischen Antworten des Metropoliten Johannes 11. sind ineiner griechischen und in einer slavischen Redaktion erhalten. Ich zitiereden griechischen Text nach der Edition von A. S. Pavlov in: Sbornikotd. russk. jaz. i slovesnosti Imp. Ak. Nauk XV n. 3 s. 14ft.: To aB t~dVl'a-ti~.Ja' TOO flIl'EVEOTaTOV aexOvtO!; dldOva' v6'_"q>at;Elt; ~, TooV &(;o'_"o" ,_,.na-J..a,_,.p&'"ona, a va;,o" lon Kai Ua" tbt~E:n:i,. EV08P~" 'la.~ &)" 8eov xaelfl Kai