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Finanzoasen und ihre (Nicht-)Regulierung. Eine Bestandsaufnahme nach und vor dem Crash?
Momentum-Kongress Hallstadt, Oktober 2011
Dr. Silke Ötsch
Institut für Soziologie, Universität Innsbruck; Mitglied der AG Finanzmärkte und Steuern und des wissenschaftlichen Beirats von Attac Deutschland
In diesem Beitrag stelle ich dar, dass sich über Offshore-Ökonomie ein paralleles Finanz- und Wirtschafts -
system ausgebildet hat, das als Zweiklassenrechtssystem zu verstehen ist. Offshore-Ökonomie ist kein Rand-
phänomen, sondern ein zentraler Bestandteil des Weltwirtschafts- und Finanzsystems. Es steht in erster Linie
"Eliten" zur Verfügung und begünstigt diese, indem es einen Rechtsrahmen schafft, über den legal oder ille -
gal Steuerzahlungen und Regulierungen umgangen werden können. Der Text gibt in einem ersten Teil einen
Überblick über a) verschiedene Formen der Offshore-Ökonomie und Schätzungen zum Umfang. Ich umreiße
b) verschiedene Entstehungskontexte besonders relevanter Zonen der Offshore-Ökonomie (europäische Steu-
eroasen, Offshore-Ökonomie in britischen und US-amerikanischen Bereich) und deren Spezifika. Im zweiten
Teil gehe ich auf verschiedene Regulierungsansätze auf internationaler, europäischer und (bi-)nationaler Ebe-
ne ein und stelle dar, dass die Fortschritte bei Bekämpfung von Offshore-Ökonomie weit hinter den Ankün-
digungen (u.a. der G20) zurückbleiben, sowohl bei der Bekämpfung von Steuerflucht, als auch bei der Um-
gehung von Finanzmarktregulierung über Finanzoasen. Ich liste außerdem weiter reichende Forderungen der
Zivilgesellschaft auf. Ich komme zu dem Resumé, dass die Dimension von Offshore-Ökonomie insbesondere
im Bereich der Regulierungsoasen unterschätzt wird. Wenngleich die Bekämpfung von Steuerflucht von ei-
ner breiten Masse weniger geduldet wird, wird sie nur in bestimmten Sektor ernsthaft bekämpft.
1
I. OFFSHORE-ÖKONOMIE – EIN ÜBERBLICK
I.1. Begriffe von Offshore-Ökonomie
In der Vergangenheit wurde Offshore-Ökonomie vor allem im Zusammenhang mit Geldwäsche und Steuer-
flucht betrachtet. In diesem Text fasse ich Offshore-Ökonomie (Palan 98) in Anlehnung an Ronen Palan wei -
ter, da deren Prinzip, das Zwei- oder Mehrklassen-Rechtssystem, in weiteren relevanten Bereichen der Wirt-
schaft zu finden ist, etwa bei der Umgehung von Finanzmarktregulierung. Wenngleich es aufgrund der Viel-
zahl der Offshore-Jurisdiktionen, dem Einfallsreichtum der Offshore-Dienstleister und Randfällen schwer
sei, Offshore-Ökonomie klar zu definieren, könne ein allgemein gültiges Charakteristikum aufgestellt wer-
den, nämlich „the combination of juridical bifurcation and regimes designed to attract international in-
vestors by offering lower regulation and taxation...” (Palan 2003, 20).
Enger gefasste Definitionen von Offshore-Ökonomie finden sich in Publikationen des IWF, so etwa in einem
2007 erschienenen Working Paper von Ahmed Zoromé. Darin vergleicht der Verfasser Definitionen von
Offshore Finanzplätzen (Offshore Financial Centers, kurz: OFC) verschiedener AutorInnen, die demnach
keinen gemeinsamen Begriff verwenden, sondern charakterisiert sind durch die schwerpunktmäßige Orien-
tierung auf Nicht- Ansässige, einen „vorteilhaften“ regulativen Rahmen / Rechtsrahmen, niedrige oder keine
Steuern, ein Missverhältnis zwischen der Größe des Finanzsektors und des Bedürfnisses an Finanzdienstleis-
tungen des jeweiligen OFCs, Geschäfte in ausländischen Währungen und der Nicht-Zugriff regulierender
Einheiten wie Staaten (Zoromé 2007, 5). Zoromé selbst definiert OFCs wie folgt: “An OFC is a country or
jurisdiction that provides financial services to nonresidents on a scale that is incommensurate with the size
and the financing of its domestic economy” (Zoromé 2007, 7).
Das Tax Justice Network (TJN) rückt neben der Umgehung von Regulierung das Kriterium der Intransparenz
in den Fokus, wenn es um die Bestimmung von Offshore-Ökonomie geht, bzw. der Secrecy Jurisdictions –
so die Bezeichnung des TJN. Besonders wichtig sei, dass NutzerInnen der Secrecy Jurisdictions durch den
Gesetzesrahmen der Jurisdiktion nicht identifiziert werden können, womit sie in ihrem Herkunftsland straf-
bar würden. Secrecy Jurisdictions werden anhand dreier Merkmale definiert:
„Firstly, secrecy jurisdictions are places that intentionally create regulation for the primary benefit and use of those not resident in their geographical domain. … Secondly, we say secrecy jurisdictions deliberately design the regulation they create for use by people who do not live in their territories so that it undermines the legislation or regulation of another jurisdiction. … Thirdly, we argue that to assist those from other places who want to make use of the laws that a secrecy jurisdiction provides those secrecy jurisdictions also create a deliberate, legally backed veil of secrecy that ensures that those from outside the jurisdiction making use of its regulation cannot be identified to be doing so.“ (TJN et al 2009, 1f)
2
Zusammengefasst schaffen Secrecy Jurisdictions also Rechtsrahmen für Nicht-Ansässige NutzerInnen, die
diesen erlaubt zum eigenen Vorteil Gesetze ihrer Jurisdiktion zu umgehen, wobei sie durch die Geheimhal-
tungspraktiken der Secrecy Jurisdiction gedeckt werden.
Bislang haben sich VertreterInnen der deutschsprachigen Sektion des TJN auf keine einheitliche Bezeich-
nung für Offshore-Ökonomie und ihre Untersektoren geeinigt. Die gängigen Begriffe Steueroase, Steuerpa-
radies und Offshore-Finanzzentrum sind einerseits mit den positiven Konnotationen der Finanzindustrie be-
legt und geben andererseits die Funktion der Regulierungsflucht nicht wieder. Die alternativ vorgeschlagene
Termini Verdunkelungsoase und Schattenfinanzplatz sind jedoch nicht selbsterklärend oder können mit dem
Schattenbankensystem verwechselt werden; Finanzoase transportiert ähnlich wie die Steueroase eine positi-
ve Konnotation.
Ich beziehe mich im folgenden auf das Konzept der Secrecy-Jurisdiction und benutze den Begriff der Offs-
hore-Ökonomie zur Bezeichnung der Wirtschaftsform, die durch die Eigenschaften der Secrecy Jurisdiction
bestimmt ist, d.h. in relevanten Bereichen einen anderen Rechtsrahmen benutzt als der aufgrund der geogra -
phischen Lage zuständige. In Bezug auf bestimmte Jurisdiktionen, die sowohl Steuer- als auch Regulierungs-
flucht in der Finanzwirtschaft betreffen, spreche ich aus Gründen der Verständlichkeit von Finanzoasen, bei
den Unterkategorien benutze ich die Termini Steuer- und Regulierungsoase.
I.2. Wie funktioniert Offshore-Ökonomie?
Offshore-Ökonomie hat verschiedene Facetten und ist sowohl in Bereichen der Finanz- wie der Realwirt -
schaft anzutreffen. Grundsätzlich zahlen NutzerInnen der Offshore-Dienstleistungen eine Gebühr für die
Nutzung des Rechtsrahmens oder eine Steuer, die weit unter dem Satz der Jursidiktion liegt, in der sie phy-
sisch ansässig sind. Neben Steueroasen umfasst die Offshore-Ökonomie Regulierungsoasen, Sonderwirt-
schaftszonen (Special Purpose Zones, kurz: SPZs), Schifffahrt über „Billigflaggen“ (flags of convenience),
bestimmte Formen des Internethandels und von Telefonsex und Offshore-Kasinos. Sie impliziert zudem kri-
minelle Geldwäsche, Korruption und die Veruntreuung öffentlicher Gelder (Palan 2003, 17ff). Über Offsho-
re-Ökonomie werden nicht nur Steuerzahlungen umgangen, sondern auch Umwelt- und Arbeitsschutzbestim-
mungen. Im Weiteren beziehe ich mich vorerst auf die besonders relevanten Bereiche der Steuer- und Regu-
lierungsoasen.
Steuerflucht
Wie verschiedene Untersuchungen zeigen (s. I.3.1), führt ein Großteil der multinationalen Unternehmen eine
oder mehrere Firmenteile in einer Offshore-Jurisdiktion, häufig um Steuern zu sparen indem Gewinne buch-
halterisch aus einem Hochsteuerland in eine Steueroase verschoben werden.
Unternehmen begehen Steuerflucht vor allem über die Manipulation von Transferpreisen ("transfer pricing")
– eine Methode, die in den letzten Jahren verstärkt angewendet wurde (Palan et al. 2010, 68). Transferpreise
3
sind Beträge, die sich Unternehmen für die Lieferung von Gütern und Dienstleistungen anrechnen, die der
gleichen Person oder einem Unternehmen gehören. Das betrifft beispielsweise den Handel zwischen Mutter-
und Tochterunternehmen. Das Unternehmen profitiert wenn es Gewinne buchhalterisch in das Land mit nied-
rigen und Verluste in das Land mit höheren Steuern verschiebt, indem a) das Unternehmensteil im Hochsteu-
erland das Unternehmensteil im Niedrigsteuerland zu Billigpreisen beliefert oder b) indem das Unterneh-
mensteil im Hochsteuerland Waren oder Dienstleistungen vom Unternehmensteil im Niedrigsteuerland zu
überhöhten Preisen einkauft.1 Daneben gibt es Transferpreise, bei denen vermeintliche Kosten in bestimmte
Länder verschoben werden, die Subventionen für bestimmte Ausgaben zahlen, etwa in Form von Steuerer-
mäßigungen oder -erlass oder Aufwandsentschädigungen – eine Methode, die besonders von Unternehmen
angewandt wird, die Rohstoffe abbauen bzw. Bergbau betreiben (Palan et al. 2010, 70). Pak und Zdanowicz
veröffentlichten einige Beispiele von kreativen Preisgestaltungen von US-Unternehmen. Letztere importier-
ten Plastikeimer für über 970 US-$ pro Stück aus Tschechien, Luftpumpen zu einem Stückpreis von 5000
US-$ aus Malaysia oder Toiletten- und Kosmetiktücher für über 4100 US-$ aus China. Sie exportierten u.a.
Toiletten zum Stückpreis von 1,75 US-$ nach Hong Kong und Fertighäuser für 1,20 US-$ nach Trinidad
(Pak & Zdanowicz 2002, 69f).
Weitere Methoden der Steuerflucht von Unternehmen ist die Gewinnverschiebung durch Kreditvergabe zwi-
schen Mutter- und Tochterfirmen. Dabei gibt das Unternehmensteil im Niedrigsteuerland einen hoch verzins-
ten Kredit an das Unternehmen im Hochsteuerland. Des weiteren transferieren Firmen Gewinne über Lizen-
zen. Ein Beispiel dafür ist die Firma IKEA. Die 235 IKEA-Geschäfte führen eine Lizenzgebühr in Höhe von
3 % des Umsatzes an das Unternehmen IKEA Systems in den Niederlanden ab (Ward 2011), wo diese Ge-
winne niedrig besteuert werden (Dijk, Weyzig & Murphy 2006). Die Gebühren fließen weiter an die InterI-
KEA Holding in Luxemburg, die wiederum der Interogo Stiftung in Liechtenstein gehört, die von der Fami-
lie des IKEA-Gründers Kamprad kontrolliert wird; daneben werden die Gewinne an Stiftungen und Unter-
nehmen auf den niederländischen Antillen und Curacao verteilt (Economist 2011; Ward 2011). Nach derzeit
vorliegenden Informationen habe IKEA in den letzten 20 Jahren zwischen 1,7 und 2,2 Milliarden Euro Steu -
ern zu wenig gezahlt (Ward 2011).
Die zweitgrößte Gruppe, die Steueroasen nutzt sind reiche Privatpersonen. Diese verlagern ihren Wohnsitz
formal in eine Steueroase, wo sie entweder einen jährlichen Betrag oder eine andere Form der Abgabe mit
den Zuständigen (z.B. der Kommune) aushandeln und dafür am ursprünglichen Standort nicht mehr oder nur
eingeschränkt steuerpflichtig sind. Beispielsweise sparte verlegte der ehemalige UBS-Chef Oswald Grübel
eine hohe Summe Steuern, indem er seinen Wohnsitz von Basel nach Wollerau verlegte – der Gemeinde mit
dem niedrigsten Steuersatz im Kanton Zug, dem Kanton mit dem niedrigsten Steuersatz der Schweiz. Zudem
werden Steueroasen genutzt, um Vermögen und Einkommen vor Partnern und Familienangehörigen zu ver -
stecken, etwa im Fall eines Scheidungsparadieses, so ein Anbieter (Thetabitz 2011). Darüber hinaus werden
Privatstiftungen benutzt, um Steuern zu sparen. Die können von TreuhänderInnen verwaltet werden und die
1 Theoretisch ist dieses Vorgehen illegal, da interne Preise generell den Marktpreisen entsprechen sollten; das Verbot wird jedoch umgangen.
4
Begünstigten können je nach Ausgestaltung der Steueroase verschiedene Steuerarten sparen oder anonym
bleiben.
Regulierungsoasen
Steueroasen sind häufig auch Regulierungsoasen, die für verschiedene Arten von Geschäften genutzt werden,
die über die Steuergestaltung von Unternehmen und für AnlegerInnen hinausgehen. Regulierungsoasen ha-
ben erheblich zur Destabilisierung des Weltfinanzsystems beigetragen. Durch Geschäfte über Finanzoasen
vergrößerte sich das Volumen der Finanzmärkte und damit die Blase vor dem Crash von Lehman Brothers,
da riskante Geschäfte zugelassen sind, bei denen Finanzunternehmen häufig nicht genügend haften und we-
nig Eigenkapital vorhalten müssen, was andererseits einen größeren Verschuldungsgrad impliziert. Blasen-
bildung wurde in verschiedenen Bereichen diagnostiziert, u.a. bei An- und Verkäufen von Unternehmen, im
Kreditkartensektor und auf den Immobilienmärkten. Beispielsweise operierte die Hypo Group Alpe Adria
laut Presseberichten u.a. über Firmenteile in Jersey, Liechtenstein, die Niederlande und eine österreichische
Privatstiftung und zusammen mit einer Tochter der Deutschen Bank mit Sitz in Delaware, verspekulierte
mehrere hundert Millionen Euro über Jersey und soll in Geldwäsche verwickelt gewesen sein (Presse
14.1.2010; Süddeutsche 19.1.10; Standard 11.1.2010). Die isländische Kaupting Bank spekulierte u.a. über
London un die Isle of Man, die Hypo Real Estate über die Tochter Depfa über Dublin, die Commerzbank
hatte über 80 Firmenteile in Finanzoasen (Rügemer 2009) und ist immer dort präsent.
Gonzales und Schipke listen auf, welche Finanzgeschäfte neben Steuergestaltung über Offshore-Jurisdiktio-
nen üblicherweise getätigt werden. Zum einen werden schuldenfinanzierte Ankäufe und Fusionen von Unter-
nehmen durchgeführt. Banken und Hedgefonds wickeln Offshore außerbilanzielle Geschäfte (off-banance-s-
heet activities) ab, und zwar mit Geldern, die von Onshore-Standorten kommen und Onshore angelegt wer-
den. Dazu gehören strukturierte Finanzprodukte wie SPVs oder SIVs. Des weiteren registrieren sich Versi-
cherungen in Finanzoasen neben steuerlichen Gründen, um weniger Eigenkapital vorhalten zu müssen, in-
dem sie Risiken Offshore rückversichern. Offshore registrierte Hedgefonds bündeln außerdem KundInnenan-
lagen, lassen diese von Onshore-Fonds verwalten und können dafür Kredite in Finanzoasen und Onshore
aufnehmen (Gonzales & Schipke 2011, 43).
Institutionen, die Regulierungsoasen nutzen sind in vielen Fällen Schattenbanken, u.a. Hedge Fonds und
Zweckgesellschaften (Conduits). Zweckgesellschaften von US-Unternehmen agierten v.a. von den Kaiman-
inseln und Delaware, im europäischen Raum vorzugsweise über Irland, Luxemburg, Jersey und Großbritan-
nien (BIS 2009, 75). Zweckgesellschaften wurden von größeren Banken, Finanzunternehmen, Investment-
banken oder Versicherungen eingerichtet. Grundsätzlich sind sie ein Mittel um das Risiko des Zahlungsaus-
falls an AnlegerInnen weiterzugeben (BIS 2009, 47). Damit werden verschiedene Ziele verfolgt. U.a. er -
scheint das Risiko nicht mehr in der Bilanz der Bank oder des Unternehmens, das die Zweckgesellschaft auf -
gesetzt hat, so dass weniger Eigenkapital notwendig ist und Geschäfte durchgeführt werden können, die an
anderen Standorten verboten sind. Zweckgesellschaften benutzten vor allem Verbriefungen (z.B. asset-
5
backed securities (ABS), Residential Mortgage Backed Securities (RMBS), Commercial Mortgage Backed
Securities (CMBS), Collateralised Debt Obligations (CDOs, CLOs) (BIS 2009, 47ff).
Weitere Schattenbanken, die Regulierungsoasen nutzen sind Hedgefonds. 2007 waren die Hauptstandorte die
Kaiman-Inseln (mit einem Anteil von über 60 % aller OFCs), gefolgt von den Britischen Jungferninseln,
Bermuda, Delaware und Irland (Palan et al. 2010, 98). Hedgefonds sind Kapitalsammelstellen, die mit einer
Vielzahl von Anlagen spekulieren, und mit einem hohen Anteil an Fremdkapital agieren können (Hebel- oder
Leverage-Effekt), da sie offiziell nicht als Bank gelten. Das kann hohe Renditen, aber auch hohe Risiken ein-
bringen. Bekannt wurde vor allem der LTCM-Fonds, der 1998 die Asienkrise auslöste.
Auswirkungen auf die Realwirtschaft hatte außerdem die Welle von Fusionen und Ankäufen von Firmen
nach der Jahrtausendwende bis Mitte 2007. Ein zunehmend großer Teil dieser Aufkäufe wurde von Private
Equity-Unternehmen durchgeführt, und zwar fremdfinanziert über Regulierungsoasen. Dabei sparten (Fi-
nanz-)Unternehmen Steuern, indem der Firmenteil in der Finanzoase dem Onshore-Firmenteil einen Kredit
für den Aufkauf gibt, womit die Zinsen in die Finanzoase fließen und von der aufgekauften Firma beglichen
werden müssen. Die Summe der US-Übernahmen verfünffachte sich zwischen 2003 und 2006. Im Jahr 2007
betraf dieses ein Drittel der US-Übernahmen mit einem Volumen von 230 Milliarden US-$ (IMF / Fiscal Af-
fairs Department 2009, 6).
Die Umgehung von Regulierung über Offshore-Ökonomie hat weitere Facetten, die hier nicht umfassend
dargestellt werden können und sie begann schon wesentlich früher. Ein wichtiges Eckdatum erwähne ich ab-
schließend, und zwar die Unterwanderung des Abkommens von Bretton Woods über die in den 50er Jahren
entstandenen Euromärkte. Die Euromärkte entstanden, als Londoner Banken die Vorgaben der Regulierung
bei Geschäften in ausländischer Währung mit ausländischen KundInnen ignorierten und die Englische Zen-
tralbank nicht einschritt (s. I.4.; Palan et al. 210, 131ff). Die so entstandenen Euromärkte wurden in der Fol-
ge genutzt, um Eigenkapitalvorschriften zu umgehen und in der Folge arbeiteten VertreterInnen der briti-
schen Finanzindustrie darauf hin, weitere Vorteile über Offshore-Jurisdiktionen der abhängigen Gebiete zu
implantieren (s.I.4).
I.3. Der Umfang von Offshore-Ökonomie und ihre NutzerInnen
Aufgrund der Geheimhaltungspraktiken der – wie der Name schon sagt – Secrecy Jurisdictions sind Angaben
zum Umfang der Offshore-Ökonomie ungenau. Unter anderem beklagen die IWF-Ökonomen Lane and Mi-
lesi-Ferretti, dass die Quellen inkomplett sind und häufig aus indirekter Quelle stammen (z.B. Schätzungen
anderer Staaten); die akademische Literatur über das Thema gebe keine Angaben über den quantitativen Um-
fang (Lane & Milesi-Ferretti 2010, 4). Ich stelle somit im Folgenden Daten aus einer Vielzahl von Quellen
zusammen.
Laut einem 1994 veröffentlichten Bericht des IWF wird mehr als die Hälfte der grenzüberschreitenden Kre-
ditvergabe über Offshore-Jurisdiktionen abgewickelt (Cassard 1994). Die Bank für internationalen Zahlungs-
6
ausgleich (BIS) gibt an, dass in Offshore-Jurisdiktionen angesiedelte Banken Ende 2007 einen großen Anteil
ihrer Geschäfte mit Banken anderer Offshore-Standorte abwickelten, nämlich 47 % der grenzüberschreiten-
den Depots und 43 % der grenzüberschreitenden Kredite. Bei einer Summe von 24,5 Billionen US-$ grenz-
überschreitender Kredite würden somit ca. 12,2 Billionen US-$ auf Offshore-Transaktionen entfallen (Palan,
Murphy & Chavagneux 2010, 51). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Werte nur grobe Indika-
toren sind, weil daraus nicht hervorgeht, welcher Anteil der Transaktionen der Steuerflucht und anderen Fi -
nanzgeschäften zuzurechnen ist, weil die Daten der BIS unvollständig sind und Geschäfte außerhalb der Bi -
lanz (OTC) nicht erfasst sind (Palan et al. 2010, 51).
Weitere Angaben zum Umfang des Offshore-Anteils ausländischer Direktinvestionen (FDIs) sind dem Welt-
Investitionsbericht der UNCTAD zu entnehmen. 2010 flossen demnach 38 % der FDIs in (oder durch) Steu-
eroasen (UNCTAD 2010, 87). Aber auch diese Zahlen sind ungenau, da die Liste der OECD der Steueroasen
benutzt wurde, die wichtige Steueroasen ausklammert (s. II.1).
Die IWF-Ökonomen Lane und Milesi-Ferretti beschäftigen sich in ihrer Arbeit „Cross-Border Investment in
Small International Financial Centers“ mit kleinen Gebieten als Finanzplätze, weil ein „nicht-unwichtiger
Teil der globalen Kapitalflüsse auf dem Weg in ihre finale Destination durch kleine Finanzzentren fließe“
(Lane & Milesi-Ferretti 2010, 3f). Es sei auffällig, dass die wenigen vorhandenen Zahlen bezogen auf die
Anlagen und Verbindlichkeiten eines Finanzplatz stark voneinander abweichen (im Fall der Kaimaninseln
um 700 Mrd. US-$), so dass anzunehmen sei, dass ein Teil der Gelder nicht deklariert seien. Die Autoren
schätzen die internationale Bruttohandelsbilanz von allein 32 dieser kleinen Finanzzentren im Jahr 2007 auf
ca. 18,5 Billionen US-$ (Lane & Milesi-Ferretti 2010, 6ff). Dem steht eine Bevölkerung von nur 12,7 Millio-
nen Menschen gegenüber, die aber statistisch nur ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von 11.600
US$ erhalten (Lane & Milesi-Ferretti 2010, 8), was darauf hindeutet, dass die Einnahmen über Offshore-
Ökonomie der lokalen Bevölkerung kaum zugute kommen. Mit einer Außenhandelsbilanz von 8,2 Billionen
US-$ führen diese Liste die Kaimaninseln, gefolgt von Jersey mit über 2 Billionen US-$, den Britischen Vir-
gin Islands mit 1,6 Billionen US-$ (Lane & Milesi-Ferretti 2010, 23). Im Vergleich dazu betragen die Aus -
landsanlagen und Verbindlichkeiten der USA, Deutschlands und Frankreichs zusammen etwa 8 Billionen
US-$ (Gonzalez & Schipke 2011, 43). Dabei sind in der Aufstellung von Lane und Milesi-Ferretti besonders
relvante Offshore-Jurisdiktionen nicht einmal inbegriffen, wie etwa die Schweiz, Luxemburg, Irland, Zypern,
Hong Kong und Singapur.
Raymond Baker versuchte, sich über den Umfang der globalen illegitimer Finanzströme der Dimension von
Offshore-Ökonomie anzunähern. Baker tangierte den Umfang der globalen illegitimer Finanzströme auf 1–
1,6 Billionen US-Dollar pro Jahr, wovon ca. 60–65 % der auf Steuerhinterziehung entfallen, 35–40 % auf
Geldwäsche, davon wiederum 0,005 % auf Terrorismusfinanzierung (Baker 2005).
Weitere Angaben umreißen die Verluste durch Steuervermeidung und Steuerflucht. Ausfälle durch Steuerver-
meidung in den USA werden auf 330 Milliarden US-$ pro Jahr geschätzt, was 16 % der Einnahmen der Bun-
7
dessteuern entspricht und 2 % des BNPs (IRS nach Palan et al. 2010, 66). Die EU schätzt die Verluste auf 2-
2,5 % des BNPs (EU nach Palan et al. 2010, 66).
Besonders von Steuerflucht betroffen sind Entwicklungsländer. Sie haben wenig Druckmittel, um sich gegen
reiche oder mächtige Steueroasen durchzusetzen und schlecht ausgestattete Finanzbehörden, was von inter-
national agierenden Konzernen und lokalen Eliten ausgenutzt wird. Über die Analyse von Zahlungsbilanzen
versuchte der Ökonom Dev Kar (Global Financial Integrity) den Umfang illegitimer Finanzströme von Ent-
wicklungsländern zu ermitteln. Demnach verloren Entwicklungsländer im Zeitraum zwischen 2000 und 2008
pro Jahr mindestens 725 Mrd. US-$ durch illegale Finanzflüsse; 2008 betrug der Verlust zwischen 1,26–1,44
Billionen US-$ (GFI / Kar & Curcio 2011, VII). Die Summe übersteigt die gesamte Entwicklungshilfe der
reichen Länder in Höhe von 103,7 Mrd. US-Dollar (2007) um mehr als das Zehnfache. Von diesen illegalen
Finanzflüssen werden über die Hälfte durch falsche Verrechungspreise von Konzernen verursacht und weite-
re Verluste entstehen u.a. durch Korruption und andere Arten der Steuerhinterziehung (GFI / Kar & Curcio
2011, 29). Besonders starke Abflüsse illegaler Mittel verbucht China mit einem jährlichen Verlust von über
241,7 Mrd. US-$ zwischen 2000-2008, gefolgt von Russland, Mexiko, Saudi Arabien und Malaysia (Martens
& Oberland 2011, 32).
Mit der Verlagerung der Steuereinnahmen weg von der Besteuerung von hohen Einkommen, Vermögen und
Unternehmensgewinnen hin zur Erzielung der Einnahmen über indirekte Steuern (v.a. Mehrwertsteuern) ent-
wickeln sich die Steuersysteme der Industriestaaten tendenziell in Richtung der Steuersysteme von Entwick-
lungsländern. Für diese Systeme ist charakteristisch, dass sie einen großen Anteil ihrer Einnahmen über indi-
rekte Steuern beziehen, nämlich durchschnittlich 32 %, während der Anteil der direkten Steuern bei 16 %
liegt (d.h. Steuern auf Einkommen, Vermögen und Unternehmensgewinne)2. Bei Industriestaaten entfallen
28 % auf direkte Steuern, 25 % auf indirekte Steuern und 26 % auf Sozialversicherungsbeiträge (Missbach &
Glatz 2008, 6).
Der Umfang von Offshore-Ökonomie im Unternehmensbereich
Obwohl sich ExpertInnen einig sind, dass der Umfang der Steuer- und Regulierungsflucht von Unternehmen
beträchtlich ist, gibt es wenig Daten zum Umfang der Offshore-Ökonomie im Unternehmensbereich. Palan,
Murphy und Chavagneux führen das auf fehlende Offenlegungspflichten bei Konzernbilanzen zurück: „The
simple fact is that as long as companies can publish consolidated accounts that leave their tax haven activi -
ties hidden from view, it is almost impossible to produce reliable estimates of the trade that they undertake in
tax havens or of the tax havens that are recorded there“ (Palan, Murphy & Chavagneux 2010, 64). Allerdings
sind Daten und Untersuchungen zu bestimmten Teilbereichen und Staaten und Ländergruppen zu finden, die
ich im Folgenden beispielhaft und als Indikatoren wiedergebe.
Wie unter I.2 dargestellt, benutzen Unternehmen häufig die Transferpreismethode bei konzerninternem Han-
del, um weniger Steuern zu zahlen. Sie Summen, die hierbei verloren gehen sind beträchtlich, da nach Schät-2 Ein weiterer großer Teil der Einnahmen von Entwicklungsländern statt aus Zöllen.
8
zung der OECD über 60 % des Welthandels innerhalb von Unternehmensgruppen stattfindet (OECD 2002),
nach Raymond Baker sind es über 70 % (Palan et al. 2010, 68). Nach einer 2007 durchgeführten Umfrage
von Ernst & Young in 850 Unternehmen in 25 Ländern achteten über 77 % der Befragten überwiegend auf
Transferpreisen bei der Steuerplanung, wobei die Praxis jedoch in bestimmten Branchen mehr (Pharma-In-
dustrie) und anderen weniger (Versicherungen) verwendet wird (Palan et al. 2010, 68).
Ansonsten weist allein die Anzahl der Unternehmen pro Einwohner in Finanzoasen drauf hin, dass es sich
bei diesen Einheiten um Briefkastenfirmen handelt. Die Britischen Jungferninseln sind der größte Anbieter
von International Business Companies (IBCs), einer Rechtsform für Unternehmen, und haben nach eigenen
Angaben 800.000 IBCs registriert, gefolgt von Hong Kong mit 500.000, Panama mit 370.000 und den Baha-
mas mit 115.000 Einheiten (Palan et al. 2010, 57). Bei den Britischen Jungferninseln entfallen damit auf
einen Einwohner 34 Unternehmen; im Vergleich dazu kommen in Deutschland auf 100 EinwohnerInnen nur
zwei Unternehmen (Merckaert & Nelh 2010, 15). In den Kaimaninseln sind 732 börsennotierte US-Unter-
nehmen registriert (GAO 2008a, 5). Der US-amerikanische Rechnungshof GAO schätzt, dass 83 der 100
größten US-Unternehmen Tochterunternehmen in Steueroasen haben (GAO 2008b). Das Tax Justice Net-
work kam bei der Untersuchung von 95 % der börsennotierten britischen, niederländischen und französi-
schen Unternehmen darauf, dass rund 99 % in Steueroasen operieren; in allen Fällen nutze eine Bank beson-
ders intensiv Steueroasen (TJN 2009c)3.
Bezogen auf die USA zeigte Martin Sullivan, dass US-Unternehmen im Untersuchungszeitraum zwischen
1999 bis 2002 einen beträchtlichen Anteil ihrer Gewinne aus den USA in Tochterunternehmen in Steueroasen
verlagerten; 58 % der Profite fielen in nur 18 Steueroasen an. In den Oasen zahlten sie nur geringe effektive
Steuersätze, so etwa 1 % in Luxemburg oder 2 % auf Bermuda (Sullivan 2004, 1190ff). Ähnliche Zahlen hat
Lorenz Jarass für Deutschland zusammengestellt und gefragt, warum Unternehmensteuern zurückgehen, ob-
wohl die Einkommen und Vermögen der Unternehmen im Untersuchungszeitraum 1996-2002 wuchsen. Der
Autor legt die gemessenen Unternehmensgewinne aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zugrunde
und stellt fest, dass „die Gewinnsteuern ein Zwei- bis Dreifaches des tatsächlich in Deutschland erzielten
Aufkommens erbringen“ müssten (Jarass & Obermair 2005).
Umfang der Destabilisierung durch Regulierungsoasen
Welche Summen durch Finanzgeschäfte über Regulierungsoasen verloren gehen, lässt sich schwer abschät -
zen, da noch nicht abzusehen ist, welche weiteren Hilfen Banken benötigen werden und Kosten indirekt an-
fallen, etwa über Ausgaben für Konjunktur- und Stützungsmaßnahmen und die Steuerausfälle aufgrund von
Konjunktureinbrüchen und von Sparpaketen.
3 Die Differenz der Werte von den USA und Europas lässt sich vermutlich darauf zurückführen, dass das TJN die Kategorie der Secrecy Jurisdiction verwendet, während die US-Behörde bestimmte Jurisdiktionen wie Delaware nicht berücksichtigt.
9
Die wenigen verfügbaren Zahlen über die Präsenz von Finanzunternehmen in Regulierungsoasen lassen an-
nehmen, dass der Anteil der Offshore-Ökonomie an Finanzgeschäften groß ist. Es wird geschätzt, dass ein
Großteil aller Hedgefonds in Finanzoasen registriert sind; allein in den Kaimaninseln, den Britischen Jung-
ferninseln, auf Bermuda und den Bahamas sollen 52 % der Hedgefonds sitzen (Palan et al. 2010, 5f). Laut
Observer sollen sogar 80 % der Private-Equity-Firmen Offshore dort vermerkt sein (Palan et al. 2010, 98).
Die Untersuchung des TJN und der amerikanischen GAO ergab außerdem, dass unter börsennotierten Unter-
nehmen Banken besonders ausgiebig OFCs bzw. Secrecy Jurisdictions nutzen (TJN 2009c; GAO 2008b).
Unter Finanzunternehmen war es wiederum verbreitet, eine Vielzahl von Zweckgesellschaften in
Regulierungsoasen zu gründen. Bei einer Befragung durch Vertreterinnen der BIZ kam heraus, dass
der einige große Finanzunternehmen mehr als 2000 Zweckgesellschaften benutzten (BIS 2009, 47).
Attac Deutschland verglich die Anteilsbesitzlisten verschiedener deutscher Banken mit der Liste der
Secrecy Jurisdictions des TJN und veröffentlichte dazu eine Liste, aus der hervorgeht, dass die
Deutsche Bank in Georgetown auf den Cayman-Inseln mehr Niederlassungen und Zweckgesell-
schaften“ unterhält, als am Konzernsitz Frankfurt am Main: „Im Steuerparadies Delaware in den
USA ist die Deutsche Bank an mehr Unternehmen beteiligt, als in allen deutschen Städten zusam-
men. Insgesamt hat die Deutsche Bank mehr als die Hälfte (51,35 %) ihrer Tochter- und Zweckge-
sellschaften sowie assoziierten Unternehmen in Steueroasen angesiedelt. Damit belegt sie den Spit-
zenplatz – gefolgt von der mittlerweile ebenfalls zur Deutschen Bank gehörenden Postbank
(22,33 %) und der Commerzbank (23,43 %)“ (Attac 2011).
Steuerflucht durch Privatpersonen
Neben Unternehmen nutzen reiche Privatpersonen Offshore-Ökonomie vor allem zur Steuerflucht. High Net
Worth Individuals (HNWIs) werden Personen genannt, die Finanzanlagen in der Höhe von mindestens einer
Million US-Dollar besitzen (ohne Wert- und Konsumgegenstände und Erstwohnsitze). Etwa ein Drittel des
Vermögens von HNWIs soll in Steueroasen liegen (Baker 2005, 164). Basierend auf Daten der Beratungsun-
ternehmen Boston Consulting Group, McKinsey, Merrill Lynch/Cap Gemini und der BIZ veröffentlichte das
Tax Justice Network 2005 die Schätzung, dass der weltweite jährliche Verlust durch Steuerhinterziehung von
HNWIs mehr als 250 Milliarden US-$ betrage, wenn eine durchschnittliche Rendite von 7,5 % und ein Steu-
ersatz von 30 % angenommen wird und die Summe des Privatvermögens von HNWIs in Steueroasen mit
11,5 Billionen US-$ veranschlagt wird (TJN 2005). Mittlerweile hat die NGO Global Financial Integrity
eine Berechnung präsentiert, nach der die privaten Bankguthaben Nicht-Ansässiger in Secrecy Jurisdictions
2009 fast 10 Billionen US-$ betrugen (GFI 2010,1).4 Die größten Summen liegen in den USA, den Kaiman-
4 Es handelt sich nicht nur um die Guthaben von HNWIs, sondern auch um Privatbesitz an Unternehmen. Die Diskrepanz zu den Schätzungen des Tax Justice Network erklärt sich a) aus der unterschiedlichen Datengrundlage. GFI benutze Daten aus mehreren Quellen, u.a. IWF und BIZ, und b) aus einem kurzfristigen Einbruch der Guthaben 2008.
10
inseln und Großbritannien (GFI 2010, 15). Diese Guthaben stiegen im Zeitraum von 1996-2009 durch-
schnittlich um 9 % pro Jahr – was die Wachstumsraten des Welt-BNPs von 3,9 % übersteigt, was bedeute,
dass die Intransparenz des Systems zunimmt (GFI 2010, 26). Die Studie von GFI zeigte außerdem, dass sich
die Anlagen in den USA, Großbritannien und den Kaimaninseln prozyklisch gewachsen sind, d.h. sie sind
mit den Zinssätzen gestiegen und haben damit die Krise verstärkt (GFI / Hollingshead 2010, 26).
I.4. Zonen der globalen Offshore-Ökonomie
Im folgenden Absatz gebe ich einen groben Überblick über spezifische Ausprägungen von Offshore-Ökono-
mie in verschiedenen geographischen Zonen.
Zoromé, nach dem ein Offshore-Finanzzentren charakterisiert ist nach dem Umfang der Finanzgeschäfte im
Vergleich zur Binnenwirtschaft, präsentiert eine Berechnungsmethode, zu welchem Ausmaß eine Jurisdiktion
das Kriterium des OFCs erfüllt. Er identifiziert über 46 OFCs, wobei Bermuda, die Kaimaninseln, Guernsey,
die Isle of Man, Jersey und Luxemburg die Liste anführen, also besonders von Finanzdienstleistungen domi-
niert sind, gemessen am BSP (Zoromé 2007, 16). In der Liste fehlen allerdings Jursidiktionen wie Delaware
– ein Staat, der laut internationalem Netzwerk Steuergerechtigkeit (Tax Justice Network, kurz: TJN) und an-
deren Quellen (Shaxson 2011, 166 ff) aktuell eines der größten Zentren der Offshore-Ökonomie ist.
Mit dem 2009 erschienenen "Schattenfinanzindex", das alle zwei Jahre aktualisiert werden soll, haben Ver-
treterInnen des Netzwerks eine Aufstellung entwickelt, um eine unabhängige Klassifizierung von Jurisdiktio-
nen der Offshore-Ökonomie vorzunehmen, da andere Auflistungen (insbesondere die Liste der OECD) durch
politische Einflussnahme verfälscht sind (was u.a. daran zu erkennen ist dass Finanzplätze wie die Kaiman -
inseln, Luxemburg oder Jersey gestrichen wurden und US-Steueroasen erst gar nicht aufgeführt werden (TJN
2009a). Neben der Größe und Bedeutung des Finanzplatzes zählt im Index des TJN v.a. seine Intransparenz,
die wiederum an Kriterien gemessen wird wie die Existenz des Bankgeheimnisses oder eines öffentlichen
Registers für Trusts und der öffentliche Zugang zu weiteren Unternehmensdaten und der automatische Infor-
mationsaustausch (TJN 2009b). Laut Schattenfinanzindex sind die USA (v.a. mit Delaware), Luxemburg und
die Schweiz die größten Schattenfinanzplätze der Welt, gefolgt von den Kaimaninseln und London. Öster-
reich liegt weltweit auf dem 12. Platz (TJN 2009).
[Anfang Oktober 11 kommt das neue Schattenfinanzindex heraus. Die Daten werden dann ergänzt]
– [Grafik] -
Offshore-Ökonomie ist eigentlich nicht direkt auf einen geographischen Ort bezogen, sondern ist als paralle-
ler Rechtsraum zu begreifen (Palan 2003, 19). Die Jurisdiktion muss allerdings in der Lage sein, eigenstän-
dig bestimmte Gesetze zu erlassen, was üblicherweise im Rahmen von Nationalstaaten, Regionen, abhängi-
gen Gebieten oder von Städten und Kommunen möglich ist. In verschiedenen Regionen haben sich historisch
spezifische Formen von Offshore-Dienstleistungen herausgebildet. Da unabhängige Forschung zu Finanzoa-
sen nur von einer kleinen Gruppe von WissenschaftlerInnen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft geleistet
11
wurde, und Offshore-Ökonomie per se intransparent ist, gibt es noch viele Unklarheiten über die Dimension
dieser Ökonomie in verschiedenen Jurisdiktionen. Insbesondere mächtige Länder wie die USA konnten
durchsetzen, dass ihr Status als Finanzoase bei internationalen Initiativen nicht thematisiert wurde.
Weltweit spielen laut Shaxson drei Gruppen von Finanzoasen eine zentrale Rolle: a) Die Gruppe europäi-
scher Steueroasen von Kleinstaaten angeführt von der Schweiz, Luxemburg und den Niederlanden; b) die
britischen Steueroasen, deren Zentrum London ist, das umgeben ist von den Kanalinseln und ehemaligen
Kolonien und Gebieten mit historischen Bezügen wie Irland und c) die USA, die ebenfalls über einen Ver-
bund an Oasen mit unterschiedlichen Rechtsrahmen verfügt, von der Bundesebene über Bundesstaaten (v.a.
Delaware, Florida u.a.) bis hin zu den Überseegebieten, beispielsweise den amerikanischen Virgin Islands
(Shaxson 2011, 14-19).
Palan, Murphy und Chavagneux haben begonnen, die Geschichte der Finanzoasen zu rekonstruieren und
stellen fest, dass es zwar in die Antike zurückreichende Fälle von Steuerflucht gibt, die Entwicklung der
Offshore-Ökonomie in ihrem aktuellen Umfang aber ein relativ junges Phänomen sei. Offshore-Ökonomie
habe drei Grundpfeiler, die historisch in verschiedenen Kontexten entstanden seien, nämlich die US-Unter -
nehmensgesetzgebung, die „virtuelle Niederlassung“ nach Britischem Recht und das Bankgeheimnis, das
durch die Schweiz geprägt wurde (Palan et al. 2010, 120).
Die grundlegenden Instrumente der Regulierungs- und Steuerflucht sind laut Palan, Murphy und Chava-
gneux in einer ersten Phase vom späten 19. Jahrhundert an bis in die 1920er Jahre entstanden (Palan et al.
2010, 108). Ein Strang der Entwicklung setzte – so die Autoren – in den USA ein, wo beschlossen wurde,
dass Unternehmen als Rechtspersonen behandelt und anders besteuert werden, als natürliche Personen. Es
folgten Gesetze, die es Unternehmen erlaubten, Anteile an anderen zu halten, während 1893 fast parallel in
den Niederlanden das System der Holding eingeführt wurde (Palan et al. 2010, 108ff). Die Schweiz hatte be-
reits eine längere Tradition, ausländische Vermögen zu verwahren; französische Adelige schafften zur Zeit
der Revolution Geld aus dem Land in die Schweiz. In den 1920er Jahren führten einige Schweizer Bundes-
staaten, allen voran Zug, vergleichbare Regeln für Unternehmen ein (Palan et al. 2010, 111).
In einer zweiten Phase, die nach dem ersten Weltkrieg begann und bis in die 70er Jahre andauerte, bauten
laut Palan, Murphy und Chavagneux einige Staaten das Modell der Finanzoase aus. Ein Britische Gericht
entschied 1929 am Präzedenzfall der von Großbritannien aus gegründeten Egyptian Delta Land, dass ein Un-
ternehmen nicht der Britischen Besteuerung unterliegt, wenn die Firma vom Ausland aus kontrolliert wird.
Damit konnten sich ausländische Unternehmen in Großbritannien ansiedeln, ohne dort besteuert zu werden
(Palan et al 2010, 113f). Die Schweiz nahm ebenfalls eine wichtige Rolle bei Ausbau der Offshore-Ökono-
mie ein: Sie führte 1934 im Zuge der damaligen Finanzkrise das Bankgeheimnis ein, als Zugeständnis an den
Finanzsektor bei Verhandlungen zur Regulierung (Palan et al 2010, 119ff), und nicht zum Schutz jüdischer
Vermögen, wie ein Gerücht besagte, das Schweizer Bankenlobby in den 60er Jahren in die Welt setzte (Hug
2000). Die Entstehung der Britischen Offshore-Märkte wurde bislang in der Diskussion um Steueroasen und
Deregulierung des Weltsystems größtenteils ausgeblendet, obwohl die Entwicklung auch hinsichtlich der
12
Umgehung des Abkommens von Bretton-Woods eine Rolle spielte. Nachdem die Britische Regierung 1957
Geschäfte mit Handelskrediten in Pfund unter Nicht-Ansässigen einschränken wollte, um Spekulationen ge-
gen die Währung nach der Suez Krise zu verhindern, wichen Banken der City of London bei internationalen
Geschäften auf US-Dollars aus. Sie begründeten dieses gegenüber der Regierung damit, dass solche Ge -
schäfte keine Auswirkungen auf die britische Handelsbilanz haben, und die englische Zentralbank griff nicht
ein, obwohl sie die Entstehung dieses unregulierten Marktes hätte verhindern können (Palan et al. 2010,
131f). Durch die Euromärkte konnte sich London als absteigende Weltmacht gegenüber New York als Fi-
nanzzentrum behaupten.
Seit Ende der 70er Jahre bis heute nahm der Umfang der Offshore-Ökonomie rasant zu und weitere Staaten
griffen die Strategie auf oder wurden von existierenden Oasen als Satelliten ausgebaut. Nach Shaxson sei
London beispielsweise das Zentrum der Britischen Offshore-Ökonomie, das einen inneren Zirkel von Kron-
kolonien für Finanzgeschäfte benutzt, die in London nicht zugelassen sind, nämlich Jersey, Guernsey und die
Isle of Man. Dazu kommen die überseeischen Besitzungen über die wiederum Transfers abgewickelt werden
können, die in der engen Zone verboten sind. Dazu gehören die Kaimaninseln, Bermuda, die Britischen
Jungferninseln, die Turks und Caicos Inseln und Gibraltar. Historische Verbindungen – wenngleich keine di-
rekten Abhängigkeiten – bestehen außerdem zu Hong Kong, Singapur, Bahamas, Dubai, Irland (Shaxson
2011, 15).
Europäische Finanzoasen – allen voran die Luxemburg und die Schweiz – bauten ihre Stellung in den letzten
Jahrzehnten aus. In der Schweiz soll nach Angaben der OECD etwa ein Drittel des Offshore angelegten Pri -
vatvermögens verwaltet werden; außerdem ist die Oase ein begehrter Fluchtort für Unternehmen. Luxem-
burg ist weltweit der zweitgrößte Markt für Investmentfonds hinter den USA, und zwar mit einem Anteil von
25 %. Im Private Banking nimmt Luxemburg mit einem Marktanteil von 15 % den weltweit dritten Platz ein
(Falk 2009).
Die zentrale Rolle der USA in der globalen Offshore-Industrie wurde selten thematisiert und erst in jüngster
Zeit explizit dargestellt, etwa vom TJN und von Shaxson. Die USA versuchten eine Zeitlang Offshore-Öko-
nomie zu bekämpfen, die sich über die Britischen Euromärkte etablierte. In den späten 70er Jahren änderten
die USA jedoch ihre Politik und ließen es zu, dass insbesondere die Finanzindustrie und lokale Eliten die
Offshore-Ökonomie ausbauten. Die Offshore-Ökonomomie der USA besteht ebenfalls aus verschiedenen
Ebenen. Auf Bundesebene bieten die USA Steuervergünstigungen, Gesetze und Vorsehungen zur Geheimhal-
tung, die ausländisches Geld anziehen. Daneben sind Bundesstaaten wie Florida, Wyoming, Delaware und
Nevada Steuer- und Regulierungsoasen. Weitere Finanzoasen im US-amerikanischen Einflussbereich sind
die Amerikanischen Jungferninseln und die Marshall-Inseln (Shaxson 2011, 18f, 166 ff). Amerikanische Fi-
nanzoasen trugen maßgeblich zur Deregulierung der Finanzmärkte bei. Wie Shaxson darstellt, trugen Ände-
rungen des Gesetzesrahmen der Finanzoase Delaware dazu bei, dass der Weiterverkauf von Risiken von Fi-
nanzunternehmen möglich wurde – eine technische Einführung, die zur Blasenbildung erheblich beitrug.
Eine wesentliche Rolle spielte – so Shaxson – die Aufhebung der Deckelung der Zinssätze im Delaware Fi-
13
nancial Centre Development Act von 1981, der 1983 in Kraft getreten ist. Damit durften Banken die Zinssät-
ze bei Kreditkarten, Krediten an Personen und für Autos und weiteres beliebig erhöhen, konnten auf Privat-
häuser säumiger Kreditkarten-SchuldnerInnen zugreifen, Unternehmensteile in Offshore-Jurisdiktionen er-
öffnen und profitierten von Steuersenkungen, und zwar in Form eines regressiven Steuersystems, das große
Banken bevorteilt (Shaxson 2011, 170). In den nächsten Jahren folgten weitere Gesetze des Bundesstaats, die
es u.a. ausländischen Banken erlaubten, die Jurisdiktion zu nutzen und die Schattenbanken zuließen. Unter-
nehmen die Geschäfte einer Bank durchführten, gesetzlich aber als ‚affiliated finance companies‘ geführt
wurden, wurden ebenfalls Steuererleichterungen zugesprochen, und sie unterlagen nicht der Finanzaufsicht
wie Banken (Shaxson 2011, 174). In der Folge erlaubt der Staat ebenfalls, dass Banken als Versicherer auf-
treten, erleichterte die Schaffung von Trusts und senkte den Gläubigerschutz – ein Grund für die Entstehung
von CDOs (Shaxson 2011, 174f).
II. POLITISCHE REGULIERUNGSPROZESSE UND IHRE (MISS-)ERFOLGE
Bis zur Finanzkrise 2008 gab es nur wenige zaghafte Versuche, auf internationaler Ebene gegen Finanzoasen
vorzugehen. Die wichtigsten Initiativen richteten sich gegen Geldwäsche und „schädlichen Steuerwettwe-
werb“ - so der Begriff der OECD, und zwar im Rahmen der OECD, der Financial Action Task Force (FATF)
und des Financial Stability Forum (FSF, heute: FSB). Probleme durch Regulierungsoasen wurden bis zur Fi-
nanzkrise größtenteils ignoriert, abgesehen von wenig folgenreichen Vorstößen (z.B. die Regulierung von
Hedgefonds im Rahmen der G8). „Innovative Finanzprodukte“ wurden sogar steuerlich gefördert (z.B. Cross
Border Leasing, Private Equity Fonds, REITS). Nach dem Crash von Lehman Brothers änderte sich die Ein-
stellung vieler PolitikerInnen und es wurden Schritte zur Bekämpfung von Steuer- und Regulierungsoasen
angekündigt. Im Kommuniqué der G20 vom November 2008 werden Maßnahmen gegen „unkooperative und
intransparente Jurisdiktionen“ angekündigt, über die illegitime Finanzaktivitäten getätigt werden können.
Während die FATF verstärkt gegen Geldwäsche vorgehen sollte, bekam die OECD den Auftrag, den automa-
tischen Informationsaustausch zu forcieren und streng gegen intransparente Praktiken wie das Bankgeheim-
nis vorzugehen. Außerdem sollten „Schwächen“ durch Geschäfte außerhalb von Bilanzen ins Visier genom-
men werden (G20 2008). Darüber hinaus sollten Hedgefonds stärker überwacht werden, strengere Eigenka-
pitalvorschriften sollten gelten und Steueroasen sollten auf einer schwarzen, grauen und weißen Liste aufge-
führt werden (G20, 2009). Anders als es in der Tagespresse momentan vermittelt wird, sind die tatsächlichen
Fortschritte bei der Bekämpfung von Steuer- und Regulierungsoasen jedoch durchmischt oder gar beschei-
den. Im Folgenden werde ich auf die wichtigsten Ansätze eingehen, und zwar auf internationale und europäi -
sche Initiativen und Maßnahmen nationaler Regierungen.
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II.1. Maßnahmen auf internationaler Ebene
G7 / G8 / G20
Als Reaktion auf die Asienkrise richteten die G7 im Jahr 1999 das Financial Stability Forum (FSF) ein, das
2009 in Financial Stability Board (FSB) umbenannt wurde. Aufgabe des FSF war es, Risiken für das Finanz-
system durch besseren Informationsaustausch und Zusammenarbeit bei der Überwachung frühzeitig zu er-
kennen. Eine im Jahr 2000 erstellte Studie blieb unberücksichtigt, in der das FSF die mangelnde Aufsicht in
Offshore-Finanzzentren und den fehlenden Informationsaustausch mit den Aufsichtsbehörden anderer Län-
der monierte. Das FSF warnte nicht einmal im Vorfeld der Finanzkrise vor den Gefahren, die von Regulie-
rungsoasen ausgehen (Liebert & Troost 2009). Beim Treffen der G20 im April 2009 sollten Maßnahmen ge-
gen Steuer- und Regulierungsoasen ergriffen werden, insbesondere wurde das Bankgeheimnis kritisiert. Be-
reits im Vorfeld wurde breit über den Entwurf einer Liste der nicht kooperativen Steueroasen diskutiert. Die
Kriterien zur Bestimmung von Steueroasen wurden (teilweise zu Recht, teilweise aus der Interessenlage her-
aus) bemängelt; es sei fragwürdig, dass Steueroasen wie Jersey, Guernsey, die Isle of Man, Macao und die
US-Steueroase Delaware nicht auf der Liste stehen. Fünf Tage nach der Veröffentlichung der Liste wurden
die verbliebenen Länder aufgrund wenig verbindlicher Ankündigungen von der schwarzen Liste gestrichen,
die damit leer war. Die Steueroasen wurden auf die graue Liste der OECD gesetzt. Auch von dieser Liste
können sich die Länder einfach entfernen lassen, denn es genügt, zwölf bilaterale Doppelbesteuerungsab-
kommen mit anderen Staaten abzuschließen, um als „kooperativ“ eingestuft zu werden. Steueroasen haben
einfach Abkommen mit anderen Oasen geschlossen, z. B. Luxemburg mit Bahrain oder Jersey mit den Fä -
röer Inseln und Island.
Die Financial Action Task Force (FATF), die 1989 von den G7 zur Bekämpfung der Geldwäsche gegründet
wurde, spielte lange keine Rolle, weil sie sich auf Druck der USA dem Spezialaspekt der Finanzierung von
Terrorismus zuwandte. Auch die FATF hatte den Auftrag, eine Liste unkooperativer Staaten anzufertigen, die
allerdings von 2006 bis vor kurzem leer war.
OECD
1996 beauftragten die G7 die OECD, Maßnahmen gegen Steuerflucht auszuarbeiten. Zwei Jahre später ver-
öffentlichte die OECD einen Bericht über „schädlichen Steuerwettbewerb“, den alle OECD-Staaten außer
Luxemburg und der Schweiz verabschiedeten. Die OECD definierte darin Steueroasen anhand folgender
Merkmale: a) Steueroasen werden von Angehörigen anderer Staaten genutzt, um Steuerzahlungen im eige-
nen Land zu umgehen. Ausländer zahlen in Steueroasen keine oder niedrige Steuern; b) Steueroasen geben
keine relevanten Informationen an Finanzbehörden weiter; c) sie sind intransparent und d) Investitionen oder
Transaktionen werden allein unternommen, um Steuern zu sparen. Firmen müssen nicht vorweisen, dass sie
tatsächlich unternehmerisch tätig sind (OECD 1998). Die Organisation präsentierte in der Folge eine schwar-
15
ze Liste, auf der 35 Länder als Steueroasen aufgeführt waren, und eine graue Liste, auf der 47 Länder mit
„potenziell schädlichem Verhalten“ standen. Die Länder auf der schwarzen Liste sollten mit Sanktionen be-
legt werden, u.a. sollten Steuerverträge auslaufen, Vergünstigungen, Ausnahmen und Kredite gestrichen und
weitere Transaktionen unterbunden werden (Palan et al. 2010, 215). Die OECD forderte die Steueroasen auf,
bilaterale Abkommen mit OECD-Staaten abzuschließen, in denen sie sich verpflichten, automatisch Informa-
tionen zu Einkommen und Unternehmensbeteiligungen ausländischer BürgerInnen an andere OECD-Mit-
gliedsstaaten weiterzugeben. Die Steueroasen bildeten 2001 die International Tax and Investment Organiza-
tion (ITIO) und lobbyierten gegen die OECD-Initiative. Nachdem die USA unter Bush der OECD-Initiative
die Unterstützung versagten, gab die OECD nach und strich das von den Lobbyisten beanstandete substanti-
elle Kriterium der Scheinverlagerung (Sullivan 2007) und weichte ihre Forderungen auf. An Stelle des auto-
matischen Informationsaustauschs forderte die OECD nur noch den Austausch auf Anfrage. Dabei handelt es
sich um ein wirkungsloses Mittel, da die Behörden für eine Anfrage Informationen benötigen, die sie wegen
fehlender Transparenz nicht haben. Die Isle of Man setzte durch, dass es genügt, wenn eine Steueroase Re -
formen ankündigt, die sie aber erst umsetzen muss, wenn alle anderen OECD-Staaten das ebenfalls tun (Sul-
livan 2007). Seit Mai 2009 ist die schwarze Liste der OECD leer (OECD 2011).
EITI
Eine weitere internationale Initiative ist die 2003 angestoßene Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirt-
schaft (Extractive Industries Transparency Initiative, kurz EITI), die auf größere Transparenz im Unterneh-
mensbereich abzielt. Damit erklären sich Staaten (die sich freiwillig der Initiative anschließen) bereit, Anga-
ben über Abgaben und Steuerzahlungen der Rohstoffwirtschaft an den Staat zu veröffentlichen, ebenso Daten
zur Verwendung dieser Gelder. Die USA hat sich mittlerweile der Initiative angeschlossen, die ursprünglich
Korruption in Entwicklungsländern eingrenzen sollte (20.9.11).
II.2. Maßnahmen der EU
Maßnahmen zu Steuerflucht
Die EU setzte mit der 2005 in Kraft getretenen Zinsbesteuerungsrichtlinie Maßnahmen gegen Steuerflucht
um. Durch die Richtlinie soll Kapital europaweit besteuert werden, wie es bei Arbeitseinkommen üblich ist.
Im Gegensatz zu den Kriterien der OECD basiert die Zinsrichtlinie der EU auf automatischem Informations -
austausch. Auf Zinserträge wurden in der Anfangsphase 15 % Steuern gezahlt, ab Juli 2008 waren 20 % fäl-
lig und ab Juli 2011 35 %. Die Richtlinie gilt in den Staaten der EU und zusätzlich in der Schweiz, Liechten-
stein, San Marino, Andorra und Monaco. Die Staaten Österreich, Belgien und Luxemburg haben sich eine
Ausnahme ausgehandelt (wobei Belgien ab 2010 zum automatischen Informationsaustausch übergegangen
ist). Unter Verweis auf ihr Bankgeheimnis beteiligen sich diese Staaten in einer Übergangsphase nicht am au-
tomatischen Informationsaustausch, sondern erheben eine Quellensteuer, d. h. eine Steuer auf Zinsen, die
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theoretisch direkt und anonym erhoben und mit dem Wohnsitzmitgliedstaat des Kontoeigentümers geteilt
wird. Die wenigen Einnahmen aus dieser Steuer lassen jedoch darauf schließen, dass ein großer Teil der aus -
ländischen Anlagen nicht erfasst wird. Trotz des automatischen Informationsaustauschs ist die Zinsrichtlinie
unzureichend, da sie umgangen werden kann: Erstens bezieht sie sich nur auf Zinserträge, nicht aber auf
sonstige Kapitalerträge wie Dividenden oder realisierte Kursgewinne, und zweitens gilt sie nur für natürliche
Personen (einschließlich Einzelunternehmern), nicht aber für Firmen, Stiftungen oder Versicherungsmäntel.
Außerdem weichen AnlegerInnen auf Offshore-Zentren wie Singapur, Panama und Hongkong aus. Die
Richtlinie wird seit einiger Zeit überarbeitet, damit die Schlupflöcher geschlossen werden, und sollte eigent-
lich Ende 2009 neu beschlossen werden. Einzelne Staaten haben die Überarbeitung aber bislang blockiert,
was möglich ist, da in der EU fiskalpolitische Entscheidungen einstimmig getroffen werden müssen.
Eine weitere – eher informelle – Vereinbarung ist der 1997 geschlossene Code of Conduct of Business Taxa-
tion, der sich auf Finanz- und Nicht-Finanzunternehmen bezieht. Wenngleich darin Steuerwettbewerb akzep-
tiert wird, schließt der Code aus, dass Nicht-Ansässige vorteilhaft besteuert werden im Vergleich zur übli -
chen Besteuerung im Mitgliedsland. Obwohl der Code nicht bindend ist, haben Mitgliedsstaaten wie Luxem-
burg oder Jersey einzelne Steuerpraktiken durch den Kodex geändert (Palan et al. 2010, 222), was jedoch
wenig nützt, wenn sie andere Methoden nützen um Steuerflucht zu erleichtern (z.B. über anonyme Eigentü-
merstrukturen).
Darüber hinaus hat die Europäischen Kommission vorgeschlagen, die europäische Steuerpolitik über die
Einführung einer Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKKB) zu harmo-
nisieren, um rein bilanzielle Verlagerungen von Profiten in Steueroasen zu unterbinden. Der Vorschlag ist je -
doch umstritten; GewerkschaftsvertreterInnen befürchten, dass die Maßnahme den Steuerwettbewerb stärker
entfachen, weil Unternehmen laut aktuellem Entwurf der Richtlinie selbst entscheiden können, ob sie ihn an-
wenden oder nicht, und weil keine Mindeststeuersätze vorgesehen sind (Rixen & Uhl 2011).
Von Seiten des Europäischen Parlaments wurden weitere Vorschläge eingebracht, darunter ein verpflichten-
des Berichtssystem zu den Letztbegünstigten von Trusts oder anderen Unternehmen, die häufig zur Steuer-
hinterziehung eingesetzt werden (SOMO 2011). Darüber hinaus solle die Zinsrichtlinie der EU und insbeson-
dere der automatische Informationsaustausch auf weitere Staaten ausgedehnt werden, möglichst in Koopera-
tion mit dem Steuer-Kommitee der UN (SOMO 2011). Vorangetrieben werden soll außerdem das System der
länderbasierten Rechnungslegung (Country-by-Country-Reporting), über das Unternehmen getrennte Bilan-
zen für jedes Land publizieren, in dem sie tätig sind, so dass Verschiebungen von Gewinnen schwerer mög-
lich sind. Es ist geplant, die länderbasierte Rechnungslegung im Rohstoffsektor anzuwenden. Anschließend
könne das Prinzip auf weitere Sektoren ausgedehnt werden (SOMO 2011).
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EU-Finanzmarktreformen zu Regulierungsoasen
Finanzmarktreformen, die Offshore-Geschäfte betreffen, beziehen sich überwiegend auf die Richtlinie zur
Regulierung kollektiver Investmentfonds (Hedgefonds, Private Equity Fonds, offene und geschlossenen Im-
mobilienfonds und Spezialfonds) und auf den Umgang mit außerbilanziellen Geschäften (off-sheet transacti-
ons) im Rahmen der Eigenkapitalrichtlinie.
Die Richtlinie zu Managern alternativer Investmentfonds (Alternative Investment Fund Managers Directive,
kurz: AIFM) trat im Juli 2011 in Kraft und soll derzeit weiter ausgearbeitet werden. Nach der Richtlinie sol -
len nicht die Fonds selbst, sondern nur die Manager der Fonds überwacht werden, allerdings nur von Fonds
deren Anlagen 100 Millionen Euro übersteigen. Die AnlegerInnen sollen jedes Quartal über Liquidität und
Risiken informiert werden. Die Richtlinie wird zum Einen kritisiert, weil Private Equity Fonds nach wie vor
Profite erzielen können, die mit der Zerschlagung eines Unternehmens erkauft werden (SOMO, 4.11.10; FT
18.9.11). Zum anderen können Hedgefonds weiter mit wenig Eigenkapital, d.h. großen Kredithebeln speku-
lieren (SOMO, 4.11.10). Fonds aus Regulierungsoasen sind nach dem derzeitigen Stand weiterhin auf dem
europäischen Markt zugelassen, müssen aber bestimmte Maßgaben erfüllen, die allerdings nicht weitrei-
chend genug sind, wie etwa der automatische Informationsaustausch. Spekulationen über Finanzoasen wie
Delaware sind noch erlaubt - zumindest in einer Übergangsphase.
Die Eigenkapitalrichtlinie (Capital Requirements Directive, kurz: CRD) bleibt ebenfalls weit hinter den An-
kündigen zurück. Die Einführung neuer Qualitätsstandards und höherer Eigenkapitalanforderungen soll erst
Ende 2018 erfolgen. Außerbilanzielle Geschäfte bleiben nach derzeitigem Stand erlaubt. Bei Investments in
bestimmte Fondsarten (wie Hedgefonds oder Private Equity) müssen Banken lediglich eine höhere Risikobe-
wertung von 150 % vornehmen (SOMO / weed 2011).
II.3. Bilaterale und unilaterale Maßnahmen
Doppelbesteuerungsabkommen
Mit Doppelbesteuerungsabkommen soll geregelt werden, dass Einkommen und Vermögen von Unternehmen
und BürgerInnen, die sich im Ausland befinden oder dort tätig sind, nicht in zwei oder mehreren Ländern be-
steuert werden. Tatsächlich tragen diese Abkommen oft dazu bei, dass in keinem der Länder Steuern bezahlt
werden, so dass KritikerInnen von „Doppel-nicht-Besteuerungsabkommen“ sprechen.
Ein aktuelles Beispiel, wie über ein derartige Abkommen der Status einer Steueroase zementiert werden soll,
sind die Doppelbesteuerungsabkommen, die die Schweiz derzeit mit Deutschland, Großbritannien und weite-
ren Staaten schließen will. Mit dem Abkommen sollen europäische Absprachen zum automatischen Informa-
tionsaustausch umgangen werden und stattdessen ein Quellensteuersatz von 26 % erhoben werden, der sogar
unter dem geltenden EU-Steuersatz von 35 % liegt. Das Abkommen hat verschiedene Schlupflöcher: Es be-
zieht sich nur auf Privatpersonen und nicht auf Unternehmen, die Zahlungen können durch ausländische Nie-
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derlassungen der Banken umgangen werden und vieles mehr (Henn & Meinzer 2011). Derzeit ist offen, ob
das Abkommen vom deutschen Bundesrat bestätigt oder abgelehnt wird und/oder ob es aufgrund der Kritik
modifiziert wird.
Maßnahmen einzelner Staaten
In der politischen Diskussion wurde häufig angeführt, dass Steueroasen nur auf internationaler Ebene be -
kämpft werden können. Mit der Verschärfung der finanziellen Lage und einem größeren Problembewusstsein
der Öffentlichkeit suchen mehr PolitikerInnen nach Möglichkeiten, Steuerflucht durch Maßnahmen auf na-
tionaler Ebene zu verhindern. Im folgenden gehe ich auf die wichtigsten Entwicklungen in den USA und
Deutschlands seit 2008 ein. Dabei soll am Beispiel der USA gezeigt werden, wie weitreichend die Schritte
sein können, während ich am Beispiel Deutschlands zeige, wie unseriös Ankündigungen sind, die Regierung
wolle Steuerflucht bekämpfen.
Dass auf nationaler Ebene gegen Steueroasen vorgegangen werden kann, zeigte die USA zunächst am Fall
der UBS. Unter der Androhung, der Bank werde die Lizenz in den USA entzogen, machte die UBS Zuge -
ständnisse. Sie zahlte eine Summe, um die Einstellung des Prozesses zu erreichen, und erklärt sich bereit,
Daten von 4450 US-Kunden der UBS innerhalb eines Jahres herauszugeben. In Zukunft sollen neuerdings
Anfragen der US-Steuerbehörde bei „schweren Steuerwiderhandlungen“ und nicht nur bei Betrug behandelt
werden, auch wenn die Behörde die Namen der Bankkunden nicht kennt (Schweizer Bundesverwaltung
2009).
Präsident Obama kündigte in der Gesetzesvorlage „The American Jobs and Closing Tax Loopholes Act“ (Mai
2010) weitreichende Maßnahmen gegen Steueroasen an. Wenn Unternehmen Offshore „investieren“, sollten
sie die investierten Summen nicht mehr von den zu versteuernden Gewinnen abziehen können, sofern sie
keine Steuern auf Offshore-Gewinne zahlen. Unternehmen mit Offshore-Konzernteilen sollten somit keine
Vorteile haben gegenüber Unternehmen, die in den USA investieren. Außerdem sollte die zwischenzeitlich
abgeschaffte Regel wieder eingeführt werden, nach der US-Unternehmen Einkommensverlagerungen von ei-
nem Auslands-Unternehmensteil zum anderen als passives Einkommen angeben müssen. Darüber hinaus sol-
len Staaten Sanktionen unterliegen, die nicht den automatischen Informationsaustausch umsetzen. Finanzun-
ternehmen, die Geschäftsverbindungen mit den USA unterhalten müssen sich verpflichten, die gleichen Kun-
dInnendaten von US-amerikanischen KundInnen an die Behörden weiterzugeben wie US-Banken. Ein Teil
der Maßnahmen wurde im Gesetz „The Foreign Account Tax Compliance Act“ (FATCA) im März 2010 ange-
nommen; das Gesetz wird derzeit ausgearbeitet und soll 2013 in Kraft treten. Finanzunternehmen (Banken,
Lebensversicherungsgesellschaften, Hedgefonds und Private Equity Unternehmen), die genannte Geschäfts-
verbindungen haben, müssen nach derzeitigem Stand nachweisen, welche ihrer KundInnen oder wirtschaft -
lich Begünstigte US-AmerikanerInnen sind. Werden keine Nachweise erbracht, wird eine Quellensteuer in
Höhe von 30 % auf Erträge aus US-amerikanischer Quelle und auf den Verkauf von US-Wertpapieren fällig.
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Außerdem werden hohe Strafen fällig, wenn US-AmerikanerInnen Einnahmen verschweigen (IRS 2011;
Packman & Rivero 2010).
Wenngleich die USA entschlossener gegen Steueroasen vorgehen als andere Staaten, ist anzumerken, dass
US-interne Finanzoasen wie Delaware in der Diskussion so gut wie ausgespart werden. Dort können Auslän-
derInnen anonym Geld anlegen, ohne dass Informationen an Behörden weitergegeben werden. Weniger
mächtige Ländern, z.B. Entwicklungsländer, haben nicht die gleichen Druckmittel wie die USA, so dass in-
ternationale Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuer- und Regulierungsflucht parallel umgesetzt werden
müssen.
Die deutsche Regierung der CDU/FDP-Koalition hingegen nahm Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuer-
flucht der letzten Regierung zurück. In Deutschland wurden zwar Daten-CDs aufgekauft und die Steuer-
flucht von Privatpersonen wurde nicht mehr offen geduldet, wie in der Zeit vor der Liechtenstein-Affäre. Die
Bekämpfung von Steuerflucht im Unternehmenssektor wurde im Fall des im Juli 2009 erlassenen Gesetz zur
Bekämpfung der Steuerhinterziehung jedoch von der FDP und dem größten Teil der CDU blockiert. Mit dem
Gesetz sollte Steuerflucht erschwert werden, indem AnlegerInnen und UnternehmerInnen mit Verbindungen
zu Steueroasen besser nachweisen sollten, worin ihre Geschäfte bestehen. Außerdem sollten die Prüfungs-
rechte der Finanzbehörden ausgeweitet werden. Anderenfalls sollten beispielsweise Betriebsausgaben nicht
mehr steuerlich absetzbar sein oder aus dem Ausland überwiesene Dividenden nicht mehr von der Steuer be-
freit werden können. Dieses Gesetz wurde auf Druck von Wirtschaftsverbänden und Union unwirksam ge-
staltet. Steueroasen dürfen nicht vom Ministerium benannt werden, sondern müssen nach der Liste der
OECD nach Zustimmung des auswärtigen Amtes und des Wirtschaftsministeriums bestimmt werden (Liebert
2009). Damit ist das Gesetz relativ wirkungslos, denn die schwarze Liste der Steueroasen der OECD ist der-
zeit leer.
Dazu kommt, dass die Finanzämter – zum Teil scheinbar gewollt – schlecht ausgestattet sind in puncto Per-
sonal, EDV und Software (Adamek & Otto 2010). Anders als öffentlich angenommen, erfüllt Deutschland
selbst Kriterien einer Secrecy Jurisdiction (Schattenfinanzindex TJN 2011), und es gibt innerhalb von
Deutschland Gewerbesteueroasen, z.B. der Münchner Vorort Grünwald.
Das von Finanzminister Schäuble im September 2011 unterzeichnete Doppelbesteuerungsabkommen mit der
Schweiz (das nicht in Kraft treten kann ohne Zustimmung der Bundesrats) zeigt, dass die derzeitige Bundes-
regierung nicht ernsthaft an der Bekämpfung von Steuerflucht interessiert ist und für eine kurzfristige Zah-
lung aus der Amnestie den europäischen Prozess der Bekämpfung von Steuerflucht untergräbt, auf höhere
Einnahmen verzichtet und den Status der Schweiz als Steueroase akzeptiert.
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II.4. Weitere Regulierungsvorschläge
Von Seiten der Zivilgesellschaft wurden weitere Forderungen eingebracht, die über die laufenden Initiativen
hinausgehen. In diesem Text stelle ich sie nicht umfassend dar, sondern beschränke mich auf einige wichtige
Forderungen, die vom TJN und Attac geäußert wurden.
Das TJN brachte die Forderung nach Rechnungslegung nach Ländern (Country by Country Reporting) in die
Diskussion. Mit der Bilanzierungsmethode soll verhindert werden, dass Unternehmen in der Bilanz Gewinne
und Verluste in das jeweils günstige Land schieben. Um Transparenz und Nachprüfbarkeit zu erhöhen, sollen
Unternehmen im Rahmen der länderbezogenen Rechnungslegung angeben in welchen Ländern sie tätig sind,
unter welchem Namen sie in jedem dieser Länder tätig sind; ebenso ihr Finanzergebnis in den jeweiligen
Ländern einschließlich Umsätzen, Einkauf, Finanzierungskosten, Lohn- und Gehaltskosten sowie Beschäf-
tigtenzahlen, den Gewinn vor Steuern und Daten zu den an die Behörden des Standorts der Geschäftstätig -
keit abgeführten Steuern (TJN 2008). Attac Sektionen haben die Forderung in das Modell der „Steueroa-
sen-freien Gemeinde“ (oder Region) integriert. Die teilnehmenden Gemeinden fordern von ihren Finanz-
dienstleistern Transparenz ein, u.a. eine Bilanzierung nach der Country-by-Country Methode. Die französi -
sche Stadt La Chapelle-sur-Erdre ist beispielsweise die erste Steueroasen-freie Gemeinde in Frankreich
(Ouest France 2011).
Die AG Finanzmärkte und Steuern von Attac Deutschland aktualisiert sporadisch einen Plan zur Bekämp-
fung von Steueroasen. In der letzten Fassung (die derzeit aktualisiert wird) wird zudem gefordert, dass Ban-
ken ihre Konzernteile in Finanzoasen schließen, wenn sie mit öffentlichen Mitteln gerettet werden. Dazu
kommen weitere unilateral umsetzbare Maßnahmen wie (Handels-)Sanktionen gegen Finanzoasen. Ein wei-
terer wichtiger Punkt ist die Lockerung des steuerlichen Bankgeheimnisses, und zwar auch des innerstaatli -
chen. Nach dem Vorbild Australiens sollte anvisiert werden, einen Rechtsgrundsatz gegen Steuervermeidung
in die Steuergesetzgebung einzuführen. Ein Rechtsgrundsatz kann nicht so einfach umgangen werden wie
eine starre Vorschrift. Beispielsweise werden Steuervorteile nicht gewährt, wenn ein Geschäftsvorgang
hauptsächlich zum Zweck einer Steuerverminderung stattfindet oder wenn eine Transaktion zu diesem
Zweck eigens zu dem Geschäftsvorgang hinzugefügt wird. Des weiteren soll die Zinsrichtlinie der EU auf
Unternehmen und alle Formen von Kapital erweitert werden; sie soll auf Drittstaaten ausgedehnt werden.
Das Prinzip der Einstimmigkeit bei Fiskalangelegenheiten in der EU soll abgeschafft werden, das dazu führt,
das Finanzoasen Maßnahmen aus eigennützigen Gründen ablehnen können. Entwicklungsländer müssen
stärker in internationale Abkommen einbezogen werden, da diese Länder selbst wenig Druckmittel haben
und stark unter Steuerflucht leiden. Über die Bekämpfung von Steuerflucht hinaus, soll Steuerdumping ver-
hindert werden, etwa durch die Einführung von Mindeststeuern, etwa im Unternehmenssektor. Profiteure der
internationalen Märkte sollen außerdem internationale Steuern zahlen wie Finanztransaktionssteuern oder in-
ternationale Umweltsteuern. (Attac D 2010)
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III. Schlussfolgerungen
Zusammenfassend stelle ich fest, dass Offshore-Ökonomie nicht nur öffentliche Einnahmen betrifft; Offsho-
re-Ökonomie schafft ein grundsätzliches Demokratieproblem, da damit ein paralleles Rechtssystem geschaf-
fen wird, dessen Regeln durch private Akteure (mit-)bestimmt werden. Für NutzerInnen von Offshore-Öko-
nomie gelten andere Regeln als für BürgerInnen, die der Gesetzgebung unterliegen, die in demokratischen
Staaten von der Politik erlassen wird (bzw. erlassen werden sollte). Insgesamt ist augenfällig, dass die Maß-
nahmen weit hinter den Ankündigungen zurückbleiben, vor allem bei der Bekämpfung von Regulierungslö-
chern. Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerflucht wiederum werden unterschiedlich intensiv verfolgt, je
nachdem, ob es sich um die Steuerflucht von Privatpersonen oder Unternehmen handelt. Während kleine
Fortschritte bei der Bekämpfung von Steuerflucht durch Privatpersonen zu verzeichnen sind, sind Maßnah-
men zur Eindämmung von Steuerflucht von Konzernen zurückhaltend, bzw. werden Ansätze zur Bekämp-
fung in verschiedenen Fällen ausgehebelt. Steuerflucht von Konzernen wird teilweise akzeptiert mit Verweis
auf die Wettbewerbsfähigkeit nationaler Konzerne, so etwa beim Widerstand gegen Obamas Pläne zur Be-
kämpfung von Steueroasen (Huffington Post 2010). Einen ähnlichen Schluss lässt die deutsche Politik zur
Bekämpfung von Steueroasen zu, die v.a. Privatpersonen zur Rechenschaft zieht, ebenso die europäische
Zinsrichtlinie. Ob bei der Steuerfluchtbekämpfung tatsächlich Unternehmen im Hinblick auf Standortvorteile
tendenziell bevorteilt werden müsste noch systematischer untersucht werden.
Es fällt auf, dass auch Akteure der Zivilgesellschaft wie das TJN oder Attac den Bereich der Offshore-Öko-
nomie in erster Linie unter dem Aspekt der Steuerflucht sehen. Regulierungsmaßnahmen in diesem Bereich
scheinen stärker ausgearbeitet, als Maßnahmen zu Finanzoasen. Möglicherweise wird Regulierungsflucht als
ExpertInnenthema gesehen und wenig von der Basis der Zivilgesellschaft aufgegriffen. In den letzten Jahren
konnten VertreterInnen der Zivilgesellschaft die öffentliche Meinung zu Steueroasen beeinflussen und zu Re-
formschritten beitragen. Dennoch können Akteure der Finanzindustrie, AnlegerInnen und Unternehmen mit
wenig Aufwand Regulierungen umgehen, z.B. bei Löchern in der Zinsrichtlinie oder Doppelbesteuerungsab-
kommen. Die meisten Laien, aber auch JournalistInnen haben zu wenig Fachwissen und Zeit, um die Situati-
on bewerten zu können, so dass Rückschritte bei der Steuerfluchtbekämpfung oder bei Finanzmarktreformen
in der Tagespresse nicht als solche dargestellt und als Erfolg umgedeutet werden. Da Bildungsmaßnahmen
im Bereich der Finanzmärkte und Wirtschaft zwar wünschenswert sind, aber aufgrund der Breite und Kom-
plexität des Themas auf Grenzen stoßen (an der auch ExpertInnen scheitern), stellt sich einerseits die Frage,
ob politisch eingesetzte Institutionen und Politik in der Lage sind, das derzeitige Finanz- und Wirtschaftssys-
tem im Interesse eines Großteils der Bevölkerung und unter Berücksichtigung ökologischer Fragen zu steu-
ern. Andererseits stellt sich die Frage, ob Regulierungsvorschläge angesichts der Komplexität des Systems,
auf eine Vereinfachung hinarbeiten sollten. Steuersysteme sind insbesondere im Unternehmensteuerbereich
sehr komplex, was Missbrauch durch die Finanzindustrie erleichtert und es der Zivilgesellschaft erschwert,
die Entwicklungen im Auge zu behalten und an mehreren Stellen gleichzeitig präsent zu sein. Daher stellt
sich beispielsweise die Frage, ob eine Vereinfachung (z.B. des Unternehmensteuerrechts) eine sinnvolle For-
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derung für die Zivilgesellschaft ist und wie diese erreicht werden kann. Weiterführend kann außerdem disku-
tiert werden, wie sichergestellt werden kann, dass Steuern für sinnvolle Zwecke eingesetzt werden. Hier
könnte ein Vergleich verschiedener Steuersysteme ein erster Weg sein.
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