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Flusser Die Kodifizierte Welt

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Page 1: Flusser Die Kodifizierte Welt

\'il6ru lilusscr gih als .Mc.clicl,flril.?rrflh, (taz), als "cligitalcr philo-,i,i:,1',.:i',ii'

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I

Vil6m FlusserMedienkultur

Herausgegeben vonStefan Bollmann

Fischer Täschenbuch Verlas

Page 2: Flusser Die Kodifizierte Welt

:. Aufhgc:Juli r999

Vcrijf flntlicht inr I,'ischcr 'lhschenbuch \,crhg (irlbl l,Iiranl<furt rm \{ain, Scptcnrtrcr r997

Lizcnzursglbc nit ficuncllichcr ( lcnchnrigungtlcs llollmann Vcrlags, \,lrnnlrcim

@ Bollmann \,crlag(irnl>l I,,\{annhcirrr ry931 t995l,iir cl ic Zusrnrnrcnstcl lu rrg:

O^ Iiischcr'lhschcnbuch \brhg (imtrl I, Ii.arihfirt err l,hin 1997;\lle llcchtc vorbehrlten: lJollrrrlnn Vcrhg (imbl l, Nlrnnhcirl

(lesrnrthcrstcllung: OhLrscn & llossc, LecliPrintcd in (iermrn1,rsnN j_-596-r3jg6-6

Inhalt

Vorwort des Herausgebers

Die kodtfizierte Welt

Die hodifizicrte WeltGlaubensvcrlustAlphanumerische GesellschaftHinweg vom Papier

Eine Reaolution der Bilder

IJilderstatusIJilder in den neuen Atledien

Iiilmerzeugung und FilmverbrauclrFür eine Phänomenologie des Fernsehens

QUBE und die Frage der FreiheitD:rs Poli ti sclr e im Zeitalter der techni schen Bil der

Auf dem.Weg zur telematischen

I nfnr m a t i o n sge se I ls c h aft

Verbündelung oder Vernetzung?Nomadische ÜberlegungenHäuser bauenDie F-abrik

Der städtischc Raum und die neuen TechnologienI)ic Stadt als Wellental in der Bilderflut

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Die kodffizierte Weh

Vergleichen wir unsere Lage mit jener, wie sie noch vor demZweiten Weltkrieg bestand, dann beeindruckt uns die relativeFarblosigkeit des Vorkriegs. Architektur und Maschinerie,Bücher und Werkzeuge, Kleider und Lebensrnittel, all dies istvergleichsweise grau gewesen. {Ührigens ist einer der Gränclefär den Eindruck rücld<ehrender Besucher aus sozialistischenLändern, in der Vergangenheit gewesen zu sein, die Farb-losigkeit jener Länder: Llnsere Farbenexplosion hat dortnicht stattgefunden.) Unsere Un.rgebung ist von Farben er-füllt, welche Täg und Nacht, in der Offentlichkeit uncl im Pri-vaten, kreischend und flüsternd, unsere Aufinerksarnkeiterheischen. Llnsere Strürnpfe und Pyl'amas, Konserven undFlaschen, Auslagen und Plakate, Bücher und Landkarten,Getränke und Ice-creams, Filnre und Fernsehen, alles ist inTechnicolor Dabei kann es sich offensichdich nicht nur utn einästhetisches Phänomen, um einen neuen ..Kunststiln han-

deln. Diese Farbenexplosion bedetttet erwas. Das rote Anpel-licht bedeutet ..stop!", und das schreiende Grün der Erbsenbedeutet ..kaufir-richl". Wir werden von bedeutungsvollenFarben berieselt, man programmiert uns rnit Farben. Sie sindein Aspekt der kodifizierten Welt, in der wir zu leben haben.

Farben sind die Art, wie uns Oberflächen erscheinen.W-enn also ein wichtiger Teil der uns programmierenden Bot-schaften gegenwärtig in Farben ankormnt, dann bedeutet das,

daß Oberflächen wichtige täger von Botschaften gewordensind. Wände, Schinne, Oberflächen aus Papier, Plastik, Alu-miniurn, Glas, Webstoff usw. sind wichtige..Medienn gewor-den. Die Vorkriegssituation war relativ grau, weil damals

Oberflächen fiir die Komrnunikation eine kleinere Rollespielten. Darnals waren Linien vorherrschend: Buchstaben

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und Zahlen, die zu Reihen geordnet waren. Die Bedeutunssolcher Synbole ist von Farbe weitgehend unabhängig, eiirotes und ein schwarzes ..Atr bedeutet denselben Laut, undder vorliegende Text hätte, gelb gedruckt, keine andereBedeurung. Daher deutet die gegenwärtip;e Farbenexplosionauf ein Ansteigen der Wichtigker't zweidimensionaler Codes.Oder umgekehrt: Eindimensionale Codes wie das Nphabetneigen gegenwärtig dazu, an Wichtigkeit zu ver.lieren.Die Tätsache, daß die Menschheit von Oberflächen (Bildern)programmiert wird, kann jedoch nicht als eine revolutionäreNeuigkeit angesehen werden. Im Gegenteil: Es scheint sichum eine Rückkehr zu einem Urzustand zu handeln. \trr derErfindung der Schrift waren Bilder entscheidende Kommu_nikationsmittel. Da die meisten Codes ephemer sind, so zumBeispiel die gesprochene Sprache, die Gesten, der Gesang,sind wir vor allem auf Bilder angewiesen, um die Bedeutunszrt entziffern, welche Menschen seit Lascaux bis zu denmesopotamischen Ziegeln ihren Taten und Leiden saben.Und selbst nach der Erfindung der Schrift spielten Oberflä_chencodes wie Fresken und Mosaiken, Täperen und Kirchen-fenster eine wichtige Rolle. Ersr nach der Erfindune desBuchdrucks begann das Nphabet tatsächlich vorzrrhe.rschen.Daher erscheint uns das Mittelalter - inklusive der Renais-sance - sc-r bunt im Vergleich zur Neuzeit. In diesem Sinnkann unsere Lage als Rückkelrr ins Mittelalter secleutet wer-dcn, sozusagen als ein kl0ur ouont ld l(trft.Es ist aber keine glückliche Idee, unsere Lase als Rückkehrzum Analphabetismus begreifen zu wollen.-Die Bilder, dieuns programmieren, sind nämlich nichtvon jenerArt, welchevor der Erfindung des Buchdrucks die Lase beherrschte.Fernsehprogramme sind anders als gotische krchenfenster,und die Oberfläche einer Suppenkonserve anders als dieOberfläche eines Renaissancegemäldes. Der Unterschied ist,kurz gesagt, dieser: Vor-rnoderne Bilder sind produkte desHandwerks (..Kunstwerket'), nach-moderne sind produkteder Technik. Hinter den uns programmierenden Bildernkann man eine wissenschaftliche Theorie konstatieren, aberdasselbe gilt nicht notwendip;er-weise von vor-modernen Bil_

dern. Der vor-moderne Mensch lebte in einer llilclcrwclt,welche die ..Welt,t bedeutete. Wir leben in einer l3ilclcrwclt,welche Theorien bezüglich der ..Welt' zu bedeuten versucht.Das ist eine revolutionär neue Lase.Um dies zu erfassen, wird clie vorliegende Betrachtung einer.rExkurs über den Begriff des Codes versuchen: Ein Code istein Sysrem aus Spnbolen. Sein Zweckisr, Kommunikationzwischen Menschen zu ermöglichen. Da Spnbole phäno_mene sind, welche andere phänomene ersetzen (..bedeu-ten>i), ist die Kommunikation ein Ersarz: Sie ersetzt dasErlebnis des von ihr..Gemeintenrr. Menschen müssen sichmiteinander durch Codes verständigen, weil sie den unmittel_baren Kontakt rnit der Bedeururrg a". Sla.nbole verlorenhaben. Der Mensch ist ein ..verfremdetes>> Tier, muß Svm_bole schaffen und sie in Codes orclnen, will er den AbÄndzwischen sich und der ..Welt' zu überbrück"r, lr.rrr..h.rr.Er muß zu ..vermittelntr versuchen, er muß versuchen, der..Weltn eine Bedeutung zu geben.Wo immer man Codes entdeckt, kann man auf menschlicheGegenwart schliefien. Die aus Steinen und Bärenknochengebauten Kreise, welche die Skelette afrikanischer Men-schenaffen umgeben, die vor zwei Millionen Jahren ausstar_ben, erlauben, diese Menschenaffen als M"rrr.ir.r, .r.rrrr.h"rr.Denn diese Kreise sind Codes, die Knochen und Steine sindSymbole, und der Menschenaff-e war ein Mensch, clenn erwar..verfremdetn (wahnsinnig) genug, der Welt eine Bedeu_tung geben zu müssen. Obwohl wir den Schlüssel zu diesenCodes verloren haben - wir wissen nicht, was diese Kreisebedeuten -, wissen wir, daß es sich um Codes handelt: Wirerkennen die sinngebende Absicht, das ..Künstliche' inlnnen.

Jüngere Codes, wie zum Beispiel Höhlenmalereien, erlaubenetwas besser, entschlüsselt zu werden - weil wir nämlich selbstähnliche Codes benützen. Zum Beispiel wissen wir, daß dieMalereien in Lascaux und Altamira Jagdszenen bedeuten.Symbole, welche aus zweidimensionalen Cocles bestehen, wiedas in Lascau-x der Fall ist, bedeuten nämlich die ..Weltrr, in_dem sie die vierdimensionalen Raum-Zeit-Sachlasen zt Sze_

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nen reduzieren. Indern sie sie <.inraginierenn. <<Imagination,,

heißt, genau genommen: die Fähigkeit, die Welt der Sach-lagen aufSzenen zu reduzieren, und urngekehrt: die Szenenals Ersatz fiir Sachlagen zu entschlüsseln, ..Landkarten>> zumachen und sie zu lesen - inklusive..Landkarten>> erwänsch-ter Sachlagen, zum Beispiel zukiinftigerJagd (Lascaux) oderzu erzeugender Gadgets (ltlueprints).Der szenische Charakter der zweidimensionalen Codes hateine spezifische Lebensweise der von ihnen prograrnmierrenGesellschaften zur l'olge. Man kann sie die ..magische Da-seinsformtr nennen. trin Bild ist eine OLrerfläche, derenBedeutung auf einen Blick erfaßt wird: Fls <<synchronisiert'>

die Sachlage, die es als Szene bedeutet. Aber nach dem erfas-senden Blickrnuß das Auge irn Bild analysierend wandern, umseine Bedeutung tatsächlich zu empfangen, es muil die..Syn-

chronizität diachronisierentt. ZurnBeispiel: Auf den ersten Blick istklar, daß diese Szene eine Sachlagevom Typ ..Spaziergang;>> bedeutet.Abcr erst nrch Diaclrronisierurrg

der Slnchronizität erkennt man, daß die Sonne, zwei Men-schen und ein Hund in diesem Spaziergang gerneint sind.

Für Menschen, die durch Bilder programrniert sind, flie{Jt dieZeitin der Welt, wie die Augen im Bild wandem: sie diachro-nisiert, sie ordnet die Sachen zu Lagen. F,s ist die Zeit detWiederkehr von Täg und Nacht und Täg, von Saar und Ernteund Saat, von Geburt und 'lod und Wiedergeburt, und dieMagie ist jene "Iächnik, welche fär so eine Zeiterfahrung an-gebracht ist. Sie ordnet die l)inge, wie sie innerhalb desKreislaufs der Zeit sich verhalten sollen. LInd die solcherartkodifizierte Welt, die Welt der Bildea die <<imaginäre Wek",hat die Daseinsfbrm unserer Ahnen während ungezählterJahrtausende programmiert und gefornrt: Für sie war die..Welt' eine Menge von Szenen, welche rnagisches Verhaltenfordern.Und dann karn es zu einenr Llrnbruch, zu einer Unrwälzungvon so gewaltigen Folgen, daß es uns noch immer den Atem

verschlägt, wenn wir das Ereignis selbst rrrrch tlcrr st.t.lrstausend Jahren, die seither verflossen, bedenken. Mrrn li;rrrrdieses Ereignis, wie es auf den..keilförrnigen>> mcsolx)r:rIni-schen Ziegeln zu sehen ist" wie folgt illustrieren:

*ft*EDie Erfindung der Schrift besteht nämlich nicl.rt so sehr in derErfindung neuer S1'n'rbole, sondern im Aufrollen des Bildes inLinien (rrZellenr). Wir sagen, daß mit diesem Ereignis dieVorgeschichte beendet ist und die Geschichte im wahrcnSinn anfängt. Aber wir sind uns nicht irnmer dessen bewußt,daß damit jener Schritt hinaus aus dem Bild und hinein in eingähnendes Nichts gemeintist, von dem aus es möglich ist, dasBild als eineZelle aufzurollen.Die Zerle, die in der Illustration rechts neben dem Bild steht,reißt die Dinge aus der Szene, um sie neu zu ordnen, närnlichsie zu zählen, zu kalkulieren. Sie rollt die Szene aufund ver-wandelt sie in eine Erzählung. Sie ..erklärt>' die Szene, indemsie jedes einzelne Spnbol klar und deutlich (clnra et distinctaperceptil) aufzählt. Daher meint dje Zelle (der ..Text,r) nichtunrnittelbar die Sachlage, sondern sie rneint die Szene des Bil-des, welche ihrerseits die ..konkrete Sachlage' meint. Jbxtesind eine Entwicklung von Bildern, und ihre Syrnbole bedeu-ten nicht unmittelbar Konkreres, sondern Bilder. Sie sind..Begriffen, welche ..Ideen, bedeuten. Zum Beispiel bedeutet.. ){ ,, im oberen Text nicht unmittelbar das konkrete Erlebnis..Sonnerr, sondern << I{ >> im Bild, welches seinerseits ..Sonne>bedeutet. -Iexte sind um einen Schritt weiter vom konkretenErlebnis entfernt als Bilder, und ..konzipieren,, ist ein Sym-ptom einer weiteren Verfremdung als ..imaginierenrr.\ÄÄll man einen Text entschlüsseln (..lesenrr), zum Beispielden Text in der Illustrarion oben rechts, dann muß das Augeder Zelle endang gleiten. Ersr am Ende der Zeile hat man dieBotschaft empfangen und muß versuchen, sie zusammenzu-fassen, zu syndretisieren. Lineare Codes fordern eine Svn-

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c lrronisation ihrer Diachro nizität. Sie fordern fortschreiten-cles Empfangen. Urd das hat eine neue Zeiterfahrung ztrFolge, nämlich die einer lin earenZeit, eines Stroms des unwi-derruflichen Fortschritts, der dramatischen {Jnwiederhol-barkeit, des Entwurfs: kurz der Geschichte. Mit der Erfin-dung der Schrift beginnt die Geschichte, nichtweil die SchriftProzesse festhält, sondern weil sie Szenen in Prozesse ver-wandelt: Sie erzeugt das historische Bevr-ufitsein.Dieses Bewußtsein hat nicht etwa soforr über das magischegesiegt, es hat es mühsam und langsam übemrnden. Die Dia-lektik zwischen Oberfläche und Linie, zwischen Bild und Be-griff hat als Kampf begonnen, und ersr spät haben die Textedie Bilder aufgesogen. Die griechische Philosophie und diejüdische Prophetie sind Kampfansagen der Texte gegen Bil-der: Plato zum Beispiel verachtet die Bildermacherei, und diePropheten eifern gegen die Idolatrie. Erst im LaufderJahr-hunderte begannen Texte (Homer und die Bibel) die Gesell-schaft zu programmieren, und das historische Bewu{Jtseinblieb, im Lauf der Antike und des Mittelalters, Kennzeicheneiner kleinen Elite von Literaten. Die Masse wurde weitervon Bildern programmiert, obwohl diese Bilder von Textenzunehmend infiziert mrden; sie verharrte sozusagen im ma-gischen Bewußtsein, blieb ..heidnisch".Die Erfindung des Buchdrucks verbilligte die Manuskripteund erlaubte einem aufsteigenden Bürgertum, zum histori-schen Bewußtsein der Elite vorzudringen. IJnd die Industrie-revolution, welche die ..heidnischett Dorfbevölkerung aus ih-rem magischen Dasein riß, um sie als Masse um Maschinen zuballen, programmierte diese Masse dank Volksschule undPresse mit linearen Codes. In den sogenannten <<entwickel-ten>> Ländern wurde die geschichtliche Bewußtseinsebene imLauf des r9. Jahrhunderts allgemeingriltig, für den Rest derMenschheit dagegen wird sie das erst im Moment, weil diesder Zeitpunkt ist, zu dem das Alphabet als universaler Codetatsächlich zu funktionieren beginnt. Betrachtet man alshöchsten Ausdruck des historischen Bewußtseins etwa daswissenschaftliche Denken * weil es die logische und prozes-suale Struktur linearer Texte zur Methode erhebt -, dann

kann man sagen: Der Sieg der'Iexte über die llilcler - tlcrWissenschaft über die Magie * ist ein Ereignis der jüngstcnVergangenheit und weit e:ntfernt, als abgeschlossen angcsc-hen werden zu können.Falls der erste Paragraph dieser Gedanken recht hat, ist näm-lich irn Gegenteil eine Verflüchtigung des historischen Be-wußtseins festzustellen. In dem Maße, in dem Oberflächen-codes überwiepien, in dem Ililder alphabetischeTexte ersetzen,hört die Zeiterfahrung auf, die mit den Kategorien der Ge-schichte, also als irrcvcrsibel, fortschreitend und dramatischerfaßt wird. Die kodifizierte Welt, in der wir leben, bedeutetnicht mehr Prozesse, ein W'erden, sie erzählt keine Geschich-ten, und leben in ihr bedeutet nicht handeln. Daß sie das nichtmehr bedeutet, nennt man die..IGise der Werter'. Denn wirsind ja noch inrmer weitgehend von Texten programmicrt,also für Geschichte, für \Ä/issenschaft, für politisches Pro-gramm, fiir..Kunst". Wir..lesen" die Welt, zum Beispiel lo-gisch und mathernatisch. Aber die neue Generation, welchevon Techno-Bildern programmiert wird, teilt nicht unsere..Werte>>. Und wir wissen noch nicht, fiir welche Bedeutungdie Jbchno-Bildeq die uns umgeben, programmieren.Diese unsere Ignoranz betreff-s der neuen Codes ist nichtüberraschend. Es hatJahrhunderte nach der Erfindung derSchrift erfordert, bevor die Schreiber lernten, daß Schreibenerzählen bedeutet. Zrerst haben sie wohl nur aufgezählt undSzenen beschrieben. Es wird ebensolange dauern, bevor wirdie \Ärtualitäten von Jbchno-Codes erlernen: bevor wir ler-nen, was Fotografieren, Filmen, Videomachen oder analoges

Prograrnmieren bedeutet. Vorläufig erzählen wir noch TV-Geschichten. Aber diese Geschichten haben doch schon einposthistorisches Klirna. Es wird lange dauern, bevor wir auch

ein posthistorisches Bewußtsein erkämpf'en; aber es ist docherkennbar, daß wir dabei sind, einen entscheidenden Schrinzuräck von Texten oder äber sie hinaus zu leisten. EinenSchritt, der an das Wagnis der mesopotarnischen Keil-schreiber erinnert.Die Schrift ist ein Schritt hinweg von den Bildern, denn sic

erlaubt, Bilder in 13egriffe aufzulösen. Mit diesern Schritt g-ing

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tlcr ..Gl2ubs an Bilder", das heiiJt die Magie verloren, unclcine Bewußtseinsebene wurcle erreicht, welche viel später zuWissenschaftund Technik fiihrte. Die Techno-Codes sind einweiterer Schritt weg von den'Ibxten, clenn sic erlauben, sichvon Begriflen Bilder zu machen. Eir-re Fotoqrafie ist nicht dasIlild eines Sachverhaltes, wie es tlas n.lclirioirclle Bilcl ist, son-dern sie ist das Bjlcl einer Reihe von BegrifTen, welche derFotograf in bezus auf eine Szene har, die einen Sachverhaltbedeutet. Nicht nur kanr.r die l(arnera nicht ohne'läxte (zurnBeispiel chemische Formeln) existieren, sondern der Foto-graf muß zuerst inaginieren, dann begreifen, um zlrletzt..techno-irnap;inierentt zu krinnen. Mit cliesern Schritt zr-rrückaus den Texten ins Techno-Bild ist ein neuer Grad von Ver_frerndung erreicht worden: Der ..Glaube än 'Iexte>> - an Er-k1ärungen, an 1'heorien, an Ideologien geht verloren, weildie Texte, wie einst die Bilder, als ..Vennittlunpien>> erkanntwerden.I)as ist es, w.as wir mit <<Krise der Werte>, meinen: dalJ wir ausder linearen Welt der F)rklärungen hinausschreiten in clietechno-imaginäre Wek der ..Modelle". Nicht da{J sich clieTechno-Bilder bewegen, claß sie ..audiovisuell' sind, daß sieim Kathodenlicht strahlen usw., ist das revolutionär Neue anihnen, sondem cla{J sie..Modelle' sind, das hei{lt Begriff-e be-deuten. Daß ein TV-Prograrnm nicht eine Szenc eines Sach-verhalts ist, sondern ein ..Modell,,, närnlich eirr Bild einesBegriffs einer Szene. Das ist eine .<Krise>>, weil närnlich rnitclern Uberschreiten der Texte alte Progranune wie zurn Bei-spiel Politik, Philosophie, Wisscnschrft aulJer I(rafi gesetzrwerden, ohne von neuen Programmen ersetzt zu werden.Es eibt keine Parallelen in der Vergangenheit, die uns erlaub_ten, den Gebrauch der Techno-Codes zu lernen, so wie siesich z.urn Beispiel als Farbexplosion rnanif-estieren. Aber wirrniissen ihn le rnen, sonst sind wir verurteilt, in einer bedeu-t Lr n gsl os p;ewordenen, teclrno-imaginär koc{ifi zierten'Weltcirr sinrrloses I)asein zu fristen. Der Niedergang und Fall desAlplrrrlrcts bedeuret das Ende der Geschichte irn ensen Sinnr lt's \Ä/ortcs. Die vorliegende Iletrachnrng will die Frage sre [-lt'rr rr:rt'h rlcrn Anfäng clcs Neuen. (rgZg)