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Leseprobe aus: Juul/Lauritsen, Frag Jesper Juul, ISBN 978-3-407-85923-5 © 2012 Beltz Verlag, Weinheim Basel http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-407-85923-5

Frag Jesper Juul - BELTZ...Jesper Juul erinnertuns daran, dass Kindererziehungein ge-genseitigerLernprozess istund dass wiruns in der Elternrolle entwickeln müssen,wennwir unsKinder

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Leseprobe aus: Juul/Lauritsen, Frag Jesper Juul, ISBN 978-3-407-85923-5© 2012 Beltz Verlag, Weinheim Basel

http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-407-85923-5

7VorWort

Vorwort

Es besteht kein Zweifel daran, dass heutige Familien vielen Her-ausforderungen gegenüberstehen. Wir können uns nicht an dasWissen unserer Eltern, an das, was man damals tat, anlehnen. Esist entscheidend, zu verstehen, dass neue Zeiten neue Herausforde-rungen für die Familie mit sich bringen.

Der Wunsch von Eltern, gute Eltern zu sein, stets das Richtigeoder sogar Perfekte zu tun, wird schnell, oft sogar schon vor derGeburt des Kindes, unverhältnismäßig groß. Es ist, als ob diesemPerfektionismus eine Erwartung zugrunde liegt, nach der perfek-tes Verhalten der Eltern zu problemfreien Kindern führt. Ein Kindkann damit zum Beweis dafür werden, dass ich es gut gemachthabe.

Das immerwährende Verlangen danach, gute Eltern zu sein,bringt viele dazu, auf Nachbarn, Kindergarten, Schule oder aufFernsehsendungen zu schielen, um die »richtigen« Lösungen zufinden, und damit verschwindet die persönliche Führungspositionstill und leise aus der Elternrolle.

Kinder brauchen die Persönlichkeit der Eltern, um die Bindungzu spüren und sich verbunden zu fühlen. Sie sind darauf angewie-sen, Grenzen und Gefühle authentisch und nicht als Anwendungmoderner Erziehungsprinzipien zu erleben.

Vor nur 20 Jahren war es viel einfacher, seinem Kind gegen-über ein persönliches Nein zu vertreten. Den meisten Eltern stan-den weniger Geld und Mittel zur Verfügung, um ihren Kindernungeahnte Mengen Geburtstagsgeschenke, geschweige denn tägli-che Geschenke, Erlebnisse, Markenkleidung, Extras für die Früh-stücksbox und Ähnliches zu geben.

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8 Familiencoaching mit Jesper Juul

Heutzutage können sich die meisten Leute viel mehr leisten, undselbst in der Finanzkrise zeigen Untersuchungen, dass Kinder-sachen zu den Dingen gehören, an denen am wenigsten gespartwird. So wird das Nein für viele zu einem Prinzip, auf das manimmer mehr verzichtet, damit alles perfekt aussieht − anstatt he-rauszufinden, was man eigentlich meint. Das Gleiche gilt für ei-nen ganzen Berg angelernter Prinzipien und Haltungen bezüglichSchlafenszeiten, Essensgewohnheiten, Schulaufgaben, Strafen,Fernsehzeiten, Bettruhe usw.

Jesper Juuls Gedanken zum Familienleben sind originell undkreativ. Sie sind eine solide und alternative Grundlage dafür, waswir als Familien mit Kindern in unserem neuen Jahrtausend benö-tigen. Wir müssen herausfinden, was wir selbst meinen, damit wirunseren Kindern Haltungen vermitteln können, die auf Wertenbasieren. Nur so können sie lernen, zum Leben persönlich Stellungzu nehmen.

Ohne die persönliche Stellungnahme werden Beziehungenleicht ausgehöhlt und leer, wobei es oft damit anfängt, dass das El-ternpaar, das sein erstes Kind bekommt, kaum weiß, welche enor-men Vorteile es der Beziehung bringt, in den vielen notwendigenEntscheidungen von Anfang an authentisch zu sein. Das reicht vonder Frage, ob das Kind gestillt werden oder Muttermilchersatz be-kommen soll, bis hin zur Entscheidung, in welcher Kinderbetreu-ungseinrichtung das Kind angemeldet werden soll. Die Expertenstehen mit Ratschlägen bereit, aber nur die wenigsten betonen, wiewichtig es ist, dass die Eltern selbst fühlen, was genau für sie undihr Kind das Richtige ist.

In diesem Buch haben wir uns entschlossen, 16 sehr verschiede-ne Familien vorzustellen, die verschiedene Werte und Bedürfnissehaben und die Problemstellungen und Herausforderungen gegen-überstehen, die sie mit vielen Eltern teilen. Die Familien entstam-

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9VorWort

men einer Gruppe von 100 Familien, die Jesper Juul und ich in denletzten fünf Jahren getroffen haben und die uns erlaubten, Ein-blick in Teile ihrer innersten Gedanken, Gefühle und Frustratio-nen im Familienleben zu nehmen.

Als Autorin und Coach habe ich mit den Familien ein einleiten-des, danach hat Jesper Juul ein 1- bis 2-stündiges Gespräch geführt,bei dem ich anwesend war. Etwas später habe ich ein weiteres Malmit der Familie gesprochen.

Die Geschichten bezeugen, wie wichtig es ist, persönlich Stel-lung dazu zu beziehen, was jeder von uns für richtig hält, kom-biniert mit der Bereitschaft, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen.Ist es beispielsweise so verwunderlich, dass ein fünfjähriges Mäd-chen seinen kleinen Bruder mobbt? Ist es nicht naheliegend, dasses die Geburt des Bruders als Verlust empfindet, und genauso na-heliegend, dass es diesen Verlust nur verwinden kann, wenn ihmmit Verständnis begegnet und ihm geholfen wird, seine Wut undTraurigkeit wieder loszuwerden?

Wie Jesper Juul in einem der Kapitel in diesem Buch schreibt,haben Eltern heutzutage sehr unrealistische Erwartungen sowohlan sich selbst als auch in Bezug darauf, was ihre Kinder in einembestimmten Alter lernen sollen. Das ist eine ewige Quelle für Kon-flikte und Gefühle des Scheiterns auf beiden Seiten des Tisches.

Beispielsweise sind die Erwartungen der Eltern an die kindli-che Lernfähigkeit oft viel zu hoch. Ein Kind kann erst ab etwa vierbis fünf Jahren ein Nein vollständig verinnerlichen und begreifen,und dennoch ärgern sich schon viele Eltern Dreijähriger darüber,dass es einem Nein nicht folgt.

Wenn wir uns umschauen, sind uns Geschwindigkeit und Ei-le geradezu heilige Werte geworden, ungeachtet dessen, dass diemeisten Kinder morgens mehr Zeit brauchen, um fertig zu werden,als sie bekommen. Und allmorgendlich erwarten die Eltern wieder,dass sie schnell fertig werden sollen.

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Gleichzeitig werden Pausen gemieden und die gemeinsame Zeitsoll mit Inhalt gefüllt werden. Unser Leben ist unglaublich lustbe-tont geworden und Gelüste wollen schnell erfüllt werden, aber un-sere eigentlichen Bedürfnisse werden dabei übersehen. Beispiels-weise das Bedürfnis nach Ruhe, um nachzufühlen, was wir als dasBeste für unsere Kinder empfinden, und dies in einer sinnvollenWeise auszuformulieren.

Die Sitzungen, die Jesper und ich mit den Familien in den ver-gangenen fünf Jahren hatten, wurden oft mit tiefen Seufzern undeinem Ausbruch beendet: »Ich kann richtig spüren, wie erleich-tert ich bin« oder »Endlich bin ich in dem bestärkt worden, wasich wirklich für richtig hielt«. Diese Worte sprudelten aus demMund von jungen und älteren Müttern und Vätern, Patchwork-und Singleeltern. Wir haben es wieder und wieder gehört, egalob es um den Umgang mit Schule oder Hausaufgaben, Mobbing,Ernährung, Geschwisterbeziehungen oder um Bettgehzeiten, Kon-sequenzen und Strafen ging.

Jesper Juul erinnert uns daran, dass Kindererziehung ein ge-genseitiger Lernprozess ist und dass wir uns in der Elternrolleentwickeln müssen, wenn wir uns Kinder wünschen, die neueFertigkeiten entwickeln sollen. Mehr als andere kehrt Jesper Ju-ul zu der Tatsache zurück, dass Kinder sich – in einem sicherenRahmen – wünschen, selbstständige Individuen zu werden, unddass wir sie das nur lehren können, wenn wir ihnen schrittweiseVerantwortung übertragen, ihnen unser Vertrauen zeigen und ih-nen Fehler zugestehen. Das ist ein Prozess, der bei der Geburt desKindes beginnt.

Frag Jesper Juul – Gespräche mit Eltern wurde für Familien mitKindern in jedem Alter geschrieben. Wir alle sind die Kinder un-serer Eltern. Unsere Familien haben eine zentrale Bedeutung fürunsere Entwicklung als Menschen.

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unser sohngibt schnell aufrikke und Klaus sind die eltern vonrasmus, 6 Jahre, seinem zehnjähri-gen Bruder und seiner dreijährigenschwester.Der sechsjährige Rasmus ist ein stiller Bub,der sich in seine eigene Welt einschließt.Seine Mutter ist besorgt und macht Rasmusoft Vorwürfe. Hört auf, ihn zu ändern. Er wirdsich nicht ändern, bevor ihr ihn seht, wie erist, sagt Jesper Juul.

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Familiencoaching mit Jesper Juul74

Wir sind eine fünfköpfige Familie, zwei Erwachseneund drei Kinder, wobei der sechsjährige Rasmus ei-nen großen, zehnjährigen Bruder und eine dreijährigeSchwester hat. Rasmus ist ein ruhiger Junge, der zuHause zwischen den anderen schnell in Bedrängnisgerät. Er ergreift nur selten die Initiative und vor al-lem ich (Rikke) sehe darin ein Problem. Es fällt mirschwer, zu akzeptieren, dass er sich so stark vomRest der Herde durch seine Schweigsamkeit undStille unterscheidet. Was können wir tun, damit erunseren zwei anderen Kindern mehr ähnelt?

LG

Rikke und Klaus

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Das Gespräch

Jesper:Worüber sollen wir reden?Rikke: Über Rasmus. Er gibt schnell auf und wird traurig. Ich bin

sehr viel alleine mit unseren drei Kindern und das erforderteiniges an Selbstständigkeit von ihnen. Ich finde oft, dass Ras-mus unverschuldet in Bedrängnis gerät. Gleichzeitig fällt esuns schwer, ihn so, wie er ist, zu akzeptieren, weil er andersist – sowohl im Verhältnis zu seinen Geschwistern als auch zuanderen Kindern.

Jesper:Wann fingst du an zu bemerken, dass er anders ist?Rikke: Als er als Dreijähriger in den Kindergarten kam, wirkte

er sehr klein. Bei der Tagesmutter bemerkten wir es nur einwenig, aber im Laufe der Kindergartenzeit wurde es immerdeutlicher. Beispielsweise wurde er manchmal vergessen, weiler nicht gehört hatte, dass die anderen gingen. Oft war er imKindergarten der »Underdog«. Wir sind jetzt umgezogen undhaben den Schulbeginn verschoben.

Jesper: Hat das geholfen?Rikke: Ja, das hat es. Er ist jetzt ein Teil der Gruppe geworden und

rauft auch ab und zu, hat aber nach wie vor nicht diesen Kon-kurrenz-Killer-Instinkt. Bei neuen Sachen gibt er lieber im Vor-feld auf. Er will beispielsweise nicht Fußball spielen, lieber willer beim Tor herumlaufen und blödeln, damit er nicht zu kurzkommt.

Jesper: Das scheint mir einfach eine Fehlinterpretation zu sein.Das, was du erzählst, geschieht meines Erachtens nicht in denKöpfen so kleiner Kinder. Wahrscheinlich denkt er eher, wennich hier mitmachen soll, muss ich es so gut wie möglich ma-chen, beispielsweise durch Herumtollen beim Tor.

Rikke: Okay! Ist es dann, weil er es nicht schafft?

das, was du erzählst,geschieht meineserachtens nicht inden Köpfen so kleinerKinder.Jesper

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Jesper: Das weiß ich noch nicht, es gibt ja viele Kinder, die an sol-chen Sachen nicht interessiert sind.

Rikke: Wir wollen auf jeden Fall lernen, wie wir mit ihm in Kon-takt treten können, ohne ständig mit ihm zu schimpfen. Dennso endet es oft, wenn wir das Gefühl haben, dass er nicht aufuns hört. Wir haben mittlerweile mit den Erzieherinnen undder Schulpsychologin darüber gesprochen, was wir tun sollen.

Jesper:Wenn ich, vor dem Hintergrund dessen, was ich bisher ge-hört habe, etwas sagen sollte, dann wäre das: HÖR AUF! Lassihn doch in Ruhe! Das ist mein erster Gedanke.

Rikke: Ja, wir sollten ihn wohl lieber so akzeptieren, wie er ist.Mein Mann und ich sind sehr zerstreut und das hat er wohl vonuns angenommen. Er ist nur so anders und wir vergleichen ihnmit anderen Kindern.

Jesper: Ja, aber es ist unmöglich, sich zu verändern, bevor man sogesehen wurde, wie man ist. Und es ist schwer, ihn zu sehen,wenn er sich etwas vorsichtig und undeutlich ausdrückt. WennRasmus nicht klar ist, wer er ist, und er nicht den Eindruck hat,in Ordnung zu sein, ist es ja schwer herauszukommen. Dann istes verlockend, im eigenen Versteck zu bleiben.

Rikke: Ich weiß, dass ich ihn schlechtmache, aber das ist gar nichtmeine Absicht. Ich möchte lernen, damit aufzuhören. Es ge-schieht etwas in diesen Fußballsituationen, das meinem eige-nen Selbstgefühl schadet.

Jesper: Man könnte aber auch sagen: »Mensch, war das gut, dasswir Fußball spielen waren, damit wir herausfinden konnten,dass das nichts für dich ist.« Ich spreche gerne davon, dass El-tern ihren Kindern Worte »leihen«, die zu ihrer Identität pas-sen. Es klingt ganz danach, dass er davon etwas mehr brauchenwürde.Stell dir vor, dein Mann problematisiert alles und fragt, sobalddu heimkommst, ob etwas los ist. Eine solche Behandlung kann

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selbst Erwachsene in ihrem Selbstbild enorm verunsichern. InRasmus’ Fall ist es schwerer, weil er noch nicht so weit entwi-ckelt ist und noch nicht weiß, wer er ist. Außerdem ähnelt ereuch beiden sehr, was euch offensichtlich provoziert.

Rikke: Ja, er ähnelt uns sehr. Wir sind auch sehr zerstreut.Jesper: Ich finde, ihr solltet ein Fest für Rasmus feiern, bei dem ihr

aufsteht und eine Rede haltet: »Rasmus, wir waren seit deinerGeburt sehr damit beschäftigt, dich zu ändern. In unserem Ei-fer, das gut zu machen, vergaßen wir herauszufinden, wer dubist. Nun wollen wir versuchen, es anders zu machen.«Er braucht einen Wendepunkt, damit er freiwillig aus seinemVersteck herausschaut. Wenn ihr so wie bisher weitermacht,gräbt er sich immer mehr ein und wird mit der Zeit deprimiert.

Rikke: Ich vermute ja, dass man seinen Kindern durchaus etwasabverlangen darf. In Verbindung mit Pflichten. Das freut ihneigentlich. Das hat er gern.

Jesper: Ja, das ist ein Kontrast zum anderen, weil er hier fühlt, dasser Nützliches tut. Wenn er mit der Schule anfängt und viel-leicht Schwierigkeiten mit den anderen Jungen bekommt, dannwürde ich sagen: »Mir wurde erzählt, dass du vielleicht Proble-me mit den anderen Jungs bekommen wirst. Komm ruhig zuuns, wenn das wirklich passiert.«Er muss seinen eigenen Weg finden. Versucht, eine neue Bezie-hung zu Rasmus aufzubauen, als ob er ein ganz neues Kind ist,das soeben zur Familie gestoßen ist und die nächsten 15 Jahremit euch verbringen wird. Und versucht herauszufinden, werer ist.Versucht beispielsweise in den Situationen, in denen etwasschiefläuft, zu fragen: »Was magst du nicht, was magst dugern?« Menschen, die sich verstecken, brauchen eine Einla-dung. Sie haben nichts davon, zu hören, wie merkwürdig es ist,sich zu verstecken.

Wenn ihr so wie bisherweitermacht, gräbt ersich immer mehr einund wird mit der zeitdeprimiert.Jesper

menschen, die sichverstecken, braucheneine einladung.sie haben nichtsdavon, zu hören, wiemerkwürdig es ist,sich zu verstecken.Jesper

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Ihr könnt ihn zwischendurch auch fragen: »Wie lange dauertes, bis du bereit bist? Wir wissen, dass du Anlauf nimmst. Da-mit wir uns keine Sorgen machen, wollen wir wissen, wie lan-ge es dauert.« Das ist okay, solange es ihm nicht als Forderungpräsentiert wird.

Nach dem Gespräch

Ich bin von Jesper Juuls Wissen und seiner Art, Dinge klar mitzu-teilen, zutiefst beeindruckt. Beispielsweise als er sagte, dass wirRasmus in Ruhe lassen, uns mehr entspannen und weniger damitbeschäftigen sollen, wie er ist. Ich fragte mich: »Was machen wirda eigentlich?«

Jesper Juul fragte: »Warum denkt ihr nicht daran, dass Fuß-ball vielleicht nichts für Rasmus ist?« Und das stimmt ja, aber wirhaben gar nicht daran gedacht. Wir dachten, dass etwas mit ihmnicht stimmt, waren sehr besorgt und hätten uns fast in alle mög-lichen Vereine für Problemkinder eingeschrieben.

Ich habe meine Ruhe in dem Gedanken wiedergefunden, dassman normal sein kann, obwohl man speziell ist. Wir, mein Mannund ich, sind uns darin einig, dass wir einen anderen Ton schaffenwollen – auch bei dem, was wir von Rasmus erwarten. Und wirbemerken bereits einen deutlichen Unterschied.

Wenn Rasmus beispielsweise morgens lange braucht, um sichanzuziehen, helfe ich ihm jetzt. Davor hatten wir große Konflik-te, weil ich dachte, das MÜSSE man können, wenn man sechs ist.Aber wie Jesper Juul sagt, es hilft nichts, mit Rasmus zu schimpfenund herumzuschreien.

Auch wenn er sich in sich selbst zurückzieht, sagen wir nichtmehr, dass er deswegen schlecht ist, sondern akzeptieren zuneh-mend seine andere Art. Wir versuchen nicht mehr, ihn zu ändern,

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und sagen auch nicht mehr: »Warum tust du das und das nichtauch?« Wir schauen stattdessen, wozu er selbst Lust hat.

Er ist in sehr kurzer Zeit ein glücklicherer Junge geworden.Und ich kann ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn ich da-rüber nachdenke, wie wenig es bedurfte. Er steht etwas geraderda und schafft trotz Unlust den morgendlichen Kampf mit demAnziehen besser. Es ist, als ob er gewachsen sei, und das gilt auchfür sein Selbstgefühl.

Wenn dein Kind sich in sich selbst zurückzieht

tipps von Jesper Juul

z Es gibt viele verschiedene Ursachen, aber oft hängt es mitdem Gefühl zusammen, dass man, so wie man ist, nichtokay ist.

z Akzeptiere das Kind so, wie es ist, ohne Kommentar, wedermit kritischem noch mit lobendem.

z Vergleiche dein Kind mit dem deiner Wünsche, Träumeund Erwartungen und lass dein wirkliches Kind Teil der Fa-milie werden.

z Weder Kinder noch Erwachsene können ihr Verhalten än-dern, ohne zuvor so, wie sie sind, gesehen und anerkanntzu werden.

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