Frankreichs Sicherheits

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  • 7/26/2019 Frankreichs Sicherheits

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    SWP-A

    ktuell

    StiftungWissenschaft und

    Politik

    Deutsches Institutfr Internationale

    Politik und Sicherheit

    Einleitung

    Frankreichs Sicherheits- und

    Verteidigungspolitik ohne StrategieDeutsch-franzsische Initiativen anstelle eines franzsischen Aktionismus

    Ronja Kempin / Lisa Watanabe

    Die franzsischen Streitkrfte sind derzeit sehr gefragt: Im Kampf gegen die Terrorgruppe

    Islamischer Staat (IS) wird Paris in den kommenden Wochen sechs Mirage-Kampfflug-

    zeuge nach Jordanien verlegen. Am 1. August 2014 hat Frankreich die Antiterror-Opera-

    tion Barkhane (Sicheldne) im Sahel- und Sahararaum begonnen. 3000 Soldaten sind

    mit schwerem Gert von Mali und Tschad, ab 2015 auch von Niger aus im Einsatz. In der

    Ukraine will die franzsische Regierung Aufklrungsdrohnen verwenden, Spionageboote

    der Marine patrouillieren bereits im Schwarzen Meer. Dass die Armee jeden Krisenherd

    der Welt bearbeiten kann, erweist sich indes zusehends als Irrglaube. Frankreichs Streit-krfte, so beklagen ranghohe Militrs, gehen auf dem Zahnfleisch. Lngst reichen

    Personalreduzierungen und Standortschlieungen nicht mehr aus, um die berfllige

    Modernisierung der Ausrstung zu finanzieren. Deutsch-franzsische Initiativen in

    der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) knnten Frankreichs

    Sicherheits- und Verteidigungspolitik wieder schrfere Konturen verleihen.

    Den Eindruck, Frankreich werde seine Stel-

    lung als Militrmacht alsbald einben,

    soll der Verteidigungshaushalt 2015 zer-

    streuen, der am 18. November 2014 von der

    franzsischen Nationalversammlung ver-

    abschiedet wurde. Mit 31,4 Milliarden Euro

    liegt das Budget auf dem Niveau des Vor-

    jahres, 2017 soll es sogar leicht ansteigen,

    auf 31,7 Milliarden Euro.

    Dem rosigen Bild, das die politischen

    Verantwortungstrger dieser Tage in Paris

    zeichnen, steht entgegen, dass in der fran-

    zsischen Armee bestenfalls 31 Prozent

    der Panzer, 30 Prozent der Flugzeuge und

    44 Prozent aller Hubschrauber einsatzfhig

    sind. Die Hlfte der Fregatten und 42 Pro-

    zent aller U-Boote stehen der franzsischen

    Marine im Einsatzfall nicht zur Verfgung.

    Trainingszeiten kann Frankreich nicht mehr

    im verabredeten Umfang gewhrleisten,

    internationale Verpflichtungen kaum mehr

    einhalten. Den Piloten seiner Luftwaffe kann

    es lediglich jeweils 150 Flugstunden pro Jahr

    ermglichen, obgleich der entsprechende

    Nato-Standard bei 180 Stunden liegt. Die

    Schiffe der Marine sind nur 80 Tage auf See,

    20 weniger als in der Atlantischen Allianz

    vereinbart. Im Heer ist eine Dreiklassen-

    Dr. Ronja Kempin ist Senior Fellow der SWP-Forschungsgruppe EU / Europa. SWP-Aktuell 4Dr. Lisa Watanabe ist Wissenschaftlerin am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zrich. Sie war von Januar 2015September bis Dezember 2014 Gastwissenschaftlerin in der SWP-Forschungsgruppe EU / Europa.

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    gesellschaft entstanden: 60 Prozent der

    Soldaten sind fr den Einsatz ausreichend

    trainiert und ausgestattet. Die brigen kn-

    nen lediglich alle sechs bzw. zwlf Monate

    ein fr den Auslandseinsatz notwendiges

    Training durchlaufen. Immer hufiger kon-terkarieren Sparzwnge die strategischen

    Interessen des Landes.

    Weibuch 2013 dramatische

    Einschnitte, mige Erfolge

    Am 13. Juli 2012, knapp acht Wochen nach

    seinem Amtsantritt, ordnete Prsident Hol-

    lande an, ein neues Verteidigungsweibuch

    zu erstellen. Diese vierte berprfung der

    strategischen Grundlagen franzsischer

    Sicherheits- und Verteidigungspolitik fllt

    aus dem Rahmen. Ausgangspunkte der bis-

    herigen Weibcher waren bedeutende

    Vernderungen des strategischen Umfelds:

    Das erste Weibuch der V. Republik war

    eine Reaktion auf die Verschrfung der Ost-

    West-Konfrontation und schrieb 1972 die

    nukleare Abschreckung als Bestandteil fran-

    zsischer Sicherheits- und Verteidigungs-

    politik fest. Im Nachfolgedokument bezog

    Paris 1994 Stellung zu den sicherheits-

    politischen Konsequenzen der Beendigungdes Kalten Krieges und forderte zu verstrk-

    ter europischer Integration auf. Nicolas

    Sarkozy lenkte im Weibuch 2008 den

    Blick auf die Bedrohungen durch den inter-

    nationalen Terrorismus. Verteidigung und

    nationale Sicherheit wurden verknpft,

    Frankreich kehrte vollstndig in die mili-

    trische Nato-Integration zurck. Das am

    29. April 2013 verffentlichte aktuelle Wei-

    buch indes dient allein dem Ziel, ein finan-

    zierbares sicherheits- und verteidigungs-

    politisches Projekt fr Frankreich zu um-

    reien.

    Seither werden drastische Einschnitte

    vorgenommen. Frankreich verzichtet fortan

    auf seinen Anspruch, global einsatzfhig

    zu sein. Immerhin will es eine europische

    Militrmacht bleiben, die Konflikten an der

    Peripherie des Kontinents effektiv begegnen

    kann. Es verkleinert seine Teilstreitkrfte

    und organisiert sie neu. Die unter der Regie-

    rung Sarkozy eingeleitete Deflation des

    Personalbestandes wird fortgesetzt. Zustz-

    lich zur 2008 festgelegten Streichung von

    54 000 Dienstposten werden bis 2019 wei-

    tere 34 000 Personen ihre Arbeit bei den

    Streitkrften verlieren. Fr 2015 ist der Weg-fall von 7500 Stellen vorgesehen. Zwischen

    2009 und 2019 mssen die Streitkrfte ein

    Viertel ihres Personals abbauen. 2008 wurde

    das Ziel aufgegeben, bis zu 30 000 Personen

    starke Bodentruppen und 70 Kampfflugzeu-

    ge in einer greren Operation einsetzen

    zu knnen. Das Weibuch 2013 sieht nur

    noch kleinere Operationen vor: Aufgebaut

    wird eine 5000 Personen umfassende, schnell

    einsatzfhige Truppe, aus der kurzfristig

    Verbnde mit 2300 Soldatinnen und Sol-

    daten fr Operationen von bis zu sieben

    Tagen Dauer formiert werden knnen. Fr

    lngerfristige Einstze des Typs Serval in

    Mali ist geplant, 7000 Bodentruppen mit

    rund zwlf Kampfflugzeugen, einer Fregatte,

    einem Jagd-U-Boot sowie einem Transport-

    und Kommandoschiff und auch Spezial-

    einheiten bereitzustellen. Dieses Kontingent

    soll auf drei Operationsfelder gleichzeitig

    verbracht werden knnen. Zur Verfgung

    stehen wird schlielich ein Heeresverband

    von zwei Brigaden mit 15000 Soldaten,etwa 34 Kampfflugzeugen, einem Flugzeug-

    trger, zwei Transport- und Kommando-

    schiffen sowie Spezialeinsatzkrften fr

    grere Operationen, etwa zur Durch-

    setzung von Zwangsmanahmen.

    Auch die Fhigkeiten der Streitkrfte

    werden weiter zurckgefahren. Im Heer

    wird die Anzahl der Leclerc-Panzer von 200

    auf 50 verringert. Die Luftwaffe erhlt ledig-

    lich 225 anstelle der geplanten 286 neuen

    Rafale- und Mirage-Kampfflugzeuge. Sie

    muss die Lebensdauer ihrer vorhandenen

    Mirages verlngern, die einem sogenannten

    retrofit unterzogen werden. Die Ausliefe-

    rung ihrer strategischen Lufttransportflug-

    zeuge wird auf das Jahr 2017 verschoben,

    die Zahl taktischer Transportkapazitten

    von 70 auf 50 reduziert. Die Marine wird

    nur acht neue Fregatten erhalten, drei weni-

    ger als 2008 geplant. Zudem wurde beschlos-

    sen, die Mittel fr Auslandseinstze ab dem

    SWP-Aktuell 4Januar 2015

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    Jahr 2014 von 650 auf 450 Millionen Euro

    zu senken.

    Budget auf tnernen Fen

    Trotz dieser rigorosen Einschnitte gelingtes Frankreich nicht, sein Verteidigungs-

    budget zu konsolidieren. Allein die Auf-

    wendungen der Streitkrfte fr Auslands-

    einstze beliefen sich 2014 wie in den Vor-

    jahren auf 1,2 Milliarden Euro. Erstmals

    prangerte das Finanzministerium an, dass

    die Kosten fr Auslandseinstze ausarten.

    Anders als in den Jahren vor 2014, als smt-

    liche Ressorts die Auslandseinstze zu

    gleichen Teilen finanzierten, werden dem

    Verteidigungsministerium nunmehr zu-

    stzlich 500 Millionen Euro in Rechnung

    gestellt.

    Dieser Betrag geht zu Lasten des Haus-

    halts 2015, der ohnehin auf tnernen Fen

    steht. Das avisierte Budget ist nur dann voll-

    umfnglich verfgbar, wenn das Verteidi-

    gungsministerium 2015 Sondereinnahmen

    in Hhe von 2,1 Milliarden Euro erwirtschaf-

    tet. Das Ministerium ist darauf angewiesen,

    Gebude und Liegenschaften ebenso zu ver-

    uern wie Funkfrequenzen und Beteili-

    gungen an privaten Firmen. Dass dies ge-lingt, darf bezweifelt werden. Von 2008

    bis 2013 sollten Sondereinnahmen in Hhe

    von 3,47 Milliarden Euro erzielt werden.

    Die tatschliche Summe belief sich aber

    nur auf 980 Millionen Euro. Franzsische

    Experten gehen sogar davon aus, dass das

    Haushaltsvolumen des Verteidigungsminis-

    teriums 2015 deutlich unter 30 Milliarden

    Euro liegen wird. Es sei ein Fehlbetrag von

    5 bis 7 Milliarden Euro zu erwarten, denn

    in den vergangenen Jahren habe sich ein

    gewaltiges Finanzierungsloch von geschtz-

    ten 3,4 Milliarden Euro aufgetan, die zu den

    Sondereinnahmen addiert werden mssten.

    Bereits 2015 knnen somit die Vorgaben

    des Militrischen Programmgesetzes (loi de

    programmation militaire; LPM) 20142019

    nicht eingehalten werden. Dieses Gesetz

    sieht bis 2019 Rstungsausgaben von ins-

    gesamt 190 Milliarden Euro vor. 102,7 Mil-

    liarden Euro sollen in den Erhalt und die

    Erneuerung von Ausrstung flieen. 49,2

    Milliarden Euro stehen fr die Anschaffung

    neuer konventioneller Fhigkeiten zur

    Verfgung, 23,3 Milliarden Euro fr neue

    nukleare Abschreckungskapazitten. Mit

    einem Betrag von 20,6 Milliarden Euro sollsichergestellt werden, dass die Fhigkeiten

    im Einsatzfall bereitstehen. Bislang hat es

    Frankreich nie geschafft, die Budgetplanun-

    gen des LPM einzuhalten. In der Regel

    konnte das letzte Programmjahr oder sogar

    die letzten beiden nicht vollstndig finan-

    ziert werden.

    Einsparungen zulasten strategischer

    Ziele und der GSVP

    Um Gelder zu akquirieren, plant das Vertei-

    digungsministerium, die Beschaffung mili-

    trischen Gerts Privatunternehmen zu

    bertragen. Der Staat soll die Fhigkeiten

    bei Bedarf von diesen Firmen mieten oder

    leasen. Wie dies mit der strategischen Auto-

    nomie des Landes zu vereinbaren ist, dar-

    ber wird in Paris gestritten. Noch vermag

    Frankreich die aktuellen Konfliktherde

    militrisch zu bearbeiten. Das funktioniert

    jedoch nur, weil die franzsischen Regie-

    rungsverantwortlichen ihre Streitkrfte sys-tematisch aus multilateralen Einstzen her-

    ausnehmen. Von den gegenwrtig 18000

    im Ausland eingesetzten franzsischen

    Soldaten sind lediglich 2148 in internatio-

    nalen Operationen ttig. An den Operatio-

    nen der Europischen Union (EU), die zu-

    meist auf Betreiben Frankreichs zustande

    kamen, beteiligt es sich mit 536 Militrs

    (Deutschland: 484). Der anhaltende Rck-

    zug des Landes aus den EU-Missionen und

    -Operationen ist auffllig und fr die Bun-

    desrepublik problematisch. Zudem pocht

    Paris zwar darauf, es trage allein dafr

    Sorge, dass sich die EU der Sicherheit Afri-

    kas annimmt. Doch Frankreich reduzierte

    seine Einstze auf See im Rahmen der EU-

    Operation EUNA VFO R Atalanta zwischen

    2012 und 2014 um drei Viertel. Berlin stellt

    der Operation drei Mal mehr Schiffstage

    zur Verfgung als Paris. In Mali wird die

    franzsische Regierung im Sommer 2015

    SWP-Aktuell 4Januar 2015

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    55 franzsische Dienstposten der Trainings-

    mission EUTM aufgeben, nur elf Krfte

    werden bleiben. Fr den gleichen Zeitpunkt

    plant Deutschland als grter Truppen-

    steller, die Leitung der Operation zu ber-

    nehmen und das deutsche Dispositiv von160 auf etwa 180 Soldatinnen und Soldaten

    anzuheben. In der Zentralafrikanischen

    Republik ist die EU seit dem 1. April 2014

    engagiert. EUFOR RCA soll als berbr-

    ckung die Mission MISCA der Afrikanischen

    Union (AU) und die franzsische Operation

    Sangaris untersttzen und den Aufbau einer

    umfassenden VN-Friedensmission ermg-

    lichen. Whrend die EU-Mitgliedstaaten im

    November 2014 beschlossen, das Mandat

    der Mission um drei Monate zu verlngern,

    kndigte Paris an, seine Prsenz im Land

    von 2000 auf 1000 Krfte zu halbieren.

    Deutsch-franzsische Initiativen

    gefordert

    Die GSVP bietet Deutschland und Frank-

    reich gleichermaen die Mglichkeit, sich

    wechselseitig zu (unter-) sttzen. Seit jeher

    verbinden Frankreich und Deutschland

    allerdings unterschiedliche Ziele mit der

    GSVP. Whrend Paris ein Zusammenwirkender EU-Mitgliedstaaten in der Sicherheits-

    und Verteidigungspolitik vorrangig unter

    dem Gesichtspunkt militrischer Krfte-

    und Fhigkeitengenerierung befrwortet,

    stehen fr Deutschland konzeptionelle wie

    formale Aspekte europischer Integration

    im Vordergrund. Die Kluft zwischen beiden

    Partnern ist in der Vergangenheit gewach-

    sen. Frankreich fand in Berlin ber einen

    lngeren Zeitraum keinen Ansprechpartner

    fr die Rstungszusammenarbeit und

    wandte sich Richtung Grobritannien ab.

    Deutschland wiederum trieb die konzep-

    tionelle Weiterentwicklung der GSVP ohne

    Paris voran, etwa durch Initiativen zur Um-

    setzung des Comprehensive Approach oder

    die Enhance and Enable Initiative (E2I). Dies

    gereichte keiner der beiden Seiten zum Vor-

    teil. Frankreichs Sicherheits- und Verteidi-

    gungspolitik droht zu kollabieren, Deutsch-

    land findet bestenfalls mige Unterstt-

    zung fr seine Initiativen. Den Europischen

    Rat im Juni 2015, der sich erneut dem The-

    ma Sicherheit und Verteidigung widmen

    wird, sollten Paris und Berlin daher zum

    Anlass nehmen, ber Manahmen nach-

    zudenken, die beiden nutzen. Deutschlandsollte Frankreich unter die Arme greifen,

    indem es ihm Angebote zum Pooling und

    Sharing von Ausrstung unterbreitet. Paris

    sollte Berlin im Gegenzug dabei unterstt-

    zen, die GSVP institutionell zu reformieren.

    Die fr 2015 anvisierte Neufassung der Euro-

    pischen Sicherheitsstrategie (ESS) bietet in

    diesem Zusammenhang eine gute Gelegen-

    heit fr einen bilateralen Beitrag. Stiftung Wissenschaft undPolitik, 2015Alle Rechte vorbehalten

    Das Aktuell gibt ausschlie-lich die persnliche Auf-fassung der Autorinnenwieder

    SWP

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    ISSN 1611-6364

    SWP-Aktuell 4Januar 2015

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