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Beitr~tge zur Klinik der Tuberkulose. Bd. 103. S. 97--108 (1950). Fiinfzehn Jahre Werkst~ittensiedlung fiir Tuberkul~se $ in Breslau-Herrnprotsch. Von I-[ ELM UT MULLER~ (Eingeganyen am 16. Aunt 1949.) Am 1. Juli 1929 wurde in Breslau-Herrnprotseh die yon BRIV.~R in's Leben gerufene erste deutsche Werkst~ttensiedlung fiir TuberkulSse erSffnet, im Januar 1945 muBte sie mit der Ri~umung Breslaus aufgelSst werden. Im folgenden soll ein abschlieBender Bericht fiber die Erfahrungen dieser 15' Jahre gegeben werden. Da die objektiven Unterlagen leider den Kriegsereignissen zum Opfer gefallen sind, muff ich reich im wesentliehen auf einen allgemeinen Bericht beschr~nken, die wenigen Zahlen, die ich vor allem dem letzten Verwaltungsleiter der Siedlung und der Werkst~ttefi, Herrn E. OHLA~9, verdanke, kSnnen, da sie aus dem Ged~cht- his gegeben sind, nur unter Vorbehalt der MSglichkeit geringer Irrtfimer mitge- teilt werden. Als BRI•CV.R den Plan seiner Werksti~ttensiedlung faBte, sehwebte ihm vor allem das Beispiel yon Papworth vor Augen, das der Herrnprotseher Einrichtung in mancher Hinsicht als Muster diente. Jedoch bestanden zwei wesentliche Unter- sehiede gegentiber dem englischen Vorbild. Erstens ist die Siedlung in Papworth allm~hlich aus der Mutterheilst~tte herausgewachsen, w~hrend die Siedlung in Herrnprotsch mit einem Male fertig hingestellt wurde. Der zweite ftir die Ent- wieklung des Unt~rnehmens wesentliehe Untersehied bestand darin, daft V~RIER- Jo~.s sich weitgehend auf Mittel privater Wohlti~tigkeit stiitzte, wiihrend BRIE- fER 5ffentliche Mittel in Ansprueh nehmen mufte. Dadureh hatte V~RI~R-Jo~Es die MSgliehkeit, ungehemmt nach eigenem Gutdfinken zu schaffen, w~hrend bei der Gestaltung und Entwicklung der Herrnprotscher Siedlung auf die Wfinsche der geldgebenden Beh5rden, vor aIIem der LVA Schlesien, Riicksieht genommen werden muflte. Dem war es'wohl vor allem zuzuschreiben, daf sieh zwisehen Pap- worth und tterrnprotsch ein grunds~tzlicher Unterschied herausbildete. In Pap- worth bestand eine Dreiteilung Krankenhaus--,, Sanatorium" m Expatientensied - lung. Im Sanatorium befinden sich die erst teilweise arbeitsfahigen, noeh nicht stabilisierten Patienten, noeh ohne Familien, wi~hrend in die Expatientensiedlung die Patienten erst anfgenommen werden, wenn sie so wei~ stabilisiert und arbeits- tRhig sind, dab sie sich und ihre Familien selbst erha!ten kSnnen. Herrnprotseh hatte nur die Zweiteilung: Krankenhaus--Siedlung. In die Siedlung wurden die Patienten noeh mit oftener Tuberkulose bei besehr~nkter Arbeitsf~higkeit auf- genommen. Die Siedlung war yon vornherein als eine Form der Asylierung Chronisch-Offentuberkul(iser geplant (Bm~.GE~, v. L~.GAT, HUCH) 1. Dies wird spiiter bei der Beurteilung des Erfolges dieses Versuches zu bertieksichtigen sein. 1 Die spi~tere Erweiterung dutch Bau einfacher Siedlungsh~tuser ftir Expatienten, die BRn~GERvorschwebte, ist nicht zustandegekommen. Beitr~ge zur Klintk der Tuberkulose. Bd. 103. 7

Fünfzehn Jahre Werkstättensiedlung für Tuberkulöse in Breslau-Herrnprotsch

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Beitr~tge zur Klinik der Tuberkulose. Bd. 103. S. 97--108 (1950).

Fiinfzehn Jahre Werkst~ittensiedlung fiir Tuberkul~se $

in Breslau-Herrnprotsch. Von

I-[ ELM UT MULLER~

(Eingeganyen am 16. A u n t 1949.)

Am 1. Jul i 1929 wurde in Breslau-Herrnprotseh die yon BRIV.~R in's Leben gerufene erste deutsche Werkst~ttensiedlung fiir TuberkulSse erSffnet, im Januar 1945 muBte sie mit der Ri~umung Breslaus aufgelSst werden. Im folgenden soll ein abschlieBender Bericht fiber die Erfahrungen dieser 15' Jahre gegeben werden. Da die objektiven Unterlagen leider den Kriegsereignissen zum Opfer gefallen sind, muff ich reich im wesentliehen auf einen allgemeinen Bericht beschr~nken, die wenigen Zahlen, die ich vor allem dem letzten Verwaltungsleiter der Siedlung und der Werkst~ttefi, Herrn E. OHLA~9, verdanke, kSnnen, da sie aus dem Ged~cht- his gegeben sind, nur unter Vorbehalt der MSglichkeit geringer Irrtfimer mitge- teilt werden.

Als BRI•CV.R den Plan seiner Werksti~ttensiedlung faBte, sehwebte ihm vor allem das Beispiel yon Papworth vor Augen, das der Herrnprotseher Einrichtung in mancher Hinsicht als Muster diente. Jedoch bestanden zwei wesentliche Unter- sehiede gegentiber dem englischen Vorbild. Erstens ist die Siedlung in Papworth allm~hlich aus der Mutterheilst~tte herausgewachsen, w~hrend die Siedlung in Herrnprotsch mit einem Male fertig hingestellt wurde. Der zweite ftir die Ent- wieklung des Unt~rnehmens wesentliehe Untersehied bestand darin, daft V~RIER- J o ~ . s sich weitgehend auf Mittel privater Wohlti~tigkeit stiitzte, wiihrend BRIE- fER 5ffentliche Mittel in Ansprueh nehmen mufte . Dadureh hatte V~RI~R-Jo~Es die MSgliehkeit, ungehemmt nach eigenem Gutdfinken zu schaffen, w~hrend bei der Gestaltung und Entwicklung der Herrnprotscher Siedlung auf die Wfinsche der geldgebenden Beh5rden, vor aIIem der LVA Schlesien, Riicksieht genommen werden muflte. Dem war es'wohl vor allem zuzuschreiben, daf sieh zwisehen Pap- worth und t terrnprotsch ein grunds~tzlicher Unterschied herausbildete. In Pap- worth bestand eine Dreiteilung �9 Krankenhaus- - , , Sanatorium" m Expatientensied - lung. Im Sanatorium befinden sich die erst teilweise arbeitsfahigen, noeh nicht s tabilisierten Patienten, noeh ohne Familien, wi~hrend in die Expatientensiedlung die Patienten erst anfgenommen werden, wenn sie so wei~ stabilisiert und arbeits- tRhig sind, dab sie sich und ihre Familien selbst erha!ten kSnnen. Herrnprotseh hatte nur die Zweiteilung: Krankenhaus--Siedlung. In die Siedlung wurden die Patienten noeh mit oftener Tuberkulose bei besehr~nkter Arbeitsf~higkeit auf- genommen. Die Siedlung war yon vornherein als eine Form der Asylierung Chronisch-Offentuberkul(iser geplant (Bm~.GE~, v. L~.GAT, HUCH) 1. Dies wird spiiter bei der Beurteilung des Erfolges dieses Versuches zu bertieksichtigen sein.

1 Die spi~tere Erweiterung dutch Bau einfacher Siedlungsh~tuser ftir Expatienten, die BRn~GER vorschwebte, ist nicht zustandegekommen.

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Zwei Dinge sind es, die der Tuberkulose vor allen anderen Krankheiten ihre besondere soziale Bedeutung geben. Sie t rennt den Erniihrer oder die Mutter oft lange Zeit yon der Familie u n d zerstSrt dadurch das Familienleben, und sie reiBt den Kranken aus seiner Berufsarbeit , zwingt ihn zu r Aufgabe oder zu immer wiederholter langfristiger Unterbrechung seiner Berufst/~tigkeit, dadurch wieder- um die Existenz der Familie gef/ihrdend oder vernichtend. Die Werksti~ttensied- lung geht diese beiden Hauptsozialprobleme der Tuberkulose zugleich an. Ihr Ge- danke fuBt weiter auf der Erkenntnis, dab selbst Arbeitstherapie in der Heilst~itte, die zu einer' erheblichen Kurverl/~ngerung zu fiihren pflegt, nur in einer beschr/~nk- ten Zahl yon F/illen Rezidiven vorzubeugen vermag, die in erschreckend hohem Prozentsatz auftreten, wenn TuberkulSse nach ihrer Heilst~ttenkur wieder unter die alten Arbeits- Und Lebensbedlngungen "kommen, die oft eine t tauptursache fiir ihre Erkrankung waren. Nur in ungeniigendem MaBe gelingt es den ftirsorge- rischen Bemiihungen, dem Kranken nach der tteilst/ittenkur sowohl wohnungs- wie arbeitsplatzm/iBig die Bedingungen zu schaffen, die zur Verhiitung eines Riick- falls notwendig sind. Das am schwersten zu 16sende Problem ist meist die gleich- zeitige E~iillung der Forderung giinstiger Wohnungsverh~ltnisse und eines kurzen Arbeitsweges. Unsere tIeilst~tt'enstatistiken (MAY, I%OLO~F u. a:) beweisen, daft die seit B~EHMER und ~)ETTWEILER allgemein gebr~uchliche Form der Tuberku- losebehandlung mittels der klimatisch-di~tetischen Heilst~ttenkur zus~itzlieh Kol- lapstherapie zumindest fiir die Sehicht der handarbeitenden BevSlkerung nicht ausreicht. Wenn wir ehrlich sind, mtissen wir zugeben, dab die einseitig~ Riehtung der Tuberkulosebehandlung dureh die Heilst~ttenkur Ergebnisse gezeitigt hat, die nicht den aufgewendeten riesigen Mitteln entsprechen. Mit den gleichen Mitteln w~ren sicherlich welt, giinstigere Erfolge erzielt worden, wenn sie differenzierte~ angewendet worden w~ren. Ich hoffe im Folgenden zeigen zu k6nnen, dab die Werkst~ttensiedlung fiir einen groI]en Teil der Tuberkulosekranken die ideale Be- treuung darstellt und eine groge Liicke in dem System der Tubbrkulosebehand- 'lungsmaBnahmen schlieBt.

Die Organisation der Siedlung. Die Werkst~ttensiediung in Breslau-Herrnprotsch bestand aus 32 Einfamilien-

h~usern in 4 Wohnblocks und 2 Ledigenheimen mit 35 Einzelzimmern. gedes Familienhaus hatte im ErdgesehoB 3 kleinere WohnrKume und 1 Kfiehe, im Ober= geschol] cin grSfleres Krankenzimmer mit LiegebaI~0n sowie eigenem Wasehraum und Klosett, ferner das gemeinsame Badezimmer der Familie. Die Wohnungen waren alle gleieh, was nicht den Pli~nen von B~xEG]~ entsprach, da keine R/iek- sicht auf die GrSfle der Familien genommen war. Dieser Umstand fiihrte auch bald dazu, dab es notwendig wurde, in die Familienh~user ledige Kranke als Unter: mieter aufzunehmen, soweit nicht mehr als 1 Kind vorhanden war. Einige Fatal: lienh/~user wurden sp~ter nur durch Ledige beleg~. Zu jedem Familienhaus gehSrte ein Garten. Die Ledigenheime, in denen auch die Kiiche, Speisesaal, Tagesraum, Schwesternzimmer und die N~hwerkstatt untergebracht waren, enthielten Einzel- zimmer mit Wandschrank und flieBendem Wasser. Bezfiglich Einzelheiten fiber Bau und Einrichtung der Siedlung verweise ich auf die Arbeiten yon BRIEO~R.

Die Siedlung befand sich in unmittelbarer N~he des St~dtischen Tuberkulose- krankenhauses, yon dem aus auch die gesundheitliche Betreuung erfolgte. Eigen-

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tiimer und Unternehmer war der Breslauer Verein zur Bek~mpfung der Tuber- kulose, die Mittel ffir den Bau wurden yon der LVA Sehlesien, der Reiehsver- sieherungsanstalt ffir Angestellte, der Allgemeinen Ortskrankenkasse Breslau und dem Reiehsarbeitsministerium als Darlehen gegeben. I)iese Art der Kostenauf- bringung ffihrte schon zu den ersten Schwierigkeiten. Die Stadt Breslau stelRe die Forderung, dab nut Breslauer Biirger aufgenommen werden diirften, nieht zum wenigsten aus der BeFtirchtung heraus, dal3 die S~adt dureh die Aufnahme Aus- w~rtiger in die Siedlung ffir dieselben ffirsorgepflichtig werden kSnnte. Die LVA Schlesien ihrerseits, die der Hauptkostentr~ger war, betrachtete die Unterbringung Ms InvMidenhauspflege und iibernahm dementsprechend die Kosten nur fiir In- validenrentner. Durch diese beiden Beschr~nkungen wurde der Kreis der in die Siedlung.Aufzunehmenden yon vornherein auBerordentlich eingeengt, so dab es zei~weise sehr sehwer war, t rotz 'der grol3en Zahl yon Kranken, die yore iirztliehen Gesiehtspunkt aus in Frage gekommen wiiren, ausreiehend geeigneten Nachwuehs zu linden. Andererseits hat te diese Beschriinktmg insofern aueh ihr Gutes, als es sich bei der Aufnahme zweifelhafter F~lle, die man kaum ffir geeignet gehalten h~tte, doeh reeht h~ufig herausstellte, einen wie giinstigen Einflul~ das iiul]ere und psychisehe Milieu der Werkst~ittensiedlung auf den Verlauf der Tuberkulose haben kann. So konnten wlr aus Grund dieser Erfahrungen allmiihlieh die Indikation ffir die Aufnahme weiter stellen. Ffir den Betrieb und. die Bilanz der Werkstiitten wirkten sieh diese Umst~hade allerdings nieht gfinstig aus, da sie mit einer groi]en Zahl wenig leistungsfs Kranker urtd mit h~ufigen Arbeitsausf~llen belastet wurden. In den Ietzten Jahren gelang es fibrigens, diese einschr~nkenden Bestim- mungen weitgehend zu lockern, besonders naehdem gekl~rt war, dal3 die tteimat- gemeinde fiir die.Aufgenommenen weiter fiirsorgepfliehtig blieb und nachdem die Tuberkulosehilfe der Provhlz weitgehend fiir die Niehtrentenempfiinger eintrat.

BRI~a~.R hat ausffihrlich dargelegt, wie in den ersten Jahren des Bestehens der Siedlung die Aufbringung der Kosten fiir die Unterbringung der Kranken und die Finanzierung der Werkst~tten erfo/gte. Die Eflmahmen fiir den einzelnen Kranken setzten sich aus zwei Posten zusammen, der Ffirsorgeunterstiitzung naeh den Richtsk:tzen des Wohlfahrtsamtes und dem Asylierungszusehul3 der LVA bzw. RfA, Bei letzterer kam unter Umstiinden n0ch ein drifter Teilbetrag hinzu, da Ruhegeldempf~nger der l~fA, deren Rente einen bestimrnten Betrag iiberstieg, einen Tell derselben zu den Kosten ihrer Unterbringung beisteuern muBten. Andererseits muBte bei Niehtrentenempfangern,-fOr die die LVA die Asylierungs- kosCen nicht iibernahm, der entspreehende Kostenanteil vom Gesundheitsamt ge- tragen werden. Auf diese Weise kam ein grol3er Unsicherheitsfaktor in dieFinanz- gebahrung der Siedlung, da die HShe der Einnahmen in den einzelnen F~llen starken Sehwankungen unterworfen war, wodurch ein einwandfreier Kostenvor- anschlag unmSglich wUrde. Auch erschwerte es die Wirtschaftsftihrung erheblich, dal3 die Leitung der Werkst~ttensiedlung es in jedem Falle mit mehreren Kosten- ~r~gern zu t u n hatte. So war es ein groBer Fortsehritt , daI3 es allmiihlich gelang, einen einheitlichen KosCensa~z zu schaffen und dahin zu kommen, daI3 die Ver- waltung der Siedlung in jedem Falle nur noch mit einem Kostentr~ger zu ver- rechnen hatte. Aueh der Untersehied zwisehen Ledigen und verheirateten Siedlern fiel weg, indem fiir die letzteren der gleiehe Verpflegungssatz wie fiir die Ledigen gezahlt und die Familie wie jede andere fiirsorgebereehtigte Familie behandelt

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100 HELmeT Mi)LLEB :

wurde. Der auf die Kost entfallende Anteil des Pflegesatzes wurde dem verheira- teten, der sich selbst verpflegte, bar ausgezahlt.

Nachdem die Stadtverwaltung darauf verziehtet hatte, den Haushal tsplan der Siedlung mit den Zinsen der ffir die Errichtung der Siedlung aufgenommenen Kapital ien zu belasten, konnte bei einem t~glichen Pflegesatz yon 3 . - - RM, wozu 0.20 R3I als Taschenge]d fiir die Siedler kam, ein vSllig .ausgeglichener E ta t erzielt werden, der in Einnahme und Ausgabe mit r lmd 88000 RM jiihrlieh bilanzierte.

Haushaltsplan 1944

Einnatzmen bei Belegung mit 80 Kranken

80X 365• 3,-- ---- 87 600 RM

A usgaben Verpflegung

80X 365X 1,60 . . . . . . . Medikamente usw . . . . . . . Lieht, Wasser, Heizung . . . . W~ehe und Reinigung . . . . Personal* . . . . . . . . . . Biiromaterial . . . . . . . . . RSntgenuntersuchungen . . . . Sonstiges (Geb~ude u. ttausrat)**

46720 RM 5000 RM 6000 ,, 5000 ,,

16000 ,, 1500 ,, 2500 ,, 5000 ,,

87 720 RM * ])as Personal setzte sich zusammen aus 1 Verwaltungsangestellten, der gleichzeitig Werk-

st~ttenleiter war, 1 leitenden Sehwester, 1 Ktiehenschwester, 4 Haus- und Ktichenange: stellten (Instandhaltung der Zimmer erfolgte durch die Siedler selbst) und 1 Heizer, der im Sommer als Gi~rtner t~tig war).

** Die Werkst~tten erseheinen nieht mehr im Haushaltsplan der Siedlung, da sie ohne Zu- sehiisse sieh selbst finanzieren (vgl. unten).

Als w~hrend des Krieges die H~lfte des Tuberkul0sekrankenhauses v0n der Wehrmacht in/~mspruch genommen war, wurde tines der Ledigenheime als Lan- de sbeobachtungskrankenhaus der Provinzialverwaltung zur Verfiigung gestellt und ein Familienwohnhaus ffir die Buehbindereiwerkstiitten verwende~, die bis dahin in Ri~umen des Krankenhauses untergebracht waren. Ohne diese Beschr~n- kung h~tte die Zahl der Siedler, die zuletzt 78 betrug, auf etwa 100 erhSht werden k6nnen.

Schon in den ersten Jahren des Bestehens der Siedlung zeigte es sieh, dab das Problem fiir Verheiratete viel schwieriger war als f'fir die Ledigen. Das lag eiffmal bei der Frage der Finanzierung. Es war natfirlich viel giinstiger, wenn der gleiche Wohnraum, den eine Familie in Ansprueh nahm, in der fiir ein Familienmitglied der AsylierungszuschuB gezahlt wurde, yon 4 bis 5 ledigen Kranken belegt wurde, die s~mtlieh den Asylierungszusehu6 erhielten. Ferner waren Hemmungen gegen- fiber der Aufnahme in die Siedlung, die kS bei Ledigen kaum gab, bei Verheirateten eher vorhanden aus den Bedenken heraus, dab sie in Anbetrach~ der grol~en Wohnungsnot in Breslau beiAbschlu6 des Siedlungsaufenthaltes keine befriedigende Wohnung bekommen wfirden, obwohl jedem seitens der Stadtverwaltung eine Wohnung garantiert wurde, die der frfiher bewohnten mindestens gleichwertig sein wfirde. Grol3e Schwierigkeiten entstanden, wenn beim Ableben eines Kranken naeh einer angemessenen Frist der Familie die Wohnung gekfindigt wurde, da diese sich in den meisten F~llen trotz vertraglieher Verpfliehtung weigerte, die so giinstige und ffir sie billige Wohnung zu r~umen. In einzelnen F~llen waren Zwangsmal3nahmen nicht zu vermeiden.

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Ein weiteres Problem entstand, wenn die Ansteckungsl~ghigkeit und damit der Grund zur Asylierung beseitigt war und aueh InvaliditAt im Sinne des Gesetzes nieht mehr vorlag, aber doeh noeh nicht eine so weitgehende Ausheilung oder Stabilisierung erreieht war, dab die Entlassung in das freie Wirtschaftsleben .ohne Gefahr eines Rezidivs mSglieh gewesen ware. Wir waren hier auf eine groBziigige Auslegung der Begriffe Asylierung und InvaliditAt seitens der LVA bzw. RfA an- gewiesen, die anerkannten, dab die Mittel ffir eine jahrelange Kur in der Siedlung nur dann gerechtfertigt seien, wenn dieselbe im Falle giinstiger Entwieklung zur Dauerheilung fiihre, und dab ein etwaiger Riickfall ungleich hBhere Mittel erfor- dern wiirde als ein weiteres Jahr Siedlungsaufenthalt. YJbrigens wurden die tat- siiehlich aufgewendeten Mittel ja geringer, wenn der Patient eine 6--Sstfindige tAgliche Arbeit leistete, aueh wenn diese Mehrarbeit nur der Bilanz der Werk- stAtten zugute kam.

Die Werkstdtten.

Die Ergebnisse der mannigfachen Versuche mit Arbeitsbehandlung Tuberkulose- kranker in den verschiedensten LAndern hatten gezeigt, daB, soweit es sieh um Hand. arbeit handelt, in erster Linie handwerkliche Berufe geeignet sind unter mSgliehst weitgehender Benutzung yon Maschinen. Hier konnte man vor allem auf den Er- fahrungen yon VARRIER-JoNv.S und Vos aufbauen. Die Voraussioht, dab man sich wiirde in erster Linie auf solche Betriebe stfitzen mfissen, die ffir den Bedarf der groBen Krankenanstalt arbeiten kBnnten, der die Siedlung angeschlossen war, und der Umstand, dab kleinere WerkstAtten dieser Art bereits bestanden, veranlaBte BRIEO~Ir dazu, zunAehst f'tir die MAnner eine Schlosserei und eine Tisehlerei und ffir die Frauen eine Nii~lwerkstatt einzuriehten. Dazu kam noch ftir kBrperlieh wenig leistungsi~&hig~ MAnner eine Buchbinderei. Es wurde erstrebt, diese .Werk. stgtten sioh selbst erhaIten zu lassen, d. h. zu erreiehen, dab ihre Einnahmen nach Abzug der Betriebsausgaben die gezahlten LBhne bzw. Tasehengelder deekten. Die Entlohnung erfolgte anfangs in der Weise, dab ftir Verheiratete tarifliehe StundenlBhne gezahlt wurden, wAhrend die ledigen Kranken Tasehengelder er. hielten. Bei der Art der Entlohnung muBte auf die Vorsehriften des Wohlfahrts- amts Riieksicht genommen werden, das ja die UnterstfitzungssAtze trotz des Vet. dienstes der Kranken weiterzahlte, um i.hnen einen ausreiehenden Lebensstandard zu siehern, abet fiir den Verdienst natiirlieh eine obere Freigrenze festsetzte. Wurde 4iese fibersehritten, was in Ausnahmei'allen gesehah, so fiel die Fiirsorge- unterstiitzung weg. Die Bilanzierung der Einnahmen und Ausgaben gelang bei der Nhhwerkstgtte, die selbstAndig wirtsehaftete, ohne Sehwierigkeiten. Die Tasehen- gelder (es handelte sieh durehweg um alleinstehendo Frauen) wurden naeh MaR- gabe der erzielten L?bersehtisse gezahlt, wobei bei 2-4stiindiger Arbeit Tasehen- gelder yon 9.0 40 RM mona~lieh erarbeite~ wurden, die naeh der Leistung abge- stuff wurden. Die iibrigen WerkstAtten benBtigten jedoeh einen ZusehuB zu den LBhnen yon rund 10000 RM jiihrlieh, der groBenteils dadurch bedingt wurde, dab durch die erst umzuschulenden Kranken naturgemAI] weniger produktive Arbei~ geleistet wurde, diese aber dennoch die vollen L5hne bzw. Tasehengelder erhielten. Diese Unterbilanz der Werkstgtten far MAnner war im iibrigen zum wesentliehen Teil dutch die Buchbinder~i beding~, in dernur wenig leistungsf'ahige Kranko be- sehAftigt waxen, die sAmtlieh erst umgesehult werden muBten, wghrend Sehlosserei

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und Tischlerei unter Berficksichtigung der Anlernzuschfisse eine ausgeglichene Bilanz aufwiesen. Allerdings war dies keine ausgeglichene Bilanz im kaufm~n; nischen Sinne. Es fehlte der Unternehmergewinn, die Amortisation der Masehinen (die gespendet waren), die steuerliche Belastung usw. Als freies Wirtschaftsunter- nehmen h~tten die Werkst/i t ten natfirlieh nicht bestehen kSnnen. ]~berhaupt war der Betrieb anfangs keineswegs nach kaufm~nnisehen Gesiehtspunkten aufge- zogen.

In den sp/iteren Jahren hat sich dies allerdings ge/indert. ~Vir sind dazu fiber- gegangen, den ganzen Betrieb nach streng kaufm/innisehen Gesiehtspunkten um- zuorganisieren, einmal um eine klare Ubersicht fiber die wirkliche Leistung zu er- halten, zum anderen weil wir bei der zunehmenden Zahl yon Patienten aus kauf- m/~nnischen Berufen in dem erweiterten Bfiro eine berufliche Schulung ffir diese Kranken durchffihren wollten. So wurde der Biirobetrieb, der sich des Hinz- Karteisystems bediente, bewuBt grSi3er aufgezogen, als es dem Umfang des Be- triebes entsprach. Er umsehlol~ auch die genaue karteim~il~ige Erfassung aller nieht die Werkst~t ten betreffenden Lebensvorg/inge (/~rztliehe Kontrollen, LebensmR- telverwaltung u. a.) und schaffte uns so ein ausgezeichnetes 1V[aterial, dessen Aus- wertung uns lehrreiehe Aufsehliisse fiber alle Fragen der Arbeitsbehandlung und des TuberkulSsensiedlungsproblems gegeben hi~tte, wenn es nieht leider den Kriegs- ereignissen zum Opfer gefallen w~re. Dal~ dieser Weg richtig war, beweist der Urn- stand, da$ es trotz des groBen Verwaltungsapparates gelang, im Jahre 1944 bei einem U m s a t z der Werkst/~tten yon 30000 R1K nach Vornahme reiehlicher Ab- schreibungen fiir Maschinen und Werkzeuge sowie Aussehiittung einer Weihnachts- gratifikation an alle in den Werkst~tten Beseh~ftigten noch einen buchm~il3igen Gewinn yon 3600 R1V[ zu verzeiehnen.

Did urspriinglich eingerichteten Werkst/~tten wurden, da sig sich bewKhrten, bis zum Schlu$ beibehalten, ffir die Sehlosserei kormte jedoch ein wesentl~eh grSi~erer Raum eingerichte~ und aueh die Tischlerei vergrSBert werden. Der Buchbinderei, die sieh w~hrend des Krieges stark entwickelte, wurde schliel~lieh ein ganzes Familienhaus zur Verffigung gestellt, und bei der N~herei muBten wit zeitweise zur Arbeit in zwei Sehiehten fibergehen. In der Art der Fertigung t ra t im Laufe der Jahre eine Verschiebung ein, zum Teil dureh den Krieg bedingt. Die Arbeit in den einzelnen Werkst~t ten nahm in groi~en Zfigen etwa folgende Entwieklung:

In der Schlosserei muBte infolge P~tentschwierigkeiten die I-Ierstellung yon Stahlrohr- mSbeln bald ganz aufgegeben werden, sie stellfr sich immer mehr auf Krankenhausbetten, fiir

�9 die auch die Zugmatratzen in alien Einzelteilen selbst hergestellt wurden, Liegestfihle, Nach~- stiihle eines eigenen l~Iode]ls, Garderobenst~inder ftir st~tdtisehe Bfiros, Instrumententische und i~hnliehes um. Ein besonderer Sehlager war ein eigener Entwurf eines Bettisches, der durch einen einfachen Handgr'fff aus einem Ell- und Lesetisch in einen Waseh- und Frisier~isch urn- gewandelt werden konnte. Wahrend, des Krieges ging diese Werksti~tte, die sich bis dahin be- sonders vielverspreehend entwiekelt hatte, leider sehr zurfick, weft die Materialbeschaffung (Eisenseheine) immer schwieriger wurde und einige Kranke dutch die verloekenden Verdienst- m6gliehkeiten in der Rfistungsindustrie sich bestimmen lieBen, die Siedlung vorzeitig zu ver - ] a s s e n .

Die Tischlerei konnte im Laufe der gahre maschinell ausgezeiehnet ausgestattet werden, selbst im Kriege gelang es noeh, einige wertvolle Maschinen zu erwerben, so da6 die Werkstatt zuletzt fiber Bands/ige, Kreiss/~ge, Dicktenhobelmaschine, Zapfenschneidemaschine, Putz- maschine sowie drei Hobelb~nke mit allem erforderliehen Werkzeugverffigte, was sich auf die Rentabilit/~t sehr gfinstig auswirkte. Die Fertigung yon S~rgen wurde, obwohl sie sieh gut be-

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wiihrt hatte, zugunsten lohnenderer Herstellung yon Gebrauehsm~beln eingestellt. Zuletz$ wurden vor allem Aktenst~nder, Biirosehreibtische, Sehr~nke und Tische gefertigt.

Die Buchbinderel wurde wRhrend des Krieges stark erweitert und ~uch maschinen besser ausgeriistet. Neben dem Einbinden der Biicher fiir die Krankenbficherei des Tuberkulosc. krankenhauses, ffir die Xrztebibliotheken der st~dtisehen Krankenhauser und einiger Heil- s~tten aus verschiedenen Teilen Deutsehlands, die uns in dankenswerter Weise unterstiitzten, wurde sie w~hrend des Krieges weitgehend auf Fertigung yon Filmhtillen fiir Krankenhltuser und Lazarette umgestellt und war his zuletzt mlt elner Besetzung yon durchsehnittlich 15 Kranken gut beschRftigt. Obwohl gerade hier meist sohwerer Kranke, wenig leistungsfahige Patienten eingesetzt waren, konnte sie ihre Bilanz st~ndig verbessern. Dabei wurde eine yon allen Abnehmern anerkannte gute Qualit~tsarbeit geleistet, obwohl in dieser Werkstatt nie ein gelernter Buchbinder gearbeitet hat. Der erste Leiter war ein Oberkellner, der kurze Zeit yon einem Buchbindermeister angelernt worden war.

Die Ndi]~erel war w/ihrend der ganzen Zeit des Bestehens der Siedlung stets mit Ausbesse. rung und vor allem Neuanfertigung yon Krankenhausbekleidung und -wfi~ehe ffir alle st~td- tischen Krankenanstalten yell besehi~ftigL sie war unter anderem mit 7 elektriseh betriebenen Nahmaschinen, einer Knopflooh- und einer Endelnmasehine ausgestattet.

Eine Polstereiwerkstatt wurde unterhalten, solange eine Fachkraft hierfiir unter den Patien- ten zur Verffigung stand, um die ~ t r a t z e n der Betten und Liegestiihle instandzuhalten und die bei der M6belanfertigung anfallenden Polsterarbeiten auszuffihren.

Dureh die Fris6rstube wurden selbstverstRndlieh nur die Patienten der Siedlung und des Tuberkulosekrankenhauses versorgt. Femer war eine Anzahl yon Kranken im Biim der Sied- lung, als Sekret~rin des leitenden Arztes, als Heizer usw. tatig,

Der Umstand, dab das Tuberkulosekrankenhaus wegen Beanspruehung eines Teiles der GebRude dureh die Wehrmacht wRhrend des Krieges die'Bettenzahl reduzieren mullto, fiihrte zu einer vermehrten Aufnahme yon schwerer Kranken, weshalb yon 78 Siedlern 1944 nut noeh 40 in den WerkstRtten beschRftigt werden konnten gegenfiber 48 yon 79 im Jahro 1936. Die Zahl der Arbeitsstunden stieg trotzdem yon 45400 im Jahre 1936 auf 48000 im Jahre 1944. Die vor ahem kriegsbedingte Umstellung der Werkstatten zeigt sich in der Verteilung der Patienten auf die einzelnen Betriebszweige:

Schlosserei . . . . . . . . . . . Tischlerei . . . . . . . . . . Buchbinderei . . . . . . . . . N/~herei . . . . . . , . . . . FrisSrstube . . . . . . . . . Polsterei . . . . . . . . . . . Biiro . . . . . . . . . . . . Sonstige . . . . . . . . . . . .

1936 1944

1

1~ 159 2 1 2 ~ 4 9 5 2

48 40

Die Umste l lung auf eine Arbeitsweise naeh rein kaufmannischen Gesichts- punk ten brachte giinstige Auswirkungen auf die erzielten Ums~tze und Ertri~ge. W a h r e n d 1936 bei einem Umsatz yon 18000 RI~ und L6hnen yon 13000R1~ ein ZuschuB yon 7000 RY[ erforderlieh war, konnte 1944 ein Umsatz yon 30000 RM erzielt werden, aus dem nach Ausschi i t tung yon 14600 RM an L~hnen und Ab- schreibungen yon 1500 RM noeh ein Gewinn yon 3600 RM erzielt wurde. Der Um- satz pro geleistete Arbei tss tunde stieg yon 0.394 RM im Jahre 1936 auf 0,625 RM im Jahre 1944, der Betriebsertrag yon 0,24 auf 0,40 RI~I, die durchschni t t l ieh er- arbei te ten L6hne yon 0,132 auf 0,304 RI~I. Zweifellos ha t te sieh das Ergebnis noeh giinstiger gestal tet , wenn un te r normalen Verhaltnissen eine stetigere und voll- sti~ndigere Besetzung der Werkst i i t ten und damit eine bessere Ausni i tzung ihrer wesentlieh grSSeren Kapaz i t a t mSglieh gewesen ware.

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2i'rztliche Betreuung und Kurer/olge.

Die ~rz{liche Versorgung der Siedler und ihrer Familien wurde durch die Arzte des Tuberkulosekrankenhauses durchgefiihrt. Im allgemeinen erfolgte einmal monatlich eine Kontrolle, die sich auf klinisehe Untersuchung, RSntgenunter- suchung, Auswurfuntersuchung, Gewichtskontrolle und Blutsenkungsbestimmung erstreckte. Darfiber hinaus wurden weitere Untersuchungen nach Bedarf ~'orge- nommen. Dabei bin ich besonders meiner Mitarbeiterin Frl. Dr. A. DWUCV.T zu Dank verpfliehtet, die wiihrend meiner Behinderung in den Kriegsjahren die Be- treuung in vorbildlicher Weise wahrnahm. Die Krankengeschichten s~mtlicher bis zum Kriegsbeginn durch die Siedlung gegangener Kranker sind yon meinem Mit- arbeiter I~OMBHOLZ durchgearbeitet und statistisch ausgewertet worden, leider sir/d diese wertvollen Unterlagen bei der Belagerung Breslaus verlorengegangen, da Herr K. im Felde stand. Ieh muB reich daher auch in dieser Hinsicht auf eine allgemeine Bespreehung der Ergebnisse beschrgnken. Will man die in der Werk- st~ttensiedlung erzielten Heilerfolge beurteilen, sO muB man zun~chst berfiek- sichtigen, dab es sich fast durchweg um OffentuberkulSse handelt, die zur Zeit ihrer Aufnahme Invalide ira Sinne des Gesetzes waren, sogenannte Asylierungs- f~lIe, die zum fiherwiegenden Tell nicht mehr heiIst~ttenf~hig anzusehen waren. Fast alle hat ten doppelseitige, kavernSse Pr0zesse. Es ist daher selbstverst~ndlich, dab ein nicht unerheblicher Tell naeh kiirzerem oder li~ngerem Siedlungsaufent- halt seinem Leiden erlag. Was aber ffir die Beurteilung entscheidend ist, sind fol- gende Feststellungen, die bei diesen F~llen gemacht werden konnten:

1. Die Lebensdauer wurde im Durchschnitt durch die Werkstiittenarbeit nieht verktirzt sondern' unserer Uberzeugung nach verl~tngert, well durch die Arbeit der Lebenswille gesteigert oder andere giinstige biologische Reaktionen ausgelSst wurden.

2. Die letzten Lebensjahre waren ffir diese Kranken nieht qualvolles, hoff- nungsloses Dahinsieehen, sondern lebenswertes Leben. Die meisten yon ihnen arbeiteten bis in die letzten Wochen und waren dabei zufrieden, sie merkten gar- nieht, wie nahe ihr Ende war. Von einer Zauberbergatmosphi~re war keine Spur zu merken.

3. Soweit es sich um verheiratete Kranke handelte, hatten sie das Gliiek bis zuletzt bei ihrer Familie bleiben und das Gefiihl fiir sie sorgen zu kSnnen, ohne dab sie diese wesentlieh gei'~hrdeten.

4. Anstatt nur der 5ffentlichen Ffirsorge anheimzufallen, leisteten sie noch eine gewisse produktive Arbeit.

5. Das Ziel der Absonderung wurde im Gegensatz zu den Erfahrungen in den sonstigen Asylierungsanstalten zumindest in den Vorkriegsjahren in fast allen F~tllen yell erreicht, da sie entweder bis zum Tode in der Werkstiittensiedlung blieben, oder in den letzten Wochen vor dem Tode in das Krankenhaus verIegt wurden. Dadurch wurden aueh erhebliche Ersparnisse an Krankenhauskosten er- zielt.

Ein in Anbetraeht des Umstandes, dab es sich fast durehweg um F~lle handelte, die als nieht heilst~ttenf~hige Invalide aufgenommen worden waren, iiberraschend hoher Prozentsatz yon Kranken wurde so welt wiederhergestellt, dab sie naeh

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einigen Jahren als yell arbeitsf~hig entlassen werden konnten, natiirlioh entseucht, und eine vollwertige, gut bezahlte Arbeit fiber l~ngere Jahre beobachtet voll aus- gefiillt haben, ohne dab eine Reaktivierung eingetroten w~re. So war der erste Loiter der Schlossereiwerkst~tte im Alter yon otwa 45 Jahren mit einer kleinapfel- groBen Terti~rkaverne aufgenommon worden. DIe Kaverne versehwand ohno aktive Therapie w~hrend schwerer kSrperlicher Arbeit von zuni~ehst 4 Std tiiglieh allmi~hlich vSllig und konnte bei 15j~hriger Beobaehtung nie mehr naehgewiesen werden. Naeh fast zehnj~hrigem Siodlungsaufenthalt wurde or entlassen, um in den Linke-Hofmann-Werken einen Werkmeisterposten zu fibernehmen, naeh weiteren 5 Jahren keinerlei Krankheitserscheinungen.

Bei der Sehwero der Krankheitsprozesse ist es erkl~rlieh, dab Ausf~lle wegen Krankheit in den Werkst~tten h~ufig vorkamen. Durchschnittlich arbeite~en 60~/o der in der Siedlung untergebrachten Kranken mit einer Durchsehnittsarbeitszeit yon 24 Std w6ehentlieh. Es ist ohne weiteres zuzugoben, dab dieser Anteil fiir eine Werkst~ttensiedlung unbefriedigend ist; bedingt ist dies:in erster Linie daduroh, dab wir, wie sehon erw~hnt, in der Auswarll der Kranken starken biirokra~isehen Hemmungen unterworfen waren. Es ist ver allem auch zu berficksichtigen, dab es sieh bei der Siedlung in HerrnlJrotsch nieht urn eine Arbeitsheilst~tte im Sinne yon DORN oder eine Naehkureinriehtung wie den Waldhof der LVA Schlesien sondern um eine Form der Asy]ierung hande]te. Trotzdem w~re es uns unter nor. malen Bedingungen zweifellos m6glich gewosen, aueh bei Offentuborkul6sen den Anteil dor arbeitenden Kranken auf 80% zu halten.

Sind wir so bereehtigt, die Frage naeh der Erreiehung der Ziele der Werko st~ttensiedlung in Bezug auf den Krankon selbst durehaus zu bejahen, so ist ffir die verhoirateten Siedler noeh zu untersuehen, ob das Ziel der Asylierung innerhalb der Familie erreieht ist. In den 15 Jatlren ihres Bestehens haben rund 100 Kinder in der Siedlung gelebt, yon denen etwa 15 dort geboren wurdon. Die yon drauBen aufgenommene~ Kinder waren s~mtlich schon vorher infiziert, die in der Siedlung geborenen zeigten naeh kiirzerer oder l~ngerer Zeit gleichfalls s~mtlich positive TuberkuIinreaktionen. Zwei Kinder sind an einer Meningitis gestorben, in 4 oder 5 F~llen wurden Heilst~ttenkuren durchgefiihrt, die fibrigen Kinder blieben klinisoh gesund. Erkrankungen bisher gesunder Ehegatten an Tuberkulese wurden nicht beobaehtet. Wenn wir somit aueh nieht den hundertprozentigen Erfolg yon Papworth verbuchen konnten, so glaube ieh doeh unter Berfieksiehtigung des sehwereren Krankengutes das Ergebnis als befriedigend bezeiehnen zu diirfon.

Zusammen]assung der Ergebnisse und Ausblicb.

Dutch die Werksti~ttonsiedlung f'tir Tuberkul6se in Breslau-Herrnprotsch sind in den 15 Jahren ihres Bestehens etwa 670Kranke gegangen, die durchschnittliche Belegung betrug 80, die durchsehnittliche Aufenthaltsdauer 25 Monate. Es han. delte sieh durchweg um offene, i. S. d. G. invallde Kranke. 121 (21%) der Kranken konnten als geschlossen und voll arbeitsf~hig entlassen werdon, 182 (31%) starbon, 48% wurden in andere Anstalten verlegt odor vorzeltig entlassen. Diese Zahlen gebon ins0fern ein falsohes Bild, als der hobo Prozentsatz der Verlegungen und vor- zeitige Entlassungen nur durch die Kriegsverhiiltnisse bedingt war. Vor dem Kriege kamen Entlassungen vor Erreichung dos Siedlungszieles kaum vor.

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Die WerkstEtten konnten im Laufe der Zeit zu wirtschaftlich gesunden Be- t r ieben ausgebaut werden, die den Kranken ein angemessenes. Entgelt ffir ihre Leistungen zu zahlen in der Lage waren, ohne noch Zusehiisse zu benStigen. WEre die Entwicklung nicht dureh den Krieg unterbroehen worden, so were es zweffellos gelungen, die Betriebe weiter auszubauen und ihre Wirtsehaftlichkeit zu verbes. sern sowie eine Expatientensiedlung im Sinne von Papworth anzusehlieBen.

Ich bin mir dariiber im Klaren, da$ dieser Beitrag zur Tuberkulosebek~tmpfung nut einen Tropfen auf einen heigen Stein bedeutet. Er "soll nur als Versueh ge- wertet werden, bei dem es galt nachzuweisen, dab es m6glich ist, ehronisch Often- tuberkul6se in einer Siedlung zu asylieren - - bei Verheirateten innerhalb tier Fa- m i l l e - und sie dabei in WerkstEtten zu besehEftigen, ohne sie gesundheitlieh zu sch~digen und ohne tier Allgemeinheit mehr Kosten aufzubfirden, als dutch die bisher fibliche, abet weniger wirkungsvolle Form der Betreuung entstanden w/tren. Der Beweis ist meines Erachtens erbraeht. Unsere Ergebnisse kann ieh folgender- mal~en zusammenfassen:

1. Der in Herrnprotseh begangene'Weg der Werkst~ttensiedlung bringt den Kranken keine gesundheitliehe Schadigung sondern nut eine FSrderung, soweit es sieh um noeh besserungsgahige F~ille handelt.

2, Er bietet den Kranken ein lebenswertes Leben, das in jedem Falle den Vor, zug verdient vor der Form des Daseins, dem sie sonst iiberantwortet w~ren. Vielen yon ihnen gibt er iiberhaupt die einzige MSgliehkeit wieder zu einer v611igen Ge- sundung und dauernder Wiedererlangung roller Erwerbsf~higkeit zu gelangen.

31 Er bewahrt das Familienleben der Kranken vor der Zerriittung.

4. Er l~ostet die 5ffentliehe Hand weniger als die bisher iibliche Form der Be- treuung.

5. Er schafft produktive Werte.

Wenn auch nur ein beschrEnkter Teil der Tuberkulosekranken fiir diese Art der Betreuung in Frage kommt und die Werkst~ttensiedlung nut einen Tell des Ge- samtproblems darstellt, in dessen Rahmen sie hineingestellt werden mug, so handelt es sieh doeh gerade bei dem hier in Frage kommenden Personenkreis um diejenigen, deren Versorgung sieh bisher als sehwierigste erwiesen hat und am unbefriedigendsten gelSst War. Diese Kranken waren entweder, immer wieder yon kostspieligen Heilst~tten- und Krankenhausaufenthalten unterbrochen, innerhalb der Familie bis zu ihrem fast unabwendbaren Tode untergebraeht, wirkten daher ungeachtet der hohen ffir sie verwendeten Geldmittel jahrelang als Seuchenquellen und bewirkten oft genug den sozialen Abstieg ihrer Famflien, oder sie sieeh~en jahrelang in einem kleinen Krankenhaus oder Helm dahin, wo sie nut als Last empfunden wurden and sieh selbst empf inden mullten, niemand zur Freude und sich. selbst zur Qual. Niemand, der diese Asylierungsabteilungen in kleinen Pro- vinzkrankenhausern gesehen hat, wird sieh des Eindrueks haben erwehren kSnnen, dal~ diese Form der Seuehenbek~mpfung dem Begriff der HumanitEt H o h n spraeh. Es ist mir noch heute nicht m~glieh zu verstehen, dab so wenig Versuehe gemaeht worden sind, dieses Problem energisch einer L6sung entgegenzuffihren. Und die einzige L6sung des Asylierungswoblems ist die Siedlung mit Arbeitsm6glichkeit, sei es mit oder ohne Familie. Diese'Form der Asylierung ist mit den gleichen Kosten m6glieh wie die bisherige Asylierungsform, ja sie ist am Erfo]g gemessen billiger

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Fiinfzehn Jahre Werkst~tttensiedlung fiir Tuberkul~Sse. ]07

als diese. Sie ist iiberall durehffihrbar, fiir die GroBstadt wie fiir den Landkreis, nm' die Wege miissen den jeweiligen 5rtliehen Gegebenheiten gemiil] variiert werden.

Jedem Tuberkulosekrankenhaus und jeder tteilstEtte k6nnen, r~umlieh ge- trennt oder benaehbart, Ledigenheime angegliedert werden, und ebenso k6nnen im Anschlu8 an diese Ledigenheime Wohnsiedlungen f'tir Familien erriehtet werden. Heute, we sowieso in grol3em Maflstabe Siedlungen gebaut werden miissen, ist es vGllig gleichgiiltig, ob ein Teil derselben in der N~ihe einer Tuberkuloseanstalt oder sonstwo gebaut wird. Jede Stadtgemeinde und jeder Landkreis kann, ohne die fiir Wohnbauzweeke aufzubringende Summe Wesentlieh zu erb6hen, einen Teil davon f'tir solehe Siedlungen auswerfen mit in Hinblick auf die Bekiimpfung der Woh. nungsno~ gleichem Erfolg, da die in die Tuberkulosesiedlung aufzunehmenden Familien ja anderweitigen Wohnraum freimaehen, u n d e r wird dabei noeh sparen, da aufl/ingere Sicht gesehen erhebliehe Summen ftir Heilst~ttten. und Krankenhau.s- behandlung fortfallen. Es hleBe aber einen falschen, bereits in friiheren Jahrzehnten erfolglos begangenen Weg erneut beschreiten, wollte man planlos einzelne Sied- lungsh~user ffir TuberkulSse in Wohnsiedlungen einstreuen oder solehe Tube rku - losesiedlungen bauen, bei denen nieht an die i~rztliehe Betreuung und vor allem an Arbeitsm6glichkeiten gedach~ ist. Mit anderen Worten, diese Siedlungshiiuser mtissen unbedingt in der 5Tachbarschaft einer Tuberkuloseanstalt liegen, die Werk- sti~ttenbetriebe besitzt, entsprechend dem Papworth.System. Es sind bishor ver- sehiedenste Wege der LSsung des Problems versucht worden, nut einer hat sich bewiihrt, das Papworth-System, wie es in modifizierter Form in Deutschland erst- malig in Breslau-tterrnprotseh zur Durchfiihrung gekommen ist. Man hiite sich darer von Neuem z u experimentieren und baue auf den Erfahrungen der Ver- gangenheit auf.

Ein Hemmsehuh fiir den Bau yon Tuberkulosesiedlungen mag es gewesen sein, dal3 man glaubte, fiir solehe Wohnungen besonders hohe Anspriiehe in sanit~rer Hinsieht stellen zu miissen. Das ist durchaus nieht notwendig. Die aufgeloekert~ Wohnwei~, der Auslauf, den die Kinder in der Siedlung haben, erm6gliehen aueh in der normalen Wohnsiedlung eino praktiseh ausreiehende interfamiliare Absonderung, insbesondere wenn bei dem engen Ansehlu8 an die Tuberkuloseans~alt eine intensive Betreuung durch eine geeignete Sehwester durchgefiihrt werden kann.

Es ist auch ein immer wieder naehgebetetes Vorurtefl, daft did Kranken nicht in eine solche Siedlung gehen wollten, das Gegenteil is~ der Fall. In eine reine fiir Tuberkulosekranke reser- vierte Wohnsiedlung und vor allem in in normale Siedlungen eingestreute Tuberkulosewoh- nungen gehen sie ungern, well sie hier unter Gesunden wohnen, unter denen sie sich diffamiert fiihlen und auch sind. In unsere Werkstattensiedlung gingen sie gem, well sie wuflten, daft sie besser daran waren als in ihren Stadtwohnungen und well ja alle Naehbarn ebenfalls Tuber- kulosekranke waren, so dab das Gefiihl des Diffamiertseins nieht aufkommen konnte, vor allem abet, weft sie dort eine Arbeit fanden, bei der auf ihre Leistungsfi~higkeit Riicksieht genommen wnrde. Wohl gab es im Anfang gewisse Sehwierigkeiten beim Schulbesuch der Kinder und beim Einkauf in den L~den des benachbarten Dorfes, aber das hat sieh sehr bald gegeben, und es hat sich nieht feststellen lassen, dab im Doff etwa nach Errichtung der Siedlung die Tuberkulose- infektionen zugenommen h~tten.

Wenn man wie ieh in Schlesien, we man seit langem der Frage der Asylierung chronisch TuberkulSser besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, Gelegenheit hatte, wohl alle Formen der Afistaltsasylierung. kennenzulernen und daneben 15 J ah re lang die Asylierung in der Siedlung durehzufiihren, so wird man niemals den Unterschied zwischen dem trostlosen Leben in den Asylierungsanstalten und dem Geist, der in der Werkst~ittensiedlung herrschte, vergessen kSnnen und sieh

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108 HELMUT MiYLLER: Fiinfzehn Jahre Werkst/~ttensiedlung fiir TuberkulSse.

s tets mi t aller Leidenschaf t fiir die LSsung dieses wahren Humani t~ t sprob lems ein-

setzen. E ine sp~tere Zei t wird DoR~, der als erster in Deutsch land diesen Ideen

GehSr verschaffte, und BRIEGER, der sie in die Ta t umsetzte , Dank zollen als den

Pionieren auf einem schweren Wege, der eines Tages allen Tuberkuloses ah

eine Selbstverst~ndlichkei t erscheinen wird.

L i t e r a t u r .

BRIEGER, E. : Amtl. Nachr. Vorst. Landesv.-anst. Schlesien 16, 194 (1927). - - Med. Welt 1927, 657. - - Z. Tbk. 82, 354; 83, 343. - - Tbc. Bibl., Nr. 33. - - Tbc. ffirs, bl. 17, Nr. 5 (1930). - - DORN, E. : Zbl. ges. Tbc. forschg. 30, H. 11/12. - - Beitr. Klin. Tbe. 89, 768; 97, 42. -- HueH: Inv. Vers. 2, Nr. 4. - - LEGAT, V. : Amtl. Naehr. Vorst. Landesv.-anst. Schlesien 16, (1927). - - MULLER, H. : Z. Krk .hauswes . 1938, H. 1.

Dr. reed. habih HELMUT M U L L E R , Lenglem fiber G~tfingen, Tbc-Krankenhaus.