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1 f(x) Literatur DER SCHRIFTLICHE FILM APARTMENTSTORY 1. Szene ································································ Ein Schlafzimmer 2. Szene ······························································· Zwei trennen sich 3. Szene ·························································· Drei Teile eines Tages 4. Szene ····················································· Vielfach begehrte Kultur 5. Szene ········································································ Fünf Farben 6. Szene ············································································ Die Praxis 7. Szene ·································· Identifikation, Spaltung & Projektion 8. Szene ············································································· Leviticus 9. Szene ························································ Zeit der Feindseligkeit 10. Szene ·········································································· Levitation

F(x) Literatur

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Der schriftliche Film | Die Funktion der Literatur

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  • 1f(x) LiteraturDER SCHRIFTLICHE FILM

    APARTMENTSTORY

    1. Szene Ein Schlafzimmer

    2. Szene Zwei trennen sich

    3. Szene Drei Teile eines Tages

    4. Szene Vielfach begehrte Kultur

    5. Szene Fnf Farben

    6. Szene Die Praxis

    7. Szene Identi kation, Spaltung & Projektion

    8. Szene Leviticus

    9. Szene Zeit der Feindseligkeit

    10. Szene Levitation

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    R OTORENGERUSCHE EINES ALTEN Flugzeuges. Die Kamera liegt auf dem Rotor des Flugmotors. Leichtes Sthnen, meint leidvolles Jam-mer-Sthnen, kein Schluchzen aus dem Hintergrund. Plas-tik-Lamellen einer Jalousie ffnen sich. Eine fremde Hand, die einen Stock aus Plastik dreht. Das Sthnen versiegt. Oranges Licht tritt in den Raum. Die Kamera geht in die Totale.

    Erst jetzt ist zu erkennen: der Rotor des Flugmotors, ist ein Decken-ventilator, der sich langsam dreht.

    Fenster. Oranges Licht, scheint gebrochen durch die Lamellen, ist durch leichten Staub in Schichten sichtbar. Leute stehen in lichtlosen, schattierte Teilen des Raumes. Halten ihren Finger auf Mund. Liegen auch auf dem Boden, hier ebenso Finger auf dem Mund. Schwer erkenn-bar. Silhouetten.

    Protagonisten, setzen sich beiden synchron, wie auf Befehl jeweils auf die Bettkante.

    Brgerliches Zimmer, Sekretr, Schreibtisch mit Haube, Bcher, Perser-Teppich, ein Nachttisch, mit Lampen und einen Kommode an-kieren das Doppelbett, keine Deckenlampe.

    Kein Kamera ug durchs Zimmer. Keine Einzelbilder. Lange Schnitte. Schrger Winkel links oben ber dem Bett

    Der Rotor des Ventilators, wirft eilig Licht auf Segmente des Zim-mer. Lobotomie des Raumes. Flottierendes und fahriges Licht auf den Gesichter der Menschen. Tauchen auf wie im Aufblitzen von Licht auf den Rotorblttern und tauchen wieder ab in Dunkelheit. Flchtig und unsichtbar.

    Einsatz Dialog: {beide voneinander abgewandt, schlaffe Haltung, rotorengerusche,

    setzen sich auf die jeweilige bettkante, rcken zu rcken}

    Hunter Barrington Ich hatte wieder einen Traum.

    Luisa Barrington Was hast du getrumt?

    H.B. Von der Frau habe ich getrumt .

    1. SZENE EIN SCHLAFZIMMER

    ABSTZE: 17

    ZEILEN: 52

    WRTER: 324

    ZEICHEN: 2220

  • 4 5

    Luisa Immer noch nicht aufgegeben.

    Sie erhebt sich, zieht sich einen Morgenmantel ber ihr schwarzes aus Seide mit Teilen von Spitze gespicktes Neglig und verlsst das Zimmer. Scheint ber die Menschen am Boden zu laufen.

    H.B. Was ich Nachts an Albtrumen erlebe, ist dein Leben in mei-ne Trume projiziert. Was du tagsber nicht kontrollieren kannst. Was ich Tagsber unter Schloss und Riegel halte, dem kann ich mich Nachts nicht entziehen. Ich glaube aber nicht an Hokus Pokus. Ich glaube nicht an bertragung.

    Wir sind ein und derselbe Mensch.

    FIN. 2. SZENE ZWEI TRENNEN SICH

    ABSTZE: 33

    ZEILEN: 79

    WRTER: 484

    ZEICHEN: 2968

  • 6 7

    L {dreht sich um, schnrt morgenmantel zu} Und das heit?

    B Nichts. {weicht blicken aus}

    L Du erwartest doch nicht {macht einen schritt auf ihn zu}

    B { lsst sich nach hinten fallen und drckt sich gegen die wand auch ich weiche einen schritt zurck, sodass ich die kamera auf beide halte kann}

    Wir sollten das hier beenden.

    L {unruhig) Und die Wohnung?

    B Behltst du. {siegessicher}

    L Und du? Was machst du?

    B Das geht dich nichts mehr an.

    Luisa Barrington dreht sich wieder dem Fenster zu und steckt sich eine neue Zigarette an.

    B Eine Sache nur.

    L Was? {wtend, qualm auspustend}

    B Ich will fr 2 Wochen hier alleine wohnen. Denkst du, du kriegst das hin?

    L 2 Wochen nicht in der Nhe sein? Nichts ele mir leichter.

    Luisa verlsst die Kche. Die Kamera und ich folgen ihr. Ihre Koffer stehen wohl bemerkt gepackt vor der Wohnungstr.

    Das letzte Bild: Barrington sitzt am Kchentisch. Starrt auf sein Glas, seine Finger, greift das Glas, trinkt und trinkt die Milch aus. Die

    DURCH DIE KAMERA verfolgt mein Blick den langen dunklen Flur. We-der knstliches noch natrliches Licht dringt in den Flur. Dann eine begrenzte Flche von orangem Licht wirft sich dem Flur zu Fen endet jh vor der Tr, wo es seinen Ausgang nimmt. H.B verlsst die orange Flche und folgt Luisa in die Kche.

    Die Kche ist auch dunkel, aber in blaues Licht getaucht. Schichten von Licht liegen ber der Kche. Die Kche ist ge iest.

    Fliesen sumen den Kchenboden, auf denen Mbelstcke, Sthle und ein Tisch aus hellem Ahornholz, stehen. Auf dem Tisch eine km-merliche Blumenvase, aus der ein Zweig Lavendel ragt.

    Die Kamera liegt auf dem Tisch.Blau dunkles und kaltes Blau. Weie Kcheneinrichtung. Einrichtung sonst mediterran, ohne die

    Re exion warmer Farben.Luisa steht am Fenster und raucht. Der Morgenmantel hngt schlaff

    auf ihr, wie ber einen Garderobenstnder.Ich lege die Kamera auf den Kchentisch und trete einen Schritt zu-

    rck. Barrington setzt sich an den Kchentisch. Die Kamera fokussiert, langsam den dann durch den Lavendel und trifft auf sein Gesicht.

    Er wartet ab. Wartet, dass L. sich zu ihm setzt. Es passiert nichts. Seine Daumen und Finger tippen aufeinander, als zhle er.

    Er schleicht zu L. Dreht dann ab. Geht zum Khlschrank. Eine Fla-sche ungelabelte Milch in der Hand. Nimmt sich ein Glas. Khlschrank-licht utet das Zimmer.

    B. steht 2 Meter hinter L. Halb im Schatten. Trinkt Milch. L. schaut noch aus dem Fenster und raucht.

    B Das hier ist unertrglich. {schaut angestrengt zu l. sieht nur ihren rcken}

    Lange Pause.

    L Du meinst, du bist unertrglich. {dreht sich nicht um}

    B Wir haben lange nicht miteinander geschlafen. {guckt zu bo-den, schaut auf, trinkt dann einen schluck}

  • 8 9

    Kamera fokussiert wieder durch den Lavendel auf das leere Glas Milch. In Schlieren bedeckt ein Film Restmilch das Glasinnere.

    Drei Unsichtbarmenschen sitzen mit ihm am Tisch. Zwei davon hal-ten den Finger auf ihren Mund. Er sieht sie nicht.

    FIN.

    3. SZENE DREI TEILE EINES TAGES

    ABSTZE: 7

    ZEILEN: 48

    WRTER 470

    ZEICHEN: 2962

  • 10 11

    drehen, dass ihr Haare iegen und nach der Liturgie vom Bemerken der Aufmerksamkeit, aus dem Fenster ins Vehikel nebenan schauen. Po-kern, denn sie kann nicht wissen, ob die anderen jetzt schauen. Wenn nicht, muss sie den Kopf ebenso ruckartig zurck drehen und wieder: laut singen. Und aus der Liturgie der Aufmerksamkeit eine Liturgie des Singens und des Spaes machen.

    Diese Luisa muss dann sich die Haare ins Gesicht werfen und ir-gendwie betreten nach vorne schauen. Das stehe so im Rollenbuch Lu-isa, denkt sich Lou, schreibe ich mit ins Drehbuch und halte die Kamera vom Rcksitz aus auf Luisa.

    FIN

    EIN WEISSES STCK Blech, mit einigen Rost ecken, neigt sich, fhrt vorbei an einer statischen Kamera und verschwindet aus dem Bild. Zwei hautfarbene Stelzen unter Nylonstrmpfen wandern am Blick der Linse vorbei und lassen sich hinter das Blech fallen. Das weie Stck mit den Rost ecken, nimmt den selben Weg zurck, schlgt gegen ein anders Stck weies Blech, das erst zu erkennen ist, als ich beginne aus der extrem Nahen in die Totale zu gehen, dabei klappert ein Schlsselbund, berschlgt sich ein Rhren und bertnt alle andere Gerusche.

    Ich sitze wie unsichtbar auf der Rckbank in meiner schwarzen Klei-dung, aber mein Finger liegt nicht auf dem Mund. Die Kamera fokussiert auf den Rckspiegel. Finger und ein roter Lippenstift fahren in Richtung Mund, stoppen auf den Lippen und wetzen sich stockend ber Rillen in der weichen Lippenhaut hinweg. Ein Mund presst sich zusammen, wie durch ein Vakuum im Mundraum. Wird jh nach vorn gedrckt und Lippen entfallen sich aus dem Mundraumvakuum, wie eine Limone, die man umstlpt. Ein Augenpaar richtete den Blick ber den Spiegel nach hinten, sieht wie durch mich hindurch. Aber die Kamera sieht dich.

    Der Tag ist angebrochen. Es schleichen sich entfernte Wellen von anbrechenden Tageslicht durch die Frontscheibe. Das Handschuhfach ffnet sich. Nicht auf dem Bild zu sehen, aber ein Klacken und ausras-ten ist zu hren. Der Motor bertnt die sonstigen Gerusche: wie eine Hand ber ein Brillenetui fhrt, es aufspringen lsst (etwas entnimmt) und es wieder einrasten lsst, wie das Glovecompartment.

    Das Augenpaar im Rckspiegel schaut nun nach vorn und wird ver-deckt von den dunklen Glsern einer Sonnenbrille. Ein lockeres Tuch liegt auf Luisas Haaren und attert im Wind, der durch das Fenster whrend der Fahrt dringt. Lou hrt Musik und singt laut mit. Am Stras-senrand stehen wie aufgestellt einige Unsichtbarmenschen, nicht mehr in schwarz, sondern sie sind angezogen, wie du und ich.

    An der Ampel gibt Luisa vor, nicht zu bemerken wie Mnner lachend manche abfllig, manche albern, manche ungezogen zu ihr ins Auto schauen. Im Augenwinkel sieht sie es, berechnet, wann die Luisa, die nichts merkt es merkt. Diese Luisa muss dann auch rot anlaufen, zu Boden gucken, sich zur anderen Seite umdrehen, bis fnf zhlen, l-cheln manche Gesten macht sie nur fr sich , sich schwungvoll um-

  • 12 13

    DER KAMERABLICK IST dem kinematographischen Bild eingeschrie-ben, ohne dass die Kamera selbst im Bild anwesend ist. Sie ist da, sogar Verursacherin, aber spter im Film nicht vorhanden. Der Film erzeugt eine Illusion von einem abgeschlossenen Bild, dass er nicht bieten kann. Und er erzeugt diese Illusion mit dem Trick die visuel-le und akustische menschliche Wahrnehmung zu simulieren, die wir es gewohnt sind, begrenzt zu sein. So nehmen Menschen es fr bare Mn-ze sich auf ihre Sinne zu verlassen und interpretieren den Film als eine Art Realitt. Und mal ehrlich, was sollen sie auch machen?

    Ich kann mich nicht zerteilen. Wie ich einige Tage lang Luisa Bar-ringtons Verfolger spiele, muss ich zu Hunter Barrington wechseln, will ich nicht verpassen, was beim anderen gerade luft. Wie Zappen, wenn Werbung luft. Leben ist wie permanentes Spielen, nur das niemand lmt.

    Die Kamera auf dem Boden, als sei ich gestrzt. Schuhpaare ber Schuhpaare, links und rechts, mal stille mal wippende, mal scharrende, mal wetzende, insgesamt alle wartende Schuhpaare. Das Bild der Ka-mera tritt aus Schuhperspektive und sieht einen Haufen Menschen, der sich brav Glied fr Glied einreiht und eine Schlange vor dem Kino bildet. Vor der Glastr, die ins Kino fhrt, steht Barrington in Anzug und drber schwarzem Mantel und bedeutet den Menschen, mit braunen Leder-handschuhen mit feinen Lchern, zu warten.

    Das kann er gut, denke ich.Eine Art Unschuld liegt in seinem Blick. Ich zoome langsam an ihn

    heran. Eine Art Unschuld liegt in seinen Augen, wenn er andere warten lsst. Eine Art machthungrige und machtauskostende Unschuld liegt ihm auf den Lippen, als wolle er sagen: woher ihr kommt, wer ihr seid, was ihr glaubt ist mir gleich, ihr seid vor mir gleich. Ich entscheide ber euch. Eine Art Macht auskotzende Unschuld. Man kann ihm das bitzeln-de Gefhl von Entscheidung auf der Zunge kribbeln sehen.

    Die wetzenden, schabenden und stillen Schuhpaare lsen sich und traben im Gnsemarsch in Richtung Kinotheater. Unerwartet hatte Bar-rington die Schlange, wie einen zum aufknpfen gebundenen Knoten gelockert und lie sie unerwartet zgig in das Foyer des Vorspielhauses strmen und die Rume der Filmbhne suchen. Ich gehe in die Totale. Er steht da, wie vom Sturm heimgesucht, als die Schlange ihn passiert.

    4. SZENE VIELFACH BEGEHRTE KULTUR

    ABSTZE: 24

    ZEILEN: 146

    WRTER: 1273

    ZEICHEN: 8375

  • 14 15

    Schrnkchen eine Flasche heraus und stellt sie auf den Tresen. Dazu ein Glas. Kristallglas, was sonst?

    Ich lme Barrington von hinten, dass nur sein Rcken und der Sus-hikoch zu sehen sind. Ich lme den Sushikoch und die Kamera sieht nur seinen Rcken und Barringtons mdes und trge gestikulierendes Gesicht. Lande auch ab und an im Meerwasseraquarium und lme die Fische.

    H.B. Schau dich mal um. Alles hier ist heruntergekommen. Lebt nicht mehr. Ruiniert von einer Schar sensationssuchender, alles fressender und kritik-verdrossener Meute, die das sthetische ber den Gedanken stellt. {starrt in das aqua-rium}

    Der Koch stumm in der Stimme und roboterhaft in seinen Bewegun-gen, schenkt Hunter ein Glas ein. Ein braune Flssigkeit, schlgt Wellen wie der Pazi k gegen die im Ozean verlorene Insel Hawaii. Hunter leert das Glas in einem tiefen Schluck.

    H.B. Und auch ich bin verdrossen, erkrankt am berdruss. Wie es hier im Kino aussieht, soviel Mut und Lust habe ich, mich dem zu widmen, was ich mal Kultur nannte.

    Fr gewhnlich wartet Hunter dort im Sushi Restaurant des Kino-theaters bis er ein Zeichen bekommt, welches fr gewhnlich so aus-sieht, dass der Sushikoch ihm Bescheid gibt, dass Hunter meist daran erkennt, dass der Koch die Flasche zurck in das Schrnkchen stellt. Und Hunter einen letzten Tropfen Dujardin die Kehle runter wrgt und ber die 3 Treppenstufen nach oben das Restaurant hin zum Foyer ver-lsst, an der Kinokasse und an nach stehendem Zigarettenrauch rie-chenden Plakaten und an nach alten Popcorn riechenden Sesseln vor-bei, ber den Hintereingang die Bhne betritt, um in gewohnter Manier den heutigen Film vorzustellen.

    Das Hintereingang-Moment. Die Trklinke berhren. Kurz innehal-ten. Luft holen. Intensive Gegenwart. Die feinen Lederhandschuhe aus der Gestasche holen. Geruch und Gerusch. Einen nach dem ande-

    Als auch das letzte Glied der Kette seinen Weg in das Filmtheater gefunden hat, schliet H.B. die Glastr hinter sich und statt in Richtung Vorspielraum, setzt er sich in das Sushi Restaurant, dass dem Kinothe-ater angeschlossen ist.

    Ein Kameraschwenk in Drehbewegungen und halber Pirouette ber die Eingangstr, durch das Foyer, landet letztlich im Restaurant und ver-liert sich in Detailbeschreibungen.

    Close-ups von aufquellenden Reis, durchschneiden von Fisch und aufspringen von Fleisch. Findet sich schlielich im unbewegten und be-whrten Panoramablick wieder. Wo aus einer Ecke in die Bildmitte ein Hunter Barrington, vorbei an einem Meerwasser-Aquarium mit bun-ten Fischen, zur Theke wie zur Bue wie nach Canossa an den Tresen luft. Seine braunen Lederhandschuhe auszieht und sie auf den weien Acrylstein des Tresens ablegt und seinen Mantel an einen Haken un-terhalb des Corians hngt. Bereits sitzen einige in schwarz gekleidete Unsichtbarmenschen am Tresen, auf Bnken am Rand des Bildes und sie liegen auch hier auf dem Boden, knien, sitzen, halten ihren Finger auf den Mund und verfolgen in schwarzen Overalls Barrington. Nehmen ihm seine Schritte vorweg.

    H.B. Weit du, das Kino war mal als eine Art kultureller Treff-punkt gedacht. Ich wollte nur Filme in original Fassung zei-gen. Nur independent Kram. Nur Sachen zeigen, die sonst keine Chance haben. Dokumentationen und Kurz lme von unbekannten Regisseuren. Das mache ich auch heute noch. {selbstbewusst, aber resignativer ton}

    Der Koch nickt und stt ein: mmhh, aus und schneidet weiter eine grne, fast schwarze Rolle zu kleineren Stcken Sushi.

    H.B. Aber dieses hysterische Existenzgetue det mich an. Den Menschen fehlt der Mut, die Zuversicht und der Sinn, stattdessen chten sie sich ins Religise, Mystische, s-thetische oder in Kulturerlebnisse.

    Der Koch wiederholt seinen vorigen Part. Holt jedoch aus einem

  • 16 17

    H.B. Weit du, mir fehlt die warmer Haut Luisas unter der wei-chen Decke.

    FIN

    rem, wie ein Chirurg, als Vorbereitung zur Operation, berziehen. Geruch wie aus der Flasche Kognak. Brust raus. Bauch rein. Trklinke nach un-ten drcken. Metallgeruch an den Fingern. Tr aufdrcken, als fhre sie zu einem Banktresor. Lauten Schrittes gen Bhnenmitte schreiten. Die plaudernde Menge allein durch Klacken von Halbschuhen zur Raison bringen und falls das denen nicht Abhilfe verschafft, in der Mitte ste-hen und warten. Geduldig warten. Geduldig warten, bis das Publikum Macht berschreibt. Leise Dujardin aufstoen. Geruch von Leder an den Fingern.

    Als das Publikum besnftigt war und auch der letzte aufgehrt hatte zu sprechen Hunter Barrington und die Macht fuchteln Hnde in Le-derhandschuhen wild herum. Geben vor zu applaudieren, prallen aber nicht auf einander, sondern springen exaltiert an die Brust und klat-schen dort nacheinander auf, wie Patriotraketen. Springen nach vorn, wie zur weiten Umarmung, dann ein breites, feuchtes Alkohol Grinsen. Schwei auf der Stirn. Schatten unter den Augen. Trnen auf der Linse.

    Die feinen Lederhandschuhe fahren sich durch die Haare und schie-en zum warnenden Zeige nger nach oben. Halten der Position. Halten der Spannung. Der Moment: ein ausgebreitetes Schweigen. Luft anhal-ten. Bis Hunter die Warnposition lst und mit der achen Hand die Luft schneidet und mit dem Handrcken die Reste aufwischt.

    Und sich wieder in Richtung Restaurant begibt, sobald auf der Lein-wand eine Projektion zu ackern beginnt. Dort das Laufband beobach-tet und Sushiteller verfolgend auf einem der Hocker sitzt. Den Tresen mit 1 bis 2 Unsichtbarmenschen teilt, die er nicht sehen kann, wie er die Kamera nicht sieht, wie er mich nicht sieht. Schlielich Hunter zwei Stunden der Ruhe geniet, bevor wie zuvor das Foyer erstrmt wird. Die Menschenmassen aus dem Kinosaal, durch eine Ausgang wie durch den Flaschenhals von Hunters Flasche Dujardin zu chten beginnen. Einige nden ihren Weg ins Sushirestaurant und setzen sich zu Hunter und suchen das Gesprch.

    Mindestens einmal am Tag, und meist wenn der Andrang am gr-ten ist, fllt das Sushilaufband aus und die Leute mssen sich drehen. Das dauert immer, bis sie merken das Essen kommt ihnen nicht mehr in den Mund ge ogen.

  • 18 19

    ICH MACHE MIR einen Spa aus Perspektive und Kamerabewegung und sitze im Zug. Ich dachte Landschaftsaufnahmen und Dorfbilder pas-sen jetzt wie sie vor der Linse an mir vorbei-rauschen. Birkenwald links und rechts. Rascheln der schmalen Bltter. Sonnenlicht liegt auf dem grn, wie Morgentau. Pltzlich bahnt sich ein aufgeschreckter Schwarm Tauben aus dem Wald seinen Weg gen Bahnschienen. Dreht ab wie ein Fliegerkommando F16s, bevor es zu einem Zusammensto zwischen Zug und Taubenschwarm kommen kann. Weigraue Tauben und schwarzweie Birken. Ich bedanke mich bei Mutternatur fr dieses Bild.

    Wir passieren eine Schranke, langsam, als wolle der Zugfhrer an Andreaskreuz und Schlagbaum halten. Ganz zu meinem Vorteil. In ers-ter Reihe steht wartend das abgewetzte weie Coupe. Ein Arm hngte aus dem Fenster und Luisa raucht. Kongenial denke ich. Dunkelgraues Kopftuch aus dem blonde Haare aus allen Seiten, wie hervor quillen und quellen, Zigarette und Sonnenbrille, trotz leichten Regens. Unsichtbar-menschen stehen am Schlagbaum. Heben ihn aber nicht nach oben, denn der Bahnbergang ist Lndersache. Einige davon sind auch damit beschftigt Luisas Wagen, indes sie rauchend drin sitzt, auf eine Art Schienensystem zu hieven.

    Ich muss mir die Zeit vertreiben, bis Luisa angefahren kommt und stehe im Zeitungskiosk des Bahnhofs und blttere wahllos in irgend-welchen Magazinen, als ich auch schon durch die Bahnhofsfenster das schnaufende Gerusch eines Motors hre. Ich lege mich etwas zur Seite und halte wie ein Spion die Kamera aus dem Fenster, als knnte man mich sehen.

    Eine graue Wolkendecke hat sich am Himmel festgesetzt. Luisa Barrington sucht einen Parkplatz vor dem Bahnhof. Steigt aus und sieht sich um. Schliet das Auto ab und lehnt sich dagegen, ffnet den fast weien, beigen Mantel und holt aus der Innentaschen die rote Packung Zigaretten heraus und raucht gegen das weie rostige Auto lehnend, mit offenen Mantel noch immer in Sonnenbrille und lockeren Kopftuch.

    Ein Mann, ich kann ihn auch unter hchster Zoom-stufe nur schwer-lich erkennen, stellt sich zu ihr. Sie reden. Ich noch immer im Kiosk, l-me die beiden aus der Perspektive eines Privatdetektivs. Der Mann hat einen blauen Trainingsanzug mit weien Streifen an und eine Brille mit

    5. SZENE FNF FARBEN

    ABSTZE: 24

    ZEILEN: 124

    WRTER: 1399

    ZEICHEN: 8897

  • 20 21

    Sie scheint am Ziel zu sein. Ein durchnsster Mensch erscheint vor einem freistehenden Einfamilienhaus und wringt ein Kopftuch und sich die Haare aus. Das Haus ist leer. Noch durch das Gartentor sieht das Auge der Linse, durch die Gartenfenster am Kchentisch hinter einer Vase Tulpen, sitzen einmal mehr die unsichtbaren Begleiter des Films. Drei Unsichtbarmenschen an der Zahl.

    Ich erkenne an den intuitiven Handgriffen, wie sie den Mantel auf-hngt, die Schuhe ins Regal stellt, ohne zu berlegen Luisa ist in ver-trauter Umgebung. Wir sind inzwischen im Haus. Ich mache mir nicht die Mhe, mit meinem aufzeichnenden Auge etwas zu suchen, dass mir Hinweise gibt und schliee ganz intuitiv heute ist der Tag der Intuition das ist Luisas Elternhaus.

    Es wundert mich, denn ich hatte erwartet die Eltern wren zuhause. Es ist, als wrde das Haus schon lnger nicht mehr bewohnt und doch, wie jh und uchtartig verlassen. In der Stube und Wohnzimmer auf dem Esstisch liegen noch Messer, Gabel, Teller und Tpfe wie von der letzten Mahlzeit. Sind ordentlich absplt, spielen jedoch wie eine Es-sensszene nach. Dort wo die tiefen Teller zu Schsseln werden, hat sich eine minimale Staubschicht gebildet.

    Eine Weile sitzt sie mit den drei Unsichtbaren am Esstisch und spielt mit der Staubschicht in den Tellern. Wartet sie?

    Ein wenig ist es so, als knne man die Familie Luisa Tochter und Gast als Schatten an der Wand dinieren sehen.

    Luisa Schatten spricht, ich habe noch nie etwas so kindisches ge-sehen und lacht ber den Vater, der sich von seiner Frau ihrer Mutter dauern lsst, ihm das kleine Knnchen mit der Sauce zu geben.

    Sein Schatten ist aufgesprungen und hlt die Gabel wie einen Enter-haken oder eine Harpune in Richtung seiner Frau, die daraufhin das Saucenknnchen langsam ihrerseits in Richtung seines Tellers bewegt. Seine Augen gehen auf, wie die Kle aus Hefeteig auf dem Teller. Eine Tropfen braune Sauce strzt auf die hell-gelben weizenfarbigen Kle und zerspringt dort. Der Schatten des Vaters entwaffnet und setzt sich wieder an den Tisch und holt aus dem Klecks Sauce heraus was geht. Der Schatten Luisas Mutter an der Wand fttert ihren Mann trpfchen-weise. Aber sie war lngst fort und die Schatten der Dinnerszene lngst vergangen.

    Glasrahmen. Er wirkt krnklich. Ein paar mal hlt er sich seinen Bauch. Hat er Schmerzen? Krmpfe? Zu viele Helicobacter-Bakterien?

    Luisa schaut geradeaus an ihm vorbei. Er redet auf sie ein. Scht-telt den Kopf. Sie ist wie eingefroren. Mechanisch und stereotyp bewegt sich der rechte Arm gen Mundwinkel, hlt aus sie raucht und fllt schlaff, wie auf Schienen gegen ihre Hfte, wie ein Kletterer, der am Fel-sen abrutscht und am Sicherungsseil baumelt. Der Fremde holt aus ei-ner durchgngigen Bauchtasche seines blauen Trainingsanzuges einen Briefumschlag und gibt Luisa das weie Couvert.

    Ich verfolge die sich vom Bahnhof entfernende und beobachte Luisa durch die Kamera in Hscher-Perspektive: sie Luft auf dem sandigen Brgersteig einer holprigen Dorfstrae ihre Finger streifen das Mauer-werk, greifen nach Blttern von sten, die von der Mauer hngen. Arme und Hftbewegung invers. Als sie an einen Rosenbusch vorbei luft wird sie langsamer.

    Ich bleibe auf Abstand, brauche sie in der Totalen und umschliet die Dornen fest mit den Fingern, als wolle sie die Rosen beschtzen und sticht sich dabei. Ich laufe ihr hinterher, als wsste sie davon ohne un-ter Wahn zu leiden.

    Es ist einer dieser Tage, wo sich Sonne, Wolken, Regen, Sommerge-witter, Wind und Windstille abwechseln, wie sie es sonst nur ber Wo-chen hinweg zu tun gewohnt sind. Ich habe daher mein Equipment in wasserdichte Folie verpackt, was albern aussehen muss, wenn man mich sehen knnte. Wenn. Diesem Wetter kann man es nie recht ma-chen. Legt man den Schirm beiseite, prasselt ein heftiger Regenguss und bohrt sich in die Haut. Sucht man sich davor zu schtzen, versteckt sich hinter dem schwarzen Kunststoffgespann eine pralle Sonne und man fhlt sich wie Japaner in Venedig. Weie Puppenhaut kontaminiert von Sonnenstrahl.

    Trotz des augenscheinlich langen Weges und Regens, hat sie ihr wei-es und an einigen Stellen rostendes Fahrzeug am dr ichen Bahnhof abgestellt. Knnte ich nur die Stimme in ihrem Kopf aufzeichnen. Will sie nicht im Auto gesehen werden oder will sie den Anschein erwecken mit der Bahn gekommen zu sein?

    Der innere Monolog bleibt dem Film verborgen, wie ihm der Kamera-mann und Regisseur und die Assistenten.

  • 22 23

    Luisa sitzt noch immer vermeintlich allein am Tisch. Sie fllt et-was Wasser in ein Staub belegtes Glas. Staub schwimmt auf der Was-serober che, wie ein Teppich aus roten Feuerameisen. Sie fhrt das Glas an die Lippen und trinkt hastig, springt auf und luft eine Treppe nach oben.

    Ich verbleibe noch einen Moment im Wohnzimmer und beobachte die xierte Kamera, gebe ihr einen Moment diesen Moment aufzuneh-men und auszusaugen. Die Ruhe in sich aufzunehmen, als knnte man noch sehen, wie Luisa am Tisch sitzt. Den sich legenden Staub sehen, den sie aufwirbelte.

    Diesen einen Moment einzufangen. Den Einen wichtigen. Der den Film rechtfertigt. Die Frage ist, warum bleibt eine Arbeit in den Kpfen der Menschen hngen, whrend Andere gnzlich verschwinden? Film und Fotogra e darum geht es, fangen rapide einen Moment - und frie-ren ihn ein.

    Als die Lehne des Stuhles auf den Boden aufschlgt, entferne ich mich. Eine Motte verklebt von Staub, schlgt aufgeregt mit den Flgeln und wandert durch das Bild.

    Oben im Haus, im Schlafzimmer liegt Luisas Vater im Krankenbett. Schon von drauen hrt man ihn Husten und Spucken. Ich Filme durch das Schlafzimmerfenster und hre nicht was Luisa und ihr Vater reden. Sie setzt sich an die Bettkante. Scheint wtend. Springt auf. Luft aus dem Raum. Der abgemagerte Vater im Bett dreht sich um. Hustet un-ter der Bettdecke Richtung Wand. Sie kommt wieder in das Zimmer ge-strmt. Holt den Couvert, einen Fller aus einer Tasche und aus dem Couvert ein Dokument. Der Vater dreht sich um und spuckt in ein Glas,.Eine Flssigkeit gefrbt wir Galle, trieft aus seinem Mund, luft an sei-nen Mundwinkel vorbei und tropft auf sein Schlafanzugshemd. Lou nimmt seinen Arm und die Hand und hilft ihm zu unterschreiben. Die Hand gezeichnet von Alters ecken, einer diffusen Haarstruktur und prgnanten Adern bebt erschaudernd. Verbissen schaut der Vater. Voll Wut schaut er Lou an und fgt sich.

    Von allen Menschen, die sich etwas zu Schulden kommen lassen haben, wird nur denen verziehen, die sich selbst und die Tat gnzlich vollstndig vergessen die einzige Unschuld, die es gibt, ist die der Am-nesie. Ist das Bad im Fluss Lethe. Ist das Vergessen.

    6. SZENE DIE PRAXIS

    ABSTZE: 17

    ZEILEN: 78

    WRTER: 694

    ZEICHEN: 4331

    FIN

  • 24 25

    ich: auf dem Boden unter der Trage, auf den Fensterbnke, im Trrah-men liegen sitzen, lehnen, Menschen, teils die Hnde vor dem Gesicht, teils auf Bauch und Magen. Sthnen, geben kein Laut von sich, sind un-sichtbar. berall wo es Hunter B. hin verschlgt, folgen ihm auch die Un-sichtbarmenschen. Wie vergessene Zeugen einer stummen Zeit.

    Die rztin wendet sich ab und einem Schrank mit Glastr zu, den sie erst aufschlieen, muss mit einem Schlssel, den sie um ihren Hals unter einem weien Kittel trgt. Am Ende hlt sie eine weie Tube in der Hand. Gierig stiert Hunter auf was das weie Ding in der dunklen Hand. Eine gelbe Paste quillt, wie Eiter aus der Tube und wird Hunter auf den Finger geschmiert. Er legt sich sthnend nach hinten und hlt sich die Hand vors Gesicht, wie jemand der Schmerzen hat. Wohlwollend schaut die rztin auf ihn herab und bittet ihn eine Reihe von Formularen auszu-fllen, die ihm der P eger reicht. Dazu setzt er sich an den Schreibtisch der rztin. Akribisch kritzelt Hunter mit stumpfen Bleistift in die winzi-gen Feldern seinen Namen, Gre, Augenfarbe, Geburtsdatum, Krank-heitsgeschichte und vieles mehr. Es ist sehr dunkel in der Praxis und er kann kaum etwas auf dem Dokument erkennen nicht nur weil alles zwergenhaft winzig gedruckt ist. Auf dem Kopf des Bogens entdeckt er einen bekannten Namen und nennt die rztin nun bei ihrem. Sie lchelt und legt ihre Hand auf seine Stirn.

    rztin Du musst bitte das Formular ausfllen.

    Hunter Ich wei nicht, wo ich anfangen soll.

    rztin Jedes Feld ist wichtig.

    Hunter Wenn du aber Frau Doktor Hndel, wenn du meine Kin-derrztin bist, was mache ich dann hier?

    Fr. Dr. H. Du musst bitte das Formular ausfllen.

    Mit den ausgefllten Seiten des Formulars, verlassen Kinderrztin und P eger die Praxis. Hunter hat den Schreibtisch der rztin verlassen und sitzt auf der Trage allein in der Praxis. Er lsst die Beine baumeln.

    SONNTAG. MAN WRDE sagen, der Abend ist auergewhnlich hell. Man wrde meinen, ein gleiendes Licht msse von irgendendwoher seinen Weg in die Barrington streunt wie ein Fremder durch seine taghelle nchtliche

    Stadt. Wie im Brgerkrieg wenn gewohnte Straenecken Intimes ver-lieren, stattdessen familiren Straenzge gefhrlich und bedrohlich werden.

    Er hat eine Schnittwunde am Finger und die Handschuhe fehlen ihm. Es ist nur leicht. Ich lme den orientierungslosen Hunter von vor-ne. Das heit ich laufe rckwrts und halte meine Kamera auf ihn. Das heit auch ich muss wissen, wohin er luft. Dass ihm das Bild, wie auf Schienen vor raus geht.

    Ein Krankenwagen wie aus ambulance-disaster patrouilliert in der Strae, als wolle er Verwundete au esen.

    Die Kamera in der Mitte. Fahles licht xiert die Mitte, verliert sich hin zu den Rndern des Bildes. Barrington und der Krankenwagen tref-fen sich, wie alte Kontrahenten im zerstrten Kolosseum. Wie Lwe und Mensch im Amphitheater. Die beiden Objekte nhern sich einander an. Schleichend legt sich in das fahle Licht, der Scheinwerfer des rustika-len Krankenwagens. Der Kampf ist entschieden, bevor er begonnen hat. Hunter strzt zu Boden, hebt noch, wie ein sinkendes Schiff die weie Flagge, seine Hand mit dem verletzten Finger und verliert das Bewusst-sein.

    Aus dem Wagen springen schnell zwei Menschen, laden eine Trage aus dem Wagen und laden auf die Trage den Verwundeten und ihn in das Fahrzeug. Verlassen die Szene, wie in Homs, Donezk oder Kairo. Ich verharre noch in Ursprungsposition. Muss sagen, dass ich gefallen an solchen Bildern nde, wenn Protagonisten das Bild verlassen haben so oder so war ich immer begeistert von langen Schnitten.

    Er sei doch nur aus dem Kino gekommen. War auf dem Weg nach-hause. Wisse nicht, wo er sei. Brauche eine Salbe fr die Verletzung. Die rztin und der P eger schauen sich den Finger an und dann sich gegen-seitig, abgeklrt und konspirativ, wie ein Elternpaar auf ihr Kind.

    Licht fllt nur von auen in die Praxis. Ich sitze wie Hunters Begleiter auf einem Stuhl in der Nhe der Trage. Als ich beginne mich berhaupt erst in der geschlossenen und verdunkelten Praxis umzuschauen, sehe

  • 26 27

    Noch immer dringt nur das Licht von Straenlaternen in den Raum und wirft Kreuze aus Fensterkreuzen in Form von langgezogenen Schatten auf Linoleum, Pillendosen und alte Mbel.

    Das Gerusch von Regen beendet die Szene.

    FIN

    7. SZENE IDENTIFIKATION, SPALTUNG, PROJEKTION

    ABSTZE: 38

    ZEILEN: 149

    WRTER: 1246

    ZEICHEN: 7919

  • 28 29

    Schuhen.Da el es ihr auf. Ein Blitzen zuckte durch ihre Augen, gefolgt von

    einem nervsen Blinzeln, fast zittern ihrer Augenlider. Welchem sie sich auf jeder ihrer Reise entzog. Was sie geschickt, ge-

    konnt abzuwehren in der Lage war. Es el in sich zusammen, wie billige Croissants mit Marmelade. Durch die Glastr zur zweiten Klasse und wennschon dort auf dem Boden noch ein roter Plastik-Balken prangte: hier 1. Klasse. Wenngleich es diese Symbole der Unterscheidung gab. Wiewohl Ledersessel und Stoffsessel. Menschen lieben Unterschie-de. Obwenn alles dafr getan wrde und Luisa B. ihren Beitrag leistete, Menschen zu unterscheiden und zu trennen. Fhlte sie sich von einem anderen Fahrgast durch die Glastr aus der 2. Klasse wie der Fisch im Aquarium begafft, beglotzt und angestarrt.

    Dem geneigten Menschen, wird nicht die Frage entgangen und -fal-len sein, wo ich mich denn in dieser begrenzten Szenerie aufhalte. Zum einen sitze ich mit in der zweite Klasse, lme also durch besagt Glastr und zum anderen, das verfolge ich auf einem dieser kleinen Monitore, habe ich eine Kamera auen an Luisas Fenster angebracht so springe ich, wie es mir beliebt zwischen den beiden Perspektiven.

    Nicht dass sie es nicht gewohnt war, betrachtet, beurteilt und mitun-ter begutachtet zu werden. Wie eben der Andere da in seiner Sitz-stoff-schale sie durch die Glastr hindurch ansah. Nicht hhnisch, nicht spt-tisch, aber offen und bitter.

    Sie hatte einen Fehler gemacht. Nicht die Sichtweite der 2. Klas-se, dass man sie, dass man Luisa sehen konnte, war der Fehler. Nicht das, sondern dass sie selbst in das niedere Abteil hinein sehen konnte. Spaltung, Distanzierung und Trennung vergebliche Liebesmh ist verfehlt und wirkungslos im Moment der Identi kation und Projektion das ist das Fazit.

    Und aus der zweiten Klasse ist fr gewhnlich alles was man sieht die halben Rcken, einseitigen abgewandten Hemdsrmel, frher mit Buch oder Zeitschrift heute vermutlich starrend auf ein leuchtendes Display ungeahnter Anziehungskraft Heilsversprechen und leerer Er-fllung einer entfernten Welt, die es nicht geben kann. Manchmal noch ein Stck Wange oder Haar, wenn sie denn noch da sind.

    Als Uranos entmannt wurde, kaufte er sich ein weies Hemd und ein

    INTERVIEW. LUISA HLT den Kopf schrg. Guckt Mdchenhaft. Scharrt mit den Fen auf Sand auf Steinboden. Gerade das Mdchenhafte in der Frau. Gerade das unter Ablehnung, Vermeidung und Aggression. Einladung in Tobsucht. Grukarte aus Verlust. Bussi und Baba aus dem Inferno. Das ist ein Spiel um falsche Wrde. Sie ghnt. Lacht, schlgt sich mit der Hand gegen den Mund. Hlt den Kopf schrg. Schaut, starrt 2000 Yards weit. Zu Boden, auf die Schuhe. Halbschuhe. Fixiert jh un-verhofft die Kamera. Mich?

    Das Auto sei nicht angesprungen, sagt sie und bedeutet sie htte keine Lust gehabt auf den Abschleppdienst und Werkstattwagen zu warten. Soll doch die Karre auf dem Bahnhofsparkplatz verrosten, das tut sie so oder so schon, sagt Luisa und meint, nie wieder gefangen sein zwischen vier Rdern des gemeinsamen einhelligen Fahrzeugs.

    Luisa hatte sich angewhnt, 1. Klasse zu fahren, hatte sich ange-whnt zu schauen, wo die Wagen der ersten Klasse in den Bahnhof ein-fuhren und nur dort einzusteigen.

    Sich von Menschen distanzieren, heit immer sich von unliebsamen Identi kationen trennen wollen. So sa sie auf ihrem ledernen Sessel, streckte die Beine aus und lauschte der Frauen Stimme, die da von: Pnktlichkeit des Zuges, Reisegeschwindigkeit, Anschlusszgen und einem Bistro in der Zugmitte erzhlte und Luisa meinte leise zu sich: das wre schn, ein Kaffee, ein Croissant und ein bisschen Marmelade, aber wie unterscheide ich die Menschen von 1. und 2. Klasse, wenn sie alle in einem Bistro sitzen?

    Also streckte sie sich noch einmal zufrieden und langte mit den Beinen besonders weit unter den leeren Sitz gegenber und stie ein leichtes Seufzen aus, beinahe so leise, dass gar nicht erst ihrem Mund entkam.

    Es ist nicht ganz klar, ob es ihr mehr ge el in der ersten Klasse zu sit-zen, um sich besser berhaupt wertvoll zu fhlen oder ob sie schlicht-weg die Leere und das gerumige Abteil genoss.

    Obgleich diese durchbrochen wurde von prahlenden Mnnerstim-men, die von Welt, Job und Frauen palaverten. Wo hingegen in der zwei-ten Klasse eine sengende Stille herrschte. Ein bisschen wie im Affen-haus, dachte sie sich und lachte in sich hinein, sich auf dem Ledersessel hin und her etzend und ihren Fe spielten mit den ausgezogenen

  • 30 31

    B Als ich .

    Fngt Hunter an.

    L Wie als du was?

    Schreit es hinter dem Duschvorhang durch das Rauschen der Brau-se.

    B Letzten Sommer, als ich .

    Setzt er erneut an und wird unterbrochen.

    L Du meinst als du nicht da warst. Mich daran jetzt zu erinnern, ist ja wohl das frechste, was du machen kannst.

    Emprt sich Luisa, hlt sich am Vorhang fest, dessen Metallstange sich biegt, aus der Wandverankerung lst, Hunter aufspringt er sieht ein Unglck kommen, die meisten Unflle den Duschvorhang hlt, da verliert Luisa ihr Gleichgewicht, reit den Duschvorhang aus der Wand, und mit ihm fallen Luisa und Hunter. Wie eine Haube bedeckt der Duschvorhang die beiden sich darunter be ndenden Gestalten.

    Fr einen Moment ist es still, dann bricht ein hllisches Lachen un-ter dem Duschvorhang hervor und die beiden tauchen aus dem Dusch-vorhang auf, wie aus der Tiefsee. Wasser berall. Htte Hunter aus der Zeitung ein Boot gebaut, knnten sie jetzt eine Kreuzfahrt machen.

    Sie hat das Dokument auseinander gefaltet, glatt gebgelt und lsst es sorgsam in ihrer Tasche verschwinden. Jetzt noch weiter nach drauen schauen und sich in Birkenwlder verlieren und Strommasten Schneisen in Wlder graben verfolgen? Das ist jetzt nicht die Zeit. Aber Gott sei dank, die Reisebegleitung hatte das Mikrofon nach ihrer Durch-sage nicht abgestellt und so konnte man das Gesprch Lachen und Feixten im Fhrerhaus belauschen.

    Was ein Glck. Und so tauschen sich sogar zwei Gesichter durch die Glastr ein Lcheln aus.

    Und es bleibt nichts als die Leere nach einem gescheiterten Versuch

    Ticket fr die erste Klasse.Fr gewhnlich also sah man nur die abgewandten Blicke, denn es

    geziemt sich nicht in die zweite Klasse zu stieren, wie aus dem Aquari-um. Nur eine hatte sich diesen Faux-pas und Lapsus erlaubt, und das nur weil sie dachte, der Zug fhre in die entgegensetzte Richtung.

    Ein guter Film braucht mindestens eine Rckblende aus besseren Zeiten. Ich dachte angebracht ist das in der letzten Szene vor dem Fi-nale. Ich habe mir dafr eine Bild-in-Bild Technik berlegt, wo ich beide Bilder bereinander lege:

    Luisa im Zug den Kopf gegen die Scheibe gelehnt und daneben die Erinnerung: Barrington liest Zeitung, raucht Pfeife, isst einen Apfel, trinkt Weiwein, sitzt auf einem alten Holzstuhl und legt die Fe auf den Badewannenrand, in der Luisa duscht. Sich hinter dem Vorhang versteckt, wie Hunter sich hinter der ausgebreitete Zeitung verbirgt, wie ber seinem Kopf Rauchschwaden steigen und ber ihrem Dampf-schwaden.

    Luisa im Zug hlt ein Dokument in der Hand. So fest, dass es knit-tert. Sie weint und Trnen fallen auf das weie Stck Papier.

    Hinter dem Duschvorhang versteckt, als kennten die beiden sich nicht. Htten sich noch nie Nackt gesehen. Spielen sie schchtern stell-dich-ein. Fliegen Spritzer Wasser auf die Zeitung. Raschelt der Vorhang, wenn Hunter wegen nasser Bltter an ihm zieht.

    Das vollstndig geknitterte Dokument in der Hand, sieht sie wtend aus. Wtend, als wre ihr etwas weggenommen. Als scheint, als liebu-ge sie damit, das weie Stck Papier weg zu schmeien.

    Wie Artelleriebeschuss iegen Papierkgelchen aus Zeitungspapier ber den Vorhang.

    B Weiwein erinnert mich an letzten Sommer.

    Barrington die Fe auf dem Badewannenrand, Weiwein trinkend.

    L Ich hre dich nicht, die Dusche ist so laut!

    Unter der Brause. Gibt vor ihn nicht zu hren.

  • 32 33

    zu spalten, zu trennen und zu distanzieren.

    FIN

    SZENE 8 LEVITICUS

    ABSTZE: 11

    ZEILEN: 71

    WRTER: 640

    ZEICHEN: 4077

  • 34 35

    gel.

    B Ich habe mir die Premieren so gelegt, dass ich noch mindes-tens eine Woche zu Hause bin. Sicherlich das Geschft leidet darunter. Manchmal muss man sich entscheiden. Wenn ich ehrlich bin {er steht auf}, die Woche ist vorbei, also wenn ich ehrlich bin, war ich noch nie begeistert weder von Kompro-missen noch von Opfern. Wer heute noch ein Opfer bringt, sei-en es nun Shne-, speise oder Reparationsopfer, der sei ver- ucht. Den ersten Menschen, den ich treffe, den ksse ich auf die Stirn steht nicht im Tanach sollte es aber. Isolation und Quarantne fr den, der sich opfert und an Lepra erkrankt.

    Lacht er, springt ber den Schreibtisch. Reit seine Schreibmaschi-ne runter. Hlt auf dem Bachar-Teppich inne. Schaut aus dem Fenster. Lacht wieder. Dreht sich im Kreis. Fllt irgendwann auf den Teppich. Taube soll man nicht ver uchen und blinden kein Hindernis in den Weg stellen.

    B Die Musik ist aus. So ein Jammer. Weit du, ich habe noch nie so dagelegen, auf dem Teppich. Stimmt. Ich wei jetzt auch warum, es lohnt sich nicht die Welt von unten zu betrachten.

    Barrington inzwischen im Lotos-Sitz auf dem Teppich ohne Me-ditation. Schaut unter dem Tisch hindurch in den Spiegel, der sich vom Boden bis zur Decke an der Wand entlang zieht, wie in schlechten Filme, Wein an Kirchenwnden.

    Flchtig und im Schatten des Zimmers stehen Menschen und sie halten sich den Finger auf den Mund. Unsichtbare Menschen. Es lutet an der Tr. Intuitiv drehe ich die Kamera in Richtung der Geruschquelle und ein oranges Licht ersetzt das rote Licht.

    B Ich hatte das Gefhl, meine Kinderrztin wrde fr die Behand-lung eine Gegenleistung, eine sexuelle Gegenleistung von mir erwarten oder mir die Leviten lesen.

    ANRUFBEANTWORTER. ICH STEHE in der Wohnung im Trrahmen Richtung Kche und halte die Kamera in den sonst unbeleuchteten Flur. Lediglich eine rote Lampe leuchtet schwach in regelmiger Fre-quenz auf ein Anrufbeantworter. Das Telefonkabel liegt ausgesteckt neben der Apparatur. Klassischerweise steht im langen Flur mit den ho-hen Decken etwa in der Mitte ein Telefontisch und Stuhl daneben. Wie ein stummer Zeuge sitzt auf dem Stuhl einer der Unsichtbarmenschen und hlt sich, motorisch unruhig und willkrlich bewegend auf dem Stuhl willfhrig den Finger auf den Mund.

    Der Anrufbeantworter gibt einen Ton von sich. Ein Rauschen geht durch den Flur. Kraftlos klingt klglich die Stimme einer Frau, als spre-che sie in eine Blechdose. Darber legt sich eine andere Stimme. Bitte beachten Sie die Lcke zwischen Mind the gap. U-Bahn Gerusche. Ein Sammelsurium aus verschiedenen Gesprchen ndet Eingang auf das Band. Es ist so laut hier, spricht die Stimme. Nchste Station Die Tren schlieen sich. Ich komme morgen zurck. Mind the Gap. Ein Piep-ton des Anrufbeantworters verliert sich ungehrt im Flur.

    Rotes Licht scheint auf einen Spiegel, der im Bild einen Rcken und Hinterkopf beherbergt. Ein Klicken und Klacken geht durch den Raum, wie von einer modernen Schreibmaschine, als wren Computer nicht erfunden wurden oder Jemand sucht sich die Zeit zurck zu drehen. Ro-tes Licht liegt, wie Salzwasser in Austernschalen, auf dem Schreibtisch. Wird unterbrochen vom hellen Schein einer Schreibtischlampe, deren Arm und Lampenkopf sich ber die Figur am Schreibtisch beugen, von der nur im Spiegel Rcken und Hinterkopf zu sehen ist. Sympathisches, rhythmisches Wackeln und Wippen, wie konzentriertes Schokeln.

    Von irgendwoher luft Musik und es ist klar, dass es eine Schallplat-te sein muss. Alle zwanzig Minuten steht die Person auf, tritt aus dem Bild der starren Kamera, verbleibt dort auerhalb des Bildes und wenn sie zurck gekommen ist sich erneut unter das Spiegelbild mischt kommt auch die Musik zurck, die zuvor einen Moment pausierte wie-der zu knacken beginnt.

    Irgendwann dreht sich die Person um und Hunter Barrington schaut in den Spiegel hinter sich, lacht aus sich heraus lacht sich aus, schiebt die Brauen hoch, dreht an einem Knopf, der rot leuchtet und zu einer Ap-paratur gehrt. Die Musik wird leiser und Hunter spricht mit dem Spie-

    FIN

  • 36 37

    Zwei Wochen sind um. Barringtons Lichtexperimente. Ich habe mich wie im Treppenhaus verbarrikadiert und mich in eine Ecke gedrckt. Presse mich gegen die Wand, als wrde ich die Erstr-mung eines besetzen Hauses aufnehmen wollen. Unsichtbar Menschen auf den Treppen. Eine Frau tritt in den Treppen ur und geht die Stufen zgig nach oben. Sie stampft. Aber nicht zu laut. Sie rauscht an der Kameralinse vorbei. Ihre Mimik entzieht sich dem Objektiv. Ein Gegen-stand klimpert in ihrer Hand. Steckt als bald, ich ihn entdeckt und mit der Kamera eingefangen habe im Schlsselloch und ohne zu warten, ffnet die Frau die Tr. Ich schmeie mich aus der Treppenhausperspek-tive und strme hinterher, schaffe geradeso zwischen den Spalt in der sich schlieenden Tr zu schlpfen. Die Unsichtbaren stehen drauen vor der Tr. Sie steht ohne sich die Schuhe ausgezogen zu haben in der Kche.

    L Alles noch beim alten hier. Sogar dein Glas Milch steht noch da. Die Milch ist Joghurt.

    Frucht iegen schwrmen aus dem Glas aus, als sie es anhebt und angeekelt fallen lsst. Klirren. Ein Lffel wirft sich, wie ein Rettungsan-ker aus dem Glas. Alter Joghurt klebt auf dem Tisch.

    B Bis auf unsere Uhren, die habe ich abgeschafft.

    L Du wolltest nicht wissen wie spt es ist.

    Fliegen setzen sich inzwischen auf den Lffel und knabbern Joghurt vom Lffel ab. Einige merken, dass auch der Tisch voll alten, guten, deli-katen Joghurt ist und lassen sich, wie Kinder in der Hpfburg, vom Lffel hinab in den Joghurt fallen.

    B Ich wollte nicht wissen, wann du wieder kommst.

    L Hast du den Anrufbeantworter abgehrt?

    B Nein.

    9. SZENE ZEIT DER FEINDSELIGKEIT

    ABSTZE: 62

    ZEILEN: 249

    WRTER: 1739

    ZEICHEN: 10665

  • 38 39

    msste ich aber bei Dunkelheit die Schatten verrcken und prfen, ob das Licht dem Schatten folgt oder da bleibt wo es ist. {aus dem ur}

    Er kommt zurck und rennt wie angestochen durch die Kche.

    B Ferner handelt es sich bei Licht und Schatten nur um eine Un-terscheidung, die ich {tippt sich mit dem zeige nger aufge-regt auf die brust} knstlich getroffen habe { zeige nger nach oben} Genauso gut, kann es sein, dass wo ich Schatten sage noch Licht ist, mein Sehen mir allerdings bedeutet, wo Licht auf einen Gegenstand trifft, da muss es hinter dem Gegen-stand einen Bereich des Lichtes geben, den ich als Schatten sehe und ihn Schatten nennen muss und andersherum, wo ich einen Schatten sehe, muss ich sagen knnen, berall wo Schatten nicht ist, muss Licht sein. Wahrnehmung tuscht sich, weil Wahrnehmung sich fr absolut hlt. Deswegen bist du auch irritiert, wenn Menschen in der Einkaufspassage zu schweben scheinen, dabei sitzen sie auf einem Tisch.

    Er seufzt, lsst sich auf einen Stuhl am Kchentisch fallen und be-endet resignierend. Starrt in das umgefallene Glas aus dem im Sekun-dentakt Joghurt, wie eine bleierne Masse luft, wie Sand am Strand nie-mals still steht.

    B Was ist der Mensch mehr, als ein mieser Syllogismendre-scher?

    Luisa langsam Mde von ihrer Deckung und ihrem Versteck, schlgt sich bis zum Kchentisch in der Mitte des Raumes durch, lsst beide Hnde im Stehen auf den Tisch klatschen. Hunter zuckt zusammen, lehnt sich ein Stck weit zurck, kippelt und hebt die linke Augenbraue, argwhnisch.

    L Das ist es, was du mir nach zwei Wochen sagen willst? Dass du mit Licht experimentiert hast?

    L Was hast du zwei Wochen ber gemacht?

    B ber Licht nachgedacht.

    L ber Licht (?).

    Hunter setzt sich an den Tisch. Ein Lavendelzweig, der 2 Wochen zuvor schon kmmerlich unter dem blauem Licht der Kche litt, hngt noch immer matt und kraftlos aus der armseligen Blumenvase. Ich lege die Kamera wieder auf den Tisch und trete erneut einen Schritt zurck. Der Plan diesen Film zu drehen, folgt einem engen Skript. Die Linse sucht Fokus durch trockene Blten und ndet ein klares Bild im Gesicht Hunter Barringtons. Er wartet nicht, bis Luisa sich zu ihm setzt, sondern steht wieder auf. Umkreist sie, wie wild gewordene Insekten oder wahn-anfllige Maniker. Sie hat inzwischen die Schuhe ausgezogen.

    B Lou, {hebt den zeige nger} wenn ich davon ausgehe, dass ich nur bei Licht sehen kann, dann kann ich nicht sagen, ob die Schatten das Licht de nieren oder das Licht die Schatten, denn berprfen kann ich es nur im Licht. {spreizt die augen auf, als wrde er sich erschrecken}

    Er redet ohne Punkt, Pause und Komma. Lou sucht Deckung und versteckt sich vor dem Fenster.

    B Und unter der Voraussetzung, kann ich mich nicht vom Ge-genteil meiner Sichtweise berzeugen und so wrde ich bei zweiter Sichtweise immer zu dem Schluss kommen: das Licht de niert den Schatten, denn wenn ich es drehe und richte, scheint es, als folge der Schatten dem Licht.

    Hunter gestikuliert ausufernd und verabschiedet sich erzhlend in den Flur ganz zur Irritation Luisas, die sich mutlos, ohne sich vom Fenster zu entfernen, nach ihm beugt weit es gehend.

    B Um wahrhaft meiner Behauptung Wahrheit zu verleihen,

  • 40 41

    Argument und deswegen habe ich dich betrogen. Die Leere in den Verhltnissen mit anderen Frauen lenkte mich von der Leere ab, die zwischen uns ist.

    Sie stockt und atmet verbissen, holt das gebgelte Dokument aus der Tasche und legt es von Hunter unbemerkt, auf dem Tisch, der wie in seiner Verteidigung gefangen ist.

    B Ich will aber nicht ber die Leere mit dir sprechen. In den zwei Wochen, die du mich allein gelassen hast und ich dich auch nicht betrog. War ich, wie ich am Kchentisch sa, Milch trank und rauchte, berrascht von dem unbndigen Gefhl der Unemp ndsamkeit und Leere, und mir wurde klar: das ist keine Leere, sondern bodenlose Einsamkeit. Ich habe mich mein ganzes Leben lang einsam gefhlt. Einsam mit dir. Ein-sam mit allen Frauen.

    Die Kamera springt. Das Bild schrft sich, xiert einen Moment die Gardinenstange oben am Kchenfenster und beginnt nach unten zu wandern. Der Raum ist eher vage und dunkel, statt Blau ber Blau von diversen azurem, marinen und indigenen Licht beschattet und belichtet zu sein.

    Luisa Barrington hat sich zurck auf die Fensterposition verzogen und steht mit verschrnkten Armen davor. Ist im Seitenpro l zu sehen. Ich lme aus Perspektive Barringtons. Also hinter dem Tisch. Wange, Nase einige Haarhundertschaften stehen von Luisas Kopf ab. Wenn im Hof das Licht angeht, verschwimmt ihr Krper zu einer schwarzen Silhouette im dunklen Zimmer. Wird wieder zu ihr und sichtbar, sobald das Licht erlischt. Sobald das hellste Moment sich wieder ins Zimmer verschoben hat. Es geht hier nicht um Licht.

    Das Fenster ist offen und irgendein Paar, das gerade miteinander schlft, sthnt ber den gesamten Hof. Beschmt schliet Luisa das Fenster wie unpassend das gerade ist.

    L {in aller khle} Ich war bei meinem Vater und habe dich aus der gemeinsamen Erbschaft streichen lassen. Du hast eine

    Er sammelt sich. Ruspert sich. Klopft sich das Revers ab, als trge er einen Anzug und die Lippen, der ganze Mund zittert ihm aber nicht, als wre ihm zum Heulen zu mute. Er holt aus seiner Gestasche das Paar braune Lederhandschuhe und streift sie sich entgegen seiner Ge-wohnheit in der Wohnung ber und stellt sich auf, stemmt sich mit den Hand che auf dem Tisch ab, ohne zu klatschen. Steht ihr gegenber. Sieht ihr in die Augen und als er spricht, macht er schmatzende Geru-sche, grimassiert leicht und wendet in halbwegs regelmigen Abstn-den den Kopf nach rechts. Gestikuliert wie zur Premiere. Hnden nach oben. Zeige nger-Warn-Position. Anhalten. Starre. Fr Sekunden. Dann pltzliche mit der achen die Luft durchschneiden und die Reste auf-wischen.

    Ich habe mir derweil einen Stuhl genommen, mich auf den Stuhl ge-stellt und lme die beiden, diagonal von oben in der Halbnahen.

    B Weit du Lou, jahrelang habe ich dir meine Leere verschwie-gen. Jahrelang habe ich dich betrogen um Leere zu entgehen. Trume ber Trume von fremden Frauen. Ich bin von Ver-hltnis zu Verhltnis zu dir gehastet. Mit wie vielen Frauen ich dich auch betrog. In welchen Betten ich auch lag. Ich will nicht grausam mit dir sein. Welcher Weiwein geschwnger-ten Sommertag . Kinder habe ich brigens keine. Welcher Frau ich auch etwas vorspielte. Es gab welche, denen habe ich versprochen mich von dir zu scheiden lassen, um dann mit ihnen zusammen zu sein. Egal welche Worte ich wohin whlte.

    {er pausiert, holt tief luft und setzt erneut an} Am Ende sehe ich mich. Wie ich das fremde Schlafzimmer ver-

    lasse. Mir die Schuhe zu binde. Aus der Wohnungstr treten will. Inne halte und Leere, die mich mein Leben lang verfolgte, berkommt mich und ich wei, damit ist dieses Verhltnis be-endet.

    L Hast du denn bei mir auch diese Leere versprt?

    B Ja und ich wollte das mit dir retten ich wei das ist kein

  • 42 43

    L Hunter du bist unertrglich.

    Dreht sich um und schaut ihn entsetzt an.

    B Kann er noch sprechen oder geht das nicht mehr?

    L Hun .

    B Hun, wie Honey hast du frher mal zu mir gesagt. {vorwurfs-voll}

    Sie stt laut auf und schluckt ebenso hrbar.

    B Tust du mir einen Gefallen?

    Sie luft irrtmlich und mechanisch auf ihn zu.

    L Was willst du?

    B ich will noch Einmal mit dir einschlafen, neben dir im Bett liegen, schlafen und aufwachen.

    L Auf keinen Fall.

    B Luisa, {pausiert} nur noch dieses letzte Mal. Wir werden uns nicht wieder sehen. Wir, unsere Leben trennen sich hier. Es gibt nichts was uns davon abhlt.

    Sie schaut aus dem Fenster und sperrt ihre Augen auf. Die Lnge einer Zigarette, die sie aus dem Fenster blickend raucht, ist es still in der Kche. Hunter sitzt unverndert und wie unbeweglich am Kchentisch.

    FIN

    Woche deine Sachen zu packen. Ich lasse dich diese Woche gerne wieder allein. Ich habe dir das Dokument in Kopie schon auf den Tisch gelegt, dass wir nicht ber Glaubwrdig-keit streiten mssen, alles weitere, kannst du ja mit deinem Anwalt besprechen. Das kannst du doch so gut.

    Sie lacht. Legt die Hand auf den Mund. Schttelt den Kopf. Drckt die Hand fester auf die Lippen. Presst das Lachen in ihre Kehle zurck und erinnert sich:

    L Das erste Date, wenn wir jetzt nicht von einander lassen hast du mal zu mir gesagt und Frisch zitiert brauchen wir in 7 Jahren einen Anwalt.

    B Dann haben wir ja noch ein paar Jahre. Was kommt jetzt?

    L Du bist pedantisch wie eh und je, manche Dinge ndern sich nie.

    Indes Hunter sich berdies zurck an den Tisch gesetzt hat. Die Handschuhe auszieht und die Hnde auf dem Holz faltet. Einen Mo-ment schweigt und abwechselnd auf seine gekrmmten Fingern und die daneben liegenden Lederhandschuhe starrt.

    B Wozu einen Anwalt, wenn du schon alles arrangiert hast? L Hunter . {sagt sie, verschluckt den gemeinsamen nachna-

    men}

    B Dafr muss ich dir dankbar sein.

    L Hunter nicht .

    B Die ganze Rennerei. Papa und sein Magenkarzinom besuchen gehen. Die schlappe, alte, zitterige Hand halten, ihr auf das Papier helfen .

  • 44 45

    DIE BEIDEN GEHEN ZU BETT. Rotorengerusche eines alten Flugzeugs. Bettdecken-rascheln zweier Menschen und zweier Bettbez-ge. Wenden sich wie symmetrische Figuren, wie in Spiegelthe-rapie voneinander ab. Eine Hand greift zum Stock und die Plastik-La-mellen einer Jalousie schlieen sich. Oranges Licht und Schichten von Staub verschwinden in Dunkelheit. Bltter eines Ventilators rotieren be-stndig schleichend und langsam. Unsichtbarmenschen liegen auf dem Boden des Zimmers und halten sich ihren Finger auf den Mund, stehen auch das Ohr an die Wand gepresst und dich gedrngt im Zimmer. Hier pressen sich die Ohren aus der Wand und wollen Auenwelt hren.

    Ich stehe auf der Bettkante und lasse die Kamera durch den nahe-zu nsteren pitch-black Raum schweben. Black as pitch, sollte ich diese Szene nennen.

    B Hrst du das? { spricht es leise in den raum}

    L Nein. {will nichts davon wissen}

    B Ist das Jemand? {ngstlich}

    L Hr zu, ich will, dass diese Nacht vor rber geht. {spannt die decke, wie einen kokon um sich.}

    B Du willst, dass wir vorrber gehen. Aber da ist jemand. In un-serer Wohnung. {in aller rationalitt}

    L Ich hre nichts. {noch immer mehr als genervt}

    B Leise Schritte und chtiges Atmen. Jemand ist in unsere Wohnung eingedrungen. {aufgeregt}

    L Das ist einer deiner Scherze. Du willst einen dramatischen Abgang. {spricht ber die Wand mit ihm}

    B Jetzt ist er, sie im Badezimmer. {hat sich zu luisa umgedreht, redet gegen ihren rcken}

    10. SZENE LEVITATION

    ABSTZE: 228

    ZEILEN: 613

    WRTER: 3176

    ZEICHEN: 19900

  • 46 47

    keinen Krach, keinen Schaden. Nicht mal das Gefhl von geraubter Un-versehrtheit.

    Auf den ersten Blick hat er nichts genommen und gerade das hat er geraubt. Illusion von Integritt, wo keine ist. Einbildung von Emp nd-samkeit, wo keine existiert.

    Die Beiden haben das Schlafzimmer verlassen. Ich verbleibe noch einen Moment im Zimmer. Die Kamera auf das Bett gerichtet. Unter dem Trspalt dringt ein dnner Film Licht. Und nuscheln, aus dem Flur aufgeregtes umher laufen. Dumpf weit weg. Wie drauen vor der Woh-nung dumpf eine Strae zu hren ist und sonst das Gerusch von Stil-le. Drhnende Stille. Licht dringt unter dem Trspalt hervor. Zwei eilig aufgewhlte Decken hngen halb zu Boden. Die Nachttischlampe war um umgefallen. Alles musste sehr schnell gehen. Drhnen von weit her. Dumpf dringt in die drhnende Stille, wie Licht unter dem Trspalt in den dunklen Raum. Dieses Gefhl von erschpfter Mdigkeit, aber nicht schlafen knnen.

    Lou kommt in die Kche, zittert.

    L Nichts hier ist niemand.

    Das Messer auf dem Kchentisch. Die Handschuhe fehlen. Steht Hunter die Hand chen nach auen, schuldig unschuldig daneben und blickt zu Luisa durch sie hindurch die gerade sich schttelnd, wie Panik abschttelnd, die Kche nach dem Einbrecher untersucht.

    B Wolltest du mich ihm ausliefern?

    L Wem denn, wenn hier niemand ist? Du hattest die ganze Zeit ein Messer im Nachtschrank.

    B Jemand war hier. Und du wolltest, dass ich ihm ins Messer laufe.

    L Die Polizei muss gleich hier sein. Mach keine Szene.

    Du Hysteriker will sie ihn nennen und sagt:

    L Da ist jemand. {reit die augen auf}

    Augenwei im Raum.

    B Nimm das Messer aus dem Nachtschrank und gib es mir. {zuversichtlich.}

    L Es gibt ein Messer im Nachtschrank? {wtend und erschro-cken}

    B Nimm es. Ich mache Licht an. {bestimmend}

    Und sie ffnet die Schublade des Nachtschrnkchens, auf dem ne-ben einer Nachttischlampe zwei Armbanduhren eine mit dickeren eine mit dnneren Armband nebeneinander liegen wie in alten Zeiten. Und entnimmt der Schublade das Messer.

    L Ich bin soweit. { stert sie}

    Eine schwarze Gestalt, die bei Licht an Farbe gewinnt, kraucht keuchend, wie eine Assel unterm Stein, durch die Wohnung.

    B Ich ffne jetzt die Tr. {steht aufgeblasen, aber zitternd an der tr}

    Im Flur.

    L Ich gehe zum Telefon und rufe die Polizei. Geh du in die Kche und berrasche ihn.

    B Beeil dich! {ausser atem} Als der Einbrecher hrt, jemand ist wach geworden, schleicht er, wie

    er hineingekommen war, wie der Krebs, aus der Wohnung. Er hinterlsst

  • 48 49

    Zwischen-drin streiten sich Barrington und Lou. Jagen sich zwi-schen den Polizisten, wie im Spiegellabyrinth.

    L Diese Diskussion ist sinnlos.

    B Diese Sache zwischen uns ist ber-endet.

    H ich verabschieden sich Beamte und Sanitter, dem ist nichts mehr hinzuzufgen. Wie in einen groen Koffer saugen sie das Blaulicht, Sirenen und nehmen die Aufregung wieder mit sich. Schlieen die Tr hinter sich. Traben ber den Hinterhof und wie sie einen vermeintlichen Tatort verlassen, tritt Schweigen in die vier Wnde der Barringtons, die selbst nach dem vermeidbaren Tohuwabohu am Kchentisch sitzen. Die sie ihre Hnde in den Scho graben und beklommen eine Stille auf den Lippen tragen. Unsichtbarmenschen um sie herum. Es ist drei Uhr Nachts.

    B Eine Woche?

    L Eine Woche.

    B Du bleibst dabei?

    L Ich muss.

    B Fr wen?

    L Das ging alles sehr schnell.

    B Wie in einem Film ber uns.

    L Was machen wir?

    B Ich wei nicht. Gehen wir wieder ins Bett?

    L Willst du nicht auf der Couch schlafen?

    Einbrecher kommen oft an den Ort des Verbrechens zurck. Nicht unbedingt um zu sehen, um zu verstehen oder zu bewahren, sondern weil eine versicherte oder nicht versicherte Wohnung ein nachwachsen-der Rohstoff ist und sie sich, in einem bereits observierten Ort, bestens auskennen. 8,3% der Einbrecher brechen in die Wohnungen ihrer Nach-barn ein. 6,2% Menschen brechen in die Wohnung eines Freundes ein. 2,4% sind Familienangehrige. 0,4% nahe Verwandte und 3,8% hat man als Opfer des Einbruches schon Einmal irgendwo gesehen. Die restli-chen 79% sind dem Opfer unbekannt. Oft sinnen Einbrecher sich wahre Strategien fr den Einbruch zusammen. So wird hu ger in Wohnungen eingebrochen deren Besitzer oder Mieter sich im Urlaub be nden. Man-che Einbrecher fragen dann als Pizzabote, Postbote, Hausmeister oder Angestellter einer Befragung wo der oder diejenigen seien und erfah-ren so ber Arbeits-, Urlaubs- und andere Zeiten, in denen die Wohnung unbewohnt ist. Dass Nachts die meisten Einbrche statt nden ist ein Gercht. Einbrche sind auf Tag und Nacht etwa gleich verteilt.

    Aufregung, Sirenen, und Blaulicht wandert in rasanten Bahnen durch die Kche. Polizei und Krankenwagen, weil angenommen wurde jemand sei verletzt. Die ganze Wohnung steht voll mit Menschen, die mit der Wohnung nichts zu tun haben. Zu den Beamten gesellen sich eine Reihe Unsichtbarmenschen, die durch offene Tr rein kommen. Man meint irgendwo msse ein Nest sein. Und tun, was sie immer tun. Meist sind sie nutzlos.

    Wenn es Illusionen zu rauben gibt, war der Einbrecher so etwas, wie der Dietrich, das Werkzeug selbst, mit dem die Fremden in die Wohnung gelangten und ihre ja was eigentlich? sie um eine Idee beklaute, am ehesten entfremdete.

    Der Fall ist aufgenommen. Keine Spuren. Kein Schaden.

    L Du hast das Fenster aufgelassen

    Die Beamten stehen hil os in der Wohnung.

    B Weil du dich ber die Luft hier beschwert hast.

    L Du meintest es stinkt nach Rauch!

  • 50 51

    B Mchtest du?

    L Ja Mohnbrtchen wren schn.

    B Stellst du dir einen Wecker?

    L Ich wei nicht.

    B Ich kann auch lesen, bis du wach bist.

    L Meinst du denn du wachst frher auf?

    B Muss ich das nicht, wenn ich Brtchen holen gehen soll?

    L Hunter, du musst nichts.

    B Gut, dann werden wir sehen.

    L Ja werden wir. Ich gehe ins Bett jetzt. Gute Nacht.

    B Gute Nacht.

    L Ich hoffe du schlfst gut.

    Sie ffnet die Tr. Wie einen Fluchtweg, leuchtet das Augenlicht der Kamera den Flur aus.

    B Ich auch, ja.

    L Brauchst du noch ein Kissen?

    B Nein, nein. Geh mal ins Bett. Ich komme zurecht.

    L Aber du hast nie ohne Kissen .

    In den dunklen Flur, nicht zu ihm, schauend unterdrckt sie erste

    B Und dann?

    L Knnen wir morgen frhstcken.

    B Danach fhrst du?

    L Ich glaube das ist das Beste.

    B Dann war der Einbrecher doch zu etwas gut.

    L Also gute Nacht.

    B Ich brauche noch eine Decke.

    L Ich hol dir eine.

    Sie verlsst die Kche. Hunter sitzt am Tisch, schaut rber zum Sofa, schaut auf seine Hnde und schaut gegen die Wand.

    L Ich hoffe die reicht.

    B Ja.

    L Also dann.

    B Ja dann bis morgen.

    L Bis morgen.

    Versehentlich macht sie ihm das Bett. Ertappt sich dabei, lchelt kurz und seufzt. Hunter sitzt noch am Tisch und beachtet sie nicht. Steht aber auf. Sie verlsst den Raum in Richtung Flur. Als sie die Tr-klinke nach unten drckt bleibt sie stehen, blickt zu ihm, der er vor dem Sofa, das heute sein Bett ist, verloren in der Kche steht.

    L Holst du Brtchen?

  • 52 53

    tung. Luisa erscheint in einem zugebundenen Morgenmantel. Setzt sich stillschweigend an den Frhstckstisch, schneidet sich ein Mohnbrt-chen auf, trinkt aus der Tasse neben ihrem Teller und ein Neglig scheint aus dem Morgenmantel. Es ist nichts. Die Kamera liegt noch auf dem Bord und ich beabsichtige nicht, die Einstellung noch einmal zu vern-dern.

    L Wenn du noch einmal .

    B Luisa. {brummt er hinter der zeitung}

    Sie nimmt ein Ei aus dem Korb und pellt die Schale ab.

    L Ist es das?

    B Das? {schenkt ihr noch immer keine beachtung}

    L Unser letztes Frhstck, verbringst du hinter der Zeitung?

    B Also. {er legt die Zeitung beiseite}

    L Wie hast du geschlafen? {sichtlich erleichtert}

    B Gut.

    L Was heit gut? Mit gut kann ich nichts anfangen!

    Sagt sie frhlich, als sei es ein Morgen wie jeder Andere.

    B Gut heit gut.

    L Lass dir doch nicht .

    B Alles aus der Nase ziehen?

    L Doch nicht beim Essen Hunter!

    Trnen.

    B Es wird schon gehen.

    Sagt er noch immer in der eigenen Kche, wie ein Fremder stehend.

    L Ja du hast recht.

    Spricht sie in den Flur und unterbindet ein Brechen der geschwolle-nen Stimme.

    B Gute Nacht.

    L Gute Nacht.

    Barrington lscht das Licht. Faltet die Decke auseinander. Ein Zettel fllt aus der Decke und segelt gen Kchenboden. Er schaltet das Licht wieder ein. In der Hocke faltet Hunter den Zettel auseinander, Schlaf gut. Luisa. Er legt ihn neben sich auf den Kchentisch, lscht erneut das Licht und legt sich auf die Couch und zieht die Decke ber sich.

    Ich lege die Kamera auf das Kchenbord und lasse sie angeschal-tet. Im Zeitraffer ergiet sich die Morgenrte ber die Kche und klettert ber das zusammengerollte und sich fter ruckartig bewegende Huf-chen Elend auf dem Sofa empor.

    Er lie das Fenster erneut auf und schob den Vorhang in die Mitte. Dass die Fenster wie Flgel eines Insektes von einem Rcken abspreiz-ten. In der Nacht. Mit seichtem Wind und dem Licht einer Laternen oder khlem und potentem Mondlicht, sah es aus als atme der Rcken der Vorhang und das Fenster.

    Schnitt.

    Der Kchentisch gedeckt. Offenes Fenster, Sonnenlicht, Vorhnge wehen im Wind. Aus dem Insekt ist das Klischeebild eines Hotelzimmers aus dem Sommerurlaub geworden.

    Hunter trinkt eine erste Tasse Kaffee und liest die druckfrische Zei-

  • 54 55

    B Und dann? Ziehst du allein in die Wohnung?

    L Ich werde sicherlich vermieten.

    B Vermieten. Unsere Wohnung vermieten.

    L Nein, meine Wohnung vermieten.

    B Deine Wohnung vermieten.

    L Und du?

    B Darber habe ich noch nicht nachgedacht. Wahrscheinlich erst einmal im Bro des Kinos schlafen.

    L Das hast du frher schon gemacht.

    B Ja.

    L Kann ich dich damit allein lassen?

    B Damit? Mit dem Kino? Ja sicherlich.

    L Ich meinte mit dem Frhstckstisch .

    Schweigen.

    L Darf ich dich noch etwas fragen?

    B Bitteschn. {suf sant}

    L Hast du mich je geliebt? {mut nur blinder mut}

    B Geliebt? {stimme fllt ins unsichere seichte}

    L Oft hatte ich das Gefhl du wsstest berhaupt nicht .

    Er lacht. Fngt heftig an zu lachen. Luisa lacht mit. Beide sitzen la-chend am Tisch.

    B Luisa, wofr lebst du eigentlich? {pltzlich sehr ernst}

    L Wie meinst du ?

    Er nimmt sich ein Brtchen aus dem Brotkorb, schneidet es auf, be-streicht es mit Butter und beit davon ab. Dann nimmt er sich ein paar Bltter Salat, legt sie auf das Brtchen und whrend er isst, hlt er mit zwei Fingern das Grnzeug fest.

    L Wofr lebst du?

    B Ich wei es nicht.

    L Was ist mit dem Kino? Ich dachte du lebst fr das Kino?

    B Wenn ich fr das Kino lebe, wofr lebst du dann eigentlich?

    L Ich habe auch dafr gelebt.

    B Und jetzt?

    L Brauche ich ein neues Leben.

    B Ein neues Leben . {wiederholt er aushauchend und lacht dabei in leichter verzwei ung}

    L

    B Was machst du nun?

    L Erstmal bei meinen Eltern wohnen. Mich um meinen Vater kmmern.

  • 56 57

    L Was?

    B Geliebt. Wie ich noch nie Freunde hatte. Ich war immer nur befreundet mit Menschen, mit denen ich mal eine Affre hat-te, also Frauen mit denen ich mal schlief oder Menschen, mit denen ich in irgendeiner Weise zusammen arbeitete. Men-schen also, die mir etwas schulden.

    L {unterbricht ihn} Und ich? Was schulde ich dir?

    B Dieses Ding: Bindung, war mir immer suspekt und zeitlebens eine fremde Sache, die ich nach Belieben knpfen und auf-kndigen konnte. {geht nicht auf ihre frage ein}

    L Gut.

    B Gut? Was meinst du mit gut? {spricht er wtend}

    L Gut heit gut. Ich werde gehen jetzt.

    B Willst du nicht noch ? {unterbricht sich selbst}

    L Will ich was noch?

    B Nichts. Es ist nichts.

    L Nichts, nichts? {fragt sie die brauen hebend}

    B Ich wollte dir noch einen Traum erzhlen.

    L Aber?

    B Du gehst jetzt. {macht ihre intonation nach}

    L Ich kann noch bleiben kurz. {nimmt die satire ihrer intonati-on auf und bertreibt es noch}

    B Was das ist?

    L Und?

    B Und?

    L Was antwortest du?

    B Teile von dir.

    L Teile von mir?

    B Meinst du es ist eine gute Idee das jetzt zu ? Die beiden geben eher stockende Artefakte von Stzen von sich, als

    miteinander zu reden.

    L Wann denn sonst?

    B Ich werde immer etwas nden, das ich abscheulich nden kann.

    L Abscheulich. Du hast abscheulich gesagt.

    B Manchmal {er schmiert sich noch ein marmeladenbrot} wenn du lachst, oder begeistert von etwas erzhlst, htte ich mich am liebsten bergeben.

    L Wie kann man nur mit so einem Menschen .

    B Nur verheiraten sein?

    L

    B Ich habe das noch nie gemacht.

  • 58 59

    B Ich schaue daraufhin verdutzt auf meine Karte und kann die Statue nicht nden. Selbst ist die Staute vollkommen schwarz, wie verrut und angegriffen von der Witterung und wird ankiert von weien Huserreihen, die hinter einem Ge-rst verhllt sind. An sich sehr baufllig aussehen: lockere Dachlatten, einige liegen zerbrochen auf dem gep asterten Untergrund der Via Appia, dann noch offenes Mauerwerk in den sonst ordentlich und wei verputzten etwa drei-etagigen Husern. Dazwischen Neptun, wie er sich auf seinen Dreizack sttzt. Auch zu den Husern nde ich keinen Eintrag auf mei-ner Karte.

    Luisa hrt zu. Hier scheint es eine gewisse Routine zu geben. Sie schmiert sich Marmelade auf ein Mohnbrtchen. Trinkt Orangensaft und spielt mit Mohnsamen.

    B Meine beiden Freunde wollen, dass ich ihnen eine Art von Psy-chotherapie erklre. Dazu msst ich ihr euch, sage ich im Traum, vergegenwrtigen: da sind verschiedene Formen von Angst und die ngsten frdern ein bestimmtes Verhalten und damit gehen dezidierte Kon ikte einher und wenn die Kon ikte sichtbar wer-den, nennen wir das: Symptom.

    Erzhlt Barrington noch immer seinen Traum und fhrt weiter fort:

    B Toujours la mme chose, was den Menschen angeht, ergibt nichts, was ihn betrifft Sinn, ausgenommen im Lichte seiner Beziehungen. Und das spricht mein Traum-ich und zeigt auf die Statue; Neptun, der rmische Hades, Gott der Unterwelt, der die Toten ber den Fluss Lethe ins Jenseits bringt.

    Inzwischen brechen klare Sonnenstrahlen durch das Kchenfenster ber den Frhstckstisch hinein, blenden Hunter und er blinzelt, als er zu Luisa im Schatten spricht.

    B Stellt euch vor, spreche ich im Traum. Ihr wrdet eure ngste,

    B Es ist ja besser fr uns.

    L Wenn ich gehe?

    B Ja.

    L Warum?

    B Nachher gewhnen wir uns wieder aneinander.

    L Was ist mit dem Traum?

    Hunter Barrington schlrft laut Kaffee aus der Tasse.

    B Also gut.

    L Du musst nicht.

    B Ich wei, du hast gesagt: ich muss nichts. Ich mchte aber.

    L Gut, ich bin gleich wieder da.

    Einen Moment sieht es aus, als wohne Hunter allein in der Wohnung. Einen Moment spter kommt Luisa um- und angezogen zurck. Hunter noch immer in Morgenmantel, ganz so, als wre Luisa zu Besuch.

    Sie fllt sich Kaffee aus einer Drckkanne in ihre Tasse, trinkt einen Schluck ab und schaut ihn zuhrend an.

    B Ich war mit 2 Freunden in Rom. Wie laufen die Via Appia ent-lang vorbei an der Basilika San Sebastiano fuori le mura und den Catacombe di San Sebastiano, den Sebastians-Kata-komben in Richtung der Aurelianische Stadtmauer, bis wir pltzlich zur einer Statue kommen, die Neptun darstellt.

    Er unterlegt den Traum mit ausufernder Gestik und Mimik, formt die Statue mit den Hnden nach. Und vermisst dazu nur die Handschuhe.

  • 60 61

    L Du hast dich geirrt im Traum.

    Er begleitet sie zur Tr. Ich stehe bereits mit der Kamera in Trnhe und hre die beiden auf dem Weg zu mir sprechen und sehe sie nicht.

    B Die Frage: wie viel Beachtung schenke ich diesem Irrtum?

    Spricht Hunter, als sie in den Flur kommen und in das Bild der Ka-mera laufen.

    B Tue ich ihn als Dummheit ab oder unterstelle ich meinem Traum-ich eine unterschwellige gar bswillig niedertrchtige Absicht.

    Sie hockt sich vor ihm hin um ihre Schuhe zu zubinden.

    B Auch der Fluss ist ein Hinweis.

    Und steht nun vor ihm. Wrde man ihre Stimmen um den Ton berau-ben, sehe es aus, als wolle er ihr den Weg versperren.

    B Wenn ich glaube etwas sei Pluto - schuldhaft, schlecht und scheulich -, es aus anderer Sicht oder eigentlich jedoch Po-seidon ist, ndern sich damit die Bedeutungsbezge. ndert sich die Aussage ber den Krebs, der nun als Wassertier in den Fluss zurckkehrt, statt auf der Brust zu sitzen. Sich in den Krper frisst und Leben verdrngt.

    Ein bisschen verloren sieht sie aus, wie sie durch Worte, statt durch Hnde und Arme davon abgehalten wird zu gehen.

    B Wie der Widersacher, sich wandelt in das, was er widerlegen will. Aus Nemesis wird Bruder .

    Er berlegt. Luisa ungeduldig.

    Kon ikte und Beziehungen ins Reich der Toten bringen wollen. Versteht ihr das? Dann Luisa, will ich ihnen noch eine andere Art der Therapie erklren und sage: Neptun ist das Symptom und man msse um ihm beizukommen aus einer Anleitung eine Fhigkeit auswhlen und trainieren.

    L Irgendwann solltest du deine Trume mal im Kino vortragen. {sagt sie scherzend}

    B Ich komme aber nicht dazu {spricht er sie ignorierend}, weil das Interesse meiner Freunde allein den Kon ikten gilt. Im Traum lache ich auf und rede irgend etwas von Ringparabel und Paradigmen daher.

    Er trinkt einen Schluck kalten Kaffee, erzeugt eine Pause und schliet an:

    B Letztendlich meine Freunde haben sich schon entfernt schaue ich auf die Staute: zusammen gequetscht zwischen den weien Reihen, der bauflligen Huser, hinter Baugerst und Bauplane und rufe zu meinen Begleitern: Krebs, Knig aller Krankheiten! Neptun klafft zwischen den weien Hu-serreihen, wie ein Tumor.

    L Das witzige ist ja, man denkt man trumt Stundenlang, aber Traumzeit und die echte Zeit passen nicht zusammen.

    Sie steht auf. Klopft sich ab. Mohnsamen und Brotkrmmel fallen zu Boden lchelt verloren zu Hunter.

    Ich nehme die Kamera vom Kchenbord, wo sie seit gestern Abend stand.

    L Das war ein schner Traum, aber eine Sache .

    B Das fllt mir jetzt auch auf. Neptun ist nicht das Gegenstck zu Hades, sondern Poseidons Pendant.

  • 62 63

    B Interessant auch, dass mein Traum-Ich den Fluss Lethe er-whnte, der natrlich ein Fluss der Unterwelt ist, doch auch Vergessen bedeutet.

    L Hunter, ich gehe jetzt.

    Mit ihr verlassen eine Reihe von Unsichtbarmenschen die Wohnung.

    FIN

    Wenn in Zeiten der Not alte Filmrollen recycled werden, dass heit die Bilder mittels Sure entfernt, getrocknet werden und fr neue Filme Verwendung nden wie mit der antiken Literatur verfahren wurde, um Gesangsbcher daraus herzustellen, bleiben manchmal jedoch von der Sure unberhrt, einige Teile des alten Films bestehen und so doppeln sich der neue und der alte Film und es entstehen Artefakte, welche im neuen Film meist unbemerkt fr einige Sekunden zu sehen sind wie unsichtbare Menschen, die genauso wie Assistentin, Kameramann und Regisseur im Film nicht zu sehen sind.

    ENDE

    ABSTZE: 465

    ZEILEN: 1889

    WRTER: 11533

    ZEICHEN: 73212