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 gefangenen info unsere solidarität gegen ihre repression | aug./sept. 2009 | preis: 2 € | nr. 349 | www.gefangenen.info

Gefangenen Info #349

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8/6/2019 Gefangenen Info #349

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gefangenen infounsere solidarität gegen ihre repression

| aug./sept. 2009 | preis: 2 € | nr. 349 | www.gefangenen.info

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Inhaltsverzeichnis

Das Gefangenen Info ist aus dem Angehörigen Info her-vorgegangen, welches im Hungerstreik der politischenGefangenen 1989 entstand.HerausgeberInnen: Netzwerk Freiheit für alle poli-tischen Gefangenen und FreundInnen.V.i.S.d.P.: Wolfgang Lettow c/o Gefangenen Info, Stadt-teilladen Lunte e.V., Weisestraße 53, 12049 BerlinEigentumsvorbehalt: Nach diesem Eigentumsvorbehaltist die Zeitung solange Eigentum der/des AbsenderIn, bises den Gefangenen ausgehändigt worden ist. „Zur-Habe-Nahme“ ist keine Aushändigung im Sinne des Vorbehalts.Wird das Info den Gefangenen nicht persönlich ausge-

händigt, ist es der/dem AbsenderIn mit dem Grund der Nichtaushändigung zurückzuschicken.Anschrift: Gefangenen Info, c/o Stadtteilladen Luntee.V., Weisestraße 53, 12049 BerlinRedaktion: [email protected].

Vertrieb: [email protected]: Einzelpreis: 2 €. Ein Jahresabonnementkostet 29,90€ (Förderabo 33,20€), Buchläden, Infolädenund sonstige Weiterverkäufer erhalten bei Bestellungenab 3 Stück 30% Rabatt. Bei Bestellungen erhalten Sieeine Rechnung, die anschließend auf das Konto des Ge-fangenen Info zu überweisen ist.

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Liebe Leserinnen und Leser,

wir freuen uns, euch mitteilen zu können,dass das Gefangenen Info nun endlichseine eigene Homepage hat. Die Sei-te ist über www.gefangenen.info zu er-reichen und beinhaltet bisher die 2009veröffentlichten Ausgaben des Infos.Gleichzeitig haben sich dadurch unsere

E-Mailadressen verändert, die ihr demImpressum entnehmen könnt. Für aktu-elle Nachrichten, Meldungen, Termine,Materialien und Gefangenenadressenverweisen wir ausdrücklich weiterhinauf die Homepage des Netzwerks unter www.political-prisoners.net.

Mit Freude teilen wir außerdem mit, dass Rainer Dittrich, Hasan Subasi, Ilhan De-mirtas, Christian S., Philip und der Beugehäftling Nuri Eryüksel seit Erscheinen un-serer letzten Ausgabe freigelassen worden sind. Zu allen Freilassungen könnt ihr imInnenteil mehr lesen. Wir wünschen allen Freigelassenen unsere besten Wünscheund weiterhin viel Kraft!

Wir haben festgestellt, dass einige Gefangene Ausgaben des Gefangenen Infosnicht erhalten haben. Diese haben wir natürlich nochmals verschickt. Da wir Adress-änderungen der Gefangenen unverzüglich zur Kenntnis nehmen und die nötigenUmstellungen vornehmen, kann davon ausgegangen werden, dass die Behördendafür verantwortlich sind. Wir bitten die Gefangenen darum, uns weiterhin mitzutei-len, wenn das Gefangenen Info nicht ankommt oder ausgehändigt wird, damit wir darauf reagieren können.

Den Schwerpunkt dieser Ausgabe bildet ein Beitrag über das historische Projekt der IRH (Internationale Rote Hilfe). Dieser Beitrag stellt den Auftakttext einer Reihe dar,die neben einer historischen Aufbereitung der IRH einen Bezug auf heute nimmt undden aktuellen Ansatz der Internationalisierung der Solidaritäts- und Antirepressions-arbeit innerhalb der RHI (Rote Hilfe International) thematisiert. Die Fortsetzung der 

Textreihe folgt dann jeweils in den kommenden Ausgaben.

Zum Beitrag über die krebskranke Güler Zere auf Seite 10 möchten wir hinzufügen,dass schwerkranke politische Gefangene in Westeuropa erst zum Streben aus demKnast entlossen wurden. Es sei hiermit an Katharina Hammerschmidt, Gefangeneaus der RAF, erinnert, die 1975 an Krebs starb. Der Knastarzt hatte damals dasKrebsgeschwulst am Hals „übersehen“, bis es zu spät war für eine medizinische Be-handlung. Oder Joëlle Aubron, Gefangene aus der Action Directe, die in der Nachtzum 1. März 2006 nach langer Krankheit starb. Wegen des entdeckten Krebseswar Joëlle Aubron nach 17 Jahren Knast am 14. Juni 2004 vorzeitig freigelassenworden.

Hinsichtlich Leonard Peltier, zu dessen Situation wir auf Seite 14 einen Artikel unter-

gebracht haben, müssen wir an dieser Stelle eine aktuelle Meldung anfügen. Kurzvor Druck erreichte uns die Nachricht, dass der Antrag auf Bewährung abgelehntworden ist. Wir werden in der kommenden Ausgabe nochmal auf seinen Fall einge-hen und verbleiben bis dahin mit herzlichen und solidarischen Grüßen.

Freiheit für alle sozialen und politischen Gefangenen!Die Redaktion

E-Mail: [email protected] Homepage: www.gefangenen.info

Vorwort

Die Entwicklung und Anwendungder Isolationsfolter in denLändern Westeuropas

Zur Geschichte und Aktualitäteiner Solidaritäts- undAntirepressionsorganisation

Interview mit Werner Braeuner

mg-Verfahren geht in die letzteRunde - TagX in Vorbereitung

Interview zur Situation derkrebskranken Güler Zere

TierrechtlerInnen in Österreichkurz vor Prozessauftakt

Haftbedingungenim Gefängnis von Straßburg

Infos zu den Gefangenen ausAction Directe und G.I. Abdallah

Leonard Peltier:Frei oder nicht frei...

Verhaftung einer maoistsichenGenossin

Kaliforniens Knäste:Eine Alptraumfabrik

Faruk Ererenzu seiner Haftsituation

Thomas Meyer-Falk zurVerweigerung seiner Freilassung

Cengiz Oban zur Diskussion „Solidarität muss praktischwerden“

Nurhan Erdem zu ihrenHaftbedingungen / Beitrag gegen die NATO

Gedichte von Mustafa Atalay

Freilassungen inStammheim und Düsseldorf 

Karl Plättner: Eros im Zuchthaus

Schwarzbuch Strafvollzug

Leonard Peltier:Old Protector of the Woods

Schwerpunkt

Inland

International

Gefangene/ Briefe aus den Knästen

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Feuilleton

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Die Entwicklung und Anwendungder Isolationsfolterin den Ländern Westeuropas„Aber der größte Fehler der Behörden war es,uns zusammen zu lassen, weil zusammenunsere Entschlossenheit verstärkt wurde. Wir unterstützten einander und gewannen Stär-ke voneinander. Wir teilten miteinander, wasimmer wir wussten und lernten, und durchdieses Teilen vervielfachten wir, was immer 

 jeder Einzelne an Mut aufbrachte.“Soweit Nelson Mandela in seiner Autobiogra-phie über die Zeit im Knast.

Leider machen die Regierungen der imperia-listischen Länder diesen „Fehler“ schon langenicht mehr.

Historisches

Während das alte pennsylvanische Gefäng-

nissystem intuitiv entwickelt und religiös be-gründet wurde, gab es nach dem ZweitenWeltkrieg eine systematische Forschungüber die Auswirkungen der Isolation und desEntzuges von Sinnesreizen auf den mensch-lichen Organismus, und zwar explizit mitder Zielsetzung, die politische und persön-liche Identität der Betroffenen zu zerstören.US-amerikanische Forschungen auf diesemGebiet wurden Anfang der 1960er Jahre inHamburg-Eppendorf übernommen und fort-gesetzt, um „rechtzeitig“, im Anschluss andas Aufkommen des bewaffneten Kampfesin den Metropolen, in den Superknästen (Mo-dell Stuttgart-Stammheim) oder den Hoch-

sicherheitstrakten (Modell Köln-Ossendorf)umgesetzt zu werden.

Im Gegensatz zu vielen anderen Methoden,mit welchen die Forschung experimentierte- „Lügendetektoren“, Geständniserpressungunter Drogen u.a., die alle zwar wirksam,aber wenig zuverlässig waren - hatte die in-ternationale Bourgeoisie mit der Isolationsfol-ter eine erprobte Waffe in der Hand, die sienicht mehr weggeben wollte. Ende der 80er Jahre wurden die Knastkollektive der PCE(r)und GRAPO in Spanien aufgelöst. Die Be-troffenen kämpften damals mit einem großenHungerstreik dagegen. In Italien wurden die

nicht gebrochenen Gefangenen seit etwa der gleichen Zeit isoliert, und seit 2000 wurdendie F-Typ-Gefängnisse in der Türkei zumStandard. Auch dort gab es riesige Kämpfeinnerhalb und außerhalb der Knäste. 122Menschen fanden den Tod und 600 wurdendurch Zwangsernährungsfolter verkrüppelt.Am 19.12.2000 fand ein scheußliches Ge-fängnismassaker statt, bei dem 28 revolutio-näre Gefangene ermordet wurden. Danebenexperimentieren die Repressionsapparateauch immer wieder mit dem gezielten Einsatzvon Reizüberutung.

Auswirkungen der Isolationsfolter 

Es versteht sich von selbst, dass allein schondie Trennung der Gefangenenkollektive unddie Unterbringung in Einzelzellen ein Angriff auf die Identität der Gefangenen bedeutet.Der gegenseitige Austausch und die gegen-

seitige Stärkung, wie Mandela beschrieb,sind so direkt nicht mehr möglich. Insbeson-dere in den Kulturen, in denen gemeinschaft-liches Leben viel selbstverständlicher ist alsvielleicht im nördlichen Mitteleuropa, bedrohtdie Isolation das individuelle Gleichgewichtentsprechend noch stärker.Bei längerer Einzelhaft sind Gefangene vonfolgenden Beeinträchtigungen bedroht: eineallgemeine psychische Labilität, wobei dieBetroffenen ihren Stimmungen und Trie-bimpulsen verstärkt ausgesetzt sind undsie schlechter kontrollieren können. Da dieAußenwelt monoton ist, dringen die Impulseund Phantasien aus der Innenwelt verstärktins Bewusstsein. Scheinbar geringfügige An-lässe können Verstimmungen und Angstzu-stände auslösen. Die Konzentrationsfähigkeit

über längere Zeiträume lässt nach. Die Fä-higkeit, komplexere gedankliche Zusammen-hänge zu erfassen, nimmt ab. Störungen desKörpergefühls und Angstzustände sind häu-g, aber es kann auch zu Sinnestäuschungen

kommen. Licht- und Geräuschempndlichkeit

nehmen zu. Es kommt zu einer Labilität desvegetativen Nervensystems mit Schlafstö-rungen, Störungen der Temperaturregulation,abfallenden Blutdruckwerten mit Neigung zuSchwindel, Schweißausbrüchen, feines Zit-tern der Hände etc. Psychosomatische Be-schwerden wie Kopfschmerzen, Würgen imHals, Herzattern, Atemstörungen, Magen-

Darmbeschwerden; Störungen der Harn- und

Stuhlentleerung und Menstruationsstörungenkönnen vorkommen. Häug sind Appetitlosig-

keit und Gewichtsabnahme. Das ganze Bildgleicht Zuständen, wie sie nach Verkehrsun-fällen mit Hirntrauma vorkommen, wenn mansich nicht richtig davon erholt.Die Perdie dieser Forschung über Reiz-

entzug resp. über die Manipulation der in-dividuellen Reizzufuhr liegt darin, dass sienoch tiefer in die Stabilität der Persönlichkeiteingreift als die soziale Isolation allein. Siekann langfristig und irreversibel destruktivwirken. Kurz zusammengefasst geht es umFolgendes:Der menschliche Organismus und das

menschliche Bewusstsein sind - abgesehenvon einer tragfähigen sozialen Beziehung -für ihre Entwicklung auf die Einwirkung vonverschiedenartigen Sinneseindrücken an-gewiesen: Sehen, Hören, Tasten, Riechen,Schmecken. Dabei gibt es ein optimales Maßan Variabilität dieser Sinneseindrücke, dasindividuell sehr verschieden ist. Gemäß einer Studie haben Menschen, die in vereinzeltenFischergehöften in norwegischen Fjordenaufwachsen, durchschnittlich eine viel nied-rigere optimale Sinnesvariabilität als Groß-stadtkinder in Oslo. Zuwenig Reizvariabilität(Reizentzug) führt ebenso zu Schädigungenwie zuviel (Reizüberutung). Das erklärt,

weshalb die einen Menschen den Reizent-zug, die anderen die Reizüberutung relativ

besser ertragen. Auch im Erwachsenenalter kann sich das Niveau der optimalen Reizva-riabilität noch bis zu einem gewissen Gradanpassen. Dies erklärt, warum z.B. in den er-

sten Tagen und Wochen der Isolation starkeSymptome auftreten können, später eine ge-wisse Gewöhnung eintritt, worauf die Situati-on nach der Haftentlassung einer Reizüber-utung gleichkommt, so dass die Betroffenen

erneut eine schwierige Anpassungsleistungvollbringen müssen.

Anwendung auf die

Angeschuldigten nach § 129b

Außer Ilhan Demirtas sind alle Angeschuldig-ten in Einzelhaft. Jener ist aufgrund seiner Psychose mit 2 weiteren Gefangenen auf der Zelle. Da sich die Angeschuldigten alle auf ver-schiedenen Stockwerken benden, haben sie

keinerlei Kontakt zueinander. Ahmet DüzgünYüksel bendet sich auf dem 3., Ilhan Demir-

tas auf dem 4., Devrim Güler auf dem 5. undHasan Subasi auf dem 6. Stockwerk des Ge-bäudes. Mustafa Atalay bendet sich in einem

anderen Gebäude auf der Krankenstation.Außer der gemeinsamen Hofstunde mit denHäftlingen desselben Stockwerks, sind sie 23

Stunden eingeschlossen. Zueinander habensie also gar keinen Kontakt. An den täglichstattndenden diversen Kursangeboten, wie

z.B. Zeichenkurs, Schachkurs, Sprachkurseusw. und Konzertveranstaltungen, die einmaldie Woche von Musikgruppen jenseits der Mauern gegeben werden, dürfen sie nicht teil-nehmen, da für sie „besondere Sicherheits-maßnahmen“ gelten. Diese Maßnahmen be-inhalten auch, dass sie täglich vor und nachden Hofgängen durchsucht werden. An denVerhandlungstagen müssen sie sich vor undnach den Verhandlungen zusätzlich fast ganzausziehen, um sich einer unwürdigen Leibes-visitation zu unterziehen. Die Privat- und Ver-

teidigerbesuche nden hinter der Trennschei-be statt. Dreimal im Monat bekommen sie jefür eine halbe Stunde Besuch. Dies ist ihr einziger menschlicher Kontakt zur Außenwelt.Dabei sind LKA-Beamte anwesend. Duschenndet zweimal wöchentlich statt, sie können

  jedoch aufgrund der Verhandlungen dreimalduschen. Die oben erwähnten Sicherheits-maßnahmen gelten lediglich für 6-8 von denca. 1000 Gefangenen. D.h., außer den in die-sem Prozess Angeschuldigten betreffen sienoch 2-3 Gefangene, welche islamistischenOrganisationen angehören sollen.

Schlussfolgerungen

Die genannten Angeklagten sind schärferenHaftbedingungen ausgesetzt als seinerzeitdie meisten RAF-Gefangenen. Zusätzlich ha-ben einige von ihnen in der Türkei schwerstephysische Folter hinter sich. Unter den hie-sigen Haftbedingungen mit sozialer Isolationund weitgehendem Reizentzug ist vermehrtmit ash-back-artigen Vergegenwärtigungen

der Foltererfahrungen zu rechnen. Die Be-troffenen sind deshalb in doppelter Weisegrausamen und unmenschlichen Erfahrungenausgesetzt. Mit Sicherheitserwägungen kön-nen diese bei diesen Gefangenen, die zumTeil politisches Asyl in Deutschland erhalten

haben, in keiner Weise gerechtfertigt werden.Es muss deshalb von bewusst angewendetenFoltermethoden gesprochen werden.

Dr. med. Ralf Binswanger, Facharzt für 

Psychiatrie und Psychotherapie, Zürich

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    s    c    h    w    e    r    p    u    n    k    t

Zur Geschichte und Aktualitäteiner Solidaritäts- und AntirepressionsorganisationDie Internationale Rote Hilfe (IRH)/Rote Hilfe international (RHI)1. Teil

Wir wollen mit diesem ersten Beitrag eineArtikelserie zur Entstehungs- und Entwick-lungsgeschichte der Internationalen RotenHilfe (IRH), die 1922 gegründet wurde,beginnen. Die im Jahr 2000 angestoßeneInitiative zur Gründung einer Roten HilfeInternational (RHI), die sich an der „histo-rischen Vorlage“ orientiert, wird ebenfallsPlatz in dieser Beitragsserie einnehmen.Eine Beschäftigung mit der IRH bzw. RHIist demnach nicht Ausdruck eines anti-quierten Interesses. Allein der organisato-rische Versuch einer an der historischenIRH angelehnten Re-Konstituierung zeigt,

dass der Aufbau einer international veran-kerten Solidaritäts- und Antirepressionsor-ganisation ein aktuelles Thema ist.Ein historischer wie aktueller Erfahrungs-wert ist, dass die Auseinandersetzung mitdem staatlichen Justizapparat und vor allem (revolutionäre) Gefangenenkämp-fe nur erfolgreich geführt werden können,wenn zum einen das solidarische Bandunter den Gefangenen geknüpft und gefe-stigt ist und die unterstützenden Gruppenaußerhalb der Knastmauern den Gefan-genenforderungen eine öffentliche Reso-nanz verschaffen. Zum anderen müssen

die Konfrontationen der Gefangenen mitder Repressionsmacht des Staates und dieAktivitäten ihres solidarischen Umfeldesinternationalistisch ausgelegt sein, zumin-dest in der Perspektive, denn sonst bleibendiese orts- und länderspezisch isoliert.

Die IRH als Organisation einer revolutio-nären Einheitsfrontpolitik ist das bedeu-tendste Beispiel der Solidarität mit denproletarischen, revolutionären und poli-tischen Gefangenen, das die kommuni-stische Weltbewegung hervorgebracht hat.Aufgrund dessen ist es nur folgerichtig, dieIRH als weltweite Solidaritäts- und Antire-

pressionsorganisation hinsichtlich ihrer ge-schichtlichen Bedingungen zu untersuchenund die Bezugslinien für einen heutigen Or-ganisierungsprozess herzustellen.Den Auftakt dieser Artikelserie bildet einer-seits ein grob gehaltenes Kapitel zur Grün-

dung und Entwicklung der IRH sowie einKapitel zu den programmatischen Grundla-gen der IRH-Politik. Im zweiten Teil dieser Serie konzentrieren wir uns auf die Darstel-lung und Bewertung der vielfältige Kampa-gnen der IRH, die im Zeichen der revolu-tionären Einheitsfrontpolitik standen. ZumAbschluss werden wir uns der Initiativeder Bildung einer Roten Hilfe International(RHI) widmen, die zur Jahrtausendwendevon mehreren Delegationen aus Europader interessierten Öffentlichkeit vorgestelltwurde und seitdem mit der einen oder an-deren internen Kontroverse ihren Fortgang

gefunden hat.Diese Artikelserie stützt sich erweiterndund konkretisierend auf einen Beitrag der ehemaligen „gruppe mücadele“ aus Berlin,die 2001 in dem zum Todesfastenwider-stand in der Türkei/Nordkurdistan erschie-nenen Buch „Bei lebendigem Leib...“ einenText unter dem Titel „Die InternationaleRote Hilfe (IRH) – Ein Beitrag für eineninternationalistische Antirepressions- undantiimperialistische Solidaritätspolitik“ ver-öffentlichte. Wir sehen es als eine poli-tische Fortsetzungsarbeit an, wenn wir anden Beitrag einer ehemals existierenden

Gruppe anknüpfen und versuchen, in dieaktuelle Debatte um die RHI-Initiative kon-struktiv einzugreifen.

Zum Gründungshintergrund der IRH

Die Notwendigkeit der Gründung einer proletarischen Schutz- und Solidaritäts-struktur lag allein deshalb auf der Hand,da emanzipatorische Bestrebungen undBewegungen aus den Reihen der sozialund ökonomisch Unterprivilegierten vonBeginn an staatliche Reaktionen, Verfol-gung und Einkerkerung, zur Folge hatten.

Zum Beispiel wurde, um den Angriff dessog. Sozialistengesetzes (1878-1890) imWilhelminischen Reich so weit es gingabzuwehren, eine „Hilfsorganisation zur Unterstützung der Verfolgten und gefange-nen Sozialdemokraten“ gegründet. August

Bebel und Wilhelm Liebknecht, ihres Zei-chens „Gründungsväter“ der vereinheitlich-ten deutschen Sozialdemokratie, setztenzudem die Bildung eines „Unterstützungs-Zentral-Komitees“, gemeinhin „Zentralkas-se“ genannt, durch.Der organisatorische Aufbau und die Eta-blierung der IRH sind untrennbar mit der Politik der Kommunistischen Internationale(Komintern), der III. Internationale verbun-den, die 1919 gegründet und 1943 aufge-löst wurde.Auf dem IV. Kongress der Komintern, der vom 5. November bis zum 5. Dezember 

1922 zum fünften Jahrestag der „GroßenSozialistischen Oktoberrevolution“ tagte,wurde die Gründung einer weltumspan-nenden und parteiübergreifenden Orga-nisation der proletarischen Klassenorga-nisation beschlossen. Am 30. November 1922 wurde die Initiative zur Konstituierungeiner „Internationalen Organisation zur Un-terstützung revolutionärer Kämpfer“ (rus-sische Abkürzung: MOPR) ofziell verkün-

det. Die deutschsprachige Bezeichnungdieser Solidaritätsorganisation lautete ab-weichend „Internationale Rote Hilfe“. Auchder ursprüngliche Namensvorschlag „Inter-

nationales politisches Rotes Kreuz“ wur-de fallengelassen. In den verschiedenenLändern mit entsprechenden Sektionenfanden beide Signets (MOPR und IRH)Verwendung. Die IRH/MOPR hatte über die ersten Jahre ihres Bestehens ihren or-ganisatorischen Schwerpunkt in der jungenUdSSR, was aufgrund der Zentrierung der proletarischen Weltbewegung auf das „er-ste sozialistische Land“ nahe lag.Die eigentliche Initiative zur Gründung ei-ner „Internationalen Organisation zur Un-terstützung revolutionärer Kämpfer“ gingvon dem „Verein alter Bolschewiki“, „der 

Gesellschaft der ehemaligen politischenZuchthäusler und Verbannten in Rußland“und dem polnischen Mitbegründer desSpartakusbundes, der späteren KPD, Juli-an Marchlewski (Karski), aus.Marchlewski unterbreitete dem Vorstand

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des „Vereins alter Bolschewiki“ am 13.September 1922 den Vorschlag, umge-hend eine Organisation der Solidarität für politische Gefangene in allen Ländern der Welt zu schaffen. Diese Initiative erhielteine breite Zustimmung, und die Kampa-gne zur Organisierung eines „Internationa-len politischen Roten Kreuzes“ wurde ein-geleitet. Marchlewski und andere bildeteneine Kommission, die für die Durchführungdes Beschlusses sorgen sollte. Der vonMarchlewski inspirierte Antrag zur Bildungeiner internationalen Hilfsorganisation für politische Gefangene fand dann auf demerwähnten IV. Weltkongress der Kominternbreiteste Anerkennung.Vorbereitet wurde dieser Antrag durch denvon Felix Kon verlesenen emphatisch-pa-thetischen Appell zur Bildung einer proleta-rischen Hilfs- und Solidaritätsorganisation,in dem er auch auf das Wechselverhältniszwischen politischer Aktivität und staatli-cher Repression verweist: „Gefangene desKapitalismus! Kämpfer für die Befreiung der Arbeiterklasse, in Ketten geschlagen vonden kapitalistischen Regierungen! Euchgilt der erste Gruß der Vertreter des revolu-tionären Proletariats der ganzen Welt, diesich zum 4. Weltkongreß der Kommuni-stischen Internationale versammelt haben.Genossen! Jahraus, jahrein ehren dieWeltkongresse der revolutionären pro-letarischen Vorhut, wenn sie die Siegeder Arbeiterklasse zählen, die Opfer desKampfes, die von der Hand der Henker gefallen und in die Gefängnisse geworfensind (...) Die besten Kräfte verkommen inden Kerkern, die Wogen des weißen Ter-

rors überschwemmen alle kapitalistischenLänder (...) An Opfer braucht sich dieKommunistische Internationale nicht erstgewöhnen. Jede Errungenschaft der Revo-lution ist mit dem Blut der Kämpfer erkauftund auf Blut gegründet. Je schärfer der Kampf, desto zahlreicher die Opfer. Dochwenn auch die Menschen fallen, die Ideekann nicht sterben. Genossen, Häftlingeder kapitalistischen Gefängnisse! Heute,am Tage unseres großen Festes, am fünf-ten Jahrestage der russischen Revolution,teilen wir mit Euch unsere Überzeugung,unsern felsenfesten Glauben, daß die Stun-

de nahe ist, in der das revolutionäre Prole-tariat das Joch des Kapitalismus abwerfenund sich von der Knechtung und Ausbeu-tung befreien wird, wo es Euch befreit,die Schlösser Eurer Kerker zerbricht undEuch mit Ehren abermals in seine Reihenaufnimmt, Euch, seinen Stolz, Euch, seinebesten Genossen (...).“ (in: Protokoll desIV. Weltkongresses der KommunistischenInternationale 1922, Band 1, S. 16-18)Als ofzielles Gründungsdatum der IRH

wurde der 18. März 1923, der Jahrestagder Pariser Kommune, gewählt.

 Zur Entwicklungsgeschichte der IRH

Die Gründung der IRH befand sich nebendem Sturz des Zarismus in Russland, demanschließenden Bürgerkrieg und der Sta-bilisierung der proletarischen Macht der 

Bolschewiki an einem weiteren epochalenWendepunkt: sie fällt zeitgeschichtlich mitdem Aufstieg des italienischen Faschismusim Zuge des berüchtigten „Marsches auf Rom“ im Oktober 1922 zusammen. Aber nicht nur die Vorgänge in Italien verstärk-ten das Bestreben, proletarische Schutz-und Solidaritätsorganisationen zu bilden.In beinahe allen europäischen Staaten, wiez.B. auf dem Balkan, übernahmen reaktio-näre Regimes nach der Zerschlagung der Räte-Bewegungen nach dem Ende desI. Weltkriegs das Regiment. Neben demkaum verhüllten Staatsterrorismus maro-dierten paramilitärische Verbände durchdie Länder, um das (Wieder-)Erstarkenkommunistischer und sozialistischer Par-teien zu behindern. In der Frühphase der Weimarer Republik wurden in Deutschlandselbst liberal-demokratische Politiker zuAttentatszielen für Angehörige der „Organi-sation Consul“, die die Kernstruktur einesNetzes von paramilitärischen Verbändender extremen Rechten war. So elen z.B.

im August 1921 der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger und im Juni 1922 der DDP-Politiker und Außenminister Walther Rathenau Feme-Morden zum Opfer. Vor diesem Hintergrund schien die Etablierungeiner wirkungsvoll arbeitenden und inter-venierenden internationalen Massenorga-nisation eine existenzielle Voraussetzung,um sich einen politischen Wirkungsraumnicht nur zu erhalten, sondern einen sol-chen auch auszuweiten. Im Juli 1924 alsdie I. Internationale Konferenz der IRH ein-berufen wurde, umfasste diese bereits 19Länder-Sektionen, in weiteren 19 Ländern

unterhielt sie mit entsprechenden Solida-ritätskomitees teils lose, teils engere Ver-bindungen. Als höchstes Organ der IRHfungierte ein Exekutivkomitee (EK). Dieeinzelnen Sektionen organisierten sich imnationalstaatlichen Rahmen und bezeich-neten sich mit dem entsprechenden län-derspezischen Zusatz in der Regel als

„Rote Hilfe“.Bis zur nazi-faschistischen Machtüber-nahme bzw. -stabilisierung in Deutschlandwuchs die IRH organisatorisch unaufhör-lich an. Den Höhepunkt erreichte sie 1932mit ihrem ersten Weltkongress. Ende 1933

gab es 71 Ländersektionen und Schwe-sterorganisationen mit ca. 14 Millionen Ein-zel- bzw. Kollektivmitgliedschaften. Bereitsim Jahre 1932 waren 45 IRH-Sektionenund sympathisierende Komitees aufgrundstaatlicher Repressionsmaßnahmen ille-galisiert bzw. konnten nur im Halblegalenarbeiten. Ein Grund weshalb einige nichtofzieller und integraler Teil der IRH waren

bzw. sich „unverfängliche“ Namen gaben.Die MOPR der UdSSR war von Beginn andie größte und nanzstärkste Sektion der 

IRH. Im Jahre 1934, als ihr 4. Kongresstagte, zählte sie 100.000 Zellen, die auf alle

Unionsrepubliken und autonomen Gebieteverteilt waren. Die 1924 gegründete RoteHilfe Deutschland (RHD), deren Vorläufer sich seit April 1921 als Ergebnis der staatli-chen Repression nach dem proletarischenAufstandsversuch vom März d.J. organisa-

torisch zu etablieren versuchten, war for-mal nie Mitglied der IRH, obwohl ihr Statutals überparteiliche Solidaritätsorganisationfür die Opfer proletarischer Klassenkämpfesowie deren Angehörigen nicht im Wider-spruch zu den Prinzipien der IRH stand.Wilhelm Pieck als damaliger Vorsitzender der RHD erklärte auf deren II. Reichskon-gress im Mai 1927 über das Verhältnis zur IRH: „Wir sind dieser Organisation nicht

angeschlossen, obwohl wir uns mit jeder Faser des Herzens mit dieser Organisati-on verbunden fühlen, weil wir den Staats-anwälten und Gerichten auch nicht diesenVorwand zu einem Verbot liefern wollen.Also, wenn auch nicht organisatorischverbunden, so sind wir doch ideologischvollkommen vereint mit der InternationalenRoten Hilfe und all ihren Organisationenund Millionen Mitgliedern in der ganzenWelt.“ (zitiert nach: Zelt, J.: ... und nichtvergessen – Solidarität. Aus der Geschich-te der IRH und der RHD, S. 81)Mitten während des II. Weltkriegs wurde

die Komintern, als sie bereits alle Fähig-keiten einer handelnden Weltorganisationdes proletarischen Klassen- und Befrei-ungskampfes eingebüßt hatte, für aufge-löst erklärt. Damit war auch das Ende der IRH besiegelt. Die Komintern degeneriertemehr und mehr zu einem außenpolitischenInstrument der Stalinbürokratie, die imZuge des Schwenks zur Volksfronttaktikdie „bürgerlichen Demokratien“ im Kampf gegen den expandierenden deutschenFaschismus zu gewinnen versuchte. EineKomintern und eine IRH waren hierfür nichtopportun, da sie für „den Westen“ als Inbe-

griffe der kommunistischen Weltrevolutiongalten.Den IRH-Vorsitz bekleideten bedeutendePersönlichkeiten der kommunistischenWeltbewegung. Der 1866 geborene Mar-chlewski war bis zu seinem Tod 1925 der 

Julian Marchlewski

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erste Vorsitzende der IRH. Nachfolgerinwurde Clara Zetkin (1857-1933), die maß-geblichen Anteil an der organisatorischenFestigung und der Internationalisierungder IRH hatte. Nach ihrem Tod 1933 über-nahm die frühere Sekretärin Lenins, Jele-na Dmitrowna Stassowa (1873-1966), denVorsitz, den sie bis 1937 inne hatte. Wil-helm Pieck (1876-1960), der erste Staats-präsident der DDR, übernahm von Ende1937 bis zur Auösung 1943 die Leitung

der IRH.

Zur Programmatik der IRH

Um die Programmatik und politische Praxisder IRH nachzuzeichnen, muss neben den

Beratungen und Beschlüssen des 1932abgehaltenen 1. Weltkongresses der IRHauf die diversen Resolutionen und Doku-mente, die bei verschiedenen Konferenzenund Plena des Exekutivkomitees (EK) der IRH verfasst und beschlossen wurden, zu-rückgegriffen werden. Zudem kommt diepolitisch-ideologische Zielsetzung der IRHin ihrem vom 2. Plenum des EK 1928 ange-nommenen Statut zum Ausdruck.Die politische und ideologische Orientie-rung der IRH wird vor allem in den erstendrei Statuts-Paragrafen deutlich: Bezüg-lich des Charakters der IRH wird statuiert,

dass „das Entstehen und Wirken der IRHeng mit den von den ausgebeuteten Klas-sen und unterdrückten Völkern gegen diekapitalistische Willkürherrschaft geführtenBefreiungskämpfen (verbunden ist).“ Zu-dem ist in Paragraf 1 verankert, dass „dieIRH unbeschadet ihrer Überparteilichkeiteine ausgesprochene Klassenorganisation(ist).“Zum Zweck und Ziel der IRH ist im 2. Pa-ragrafen „die Unterstützung der Opfer desKlassenkampfes und der internationalenBefreiungsbewegung der Werktätigenin allen kapitalistischen, kolonialen und

halbkolonialen Ländern, unabhängig ihrer Partei- und Organisationszugehörigkeit“festgeschrieben worden. Die IRH gewährtallen aufgrund ihrer revolutionären Tätig-keit Verfolgten und deren Angehörigen„politische, moralische, juristische und

materielle Hilfe“; sie „führt einen ständigenKampf gegen den weißen Terror gegenden Faschismus, gegen die bürgerlicheKlassenjustiz, gegen das Lynchen, für dasAsylrecht der politischen Flüchtlinge.“Das programmatische Organisationsprin-zip der IRH ist im 3. Paragrafen formuliert:„Die IRH ist eine selbständige überpartei-liche Massenorganisation der Werktätigenaller Länder von Stadt und Land.“ (allesin: Zehn Jahre IRH, S. 35) Die inhaltlicheund auch praktische Linie der IRH bzw.ihre hauptsächlichen Arbeitsschwerpunktevariierten in der Zeit ihres Bestehens. Dieeinzelnen verabschiedeten Resolutionengeben darüber Aufschluss.Der erste Aufruf der MOPR, die unter Mit-

hilfe des Zentralkomitees der Kommuni-stischen Partei Russlands (Bolschewiki)die ersten Gehversuche unternahm, war sehr stark von der jung-sowjetischen Per-spektive geprägt. D.h. aber nicht, dassdadurch der Blickwinkel allein auf die ge-sellschaftliche Situation der im Entstehenbegriffenen Sowjetunion verengt war; imGegenteil, den VerfasserInnen war klar,dass der politische Erfolg des russischenProletariats voll und ganz vom erfolg-reichen Kampf des Weltproletariats gegendas Kapital abhängig war. Zudem betrach-tete die MOPR die junge Sowjetunion als

„ein Hinterland, einen Reservefonds revo-lutionärer Kräfte.“ (ebd., S.8)Bereits in der Deklaration der I. Internati-onalen Konferenz der IRH im Juli 1924 istdas Ziel der materiellen und moralischenUnterstützung der revolutionären Gefan-genen und ihrer Angehörigen benannt. Indieser Deklaration wird die IRH als Orga-nisation deniert, die das „beste Mittel ist,

die proletarische Einheitsfront zu verwirkli-chen.“ (ebd., S. 10)In der Resolution derselben Konferenz istdie Zielsetzung „der Bildung von Massen-organisationen durch Heranziehung breiter 

parteiloser Arbeiter- und Bauernmassen“(ebd., S. 11) deutlich unterstrichen worden.Die Resolution zum Bericht des Präsidiumsund des Sekretariats der Exekutive der IRHauf der Plenarsitzung vom August 1928fasst exemplarisch die wesentlichen Aufga-

ben und Eckpunkte der Politik der IRH zu-sammen: „1. Die Verfolgungsmethoden der Weltbourgeoisie müssen stärker als bisher im Zusammenhang mit der sich deutlicher zeigenden Kriegsgefahr, insbesonderedem Angriff gegen den einzigen Arbeiter-und Bauernstaat der Welt, die Sowjetunion,hervorgehoben werden. 2. muß der Kampf gegen den Faschismus und weißen Terror als eine der wichtigsten Aufgaben gestelltund auf noch breiterer Basis intensiv ge-führt werden. 3. Kampf gegen bürgerlicheKlassenjustiz, Strafvollzug, Anwendungder Folter- und Lynchjustiz, wie auch ge-gen das barbarische mittelalterliche Prü-gelsystem in den Kolonien. 4. Kampf gegen Auslieferung und Ausweisungenproletarisch-politischer und nationalrevolu-tionärer Flüchtlinge und für das Asylrecht.5. Bekämpfung der Gesetzgebung, die dasRecht der politischen Flüchtlinge auf Arbeitdurch Beschränkungen einengt. 6. Kampf um die Amnestie der politischen Gefange-nen, Verbannten und Emigrierten in denkapitalistischen und Kolonialländern. 7.Organisierung des ständigen Kampfes ge-gen den blutigen Terror in China und gegendie blutigen Unterdrückungsmaßnahmenund die Verfolgungen in den Kolonien undHalbkolonien.“ (ebd., S. 14)

Als eine bereits bekannte, weitere elemen-tare Aufgabenstellung der Politik der IRHwird u.a. anvisiert, „die bisher noch abseitsstehenden, insbesondere auch die sozial-demokratischen, Arbeiter sowie die um dieArbeiter- und Bauernorganisationen sichgruppierenden werktätigen Massen zu ge-winnen.“ Weiter heißt es, dass dazu „dieArbeit in den Betrieben unbedingt verstärktwerden [muß].“ (ebd., S. 15) Aus taktischen

Erwägungen heraus ist der „Kampf um dieLegalität der IRH-Organisationen“ (ebd.,S. 16) von Wichtigkeit; des weiteren müs-sen die IRH-Sektionen in der Lage sein,repressiven Schlägen des staatlichen Ver-folgungsapparats standhalten zu können.

6 | Gefangenen Info | Aug./Sept. 2009

    s    c    h    w    e    r    p    u    n    k    t

Clara Zetkin

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Aug./Sept. 2009 | Gefangenen Info | 7

Zwischen Einheitsfrontpolitk

und „Sozialfaschismusthese“

Charakteristisch für die Politik der Komin-tern und der der IRH war das Pendeln imUmgang mit insbesondere sozialdemokra-tisch gesinnten bzw. sozialdemokratischorganisierten ArbeiterInnen. Die Forderungund teilweise praktizierte Einheitsfront vonunten mit sozialdemokratischen und partei-losen proletarischen Kräften und die Rhe-torik vom „Sozialfaschismus“ (eine These,die 1924 vom Komintern-Vorsitzenden Ge-orgi Sinowjew aufgrund der Erfahrungenmit der Kapitulationspolitik der Sozialde-mokratie während des revolutionären Auf-bruchs nach dem I. Weltkrieg in Europaaufgebracht wurde) ließen sich nur schwer argumentativ miteinander vereinbaren.Davon einmal abgesehen, dass die pro-pagierte Einheitsfrontlinie durch den linkenFlügel des Kommunismus vehement kriti-siert wurde, da damit die eigenen program-matischen Grundlagen unterhöhlt würdenund eine Kumpanei mit der sozialdemo-kratischen Konterrevolution eingegangenwürde.Die Resolution des 3. Plenums des EKder IRH vom April 1931 erwähnt zum er-sten Mal ausdrücklich den Kampf gegenden „Sozialfaschismus“ als Helfershel-fer der Bourgeoisie: „Die sozialdemokra-tischen Führer sind zur Anwendung der faschistischen Methoden übergegangen(Polizeiterror in Deutschland, die Galgender McDonald-Regierung in Indien) undrechtfertigen damit die unter den Arbeiternpopulär gewordene Bezeichnung ‚Sozialfa-

schisten‘.“ (ebd., S. 17)Die „Sozialfaschismusthese“, wonach Fa-schismus und Sozialdemokratie „keine An-tipoden, sondern Zwillingsbrüder (sind)“ (in:Stalin-Werke 6, S. 253) wurde auf dem VI.Komintern-Kongress von 1928 zur Doktrinerklärt. In dem auf diesem Kongress ange-nommenen Komintern-Programm heißt es:„Die Hauptrolle der Sozialdemokratie istheute die Untergrabung der im Kampfe ge-gen den Imperialismus notwendigen Ein-heit des Proletariats. Durch die Spaltungund Zerschlagung der Einheitsfront desproletarischen Kampfes gegen das Kapital

wird die Sozialdemokratie zur Hauptstützedes Imperialismus in der Arbeiterklasse.Die internationale Sozialdemokratie aller Schattierungen, die Zweite Internationa-le und ihre gewerkschaftliche Filiale, der Amsterdamer Internationale Gewerk-schaftsbund, sind so zu den Reserven der bürgerlichen Gesellschaft geworden, zu ih-ren sichersten Stützen.“ (in: Programm der Kommunistischen Internationale, S. 22)Auch Jelena Stassowa stieß in diese Rich-tung, wenn sie sagt: „Der größte ideolo-gische Feind der IRH ist gegenwärtig dieSozialdemokratie. Sie begnügt sich nicht

mit dem juristischen und agitatorischenAuftreten, sondern sie will (...) die IRH-Or-ganisationen zertrümmern.Die IRH muß den Kampf gegen die Sozial-demokratie auf allen Fronten führen, haupt-sächlich darum, weil solche Organisati-

onen der Sozialdemokratie,wie der Matteotti-Fond,unter dem heuchlerischenBanner des Kampfes ge-gen den Terror in den nicht-demokratischen Länderngegründet werden und inWirklichkeit gegen die So-wjetunion kämpfen wollen.“(in: Protokoll des I. Weltkon-gresses der Internationa-len Roten Hilfe, S. 45) Der „Matteotti-Fond“, der nachdem von Faschisten ermor-deten Abgeordneten der So-zialistischen Partei Italiensbenannt wurde, wurde 1926von der Sozialistischen Ar-beiter-Internationale (SAI),die in der Nachfolge der so-zialdemokratischen II. Inter-nationale stand, gegründet.Damit sollte ein organisato-risches Gegengewicht zur IRH etabliert werden. DasSekretariat der SAI forderteihre Mitgliedsparteien aus-drücklich auf, einen Unver-einbarkeitsbeschluss vonSozialdemokratie und denSektionen der IRH zu for-mulieren und gegen die Mit-gliederbasis durchzusetzen.Mit dem Matteotti-Fondsollten auch menschewistische Exilanten,die die UdSSR verlassen hatten, unter-stützt werden. Vor diesem Hintergrunderklärt sich, dass Stassowa festgehalten

haben will, dass „die IRH-Organisationenkeine Tätigkeit (...) gegen die Sowjetuni-on zulassen dürfen, da die Sowjetuniondas Land ist, das immer stärker wird undwächst und unseren IRH-Organisationendie Möglichkeit gibt, sich zu stärken und zuwachsen, da sie das Vaterland aller Werk-tätigen ist.“ (ebd.)

Dezite der IRH-Politik

In allen Resolutionen und Dokumentenwerden auch immer wieder die vielfäl-tigen Dezite und dringlichen Probleme in

der politischen Arbeit der IRH aufgezeigt.Gerade in der Resolution des 3. Plenumsdes EK der IRH sind einige besondersmarkant herausgestrichen: so fehlt es aneiner besseren Mitgliederwerbung beiparteilosen und sozialdemokratisch orien-tierten Arbeitern, um dem Charakter einer überparteilichen Einheitsfrontorganisationaller Werktätigen gerecht zu werden. Da-rüber hinaus ist die große Fluktuation der Mitglieder ein Hemmnis für eine kontinuier-liche Solidaritätspraxis mancher Sektionender IRH. Durch eine verstärkte Werbetätig-keit und „energische Maßnahmen“ soll die

nanzielle Basis der Organisation gestärktwerden. Zudem wird die Tätigkeit unter verschiedenen Teilen der Bevölkerung (Ju-gend, Frauen, ausländische und Kolonial-Arbeiter) bemängelt. (siehe: Zehn JahreIRH, S. 18ff.) Organisatorische Schwächen

ergeben sich oftmals aufgrund der feh-lenden Heranbildung von Kadern und der Schaffung von kollektiven Leitungen beisämtlichen Gliederungen der IRH. Realis-tisch eingeschätzt heißt es: „Eine Reihe

unserer Organisationen haben noch nichtden vereinsmäßigen Charakter verloren.Sehr oft haben sie nicht einmal eine genü-gende organisatorische Selbständigkeit.“(ebd., S. 18) Die verschärfte Repressiongegen die proletarische und revolutionäreBewegung veranlasste die IRH dazu, „dieSchulung der Werktätigen zur Selbstvertei-digung vor Gericht als dringende Aufgabezu betrachten, da die Verteidigung durchAnwälte nur in den wichtigsten Fällenmöglich sein wird.“ Außerdem ist klar for-muliert, dass politische Prozesse „nicht nur als eine Angelegenheit der Angeklagten zu

betrachten (sind), sondern als die der groß-en Massen der Werktätigen.“ Zudem sollendie RH-Organisationen prozessbegleitend„eine verstärkte Agitation und Propagandagegen die Klassenjustiz entfalten.“ (ebd.,S. 22)Trotz der benannten Dezite auf dem Wege

der Strukturierung einer Einheitsfront- undMassenorganisation in der Praxis ist einzentraler Punkt erreicht worden: „Die IRHist nicht eine philanthropische Hilfsorga-nisation, welche nur nach der Schlachteingreift, sondern sie nimmt aktiven Anteilan den Kämpfen der Arbeiterklasse und

der unterdrückten Nationen, wie auch imKampfe gegen die Kriegsvorbereitungen.“(ebd., S. 18)

Netzwerk Freiheit 

für alle politischen Gefangenen

8/6/2019 Gefangenen Info #349

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8 | Gefangenen Info | Aug./Sept. 2009

    i    n    l    a    n    d Radio: Erst mal, Guten Abend. Hörst Du mich

gut?

Werner Braeuner: Ja, ich hör´ Dich gut! Hallo!

Du bist seit 8 Jahren inhaftiert. Du bist damalsverhaftet worden, weil Du einen Arbeitsamts-direktor niedergestochen hast. Kannst Du mal schildern, was da genau passiert ist?

W. B.: Gut, das war 2001 im Februar: Es gabeine Auseinandersetzung und im Rahmen die-ser Auseinandersetzung habe ich mich dazudurchgerungen, diese Tat zu begehen undzwar, weil ich mich nicht in diesem Krieg, der von den Arbeits- und Sozialbehörden gegenArbeitslose und sozial Schwache geführt wird,völlig zerstören lassen wollte. Und ich glaube,das Wesentliche an dieser Tat war eben, dasssie deutlich macht, dass es diesen Krieg gibt.

Kannst Du mal erläutern, was Du unter Krieg verstehst? Ich meine, um es mal anders zu sagen, ich hatte das so verstanden: Du hat-test eine Weiterbildung gemacht, und dieser   Arbeitsamtsdirektor oder das Arbeitsamt in

Verden hat ohne Grund Deine Leistung für drei Monate gekürzt. Stimmt das so?

W. B.: Ja gut, das wär´ jetzt viel zu kompliziert,das im Einzelnen zu erläutern. Aber das isteine der typischen Situationen, dass Sperrengegeben werden und zwar so, dass also dieRechtsgrundlage dafür gar nicht besteht.

Okay, ich meine: Mensch muss es schon einbisschen erklären. Weil, Du hast das als Krieg bezeichnet. Deine Situation war: Du hattest eine Weiterbildung, Du hattest dich geweigert,Du hattest geäußert, das ist nichts für Dich,und aufgrund dessen hat das Arbeitsamt ohne

zu prüfen, mit anderen Worten, sie haben auchgegen ihre eigenen Gesetze damit verstoßen,haben sie Dir sozusagen alle Leistungen ge-kürzt.

W. B.: Das ist eigentlich ein Punkt, den nde

ich viel zu unwichtig, um da jetzt im Einzelnendrauf einzugehen, weil das ist allgemein be-kannt, dass Weiterbildungen, Trainingsmaß-nahmen und jetzt seit 2005 auch 1 € Jobshauptsächlich dazu dienen, Arbeitslose zu dis-ziplinieren und zu demoralisieren. Die müssenstundenlang herumsitzen, untätig, das Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Unddas ist eigentlich der wesentliche Kern der Auseinandersetzung, in der ich mich da auch

befunden habe. Ich bin in dieser Weiterbildungkrank geworden, ich konnte das nicht mehr ertragen dort herumzusitzen und das war der Punkt, da ging es mir so wie vielleicht MillionenAnderen! Und welche Details da im Einzelnenvorliegen, das ist in jedem Fall irgendwie ver-schieden, aber letzten Endes uninteressant,denke ich mal. Weiterhin ist dazu zu sagen ,dass dieser Bereich der Weiterbildung ein Be-reich ist, in dem Milliarden € jährlich umgesetztwerden. Im Jahr 2001 waren es 20 Milliardenund jetzt sind es nur noch 10 Milliarden €, diean die Träger von solchen Maßnahmen ge-geben werden, damit die solche Maßnahmendurchführen können. Das ist ein Riesenge-

schäft, denn davon leben eine Menge Leutesehr gut von und da liegt eben die Koniktli-

nie, da ist sozusagen die Frontlinie in diesemKrieg, der von den Arbeits- und Sozialbehör-den gegen Arbeitslose und sozial Schwacheund prekär beschäftigte Menschen geführt

wird. Um die so zu demoralisieren, dass siebereit sind, sich unter Bedingungen zu stel-len, die sie sonst niemals hätten akzeptierenmögen. Sei es von den Arbeitsbedingungen, von den Löhnen her und so weiter und sofort. Ich wundere mich nur immer wieder,dass das kaum je zur Sprache kommt und inmeiner Tat ist das ganz wesentlich auch der Koniktpunkt gewesen. Ich habe auch deutlich

gemerkt, dass Staat und Justiz unglaublich

viel Angst davor haben, dass diese Dinge zur Sprache kommen. Ich bin massiv unter Druckgesetzt worden. Und zwar wurde mir zur Wahlgestellt, entweder zu sagen, es handele sichum eine individuelle Tragödie, die mich zudieser Tat veranlasst habe, dann würde manmich noch einigermaßen anständig behan-deln, und mir eine normale Haftstrafe geben.Wenn ich aber darauf bestehen würde, dieseTat als politische Tat zu betrachten, dann drohtmir der Wachsaal in der Psychiatrie, das heißt,das ist die härteste Sanktion, die dieser Staatüberhaupt vergeben kann. Heißt Zwangs-medikation, heißt völlige Isolation, da kanndie Telekommunikation, also Post, Besuche,

Telefonieren, völlig unterbunden werden unddas ist praktisch die härteste Sanktion, die esüberhaupt gibt. Nur unter diesem Druck bin ichdann bereit gewesen, von dieser politischenSeite meiner Tat abzurücken.

Ich kann das bestätigen .Bei der Sendungs-vorbereitung hatte ich einen alten Artikel ausder Jungle World gelesen, der das ganz gut beschrieben hat, wie sozusagen die politischeDimension total aus dem Verfahren herausge-nommen worden ist. Die (radikale) Linke hat sich ja da auch nicht zu Dir sehr solidarischverhalten. Die Arbeitslosenbewegung hat sich  ja mehr oder minder von Deiner Aktion di-stanziert. Trifft das so zu?

W. B.: Ich meine, der Staat hat eine enormeAngst davor, dass sich noch einmal so einegewalttätige Widerstandsbewegung entwickeltwie in den sechziger und siebziger Jahren.Zum Beispiel die Roten Armee Fraktion undden anderen kämpfenden Gruppen. Da weiß  jeder und jede, in einem solchen Momentgeht es um alles, dann wird der Staat ohneRücksicht zuschlagen, und davor haben alleAngst, und deshalb distanzieren sie sich. Dasist selbstverständlich. Nur heißt das ja nicht,dass diese Distanzierung auch tatsächlichernst gemeint war. Das war, denke ich, eineDistanzierung aus Angst.

Du meinst die Arbeitslosenbewegung?

W. B.: Ja, sicher. Die sind sowieso von Angstgeschüttelt. Also diejenigen, die sich dort alsVertreter und als Sprecher der Arbeitslosengebärden, sind ja letzten Endes doch Leute,die noch relativ privilegiert sind, und die spre-chen nicht für die tatsächlichen Arbeitslosen.Mensch hört von Seiten der Arbeitslosenbewe-gung auch keine Kritik an dieser maaartigen

Struktur aus Arbeitsagenturen und Sozialbe-hörden auf der einen Seite und diesen Weiter-bildungsträgern auf der anderen Seite. Die daihre Milliarden jedes Jahr umsetzen und sichbereichern auf Kosten der Arbeitslosen unddie Drecksarbeit für die Herrschenden ma-chen, indem sie die Arbeitslosen da schurigelnund demoralisieren. Und diese Kritik kommtvon der Seite überhaupt nicht.

Fortsetzung folgt...

Am 7. Juli 2009 wurde ein telefonischesLive-Interview im Webradio von Radio Floraaus Hannover mit dem Gefangenen Werner Braeuner geführt, der aus der Arbeitslosen-bewegung kommt und seit Februar 2001 in-haftiert ist. Wir veröffentlichen das Interview

in zwei Teilen. Der Inhalt des Interviews spie-gelt nicht die Meinung des gesamten Kollek-tivs wieder. (Red.)

Werner in einem Brief vom 27. Juli 2009:„....und hab Dank für deine Kurznachricht:„Interview ist gut ankommen“, über die ichmich gefreut habe.Die arbeits- und sozialpolitischen Zwangs-maßnahmen halte ich für das zentrale The-ma emanzipatorischer antikapitalistischer Politik, der Kampf gegen sie führt unmittel-bar in selbstorganisierte Gemeinschaften mitdem Primat des sozialen Zusammenhangs,welchen letzteren zunehmend aufzulösen

nicht zufällig Beigabe von Kapitalismus/Lohnarbeit ist, sondern systemische Voraus-setzung von Lohnarbeit. Wie bei Marx breitangedacht, wird die Entwicklung notwendigzur Wiederherstellung von unmittelbarensozialen Zusammenhängen gehen müssenDas Ökonomische ordnet sich da dem Pri-mat des sozialen Zusammenhangs nach.In gewisser Weise, äußerlich betrachtet,istdies eine Rückkehr zu „archaischen“ sozi-alen Formen, doch ohne deren technisch-ökonomische Rückständigkeit und den damiteinhergehen müssenden sozio-kulturellenZwangsinstituten, welche letzteren bekannt

unter dem Sammelbegriff der „Idiotie desLandlebens“ sind. Die Rede hier ist, wohl-gemerkt, von Kommunismus, von dessendirekter Einrichtung, ohne den Zwischen-schritt einer Diktatur des Proletariats resp.von (Staats-)Sozialismus. Und eben genaudiese weite Perspektive eröffnet sich für mich aus dem Kampf gegen die arbeits- undsozialpolitischen Zwangsmaßnahmen. Bild-lich gesprochen stellen letztere den letztenVersuch dar, den Exodus und der Lohnar-beit und hinein in solbstorganisierte sozialeund im weiteren auch sozio-ökonomischeZusammenhänge aufzuhalten, sie sind dasRote Meer, welches über den ägyptischen

Verfolgern, über der Macht des Phararao zu-sammenschlägt - wenn sie zu Fall gebrachtwerden! Darum danke ich dir sehr, mir dieMöglichkeit eines Webradio-Interviews eröff-net zu haben. Ich freue mich sehr darüber!“

Interview mitWerner BraeunerTeil 1

8/6/2019 Gefangenen Info #349

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Aug./Sept. 2009 | Gefangenen Info | 9

Kurzmeldungen:

Lübeck: Rainer Dittrich istendlich frei! Rainer, aus der DDR kommender kommu-nistischer Militanter, war seit 1987 inhaftiert. Zuletztin der JVA Lübeck, wurdeer am Montag, den 17.August 2009 freigelassen.

Rainer hat sich während seiner Haftzeit u.a.am jahrelangen Solidaritätshungerstreik mitdem Todesfasten in der Türkei beteiligt undsich für den Erhalt dieser Zeitschrift ein-gesetzt. Kurzum, wir freuen uns, dass Duendlich frei bist und wünschen Dir, dass dudraußen deine Gesundheit wiederherstel-len kannst. (Red.)

Berlin: Christoph T. ben-

det sich in Berlin seit dem12. Juli in Untersuchungs-haft. Während einer Haus-

besetzung im Rahmen der Actionweeks brannte nachPolizeiprovokationen einAuto in der Nähe der Er-

eignisse. Daraufhin wurde Christiph T. fest-genommen, der aber von niemandem amTatort gesehen worden sei. Inzwischen hatdie Staatsanwaltschaft Anklage vor demLandgericht erhoben. Während Anklagenzum Amtsgericht eine maximale Strafe von4 Jahren Freiheitsstrafe nach sich ziehenkönnen, ist der Strafrahmen beim Landge-richt unbegrenzt. (Red.)

Berlin: Niels aus denNiederlanden ist seit dem12. Juni 2009, infolge der Actionweeks gegen dieStadtumstrukturierung,wegen“versuchte Brand-stiftung an einem Auto“ inUntersuchungshaft. Um

Niels zu schreiben (auf Englisch): NielsVeldhoen, Buch-Nr. 1523/09/8, Alt-Moabit12a, 10559 Berlin. Um das ganze zu ko-ordinieren, schickt dem EA Berlin eine E-Mail an: [email protected], http://www.ermittlungsausschuss.eu (Red.)

Hannover: Am 19. Juli2009 weigerten sich etwa60 Inhaftierte in der JVAHannover nach dem Hof-gang wieder in ihre Zellenzurückzukehren. Grundwar die Verwehrung der üblichen Aufschlusszeit

am Samstag zuvor. Den Ausfall dieser Aufschlusszeit begründet die Pressespre-cherin der JVA Hannover, K. Buckup, mitpersonellen Engpässen, die es unmöglichmachten, „für die Sicherheit der übrigen

Gefangenen [...] zu sorgen.“ (Hannover-sche Allgemeine Zeitung vom 21.7.09) Der Protest der Gefangenen war mit einer 14tä-gigen Ausgangssperre sanktioniert worden.Am 26. Juli 2009 führten ca. 20 Menschenvor dem Knastkundgebung durch. (Red.)

Die Prozess-Sommerferien des Verfah-rens gegen drei Berliner Aktivisten ausder radikalen Linken sind bald vorbei, undEnde September ist mit einem Urteils-spruch zu rechnen. Den drei Männernwird seit September 2008 vor dem Berliner Kammergericht wegen eines versuchtenBrandanschlags auf NATO-Kriegsgerät(3 Bundeswehr-LKWs) und der Mitglied-schaft in der jüngst aufgelösten militantengruppe (mg) der Prozess gemacht. VomKammergericht sind noch sechs Verhand-lungstermine für Beweisanträge der Ver-teidigung und Plädoyers der widerstreiten-den Parteien angesetzt worden. Nach denErfahrungen der vergangenen Sitzungenkann man erwarten, dass auch die letztenAnträge der Verteidigung als „unbegrün-det“ abgeschmettert werden. Nach 54 Ver-handlungstagen zeigt sich für die Prozess-beobachterInnen und dem interessiertenPublikum weiterhin der ungehemmte Ver-urteilungswille des sog. Strafsenats. DenAngeklagten drohen mehrjährige Haftstra-fen.

Selbst das schriftliche Interview der (mg),welches in der neuen Ausgabe der Un-tergrundzeitschrift der RevolutionärenLinken (RL), „radikal“ (http://home.arcor.de/radi161/), veröffentlicht wurde, ist vomStrafsenat bislang lediglich im sog. Selbst-leseverfahren eingeführt worden, d. h.,es ist nicht Gegenstand der mündlichenHauptverhandlung. Die offenbar als au-thentisch gewerteten Beiträge der (mg)in der „radikal“ bergen durchaus eine ge-wisse Sprengkraft für den Ausgang desVerfahrens. Denn zum einen erklärt die(mg), dass die drei auf der Anklagebank

sitzenden linken Aktivisten keine Mitglieder ihrer Gruppierung seien, zum anderen be-kennt sie sich zu drei BrandanschlägenAnfang des Jahres. Brisant ist das des-halb, weil die Bundesanwaltschaft (BAW)

den Dreien seit Prozessbeginn hartnäckigdie (mg)-Mitgliedschaft nachsagt und diesunter anderem damit begründet, dass seitihrer Festnahme im Sommer 2007 keineAnschläge der (mg) mehr zu verzeichnengewesen seien.Aus der Sicht der BAW und des Strafsenatsist es verständlich, dass die neuen (mg)-Texte weitestgehend unter dem Aktende-ckel gehalten werden sollen, da sie demAnklagekonstrukt völlig den Boden ent-ziehen. Umso mehr wird es während der kommenden Gerichtstermine die Aufgabeder Verteidigung sein, die Bekundungender (mg) mittels Beweisanträge direkt in dieHauptverhandlung einführen zu lassen. Öf-fentlicher Druck kann da nur helfen, zumaldieses Verfahren einen Präzedenzfall dar-stellt. Zum ersten Mal sollen vermeintlicheAngehörige der ehemaligen (mg) nach §129 (Mitgliedschaft in einer „kriminellenVereinigung“) abgeurteilt werden. Fallsdieser Staatsschutzparagraf hier durch-kommen sollte, wäre der Grundstein dafür gelegt, dass der § 129 für künftige Verfah-

ren, die mit der (mg) in Zusammenhanggebracht werden, griffbereit liegt. Eine Ver-urteilung nach § 129 dürfte dann nur nochreine Formsache sein.Verschiedene Gruppen aus der radikalenLinken organisieren aus Solidarität mit denAngeklagten im (mg)-Prozess einen dezen-tralen, bundesweiten Aktionstag. Das Netz-werk Freiheit für alle politischen Gefange-nen ruft ausdrücklich zu einer Beteiligungauf. Die TagX Kundgebung ndet um 8.00

Uhr vor dem Kriminalgericht Berlin-Moabitund die TagX-Demonstration um 19.00Uhr am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg

statt. (Red.)Weitere Infos:

www.perspektive.nostate.net 

www.arab.antifa.de, www.antifa.de

MG-Verfahren geht in die letzte Runde

TagX in Vorbereitung

 G e g e n  d i e  Ma u e r n ! 26.9. - Anti-Knast-Aktionstag in nrw

Knastkundgebungen:Aachen, Krefelder Strasse 251, 11 UhrRheinbach, Aachener Strasse 47, ca. 14 Uhr (schätzungsweise eher 14.30)

Anti-Knast-Veranstaltung in Köln:Unicum, Universitätsstrasse 15, Köln, 18 Uhr

Nachfragen: Autonomes Knastprojekt (AKP) KölnKalk-Mulheimer Str.210, 51103 Köln, Tel: 0221 3318716

8/6/2019 Gefangenen Info #349

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10 | Gefangenen Info | Aug./Sept. 2009

Die krebskranke türkische politische Ge-fangene Güler Zere liegt zur Zeit in einer Gefangenenzelle des Balcali Kranken-hauses in Adana. Könnt ihr was zu ihremGesundheitszustand sagen? 

Im Moment kann sie nicht essen und nichtsprechen. Sie bekommt ihre Nahrung intra-venös zugeführt. Vor zwei Tagen wurde mitder Genehmigung des Staatsanwalts eineBetreuungsperson an der Seite von Güler zugelassen. Sie bendet sich immer noch

in der Gefangenenzelle des Balcali Kran-kenhauses, im UniversitätskrankenhausCukurova in Adana.

Wie konnte denn ihre Krebserkrankung so-weit fortschreiten?

Die gesundheitlichen Beschwerden vonGüler Zere begannen anfangs 2009. Eshaben sich Wunden in der Mundhöhle ge-bildet. Diese Wunden wurden größer und

haben sich fast in der gesamten Mund-höhle ausgebreitet. Als die ersten Wun-den sichtbar wurden, beantragte sie beimGefängnisarzt eine Untersuchung. Der Gefängnisarzt gab ihr Schmerzmittel undsagte ihr, dass es ihr wieder besser gehenwerde. Doch die Wunden in der Mundhöhlewurden größer. Erst als sie keine Nahrungmehr zu sich nehmen konnte wurde sie inein Krankenhaus verlegt. Dort wurde einbösartiger Krebs festgestellt und eine so-fortige Operation eingeleitet. Bei der Ope-ration wurde die Hälfte der Wange entferntund eine Prothese eingesetzt. Trotzdem

hatte sich die Krankheit ausgeweitet. Siewurde ein zweites und ein drittes Mal ope-riert. Aber auch durch diese Operationenkam es zu keiner Verbesserung.

Was sagen die Ärzte zur Haftfähigkeit vonGüler Zere?

Die Ärztekammer in Adana, die Chefabtei-lung des Universitätskrankenhauses Cuku-rova, sowie die gerichtsmedizinische Ab-teilung der Cukurova Universität fertigtenallesamt Berichte an, denen zufolge Güler Zere eine Behandlung als Gefangene un-

möglich ist.Obwohl Güler Zere nach diesen Berich-ten freigelassen werden müsste, wurdesie vom Vollzugsrichter in Elbistan zumgerichtsmedizinischen Institut in Istanbulverlegt. Güler Zere, der man 28 Stunden

Fahrt aufgezwungen hat, wurde dort nur 10 Minuten lang untersucht. Das gerichts-medizinische Institut hielt fest, da eine Be-handlung in der Gefängniszelle des Kran-kenhauses möglich sei. Die Institution, diediesen Bericht ausstellte war die 3. Exper-tenkommission des GerichtsmedizinischenInstituts. An der Spitze dieser Kommissionsteht Nur Birgen. Nur Birgen ist eine Per-son, die seit 1995 Folterfälle vertuscht,folternde Polizisten deckt und Berichte für die Freilassung von Mitgliedern der Kon-terguerilla anfertigt. Gegen den Bericht der 3. Expertenkommission im Fall Güler Zerewurde Einspruch erhoben. Der Einspruchwird von der Generalversammlung der gerichtsmedizinischen Institution bewertetund ein dementsprechendes Urteil gefällt.Das Urteil der Generalversammlung wirdendgültig sein.

Was fordern sie als Organisation der Ange-hörigen politischer Gefangener ?

Wir fordern, dass die Haft ausgesetzt wird,bis sich der Gesundheitszustand von Güler Zere gebessert hat. Wir wollen keine Am-nestie für Güler Zere. Sie hat keine Straf-tat begangen, die eine Amnestie erfordernwürde. Wir wollen, dass ein gesetzlich ver-ankertes Recht angewandt wird. Dieses

Gesetz besagt, dass der Strafvollzug für   jene Gefangene, die aufgrund ihres Ge-sundheitszustands nicht haftfähig sind undfür die eine Fortsetzung der Haftbedin-gungen lebensbedrohlich sein könnte, biszur gesundheitlichen Verbesserung ausge-setzt werden muss.

Seit Wochen finden jetzt schon täglich

Mahnwachen vor dem Krankenhausein-gang statt. Bekommt sie davon etwas mit? 

Wie bereits oben erwähnt bendet sich seit

zwei Tagen eine Betreuungsperson an der 

Seite von Güler Zere. Sie kann über die Be-treuungsperson Informationen bekommen.Davor konnte sie nur einmal pro Woche mitFamilienangehörigen sprechen, und dasnur mit Erlaubnis des Staatsanwalts. AuchAnwaltsbesuche waren an die Genehmi-gung des Staatsanwalts gebunden. Siekonnte keine Zeitungen und Zeitschriftenbekommen. Deshalb wissen wir nicht, in-wieweit sie die Entwicklungen mitverfolgenkonnte. Selbst von Aktionen und Aktivi-täten konnte sie frühestens eine Woche imnachhinein beim Besuch der Angehörigenerfahren. Die Gefangenenzelle, in der sie

sich bendet, liegt im Kellergeschoss desKrankenhauses, und es gibt darin keineFenster. In diesem Raum ist sie alleine.

Was wurde bisher für die Durchsetzung ei-ner zeitweisen Aussetzung der Haft getan?

Mit dieser Forderung wurden nicht nur vor dem Krankenhaus, sondern in zahlreichenStädten der Türkei Aktionen durchgeführt.Zu diesen Aktionen zählen Presseerklä-rungen, Demonstrationen, das Aufhängenvon Plakaten und Transparenten, das Ab-stellen eines Sarges vor diversen Partei-büros oder Gespräche mit Parlamentsab-geordneten. In Istanbul wurden großeDemonstrationen abgehalten. Es wurdenUnterschriftenkampagnen durchgeführt.Die Unterschriftenkampagne geht weiter und stößt immer noch auf großes Interes-se. Das Interesse nimmt tagtäglich zu.Einzelne Menschen schicken Faxe zu denMinisterien und an Regierungsstellen undprotestieren gegen die Nichtfreilassungvon Güler Zere. In unserem Land herrschteine enorme Zensur. In den Gefängnissengibt es eine große Anzahl von kranken Ge-fangenen. Sie werden alle an der Untersu-chung und Behandlung gehindert. Deshalbsterben sie nach und nach. Doch das wirdin der Presse nicht erwähnt. Die Zeitungen,Radios, Fernsehkanäle veröffentlichen kei-ne Nachrichten über ihre Situation. NachAussage verschiedener unabhängiger Menschenrechteorganisationen starbenseit dem Jahr 2000 306 Gefangene in denHaftanstalten.der Türkei. Doch die Nach-richten über Güler Zere haben nun auch

trotz der massiven Zensur in der PressePlatz gefunden. Zahlreiche demokratischeMassenorganisationen, Parteien und Ge-werkschaften nehmen an den Aktionen für Güler teil. In Istanbul wurde eine zentraleAktionseinheit gegründet. Diese von rund50 demokratischen Massenorganisationen,Parteien, Gewerkschaften und Vereinengebildete Aktionseinheit plant den gesam-ten Aktionsablauf im Zusammenhang mitGüler Zere. Diese Einheit organisierte inIstanbul eine Demonstration von Taksim biszum Galatasaray-Gymnasium. An der De-monstration nahmen 3000 Menschen teil.

Drei Tage nach dieser Demonstration wur-de ebenfalls von dieser Aktionseinheit eineDelegation vor das Parlament in Ankara or-ganisiert. Dort wurde mit einigen Abgeord-neten gesprochen.

Was kann man von Europa aus tun um dieForderung nach ihrer Freilassung zu unter-stützen?

Wir glauben daran, dass unsere Aktionenvor Ort und solidarische Unterstützung ausEuropa zur Freilassung von Güler führenwird. Es ist nicht nötig im einzelnen aufzu-

führen, welche Aktionen das sein könnten.Protestfaxe, Demonstrationen, Veröffent-lichung von Artikeln in der europäischenPresse oder Druck über das EuropäischeParlament herstellen. ... Jedes Mittel wirddazu beitragen.

Ein Interview mit Behic Asci zurschwererkrankten Gefangenen Güler ZereEin Interview, das ich mit Behic Asci, dem Vorstandsvorsitzenden der Organisation

der Angehörigen politischer Gefangener in der Türkei (TAYAD) führen konnte.

von Carsten Ondreka

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8/6/2019 Gefangenen Info #349

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Aug./Sept. 2009 | Gefangenen Info | 11

Kurzmeldungen:

Italien: Im Frauengefäng-nis von Dozza wird seitdem 28. Juli 2009 gegenverschlechterte Haftbedin-gungen protestiert. Drei-mal täglich schlagen die In-haftierten 15 Minuten langgegen die Gitterstäbe ihrer 

Zellen. Denunziert werden Missstände, dieauf Überbelegung und Personalmangel zu-rückgeführt werden, sowie die Ignoranz der Gefängnisleitung, insbesondere gegenüber Frauen mit Kindern und an AIDS erkranktenGefangenen. (Red.) Weitere Infos auf itali-enisch: http://emiliaromagna.indymedia.org

Italien:Am 3. Juli 2009 sindin Perugia zwei italienischeAktivisten festgenommenworden. Ihnen wird dieversuchte Sabotage der 

Bahnlinie Ancona-Ortedurch Hakenkrallen so-wie Mitgliedschaft in einer 

„subversiven Vereinigung mit terroristischer Zielsetzung“ (§270bis) vorgeworfen. Beidesind mittlerweile nach San Michele verlegtworden, von wo sie kürzlich ein Grußwortentsandt haben. Ihre Adressen: Sergio Ma-ria Stefani / Alessandro Settepani, Via Ca-sale 50/a, 15040 San Michele. (Red.) Wei-tere Infos: http://tarnac9.noblogs.org, www.informa-azione.info

Baskenland: Am 29. Juli

2009 durchsuchte die spa-nische Guardia Civil dieRäume eines Internetpro-

  jektes der baskischen Ju-gendbewegung. Das Inter-netprojekt informierte über politische und kulturelle

Aktivitäten baskischer Jugendbewegungen.Sämtliches Material wurde beschlagnahmtund drei Personen kurzfristig festgenom-men, die sich aber wieder auf freiem Fußbenden. Nach dem Repressionsschlag

fanden in zahlreichen Städten Solidaritäts-aktionen statt. (Red.)

Baskenland: Am 31. Juli2009 starb im Baskenlandein Mann in folge einesPolizeieinsatzes. Die Poli-zei griff eine Veranstaltungeiner verbotenen Gefan-genenorganisation an undprügelte solange auf den

Mann ein, bis dieser einen Herzinfarkt er-litt. Die spanische Polizei (ERTZAINZA)bestreitet, ihn überhaupt angefasst zu ha-ben. Allerdings gebe es zahlreiche Zeugen,die den Vorfall beobachtet hätten und da-

rüber hinaus bezeugen könnten, dass diePolizisten auch keinerlei medizinische Hilfezu ihm durchgelassen hätten. Als Reaktiondarauf fanden zahlreiche Soli-Demos undAktionen statt. (Red.)

In den kommenden Wochen ist mit der Prozesseröffnung gegen 10 Tierrechtsak-tivistInnen vor dem Gericht Wiener Neu-stadt zu rechnen. Im Mai 2008 wurden ineiner groß angelegten Staatsschutzaktionlandesweit über 20 Wohnungen und Ver-einslokale von Polizei-Spezialeinheitengestürmt. 10 TierrechtlerInnen saßen je-weils über 100 Tage in Untersuchungshaftund warteten seitdem auf den Strafantrag.Dieser liegt nun seit Anfang August vor. Ob-wohl viele der anfänglichen Vorwürfe gegendie Beschuldigten fallen gelassen wurden,erfolgt eine Anklage nach dem berüchtigten§ 278a StGB (Mitgliedschaft in einer krimi-nellen Organisation), der mit dem bundes-deutschen § 129a vergleichbar ist. Danachist die Bildung einer sog. kriminellen Orga-nisation ein Vorbereitungsdelikt. D.h., straf-bar ist bereits die Mitgliedschaft in einer solchen Gruppe, selbst wenn die Mitglieder keine konkreten Straftaten verübt haben.Für eine Organisation nach § 278a bedarf es eines Minimums von 10 Mitgliedern. Da-her ist die Zahl von 10 Angeklagten, die ausunterschiedlichsten Zusammenhängen undRegionen zusammengewürfelt sind, nicht

zufällig.Hintergrund der Kriminalisierung von Tier-rechts- und TierbefreiungsaktivistInnenin Österreich sind ihre öffentlichkeitswirk-samen Kampagnen, die u.a. Pelztier-handel, Massentierhaltung und Jagd de-nunzieren. Diese Kampagnen wurden z.

T. von militanten Aktionen begleitet. DieAktivistInnen stützten sich dabei oft auf das Konzept der „Animal Liberation Front“(Tierbefreiungsfront), wonach unter Beach-tung festgeschriebener Richtlinien, direkteAktionen wie die Sabotage von Jagden, dieFreilassung von Tieren aus Zuchtfarmenu. a. als ALF-Aktionen deklariert werdenkönnen. ALF-Aktionen gibt es weltweit. Ineinigen Staaten wie den USA und GB wirddie ALF als „terroristische Gruppierung“verfolgt.Die Anklage gegen die 10 österreichischenTierrechtlerInnen beinhaltet aber (gemäßeiner Pressemeldung aus dem Solidaritäts-kreis) „vor allem Aktivitäten zur Förderungder Ziele der vermeintlichen kriminellenOrganisation, so etwa die ‚Anmeldung vonDemonstrationen‘ gegen den Verkauf vonEchtpelzprodukten, das Halten von öffent-lich zugänglichen Vorträgen, das Verfas-sen von Artikeln für Zeitschriften oder Re-cherchen zu Pelzverkauf und Tierhaltung.Konkrete Straftaten sollen fast ausschließ-lich von ‚unbekannten Mittäter_innen‘ be-gangen worden sein.“Als Reaktion auf den drohenden Prozess

versammelten sich am 12. August etwa120 UnterstützerInnen in der Wiener Innen-stadt, um gegen die fortgesetzte Repres-sion gegen die Tierschutz- und Tierrechts-szene in Österreich zu protestieren. (Red.)

weitere Infos: www.antirep2008.tk 

TierrechtlerInnen in Österreich

kurz vor Prozessauftakt

AnwältInnen sind teuer - organisiert Soliparties und spendet Geld an:

Kontonummer: 1910815837Bankleitzahl: 14 000Kontoinhaberin: Grünalternative Jugend WienZweck: Antirep 2008IBAN: AT451400001910815837

BIC: BAWAATWW

Soli-Shirts und Aufnäher von die Tierbefreier e.V

* Der Verkaufserlös der Tshirts geht komplett an die Soli-Hilfe für die Tierrechtsgefangenen.T-shirts gibt es in den Grössen S- XL, unisex und tted, in drei verschiedenen Farben; Sie

kosten 10.- Euro + Porto; Aufnäher: ca. 10×10,5 cm kosten 1,50.- Euro + Porto

8/6/2019 Gefangenen Info #349

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12 | Gefangenen Info | Aug./Sept. 2009

Der folgende Brief wurde von 18 Gefange-nen aus dem Straßburger Gefängnis unter-zeichnet. Er ist an Abgeordnete des Euro-päischen Parlaments gerichtet, aber auchfür die Öffentlichkeit bestimmt.

Dies ist ein Brief von mehreren Gefange-nen über die schlechten Haftbedingungenim Maison d‘arrêt de Strasbourg. Wir ha-ben uns entschlossen diesen Brief zuverfassen, weil die Missstände in diesemGefängnis teilweise menschenunwürdigeAusmaße annehmen. Uns ist bewusst,dass es sich hierbei um keinen Einzelfall

innerhalb des französischen Strafvollzugshandelt, sondern vielmehr um die Norma-lität. Folgende Beispiele möchten wir zur Verdeutlichung aufzählen:

1. Das Straßburger Gefängnis hat 446 Plät-ze und ca. 730 Inhaftierte (Quelle: Tages-zeitung DNA v. 05.05.2009). In den letztenanderthalb Monaten sind 272 neue Gefan-gene hier angekommen. Um diese chro-nische Überbelegung überhaupt möglich zumachen, werden die 8 m² großen Einzelzel-len durch das Aufstellen von Doppelstock-betten zu Zweierzellen umfunktioniert. So

bleibt jedem Gefangenen eine Fläche von4m² einschließlich Toilette. An Privatsphäreist so überhaupt nicht zu denken. Weiterhinsind die Fenster doppelt vergittert. Soweituns bekannt ist, entspricht auch dies nichtden europäischen Standards. Der fehlendeAusblick lässt die Zelle noch kleiner wirkenund erzeugt eine zusätzliche psychischeBelastung. Diese menschenunwürdige Un-terbringung führt automatisch zu Aggressi-onen. Gewalttätige Auseinandersetzungennden häug statt. Oft greifen die Wachen

nicht ein.

2. Die hygienischen Zustände sind mi-serabel. Das gesamte Gefängnis ist ver-dreckt und auch die einzelnen Zellen sindin einem schlechten Zustand. In den Zel-len für Neuankömmlinge gibt es noch nichteinmal Toilettenbrillen. Die Duschen sind

verkeimt, und es schimmelt.. Bei einigenkommt das Wasser nur tropfenweise ausder Leitung. Der gesamte Hofbereich ist mitMüll übersät. Es gibt keine Mülleimer. Für die Menschen, die keine Bezugspersonenin der näheren Umgebung haben, ist es un-möglich, die Wäsche waschen zu lassen.Wer Glück hat, besitzt einen Eimer oder ei-nen Topf und kann die Kleidung darin „wa-schen“. Regelmäßig ießendes Warmwas-

ser gibt es nicht, so müssen alle Sachenkalt gewaschen werden. Toilettenpapier istMangelware. Wer kein Geld hat, muss miteiner Rolle zwei Wochen lang auskommen.

Die Bettwäsche und die Matratzen sindeckig und riechen streng. Die Kopfkissen

aus Schaumstoff sind voller Haare… Diezwei kleinen Handtücher, die man für zweiWochen Duschen und Waschen erhält,sind oft beschädigt und auch eckig.

3. Fehlende Organisation und Überla-stung der Verwaltung sind allgegenwärtig.So werden Anträge für Aktivitäten (Sport,Schule, etc.) zum Teil erst nach Monatenbeantwortet. Aber selbst dann ist eine Er-laubnis für die Teilnahme fragwürdig, dasich die Überbelegung auch hier auswirkt.

Es gibt schlicht zu wenig Plätze. MancheSozialarbeiter_innen antworten nicht auf Gesprächsanfragen. Aussagen zu be-stimmten Abläufen, bzw. über Sachen, dieverboten oder erlaubt sind, sind oft wider-sprüchlich und erschweren es Außenste-henden, die Inhaftierten zu unterstützen.Bei der Ankunft im Gefängnis gibt es kaumInformationen über interne Abläufe. Wer kein Französisch spricht, hat es doppeltschwer, denn es gibt keine Übersetzer_in-nen.

4. Besuchsanträge von Anwält_innen und

Familienangehörigen brauchen ebenfallsWochen bis Monate für die Bearbeitung.

5. Nach einem Suizidversuch eines Ge-fangenen mussten seine Zellengenossen(6-Personen-Zelle) das Blut selbst weg-

wischen. Es gab keinerlei psychologischeBetreuung. Nach einem erneuten Selbst-mordversuch wurde die betreffende Personnach ärztlicher Behandlung zur Bestrafungin einer Stehzelle untergebracht. Nach der Rückkehr in seine Zelle wurde er lediglichmedikamentös behandelt. Eine psycholo-gische Betreuung erfolgte auch hier nicht.

6. In der medizinischen Versorgung gibt esebenfalls Mängel. Vielfach werden Anträgefür eine Behandlung ignoriert. Einem rus-sischen Kriegsveteranen mit erheblichenkörperlichen Einschränkungen (Patronen-und Granatsplitter im Körper) wurde eindringend benötigtes Beatmungsgerät nichtgenehmigt. Einem Suchtkranken wurdeentgegen dem Anraten seiner Hausärztedie Versorgung mit ausreichenden Medi-kamenten verwehrt. Andererseits gibt esFälle, bei denen leichte Schlafstörungenmit starken Beruhigungsmitteln in hohenDosen behandelt werden (Valium, Nozinan,Catapressan, u.a.). Menschen, die sich mitdiesen Wirkstoffen nicht auskennen - unddas kann kein Arzt voraussetzen - könnenso leicht in eine Tablettenabhängigkeit ge-raten. Eine weitere Folge der Tablettenaus-gabe in großen Mengen ist der blühendeHandel unter den Gefangenen.

Alle Gefangenen werden standardmäßig imBrustbereich geröntgt, ohne Anzeichen vonLungenkrankheiten. Die Möglichkeit einer Verweigerung besteht nicht, bzw. wird auchauf Nachfrage nicht darauf hingewiesen.Da sich auch nach den Protesten des Ge-fängnispersonals (Anfang Mai 2009) für die

Gefangenen nichts geändert hat, fordernwir die Verbesserung der Haftbedingungenfür alle Gefangenen. Ein erster Schritt wäredie Beseitigung der aufgeführten Missstän-de. Auf Ihren Wunsch könnten wir die For-derungen konkretisieren.

An Sie haben wir folgende Bitten:

1. Eine öffentliche Stellungnahme zu die-sem Thema.2. Thematisierung dieser Zustände im EU-Parlament.

3. Informationen zur Sachlage: Was ist imEU-Parlament zu der Thematikbereits geschehen?4. Veröffentlichung dieses Briefes und Wei-terleitung an andere zuständige Stellen.

Die Unterschriftenliste soll jedoch nichtveröffentlicht werden. Sie soll lediglich denForderungen Nachdruck verleihen.

Wir laden Sie und andere Abgeordneteherzlich ein, ins Gefängnis von Straßburgzu kommen und sich selbst ein Bild von den

Zuständen zu machen.

Vielen Dankfür Ihre Aufmerksamkeit und Hilfe!

15. Juni.2009

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Haftbedingungen imGefängnis von StraßburgBrief einiger Gefangener

8/6/2019 Gefangenen Info #349

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Aug./Sept. 2009 | Gefangenen Info | 13

Kurzmeldungen:

Frankreich: Am 29. Juli2009 ist ein deutscher Stu-dent vom Berufungsgerichtin Strasbourg freigespro-chen worden, nachdemer im Zuge der Protestegegen den Nato-Gipfel im

April festgenommen undzunächst im Schnellverfahren zu einer Ge-fängnisstrafe ohne Bewährung verurteiltworden war. Fünf weitere NATO-Gegner,davon drei Deutsche, sind derzeit noch inStrasbourg in Haft. In dem Kontext wurdendeutsche Demonstranten besonders hartverurteilt. (Red.)

Frankreich: Am 5. Augustist ein anderer im Zugeder Anti-NATO-Protesteinhaftierter deutscher Stu-dent aus dem Knast von

Strasbourg entlassen wor-den. Der Richter des Beru-fungsgerichts ordnete die

Freilassung bis zum nächsten Prozesster-min am 19. Oktober an. Bis dahin hatteder 25jährige bereits vier Monate der imSchnellverfahren verhängten sechsmona-tigen Strafe abgesessen. Dass auch diesesUrteil in der Berufung aufgehoben wird, istdenkbar. (Red.)

Spanien: Am 1. Juli istder anarchistische AktivistJoaquín Garcés Villacam-

pa nach rund zweieinhalbJahrzehnten Haft freige-lassen worden. Joaquínwar Mitte der 80er für meh-rere Enteignungsaktionen

zu über 35 Jahren verurteilt worden. EineRevision seiner Strafe im Jahre 1992, diedas Ende seiner Haft auf 1997 vorverlegte,wurde ihm verschwiegen. Stattdessen saßJoaquín weiter im Knast, bis er 2003 aus-brach, wieder gefasst wurde und weiteresiebeneinhalb Jahre für diverse Sabota-geakte bekam. Sein wiederholt gestellter Antrag auf Freilassung war endlich erfolg-

reich. (Red.)

Griechenland: ThodorisIliopoulos bendet sich seit

dem 10. Juli 2009 im Hun-gerstreik, um seine Entlas-sung zu erkämpfen. Er istder letzte Gefangene der Riots im Dezember letztenJahres. Sein Gesundheits-

zustand ist äußerst kritisch und es sieht soaus, als wäre er im Moment dem Tod näher als dem Leben. Der Knast weigert sich, ihnin ein Krankenhaus zu verlegen, was seine

gesundheitliche Situation zusätzlich gefähr-det. Unter http://petitiononline.com/toke-li41 gibt es eine Petition zur Unterstützungvon Thodoris. (Red.) Weitere Infos: http://apofylakisithodoriiliopoulou.blogspot.com

Régis Schleicher erhielt am 23. Juli für dieDauer von 9 Monaten Freigang. Diese Än-

derung der Haftbedingungen tritt am 26.August in Kraft, das heißt über einen Monatnach der Entscheidung. Ein Monat zusätz-lichen Eingesperrtseins wegen Justizferien- und das, nachdem Régis über 25 Jahregefangen war. Nach den Regeln der Frei-gänger-Haft müsste er 2010 auf Bewährungfreigelassen werden.

Georges Cipriani wartet auf die Entschei-dung hinsichtlich seines Freiganges. SeinAntrag wurde am 25. Juni in einem Wider-pruchsverfahren erneut verhandelt - amgleichen Tag wie der von Régis Schleicher.

Bei Georges wurde die Bekanntgabe der Entscheidung jedoch auf den 20. Augustfestgesetzt. Zwei lange Monate des War-tens, bei der Ungewissheit, ob der Antragabgelehnt wird. Die Härte des Knastes la-stet weiterhin auf Georges. So werden zumBeispiel seine Anträge auf Verlängerungder Besuchszeiten, d. h. auf drei statt an-derthalb Stunden Besuch, regelmäßig ab-gelehnt.

Jean-Marc Rouillan ist weiterhin im Mar-seiller Gefängnis Les Baumettes inhaftiert,nachdem die Richter Ende 2008 seinen

Freigang wegen ein paar Sätzen in einer Zeitung widerrufen haben. Die juristischeSituation von Jean-Marc ist kompliziert(Freigang aufgehoben, Antrag auf Bewäh-rung im Widerspruchsverfahren, Antrag auf Haftverschonung noch nicht entschieden).

Sommer 2009:

Infos zu denGefangenen ausAction Directe undzu Georges Abdallah

Die Justiz spielt auf Zeit, und weitere Mo-nate Haft reihen sich an die vielen bereitsim Gefängnis verbrachten Jahre.Was den Antrag auf Haftverschonung an-geht, sollte ein Gutachter des Gesundheits-ministeriums Jean-Marcs Fall bearbeiten.Er sollte das, wie es hieß, Ende Juni tun.Doch der Termin verstrich, ohne dass etwasgeschah. Dann sprach das Ministerium vonEnde Juli. Jetzt heißt es September. Wäh-rend dieser ganzen Zeit ist Jean-Marc imGefängnis, ohne dass die Erkrankung anChester-Erdheim, die diagnostiziert wurde,angemessen behandelt wird. Was den An-trag auf Bewährung betrifft, so wurde eineEntscheidung auf November vertagt. Es istdurchaus möglich, dass auch dieser Terminnicht eingehalten wird, weil die Richter z.B.anordnen könnten, dass Jean-Marc erst 6Wochen ins Centre National d’Observation(CNO) nach Fresnes muss. [Anm.d.Ü.:Knast bei Paris, wo im CNO/nationales Be-gutachtungszentrum, Gutachten hinsicht-lich des „Rückfallrisikos“ von Gefangenenmit mehr als 15 Jahren Sicherheitsverwah-rung erstellt werden]

Für Nathalie Ménigon beginnt Anfang Au-gust das zweite ihrer fünfjährigen Bewäh-rungszeit, inklusive aller Beschränkungen,denen sie unterworfen ist.

Georges Abdallah ist immer noch Gefange-ner in Lannemezan, in den Hochpyrenäen.Im Oktober beginnt sein 26. Haftjahr. DaRégis Schleicher bald im Freigang ist, wirdGeorges Abdallah der politische Gefangenemit der längsten Haftzeit in Frankreich sein.

Sein letzter Antrag auf Bewährung wurde imMai 2009 abgelehnt, ohne dass ein weiterer 

 juristisches Termin für seine Freilassung inKürze absehbar wäre. Auch auf ihm lastetweiterhin die Härte des Gefängnisses. Sowurden viele neue Besuchsanträge abge-lehnt. Einer der Anträge wurde vor über zehn Monaten gestellt, doch die Gefäng-nisdirektorin weigert sich trotz zahlreicher Nachfragen, darüber zu entscheiden!

Der politische Kampf für die Freilassungder Genossen geht weiter.

Für Joëlle Aubron, die wir nicht vergessenwerden.

Übersetzung eines Artikels auf:http://liberonsgeorges.over-blog.com

vom 11. August 2009

8/6/2019 Gefangenen Info #349

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34 Jahre Knast sindlang. Sie sind nochlänger, wenn manfür eine Tat sitzt, dieman nicht begangenhat. Für LeonardPeltier könnten siesich noch weiter verlängern. Oder sie könnten in denkommenden Tagen

ein lange überfälliges Ende nden.

Leonard war einer der zentralen AIM(American Indian Mouvement)-Aktivistender 70er Jahre. Es war eine Zeit, wo nor-damerikanische Indianer begannen, nachJahrhunderten der Unterdrückung undZwangsverelendung wieder die Köpfe zuheben und sich auf ihre kulturellen undspirituellen Traditionen zu besinnen. Unddie waren mit dem kapitalistischen Systemund dessen zerstörerischen Auswüchsenklar unvereinbar. Den Aktivisten von AIMging es nicht nur um Gleichberechtigungzwischen Indianern und den Nachkommender Kolonialisten. Sie lehnten das Systeman sich ab. Sie waren somit nicht nur als„Rasse“, sondern auch als politische Dissi-denten ein Feindbild der Ordnungsmächtedes Staates.Wozu der Staat in der Lage ist, um Feind-

bilder zu zerstören, das hat Leonard Peltier am eigenen Leibe erfahren.So sehr Leonard für die USA ein Staats-feind ist, ist er für andere zur Ikone ge-worden. Sein Fall steht symbolisch für dieRepression gegen indigene Menschen undpolitische Dissidenten mittels Lüge, Will-kür und Gewalt. Weltweit haben bereits 25Millionen Menschen sowie Organisationenwie Amnesty International Leonards Frei-lassung gefordert.Ob sie nun endlich Realität wird, hängt vonvier „national commissioners“ und einem„regional commissioner“ ab. Sie müssen

über seinen jüngsten Antrag auf Bewäh-rung entscheiden. Leonards Anhörung vor dem Bewährungsausschuss hat am 28. Julistattgefunden. In den USA ist eine solcheAnhörung für zu lebenslänglich Verurteilteab 200 Monaten Haft möglich. Leonard sitztseit 402 Monaten.

Nun gehen solche Akten zunächst durchdie Hände eines Prüfers, der mit dem Wei-terleiten der Unterlagen eine Empfehlungfür die vierköpge „full commission“ aus-

spricht. Diese letzte Instanz hat dann „wennmöglich“ binnen 21 Tagen ihre Stimmen ab-zugeben. Doch niemand weiß, wann dieseEmpfehlung der „full commission“ überge-ben wurde und was als „möglich“ ausge-legt wird. Angesichts des Sommerlochs,befürchten Unterstützer Leonards, die „fullcommission“ könne noch eine ganze WeileZeit schinden.Sollte es den Antrag ablehnen, bliebe nocheine Begnadigung durch den Präsidentenals Ausweg. Die Zeit, Druck auf das Ge-richt und das Weiße Haus zu machen, istalso noch nicht vorüber. Im Internet sindOnline-Petitionen auf Englisch verfügbar.(www.ipetitions.com/petition/Peltier_Cle-mency2008 und http://www.ipetitions.com/petition/parole2008)Leonard ist im Hochsicherheitsknast vonLewisburg (Pennsylvania) inhaftiert, seitdas Gefängnis von Leavenworth (Kansas)seinen Hochsicherheitsstatus verloren hat.Sein letzter Brief an die Öffentlichkeit istein eindringlicher Appell, den Kampf für eine gerechtere Gesellschaft und für denRespekt der Natur nicht aufzugeben. Dia-log und Solidarität sind die Waffen, die den

nötigen Bewusstseinswandel vollbringensollen. Nach 34 Jahren Haft hat Leonarddas Vertrauen in die Kraft und den Sieg der Ideen nicht verloren.Sein Brief endet mit den Worten: „Ichmöchte nicht den Rest meines Lebens imGefängnis verbringen. Und ich möchteauch nicht, dass ihr mit euren Gedanken,Herzen und eurer Geisteshaltung für denRest eures Lebens in eine Art inneres Ge-fängnis gesperrt werdet. Ich möchte, dassihr euer Leben genießt. Nehmt wenigstens

 jemand in den Arm und sagt: ‚Diese Umar-mung kommt von Leonard.’“

14 | Gefangenen Info | Aug./Sept. 2009

Frei oder nicht frei…

    i    n    t    e    r    n    a

    t    i    o    n    a    l Leonard Peltier:

von Lara Melin

Leonard Peltier # 89637-132, USP-LewisburgUS Penitentiary, PO Box 1000Lewisburg, PA 17837

Schreibt Leonard Peltier 

Das Werk von Leonard Peltier wird von BirdLevy Strain (Polu Manu Productions) verwaltet.Bei ihr sind Drucke und Originale von Leonarderhältlich. Der Erlös der Verkäufe geht an Leo-nards Soli-Komitee.

Polu Manu Productionswww.polumanuproductions.squarespace.combird@polumanuproductions.com381 30th StreetSan Francisco, CA415-577-4649

Leonard Peltiers Werke

8/6/2019 Gefangenen Info #349

http://slidepdf.com/reader/full/gefangenen-info-349 15/20

Aug./Sept. 2009 | Gefangenen Info | 15

Kurzmeldungen:

Chile: Im Milieu der Mapuche-Bewegung ha-ben Polizei und Paramili-tärs am 5. und 6. Augustbrutale Razzien durch-geführt. Mehrere Aktivi-stInnen sind dabei fest-genommen worden. Eine

Gruppe von vier inhaftierten StudentInnenveröffentlichte am 7. August ein Schreiben:Sie denunzieren den Rassismus des chile-nischen Staates sowie dessen Unfähigkeit,auf die Forderungen der Mapuche andersals mit Gewalt zu antworten. Die Mapuchekämpfen gegen Enteignungen mit denendie Regierung ihnen Land, das sie seitJahrtausenden kollektiv besitzen, raubt,damit sich dort kapitalistische Industrie an-siedeln kann. (Red.)

Chile: Mireya Figueroa

hat am 25. August eineAnhörung. Die Mapuche-Aktivistin ist im Juni nach5 Jahren Klandestinitätverhaftet worden. Sie war im Fall Poluco Pidenco zueiner Haft von 10 Jahren

verurteilt worden, war aber seitdem abge-taucht. Mireya leidet an einem fortgeschrit-tenen Brustkrebs und hat daher einen An-trag auf Haftverschonung gestellt. Freundefürchten, sie könne bereits vor dem 25.August der Krankheit erliegen. (Red.) Mehr Informationen auf Spanisch: www.pais-

mapuche.org und www.mapuexpress.net

Indien: Im Gefängnis Ha-zaribag haben 100 mao-istische Gefangene einedreiphasige Widerstands-aktion begonnen. Siekämpfen u. a. für eine bes-sere Versorgung mit Stromund Trinkwasser sowie

Moskitonetzen in den Zellen. Phase 1 siehteine Woche reduzierter Nahrungsmittelauf-nahme vor, Phase 2 eine einwöchig befri-stete gänzliche Verweigerung der Nahrung,

Phase 3 einen unbefristeten Hungerstreik.(Red.)

USA: Im Gefängnis vonChino (California Instituti-on for Men) hat währendder Nacht vom 9. August2009 ein 11stündiger Auf-stand stattgefunden. In der für 3000 Mann ausgelegte,aber mit 5900 Mann (über)

belegten Einrichtung (s. o.) kam es zu Aus-schreitungen und Bränden, die sich schnellvon einer Einheit auf weitere ausdehnten.

200 Gefangene wurden verletzt, davon 55schwerwiegend. Das Personal blieb un-verletzt. Ein Großteil der 1300 Mann fas-senden Einheit ist durch die Brandschädenunbewohnbar geworden. (Red.)

Ende Juli haben wir vonder Verhaftung von ShovaGajurel erfahren, die an der 

Grenze zwischen Frankreich und Belgien

festgenommen wurde. Sie ist die Tochter eines führenden nepalesischen Maoisten undselbst Mitglied der Kommunistischen ParteiNepals (Maoistisch), der KPN(M).Shova Gajurel hat in Frankreich politischesAsyl beantragt, denn angesichts der Repres-sion gegen KPN(M)-Mitglieder ist ihr Lebenin ihrer Heimat in Gefahr. Sie ist in Valen-ciennes verhaftet worden, da sie ohne dieerforderlichen Papiere reiste, und wurde imAbschiebelager Lille Lesquin inhaftiert.Es hat sich umgehend ein Solidaritäts-Ko-mitee gebildet, welchem sich das Komitee„Libérez-les“ sowie das Komitee der Papier-losen von Lille (CSP59) und der MRAP (Mou-vement contre le Racisme et pour l‘Amitie en-tre les Peuples) angeschlossen haben.„Libérez-les“ hat insbesondere dem Anwaltder Gefangenen zur GerichtsverhandlungFakten übermitteln können. Umsonst. Ihr Asylantrag ist abgelehnt worden, und dasGericht hat ihre Abschiebung bestätigt. DasKomitee hat ebenfalls einen „offenen Brief“an den französischen Außenminister BernardKouchner vorgeschlagen. Dieses Schreibenwurde von zahlreichen Aktivisten unterzeich-net und verschickt. Die drei Komitees habensich anschließend versammelt, um einenneuen Asylantrag zu erstellen, der ebenfalls

eine Ablehnung geerntet hat. Außerdem istam 30. Juli eine Pressekonferenz in Lille or-ganisiert worden, um die Situation von ShovaGajurel öffentlich zu denunzieren.Da der Druck auf den französischen Staatmehr und mehr wuchs, war dieser gezwun-gen zu reagieren. Das geschah durch eine

Entscheidung der Regierung, die nicht dra-stischer hätte ausfallen können: Er entle-digt sich der Angelegenheit. Und zwar wie?Indem die Nepalesin, mit der Begründung,

dass sie bei ihrer Ankunft in Frankreich durchBelgien gereist war, dorthin zurückgeschicktwird. Die Antwort des Staates auf die Mobili-sierung war die Verlegung von Shova Gajurelvon Lille nach Brügge (via das Kommissari-at von Menin an der französisch-belgischenGrenze), am Vormittag des 3. August. DasZiel dieses Manövers kann klarer nicht sein,zumal die Haft sich bei uns [in Belgien, Anm.d. Übers.] verlängern kann...In dem Bestreben, die Solidaritätsarbeit fort-zusetzen, waren die französischen Komitees,verstärkt durch zwei Aktivisten unserer RotenHilfe/APAPC an der Grenze, um Shova Gaju-rel zu empfangen. Doch die Polizei, die denBefehl bekommen hatte, in der größtmög-lichen Diskretion zu handeln, hat alles darangesetzt, die Spuren zu verwischen. Die Akti-visten sind von einem Polizeirevier zum an-deren geschickt worden, und haben endlichdie Gefangene einige Minuten sehen können- Minuten, in denen sie ihren fortgeschritte-nen Erschöpfungszustand und ihre Besorg-nis feststellen konnten. In der Tat ist ihr dasHandy entzogen worden, und sie besitzt da-her kein Mittel mehr, um zu kommunizieren.Gegen 14 Uhr ist sie schließlich nach Brüggegebracht worden.Auf Bitte des Komitees „Libérez-les“ über-

nimmt die Rote Hilfe/APAPC heute die Aufga-be der Mobilisierung und der Unterstützungfür Shova Gajurel, mit dem Ziel ihrer Freilas-sung und der Legalisierung ihrer Situation.

Es lebe die internationale Solidarität!Solidarität ist unsere Waffe!

Verhaftungeiner maoistischen GenossinKommunique der Rote Hilfe/APAPC in Belgien vom 15. August 2009

Am 3. August 2009 befand ein staatenüber-greifendes US-Gericht, die chronische Über-füllung in den kalifornischen Gefängnissen

sei alarmierend und gar verfassungswidrig.Es ordnete an, die Zahl der Häftlinge in dennächsten zwei Jahren um fast 43.000 zu sen-ken. In Kalifornien sitzen insgesamt 150.000Gefangene ein, und in manchen Gefängnis-sen hat die Belegschaft weit über 200% der 

eigentlichen Kapazität erreicht.Die Richter stellten Zustände des Chaos fest,wo Gefangene in notdürftig umfunktioniertenSporthallen, Aufenthaltsräumen und Gän-gen zusammengepfercht bzw. buchstäblichübereinandergestapelt sind. Mangelnde me-

dizinische Versorgung führt immer wieder zuTodesfällen.Im Oktober 2006 verhängte Kaliforniens Gou-verneur A. Schwarzenegger den Notstand inden Knästen und traf Vorkehrungen, Häftlingein private Gefängnisse anderer US-Staatenzu verlegen, um dem Problem beizukommen.Doch die eigentliche Wurzel des Problems istdie drastische Rechtsprechung in Kalifornienund das sogenannte „drei-Streiche-Gesetz“.Diesem Gesetz zufolge kann man beim drit-ten Begehen selbst eines Deliktes wie Kauf-hausdiebstahl zu lebenslänglicher Haft verur-teilt werden.Kaliforniens Justizminister E. G. Brown ver-

wehrte sich gegen den Beschluss des Fe-deral Court und kündigte Berufung an. (Red.)

Weitere Infos:www.prisons.org 

www.prisonactivist.org 

Kaliforniens Knäste:Eine Alptraumfabrik

8/6/2019 Gefangenen Info #349

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16 | Gefangenen Info | Aug./Sept. 2009

    g    e    f    a    n    g    e    n    e

Briefe aus den Knästen  Faruk Ereren:

Haftsituation vom

13. Juli 2009

Lieber..,Ich bekam deinen Brief vom 30. Juni am11. Juli. Vielen Dank für das wichtige Infor-mationsmaterial. Ich verfolge mit Interessedie Solidaritätsarbeit für Mustafa Atalay. Ichschreibe jetzt was zu meinen Haftbedin-gungen:

Umschluss habe ich mit einem Gefangenen.Wöchentlich zweimal zwei Stunden. Mit an-deren Inhaftierten Kontakt aufzunehmen, istmir aber untersagt.Täglich habe eine Stunde Freistunde. Sonstbin ich die restliche Zeit allein auf der Zelle.Lange Zeit erhielt ich keine türkische Zeitung.Ich musste lange dafür kämpfen, bis ich end-lich ein anatolisches Organ erhielt. Jetzt er-halte ich ein reaktionäres Blatt namens „Ge-neral“. Ich habe zwar die Möglichkeit, linkePublikationen aus der Türkei zu beantragen,aber das Gericht genehmigt mir keine.Besuch erhalte ich nur einmal im Monat. Der zuständige Strafsenat lässt nur Angehörige

zu. In der BRD habe ich nur einen Cousin,der kann mich aber manchmal nur alle zweiMonate besuchen.Vergangenen Donnerstag hatten wir zu zweitgemeinsam Hofgang, aber miteinander re-den war uns untersagt. Natürlich haben wir uns an das Verbot nicht gehalten. Wir wurdenumgehend wieder allein in unsere Zellen ein-gesperrt. Ich habe mich über diese behörd-liche Provokation sehr geärgert. Sind hier auch türkische Militärgefängnisse?Täglich ist das hier so!Aber trotzdem bin ich gut drauf: Gesundheitund Kraft sind okay!Solidarische Grüße

Düsseldorf, den 13.7.2009

Thomas Meyer-Falk:

Gericht verweigert Freilassung

Nach meiner Festnahme 1996 wurde ich1997 vom Landgericht Heilbronn wegeneines versuchten Banküberfalls zu 11 1/2

Jahren und Sicherungsverwahrung verurteilt.In weiteren Verfahren kamen summa sum-marum 5 Jahre und 3 Monate Haft hinzu, dasich einige RichterInnen und PolitikerInnenvon mir beleidigt, bzw. bedroht fühlten.Nachdem 2007 von den Strafen zwei Drittel

verbüßt waren, beantragte ich meine Frei-lassung auf Bewährung. Dies lehnte dasLandgericht Karlsruhe (Vorsitzender Richter Kleinheinz, Richterinnen am Landgericht Gö-rlitz und Herlitze) mit Beschluss vom 04. Mai2009 ab.Die Kammer ist der Ansicht, ich bedürfe ei-ner langjährigen Sozialtherapie (in einer ent-sprechenden Abteilung einer JVA) um dortdie “bestehende Persönlichkeitsproblematik”aufzuarbeiten, insbesondere aber einen “so-

zialkompetenten Umgang mit Koniktsituati-onen” zu erlernen. Es bestehe eine “ausge-prägte narzisstische Persönlichkeitsstörung”,von deren “Hintergrund die Straftaten gese-hen werden” müssen.Besonders nachteilig wirke, so das Gericht,dass ich nicht regelmäßig an gemeinschaft-lichen Veranstaltungen innerhalb der JVAteilnehmen würde; dies lasse nur den Rück-schluss zu, daß ich “nach wie vor nicht kon-iktfähig im Sinne einer sozialkompetenten

Auseinandersetzung mit anderen” sei.Eine gegen den Beschluss eingelegte Be-schwerde wurde durch das Oberlandesge-richt (1. Strafsenat) Karlsruhe verworfen, so

dass die Entscheidung nun rechtskräftig ist.Bis 2013 kann (und werde ich wohl auch) alle6 Monate meine Freilassung beantragen,und nach Beginn der Sicherungsverwahrungkann dann alle zwei Jahre ein solches Ge-such gestellt werden.Was heißt nun “sozialkompetenter Umgangmit Koniktsituationen”? Habe ich jemals z.B.

einen Wärter der mich provozierte physischangegriffen? Nein. Oder einen Mitgefan-genen? Ebenfalls nein. Ich nehme mir jedochdie Freiheit über Missstände im Strafvollzugzu berichten, sie öffentlich zu machen, an-statt sie “sozialadäquat” unter den Teppichzu kehren.

Über die Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit vonSozialtherapien kann gestritten werden (erstkürzlich wurde ein wegen Sexualverbrechenvorbestrafter ehem. Sicherungsverwahrter,den die sozialtherapeutische Abteilung inAsperg/bei Stuttgart “behandelt” hatte undden ein Gericht 2007 dann frei ließ, erneutin Bruchsal eingeliefert, nachdem er nämlich2008 prompt wieder eine Frau vergewaltigte).Ich für mich lehne sie ab; denn eine solcheZwangstherapie die darauf setzt, dass der Proband am Ende in die Schablonen der TherapeutInnen, GutachterInnen und Rich-terInnen passt, ist mit meinem Menschenbildnicht zu vereinbaren.

Diese Haltung brachte mir schon den von mir als zynisch erlebten Vorwurf ein: “Du willstdoch gar nicht mehr raus”. Es geht mit Si-cherheit darum, wieder frei zu kommen, aber nicht um den Preis, sich jahrelang (denn esgeht um eine Jahre dauernde Therapie) zu

verbiegen, von staatlichen Psychologinnenund Psychologen im Hirn herumdoktern zulassen, bis man -wie ein pawlow´scher Hund-zu sabbern beginnt, wenn die Therapeu-tInnen mit dem Glöckchen klingeln. Das mageine sehr subjektive Sicht der Dinge sein,

  jedoch bekam ich von therapeutisch tätigenPersonen in meinem Umfeld durchaus zuhören, dass unter qualitativen Gesichtspunk-ten bspw. die Sozialtherapie auf dem Aspergziemlich sinnlos sei.

Aber auch eine qualitativ hochwertige Thera-pie kann nicht dem Betroffenen aufgezwun-gen werden; es mutet zudem perde an, den

politischen Aspekt der Handlungen die mitKnast und SV geahndet wurden, vollkommenzu negieren und alles einer “narzisstischenPersönlichkeitsstörung” zuzuschreiben.Es ist eine banale Erkenntnis, dass es diemenschliche Psyche ist, die uns motiviert,dieses oder jenes zu tun oder zu lassen.Die hier beobachtbare Pathologisierungmenschlichen Tuns entspricht zweifelsohnedem Menschenbild des Gutachters und der RichterInnen, aber sie ist kein Grund auf ihreForderungen einzugehen und sich damit ih-

rem Diktat zu unterwerfen.Und so werde ich vorerst weiter aus demKnast berichten, anstatt mich in Freiheit ander Auseinandersetzung beteiligen zu kön-nen.

Cengiz Oban: Diskussion

„Solidarität muss praktisch

werden“

Lieber,ich habe Deinen Brief vom 25.6. sowie diePostkarte erhalten. Habe mich über beidesehr gefreut....Die Abschiebung von Halil Korpan habe ichinzwischen mitgekriegt. Er war sich sicher,dass die juristische Prozedur noch 3 Monatedauert. Es kam daher für mich überraschend,dass er abgeschoben wurde. Es ist daher ganz offen, dass er betrogen wurde. Es isteben kein Verlass auf die Ausländerbehördeund die Justiz.Zu den Briefkontakten stimme ich Dir voll-kommen zu. Entweder habe ich mich im

vorigen Brief falsch ausgedrückt, oder esist missverstanden worden. Briefe sind für Gefangene nicht wegzudenken, auch einePostkarte, einzig und allein mit einem Grußist die kleinste, auch größte Freude für denGefangenen.

JVA Düsseldorf Ulmenstr. 95, 40476 Düsseldorf www.no129.info

Schreibt Faruk Ereren

JVA Bruchsal - 3113Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsalwww.freedomforthomas.wordpress.com

Schreibt Thomas Meyer-Falk

8/6/2019 Gefangenen Info #349

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Aug./Sept. 2009 | Gefangenen Info | 17

Es gibt sicherlich viele Gründe für Einzelne,nicht zu schreiben. Ich würde das verstehen,

 jedoch kein Verständnis dafür zeigen. Sicher würde ich mich darum bemühen zu helfen,um die Angst oder die Unsicherheit beim Ein-zelnen zu überwinden.Andererseits würde ich mir widersprechen.Auch die Tatsache, warum ich/wir inhaftiertsind. Mit der Inhaftierung geht es doch genaudarum, nämlich die Solidarität und die Kollek-tivität zu durchbrechen. Da, wo die Solidaritätherrscht, kann es keinen Egoismus geben.So stark die Kollektivität wächst, so schwachwird auch die Konkurrenz. Genau das ist auchder Schutz und die Barrikade vor der Vere-lendung. In diesem Punkt treten die §129a/bin Kraft, und es ist der Versuch, die Solidari-tät zu durchbrechen. Unsicherheit und Angstsollen sich verbreiten. Angst vor Knast undAngst vor Erfassung. Sobald mensch verkna-stet ist, geht es weiter mit der Isolation. Da,wo doch die Kollektivität ein Medikament für die Krankheitssymptome des Systems ist, soist es auch ein unverzichtbares Medikament

gegen die Isolation. Eine kollektive Handlungbedeutet in diesem Fall, den Kontakt mittelsBriefen herzustellen. Ich nde es gut von Dir,

dass Du es noch einmal ansprichst, um Miss-verständnisse zu klären..... .Ich hatte Dir etwa vor ein bis eineinhalb Mo-naten einen Brief geschrieben, wo ich zu der Rolle Deutschlands in unserem Verfahrenetwas schrieb. Ich habe diesbezüglich kei-ne Reaktion von Dir erhalten. Über die Linkehatte ich auch was geschrieben. Hast Du denBrief erhalten? Ich frage nach, weil einigeBriefe „verloren“ gehen.....Ich habe in der „Jungen Welt“ und dem „Neu-

en Deutschland“ die Artikel zu der Pressekon-ferenz der Prozessdelegation gelesen. EineAussage ... nde ich nicht richtig. Es geht

nicht darum, ob man die „Aktionen“ der Orga-nisation in der Türkei befürwortet oder nicht.Es ist auch überüssig, das zu sagen. Um

sich mit den Angeklagten zu solidarisierenund den Prozess zu beobachten, ist es nichterforderlich, die „Aktionen“ gut zu heißen.Wenn so etwas zum Ausdruck gebracht wird,so müssten vorher auch die Handlungen desfaschistischen Regimes angesprochen wer-den. Es sind doch genau diese „Aktionen“,womit das gesamte Vorgehen, sei es der §129b oder auch die Isolation, gerechtfer-

tigt werden. Uns sollte es darum gehen, dieIsolation und den §129a/b zu thematisieren.Außerdem ist es nicht die Sache der deut-schen Justiz, Aktionen bzw. Aktivitäten einer ausländischen Organisation in Deutschlandzu verurteilen. Sobald mensch sich auf solcheine Diskussion einlässt, so ist es auch eineindirekte Zustimmung zum §129b, denn beiihm geht es ja um die Verurteilung dieser „Ak-tionen“. Natürlich schätze ich die Arbeit der Delegation, doch das politische Verfahrensollte nicht der humanitären Arbeit geopfertwerden...So weit erst einmal.Liebe und herzliche Grüße

Nurhan Erdem: Haftbedin-

gungen in Köln-Ossendorf 

 / Beitrag gegen die NATO

Ich bin in Untersuchungshaft, Haus 13. Mo-mentan bende ich mich nicht im Trakt, da

dort zur Zeit keine Abteilung für Frauen vor-handen ist. Da ich isoliert bin, habe ich immer Hofgang und Duschen einzeln. Deswegenkann ich andere gefangene Frauen nur hö-ren und sie auch nur während ihres Hofgangssehen. Zusätzlich wird vom Wachpersonalstrikt darauf geachtet, dass die anderen Ge-fangenen nicht mit mir reden. Die Beamtenhaben meine Zelle immer im Blick und achtendarauf, dass niemand dort stehen bleibt oder sich hinsetzt.Während meines einstündigen Einzelhof-gangs können mich die anderen Frauen se-hen. Am Anfang wurde ich als „Kindermörde-rin“ und „Kannibalin“ beschimpft, aber nacheiner Zeit legte sich das. Nur das Personaldarf meine Tür öffnen und mein Essen aus-teilen. Die Inhaftierten, die als „Hausmäd-

chen“ arbeiten, dürfen mir weder Essen nochWäsche noch sonst was übergeben.Beim Verlassen meiner Zelle, sei es zum Hof-gang, Duschen oder Besuch, wird streng da-rauf geachtet, dass der Zellenur menschen-leer ist. Zur Zeit bendet sich keine Frau

unter den selben Isolationshaftbedingungenim Knast. Deswegen besteht für mich auchnicht die Möglichkeit, Umschluss mit anderenzu haben.Meine Post wird vom Gericht kontrolliert.Wenn Menschen mit mir in Kontakt tretenmöchten, können sie mir direkt in den Knastschreiben.Die Zellen neben mir werden meistens frei

gehalten. Manchmal höre ich Stimmen, aber nach kurzer Zeit werden sie verlegt, und esherrscht wieder Stille. Ich vermute, es wirddarauf geachtet, dass die Gefangenen ne-ben mir sich nicht auf Deutsch verständigenkönnen.Ich hoffe, dass dein Kommen genehmigtwird. (Besuche von einigen wurden verbo-ten.) Auch wenn wir nur eine halbe StundeZeit haben, würde ich gerne mit dir reden,denn auch unter diesen Bedingungen kön-nen Gespräche geführt werden. Für mich istes etwas anderes, wenn ich Besuch empfan-gen kann. Es ist schön mit einem zu reden,den ich vom Sehen kenne.

Auszug eines Artikels von Nurhan Erdem

zum Thema NATO und deren Ziele:

Kommen wir zu unserer Situation:Wenn wir die Sache im Rahmen meiner bis-herigen Aufstellungen (zur NATO) bewerten,dann ist auch unsere Verhaftung eine Folgedieser Politiken. Schließlich wurde der Para-graph 129b aus diesem Grund hinzugefügt.Er muss also in dem Kontext „Krieg gegen

 jeglichen Terror in jedem Land“ gesehen wer-den. Im Zuge der Beziehung zwischen der Türkei-EU-USA werden die VerbindungenDeutschlands mit der Türkei „intensiviert“.

Daraus wird folgen, dass der „demokratischeCharakter“ der Türkei bewiesen wird.Es wird versucht, die Revolutionäre auszu-schalten. Die Methode Deutschlands ist Ge-fangennahme und Isolierung. Die Ergebnisseder NATO-Versammlungen in Straßburg

konnte ich aus der Presse mitverfolgen. Dochauf der Haupttagesordnung stand der Terror und die Strategie gegenüber manchen Län-dern. Iran, Nordkorea, etc. Die Periode der Weltherrschaft und Vormachtstellung ist nichtvorbei. Jene, die sich nicht beugen wollen,werden dazu gezwungen. Wir werden sehen,was uns in der kommenden Periode erwar-tet. So zum Beispiel auch, welche Völker, inwelchen Ländern, die Rechnung für die Wirt-schaftskrise, mit Bomben bezahlen werdenmüssen.Es sollten auch die Bewertungen Obamasangeführt werden, welcher fordert, dassdie Türkei in die EU aufgenommen werdenmuss. Es sieht so aus, als ob sich der EU-Prozess für die Türkei beschleunigen wird,oder? Es gibt eine Stellungnahme Sarkozysund des französischen Außenministers zudiesen Worten Obamas. Die internen Pro-bleme der EU gingen nur die EU-Länder etwas an. Sie meinten, die USA könne hier nicht mitmischen. Guten Morgen, sie schei-nen ja noch zu schlafen, kann ich nur sagen.

Alle Länder, die der NATO nicht die Türenöffnen, die also keine den „Globalisierungs-“politiken angepassten Politiken und Gesetzeanwenden, werden mit Interventionen der NATO konfrontiert. Die vor uns liegende Peri-ode wird eine Periode solcher Interventionen/Einmischungen sein. Wir werden es selbsterleben, wie das Image Obamas nur demSchein dient, auch wenn er noch so friedlie-bend und dialogfreudig wirkt.Der Militarisierungsprozess der EU nahmnach dem 11. September an Geschwindigkeitzu. Die Schritte dahin wurden in Strasbourgweiter gefestigt. Damit sollte der Türkei, dieseit über einem halben Jahrhundert treuer 

und vertrauenswürdiger Partner ist, dieseTreue in Worten und in der Praxis vergoltenwerden. Es war kein Zufall, dass Obamagleich nach der Versammlung in die Türkeireiste. An diesem Punkt dürfen diese Poli-tiken der EU und die Rolle, die der Türkei vonder USA auferlegt wurde, nicht außer Achtgelassen werden.In Erkenntnis all dieser Beziehungen ist esauch kein Zufall, dass heute gegen uns der Paragraph 129b angewandt wird. Ich möchtefolgendes deshalb nochmals unterstreichenund festhalten: Der Angriff auf Revolutio-näre und Sozialisten ist Teil des Anti-Terror-kampfes der NATO. In diesem Sinne wird die

Globalisierungspolitik zugunsten des Impe-rialismus als Angriffspunkt gegen die Revo-lutionäre geführt. Es gab bisher nichts, wasdiese Globalisierungspolitik den Weltvölkerngebracht hätte. Das Resultat waren Wirt-schaftskrise und Krieg.Die Wirtschaftskrise hat die imperialistischenLänder dermaßen in Angst versetzt und ge-lähmt, dass sie es nicht einmal mehr für not-wendig sahen, ihren aggressiven Charakter zu verstecken. Die Linien sind heute nicht un-klar. Es gibt auch keinen verschwommenenPunkt. Die Reihen wurden durch klare Lini-en getrennt. Letztendlich wäre es unlogischund falsch, die NATO als eine unabhängige,

auf sich gestellte Organisation zu bewerten.Denn die NATO ist die gemeinsame Kriegs-organisation der imperialistischen Länder.Sie ist nicht von den Politiken des IWF undder Weltbank getrennt. Im Rahmen der An-griffe auf SozialistInnen und Revolutionäre

Cengiz ObanJVA Bochum, Krümmede 344791 Bochum

Schreibt Cengiz Oban

8/6/2019 Gefangenen Info #349

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18 | Gefangenen Info | Aug./Sept. 2009

    G    E    F    A    N    G    E    N    Ewerden wir nicht das letzte Glied in der Kette

sein. Diese Angriffe werden sich gegen diegesamte revolutionäre und demokratischeÖffentlichkeit richten. Die imperialistischenLänder werden ihre Angriffe ohne Rücksichtauf Sprache, Farbe und Religion fortsetzen.Die linke Öffentlichkeit in Europa sollte diesePeriode nicht lediglich als Angriff gegen einige„Terrorgruppen“ aus der Türkei sehen. Auchwenn es heute so aussieht, als ob wir Ziel des

Angriffs sind, werden morgen alle oppositio-nellen Kreise an der Reihe sein. Die Staatenin Europa schreiten rasch auf diesem Wegvoran. Dementsprechend gestalten sie ihreGesetzgebungen mit all ihren Institutionen.Die Polizeibefugnisse werden durch Gesetzeausgeweitet, die Gefängnisse werden dem-entsprechend umfunktioniert. Es reicht einkleiner Auslöser, um zum „Terrorangeklag-ten“ zu werden. Bereits ein Artikel reicht aus,um Gegenstand von derartigen Ermittlungenzu werden. Der Kampf dagegen ist nicht dieAufgabe von einigen Personen, sondern jenealler revolutionären und demokratischen Men-schen.

Nurhan ErdemJVA Köln, Rochusstraße 35050827 Köln

Schreibt Nurhan Erdem

Diese Gedichte sind vor kurzem bei unseingegangen. Weitere seiner Gedichte sindunter www.no129.info nachlesbar. (Red.)

Lasst uns gemeinsam der Sonne entgegengehenErst wenn ich sehe,

erfasst mich Feuer,gehe ich in Flammen auf.Meine hungrigen, in Armut lebenden Ge-schwister,lasst uns gemeinsam der Sonne entgegengehen,lasst uns gemeinsam der Zukunft entgegengehen.29.05.2009

Mensch sein zu könnenWas er gab, war ein Versprechen,dieses Versprechen war rein.Seine Reinheit war dieses Versprechen.Im letzen Atemzug,Vereinten sich sein Versprechen und seineReinheit,

den angefangenen Weg setze er fort.Mensch sein zu können, besteht vielleicht nur in der Reinheitund im Versprechender unkindlichen Unschuld.20.07.2009

Zivilisation nennt es sichBedauerlich ist der Egoismus der Menschheit,bedauerlich, bedauerlichegoistisch, egoistisch,nichts sehen sieder Ehrgeiz verschließt ihre AugenImmer ich, immer ichbedauerlich ist der Egoismus der Menschheit,bedauerlich, bedauerlich.Die Welt des Egoismus,

egoistisch, egoistisch,Und es nennt sich ZivilisationZivilisation des Egoismus,Zivilisation, wen nützt es?Ich, ich, ichdie gesamte WeltNur duUnd nun, wen interessiert es17.07.2009

Eine andere SchönheitMorgens, wenn ich mit der Sonne die Augenöffne,sehe ich auf der Welt neue Schönheiten,Neue Hoffnung.Sehr Schönes.20.06.2009

herzkrank, er wurde wurde nur wenige Tagenach einer Bypass-Operation verhaftet undkonnte augrund der Haftbedingungen nichtgesund werden. Alle Anträge zur Haftunfä-higkeit wurden vom Gericht abgelehnt.Die vorläugen Urteile: Hasan Subasi: 2 Jah-

re und 11 Monate. Er soll als Gebietsleiter für 

Ulm/Neu-Ulm Veranstaltungen organisiert,die alevitische Zeitschrift “Kerbela” heraus-gegeben und Spenden gesammelt haben.Ilhan Dermitas: 3 Jahre und 6 Monate. Er sollAusweispapiere gefälscht und Fahrzeuge für Waffentransporte präpariert haben. Musta-fa Atalay: 5 Jahre. Er soll als Gebietsleiter in den Regionen Süd, Nord und in Englandtätig gewesen sein und Spenden gesammelthaben. Er soll an der Fälschung von Aus-weispapieren und an der Vorbereitung einesWaffentransports beteiligt gewesen sein- Er kommt erst im November frei. Eine Ohrfeigeins Gesicht dürften auch die Bewährungauf-lagen darstellen: Verbot des Besuchs von

Vereinsräumlichkeiten, welche der DHKP-Cangehören sollen, Kontaktverbot zu tatsäch-lichen oder vermeintlichen DHKP-C Mitglie-dern und das Verbot jeglicher Betätigung für diese Organisation. Diese Auagen und dass

Urteil bestätigen den Ausgangspunkt desProzesses: mittels des §129b wird es ermög-licht, legale politische Arbeit als “terroristischeAktivitäten” zu verfolgen und weitaus stärker zu kriminaliseren, als es mittels des bisher inähnlichen Fällen in Anwendung gebrachten„Verstoßes gegen das Vereinsgesetz“ mög-lich gewesen wäre. Das Urteil ist noch nichtrechtskräftig, die Anwälte haben Revision da-gegen eingelegt.

Düsseldorf: Nuri Eryüksel wurde am 2. Julibereits zum fünften Mal als Zeuge gegen denAngeklagten Faruk Ereren vorgeladen. Da er auf eine Frage keine Antwort geben wollte,drohte der Senat mit Beugehaft. Da Nuri sich

weiterhin weigerte diese Frage zu beantwor-ten, wurde er zwecks Aussageerzwingung inBeugehaft genommen. Der Eindruck verfe-stigte sich, dass es bei der Vernehmung desblinden Zeugen nicht nur um den Prozess ge-gen Faruk Ereren geht, sondern möglicher-weise gegen ihn selbst und andere Personen

ermittelt wird, da in den fünf Prozesstagennur selten Fragen zum eigentlichen Verfah-ren kamen. Aufgrund der Sommerpause desOLG fand der nächste Prozesstag erst über einen Monat später am 3. August statt. DieRote Hilfe Mönchengladbach-Düsseldorf/Neuss rief zu diesem Termin zu einer Pro-zessdelegation auf, an der 40 Personenteilnahmen. Nuri Eryüksel verweigerte jegli-che Aussage und kam erneut in Beugehaft.Am folgenden Tag wurde die Beugehaft vomBGH aufgrund einer Beschwerde seines An-walts aufgehoben. In wieweit die Verhängungder Beugehaft rechtswidrig war, ist derzeitnoch offen. Nachdem Nuri abgeführt wurde,

verlaß der Senat ein Vernehmungsprotoll desGefangenen Gökhan Gündüz. Am 28. April2009 hatte der Strafsenat des OLG Düssel-dorf in der Türkei getagt und Gündüz verhört.Dieser wies während der Vernehmung wieder und wieder darauf hin, dass das Dokumentzu dem er befragt wird, unter Folter entstand.Das behauptete Ereignis habe nichts mit ihm,Gündüz, oder Faruk Ereren zu tun. Die Artder Fragestellung des BAW Heise erwecktebei Gündüz zudem den Eindruck, dass er Folter für akzeptabel halte.Der Strafsenat entschied nach Verlesung,dass dieses Dokument kein Beweismittel für den dringenden Tatverdacht des Mordes ge-

gen Faruk sei. (Red.)

Weitere Infos: www.no129.info

Freilassungenin Stammheimund Düsseldorf Stuttgart-Stammheim. Der §129b-Prozess,welcher schon seit dem 18.03.2008 vor demOLG in Stuttgart läuft, endete für drei der fünf Gefangenen am 11.08.2009 mit vorläugen

Urteilen. Auf Basis ausgehandelter Strafenmachten Mustafa Atalay, Ilhan Dermitas undHasan Subasi Einlassungen zu Angeklage-punkten. Entgegen der Meldungen in der bürgerlichen Presse sind diese Einlassungennicht als Geständnisse zu werten, denn dieAngeklagten haben weder sich von ihren Ak-tivitäten distanziert noch andere verraten. Ob-wohl keine eindeutigen Beweise existieren,ließ man den Gefangenen auf Kosten ihrer 

Gesundheit keine andere Wahl, als die Bedin-gungen zu akzeptieren, um aus der Haft ent-lassen zu werden. Ilhans psychischer Zustandwar so schlecht, dass eine weitere Aufrechter-haltung der Haft zu irreperablen Schäden beiihm geführt hätte. Mustafa Atalay ist schwer 

Foto aus Magdeburg

Mustafa AtalayJVA Stuttgart-StammheimAsperger Str. 60, 70439 Stuttgart

Schreibt Mustafa Atalay

Gedichtevon Mustafa Atalay

8/6/2019 Gefangenen Info #349

http://slidepdf.com/reader/full/gefangenen-info-349 19/20

„Wieviel sind hintern Gittern, die wir draußen brauchen!“Politische Gefangene -

Sendung zu Repression und Widerstand

Jeden ersten Dienstag im Monat von 18 bis19 Uhr.Zu empfangen per Livestream über:www.radioflora.de

Aug./Sept. 2009 | Gefangenen Info | 19

feui  l

leton

 jeden Freitagvon 19 bis 20 Uhr auf Radio - FSK -FM 93,0 MHz / 101,4 MHz (im Kabel)livestream: www.fsk-hh.org/livestream

mail: [email protected]: 040 - 432 500 46Postbox: Redaktion K&J c/o SchwarzmarktKleiner Schäferkamp 4620357 Hamburg

„Oktober 1934-1937Heute wie gestern

Die Rote Hilfe Spanienkümmert sich um eure Familien“

Aus dem Dossier der Roten Hilfe

Belgien zur Geschichte der 

Internatioanlen Roten Hilfe (IRH)

(Quelle: www.secoursrouge.org

französisch-sprachige Homepage)

Karl Plättner: Eros im Zuchthaus

Bei diesem Buch von Karl Plättner handelt es sich um ein„antiquarisches Werk“. Der Titel war bereits 1929 im MOPR-Verlag der IRH erschienen und wurde ein Jahr später inhalt-lich unverändert, nur um ein Vorwort ergänzt, neu aufgelegt.Karl Plättner eilte Anfang der 20er Jahre ein Ruf als „mittel-deutscher Bandenführer“ voraus; einer der auszog, um miteiner bewaffneten Schar von Gleichgesinnten am proleta-rischen Aufstandsversuch im Rahmen der sog. Märzaktion

von 1921 im Industriegebiet Halle/S.-Merseburg teilzuneh-men; in dem Bestreben, den revolutionären Aufbruch über das ehemalige Mitteldeutschland landesweit zu entfachenhelfen. Plättner zählt zu den kommunistischen Dissidenten,die sich nach der Niederschlagung des reaktionären Kapp-Lüttwitz-Putsches im März 1920 aufgrund der als zögerlichempfundenen Haltung der damaligen KPD-Zentrale von der Partei lossagten und die „Linksabspaltung“ KAPD (Kommuni-stische Arbeiterpartei Deutschlands) gründeten.

Bereits während seiner letzten Haftjahre befasste sich Plättner mit dem in den 20er Jahren völ-lig tabuisierten, und doch alle Inhaftierten belastenden Thema der Sexualität in der Kerkerhaft.Damit greift er einen Aspekt des Strafvollzugs auf, über den, wie er einleitend hervorhob, „weniggeschrieben und noch weniger geredet worden“ sei. Politischer Aktivist zu sein, vertrug sichangeblich nicht damit, sexuelle Neigungen zu haben. Über Sexualität (und noch weniger über Onanie) war auch in der damaligen Linken kein Wort zu verlieren, denn „die sexuelle Enthalt-

samkeit (wurde) mehr oder weniger willensstark geübt“, so Plättner. „Mich“, so schreibt er weiter,„beherrschte der Gedanke, daß Selbstbefriedigung ein Frevel gegen die Natur sei.“Plättner schreibt nicht nur über ehemalige Mitgefangene und das, was ihm durch Berichte zu-getragen wurde, er bezieht sich explizit in die Darstellung der zum Teil recht drastischen Schil-derung von sexuellen Ersatzhandlungen hinter den Kerkermauern ein. Auch wenn das „Sexual-problem“ in den Zuchthäusern nach Plättner „erst in einer sozialistischen Gesellschaftsordnungbeseitigt werden“ kann, stellt er zum Abschluss seines Bandes einen „psycho-sexuellen“ For-derungskatalog zur „Humanisierung“ des Strafvollzugs auf, der u.a. das Besuchsrecht des Ge-schlechtspartners umfasst. In seinen letzten Buchzeilen animiert er seine LeserInnenschaft miteinem ammenden Appell: „Wohlan, ihr Menschen, kämpft mit und erkämpft den Gefangenen

das, was zum Menschen gehört: die freie Geschlechtsbetätigung als Wurzel des Lebens selbst!Zerstört nicht nur die Zuchthäuser als Raubtierkäge in ihrer heutigen Form, sondern heft mit, ein

Gesellschaftsleben zu bauen, das keine Zuchthäuser benötigt!“Plättners Buch hatte Ende der 20er Jahre den Vorhang des Schweigens zerrissen und den Blickauf die weggeschlossene Sexualität hinter den Knasttoren gelenkt. Damit stellt es „einen Mark-stein und einen eindringlichen Mahnruf“ dar, wie der sozialistische Sexualforscher und Inspirator der Schwulenbewegung, Magnus Hirschfeld, in seinem Begleitwort schreibt.Da dieser Titel nur antiquarisch bspw. über www.zvab.de zu beziehen ist, stellen wir interessier-ten Gefangenen eine Kopie des Plättner-Buches zur Verfügung. (Red.)

Schwarzbuch Strafvollzug

Eine Rezension von Thomas Meyer-Falk

Hubertus Becker: „Ritual Knast. Die Niederlage des Gefängnisses. Eine Bestandsaufnahme“ISBN 978-3-931801-54-6 | 2008 |Forum Verlag Leipzig | 200 S. | 16.90 €

Der Autor des hier zu besprechenden Buches hat selbst an die 20 Jahre Hafterfahrung, vor derenHintergrund er (im Untertitel des Buches) eine „Niederlage des Gefängnisses“ konstatiert.In „Ritual Knast“ von Hubertus Becker, der heute als Drehbuchautor seinen Lebensunterhalt -

nanziert, rechnet dieser mit dem bundesdeutschen Strafvollzug in überzeugender Weise ab. Wer das Buch einfach von vorn nach hinten durchliest, ist „live“ dabei, von der Einlieferung eines Ge-fangenen, über das Leben in Haft bis hin zum Leben danach; wer sich über spezielle Abschnitteder Haft informieren möchte, kann sich an dem übersichtlichen Inhaltsverzeichnis orientieren.Fast allen wichtigen Stationen des Gefängnislebens ist ein kleines Kapitel gewidmet: ob nun „DieWärter“, „Das Vollzugsrecht“, „Die Zwangsarbeit“ oder „Die Gesundheit“ sowie das eher seltenbeleuchtete Phänomen der Gefängnissprache. Dabei belässt es Becker nicht bei einer Beschrei-bung der Gegebenheiten, sondern ordnet die jeweiligen Zustände und Phänomene soziologischin einen Gesamtkontext ein, was das 200-Seiten-Buch so wichtig macht.Mitunter gerät das sehr gut lesbare Buch bedauerlicherweise juristisch etwas unscharf, um nichtzu sagen falsch, wenn beispielsweise suggeriert wird, Oberlandesgerichte oder Strafvollzugs-kammern hätten über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (a.a.O. S. 152im Kapitel „Die Sicherungsverwahrung“) zu benden. Rechtsmittelinstanz ist der Bundesge-

richtshof, und über die Anordnung der nachträglichen SV entscheidet die Große Strafkammer  jenes Landgerichts, das den Gefangenen schon zuvor verurteilt hat.Für eine dem „Ritual Knast“ zu wünschende Neuauage wäre eine Korrektur dieser und ähn-

licher Fehler überlegenswert; ebenso wie eine präzise Fundstellenangabe für im Buch enthal-

tene Angaben, um so dem Leser und der Leserin zu ermöglichen, im Detail weiter zu recherchie-ren oder zu lesen.Wer das Buch liest, spürt Beckers Zorn. Zorn, nicht Hass. Zorn ist kühl und überlegt. Und soseziert er am lebenden Objekt Knast dessen Strukturen und deformierenden Wirkungen zualler-erst auf die Gefangenen, aber auch auf deren Familien, ja selbst auf die Bediensteten und nichtzuletzt auf die Gesellschaft.

Plakat „Asturias“ der 

Roten Hilfe Spanien aus dem

spanischen Bürgerkrieg

8/6/2019 Gefangenen Info #349

http://slidepdf.com/reader/full/gefangenen-info-349 20/20

 Leonard Peltier - Old Protector of the Woods ( Öl auf Leinwand)..