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Der Anaesthesist 1•2003 | 79
Wir begrüßen es sehr, dass auch inder deutschsprachigen anästhesiologi-schen Fachwelt die Zeit mittlerweile reifist, die Frage nach einer Prophylaxe mitH1+H2-Antihistaminika zu stellen. Vielzu lange ist das Problem von anaphylak-toiden/anaphylaktischen Reaktionenwährend der Narkose, ganz im Gegen-satz zum europäischen und englisch-sprachigen Ausland, totgeschwiegenoder verharmlost worden.
Dies wird nicht nur beim Autor die-ses Beitrags durch seine einseitige Lite-raturauswahl offensichtlich, sondernspiegelt durch ein Fehlen dieses Themasauf den meisten Kongressen auch diegenerelle Einstellung in Deutschland zudieser Problematik wider. Im Ausland istman sich hingegen dieses Problemkrei-ses sehr bewusst: so wurde z.B. auf demWeltkongress für Anästhesie in Sydney1996 ein überwältigendes Interesse derFachwelt an Histaminfreisetzungsreak-tionen in der Anästhesie deutlich. Diegesamte Hauptsitzung mit dem Titel„Your Worst Fear“ musste aufgrund derüberwältigenden Nachfrage (der Saalwar zu klein) wegen des großen Interes-ses an dieser Thematik vor 1000 Zuhö-rern wiederholt werden.
Das sehr ernst zu nehmende Pro-blem der Histaminfreisetzung durchMedikamente im perioperativen Zei-traum sollte nicht verharmlost werden,z.B. durch das Anführen der Argumen-
te wie:„es sind nur seltene Reaktionen“,oder „es wäre keine effektive Prophylaxevorhanden“ und natürlich auch durchdas Argument „man könne durch eineentsprechende Allergietestung vor Nar-kose und Weglassen von entsprechen-den Medikamenten solche Reaktionenvermeiden“.
Eine Serie von Studien und Meta-analysen zeigen vielmehr, dass eineerschreckend hohe Inzidenz von Hista-minfreisetzungsreaktionen während derNarkose zu verzeichnen ist [1]. In dereinzigen definitiven Studie zu dem Pro-blem (randomisiert, doppelblind, 240allgemeinchirurgische Patienten mitRandomverfahren aus einer Grundge-samtheit von 5000 Patienten ausge-wählt) wurde gezeigt, dass eine H1/H2-Prophylaxe zu einer signifikanten Re-duktion der Histaminfreisetzungsreak-tionen und der klinisch relevanten undsogar der lebensbedrohlichen Reaktio-nen führt [2]. Diese Studie wird von R.Castello nicht einmal erwähnt ( evidenz-basierte Medizin?)
Es gibt gute Belege dafür, dassdurch eine entsprechende präoperativeAllergietestung keine absolute Sicher-heit gewonnen werden kann [3, 4]. Beiden Prätest-freundlichen Franzosenzeigt das Beispiel des französischenInnenministers, das trotz negativer Prä-Testung im perioperativen Verlauf einefast tödliche anaphylaktoide Reaktion in
der Narkoseeinleitung auftrat. Er mus-ste entsprechend intensivmedizinischbehandelt werden.
Einzelne Argumente sind zu wider-legen:
◗ Man kann zwar die Unterscheidungzwischen allergisch-immunologischbedingten, sogenannten anaphylak-tischen Reaktionen und pseudoaller-gischen Reaktionen auf akademi-scher Basis führen, im akuten klini-schen Notfall sind sie nicht zu tren-nen.
◗ Das unter einer H1/H2-Antagonisten-Prophylaxe bei Unverträglichkeitgegen Kontrastmittel kein hundert-prozentiger Schutz erreicht wird,führt der Autor als Beweis der Inef-fektivität an. Denkt man etwas nach,ist es sehr einfach festzustellen, dasses keine Prophylaxe gibt, die eine100%ige Blockade bzw. einen100%igen Schutz gewährleistet: we-der die Thromboseprophylaxe nochdie Antibiotikaprophylaxe könnendies und werden doch befürwortet.
LeserbriefAnaesthesist 2003 · 52:79–80DOI 10.1007/s00101-002-0444-0
D. Duda1 · I. Celik2 · W. Dick3
1 Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, St.Hildegardis Krankenhaus, Mainz2 Institut für Theoretische Chirurgie, Klinikum der Philipps-Universität Marburg3 Klinik für Anästhesiologie, Universitäts Klinikum Mainz
Generelle H1/H2-Blockade vor NarkoseeinleitungKommentar zu einer Leserfrage in Der Anästhesist (2002) 51:420–421
© Springer-Verlag 2003
Priv. Doz. Dr. Dorothea DudaKlinik für Anästhesie und IntensivmedizinSt. Hildegardis KrankenhausHildegardstraße 2, 55131 MainzE-mail: [email protected]
Leserbrief
Wichtig ist eine signifikante Redu-zierung solcher Reaktionen und die-se wurde in der o.g. Studie gezeigt [2].
◗ Das Argument, dass keine Korrela-tion zwischen hämodynamischenVeränderungen, kutaner Manifesta-tion und gemessenen Histaminwer-ten im Plasma beim Einsatz von Mi-vacurium in der Untersuchung vonDoenicke et al. [5] festgestellt wurde,verschleiert die Tatsache, dass es indieser Untersuchung durch eineH1/H2-Prophylaxe zu einer signifi-kanten Reduktion der Plasma-Hista-minspiegel kam. Weiterhin führt R.Castello nicht an, dass die Gesamt-analyse der kutanen Reaktionen inder Gruppe mit niedrigen und hohenMivacuriumgaben ergab, dass dieGruppe mit H1/H2-Prophylaxe einesignifikante Reduktion (p=0,05) derkutanen Reaktionen zeigte. Einemonokausale Beziehung zwischenSpiegel und Reaktion widersprichtklinischer Realität und klinischemDenken.
◗ Doenicke et al. [5] sprechen weiter-hin in ihrer Arbeit an keiner Stellevon einer Korrelationsanalyse. Auchkonnte bisher in keiner Untersuchunggezeigt werden, dass eine orale H1/H2-Prophylaxe, wie sie in der Arbeit vonDoenicke et al. durchgeführt wordenist, genauso effektiv histaminbeding-te kardiorespiratorische Störungenreduzieren kann wie die intravenöseApplikation der H1/H2-Prophylaxemit Dimetinden und Cimetidin [2].Allein schon durch ihre Fallzahl istdiese Studie keine definitive Studie.
R. Castello führt aus, dass Risikopatien-ten, wie z. B. Patienten mit atopischenErkrankungen oder vorangegangenenArzneimittelreaktionen, von solch einermedikamentösen Prophylaxe keinenNutzen haben. Nicht nur die Patientenmit atopischen Erkrankungen und be-reits bekannten Unverträglichkeitsreak-tionen gegen Medikamente stellen eineRisikopopulation dar [1], sondern ins-besondere die Population der Tumorpa-tienten haben ein erhöhtes Risiko für
solche Histaminfreisetzungsreaktionenim Narkoseverlauf [2]. In einer epide-miologischen Analyse wurde gezeigt,dass Tumorpatienten ein 5-fach höheresRisiko für histaminbedingte kardiore-spiratorische Störungen im Narkosever-lauf haben. Sind Fakten nichts wert [6]?
◗ Während der Narkose wird eineKombination von verschiedenstenMedikamenten angewendet, die imEinzelnen weitgehend reaktionsfreisein können, in Kombination mitanderen Medikamenten aber durch-aus zur Histaminfreisetzung führenund damit auch zu klinisch-relevan-ten und gegebenenfalls zu lebensbe-drohlichen Reaktionen [2]. Dies wareine Kernaussage der Mainz-Mar-burg Studie [2]. Diese Problematikwurde für Vecuronium und Atracu-rium von Laxenaire et al. ausdrück-lich bestätigt [7].
◗ Der Hinweis auf hepato- und nephro-toxische Nebenwirkungen vonH1+H2-Rezeptorantagonisten wirddurch die Tatsache entkräftet, dass indem zitierten Originalartikel vonsehr seltenen Reaktionen gesprochenwird. Nur unter extensiver Einnahmevon H2-Blockern werden diese Kom-plikationen beobachtet. Deshalb istder Bezug zur einmaligen präopera-tiven H1/H2-Prophylaxe nicht ange-bracht und irreführend.
Der Beitrag von R.Castello zur Frage derH1/H2-Prophylaxe wirft ein generellesProblem auf: Histaminfreisetzung kannnicht ein weltweiter Klassiker der letz-ten 50 Jahre sein [8], mit den einzigendeutschen Klassikern im British Journalof Anaesthesia und auf der anderen Seiteein völlig unbedeutendes Problem. Hierist evidenz-basierte Medizin gefragt!
Eine methodisch fundierte Konsen-suskonferenz zur Therapie anaphylak-toider Reaktionen und Anaphylaxie vonAhnefeld et al. im „Anästhesisten“ wirdebenfalls völlig ignoriert [9]. Die anek-dotische Literaturrecherche von RCastello spiegelt nur die Meinung desEinzelnen, aber keine auf Leitlinienme-thodologie fußende, fundierte Aussagewider. Dahl hat bereits 1994 in The Lan-cet gefordert [10], dass eine vertiefte
Auseinandersetzung mit histaminbe-dingten, kardiorespiratorischen Störun-gen in der Anästhesie und einer gene-rellen Prophylaxe notwendig ist. Dieswird von dem Kommentar von R.Castel-lo nicht geleistet.
Aufgrund der vorhandenen Daten-lage der letzten 10 Jahre kommen wir zudem Schluss, dass eine H1/H2-Prophyla-xe bei Risikogruppen dringend indiziertist. Die hier dargestellten, kontroversenAnsichten machen insbesondere einssehr deutlich: die dringende Notwen-digkeit der „evidenz-basierten“ und derLeitlinienmethodologie folgenden Aus-einandersetzung der Fachwelt mit demProblem der perioperativen Prophyla-xen. Die daraus resultierenden Empfeh-lungen müssen in die klinische Routineimplementiert werden.
Literatur1. Lorenz W et al (1990) Perioperative uses of
histamine antagonists. J Clin Anesth 2:345–3592. Lorenz W et al. (1994) Incidence and clinical
importance of perioperative histamine release:randomised study of volume loading and anti-histamines after induction of anaesthesia.Lancet 343:933–940
3. Fisher et al (1999) Failure to prevent an ana-phylactic reation to a second neuromuscularblocking drug during anaesthesia.Br J Anaesth 82:770–773
4. Watkins J (2000) Skin testing and the anaes-thesist. Br J Anaesth 85:814–817
5. Doenicke A et al (1996) Effect of oral antihista-mine premedication on mivacurium-inducedhistamine release and side effects.Br J Anaesth 77:421–423
6. Sitter H (1995) Model building strategies forrisk analysis of perioperative histamine-relatedcardiorespiratory disturbances.Inflamm Res 44:S82–S83
7. Moneret-Vautrin DA., Gueant JL., Laxenaire MC(1995) Preventions by monovalent haptens ofIgE -dependent leukocyte histamine release tomuscle relaxants. Int arch allergy and immuno-logy 107:172–175
8. Hall GM (1998) BJA citation classics 1945-1992.Br J Anaesth 80:4–6
9. Ahnefeld FW et al (1994) Akuttherapie ana-phylaktoider Reaktionen.Anaesthesist 43:211–222
10. Dahl JB (1994) Antihistamine prophylaxis andgeneral anaesthesia 343:929–930
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