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1 Die europäische Politik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (1618-1661) 1. Der neue Staatstypus des „klassischen Europas“ Das 16. Jahrhundert war besonders im Mittelmeerraum durch ein Aufblühen der politischen Macht, des wirtschaftlichen Reichtums und der geistigen Schaffenskraft geprägt. Hier behauptet sich die politische und militärische Kraft Spaniens, das unter Karl V. (1516-1556) und Philip II. (1556-1598) das Zentrum eines riesigen Reiches wurde, „in dem die Sonne nie untergeht“. Im selben Mittelmeerraum, in Italien, das zum größten Teil unter spanischer Herrschaft stand, blühte die italienische Kultur auf. Es war ein letztes Jahrhundert einer künstlerischen und intellektuellen Zivilisation, der finanziellen und kommerziellen Blüte, die von den Bankiers der Lombardei und den Seefahrern aus Genua gesichert wurde. Die iberische und italienische Halbinsel waren am Ende des 16. Jahrhunderts die Wiege des europäischen Vordringens in die ganzen Welt: die Entdeckung Amerikas und die Ausbeutung seiner Bodenschätze, die Umschiffung Afrikas und die erste Weltumsegelung, das Erreichen der Küsten Indiens, Chinas und Japans, die Kolonisierung der Inseln in Südost - Asien. Im 17. Jahrhundert bewegt sich der Schwerpunkt Europas nach Norden und Nordwesten, vom Mittelmeerraum in Richtung Atlantik. Während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts macht die politische und militärische Hegemonie Spaniens dem politischen und kulturellen Aufschwung Frankreichs Platz. Dazu gesellen sich die Handels- und Seemacht sowie die intellektuelle und künstlerische Kraft der Niederlande. Im 17. Jahrhundert triumphierten riesengroße Reiche, manchmal mit Millionen von Quadratkilometern an Fläche, aber mit einer niedrigen Bevölkerungsdichte. Diese Staaten übten eine nur

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Die europäische Politik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (1618-1661)

1. Der neue Staatstypus des „klassischen Europas“

Das 16. Jahrhundert war besonders im Mittelmeerraum durch ein Aufblühen der politischen Macht, des wirtschaftlichen Reichtums und der geistigen Schaffenskraft geprägt. Hier behauptet sich die politische und militärische Kraft Spaniens, das unter Karl V. (1516-1556) und Philip II. (1556-1598) das Zentrum eines riesigen Reiches wurde, „in dem die Sonne nie untergeht“. Im selben Mittelmeerraum, in Italien, das zum größten Teil unter spanischer Herrschaft stand, blühte die italienische Kultur auf. Es war ein letztes Jahrhundert einer künstlerischen und intellektuellen Zivilisation, der finanziellen und kommerziellen Blüte, die von den Bankiers der Lombardei und den Seefahrern aus Genua gesichert wurde. Die iberische und italienische Halbinsel waren am Ende des 16. Jahrhunderts die Wiege des europäischen Vordringens in die ganzen Welt: die Entdeckung Amerikas und die Ausbeutung seiner Bodenschätze, die Umschiffung Afrikas und die erste Weltumsegelung, das Erreichen der Küsten Indiens, Chinas und Japans, die Kolonisierung der Inseln in Südost - Asien.

Im 17. Jahrhundert bewegt sich der Schwerpunkt Europas nach Norden und Nordwesten, vom Mittelmeerraum in Richtung Atlantik. Während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts macht die politische und militärische Hegemonie Spaniens dem politischen und kulturellen Aufschwung Frankreichs Platz. Dazu gesellen sich die Handels- und Seemacht sowie die intellektuelle und künstlerische Kraft der Niederlande.

Im 17. Jahrhundert triumphierten riesengroße Reiche, manchmal mit Millionen von Quadratkilometern an Fläche, aber mit einer niedrigen Bevölkerungsdichte. Diese Staaten übten eine nur geringe Kontrolle über ihre Territorien aus, z.B. Spanien, das Osmanische Reich in Europa, Asien und Afrika, und Polen nach seiner Vereinigung mit Litauen im Jahre 1569. Im 17. Jahrhundert kommen die Schwächen einer solchen Form der staatlichen Organisation zum Vorschein, denn der Staatstypus, der im so genannten „klassischen Europa“ des 17. Jahrhundert Erfolg hatte, war der mittelgroße Staat, mit einer größeren Bevölkerungsdichte und einer besseren Kontrolle seiner Bevölkerung, seines Territoriums und seiner Ressourcen. Dieser Staat verzichtet nicht auf die Idee der Expansion, die er aber, durch die Unterordnung anderer Staaten, mit Hilfe von Bündnissen oder durch die Bildung eines ihm günstigen internationalen Gleichgewichts durchführt. Mit dieser Formel hat Frankreich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, dann Holland im 17 Jahrhundert, England und Preußen im 18. Jahrhundert Erfolg.

2. Die Ursachen des Dreißigjährigen Krieges

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Das 16. Jahrhundert, das mit der Reform von Martin Luther aus dem Jahre 1517 beginnt, war von vielen tiefen Spannungen gekennzeichnet, die auch einen religiösen Charakter hatten. Der Reform von Luther und später auch der von Calvin (1536) folgte die katholische Gegenreformation, die die Habsburger von Wien und Madrid aus einleiteten. Religionskriege betrafen ganz Europa, besonders jedoch Deutschland, aber auch Frankreich, wo die Hugenotten sich mit dem Königtum und der katholischen Majorität auseinandersetzten. Die lutherische (evangelische), anglikanische oder calvinische Reform verbreitete sich über ganze Länder und Völker (einen guten Teil des Hl. Römischen Reiches deutscher Nation, Schwedens, Dänemarks, Englands unter Heinrich VIII., den Vereinigten Niederlanden, bis nach Böhmen, Ungarn und Siebenbürgen, das sich seit 1541 unter osmanischer Oberhoheit befand.

Der Erfolg der Reformation zeigte unter anderem die Verlagerung des europäischen Schwerpunktes nach Norden wie auch die Beziehungen, die zwischen verschiedenen historischen Prozessen existieren, wie z.B. zwischen der kapitalistischen Entwicklung und der individualistischen Mentalität des Bürgertums einerseits und dem neuen protestantischen Glauben andererseits, eine Beziehung, die sich besonders in England und in den Vereinigten Niederlanden geäußert hat.

Der Streit zwischen Katholiken und Protestanten in den deutschen Ländern war ein Erbe des 16. Jahrhunderts und hat den europäischen Frieden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert zerstört. Dieser Konflikt war einer der zentralen Gründe des Dreißigjährigen Krieges.

Der Augsburger Religionsfriede von 1555 setzte dem Streit zwischen den deutschen katholischen und protestantischen Fürsten ein Ende, indem allgemein das Prinzip cuius regio, eius religio angenommen wurde. Dementsprechend hatten die Fürsten das Recht, eine dieser beiden Religionen anzunehmen und sie ihren Untertanen aufzudrängen. Dieser Kompromiss zeigte sich aber in den nächsten Jahren als ein sehr schwacher. Im Reich selbst erscheint eine Reihe von Problemen: unter den Nachfolgern von Karl V. wird die kaiserliche Autorität immer schwächer, was die Ausbreitung der inneren Streitigkeiten im Reich zur Folge hatte. Die Lutheraner säkularisieren auch weiterhin die Güter der Katholischen Kirche, obwohl ihnen der Friede dies nicht erlaubte. Der Calvinismus machte ebenso große Fortschritte in den deutschen Ländern gegen Ende des Jahrhunderts, als die zum Calvinismus übergetretenen Fürsten verlangten, dass der Augsburger Religionsfriede auch auf sie angewendet würde. Dies hatte die Reaktion der Katholiken wie auch der Lutheraner zur Folge. Zwischen 1608-1609 führte dies zu Spannungen zwischen den neu etablierten militärischen Bündnissen. Die protestantischen Fürsten bildeten am 14. Mai 1608 die „Evangelische Union“ (die evangelischen Fürsten von Württemberg, Baden-Durlach, Ansbach, Bayreuth, Pfalz-Neuburg, die Reichsstädte von Ulm,

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Straßburg, Nürnberg geführt von dem Wittelsbacher Kurfürsten Friedrich IV. von der Pfalz) während die katholischen Fürsten am 10. Juli 1609 die „Liga der katholischen Reichsstände“ bilden, geleitet vom wittelsbachschen Herzog Maximilian von Bayern (die Bischöfe von Augsburg, Würzburg, Passau, Regensburg, Konstanz u.a., die drei geistlichen Kurfürsten, dann Erzherzog Ferdinand von der Steiermark und König Philip III. von Spanien).

Die Lage wird mit der Wahl von Ferdinand II. zum Kaiser im Jahre 1619 noch schwieriger. Streng katholisch, beginnt Ferdinand von neuem die katholische Gegenreformation mit dem Zweck, den Protestantismus im Reich komplett auszuschalten. Gleichzeitig hat er Ambitionen, einen zentralisierten, deutschen und katholischen Staat zu bilden, in dem unter seiner Herrschaft die drei verschiedenen Teile seines Herrschaftsbereichs vereinigt werden sollten: die habsburgischen Erbländer (Innerösterreich), die wählbaren Kronen Ungarns und Böhmens sowie das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Diesem Projekt brachten vor allem die Reichsfürsten, aber auch die Protestanten Widerstand entgegen, deren religiöse Freiheit wie politische Autonomie dadurch bedroht wurde.

Diese Spannungen beschränkten sich aber nicht nur auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Spanien, das von dem ambitionierten Premierminister Olivares geleitet wurde, unterstützte Ferdinands Projekt aus katholischen und dynastischen Solidaritätsmotiven. Madrid stützt sich auf die engen Beziehungen zwischen den beiden Habsburgerhäusern und zeigt sich der Gründung eines zentralisierten habsburgischen Staates, der von Wien aus geführt werden sollte, günstig gestimmt, eine Staatsformel wie man sich auch in Spanien wünschte. Eine solche Perspektive der Vergrößerung der habsburgischen Macht beunruhigte aber Frankreich, da es in Gefahr geriet, von den österreichischen und spanischen Habsburgern eingekreist zu werden.

Folglich haben die tiefen Ursachen des dreißigjährigen Krieges sowohl einen religiösen Charakter (Gegensatz zwischen Katholizismus und Protestantismus), als auch einen politischen (Spannungen zwischen dem Partikularismus der Fürsten und die Zentralisierungstendenzen der Habsburger, die Rivalität zwischen den beiden Zweigen des Hauses Habsburg und Frankreich in der europäischen Politik).

3. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648)

Die Auseinandersetzungen beginnen mit einem innerböhmischen Konflikt, der sich rasch zu einem Reichs- und dann zu einem europäischen Krieg ausweiten sollte. Die Zentralisierungs- und Katholisierungspolitik Ferdinands II. (der 1617 von Kaiser Matthias als Thronfolger ernannt wurde) führen zum Widerstand der evangelischen tschechischen Adligen. Im Jahre 1618 wirft eine Gruppe tschechischer Adliger die kaiserlichen Statthalter zum Fenster hinaus (Fenstersturz

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der Kaiserlichen Statthalter in Prag am 23.5.1618) und entfachen einen Aufstand gegen den Kaiser. Im Jahre 1619 erklären die Böhmischen Stände Ferdinand II. als abgesetzt und wählen Friedrich V., Kurfürst der Pfalz, der Calvinist und Führer der Deutschen (evangelischen) Union war, zum König von Böhmen. Ferdinand II. akzeptiert die neue Wahl aber nicht.

Noch im selben Jahr, nach dem Tode des Kaisers Matthias, wird Ferdinand II. (1619-1637) von den Kurfürsten zum Kaiser gewählt (vier waren katholisch – Ferdinand selbst als König von Böhmen, die Kurfürsten von Trier, Mainz und Köln und drei evangelisch, die Kurfürsten von Sachsen, Brandenburg und der Pfalz).

Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz besetzt 1619 Prag mit Unterstützung der tschechischen Adligen und eines Teiles der Fürsten der Deutschen (evangelischen) Union. Ferdinand stellt ihm aber eine stärkere Koalition gegenüber, gebildet aus der Heiligen Katholischen Liga (Liga der katholischen Reichsstände), geführt vom Herzog von Bayern, der aber auch der kaisertreu gebliebene evangelische Herzog von Sachsen angehört. Ferdinand wird auch von den Spaniern unterstützt, die in ihren Besitztümern in den Niederlanden ein Heer aufstellen, mit dem sie in die rheinländische Pfalz eindringen. Während die Spanier die Pfalz besetzen, vernichten die Truppen Ferdinands die Tschechen in der Schlacht am Weißen Berg (8.11.1620).

Die Niederlage der Tschechen war ein Desaster für die politisch-nationale Autonomie des tschechischen Adels. Die Länder der tschechischen Krone werden fast komplett in die habsburgischen Erbländer integriert. Die böhmischen Stände verlieren ihre gesetzgebende Initiative, das Recht ihren König zu wählen; die böhmische Krone wird erblich im Hause Habsburg. Die böhmischen evangelischen Adligen werden genötigt, zum Katholizismus überzutreten oder das Land zu verlassen. Gleichzeitig werden viele ihrer Güter zugunsten der österreichischen Adelsfamilien enteignet. Böhmen wird fast vollständig wieder katholisch, und Deutsch wird die offizielle Sprache des Landes.

Kaiser Ferdinand II. versuchte diesen Sieg nun auf Reichsebene zu verwerten. Zwischen 1621-1623 konfiszierte er die Güter des Kurfürsten von der Pfalz, die er zwischen den Spaniern und Bayern aufteilte. Auch verliert Friedrich V. von der Pfalz die Kurfürstenwürde, die dem Bayerischen Herrscher Maximilan I. zugesprochen wird – und dies, obwohl der Kaiser nicht das Recht hatte, eine solche Maßnahme ohne die Zustimmung des Reichstages zu treffen. Folglich wird das Gleichgewicht zwischen den evangelischen und katholischen Kurfürsten auf Reichsebene zugunsten der Katholiken verändert. Die Katholiken stärken ihre Stellung im Süd-Westen des Reiches und die Zahl der evangelischen Kurfürsten sinkt auf zwei. Dazu kommt, dass Spanien sich noch an mehr Wien annähert und nach einem zwölfjährigen Waffenstillstand offensiv in den Niederlanden vorgeht. All dies beunruhigt die evangelischen Fürsten, wie auch Frankreich, das sich durch die Habsburger bedroht fühlt.

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Frankreich, dessen Politik seit 1624 von Kardinal Richelieu geleitet wird, kann während dieser Zeit wegen inneren Unruhen nicht eingreifen. Es beschränkt sich auf diplomatischem Wege, die Gründung von antihabsburgischen Bündnissen zu unterstützen. Der evangelische König Dänemarks, Christian IV., entscheidet sich 1625 gegen den Kaiser einzugreifen, weil er die Erweiterung dessen Macht nicht akzeptieren kann. Der dänische König hat Besitztümer im Reich (die Elbemündung) und kämpft für die Beherrschung der Küsten der Nord und der Ostsee. Finanziell wird sein Unternehmen von England und den Vereinigten Niederlanden (die mit Spanien im Krieg sind) unterstützt. In Siebenbürgen erhebt sich der calvinistische Fürst Gabriel Bethlen gegen den Kaiser. All diese antihabsburgischen Unternehmungen werden von der französischen Diplomatie unterstützt.

Ferdinand II. stellt ein starkes Söldnerheer auf die Beine, geleitet von Albrecht von Wallenstein, einem tschechischen Adligen, der zum Katholizismus übergetreten ist. Der dänische König Christian IV., wird besiegt und muss 1629 den Frieden von Lübeck unterschreiben, infolgedessen er seine Besitztümer im Reich zurückbekommt, sich aber verpflichten muss, sich nicht mehr in die Angelegenheiten des Reiches einzumischen.

Gestützt auf das Heer Wallensteins setzt der Kaiser seine Bemühungen für eine Re-Katholisierung fort und zielt auf die Zurücknahme der katholischen Besitztümer, die infolge des Augsburger Friedens säkularisiert worden waren. Diese unpopulären Maßnahmen, die ohne die Genehmigung des Reichstages durchgeführt worden waren, zeigten, dass der Kaiser entschlossen war, den Protestantismus auszuschalten, das Reich in einen zentralisierten, absolutistischen Staat umzuwandeln, in dem die Habsburger die erblichen Fürsten sein sollten. In Verbindung mit den spanischen Habsburgern hätte dies zur Folge gehabt, dass die Habsburger die Welt dominiert hätten, was ganz Europa beunruhigte.

Die deutschen Fürsten zeigten immer mehr ihren Widerstand. An ihrer Spitze standen die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg (evangelisch), aber auch der katholische Fürst von Bayern, der sich der Reichszentralisierung widersetzte. Selbst die katholischen Kurfürsten widersetzen sich 1630 der Wahl des Sohnes von Ferdinand zum Römischen König (eine Würde, die dem Thronfolger der Kaiserwürde gleichkam), die der Kaiser als ersten Schritt zur Einführung der Erblichkeit der Kaiserkrone im Hause Habsburg betrachtete.

1631 greift auch der schwedische König Gustav Adolf in diesen Konflikt ein. Von den Franzosen mit Geld unterstützt, will er gleichzeitig den evangelischen Glauben verteidigen und seine Macht im Norden Europas konsolidieren, indem er die Ostsee in ein „schwedisches Meer“ umwandelt. Gustav Adolf behauptet sich als einer der glänzendsten Feldherren seiner Zeit. Sein aus freien, wehrpflichtigen Bauern gebildetes Heer erzielte von 1631 bis 1632 eine Reihe von glänzenden Siegen gegen die katholischen Kriegsherren aus Deutschland. In der entscheidenden Schlacht von Lützen (16. 11. 1632) schlagen die Schweden das Heer Wallensteins vernichtend, aber Gustav Adolf fällt im Kampfe. Folglich zerfällt die

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protestantische Koalition und der Kaiser bleibt Herr der Lage. Fast gelingt es ihm, einen allgemeinen Frieden mit den evangelischen Fürsten zu unterschreiben (1634).

Diese Situation entspricht aber nicht den Interessen Spaniens und Frankreichs, denn Spanien ist entschlossen, die Vereinigten Niederlande (Generalstaaten) zu besiegen, seine Stellung in der Rheingegend und in den Alpen zu stärken, um mit seinen Besitztümern Frankreich zu umzingeln: das Mailänder Herzogtum, die Provinz Franche-Comté, Burgund (im Osten Frankreichs) und die Niederlande im Norden. Als Gegenmaßnahme entscheidet sich Frankreich 1635 zum Krieg gegen Spanien. Der Kaiser erklärt seinerseits im Jahre 1636 Frankreich den Krieg, denn Richelieu unterstützt gleichzeitig die Vereinigten Niederlande, Schweden und Savoyen.

Anfangs haben die Franzosen große Schwierigkeiten, den spanischen Angriffen aus dem Norden, Osten und Süden standzuhalten. 1636 siegen die Spanier in der Picardie, bei Corbie, und bedrohen Paris, während die Kaiserlichen und die Spanier von der Franche-Comté aus Burgund angreifen. In den darauf folgenden Jahren erzielen die Franzosen an allen Fronten Siege und erobern wichtige Positionen im Elsass, wo sie eine Reihe von Reichsstädten besetzen, dann in den Niederlanden, in der Provinz Artois und in den Pyrenäen. Frankreich nutzt die inneren Unruhen in Spanien aus, denn Portugal, das sich seit 1580 in Personalunion mit Spanien befand, löst sich aus diesem Bund im Jahre 1640. Katalonien erhebt sich gegen Madrid und Ludwig XIII. wird zum Grafen von Barcelona ausgerufen. In Deutschland muss der neue Kaiser Ferdinand III. (1637-1657) einem neuen Angriff der Schweden standhalten, denn diese dringen 1642 in Schlesien und in Böhmen ein.

4. Der Westfälische Frieden (1648)

1642 stirbt Richelieu, aber sein Nachfolger als Premierminister, Kardinal Mazarin setzt den Krieg mit derselben Entschlossenheit fort. Im Norden erzielen die französischen Truppen den Sieg von Rocroi (1643), der endgültig der Übermacht der berühmten spanischen Infanterie ein Ende setzt. In den nachfolgenden Jahren erzielt das von außergewöhnlich fähigen Feldherren wie Turenne oder der Prinz von Condé geführte französische Heer neue Siege im Elsass. Sie dringen in Bayern ein, stellen Verbindung her mit den Schweden, die Prag erobert hatten und bedrohen Wien. Auch die Spanier werden in Flandern besiegt, so dass es letztendlich zum Westfälischen Frieden von 1648 kommt.

Dieser Frieden setzt den Ambitionen der Habsburger aus Deutschland, einen katholischen, zentralisierten Staat zu machen, ein Ende. Das Heilige Römische Reich bleibt ein Bau ohne Einheit, religiös wie auch politisch zersplittert. Die kaiserliche Autorität wird von nun an im Namen der „deutschen Freiheiten“, also der Rechte der Fürsten und Reichsstädte, sehr zu

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leiden haben. Die 350 deutschen Staaten bekamen das Recht, unter sich, aber auch mit Mächten außerhalb des Reiches, Bündnisse zu schließen. Diese Macht der Reichfürsten verminderte die Macht des Kaisers ebenso sehr, wie die des Reichstages und des Reiches selbst. Der Kurfürst von der Pfalz bekam seine Kurfürstenwürde zurück, die aber auch der Bayrische Fürst bewahrte. Folglich hatte das Reich jetzt acht Kurfürsten, von denen drei evangelisch und fünf katholisch waren.

Im Allgemeinen haben die evangelischen Fürsten ihre Stellung verbessert und die Verluste aus der Anfangsphase des Krieges wieder gutgemacht, so z.B. hat Brandenburg seine Besitztümer in Pommern vergrößert und sich auch einige säkularisierte Diözesen angeeignet.

Als großer Gewinner dieses Krieges hat Schweden eine Reihe von Besitztümern an der Ostsee und an der Nordsee bekommen (einen Teil von Pommern, Verden, Bremen) und so die Kontrolle über die Mündungen der Oder, Elbe und Weser erhalten. Der König von Schweden wurde somit Reichsfürst, mit dem Recht, an den Reichstagen teilzunehmen.

Diese Verminderung der Macht der österreichischen Habsburger war hauptsächlich die Folge der französischen Politik und ihrer evangelischen Verbündeten. Nebst diesem strategischen Erfolg kam Frankreich in den Besitz von besonders wichtigen Territorien an seiner nord-östlichen Grenze, wo seine Herrschaft über die Bistümer Verdun, Metz und Toul anerkannt wurde, wie auch über einen Teil des Elsass, der bis zu jener Zeit zum Deutschen Reich gehört hatte.

Das größte Opfer des Krieges war aber das Volk, und zwar die Deutschen. In Deutschland wüteten einige Jahrzehnte lang die von den Söldnerheeren verbreitete Vernichtung, Seuchen und Hungersnöte. Ganze Provinzen verloren die Hälfte oder sogar drei Viertel ihrer Bevölkerung, was für Jahrzehnte einen demographischen und wirtschaftlichen Rückstand der deutschen Länder zur Folge hatte.

5. Der „Pyrenäenfrieden“ (1659) und der Nordische Frieden (1660-1661)

Der Westfälische Frieden, der von fast allen Mächten des Kontinents unterschrieben wurde, hat trotzdem mehrere Probleme offen gelassen. So z.B. den französisch-spanischen Konflikt und die Auseinandersetzungen um die Ostsee. Um dem Konflikt mit Spanien ein Ende zu setzen, versucht Mazarin, Madrid diplomatisch zu isolieren. 1655 sichert er sich die Unterstützung Englands, das eben die lange Periode der inneren Unruhen (1629-1651) hinter sich gebracht hatte und seinen Einfluss in der internationalen Politik wieder herstellen wollte. Frankreich und England beginnen 1657 einen Krieg gegen Spanien, das besiegt, den Pyrenäenfrieden am 7.11. 1659 unterschreibt.

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Als Lohn für seine Kriegsteilnahme erhielt England die Stadt Dünkirchen (Dunkerque) in Flandern, die die Spanier abtreten mussten. Mazarin erhielt für Frankreich die spanischen Besitztümer aus dem Süden Frankreichs (die Provinz Roussillon), im Norden die Provinz Artois und eine Reihe von Festungen in Flandern. Von den Holländern im Norden und von den Franzosen im Süden beschnitten, reduzierten sich auf diese Art und Weise die spanischen Besitztümer in den Niederlanden bis zu jener Zone, die im 19. Jahrhundert das Königreich Belgien bildete, ein Prozess, der erst am Anfang des 18. Jahrhundert enden wird.

Der Pyrenäenfrieden brachte auch die Vermählung zwischen dem französischen König Ludwig XIV und Maria Theresia, der spanischen Infantin, Tochter des spanischen Königs Philip IV. Diese verzichtete gegen eine Mitgift von 500 000 Goldtalern auf alle ihre Rechte auf den spanischen Thron.

Mazarin unterzeichnete den Vertrag mit der Bedingung, dass dieser Punkt des Verzichts ungültig wird, wenn Spanien die Mitgift nicht pünktlich in drei Raten bezahlen sollte. Er hoffte, dass Spanien diese Summe nie würde bezahlen können und dass der kränkliche Sohn des spanischen Königs, der spätere König Karl II. von Spanien, bald sterben würde und so dessen bedeutender Teil des spanischen Erbes Ludwig XIV. zufallen könnte.

Während dieser Zeit bricht auch ein Krieg im Norden Europas aus, wo Polen, Dänemark, Brandenburg, mit Unterstützung Hollands, sich gegen die Hegemonieansprüche Schwedens auf die Ostsee erheben. Frankreich, dem es daran lag, dass das vom Westfälischen Frieden hergestellte Gleichgewicht nicht gestört wird, greift diplomatisch ein und vermittelt zwischen den Kriegs führenden Parteien. Zwischen 1660 und 1661 wird der so genannte Nordische Frieden unterzeichnet, infolge dessen Schweden seine Stellung an der Ostsee auf Rechnung von Dänemark, Polen und Russland verstärkt und sich als eine der nordischen Großmächte entfaltet.

6. Die neue europäische Ordnung nach 1660

Infolge dieser politischen und militärischen Entwicklungen zeigt sich das Europa der sechziger Jahre komplett verändert gegenüber dem Anfang des Jahrhunderts. Die Großmacht jener Zeit wird Frankreich, das in den nächsten Jahrzehnten seine politische und kulturelle Vorherrschaft durchsetzen wird. Auf außenpolitischer Ebene stützt sich Frankreich auf die Abrundung seiner Grenzen, aber auch auf ein raffiniertes System von Verbündeten und Satelliten. Innenpolitisch erlebt Frankreich eine Periode der Zentralisierung der Verwaltung und

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Konsolidierung des Staates, was ihm erlauben sollte, seine wirtschaftlichen und menschlichen Ressourcen besser zu nutzen.

Frankreich profitiert von der Schwächung der Habsburger, die sich durch den Verfall der kaiserlichen wie auch der Macht Spaniens äußert. Aus Deutschland verdrängt, richten die österreichischen Habsburger ihre Aufmerksamkeit immer mehr auf ihre Erbländer im Donaubecken, auf Österreich, Böhmen und Ungarn, sowie auf eine Ausdehnung im Osten auf Kosten des Osmanischen Reiches. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert nützte Frankreich den Vorteil der Ausschaltung Englands aus dem internationalen politischen Leben. Nach 1650 ist England wieder auf dieser Bühne und zeigt sich, neben seinen Rivalen, den vereinigten Niederlande (Holland) und Schweden, als eine große See- und Handelsmacht.

Unter diesen Umständen entwickeln sich die internationalen Beziehungen zu einem komplexen System, in dem zwischen den einzelnen Staaten ein finanzieller, wirtschaftlicher und militärischer Wettbewerb existiert und sich das Gesetz des Gleichgewichts zu Ungunsten der Hegemonie durchsetzt.

DIE HABSBURGERMONARCHIE UND DIE DEUTSCHEN STAATEN ZWISCHEN 1648-1790. DER AUFGEKLÄRTE ABSOLUTISMUS

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1. Die Habsburgermonarchie zwischen 1648-1740

Im Jahre 1648 beendeten die österreichischen Habsburger, zutiefst gedemütigt, den Dreißigjährigen Krieg. Eine Folge der französischen Politik war, dass sie in Deutschland über keine Autorität mehr verfügten, obwohl sie noch immer im Besitz des Titels eines „Kaisers des Heiligen Römischen Reiches“ waren. Folglich konzentrieren sie ihre Innenpolitik auf die Konsolidierung der österreichischen Erbländer sowie der Königreiche Böhmen und Ungarn, und orientierten ihre Außenpolitik nach Osten, entlang der Donau, in Richtung Osmanisches Reich. Diese neue Ausrichtung entscheidet für die nächsten zwei Jahrhunderte die zukünftige Gestaltung der österreichischen Monarchie. Der Westfälische Frieden „legte die Verfassungsverhältnisse des Reiches für die letzten Jahrhunderte dieser Institution fest“, er gehörte zu den „constitutiones et leges fundamentales“ des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. (Theodor Schieder)

Überraschenderweise hatte die lange Herrschaft Leopold I. (1658-1705) eine Reihe von guten Ergebnissen, besonders im Bereich der Außenpolitik mit sich gebracht, trotz der schwierigen Startsituation. Im Inneren versuchte der Kaiser seinen Ländern einen stärkeren Zusammenhalt und eine bessere Verwaltungsform zu bieten. Er gründet ein stehendes Heer und verbessert die Verwaltung und die Besteuerung.

Im Laufe seiner Herrschaft setzt sich Leopold des Öfteren mit dem Widerstand des ungarischen Adels auseinander, der sich der Wiener Zentralisierungspolitik widersetzte. Außerdem war der zahlenmäßig starke, nach Calvin reformierte ungarische Adel wegen der konfessionellen und religiösen Politik der Habsburger benachteiligt. Die Probleme verschärften sich, nachdem die Habsburger die Osmanen aus Ungarn und Siebenbürgen vertrieben und die Einheit des ungarischen Königreiches wiederhergestellt hatten. 1687 erkennen die ungarischen Stände die Habsburger in männlicher Linie als erbliche Herrscher über Ungarn an. Zwischen 1703-1711 hat der Aufstand von Franz Rákóczi II. dem neuen Kaiser Josef I. (1705-1711) Schwierigkeiten bereitet. Nach dem Frieden von Szathmar (1711) gelingt es den Habsburgern aber, ihre Herrschaft über ganz Ungarn auszudehnen.

Die bedeutendsten Erfolge der Habsburger dieser Zeit sind die spektakulären Landeserweiterungen. Nachdem man ihnen durch den Frieden von Karlowitz (1699) den osmanischen Teil Ungarns und das Fürstentum Siebenbürgen zuerkannt hatte, folgten die neuen Gebietserweiterungen im Norden und Süden Italiens sowie in den Niederlanden aufgrund der Friedensverträge von Utrecht und Rastatt, 1713-1714. Im Jahre 1718 besetzten die Habsburger, in Folge des Passarowitzer Friedens, der dem Krieg von 1716-1718 ein Ende setzte, das Temescher Banat, Oltenien (oder die „Kleine Walachei“) und den Norden Serbiens. Zu jenem Zeitpunkt bildeten die Besitztümer der Habsburger, die wir gewöhnlich „die

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Österreichische Monarchie“ nennen, mit ihren 600 000 km2 und 25 Mio. Einwohnern den größten und bevölkerungsreichsten Staat Europas.

Die Monarchie war aber durch das Fehlen eines inneren Zusammenhalts und wegen der großen Unterschiede zwischen den Provinzen erheblich geschwächt. Die weit gelegenen Niederlande, sowie der Norden Italiens zählten zu den wohlhabenden Provinzen der Monarchie, in denen die Städte eine bedeutende Rolle spielten, während die Länder aus dem Osten arm und wirtschaftlich sowie sozial zurückgeblieben waren. Im Unterschied zu dem zentralistischen französischen Modell war die Habsburgermonarchie von zahlreichen Besonderheiten gekennzeichnet. Der multiethnische Charakter der Monarchie spielte zu jener Zeit noch keine bedeutende politische Rolle. Dagegen verstärkte sich der uneinheitliche Charakter der Monarchie, weil die Staaten und Provinzen eigene Landtage und Verwaltungsorgane hatten, die von den lokalen Eliten kontrolliert wurden, die ihre Privilegien und althergebrachten Gewohnheiten bewahren wollten. Diesem archaischen Verwaltungssystem fehlte die Effizienz, so dass sich die Habsburger vor die Aufgabe gestellt sahen, den Staat und die Gesellschaft zu modernisieren.

Kaiser Karl VI. (1711-1740) tat sich hierin aber nicht besonders hervor. Der Monarchie fehlten zu jener Zeit sowohl die Fähigkeit, wie auch der Wunsch, Reformen einzuleiten.

Zudem hatte die Monarchie ein kompliziertes Regierungssystem, das sich in seiner komplexen Struktur widerspiegelte. An der Spitze standen einige zentrale politische Organe, die die Rolle hatten, die Tätigkeit der Provinzialorgane zu koordinieren, zum Beispiel der Geheime Rat, „ein Rat für die entscheidenden Fragen der Staatslenkung“. Aus diesem Rat bildete sich 1669 die „geheime Konferenz“, „eine Ratsinstanz des Kaisers, der dieser vorstand und wo die allgemeinen Probleme der Landesregierung besprochen wurden, die Österreichische Hofkanzlei, die eine beschließende, verwaltende und kollegial geordnete Institution wurde“. Für die Militärverwaltung war der Hofkriegsrat und für die Finanzverwaltung der Hofkammer zuständig. Jedes der Reichsländer und jede Provinz hatte in Wien je eine Hofkanzlei (für Österreich, Böhmen, Ungarn, Siebenbürgen, die Niederlande und Norditalien). Auf Landesebene funktionierten die provinziellen Landtage sowie auch die lokalen Exekutivorgane, wie z.B. das Gubernium in Siebenbürgen. Eine jede Provinz hatte auf Distriktebene ein eigenes Verwaltungsnetz.

Karl VI. hat die Verwaltung größtenteils den Landtagen und lokalen Verwaltungsstrukturen überlassen. Dies führte zur Verminderung der inneren Unruhe, aber auch zu einer schlechteren Verwertung der Reichsresourcen. Die schwache Wirksamkeit des Steuersystems - überfordert durch die verschwenderischen Ausgaben des Kaiserhofes -, führte dazu, dass Wien im Vergleich mit der Reichsgröße und dessen Verteidigungsbedürfnissen nur ein kleines Heer unterhalten konnte. Auf außenpolitischer Ebene zeigt sich dies durch die Landverluste im Laufe der Zeit. 1738 verzichtet Karl VI. zugunsten der spanischen Bourbonen

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auf Neapel und Sizilien, und 1739 gibt er den Osmanen Oltenien und den Norden Serbiens zurück, die er im österreichisch-osmanischen Krieg von 1737-1739 gewonnen hatte.

Ein Hauptanliegen Karl VI. war die Regelung der Thronfolge. Durch die Pragmatische Sanktion von 1713 beschloss er, dass das ganze habsburgische Erbe einem einzigen Nachfolger, gleichgültig ob männlich oder weiblich, zufallen sollte. In den nachfolgenden Jahren konzentriert sich der Kaiser darauf, die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion im Innern durch die Landesstände wie auch im Ausland, durchzusetzen. Die Pragmatische Sanktion bildete von nun an den Grundstein des österreichischen öffentlichen Rechtes und begründete juridisch die Einheit des Habsburgerreiches, indem sie bis 1918 das verfassungsrechtliche Fundament der Monarchie bildete.

2. Maria Theresia (1740-1780) und Josef II. (1780-1790)

Beim Ableben Karl VI. wurde seine Tochter Maria Theresia aufgrund der Pragmatischen Sanktion die Erbin der Habsburger. Sie hat an der Seite Ihres Ehemannes, dem Herzog Franz Stephan von Lothringen, regiert. Bei ihrem Regierungsantritt befand sich die Monarchie in einer schwierigen finanziellen und militärischen Lage, die ihre Rivalen, besonders der König von Preußen, ausnützen wollten. Unter dem Vorwand, die Erbfolge in weiblicher Linie nicht anzuerkennen, greift Preußen Österreich an, erobert Schlesien, das ihm dann durch den Frieden von 1748 auch zuerkannt wird.

Letztendlich gelingt Maria Theresia, unter großen Anstrengungen die Anerkennung ihrer Herrschaft. Die Erfahrungen aus diesem Krieg zeigten der Kaiserin die Mängel der inneren Verwaltung auf. Diese musste reorganisiert werden. In den folgenden Jahren führt sie, ganz im Geiste der Aufklärung, eine Reformpolitik mit dem Zweck einer Rettung der Monarchie aus der dramatischen Lage durch. Beraten wurde sie von begabten Ministern, wie z. B. den Grafen Haugwitz, dessen große Staats- und Verwaltungsreform von 1749-1761 eine „Neuordnung“ schuf, die von Graf Kaunitz weitergeführt und ergänzt wurde. Graf Anton Wenzel, ab 1764 Reichsfürst von Kaunitz-Rietberg, wurde am 2.2.1711 in Wien geboren, wo er auch am 27. 6. 1794 starb. Der Stammsitz der Kaunitz war Austerlitz. Zwischen 1753-1792 war er Staatskanzler und wichtigster Berater Maria Theresias; bei Joseph II. und Leopold II. 1760 erreicht er die Aufstellung des Staatsrates und wurde Hauptinitiator für die geistige und politische Erneuerung Österreichs. Maria Theresia zentralisiert die Verwaltung des Staates und gründet einen modernen Verwaltungsapparat, einen bürokratischen Apparat, der vom Zentrum geleitet wurde und die lokalen Entscheidungen der konservativen lokalen Eliten ersetzte.

Maria Theresia wurde am 13.5.1717 in Wien geboren, wo sie am 29.11. 1780 starb. Sie war Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen (1740). Ab 1745 nannte sie sich „römische Kaiserin”. Ab dem 12.2.1736 ist sie mit Herzog Franz verheiratet, als Stefan von Lothringen ab 1737 Großherzog von Toskana, ab 1745 Kaiser Franz I.. Der anfängliche Verlust

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der Kaiserkrone traf sie schwer. Als 1745 die Wahl ihres Gatten zum Kaiser und 1764 die des Sohnes Joseph II. zum römischen König gelang, bereitete ihr dies Genugtuung. Für sie war dadurch die gottgewollte Ordnung wiederhergestellt.

Maria Theresia war sich bewusst, dass eine solche Politik die für die Stabilität der Monarchie gefährliche Unzufriedenheit des starken Lokaladels provozieren konnte. Darum geht die Kaiserin vorsichtig vor. Sie schont die Privilegien des Adels in den Grenzgebieten, wie im Falle des ungarischen Adels oder der Niederlande. Dafür gelingt es ihr, ein zentralisiertes Regierungssystem in ihren Besitztümern, bzw. in den Erblanden, in Ungarn und Böhmen einzuführen, die übrigens auch wirtschaftlich gut entwickelt waren.

Um die Effizienz der Steuereinnahmen zu verbessern und die Rekrutierungsbasis des Heeres zu stärken, führt Maria Theresia eine Politik durch, die die Bauern schützt. Zu diesem Zweck greift der Staat in die Beziehungen zwischen den Bauern und den Adligen ein, um die Folgen der Leibeigenschaft zu beschränken. Die Patente zur Fronarbeit von 1772 und 1778 beschränken die Fronarbeiten in Niederösterreich bzw. in der Steiermark auf maximal zwei bis drei Tage pro Woche (früher 4 bis 6 Tage Fronarbeit). Die Reform des Steuerwesens – die Steuerrektifikation von 1749 – führt zur Vergrößerung der Staatseinkommen, obwohl die Ausgaben des Hofes wie auch die für das Heer noch immer sehr beträchtlich sind und den Staat in einem permanenten Finanzdefizit halten. Im Innern wird die von Kaiser Karl VI. begonnene merkantilistische Politik weitergeführt: Unterstützung der Manufakturproduktion und des Handels; in Österreich heißt der Merkantilismus „Kameralismus“. Der Mangel an ausgebildeten Beamten im Verwaltungsapparat, die man auch aus dem Mittelstand wählte, erforderte unter anderem auch eine Reform des Lehrwesens.

All diese Reformen hatten Folgen für die Verbesserung der Leistungen der österreichischen Armee wie auch auf das Niveau der Außenpolitik. 1772 nimmt Österreich an der ersten Teilung Polens teil. Es erhält Galizien, was die Grenzen des Landes abrundet. 1775 annektiert Österreich auch Ungarn, dann die Bukowina („Buchenland“).

Trotz dieser Erfolge kann man von einer vorsichtigen und gemäßigten Reformpolitik Maria Theresias sprechen. Vieles blieb nur zur Hälfte erledigt. Es fehlte nicht an Entschlossenheit und Motivation, die meisten Provinzen der Monarchie waren aber zu konservativ, um eine radikale Veränderung zu akzeptieren.

Viel entschlossener war der Sohn Maria Theresias, Kaiser Josef II. (1780-1790). Als Mitregent wurde er schon 1765 zu den Regierungsgeschäften herangezogen, obwohl die Kaiserin mit vielen seiner Auffassungen nicht einverstanden war. Als Alleinherrscher setzt er seinen Reformplan nach 1780 voller Energie durch. Josef II. war im Geiste der französischen Philosophie und des Rationalismus erzogen, er war ein überzeugter Anhänger der Idee des Fortschrittes und der Vernunft. Es war davon überzeugt, dass die Pflichten eines Herrschers darin lagen, alles für die Wohlfahrt und das Glück seiner Untertanen zu tun. Des Öfteren aber waren es eben seine Untertanen, die sich den ihnen gewidmeten Reformen widersetzten. Er war in der Außenpolitik, laut Theodor Schieder, ein „unbedingter Verfechter der Staatsräson in der Form moderner utilitaristischer Konvenienzpolitik“.

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Der Kaiser führt eine Zentralisierungs- und Vereinheitlichungspolitik der ganzen Monarchie durch. Er schafft die alten, vom lokalen Adel kontrollierten Verwaltungseinheiten ab und gründet neue Distrikte, die von durch Wien ernannten Beamte geleitet wurden. Er setzt auch eine sprachliche Vereinheitlichung und Gleichschaltung durch: Deutsch wird die Amtssprache der Verwaltung, der Justiz und des Lehrwesens. Für Josef II. hatte eine solche Maßnahme keine nationalistische oder gar chauvinistische Bedeutung, sondern lediglich eine praktische im Sinne der Uniformierung der Monarchie. Diese Umbildung hat aber die ersten Reaktionen einer modernen, nationalen Sensibilität hervorgerufen, weil die lokalen Eliten, wie der ungarische Adel, sich durch die Einsetzung der deutschen Sprache verletzt fühlten.

Die soziale Politik Josef II. schützte auch weiterhin den Bauernstand und baute die traditionellen Strukturen des Adels ab. Im Jahre 1781 das „stellte das Untertan- und Strafpatent die Bauern direkt unter den Schutz des Staates und schränkte das Strafrecht der Gerichtsherrn ein“. Es wurde „jede Form der Lebeigenschaft aufgehoben (vornehmlich in Böhmen, Mähren, Österreichisch, Schlesien, Galizien und Ungarn), das Recht der freien Verehelichung, der Freizügigkeit, des freien Eigentumserwerbs, der freien Berufswahl sowie die Befreiung von Zwangsgesindediensten ausgesprochen. Es blieb nur noch die Frondienstpflicht, deren Ablösung auf dem Domänial-Land aber schon 1783 begonnen hat.“

Dieselbe mutige Politik führte Josef II. im Bereich des Kirchenwesens und der Religion neu durch. Die kirchenpolitischen Maßnahmen des Kaisers werden unter dem Stichwort „Josephinismus“ zusammengefasst. Der Kaiser war ein Feind des Aberglaubens und der religiösen Vorurteile. Er wünschte die Kirche in eine dem Staat nützliche Institution umzuwandeln und die Kirche der Kontrolle des Staates zu unterstellen. Er wollte, dass die Kirche – unter staatlicher Kontrolle – die moralische Erziehung der Bürger sicherte. „Alles war darauf ausgerichtet, die Kirche zu einer staatlichen Erziehungs- und Polizeianstalt zu machen.“ Seine Kirchenpolitik war ähnlich der gallikanischen: er beschränkte die Autorität des Papstes den Bischöfen gegenüber und schaffte im Zuge der „Arbeitsaktivierung aller Staatsbewohner“ eine Reihe von Mönchsorden, wenn diese nicht eine der Gesellschaft nützliche Tätigkeit leisteten. „Den Anfang des Reformwerks Joseph II. machte das Toleranzedikt von 1781, das allen Nichtkatholiken volle Staatsbürgerrechte sowie das Recht der privaten Religionsausübung verlieh“.

Um die Überwachung und Durchführung der Reformen zu kontrollieren, hat Joseph ein strenges Polizeisystem errichtet, dessen Zentralstelle dann unter Leopold II. im Jahr 1793 die Polizeihofstelle wurde.

Im Heerwesen wurde die Werbung durch die feste Rekrutierung schrittweise beseitigt. Da viele Sozial- und Berufsgruppen vom Wehrdienst befreit waren, dienten nur Bauersöhne, Taglöhner und Kleinbürger.

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Joseph II. hat bedeutende staatliche, soziale und kirchliche Entwicklungen eingeleitet. Seine Maßnahmen waren aber viel zu hastig durchgeführt; Friedrich II. sagte über ihn, dass er oft den zweiten Schritt vor dem ersten mache, die darum zum Scheitern verurteilt waren und Österreich in tiefe Unruhen stürzten.

Die Reformen Josef II. stießen in der ganzen Monarchie auf hartnäckigen Widerstand, vor allem unter den katholischen Gläubigen, dem ungarischen Adel und den Städten der Niederlande. 1789 erheben sich die Bewohner der österreichischen Niederlande gegen den Kaiser, da sie mit seiner Zentralisierungspolitik unzufrieden sind.

Joseph II. stirbt 1790. Die allgemeine Opposition bewies den Misserfolg seiner Politik und die Unmöglichkeit die Monarchie, durch Zentralisierungsmaßnahmen den Staat zu modernisieren.

3. Die deutschen Staaten. Der Aufstieg Preußens

Nach dem Westfälischen Frieden war das Deutsche Reich zersplittert und die Autorität des Kaisers in Frage gestellt. Die mehr als 350 weltlichen und kirchlichen Fürstentümer sowie die freien Städte führten ihre eigene Politik. Dem seit 1663 in Regensburg ständig tagenden Reichstag, der in drei Kollegien geteilt war (das Kurfürstenkollegium, das Fürstenkollegium und das Kollegium der Städte), fehlte die Macht, gleichwie dem Kaiser, der auch weiterhin vom Kurfürstenkollegium aus den Reihen der Habsburgerfamilie gewählt wurde.

Um die Mitte des 17. Jahrhunderts waren Frankreich und Österreich die einzigen Mächte im Kampf um politischen Einfluss im deutschen Raum. In den nachfolgenden Jahren aber behaupten sich hier einige kleinere Staaten des Reiches: das Kurfürstentum Hannover, deren Herrscher ab 1714 Könige von England werden, das Herzogtum Sachsen, dessen Fürsten seit dem 18. Jahrhundert öfters den polnischen Thron beherrschen und das Herzogtum Bayern, dessen Herzog für kurze Zeit sogar den Kaiserthron besetzen konnte.

Eine besondere Bedeutung in der deutschen Geschichte sollte aber das Kurfürstentum Brandenburg bekommen. Es hatte eine mittlere Größe und rund 2 Mio. Einwohner. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wird es eine europäische Großmacht und zu gleicher Zeit der bedeutendste Rivale der Habsburger um die Vormachtstellung im Deutschen Reich. Während die Habsburger einen Teil ihres verlorenen Einflusses in Süddeutschland wiedergewinnen, gerät der Norden unter den Einfluss des Kurfürstentums Brandenburg, dem zukünftige Königreich Preußen.

Das Kurfürstentum Brandenburg mit der Hauptstadt Berlin und einer vorwiegend evangelischen Bevölkerung wurde seit dem 15. Jahrhundert von dem Hause Hohenzollern beherrscht. Im 17. Jahrhundert verdreifacht dieses seine Familienbesitze und bildet so die

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Grundlagen des zukünftigen preußischen Staates. Die Besitztümer der Hohenzollern waren aus drei wirtschaftlich und sozial unterschiedlichen Regionen gebildet, die auch geographisch ohne jegliche Verbindung sehr weit voneinander lagen.

Den Kern ihrer Besitztümer bildete Brandenburg, das aus dem Dreißigjährigen Krieg gestärkt hervortrat, indem es in den Besitz von Ostpommern und Magdeburg gelangte. Das zweite wichtige Besitztum wurde vom Herzogtum Preußen gebildet, ein entferntes, östliches Land, das dem polnischen König unterstand und nicht zum deutschen Reich gehörte. Diese finanziell und von der Bevölkerungszahl her arme Provinz, mit der Hauptstadt Königsberg (Kaliningrad), wurde im Mittelalter vom Deutschritterorden beherrscht. Im Jahre 1618 werden die Kurfürsten von Brandenburg auch Herzöge von Preußen, ursprünglich als Vasallen des polnischen Königs, beseitigen diese Bindung aber 1657.

Ab 1614 erben die Hohenzollern auch eine Reihe von Territorien in der Rheingegend, an der Grenze des Reiches mit den Vereinigten Niederlanden. Diese Gebiete, obwohl klein in der Ausdehnung und vom Zentrum entfernt, waren für Preußen sehr wichtig, weil sie wirtschaftlich sehr hoch entwickelt waren. Im Unterschied zum Osten Preußens, wo die Junker eine veralterte Landwirtschaft betrieben, die sich auf die Arbeit der unfreien Bauern (Leibeigenschaft, Fronarbeit usw.) gründete, war das Rheinland ein reiches Land, in dem die Leibeigenschaft schon längst abgeschafft und die Wirtschaft rasch modernisiert worden war.

So ist unbestreitbar, dass der politische Erfolg Brandenburgs eng an die Fähigkeiten seiner Herrscher gebunden war. Auch wenn dies nicht die einzige Erklärung für den Aufstieg Preußens ist, kann man doch sagen, dass die Hohenzollern das Verdienst hatten, die Kräfte, die die Entwicklung Preußens begünstigten, entdeckt und verwertet zu haben.

Den ersten Herrscher, den wir in dieser Reihe erwähnen, ist der Kurfürst Friedrich Wilhelm I (1640 - 1688) oder „der Große Kurfürst“, wie er in die Geschichte eingegangen ist. Er vermehrte die Länder seines Reiches, wurde auf internationaler Ebene anerkannt (Westfälischer Friede) und zeichnete sich besonders als Verwalter seiner Länder aus. Er hat diese, die infolge des Krieges verwüstet waren, und geographisch zerstreut lagen, in einen modernen Staat umgewandelt, der über eine effiziente und einheitliche Verwaltung verfügte. Seine Erfolge im Bereiche der Steuereinnahmen erlaubten ihm, ein stehendes Heer von 30 000 Mann zu unterhalten. Er hat in seinen Ländern zahlreiche Emigranten im Rahmen des Ediktes von Potsdam, vom 8. 11. 1685, aufgenommen, so zum Beispiel die französischen Hugenotten, die nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes, am 18. 10. 1685 (das „Revokationsedikt von Fontainbleau“) nach Brandenburg-Preußen gekommen waren und entscheidend zur Aufstockung der Bevölkerung in den entvölkerten Regionen, zur Trockenlegung und Urbarmachung der sumpfigen, sandigen Gebiete und zur Entwicklung des Handels und der Manufakturen beitrugen.

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Sein Nachfolger, der Fürst Friedrich III. (1699-1713), der weniger begabt war als sein Vater, zeichnet sich trotzdem auf außenpolitischer Ebene durch seine erfolgreichen Bemühungen aus, den Königstitel zu erreichen. Als Reichsfürst konnte er diesen Titel nicht erlangen. Dafür konnte er König im Herzogtum Preußen werden, das er souverän beherrschte. Infolge der Zustimmung Kaiser Leopolds lässt sich Friedrich III. in Königsberg als König von Preußen unter dem Namen Friedrich I. krönen. Das Ansehen der Hohenzollern übertraf so das Ansehen aller anderen Reichsfürsten.

Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm I. (1713-1740), „der Soldatenkönig“, festigte den Staat wie nie zuvor. Er legte die Grundlagen einer zentralisierten Verwaltung, indem er das von ihm gegründete Generalfinanzdirektorium (oberste Behörde für Domänen) mit dem ebenfalls von ihm ins Leben gerufenen Generalkriegskommissariat (Kriegssteuern, ländliche Kontributionen und städtische Akzisen) vereinte. Die Vereinheitlichung auf mittlerer Verwaltungsebene führte zur Gründung der Kriegs- und Domänenkammern, von 1723 ein wichtiges Instrument des königlichen Willens in den Provinzen. Die Provinzverwaltung war der Zentralverwaltung streng untergeordnet (strenge Inspektionen und Kontrollen). Die Effizienz des preußischen Verwaltungsapparates, die Maßnahmen zur Forderung der Wirtschaft und besonders die drastische Sparpolitik („Geiz des Königs“), führten zu positiven Haushaltsbilanzen, im Unterschied zu den größeren und reicheren Staaten Frankreich und Österreich.

Friedrich hat auch das Lehrwesen neu gestaltet. Die Grundschule wurde Pflicht und vom Staat finanziert. Hierbei spielten zwei Aufgaben eine besondere Rolle, nämlich die didaktische wie auch die religiöse, da die Lutheraner die Bibel selbst lesen sollten.

Die Anstrengungen des Soldatenkönigs hatten aber ein einziges Ziel: die Stärkung des Heeres, das für ihn das Hauptinstrument der Macht eines Monarchen war. Die großen Einnahmen seines Könighauses und ein effizientes Rekrutierungssystem erlaubten es ihm, ein Heer von 80 000 Mann aufzustellen, während die Gesamtbevölkerung Preußens sich gerade einmal auf 2 Mio. Einwohner belief. Preußen war von der Einwohnerzahl her der zwölftgrößte Staat Europas, aber an vierter Stelle, was sein Heer betraf. Die Bedeutung, die dem Heer zugewiesen wurde, die Tatsache, dass das ganze Land zu einer Kaserne wurde, sollten die deutsche Geschichte in den nächsten zweihundert Jahren noch beeinflussen: Disziplin, Ordnung, Pflichtbewusstsein, aber auch die Bevormundung der Bürger sowie der autoritäre Charakter der Regierung.

4. Friedrich II. und der aufgeklärte Absolutismus

Trotz dieser außergewöhnlichen Militärmacht und trotz seines impulsiven Charakters hat Friedrich Wilhelm I. eine friedliche Außenpolitik geführt. Sein Nachfolger, Friedrich II. (1740-

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1786), Philosoph und Aufklärer, hat dagegen das Erbe seines Vaters voll ausgenutzt und sich an mehreren Kriegen beteiligt, aus denen Preußen wesentlich gestärkt und vergrößert hervorging. Seine Oberfläche erreichte 200.000 km2 und seine Bevölkerung 6 Mio. Einwohner. Während zahlreicher Feldzüge, die der König selbst geleitet hat, erwies sich Friedrich II. als der wohl höchstbegabte und talentierte General seiner Zeit. Friedrich hat sein Heer weiter ausgebaut, so dass es eine Zahl von 160.000 Soldaten erreichte und gleichzeitig das stärkste in Europa war, was die Ausbildung und Kampfkraft betraf.

1748 wird ihm, infolge des österreichischen Erbfolgekrieges, der Besitz Schlesiens zuerkannt, eine Provinz, die reich an Bodenschätzen und qualifizierten Arbeitskräften war. 1772 kommt Friedrich infolge der ersten Teilung Polens in den Besitz von Westpreußen, das die Verbindung zwischen Ostpreußen und Brandenburg herstellte.

Friedrich II. hat eine Reihe von Reformen durchgeführt, die aus Preußen einen modernen Staat machten und ihm den Ruhm eines hoch aufgeklärten und modernsten Monarchen Europas einbrachten.

Im Bereich der Wirtschaft führt der Herrscher die traditionelle merkantile Politik weiter. Es entwickelt sich nun die Kohlenförderung aus dem Ruhrbecken, es werden Textilmanufakturen und metallurgische Betriebe gegründet, die Kartoffel wird in der preußischen Landwirtschaft eingeführt, Kanäle werden gebaut, die Berliner Bank wird nach dem Modell der Bank of England gegründet. Der König war der Ansicht, dass die Macht eines Staates auf der Anzahl seiner der Untertanen gründete, folglich hat er die Ansiedlung zahlreicher Immigranten in Preußen gefördert, eben um die Landwirtschaft zu entwickeln und die Bodenschätze auszubeuten.

Obwohl König Friedrich II. den Bauern einen gewissen Schutz gewährte und die Übergriffe der Grundherren beschränkte, hat er sich nicht getraut, die Leibeigenschaft abzuschaffen, weil diese im Osten des Landes besonders stark verankert war. Der König befürchtete, dass eine solche radikale Maßnahme den Widerstand des Adels hervorrufen könnte. Dieser bildete die wichtigste Elite des Landes. Eine solche Reform und die Opposition hätten vermutlich die Produktionskraft der Landwirtschaft geschädigt.

Friedrich II. hat seine Reformpolitik auch in anderen Bereichen durchgesetzt: religiöse Toleranz, Pressefreiheit und Modernisierung der Justiz. Er versuchte die Gleichheit seiner Untertanen vor dem Gesetz durchzusetzen und schaffte die Folter ab. Seine Nachfolger, Friedrich Wilhelm II. (1786-1797) und Friedrich Wilhelm III. (1797-1840), führen seine Reformpolitik teilweise weiter. Letzterer hat 1798 die Leibeigenschaft auf den königlichen Domänen abgeschafft; allerdings musste er den Zusammenbruch des preußischen Heeres in

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Jena im Jahre 1806 erleben. Die Historiker schreiben diese Katastrophe Friedrich II. zu, der es in den letzten Jahren seiner Herrschaft versäumt hatte, sein Heer weiter zu reformieren.

Friedrich II. war, ebenso wie Josef II., ein typischer Vertreter des aufgeklärten Absolutismus. Seine Auffassung von Regierung gründete auf der Anwendung der Ideen der französischen Aufklärer. Die absolute Macht des Herrschers sollte der Modernisierung und Rationalisierung des Staates dienen; die Staatsraison bildete nun die Hauptmotivation eines Herrschers, dessen Hauptzweck der Wohlstand und das Glück (Wohlfahrtsstaat) seiner Untertanen darstellte, wofür der Herrscher auch verantwortlich war.

Zweifelsohne war eine solche Regierungsart ein wesentlicher Fortschritt im Vergleich zu der Ausübung der Macht durch die absoluten Monarchen des 16. und 17. Jahrhunderts, die nie die Notwendigkeit verspürten, ihre Stellung vernünftig zu bestimmen, eben weil sie alles stets durch das von ihnen reklamierte „Gottesgnadentum“ erklären zu können glaubten.

Trotzdem muss man auch die Misserfolge der Reformpolitik der aufgeklärten Herrscher verzeichnen. Obwohl sie ihre Reformtätigkeit in den Dienst ihrer Untertanen gestellt haben, traf sie trotzdem deren Widerstand. Wahrscheinlich behielten die Monarchen Recht, wenn sie die des Lesens und Schreibens unkundige Masse der Bauern und die reformfeindlichen Adligen nicht in die Regierungsgeschäfte mit einbeziehen wollten. Andererseits spielte sich die Modernisierung der Gesellschaft extrem langsam ab, ohne die bewusste Teilnahme der Gesellschaft.

DIE INTERNATIONALEN BEZIEHUNGEN ZWISCHEN 1815-1848

Nachdem Napoleon das erste Mal abgedankt hatte, unterschrieb Frankreich den ersten Vertrag von Paris, der seine Grenzen auf den Stand von 1792 zurücksetzte. Darüber hinaus blieben ihm nur Savoyen und ein Teil des Saarlandes aus dem Rheingebiet. Nach Waterloo werden ihn durch den zweiten Vertrag von Paris auch diese Gebiete entrissen. Frankreich wird auch eine hohe Kriegsentschädigung und eine militärische Besatzung, die einige Jahre dauert, aufgezwungen. Die siegreichen Großmächte Russland, Österreich, England und Preußen geben sich aber nicht nur mit der Bestrafung Frankreichs zufrieden, sie richten das von den zahlreichen Kriegen durcheinander gebrachte Europa wieder her und versuchen, ihre eigenen Gebiete zu erweitern. Gleichzeitig versuchen sie ein neues System der internationalen

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Beziehungen durchzusetzen, das den inneren und äußeren Frieden in Europa sichern soll und kann, um den Ausbruch von revolutionären Bewegungen zu verhindern.

1. Der Wiener Kongress und seine Entscheidungen

Diese unumgänglichen Voraussetzungen greift der Wiener Kongress, vom Oktober 1814 bis Juni 1815, an dem Herrscher oder deren Vertreter aus dem ganzen Kontinent teilnehmen, auf. Sie vertreten hier ihre Interessen mit Blick auf den Aufbau einer neuen politischen Architektur Europas. Die Entscheidungen wurden von den vier siegreichen Großmächten getroffen, die sich schon 1814 durch den Vertrag von Chaumont im Kampf gegen Frankreich verbündet hatten. In Wien gesellt sich ihnen auch das Frankreich der Bourbonen zu, die ihren Thron wiederbekommen hatten. Ihre Diplomatie versuchte im Konzert der europäischen Mächte einen Platz zu finden.

Das wichtigste ideologische Prinzip, durch welches die Mächte ihre Entschlüsse in Wien zu rechtfertigen suchten, war das der dynastischen Legitimität. Die neue Karte Europas sollte in erster Linie die Rechte der Herrscher auf ihre Länder beachten, Rechte von Gottes Gnaden, die schließlich durch die historische Tradition gefestigt waren. Die Sieger nahmen dieses Prinzip in Anspruch, gerade auch dann, als es um die Ausdehnung ihrer Gebiete ging.

Neben dem dynastischen Legitimitätsprinzip und den expansionistischen Tendenzen nahm der Kongress auch Rücksicht auf das europäische Gleichgewicht, gemäß den internationalen Praktiken des XVIII. Jahrhunderts und der Notwendigkeit einer Sicherung des Friedens.

Der Kongress hatte hauptsächlich eine territoriale Neuorganisierung des Kontinentes durchgeführt und in Europa eine Reihe von neuen Staatsgrenzen festgelegt.

Russland konnte seine Eroberungen Finnland und Bessarabien behalten, die es mit Zustimmung Napoleons bekommen hatte. Auch nimmt es fast das ganze Herzogtum Warschau in Besitz. So bildet sich ein großes Königreich Polen, das sog. „Kongresspolen“, das sich dann mit Russland in Personalunion befand.

Obwohl Preußen einen Teil seiner polnischen Gebiete zu Gunsten Russlands verliert, bewahrt es trotzdem seine östlichen Teile dieser Gebiete mit Posen. Außerdem wird Preußen durch die Rheinprovinz und mit der Hälfte von Sachsen wie eines Teiles von Westfalen entschädigt. Es erhält im Übrigen seine früheren Territorien zurück. Die preußischen Gebiete aus dem Osten bleiben auch weiterhin von denen im Westen getrennt.

Österreich, das während des Krieges mit Frankreich die habsburgischen Niederlande (Belgien) verloren hatte, wird mit dem Lombardisch-Venezianischen Königreich im Norden Italiens entschädigt. Es tritt auch in den Besitz der ehemaligen venezianischen Gebiete an der dalmatischen Küste.

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Holland und Belgien werden zum Königreich der Niederlande vereint und die Schweiz wird in den Stand einer „ewigen Neutralität“ gesetzt.

Großbritannien, dessen Herrscher das erbliche Kurfürstentum (jetzt Königreich) Hannover im Nordwesten Deutschlands zurückbekommen haben, stärkt sein See- und Handelsreich. Es gelangt in den Besitz von wichtigen strategischen Punkten wie z.B. der Insel Malta, der Ionischen Inseln im Mittelmeer, der Kapkolonie im Süden Afrikas und der Insel Ceylon im Indischen Ozean.

Deutschland, wo sich während der französischen Herrschaft ein starkes nationales Gefühl mit Friedrich Schiller, Friedrich Hölderlin, Heinrich von Kleist, Ernst Moritz Arndt oder Friedrich Ludwig Jahn entwickelt hatte, bleibt geteilt, auch wenn die neue territoriale Aufteilung viel rationaler ist. Die Stelle des Heiligen Römischen Reiches mit seinen 360 Staaten, das schon 1806 aufgelöst wurde, wird jetzt vom Deutschen Bund (1815-1866) eingenommen, der nur noch 39 Mitglieder zählt, darunter 35 Fürsten. Diese Mitglieder waren alles deutschsprachige Staaten, jedoch verfügt der Bund über keine wirkliche Autorität und wird von der Rivalität zwischen Österreich und Preußen stark geschwächt. An seiner Spitze befindet sich der Bundestag mit dem Sitz in Frankfurt, unter dem Vorsitz Österreichs. Dieser Bundestag ist aber nur eine Konferenz der Botschafter der deutschen Staaten.

Die italienische Halbinsel bleibt politisch gespalten. Der Staat, auf den sich die Hoffnungen der Italiener konzentrieren, ist das selbstständige Königreich Piemont unter dem Hause Savoyen, mit der Hauptstadt Turin. Das Haus Savoyen herrscht im Nordwesten Italiens und auf Sardinien. Im Zentrum befinden sich die Herzogtümer Toskana, Parma und Modena, deren Herrscher österreichische Fürsten (Habsburger) sind. Dazu kommt der Kirchenstaat sowie im Süden und in Sizilien das Königreich Neapel, dessen Herrscher aus dem Hause Bourbon stammen.

Im Norden Frankreichs bilden Holland und Belgien das Königreich der Niederlande, geleitet von der Dynastie Oranien-Nassau. Holland, Piemont und die Schweizer Eidgenossenschaft haben die Aufgabe, eventuellen expansionistischen Tendenzen Frankreichs im Wege zu stehen. Daran ist besonders England aufgrund seines geostrategischen Interesses gelegen, dass nämlich die Rheinmündung von keiner der europäischen Großmächte beherrscht würde.

Auch im Norden des Kontinents finden Veränderungen statt. Schweden, das Finnland zugunsten Russlands verloren hat, bekommt als Entschädigung Norwegen, das bis dahin im Besitz von Dänemark war, einem ehemaligen Verbündeten Napoleons.

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2. Die deutschen Staaten zwischen 1815 und 1848. Preußen.

Deutschland bleibt auch die ganze Zeitspanne über politisch gespalten. Es gab 39 deutsche Staaten im Deutschen Bund - nämlich 35 Fürsten und vier freie Städte -, der unter dem Vorsitz Österreichs vereint war. Dieser hatte aber keine Autorität. Die deutschen Staaten befanden sich unter dem Zeichen der Rivalität zwischen Österreich und Preußen, der reaktionären Politik der meisten deutschen Fürsten, und der Bewegung für ein vereintes Deutschland.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Ideologie der Vereinigung Deutschlands noch liberal. Der deutsche Liberalismus war aber besonders moderat und verkörperte eine Auffassung der kollektiven und nicht der individuellen Freiheit. Die beanspruchte Freiheit war die des Volkes, aber nicht die der Einzelperson oder des Individuums. Die Gemeinschaft, das Volkstum, war Hauptziel der Befreiungsbewegung. Dieses Volkstum war in der Auffassung der deutschen Denker (siehe Johann Gottfried Herder) ein Gemeinschaftswesen, das ein eigenes Bewusstsein, einen eigenen Volksgeist hatte, der angeblich schon vor den einzelnen Bürgern existiert haben soll. Die deutschen Ideologen waren der Ansicht, dass die Notwendigkeit der Vereinigung Deutschlands aus der Existenz einer ursprünglichen, metaphysischen und irrationalen Entität hervorgeht, und nicht aus dem rationalen Willen der Individuen. Eine solche Art von Nation, die der Existenz seiner Bürger vorausgeht, braucht notwendigerweise einen allmächtigen Staat, der dieser Nation ihre Einheit sichern soll. Diese Auffassung wird in den Werken Hegels, Fichtes oder Savignys vertreten. Man muss aber vermerken, dass es außer diesem moderaten, organischen und kollektivem Liberalismus in Deutschland auch ein politisches Denken gab, das dem französischen individualistischen Liberalismus näher stand, besonders im Südwesten, in Baden und im Rheinland.

Unter solchen ideologischen Verhältnissen werden die revolutionären Agitationen seltener. Trotz der gewalttätigen Bewegungen von Studenten und Professoren kommt es zur Bildung der „Burschenschaften“, in denen sie organisiert waren. Diese Verbindungen wurden während der Freiheitskriege gegen Napoleon ins Leben gerufen. Sie haben die schwarz-rot-goldene Flagge durchgesetzt und erreichten mit Hilfe der Herrscher aus dem Süden (Sachsen-Weimar, Württemberg, Bayern, Baden) die Durchsetzung von Verfassungen. Der energische Eingriff von Metternich setzte diesen Agitationen mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 aber ein Ende

Nach 1830 bricht unter dem Einfluss der französischen Revolution eine neue Welle von Aufständen aus. Andere Herrscher sehen sich gezwungen, Verfassungen zu akzeptieren. Im Jahre 1832 findet eine große Volksversammlung auf dem Schloss Hambach in der Pfalz unter dem Zeichen der gemeinsamen schwarz-rot-goldenen Flagge als Symbol für Einheit und

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Liberalismus statt. Metternich greift wieder ein und setzt durch, dass der deutsche Bundestag von Frankfurt Maßnahmen zur Auflösung der revolutionären Vereinigungen trifft. Die Presse wird zensiert und die verfassungsmäßigen Rechte werden in den meisten deutschen Staaten eingeschränkt

Doch auch Preußen widersetzt sich den nationalen und liberalen Agitationen aus Deutschland. König Friedrich Wilhelm III. schätzt keineswegs die Idee einer nationalen und volkstümlichen Monarchie, die Deutschland und Preußen vereinigen soll, wie es sich viele der Deutschen wünschten. Er opferte die Einheit Deutschlands zugunsten der legalistischen Ordnung und des Absolutismus.

Preußen ist eher um seine eigene Einheit besorgt, als um die Deutschlands. Die Gebiete Preußens waren recht heterogen aufgeteilt. Die alten preußischen Staaten aus dem Osten, also Ostpreußen, Brandenburg und Pommern, waren Agrarländer, in denen die Grund- und Militäraristokratie der sog. Junker dominierte. Dagegen waren die Gebiete aus dem Westen, Westfalen und das Rheinland – die 1815 vom östlichen Teil des preußischen Staates getrennt wurden, also keine direkte Verbindung hatten – wirtschaftlich und sozial sehr hoch entwickelte Regionen, die sich unter dem Einfluss der französischen Ideologie und Gesetzgebung befanden. Hier konnten sowohl das kleine, wohlhabende Bauerntum wie auch das große Industrie- und das Handelsbürgertum existierten.

Folglich führte Preußen eine Zentralisierung- und Vereinheitlichungspolitik zugunsten seiner verschiedenartigen und zersplitterten Territorien. Ein effiziente, zentralisierte Verwaltung, der verpflichtende Wehrdienst und die Herausbildung des besten Erziehungswesens in Europa führten dazu, dass auch die Regionen aus dem Westen „preußisch“ und zu treuen Staatsbürgern erzogen wurden. Das politische System Preußens war ein absolutistisches. Beim Regieren stand dem König ein Legislativer Rat beiseite, der aus Persönlichkeiten gebildet war, die vom König selbst ernannt wurden. Nur auf regionaler, beziehungsweise auf Landesebene, gab es repräsentative Versammlungen, nämlich die Landtage, deren Mitglieder von den drei Ständen, Städte, Bauern und Adel, gewählt wurden. Sie hatten aber lediglich eine beratende Rolle.

Der Prozess der Vereinigung der deutschen Staaten, der von Österreich und Preußen eben wegen des liberalen Charakters dieser Bewegung ungern gesehen war, wurde durch die Bildung des deutschen Zollvereins wesentlich unterstützt.

In der ersten Etappe, zwischen 1816 und 1828, gelingt es Preußen, einen Zollverein zu gründen, was folgende Fakten schafft: Abschaffung der internen preußischen Zölle; die Integrierung der inneren fremden Enklaven, was einen Zollverein mit Hessen-Darmstadt notwendig machte, das die zwei großen preußischen Gebiete trennte.

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In der zweiten Phase dieses Prozesses, zwischen 1828 und 1834, waren die meisten deutschen Staaten Mitglieder des Zollvereins. Fast 30 Staaten, mit Preußen an der Spitze, unterschrieben den Vertrag, durch den sie sich verpflichteten, alle Zölle im Inneren des Deutschen Bundes aufzuheben und eine gemeinsame Zollpolitik anderen Staaten gegenüber anzuwenden, d.h. gleiche Zölle, und die Einkommen, die aus dieser Zollpolitik entstanden, paritätisch zwischen den Staaten des Bundes aufzuteilen. Diese Ideen wurden von den Vertretern des freien Handels, die zu jener Zeit großen Einfluss hatten und deren Hauptvertreter in Deutschland zu jener Zeit Friedrich List war, voll unterstützt. Der Zollverein hat die allgemeine Entwicklung der deutschen Staaten, ihre Vereinheitlichung und ihre wirtschaftliche Integrierung, gefördert.

Im Jahre 1840 stellte sich erneut das Problem der politischen Einheit Deutschlands. Die sog. orientalische Krise, beziehungsweise die Auseinandersetzung zwischen den Westmächten über die Lösung der internen Probleme des Osmanischen Reiches, führte auch zu Spannungen in den französisch-preußischen Beziehungen. Die französische Regierung unter Thiers mobilisierte Truppen, was in Deutschland, besonders im Westen, zu einem Ausbruch der volkstümlich-nationalen Bewegung führte.

3. Die Österreichische Monarchie zwischen 1815 und 1848

Während der Herrschaft von Kaiser Franz I. (1792-1835) und Ferdinand I. (1835-1848) blieb das Habsburgerreich eine absolutistische Monarchie, die zentral von Wien aus regiert wurde, aber zahlreiche historisch geerbte Partikularismen in ihrer Verwaltung als Ausdruck der politischen Vielfalt und der Uneinheitlichkeit seiner Territorien und seiner Bevölkerungen bewahrt hatte. Man kann sagen, dass es das Verdienst dieses politischen Regimes war, dass es ihm gelang, diese Länder und Völker zu regieren, ihren Zusammenhalt zu sichern und sogar Modernisierungsprozesse einzuführen, trotz der zahlreichen inneren Widersprüche.

Metternich, der Reichskanzler, war völlig von den außenpolitischen Problemen eingenommen, da er der Meinung war, dass die Monarchie nur unter der Bedingung der Aufrechterhaltung des europäischen Status quo überleben könne. Diesbezüglich verfolgt er die Ausschaltung der revolutionären Bewegungen in Italien sowie in Deutschland und versuchte nach 1830 Mitteleuropa durch die Zusammenarbeit mit Preußen und Russland vor einer Revolution zu bewahren.

Im Inneren führt er die Traditionen des aufgeklärten Absolutismus weiter, was einen zentralisierten, „von oben geleiteten“ Reformismus erforderte. Dies wiederum hatte zur Folge, dass der Gesellschaft der Zugang zum politischen Leben versperrt wurde, eben um Spannungen und Missverständnisse zu vermeiden. Nach 1830 aber, unter dem Druck der liberalen Ideen und infolge der politischen Reife der Gesellschaft, sah sich Metternich genötigt, die Einberufung der

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Landtage der Länder und Provinzen zu akzeptieren (z.B. der Landtag von Ungarn, der 1825 zum ersten Mal einberufen wurde). Die Unzufriedenheit der liberalen und nationalen Bewegungen der Monarchie wurde in der Zeitspanne, die der Revolution vorausging, immer größer, es ist die Zeit, die den Namen Vormärz (1830-1848) trägt.

Der Hauptfeind der Donaumonarchie waren die unterschiedlichsten nationalen Bestrebungen. Im Jahre 1846 bricht ein antihabsburgischer Aufstand des polnischen Adels in Galizien aus, der aber von den polnischen und ruthenischen Bauern sofort niedergeschlagen wurde. Die Bauern stellten sich auf die Seite des habsburgischen Kaiserhauses, weil dieses sie gegen die feudalen Übergriffe des polnischen Adels schützte. Hingegen war in Italien die antihabsburgische Bewegung von einer breiteren Basis getragen. Diese wurde von der städtischen Bevölkerung unterstützt, vor allem in der Lombardei und in der Region um Venedig.

Die Bewegungen der europäischen Randvölker, der Polen oder Italiener, sowie die der Völker, die erst jetzt politisch erwachten, wie die Rumänen, Ruthenen, oder Slowaken, waren jedoch nicht so gefährlich für die Monarchie, wie die der Tschechen und Magyaren. Diese beiden Völker hatten starke aristokratische Eliten, eine bewusste Tradition der Staatlichkeit, aus der heraus sich jetzt das neue nationale Bewusstsein entwickelte. Auch die Kroaten, die ebenfalls einen starken Adel hatten, bezogen sich auf die historischen Traditionen ihres alten, autonomen Staates.

Die slawischen Völker des Habsburgerreiches fanden zum Ausdruck für ihre nationalen Wünsche und Ziele neue theoretische Grundlagen in der Ideologie des Panslawismus, die großen Einfluss unter den Tschechen und Slowaken hatte, andererseits in der Theorie Illyrismus als einer Einheit der Südslawen; Serben, Kroaten und Slowenen, die von Ljudevit Gaj propagiert wurde.

Keine der führenden Eliten der verschiedenen Nationen wünschte aber die Trennung vom Habsburgerreich. Sie wollten nur eine akzentuierte, nationale Autonomie im Rahmen des Reiches durchsetzen. Diesen Ansprüchen widersetzte sich jedoch die zentralisierte und absolutistische Politik Wiens. Wien war sich bewusst, dass die besonderen Ansprüche der verschiedenen Nationen eine Gefahr für die Einheit der Monarchie darstellten. Die Revolution, die sich am Horizont abzeichnete, sollte aber klar beweisen, dass die Nationalismen innerhalb des Habsburgerreiches nicht fähig gewesen wären, eine gemeinsame föderalistische Lösung durchzusetzen. Die zahlreichen sozialen, ethnischen oder konfessionellen Widersprüche und Unterschiede richteten sich nicht nur gegen Wien, sondern auch gegen die jeweils anderen Mitglieder der Monarchie.

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DIE EUROPÄISCHEN REVOLUTIONEN IN DEN JAHREN 1848/1849

1. Ursachen und Charakter der Revolutionen

Der fast gleichzeitige Ausbruch der Revolutionen im Jahre 1848 in mehreren Ländern Europas stellt die Frage nach der Existenz von gemeinsamen Ursachen, die dieses Phänomen erklären könnten. Das einfache Nachahmen des Modells der französischen Revolution durch die anderen europäischen Länder ist keine ausreichende Antwort, um eine kompetente Erklärung zu liefern, obwohl diese in den meisten Fällen vorgetäuscht wird.

Die einfachste Antwort scheint die zu sein, dass die europäischen Gesellschaften, von starken innovatorischen Tendenzen in allem Bereichen gekennzeichnet waren, nicht die richtigen Entwicklungsmethoden, also der Weg vom alten Regierungssystem zur Modernität, finden konnten. So etwa ist es England gelungen, diesen Weg im 18./19. Jahrhundert zurückzulegen, ohne eine Revolution oder eine große Krise erleben zu müssen. Aber die meisten Länder des Kontinents, die nicht dieselben Bedingungen wie die der Engländer hatten, konnten diese Leistung nicht vollbringen, so dass ihr Weg zu einer neuen, modernen Welt von Krisen und Revolutionen, bedauernswerten Leiden und Blutvergießen begleitet war.

Die Historiker und die Nachwelt, die oft von dem verführerischen, selbstgerechten Diskurs der Revolutionen geblendet waren, haben diese lange Zeit in einer positiven Art dargestellt, als einen edlen Kampf der Völker gegen die Unterdrückung. Dabei haben sie aber einen wichtigen Gesichtspunkt nicht bedacht, und zwar, dass die Ideale der Revolutionen tatsächlich edel waren, dass sie die Werte unserer Welt dargestellt haben, aber dass die konkreten Modalitäten, durch die man diese Ideale in die Realität umsetzen wollte, nur zu Misserfolgen und unproduktiven Experimenten geführt haben. Was die Revolution hinterlassen hat, waren tausende von Opfern. Der Abstand zwischen den großmütigen Idealen der Modernität und der Unfähigkeit der Europäischen Gesellschaften, diese Ideale zugleich praktisch umzusetzen, erklärt den Ausbruch der Revolutionen und das große menschliche Leid, das diese mit sich gebracht haben.

Dieser Versuch einer allgemeinen Erklärung der Revolution ist durch viele Ursachen und Einzelsituationen gekennzeichnet, die von Fall zu Fall recht verschieden sind. Aus der Sicht der angestrebten politischen Ziele waren es zunächst die zwei traditionellen Komponenten der ehemaligen Gegenbewegungen, und zwar die liberale und die nationale Bewegung, die ihre Wurzeln in der Ideologie des 18. Jahrhunderts und der französischen Revolution hatten. Ihnen wurde jetzt der demokratische Radikalismus als ein neues Element entgegengesetzt.

Dieser wurde aus der Idee der politischen Demokratie heraus erläutert, die sich durch die universelle Wahl verwirklichen sollte, aber auch von der Idee der sozialen Demokratie her,

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die im Westen den Schutz der Arbeiter, aber auch die Befreiung der Bauern aus Zentral- und Osteuropa und ihre Ausstattung mit eigenem Grund und Boden zum Ziel hatte.

Andererseits haben die starken Reste der feudalen Vergangenheit in Form von Institutionen, Gesetzen oder den unterdrückenden Privilegien, die in vielen Regionen Europas noch existierten und von unpopulären, dem Geist der Zeit absolut nicht entsprechenden Regierungssystemen gestützt waren, eine explosive Reaktion der Gesellschaft hervorgerufen.

Eine weitere, aber nicht grundlegende Ursache, die das Ausbrechen der Revolution in dem entsprechenden Augenblick beschleunigt haben dürfte, war die wirtschaftliche und soziale Konjunktur. Seit 1846 gab es eine Reihe von Missernten, die Kartoffeln wurden von einer Krankheit befallen, was besonders in Irland zu einer Hungersnot führte. Dazu gesellte sich eine finanzielle Krise, die durch das Fehlen von Krediten hervorgerufen wurde. Zu Beginn der 1840er Jahre hatte der Eisenbahnbau einen großen wirtschaftlichen Aufschwung in Westeuropa hervorgerufen, was gleichzeitig dem Bau- und Eisenhüttenwesen einen fühlbaren Aufschwung bescherte. Einmal begonnen, benötigte die industrielle Entwicklung neue Kapitalanlagen, um ihre weitere Entwicklung sichern zu können. Aber diese Kapitalanlagen waren nicht vorhanden. Die Kreditzinsen stiegen, die Investitionen blieben aus, was das Ende der Fabrikationstätigkeiten zur Folge hatte. Die Hunderttausende von Arbeitern, die in den vergangenen Jahren durch die Industrie angezogen wurden, wobei sie vom Land in die Städte umgezogen sind, waren jetzt arbeitslos, und bildeten, vor allem in Frankreich, eine riesige Armee der Unzufriedenen, die sich vor allem in Paris konzentrierte..

Trotzdem kann die Revolution nicht als eine Folge dieses Drucks der unzufriedenen Menschen gedeutet werden, sondern mehr als eine Folge der allgemeinen Unfähigkeit der Gesellschaft und der gegenwärtigen politischen Regierungssysteme, passende Lösungen für die neune Probleme des Modernisierungsprozesses zu finden. Die Kraft, die die liberalen, demokratischen und nationalen Ideen jetzt erlangten, und zwar als Instrumente in den Händen einiger sozialer Schichten, dürfte viel wichtiger gewesen sein als die Unzufriedenheit der Menschen, die es – vom materiellen Standpunkt her gesehen –, auch vorher nicht leichter hatten, ohne dass dies zur Revolution geführt hätte. Die Revolutionen konnten eben darum unterdrückt werden, weil ihre soziale Basis gering war, beschränkt auf die Stadtbewohner, Intellektuellen, auf verschiedene Eliten und Revolutionäre, während die Landbevölkerung im allgemeinen den revolutionären Idealen gegenüber teilnahmslos blieb, diese manchmal sogar bekämpfte.

2. Die Revolution in Frankreich

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Auf Grund der ökonomischen und sozialen Krise wächst im Jahre 1847 der Druck der politischen Opposition gegen die Regierung Guizot, die von den Liberalen des Zentrums, von der dynastischen Linken und von den radikalen Republikanern unterstützt wird.

Diese fordern die Wahlreform und die Ausweitung der politischen Basis des Regierungssystems, sowohl im Parlament, als auch durch Reden, die auf den sog. „Reformbanketts“ gehalten werden. Die von den Liberalen hervorgerufene politische Aufregung wird von den Republikanern und Sozialisten aus den geheimen Gesellschaften ausgenützt, die die Arbeiter und das unzufriedene Kleinbürgertum in Straßendemonstrationen organisieren. Im Februar 1848 verwandeln sich diese Manifestationen in einen Aufstand der Bevölkerung von Paris, an dem vor allem die Arbeiter teilnehmen. Guizot nimmt seinen Abschied von der Regierung und König Louis-Philippe dankt ab. Die Revolutionäre rufen die Republik, die „Zweite Republik“, aus und legen ein vorläufiges Regierungssystem fest, das aus gemäßigten Liberalen (Lamartine) Radikalen (Ledru-Rollin) und Sozialisten (Louis Blanc) gebildet wird. Die besonders extremen Mitglieder der ehemaligen geheimen Gesellschaften, die erfolgreich das Proletariat manipuliert haben, nehmen wichtige Stellen in den bedeutendsten Institutionen von Paris ein.

Das neue Regierungssystem, das eine „demokratische und soziale“ Republik sein wollte, führt zunächst, über das Prinzip der allgemeinen Wahl, die politische Demokratie ein. Gleichzeitig wird die uneingeschränkte Freiheit der Presse wiederhergestellt und die Nationalgarde für alle Bürger, sogar für Arbeitslose, geöffnet. Die Arbeiter verlangen aber die Verwirklichung einer sozialen Demokratie - das wahre Ziel, das sie interessierte -, wobei sie Garantien für das Arbeitsrecht fordern, um vor Arbeitslosigkeit geschützt zu sein. Diese Forderungen rufen heftige Debatten in der provisorischen Regierung hervor, unter reger politischer Aktivität, die von den radikalen Klubs provoziert wird, die die extremistische Linie der gewesenen geheimen Gesellschaften fortsetzen. Unter dem Druck der Sozialisten werden die Nationalwerkstätten gegründet, mit dem Ziel, allen Arbeitern Arbeitsplätze vom Staat finanzierten öffentlichen Werkstätten zu geben. Diese Einrichtungen waren aber nicht besonders effizient.

Die Parlamentswahlen vom April, die von der Regierung eilig organisiert wurden, um die politische Situation zu stabilisieren, wurden für die sozialen Demokraten aber zu einem Misserfolg, da die gemäßigten Republikaner siegten. Die Provinzen mit einer bäuerlichen Sozialstruktur, die zum ersten Mal an einer allgemeinen Wahl teilnahmen, wählten konservativ, weil sie kein Verständnis für die Forderungen des Proletariats aus den Großstädten hatten.

Als Folge der Wahlen wird das Regime gemäßigter, fast liberal, wobei sich eine neue Exekutive bildet, von der die Sozialisten ausgeschlossen sind. Die gesetzgebende Versammlung ist jetzt mit den revolutionären Parteien, die von Barbès und Blanqui geführt werden, im offenen Konflikt. Ein Arbeiteraufstand im Mai wird unterdrückt und die Nationalwerkstätten, als Zentren der Aufruhr betrachtet, werden geschlossen. Die Arbeiter reagieren unter ihren

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sozialistischen Führern wieder, durch den „Pariser Juni-Aufstand“. Paris wird mit Barrikaden überzogen.

Um die Situation unter Kontrolle zu bringen, vertraut die gesetzgebende Versammlung dem Kriegsminister, General Cavaignac (1802-1857), diktatorische Vollmachten an. Dieser unterdrückt den Arbeiteraufstand brutal. Es sind ungefähr 10.000 Tote zu beklagen, noch mehr Menschen werden zwangsdeportiert.

Die Lahmlegung der sozialistischen Bewegung um einen so blutigen Preis wurde vom republikanischen Bürgertum gut geheißen, da dieses das soziale Gleichgewicht bewahren wollte, was übrigens auch die Mehrheit der Landsleute wünschte.

Da die Ordnung wiederhergestellt war, konzentrierte sich die Republik auf ihre interne Organisation. Die Verfassung vom November 1848, die der „Zweiten Republik“, verleiht die gesetzgebende Macht einer durch allgemeine Wahlen gewählten Versammlung und die exekutive Macht einem direkt, ebenfalls durch allgemeine Wahlen auf vier Jahre gewählten Präsidenten. Die Präsidentenwahlen vom Dezember 1848 wurden von Prinz Louis-Napoleon Bonaparte, im Alter von 40 Jahren, dem Neffen von Napoleon I., mit 75% der Stimmen gewonnen, Gegenkandidaten waren General Cavaignac und Ledru-Rollin. Er wurde von allen konservativen Kräften unterstützt, die ein soziales Gleichgewicht sichern wollten und die sich später in der Ordnungspartei gruppiert haben. Mitglieder waren die Vertreter des Bürgertums, der Grundbesitzer und der Kirche, also all diejenigen, die entweder die Wiederherstellung der Monarchie wünschten, oder ein stabiles Regierungssystems, das den sozialen Unruhen, denen das republikanische Regime so schwer standgehalten hatte, vorbeugen sollte.

Louis-Napoleon hat die Wahlen auch dank seines glorreichen Namens, der in der Provinz sehr bekannt war, gewonnen.

So kam es, dass die allgemeinen Wahlen, die ohne Rücksicht auf eine mögliche stürmischen Revolution, einer unvorbereiteten Bevölkerung aufgebürdet wurden, zur Wahl eines Präsidenten führten, der zum Totengräber des republikanischen Regimes, das ihn gewählt hatte, werden sollte. Louis-Napoleon wird dieser Republik stufenweise einen immer konservativeren Charakter verleihen, um sie letztendlich durch einen Staatsstreich vom Dezember 1851 zu vernichten. Im Jahre 1852 wird er als Napoleon III. zum „Kaiser der Franzosen durch die Gnade Gottes und den Willen der Nation“ ausgerufen.

3. Die Revolutionen in der Österreichischen Monarchie

Aufgrund des uneinheitlichen Charakters des Habsburgerreiches hatten hier Revolutionen ihren eigenen Verlauf. Sie waren abhängig von den Problemen der einzelnen Region untereinander. Andererseits hatten die Revolutionen in Deutschland und Italien enge Beziehungen zu der in „Österreich“. Unter den wichtigen Ursachen der Revolution in der

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Monarchie wäre hier der permanente Autoritätsschwund des Metternich-Regimes zu erwähnen, das Erscheinen von neuen, politisch-liberalen und radikalen Strömungen in Wien sowie die Entwicklung eines nationalen Gefühls in Ungarn, in Tschechien und in den slawischen und italienischen Staaten. In manchen Fällen, wie in Rumänen oder in Ungarn, waren Forderungen mit liberalem oder sozialem Charakter einem nationalen Programm untergeordnet, das die Führer ihrer Nation vorschreiben wollten, und zwar als einzigen Weg der Modernisierung und Entwicklung.

Im März 1848, bei der Einberufung des Landtages von Niederösterreich, demonstrierten in Wien Studenten und Bürger, von den Erfolgen der Revolutionen in Frankreich und Italien ermutigt und veranlassen so den Sturz und die Flucht Metternichs. Eine liberale Regierung wird mit Franz Freiherr von Pillersdorf, eigentlich einem gemäßigter Politiker, als Ministerpräsidenten ernannt, außerdem wird eine Nationalgarde gegründet. Im April setzt der Kaiser eine Verfassung für die österreichischen Staaten durch, „die nur für die Erblande bindend war“, im Juli wird ein konstituierender Reichstag gewählt, der die feudalen Rechte abschafft.

In der Zwischenzeit flüchten Hof und Kaiser Ferdinand I. nach Innsbruck, um sich vor den aufständischen Wienern in Sicherheit zu bringen. In Ungarn ernennt der Reichstag von Preßburg eine ihm verantwortliche Regierung, an deren Spitze Batthanyi Lajos steht. In dieser Regierung teilten sich die gemäßigten Liberalen, denen Széchenyi, Eötvös und Deák vorstehen, die Macht mit Kossuths radikaler und separatistischer Partei. Der ungarische Reichstag verleiht liberal-politische Rechte und schafft die Leibeigenschaft ab. Eine Zeit lang bewahren die Ungarn die Beziehungen mit dem Wiener Hof. Ab Oktober aber übernimmt Kossuth die Führung der ungarischen Revolution und provoziert den militärischen Konflikt mit Österreich. Sein Ziel ist die Unabhängigkeit Ungarns.

In Tschechien, wo die Revolution durch den Antagonismus zwischen den Tschechen und den Deutschen unterdrückt war, wird auf Riegers und Palackys Initiative eine liberale Verfassung von Böhmen angenommen, in der die historischen Rechte der Tschechen betont werden und die Gleichberechtigung zwischen den verschiedenen Nationen ausgerufen wird. Im Juni findet in Prag ein panslawistischer Kongress statt, an dem Tschechen, Slowaken, Südslawen, Polen und Ruthenen teilnehmen. Der Kongress tritt für Gleichberechtigung innerhalb der Monarchie ein und forderte die Slawen aus dem Süden auf, sich ihnen anzuschließen, um den slawischen Block der Monarchie zu vereinigen. Dieser Kongress vertrat den sog. „Austro-Slawismus“. Die Tschechen wollten zwar die Trennung von Österreich nicht und hätten eine föderative Gestaltung des Reiches, die deutsch-slawisch oder deutsch-ungarisch-slawisch sein sollte, vorgezogen.

Der Kaiserliche Hof, der sich mit all diesen revolutionären Bewegungen, einschließlich denen in Italien, auseinander zu setzen hatte, konnte der Lage nur dank der Uneinigkeit

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zwischen den verschiedenen Revolutionen und der Unterstützung des Heeres, einem Berufsheer, das kaisertreu und antiliberal war, Herr werden. Infolge der Unruhen von Prag – der Pfingstaufstand vom 12. bis zum 17. Juni, gegen den sich auch Palacky und Rieger aussprechen – besetzt General Windischgrätz Prag, löst den panslawistischen Kongress auf und macht den slawischen Unabhängigkeits- und Föderationsgedanken ein Ende. Dieser Akt musste auf Dauer aber die deutsch-tschechischen Beziehungen im Rahmen der Monarchie sowie die Haltung der Tschechen gegenüber der Monarchie belasten. Die Kroaten, Serben und Rumänen aus Ungarn und Siebenbürgen wehren sich gegen die ungarische Revolution, da Kossuth, ihre eigene nationale Autonomie nicht anerkennen will. Folglich werden diese Völker während der Revolutionsjahre 1848-1849 auf der Seite des österreichischen Kaiserhauses kämpfen und eine Kaisertreue erweisen, die von Seiten Wiens nicht immer gerecht gewürdigt wurde. Die Kroaten, mit Jellachich, und die Rumänen aus dem Westgebirge Siebenbürgens, die sog. „Motzen“ unter ihrem Anführer Avram Iancu, tragen – neben dem intervenierenden russischen Heer – zusammen mit dem österreichischen Heer, zur Rettung der Monarchie bei.

In September 1848 greift der Kroatische Ban, Graf Jellachich, Ungarn an. Er wird aber von den ungarischen Truppen zurückgeschlagen.

Der Kaiser flüchtet mit Hof nach Olmütz, auch der Reichstag verlässt Wien, er zieht in das mährische Kremsier, um dem revolutionären Drucks zu entgehen, so dass die Macht nun in den Händen der österreichischen Radikalen lag, die mit der ungarischen Revolution sympathisierten. Im Oktober greifen die kaiserlichen Truppen unter Windischgrätz mit Unterstützung von Jellachich aber die Stadt an und brechen den Widerstand der Nationalgarde. Die Regierung wird dem Prinzen Schwarzenberg anvertraut. Obwohl dieser das konstitutionelle Regime anerkennt und sein Programm dem Reichstag vorstellt, handelt er im Sinne einer Liquidierung der Revolution. Im Dezember dankt auch der unentschlossene Kaiser Ferdinand I. zugunsten seines 18-jährigen Neffen Franz Joseph ab. Alle Aufmerksamkeit wird jetzt der ungarischen sowie der italienischen Revolution gewidmet. Im Winter 1848 gelingt es Windischgrätz, Ofen zu erobern, aber im März 1849 kehren die Ungarn zurück, besetzen die Hauptstadt erneut und vertreiben die Österreicher. Franz Joseph wird nicht als König der Ungarn anerkannt, im April 1849 werden die Habsburger auch durch die neue Verfassung nicht mehr als ungarische Herrscher anerkannt. Kossuth wird zum Reichsverweser bestimmt. Unter diesen Umständen erbittet Franz Joseph im Mai 1849, beim Kaisertreffen von Warschau, vom Zaren Nikolaus I. Hilfe, der sie auch zusagt und Truppen gegen die ungarische Revolution schickt. Die österreichischen Truppen unter General Haynau, zusammen mit kroatischen und russischen Truppen, besiegen die ungarische Revolution. Der ungarische General Görgey kapituliert im August 1849 in Világos/Şiria. Kossuth geht ins Exil, gegen die ungarischen Revolutionäre wird hart vorgegangen.

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Nach der Beseitigung der letzten Widerstände führt der Wiener Hof das neoabsolutistische Regime im ganzen Reich ein. Eine zentralistische Reformpolitik „von Oben“ wird nun durchgesetzt, und zwar als Regierungs- und Entwicklungsalternative, auf dem Weg, den die Revolutionäre einschlagen wollten.

4. Der Revolution in Italien

Die italienische Revolution hat versucht, das dreifache Problem der konstitutionellen Freiheiten, der Vereinigung und der Unabhängigkeit zu lösen, trotz der unterschiedlichen politischen Situationen, in denen sich die verschiedenen italienischen Staaten befanden.

In den der Revolution vorausgehenden Jahren waren die Hoffnungen der italienischen Patrioten eng mit den liberalen Reformen des Papstes Pius IX., aber auch mit den antiösterreichischen Gefühlen des Königs Karl Albert verbunden. Folglich musste die Revolution dort am heftigsten ausbrechen, wo die Ideale des Risorgimento auf den Widerstand der lokalen Regierungen stießen, wie bzw. in Neapel und in den österreichischen Staaten Italiens. Im Königreich Neapel, wo Italiens reaktionärstes Regime herrschte, brach die Revolution in Januar 1848 aufgrund des separatistischen Aufstand Siziliens aus. Folglich sieht sich König Ferdinand II. gezwungen, eine Verfassung zu erlassen. Danach, im Januar-März 1848, erheben sich Mailand und Venedig, denen es auch gelingt, die von Marschall Radetzky herangeführten österreichischen Truppen zu vertreiben. Gleichzeitig werden auch die österreichischen Fürsten aus Modena und Parma verjagt.

Unter dem Druck der von dieser Entwicklungen begeisterten Liberalen erlassen der Papst, der König von Sardinien und der Herzog der Toskana, in Rom, Turin und in Florenz liberale Verfassungen, die das Modell der französischen Charta von 1830 nachahmen. In ganz Italien kommen solche konstitutionelle Regime an die Macht.

Ohne das nötige Maß an realistischer Voraussicht versuchen die italienischen Patrioten die Lombardei und Venedig von der österreichischen Herrschaft zu befreien, im Wissen darum, dass sie auf keine ausländische Unterstützung hoffen können. Im März 1848 greift König Karl Albert Österreich an, um den Aufstand der Mailänder und der Venezianer zu unterstützen.

Unter dem Druck der Bevölkerung, schicken der Papst, der Fürst der Toskana und der König von Neapel dem König von Piemont Waffenhilfe. Obwohl zahlenmäßig überlegen, werden die Italiener von den österreichischen Truppen Radetzkys besiegt. Nach der endgültigen Niederlage von Custozza im Juli 1848 legt König Karl Albert die Waffen nieder und unterschreibt im August einen Waffenstillstand.

Der anfängliche Sieg der Liberalen durch die Einführung konstitutionelle Regierungssysteme wird sowohl von Rechts – und zwar von der absolutistischen Reaktion, die von Österreich militärisch unterstütz worden war – wie auch von Links angegriffen, also vom

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sozialen Radikalismus Mazzinischer Prägung. Dieser gibt vor, den revolutionären Kampf fortzusetzen.

In der Lombardei unterdrücken die Österreicher die Opposition und führen den Besatzungszustand ein. Dasselbe Schicksal wird letztendlich auch Venedig erfahren, obwohl es unter der Führung des Radikalen Daniele Manin bis August 1849 dem österreichischen Angriff tapfer widerstehen konnte. Im Süden erobert König Ferdinand II., im Mai 1849, Sizilien zurück und schafft die erst vor kurzem eingeführte Verfassung wieder ab.

In Rom, wo die Beliebtheit Pius IX. abzunehmen schien, weil er sich weigerte, die Beziehungen mit Österreich zu unterbrechen, bricht ein Aufstand aus, durch den er ins Exil gezwungen wird. Im Februar 1849 wird in Rom eine radikale Republik ausgerufen, die demokratische und sozialistische Tendenzen zugleich aufweist.

Unter den Führern befand sich auch Mazzini. Das militärische Kommando hatte Garibaldi. Im Februar wird auch der Fürst der Toskana verjagt, wodurch in Florenz eine revolutionäre Regierung an die Macht kommt. König Karl Albert, der unter dem Druck der Radikalen steht, die die Wahlen gewonnen haben und in Piemont die Regierung unter Ausnutzung der neuen Offensive der ungarischen Revolution bilden, hebt den Waffenstillstand mit Österreich im März 1849 auf und marschiert wieder in die Lombardei ein. Nach wenigen Tagen wird er aber noch einmal von den österreichischen Truppen bei Novara besiegt und sieht sich gezwungen, zugunsten seines Sohnes Viktor-Emmanuel II. abzudanken.

Die Römische Republik wird durch eine militärische Intervention Frankreichs, die im Juli 1849 zur Besetzung Roms führt, aufgelöst. Die französische Regierung wollte jetzt, obwohl sie eine Republik vertrat, die infolge einer Revolution entstanden war, auf dem Kontinent eine Politik der Ordnung führen und gleichzeitig den österreichischen Einfluss auf der Halbinsel ausgleichen.

Die abenteuerliche italienische Revolution sieht sich also überall besiegt, ohne irgendeinen Gewinn für ihre Opfer zu erlangen. Das gedemütigte Piemont blieb die einzige Hoffnung der italienischen Patrioten für eine Zukunft, die ihre Bestrebungen auf einem realistischeren Wege durchführen würde.

5. Die Revolution in den Deutschen Staaten

Im März 1848 brach die Revolution auch in den deutschen Staaten aus. Zahlreiche Fürsten sahen sich gezwungen, liberale und demokratische Verfassungen zu dulden und die

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feudalen Privilegien, dort wo sie noch existierten, abzuschaffen und Schutzmaßnahmen für die Arbeiterschaft einzuführen. In Berlin zwingt eine gewalttätige Revolution König Friedrich Wilhelm von Preußen, die Einberufung eines Landtags zu versprechen, der aufgrund des allgemeinen Wahlrechts gewählt werden sollte.

In allen Deutschen Staaten entwickelt sich eine starke Bewegung für die politische Vereinigung Deutschlands. Dieser Bewegung gelingt es, den alten Reichstag des Deutschen Bundes durch ein liberales und demokratisches Parlament für ganz Deutschlands zu ersetzen, das sich am 18. Mai 1848 in Frankfurt am Main, in der Paulskirche, zur Eröffnung der Verfassungsgebenden Nationalversammlung, mit 586 Mitgliedern, versammelte. Präsident der Verfassungsgebenden Nationalversammlung wird der hessische „Märzminister“ Heinrich von Gagern (1799-1880), der die Wahl des österreichischen Erzherzogs Johann zum Reichsverweser durchsetzt, der seinerseits eine provisorische Reichsregierung bildet. Das Parlament nimmt sich vor, eine Verfassung für ganz Deutschland auszuarbeiten und dadurch die Einheit Deutschlands zu verwirklichen.

Eine der großen Fragen, die im Frankfurter Parlament diskutiert wurden, war die Gestaltung des neuen Deutschlands. Es gab die „Großdeutsche Lösung“, der auch Österreich angehören sollte, mit zwei Varianten: ein föderalistischer Bundesstaat mit Gesamtösterreich unter katholischer Dynastie, und eine unitarisch-demokratische Republik nur mit den deutschen Teilen Österreich. Daneben gab es die „Kleindeutsche Lösung“ unter der protestantisch-preußischen Dynastie, ohne Österreich, weil im Habsburgerreich auch ein großer Anteil nichtdeutscher Bevölkerung lebte.

Eine der wichtigen Fragen, die im Parlament von Frankfurt besprochen wurden, galt der zukünftigen politischen Orientierung und der Struktur des neuen deutschen Reiches. Einige Abgeordnete wollten einen autoritären und auf Zensus aufgebauten Staat, andere unterstützten den Liberalismus und die Demokratie, Andere wiederum empfahlen ein zentralistisches Deutsches Reich, Andere einen föderalistischen Staat.

Unter der Vermutung, dass die von Schwarzenberg geführte österreichische Regierung, nach der Beruhigung Wiens, nicht mit dem Parlament und seinen Ideen zur Vereinigung Deutschlands einverstanden sein könnte, wählten die meisten deutschen Abgeordneten die Kleindeutsche Variante. Folglich bot das Frankfurter Parlament die Kaiserkrone des neuen deutschen Reiches im März 1849 König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen an. Im April lehnt der preußische König die Kaiserkrone ab und verursacht damit den völligen Misserfolg der deutschen Vereinigungsbewegung. Der König, der von konservativen Anschauungen geleitet wurde, lehnte die deutsche Krone deshalb ab, weil er sie nicht von einem demokratischen Parlament annehmen wollte und weil sie seiner Auffassung nach „mit dem Ludergeruch der Revolution“ behaftet war. Daraufhin wurde „die Paulskirche“ aufgelöst. Der österreichische und

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preußische Gesandte wurden abberufen. Nach dem Versuch einer Einsetzung eines Rumpfparlamentes in Stuttgart, im Mai, das im Juni durch das Militär gesprengt wurde, fanden in der Rheingegend, in Berlin, in Dresden, in Baden und in der Pfalz radikale Volkserhebungen statt, die aber alle niedergeschlagen wurden. Im Juli finden Standgerichte und Massenerschießungen statt. Im Juli 1849 dankt Erzherzog Johann als Reichsverweser ab.

Gleichzeitig fürchtete König Wilhelm die Reaktion Österreichs, das mit einer solchen Vereinigung nicht einverstanden sein konnte, weil es auf diese Weise seinen Einfluss verloren hätte.

Andererseits hat König Wilhelm die demokratischen Errungenschaften der Revolution in Preußen beseitigt und ein autoritäres Regierungssystem eingeführt. Er bewahrte aber ein konstitutionelles Regime und ein Zweikammerparlament, dessen Mitglieder nicht durch allgemeine Wahlen, sondern durch auf Zensus beruhende Wahlen gewählt wurden. Die Wähler wurden aufgrund ihres Einkommens in Wahlkollegien eingeteilt. Es stellte somit ein „Dreiklassenwahlrecht“ dar.

In der nächsten Zukunft werden sowohl Preußen modernisiert und auch Deutschland vereinigt, aber von „oben“, durch die Zentralmacht und nicht auf die liberale und demokratische Weise, auf die es die Revolution versucht hatte.

Am Ende der Jahre 1848-1849 wurde keines der folgenden, großen Ziele der Revolution erfüllt: die Durchsetzung der Demokratie und eines Regimes der sozialen Justiz in Frankreich, eine liberale Verfassung für Österreich und für seine Völker, die Unabhängigkeit und Einheit Italiens sowie die demokratische und liberale Vereinigung Deutschlands. Gültig bleiben aber die modernen politischen Werte auf die sich diese Projekte stützten. In den nachfolgenden Jahren wurden sie dann in Tat umgesetzt, aber auf eine andere Art, als es die Revolutionen beabsichtigten. Die ordnungsliebenden sozialen Kategorien verstärkten ihre Abneigung gegenüber den unnötigen Gewalttaten, sowie den Mangel an Realismus der revolutionären Utopien gegenüber, während die Liberalen von nun an mit mehr Aufmerksamkeit die friedlichen, reformistischen Wege, auf denen sie ihre Ideale verwirklichen können, zu verfolgen begannen.

3. Die Vereinigung Deutschlands

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Nach dem Sieg über die Revolution von 1848 und dem Misserfolg einer liberalen Vereinigung Deutschlands, versucht der König von Preußen, Friedrich Wilhelm IV., die deutschen Staaten unter der konservativen Leitung Preußens zu vereinigen. Im Jahre 1850 widersetzt sich Österreich mit Hilfe Russlands diesem Projekt mit Entschiedenheit. Preußen empfindet dies als Demütigung und versucht von nun an die Vereinigung gegen den Willen Österreichs durchzuführen. Die Idee eines „Großdeutschland“, einer „großdeutschen Lösung“ wird endgültig aufgegeben, man verzichtet also darauf, Österreich in den vereinten deutschen Staat aufzunehmen.

Zwischen 1850 und 1862 hat Preußen interne politische Probleme, die von den Ansprüchen der liberalen Parteien provoziert wurden. Gleichzeitig aber erlebt Preußen, wie ganz Deutschland, eine intensive wirtschaftliche Entwicklung, ein Wachstum der Bevölkerung und die Erweiterung des Eisenbahnnetzes. 1861 wird Wilhelm I. König (1861-1888) und seit 1858 Regent für den geistig erkrankten Friedrich Wilhelm IV. Ein Jahr später ernennt er Otto von Bismarck (1815-1898) zum Ministerpräsidenten. Dieser wird bis 1871 Deutschland vereinigen und danach in Europa ein neues System von internationalen Beziehungen einzuführen.

Bismarck verfolgt eine konsequente Außenpolitik, deren Ziel die Vereinigung Deutschlands durch und um Preußen – mit Waffengewalt – ist. Im Inneren führt er eine autoritäre Politik, ohne die liberale Opposition zu beachten, wenn diese Gelder für das Heer nicht bewilligen will. Die Hauptidee Bismarcks ist, dass nur ein starker Staat, mit eiserner Hand geführt, fähig sei, die deutschen Staaten zu vereinigen – was sich übrigens auch bewährt hat. Preußen führt den allgemeinen, dreijährigen Wehrdienst ein, macht große Auslagen für die Modernisierung des Heeres, an dessen Spitze fähige Generäle wie etwa von Moltke oder von Roon stehen.

Das wichtigste Hindernis im Wege der Vereinigung Deutschlands unter der Leitung Preußens war Österreich. 1863 versucht Österreich, die süddeutschen Staaten zu vereinigen, was den Vereinigungsplänen Preußens einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Der österreichische Plan scheitert aber an dem Partikularismus der deutschen Fürsten.

Folglich bereitete sich Bismarck auf einen Krieg gegen Österreich vor, gleichzeitig handelt er aber mit viel diplomatischem Geschick. 1863 unterzeichnet er einen Freihandelsvertrag mit Frankreich und isoliert Österreich wirtschaftlich immer mehr. Er versichert sich dann der Freundschaft Russlands, indem er 1863 die Grenzen für die polnischen Flüchtlinge schließt, die sich vor den russischen Repressionen in Sicherheit bringen wollten. Russland hat übrigens seine Beziehungen mit Österreich abgekühlt, nachdem die Habsburger das Zarenreich im Krimkrieg nicht unterstützt haben, obwohl Russland Österreich im Jahre 1848/49 gerettet hatte.

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Endlich hat Bismarck im Jahre 1864 einen guten Vorwand zum Handeln als sich das Problem der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg stellte. Diese Herzogtümer die zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehört haben und 1815 an Dänemark fielen, wurden jetzt vom Bundestag des Deutschen Bundes beansprucht um einem deutschen Fürsten zurückgegeben zu werden. Bismarck überzeugt den Bundestag, Preußen und Österreich zu beauftragen, zusammen gegen Dänemark einen Krieg zu führen, um die Herzogtümer wiederzugewinnen. Im Jahre 1864, nach einem kurzen Krieg, verzichtet Dänemark auf die Herzogtümer zugunsten Preußens und Österreichs. Die Verwaltung der beiden Herzogtümer führt aber zum Streit zwischen den beiden Mächten Preußen und Österreich, eine Situation, die Bismarck vorausgesehen und sich gewünscht hatte, um einen Vorwand zu haben, Österreich den Krieg zu erklären.

Im Jahre 1865 gelingt es Bismarck, von Frankreich das Versprechen zu erhalten, in einem eventuellen preußisch-österreichischen Krieg neutral zu bleiben. Frankreich wollte das preußisch-österreichische Bündnis stören und Italien in seinen Bestrebungen unterstützen, Venedig zu erhalten. Folglich wird Napoleon III. dem Wachsen der preußischen Macht untätig und gleichgültig zusehen. Er bekam dafür das Versprechen, dass Bismarck sich mit Italien verbünden und diesem helfen würde. Übrigens glaubte Bismarck nicht an einen leichten Sieg Preußens über Österreich.

Im Jahre 1866 beginnt Preußen den Krieg und besiegt Österreich rasch bei Königgrätz/Sadowa. Die Folge ist, dass Frankreich Venedig bekommt, als Preis für die seine Neutralität, und Preußen einen wichtigen Schritt macht in Richtung Vereinigung. Preußen bekam die dänischen Herzogtümer, schloss Hannover, Hessen-Kassel Nassau und die Freie Stadt Frankfurt am Main an und erreichte die Auflösung des Deutschen Bundes, was das endgültige Ausscheiden des österreichischen Einflusses in Deutschland bedeutete. Anstelle des alten Deutschen Bundes wird der Norddeutsche Bund gebildet zu dem alle deutschen Staaten nördlich des Mains gehörten. Die führende Macht war Preußen. Nur die vier Staaten aus dem Süden, Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt blieben außerhalb der preußischen Vorherrschaft. Frankreich war sehr unzufrieden, weil infolge der klugen Politik Bismarcks die Macht Preußens extrem gewachsen war, ohne dass Frankreich entschädigt wurde und ohne dass es die Machtverhältnisse ausgleichen konnte.

Preußen hat den Norddeutschen Bund gegründet. Durch allgemeines Wahlrecht wurde der Reichstag gewählt, der im Jahre 1867 die Verfassung des Bundes annahm. Diese sollte der neuen politischen Struktur einen besseren Zusammenhalt geben. Die neuen Institutionen waren das Zweikammerparlament, der erbliche Vorsitzende/Präsident dieses Parlaments in der Person des Königs sowie das Amt des Bundes- und Reichskanzlers, in das Bismarck ernannt wurde.

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Das letzte Hindernis auf dem Wege der deutschen Einheit, die auch die Staaten aus dem Süden einschließen sollte, war Frankreich. Bismarck bereitete sich erneut auf den Krieg vor. Er zog zuerst die betreffenden Staaten aus dem Süden auf die Seite Preußens. Im Jahre 1870 bietet ihm die Bewerbung eines Hohenzollern – Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen – um den spanischen Thron den Vorwand. Diese Kandidatur provoziert die Reaktion Frankreichs, und obwohl der König Wilhelm I. aus Vorsicht diesmal nachgab, stürzen die Leute um Napoleon Frankreich in den Krieg. Bismarck nützt die Lage skrupellos aus. Er regelt die Dinge auf seine Art, indem er sogar eine diplomatische Note fälscht, die für die Presse bestimmt war, die berühmte „Emser Depesche“, in der Bismarck den Ton der Antwort Wilhelms I. an den französischen Botschafter verschärft, so dass Frankreich Preußen den Krieg erklärt, der vom 19. Juli 1870 bis zum 26. Februar 1871 dauerte

In diesem Krieg siegten die Truppen des Norddeutschen Bundes sowie die der Staaten aus dem Süden schnell und unbehindert über die Franzosen. Die Deutschen benützen moderne Kampftechnik, sie konzentrieren ihre Truppen rasch mit Hilfe des deutschen Eisenbahnnetzes, benützen den Telegrafen und eine moderne und effiziente Artillerie, die von den Kruppwerken geliefert wurde. Nach nur einem Monat Kampfhandlungen, vom 6. August 1870 - Sieg der Deutschen bei Froeschwiller und Forbach; 27. Oktober 1870 Kapitulation von Gen. Bazaine bei Metz – kapituliert das französische Heer und der Kaiser persönlich nahm bei Sedan am 1./2. September 1870 Napoleon III. gefangen. Napoleon III. geht ins Exil nach England.

In Paris setzen die Kammern den Kaiser ab und ernennen eine Regierung, die den Krieg weiterführen soll. Zwischen dem 19. September 1870 und dem 28. Januar 1871 belagern die preußischen Heere Paris. Am 28. Januar kapituliert Paris. Besiegt, verlangen die Franzosen einen Waffenstillstand. Am 10. Mai 1871 wird in Frankfurt am Main der Frieden geschlossen. Frankreich verzichtet zugunsten Deutschlands auf das Elsass und auf den deutschsprachigen Teil Lothringens und muss Deutschland eine Kriegsentschädigung von 5 Milliarden Francs bezahlen.

Durch Verträge zwischen dem Norddeutschen Bund und den Süddeutschen Staaten vom 15.-25. November 1870 wurden diese Mitglieder des Norddeutschen Bundes. Die Verträge traten am 1. Januar 1871 in Kraft.

Am 18. Januar 1871 wird Wilhelm I. in Versailles durch Ludwig II. von Bayern im Namen der deutschen Fürsten zum Deutschen Kaiser Wilhelm I. proklamiert. Mit dem Ausruf des Deutschen Reiches ist die deutsche Einheit entsprechend der „kleindeutschen“ Lösung vollständig.

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Das Deutsche Reich von 1871 bis 1914

Das am 18. Januar 1871 in Versailles proklamierte Deutsche Reich war ein föderativer Staat und eine konstitutionelle Monarchie, gebildet aus 25 Mitgliedstaaten (22 Monarchien und 3 Freistädte), die einen Teil ihrer Souveränität bewahrten, eigene Verfassungen, Regierungen, Parlamente und eigene Herrscher hatten. Preußen wahr dominant, denn es besaß zwei Drittel des Gebietes und drei Fünftel der 40 Millionen Einwohner des Reiches. Größere Staaten waren Bayern mit 5 Millionen Einwohnern, Sachsen, Württemberg und Baden. Elsass und Lothringen bildeten eine einzige Provinz, die von zentralen Behörden des Reiches direkt abhängig war.

1. Das politische Regime. Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung

Die politischen Institutionen des Deutschen Reiches versuchten den geerbten Partikularismus der deutschen Staaten mit der Notwendigkeit der Bewahrung und Konsolidierung der deutschen Einheit auszusöhnen. Der Architekt des ganzen Systems war der Reichskanzler Otto von Bismarck. Der Bundesstaat hatte die Außenpolitik, die Heeresleitung und die Wirtschaftspolitik als Befugnisse. An der Spitze des Reiches stand ein Präsidium (die Krone Preußens) mit dem Titel Deutscher Kaiser, der gleichzeitig auch König von Preußen war.

Die Bundesverfassung sah vor, dass die gesetzgebende Gewalt auf Bundesebene von einem Zweikammerparlament ausgeübt wurde. Die erste Kammer, der Bundesrat, war aus den Vertretern jedes Staates, im Ganzen 58 Vertretern, gebildet, die aufgrund der lokalen Wahlsysteme gewählt wurden. Dieser erhielt Gesetzgebungs- Verordnungs- und Aufsichtsrechte. Die 17 preußischen Vertreter hatten aber Vetorecht. Die zweite Kammer, der Reichstag (397 Mitglieder), wurde durch allgemeine Wahlen im ganzen Reich gewählt. Dieser hatte das Abstimmungsrecht über alle Gesetzesvorlagen sowie die Bewilligung des jährlichen Reichshaushaltes, den Bismarck aber in das „Septennat“ (Etatbewilligung für jeweils sieben Jahre) umwandelte. Überraschenderweise hat Bismarck trotz seiner konservativen Auffassungen das allgemeine Wahlrecht eingeführt, um den Reichstag manövrieren zu können und ihn gegen den eventuellen Partikularismus der Staaten auszunützen. Durch das allgemeine Wahlrecht wollte der Kanzler eigentlich nicht die Erweiterung der Demokratie, sondern die Einheit des Reiches stärken und die lokalen Partikularismen beseitigen. Der demokratische Charakter des Reichstages wurde durch den Bundesrat neutralisiert, besonders durch die Tatsache, dass die Bundesregierung dem Parlament nicht verantwortlich war.

Dem Kaiser stand in der Ausübung der Exekutive der Bundeskanzler bei, der seinerseits die Staatssekretäre als Leiter der Ministerien ernannte. Obwohl das Parlament die Gesetze beschloss, war der Reichskanzler nicht dem Parlament, sondern allein dem Kaiser verantwortlich. Er konnte durch die Wahl der Abgeordneten nicht gestürzt werden. Dies unterschied die Regierung in Deutschland von der in Großbritannien. In Deutschland kann man

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nur von einem beschränkten, konstitutionell-monarchischen Regime sprechen. Es war keine parlamentarische Monarchie wie in England.

Der konservative Charakter der Regierung wird durch die Landtage der Mitgliederstaaten noch stärker betont, die bedeutende Kompetenzen hatten und deren Mitglieder aufgrund des Zensus gewählt wurden. Die Wähler dieser Staaten wurden in Wahlkollegien eingeteilt, wie es besonders in Preußen der Fall war. Nur die Staaten mit einer liberaleren Tradition wie Baden, Bayern und Württemberg führen nach 1900 das allgemeine Wahlrecht auch für ihre Landtagswahlen ein.

Bis zum ersten Weltkrieg erlebt das Deutsche Reich eine bedeutende soziale und wirtschaftliche Entwicklung und holt so den Rückstand auf, den es England gegenüber hatte, aufgrund eines schnelleren industriellen Entwicklungsrhythmus auf. Die Bevölkerungszahl stieg zwischen 1871 und 1914 von 40 Millionen auf fast 70 Millionen Einwohner, und die Kohleproduktion von 30 Mio. Tonnen auf 280 Mio. Tonnen. Deutschland wird die zweite Industrie- und Handelsmacht der Welt und hat gleichzeitig auch das stärkste Heer. Deutschland bedroht sogar die Seeherrschaft Englands, gründet ein eigenes Kolonialreich und dehnt seinen finanziellen Einfluss durch Kapitalexporte auf den Balkan, in die Türkei und in den Mittleren Orient aus.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich besonders die deutsche Textilindustrie. Jetzt gewinnt die Kohleförderung, ebenso die Eisenhüttenindustrie, der Maschinenbau, der Bau von Transportmitteln und von Waffen an Bedeutung. Nach 1890 entwickeln sich auch die Elektrotechnische und Chemische Industrie, die von den zahlreichen wissenschaftlichen Entdeckungen der deutschen Labore unterstützt wurde. Die deutsche Industrie war besonders eng konzentriert, diesbezüglich waren ihr nur die amerikanischen Monopole voraus. Riesige Konzerne wie Krupp, Thyssen oder Siemens kontrollierten die Produktion ganzer wirtschaftlicher Zweige. Es bildet sich eine starke Oligarchie der Industriellen und der Bankiers, die einen großen Einfluss auf das politische Leben Deutschlands hatten. Die deutsche Weltpolitik, die Kolonial- und Seepolitik nach 1890 stand in enger Beziehung mit den wirtschaftlichen Interessen der finanziell-industriellen Oligarchie.

Die industrielle Entwicklung hat auch bedeutende soziale Veränderungen hervorgerufen. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs lebten zwei Drittel der deutschen Bevölkerung in Städten. Sie hatten die ländlichen Regionen aus dem Osten verlassen, um in der Stadt ihr Glück zu suchen. Im Jahre 1914 lebten fast 10 Millionen Arbeiter, die in den Ballungszentren um Berlin, im Zentrum von Deutschland und im Ruhrgebiet konzentriert waren.

2. Die politischen Parteien

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Im politischen Leben Deutschlands spielten die Parteien damals eine kleinere Rolle, weil die Regierung dem Parlament nicht verantwortlich war. Der Wunsch, dem Reich einen einheitlichen Charakter zu geben, hat dem politischen Regime einen autoritären Charakter verliehen. Deshalb verlangten die liberalen, radikal-bürgerlichen und sozialistischen Gruppierungen permanent die „Parlamentarisierung“ der Regierung, d.h., dass das Parlament seine politische Kontrolle über die Regierung ausübte, so wie dies in England und in Frankreich der Fall war.

Mit Ausnahme der sozialdemokratischen Partei gab es im Jahre 1871 keine politischen Parteien, die in ganz Deutschland tätig gewesen wären. Es gab nur lokale Parteien in den verschiedenen Staaten. Das Bundessystem hat die Vereinheitlichung der politischen Parteien verzögert, weil die Landtagswahlen eine so große Rolle spielten.

In Deutschland gibt es zu dieser Zeit mehrere politische Parteien. Die stärkste war die National-liberale Partei, die bis zum ersten Weltkrieg als Teil der Regierungsmehrheit aktiv blieb. Diese Partei praktizierte aber einen extrem gemäßigten Liberalismus. Dieser war von der deutschen autoritären Tradition gekennzeichnet. Mit der Zeit orientieren sich die Nationalliberalen immer mehr nach rechts und verzichten auf die Idee der Parlamentarisierung der Regierung. Sie vertraten den Protektionismus, unterstützen die kaiserliche Politik und widersetzen sich den konstitutionellen Reformen. Sie verbünden sich mit den Konservativen gegen die Arbeiterbewegung und gegen alle linksorientierten Bewegungen. So wird diese Partei eine natürliche Stütze der Regierung, da sie die Interessen des großen Industrie- und Finanzbürgertums vertritt.

Enttäuscht von dieser Politik, spaltet sich der linke Flügel der Liberalen von dieser Partei ab. Sie bilden die Gruppierung der fortschrittlichen Liberalen, bis im Jahre 1910 alle Linksliberalen in einer Partei, in der Fortschrittlichen Volkspartei zusammengefasst wurden. Diese „Mitte-Links“-Partei, die dem eigentlichen Liberalismus näher steht, setzt sich für die „Parlamentarisierung“ der Regierung ein, ist für den Freihandel und arbeitet mit den Sozial-Demokraten zusammen (Friedrich Naumann).

Die Konservativen bilden eine Partei, die den lokalen Traditionen und Dynastien nahe steht. Sie sind in Preußen besonders stark und stützen sich auf die Aristokratie der Junker, und generell auf die ländliche Bevölkerung, die im Bereich der Innenpolitik reaktionär ist, den Protektionismus bejaht und sich für eine größere kaiserliche Autorität ausspricht. Zusammen mit den rechtsorientierten Sozial-Liberalen bilden sie die politische Basis für alle Kanzleien.

Die vierte Partei war die katholische Zentrumspartei, die als eine Vorgängerin der heutigen Christdemokraten betrachtet werden kann. Ursprünglich war die Zentrumspartei die katholische Partei aus Preußen. Sie war sehr stark im Rheinland vertreten. Nachträglich

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vereinigte sie sich mit anderen katholischen Parteien, besonders mit jenen aus Bayern und anderen Regionen aus dem Süden Deutschlands. Unter den Umständen in denen die Katholiken in Deutschland nur eine Minderheit bildeten (35%), und die Partei den Katholizismus als Grundlage hatte, war diese Partei allen sozialen Klassen geöffnet. Nach 1890 wird sie eine moderne Volkspartei, geführt vom mittleren Bürgertum, dessen Ziel die vollständige soziale und politische Integrierung der Arbeiterklasse war. Dieses Ziel wurde aber nicht vom Staat oder den Sozialisten vollzogen, sondern von der katholischen Kirche. Die Zentrumspartei benützt die philanthropische Berufung der Kirche, den Armen behilflich zu sein und die Hilfsbereitschaft der Gläubigen zugunsten einer effizienten sozialen Politik einzusetzen, die der modernen, industrialisierten Gesellschaft angepasst war.

Schließlich erwähnen wir die Sozialdemokratische Partei als Partei der deutschen Arbeiterschaft, die Dank der industriellen Entwicklung zahlenmäßig stark angewachsen war. Die sozialistischen Gruppierungen hatten in der Heimat von Marx und Engels eine langjährige Tradition. Im Jahre 1875 hatten sich diese Gruppierungen in eine einzige Partei mit marxistischer Orientierung vereinigt. Bis zum Jahre 1890 wurde diese Partei systematisch von den Behörden bekämpft. Nach diesem Datum nehmen die deutschen Sozialdemokraten, unter dem Einfluss der Theorien von Eduard Bernstein, eine Reform-Haltung ein. Sie verzichten auf die marxistische Idee des Klassenkampfes und der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft und konzentrieren sich auf konkrete materielle Vorteile für die Arbeiter. Die Sozialdemokraten verlangen auch die Reform des politischen Regimes in einem demokratischen und liberalen Sinn. Diese pragmatische, gemäßigte Linie erzielte einen großen Erfolg, so dass die Sozialdemokraten nach 1910 die stärkste Partei des Reichstages wurden, wo sie ein Drittel der Sitze einnahmen.

Neben diesen fünf großen Parteien gab es auch kleinere politische Formationen wie die Konservative Reichspartei, die Christlich-Soziale Partei, eine evangelische Antwort auf die Zentrumspartei, die Agrarische Partei, die Antisemitische Partei oder die Parteien der ethnischen Minderheiten, der Elsässer, der Dänen oder der Polen. Man kann den Schluss ziehen, dass der klassische Liberalismus in Deutschland eine fast unbedeutende Nebentendenz darstellte, beeinträchtigt von den Ansprüchen des starken Staates, der nationalistischen Ideologie und der Interessen der deutschen Industriellen, der Agrarier, der Arbeiter und des politischen Katholizismus. Dies sollte gravierende Folgen auf die demokratische Entwicklung Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg haben.

3. Die Regierung Bismarck zwischen 1871-1876. Der Kulturkampf

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Kaiser Wilhelm I., der bis 1888 herrschte, hat das Amt des Reichskanzlers Otto von Bismarck anvertraut, der dieses Amt bis zum Jahre 1890 ausübt und mit starker Hand die Innen- und Außenpolitik des Deutschen Reiches leiten und auf internationaler Ebene in Europa tonangebend sein wird.

Nach der Reichsgründung hatte der Kanzler als Hauptziel die Konsolidierung der Reichseinheit verfolgt. Im Inneren bekämpft er jede zentrifugale, dem Saat schadende Tendenz. Bismarck sieht überall Feinde des Reiches, die er überhaupt bei allen politischen Kräften identifiziert, deren Hauptanhaltspunkt nicht die Staats- und Kaisertreue war und die auch andere Sympathien und Anknüpfungspunkte hatten. Weil die vom Ideal der deutschen Einheit besessenen deutschen Nationalliberalen sehr staatstreu und viel „nationaler“ als „liberal“ und bürgerlich waren, arbeitete Bismarck mit diesen zusammen. Er führte aber einen gnadenlosen Krieg gegen die Minderheit der Elsässer und Polen, gegen die Katholiken und gegen die Sozialisten, in denen er eine Gefahr für die deutsche Einheit sah.

In der ersten Etappe seiner Regierungszeit, zwischen 1871 und 1876, stützte sich Bismarck besonders auf die Nationalliberalen. Mit ihnen zusammen eröffnete er einen Kampf gegen den Katholizismus und dessen politischen Vertretung, das Zentrum, das sich dem Zentralismus und dem preußischen Autoritarismus widersetzte. Es ist der sog. Kulturkampf, den Bismarck als einen Kampf des Fortschrittes und der weltlichen Kultur gegen den Obskurantismus der katholischen Kirche darstellte. Die Bemühungen zur Verweltlichung des Staates und des Ausschaltens des ideologischen Einflusses der katholischen Kirche war eine Konstante des europäischen Liberalismus. Man kann sie auch in der Schulpolitik von Jules Ferry in Frankreich sowie in der Durchsetzung der religiösen Gleichheit durch Gladstone in England wiederfinden. Bismarck benützte aber diese allgemeine Idee des Liberalismus nur, um ein besonderes Element der Gesellschaft zu bekämpfen, das er für den Staat als gefährlich hielt.

Bismarck hatte die Jesuiten des Landes verwiesen, die Klöster geschlossen, den Unterricht dem Einfluss der Kirche entzogen, die zivile Ehe verpflichtend gemacht und von den Geistlichen verlangt, sich der Kontrolle des Staates zu unterstellen, und zwar als dessen Beamte. Auch versuchte man die Verbindungen des Klerus mit der Kurie und dem „polnischen Reichsfeind“ zu unterbinden. Im Jahre 1876 wurden alle katholischen Bischöfe in Preußen, die sich anzupassen geweigert hatten, verhaftet oder ausgewiesen. Ein Viertel der Pfarreien blieben unbesetzt. Trotzdem war der Kulturkampf für Bismarck ein Misserfolg. Die Katholiken widersetzten sich den Verfolgungen und die Zentrumspartei wurde als Symbol des Widerstandes immer populärer. Klerus, Kirchenvolk und Zentrum waren die Träger dieses Widerstandes. Sogar die mehrheitlichen Lutheraner protestieren gegen die antiklerikalen Maßnahmen, die sie als einen Angriff auf die Religion im Allgemeinen empfanden. Letztendlich

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wurden die Beziehungen zwischen Staat und Katholischer Kirche in den achtziger Jahren wieder aufgenommen.

4. Die Sozialpolitik Bismarcks (1878-1890)

Zwischen 1878 und 1890 konzentriert sich Bismarck auf einen noch gefährlicheren Gegner, die Sozialisten. Bismarck warf diesen „Internationalismus“ vor, sowie die Tatsache, dass sie sich um das Wohl einer einzigen sozialen Klasse, nämlich die Arbeiterschaft kümmerten, anstatt um das Wohl der gesamten Nation. Er fürchtete, dass der Sozialismus die Loyalität der Arbeiterschaft ablenken könnte.

Im Jahre 1878 lässt Bismarck ein außerordentliches Gesetz gegen die Sozialisten beschließen, das „Sozialistengesetz“. Alle Organisationen, Versammlungen und jede sozialistische Propaganda (Presse) wurden verboten. Trotzdem schickten die Sozialisten auch weiterhin Abgeordnete in den Reichstag, und zwar in immer größerer Zahl. Diese stellten sich als Unabhängige zur Wahl. Gegen die Sozialisten setzte Bismarck aber zwei Waffen ein. Die eine war die Repression, aber effizienter waren die sozialen Reformen und die Begünstigung der Arbeiterschaft. Ab dem Jahr 1881 betreibt Bismarck den sog. Staatssozialismus, eine Reformpolitik zugunsten der Arbeiter, die den Zweck hatte, diese dem Einfluss der sozial-demokratischen Parteien zu entziehen. Das Ziel Bismarcks war, dass der Staat selbst die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter verbessern solle und sich so die Gunst der Arbeiter sichern könne. Auf diese Art sollte er auch die Kontrolle über die Arbeiterschaft ausüben. Bismarck wünschte, dass sich die Arbeiterschaft vom Sozialismus in gleicher Weise trennen solle wie auch das Bürgertum vom Liberalismus.

Allen europäischen Staaten voran führte der Kanzler zwischen 1883 und 1889 ein umfassendes Versicherungssystem für die Arbeiter ein: Sozialgesetze zur Krankenversicherung, 1883, Unfallversicherung, 1884, Alters- und Invalidenversicherung, 1889. Diese Gesetze werden als die größte innenpolitische Leistung Bismarcks angesehen. Sein Mitarbeiter bei der Durchführung dieser sozialen Politik war Thomas Lohmann (1831-1905). Diese Gesetze verpflichten die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, in die Rentenkassen Beiträge einzuzahlen. Der Staat beteiligte sich daran. Als Staatsrentner wurde das Interesse der Arbeiter an der Bewahrung der sozialen Ordnung wie auch der Stabilität des Staates geweckt. Auch wenn der deutsche Arbeiter nicht so gut bezahlt war wie sein englischer oder französischer Kollege, ist dem deutschen Arbeiter dafür sein Arbeitsplatz sowie seine Versicherung, im Alters- oder Krankheitsfall, viel sicherer.

Die deutsche Gesellschaft war im Allgemeinen bemüht, die Arbeiterschaft zu integrieren. Sogar das Bürgertum, von der Philosophie Hegels beeinflusst, ist sich der Rolle des

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Staates in der Gesellschaft bewusst und ist an der Beruhigung der sozialen Konflikte interessiert, damit die Nation ihre Einheit wahren kann. Die Arbeiter werden dabei unterstützt, sich in nationale Vereinigungen zu organisieren, deren Mitglieder sowohl aus den Reihen der Arbeitnehmer wie auch der Arbeitgeber kommen. Der Korpsgeist wie auch der Paternalismus des deutschen Bürgertums kennzeichnen die deutsche Gesellschaft.

Übrigens gab es in Deutschland eine wahre Konkurrenz, was die Integrierung der Arbeiter anbelangte. Im Unterschied zu der staatlichen Form Bismarcks, aber auch zu der marxistischen der Sozialdemokraten, haben die Gruppierungen der Katholiken, der christlich-sozialen Lutheraner und der sog. „Kathedersozialisten“ die Forderungen der Arbeiter unterstützt. Diese wollten aber, dass die Integrierung der Arbeiter nicht zu einer Stärkung der Autorität des Staates führen sollte. Die Linksliberalen waren Anhänger der Unterstützungsinstitutionen, sie hatten das Recht der Arbeiter auf Streik und Vereinigung befürwortet, mit dem Argument, dass den Arbeitern bei ihrer Selbstfindung geholfen werden muss, damit sie nicht von der Autorität des Staates oder irgendeiner anderen interessierten politischen Macht bevormundet würden.

Zwischen 1878 und 1890 stützte sich Bismarck besonders auf die Konservativen, dann auch auf die Nationalliberalen. In der Wirtschaft verfolgt er einen protektionistischen Kurs, wie Schutzzollpolitik, ab 1879, und ein neues Steuer- und Zollgesetz belegen.

5. Wilhelm II. und die Politik des „neuen Kurses“ (1890-1914)

1888 besteigt Wilhelm II. (1888-1918) den Thron. Der neue Kaiser will eine Weltpolitik führen und verzichtet auf die weiteren Dienste Bismarcks.

Mit dem neuen Kanzler Georg von Caprivi (1890-1894) führt er eine noch stärker sozial ausgerichtete Politik als Bismarck, gestützt auf die Zentrums-Partei. Die immer größere werdende Macht der Sozialdemokraten zwingt ihn, diesen Kurs auf zu geben, so dass zwischen 1894-1900, während der Kanzleramtszeit von Fürst Hohenlohe die Konservativen wieder die Tonangebenden in der Regierung sind. Die Schwankungen Wilhelms hören hier aber nicht auf. Sie werden nicht nur von der unberechenbaren Psyche des Kaisers entfacht, sondern auch von der Unvereinbarkeit eines autoritären Regimes mit einer außergewöhnlichen industriellen und sozialen Modernisierung Deutschlands. Die Ablehnung eines klaren liberalen und demokratischen Kurses im Lande mit dem größten und besonders eng verbundenen Proletariat der Welt, hat zu vielen Widersprüchen in der deutschen Gesellschaft geführt.

Zwischen 1900 und 1909 kehrt Kanzler von Bülow wieder zur demagogischen Staatspolitik zurück und macht den Arbeitern neue Konzessionen. Er liberalisiert das Recht der

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Arbeiter auf Versammlungen und Zusammenschlüssen und baut das System der sozialen Versicherungen weiter aus. Kanzler Bethmann-Hollweg (1900-1917) führt diese Politik weiter, die aber immer ineffizienter wird. Die Mitte-linksorientierten Parteien verlangen vehement die Reformierung des politischen Systems, in erster Linie die „Parlamentarisierung“ der Regierung, was zu einer echten Demokratisierung führen soll. Nach 1912 bildet sich im Reichstag eine Mitte-Links-Mehrheit, die aus den Sozialdemokraten, der Fortschrittlichen Volkspartei und dem Zentrum gebildet wurde. Ihr Ziel ist die parlamentarische Demokratie. Am Vortage des Krieges befand sich das Reich vor einer Verfassungskrise. Auf sozialer Ebene war zu erkennen, dass trotz der Bemühungen einer Integration der Arbeiter, diese eher unter dem Einfluss der Reformsozialisten, als unter dem des väterlichen Staates standen.

Die Politik des „neuen Kurses“ durch Wilhelm II. äußert sich aber umso eindrucksvoller auf außenpolitischer Ebene. Während Bismarck eine defensive europäische Politik geführt hatte, Verbündete und Bündnisse suchte, was die Stabilität auf dem Kontinent bewahren sollte, verfolgte Wilhelm II. den Ehrgeiz einer Weltpolitik als einer See- und Kolonialpolitik. Wilhelm behauptete, dass sich die Zukunft Deutschlands sich auf dem Meer befinde.

Seine Ideen wurden in Deutschland begeistert aufgenommen. Der Erfolg von 1871 sowie die wirtschaftliche Entwicklung nach 1890 verführte die Deutschen zu einem Gefühl von Nationalstolz, eine Tatsache, die für eine Zeit, in der die nationalistischen Ideologien dominierten, gleichsam verständlich, ja natürlich war. Historiker wie Droysen, Treitschke und Sybel verherrlichten die preußische Tradition und suchten nach neuen Rechtfertigungen für die zivilisatorische Rolle der Deutschen in aller Welt. Es entwickelt sich jetzt eine pangermanische, „alldeutsche“ Bewegung, die die Notwendigkeit Deutschlands zum Erwerb größerer Räume für seine zahlreiche und dichte Bevölkerung propagiert. Auch wird die Notwendigkeit der Erschließung von neuen Absatzmärkten und neuen Rohstoffquellen für die Industrie immer lauter gefordert. Der Pangermanismus wünscht die Integrierung aller von Deutschen bewohnten Gebiete ins Reich. Gleichzeitig strebt er eine Expansion im Osten Europas und eine Ausweitung des deutschen Kolonialreiches an.

Allerdings ist dieser Pangermanismus von der Ideologie des späteren Nationalsozialismus zu unterscheiden. Er hatte keine rassischen Akzente. Er integrierte sich in die imperialistischen Nationalismen der Epoche und nährte sich an den pragmatischen Notwendigkeiten der kolonialen Expansion. Er unterschied sich dagegen nur wenig vom Imperialismus Englands und Frankreichs.

Die Außenpolitik Wilhelms wird von der Waffenindustrie und dem Militär stark beeinflusst. Die defensiven Kriegspläne von Moltke Senior aus dem Jahre 1875 bekommen jetzt einen offensiven Charakter, sie sind das Werk des Generals Schlieffen. Der Staatssekretär der Marine, Admiral von Tirpitz, beschleunigt den Ausbau der Kriegsflotte, die aus wirtschaftlichen

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Gründen von allen deutschen Industriellen gewünscht wurde. Diese Aktivitäten führten aber zu einem Bruch mit England und machten ein Verständnis unmöglich. Schritt für Schritt nähert sich Deutschland und Europa einem Krieg, der für Deutschland dramatische Folgen haben sollte.

3. Die österreichisch-ungarische Monarchie

Nach der Niederlage Österreichs bei Königgrätz/Sadowa im Krieg mit Preußen, im Jahre 1866, ist Österreich endgültig aus Deutschland und aus Italien, seinen traditionellen Einflusssphären, ausgeschlossen. Der Zusammenbruch jeder Hoffnung, ein Großdeutschland unter österreichischer Hegemonie zu gründen, benachteiligte die zehn Millionen deutschen Österreicher im Vergleich mit der massiven slawischen und ungarischen Bevölkerung des Reiches. Unter solchen Umständen, mit einem fast vernichteten Herr und ruinierten Finanzen, sucht Österreich eine neue Organisationsform. Dies setzte zuerst eine Verständigung mit den Ungarn voraus, die ihre Stellungen in Wien hartnäckig verteidigten. Gleichzeitig bildeten die Ungarn, nach den Deutschen, die bedeutendste politische und ethnische Gruppe der Monarchie.

Die Verhandlungen zwischen Reichskanzler Beust und den Führern der ungarischen liberal-gemäßigten Opposition – Deák und Andrássy – führten im Jahre 1867 zum Ausgleich, durch den der Kaiser das Recht Ungarns auf eine eigenstaatliche Existenz anerkennt. Das Reich trägt nun den Namen Österreichisch-Ungarische Monarchie und ist aus den zwei Teilen, Österreich und Ungarn, gebildet. Es wurde und wird auch heute noch in der Geschichtsschreibung die Habsburgermonarchie genannt. Der österreichische Teil Zisleithanien war aus den „im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern“ gebildet, während der ungarische Teil, Transleithanien, aus den „Ländern der Ungarischen Krone“ gebildet war.

Die beiden Staaten hatten denselben Herrscher, der zur gleichen Zeit Kaiser von Österreich und König von Ungarn war, sowie auch drei gemeinsame Ministerien, wie schon oben erwähnt: die äußeren Angelegenheiten, Heer und Finanzen. Diese drei Ministerien wurden von einer gemischten österreichisch-ungarischen Delegation betreut (je 60 Mitglieder des österreichischen bzw. des ungarischen Parlamentes). Diese Delegation tagte abwechselnd in Wien und in Budapest. Auch wurde alle zehn Jahre ein Vertrag unterschrieben, der die gemeinsamen Ausgaben regelte und den Beitrag eines jeden Partners an dem gemeinsamen Budget bestimmte. Nach andauernden Verhandlungen wurde im Jahre 1867 das Verhältnis auf 70% Österreich und 30% Ungarn festgesetzt.

Abgesehen davon hatte ein jeder dieser beiden Staaten seine eigene Hauptstadt, Parlament, Gesetzgebung, Regierung und Regionalverwaltung. Dies führte zur Vertiefung der Unterschiede zwischen den beiden Teilen der Monarchie.

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4. Das politische Leben in den zwei Reichshälften

In Zisleithanien existierte seit 1868 ein repräsentativ funktionierendes konstitutionelles Regime mit einem Zweikammerparlament, die allgemeinen Rechte und Freiheiten der Bürger waren garantiert. Dazu kam auch das Recht der verschiedenen Minderheiten ihre Identität und Sprache zu bewahren. Trotzdem war der liberale Charakter des Regimes durch das Recht der Regierung durch Dekrete zu regieren und die großen Befugnissen des Kaisers schon beeinträchtigt. Das Wahlsystem teilte die Wähler in 4 Kollegien ein, die Kurien genannt wurden, je nach der Beschäftigung und dem sozialen Stand der Wähler. Der Zensus und der ungleiche Charakter der Vertretungsform sicherten den Vorrang der Grundbesitzer und des Bürgertums.

Zisleithanien hatte eine dezentralisierte Verwaltung, die fast föderativ war. Es bestand aus den 17 traditionellen historischen Provinzen (acht Nationen, 15 Kronländer) die über eine gewisse Autonomie verfügten. Ein jedes hatte einen „Landtag“. Solche „im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ waren Nieder- und Oberösterreich, Tirol, Kärnten, Steiermark, Böhmen, Mähren, Galizien und die Bukowina. Die Abgeordneten der Landtage wurden von den in vier Kurien eingeteilten Wählern gewählt. Ihrerseits wählten die Landtage die Abgeordneten für den Reichstag in Wien.

Das politische Leben in Österreich war stark zersplittert, denn im Reichstag waren alle Provinzen und alle Nationalitäten vertreten, die eigene Parteien und Parlamentsgruppen bildeten. Ursprünglich aber unterscheidet man zwei politische Richtungen, die in der vorangegangenen Zeit ihren Ausgang nahmen: die zentralistischen Liberalen und die föderalistischen Konservativen. Die Zentralisten, die sich hauptsächlich auf die deutsche Bürokratie und das deutsche Bürgertum stützten, wünschten sich ein einheitliches, aber auch liberales Regime. Der österreichische Adel wünschte sich dagegen, mit Unterstützung des tschechischen und des polnischen Adels, die Anerkennung der historischen Rechte der Staaten und ein föderalistisches Österreich.

Kaiser Franz Josef I. (1848-1916) hat sich nie für eine der beiden Richtungen festgelegt, obwohl er mehr mit Hilfe der Konservativen regierte. Die Liberalen haben die meisten Regierungen bis 1879 dominiert. Danach mussten sie aber auf die Macht verzichten. 1879 bis 1893 war die lange konservative Regierungsperiode des Eduard Taafe, der mit dem „eisernen Ring“ einer katholisch-konservativen-slawischen Koalition regierte und eine Reihe von Maßnahmen zugunsten des Tschechischen im öffentlichen Leben durchführte, sowie ein soziales System nach dem Muster Bismarcks durchsetzte.

Nach 1894 zeichneten sich infolge der Industrialisierung und der Demokratisierung der Gesellschaft neue politische Tendenzen ab, die sich im Parlament durchsetzen, die

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traditionellen Parteien beeinflussten und die Stabilität des Regimes in Gefahr setzten. Es treten jetzt die Nationalitäten mit ihren Ansprüchen auf, wie die Partei der „Jungtschechen“ oder die „Realistische Partei“ aus Böhmen, geleitet von Thomáš Masaryk, die sich der gemäßigten Politik der „alten Tschechen“ widersetzten. Den Nationalitäten widersetzte sich die Deutschnationale Partei von Schönerer, der das Deutschtum Österreichs pries und für eine Vereinigung mit Deutschland plädierte. Gleichzeitig bediente er sich auch einer antisemitischen und antikatholischen Rhetorik. Die Katholiken wurden besonders von der christlich-sozialen Bewegung Vogelgesangs vertreten.

Im Jahre 1906 führt der Wiener Hof das allgemeine Wahlrecht ein, um die nationalistischen Gruppierungen – sowohl die der Deutschen wie auch die der Nationalitäten – zu schwächen. Diese Reform sollte die Massenparteien, konfessionelle wie auch sozialistische, stärken und folglich die nationalen Streitigkeiten beseitigen oder wenigstens schwächen. Die Hauptnutznießer des allgemeinen Wahlrechts waren die (katholische) Christlich Soziale Partei von Karl Lueger, der eine antisemitische und antikapitalistische Demagogie führte, die im Volke Zustimmung fand, wie auch die Sozial-Demokratische Partei (mit reformistisch marxistischen Tendenzen), die von Viktor Adler und Otto Bauer geführt wurde und in der Arbeiterschaft immer mehr Zustimmung gewann. Trotzdem gelingt es Österreich nicht, den deutsch-slawischen Antagonismus zu überwinden, der besonders in Böhmen stark geblieben ist.

Nach 1867 hat sich auch in Ungarn eine parlamentarisch-konstitutionelle Regierung durchgesetzt, die die individuellen Rechte der Bürger garantierte. Der Zensus sicherte auch hier dem hohen Adel die Vorherrschaft, der größtenteils magyarisch war. Im Unterschied zu Österreich hatte Ungarn aber eine zentralisierte Verwaltung durchgesetzt – eine Ausnahme bildete das Königreich Kroatien mit seiner Autonomie –, hat den Nationalitäten aber nicht das kollektive Vertretungsrecht als einer nationalen Entität gewährt, so wie es die Vertreter der Minderheiten verlangten. Mit dem Hinweis, dass fast die Hälfte Ungarns aus Magyaren bestand, verfolgten die Führer Ungarns die Bildung einer homogenen Nation mit Hilfe der Schule, durch die Erziehung der Minderheiten im Sinne einer loyalen Haltung gegenüber dem Staate, aber auch durch die Begünstigung der ethnischen Assimilation, besonders der Eliten. Dieser Politik war aber ein Misserfolg beschieden, sie führte nur dazu, dass die Loyalität der Nationalitäten wie Rumänen, Serben und Slowaken dem ungarischen Staate gegenüber immer schwächer wurde.

Zwischen 1867 und 1875 wird Ungarn von den liberal-gemäßigten, traditionalistischen Politikern unter Deák Ferenc (Chef der Verfassungspartei) und dem ersten ungarischen Unterrichtsminister Baron Joseph v. Eötvös, (Graf Gyula Andrassy war Ministerpräsident zwischen 1867-1871 und zwischen 1871-1879 österreichisch-ungarischer Außenminister) regiert, die den Kirchen und den konfessionellen Schulen der nationalen Minderheiten eine

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Reihe von Garantien zugestanden haben. Zwischen 1875 und 1890 sind die Liberalen unter der Leitung von Tisza Kálmán an der Regierung. Diese stärken den institutionellen Rahmen der Regierung und führen eine Magyarisierungspolitik, ohne auf großen Widerstand der Nationalitäten zu stoßen, eben weil diese sich in einer nicht zu beneidenden wirtschaftlichen und sozialen Lage befanden. Sein Nachfolger an der Regierung, Bánffy Deszö, betont die nationalistische Orientierung, was aber die Reaktion der Nationalitäten hervorruft, die unterdessen eine bessere soziale und wirtschaftliche Position erreicht hatten.

Nach 1900 widersetzt sich die Unabhängigkeitspartei, die eine größere Distanzierung von Wien wünscht und ein eigenes ungarisches Heer fordert, den Liberalen in der Regierung immer mehr. Zwischen 1906 und 1910 gelingt es der Unabhängigkeitspartei, verbündet mit den Konservativen an die Macht zu gelangen und die Beziehungen zu Wien, das die Einheit des Reiches und des Heeres bewahren wollte, über Gebühr zu strapazieren. Um die ungarischen Ansprüche zu mildern, droht der Kaiser mit dem allgemeinen Wahlrecht auch in diesem Teil der Monarchie, was zu einer Schwächung der Positionen der Magyaren gegenüber den Nationalitäten geführt hätte. Nach 1910 gelingt es aber Tisza Istvan, eine neue ungarische, liberale, moderne Partei aufzubauen, die er „Nationale Arbeitspartei“ nennt und die die Zusammenarbeit mit der Krone wieder aufnimmt und die Macht bis zum Ersten Weltkrieg bewahrt.

Die Geschichtsschreibung hat die Österreichisch-Ungarische Monarchie unterschiedlich beurteilt, und zwar entweder idealisierend oder dämonisierend. Man kann nicht bestreiten, dass die Monarchie sich während dieser Zeit wirtschaftlich gut entwickelt hat, dass sie eine gute Verwaltung mit qualitativ hochwertigen öffentlichen Dienstleistungen eingerichtet hat und dass Wien und Budapest zu den Kunst- und Kulturmetropolen der Zeit gehörten. Es ist auch eine Tatsache, dass die großen nationalen Widersprüche, die in Ungarn weniger zufrieden stellend gelöst wurden als in Österreich, zum Zusammenbruch dieses Reiches führten. Es stellt sich aber die Frage ob man unter jenen Verhältnissen überhaupt bessere Lösungen für eine so komplexe Situation gefunden hätte.

Die internationalen Beziehungen zwischen 1871 und 1914

Die internationalen Ereignisse aus den Jahren 1859 bis 1871 haben die im Jahre 1815 eingesetzte internationale Ordnung zutiefst erschüttert und ein neues europäisches Gleichgewicht hervorgebracht. Die nach dem Berliner Kongress von 1878 neu erschienene politische Konstellation, wie der europäische Kolonialismus, die Stärkung der Vereinigten

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Staaten von Amerika etc., haben das europäische System in ein Weltsystem umgewandelt. Die Ursachen, die das Gleichgewicht zwischen den Mächten hervorrufen oder, im Gegenteil, dieses Gleichgewicht stören, müssen jetzt im Bereich der internationalen Beziehungen gedeutet werden.

1. Das „System Bismarck“ (1871-1890)

Die Zeitspanne von 1871 bis 1890 war durch Stabilität und Gleichgewicht zwischen den europäischen Mächten kennzeichnet. Diesen Frieden verdankt Europa dem neuen System der internationalen Beziehungen, das der deutsche Kanzler Bismarck durchgesetzt hatte. Bismarck war der Ansicht, dass das Deutsche Reich die Grenzen seiner Expansion erreicht habe und widersetzte sich jeder zusätzlichen Erweiterung in Europa. Folglich hat er eine Politik der Neutralisierung der Konflikte und Spannungen in Europa betrieben.

Der Kanzler versuchte, jede Allianz gegen Deutschland zu verhindern und Frankreich zu isolieren, um zu verhindern, dass Frankreich seine Revanchepläne gegen Deutschland in die Tat um zu setzen könnte. Mit demselben Zweck hat Bismarck Frankreichs koloniale Politik unterstützt, was für Deutschland den Vorteil hatte, dass sich auch die Beziehungen zwischen Paris, einerseits, und London, beziehungsweise Rom, anderseits verschlechterten.

Das erste von Bismarck aufgebaute Sicherheitssystem stammt aus dem Jahre 1873. Weil zu jener Zeit Frankreich in einem möglichen Konflikt mit Deutschland nur mit der eventuellen Unterstützung Russlands und Österreich-Ungarns rechnen konnte, näherte sich Deutschland eben diesen potentiellen Feinden und schloss das „Drei-Kaiserbündnis“, das die drei Monarchien aus dem Zentrum und Südosten Europas vereinte. Um Österreich-Ungarn für sich zu gewinnen, unterstützte Deutschland dessen Politik auf dem Balkan, die einzige Zone, in der Österreich-Ungarn noch Einfluss ausüben konnte. Hier begegnete Wien aber dem Widerstand aus St. Petersburg, so dass sich Deutschland genötigt sah, eine vorsichtige, Russland schonende Politik zu führen und zwischen den beiden Mächten zu vermitteln.

Dieses Bündnis ist aber während des russisch-rumänisch-türkischen Krieges in den Jahren 1877/78 ins Wanken gekommen. Österreich-Ungarn wollte das Anwachsen von Russlands Einfluss in der Region verhindern und war sowohl wegen der Stärkung Serbiens, wie auch wegen der Gründung eines autonomen, unter russischem Einfluss und Schutz stehenden Bulgarien beunruhigt. Obwohl Österreich-Ungarn als Kompensation Bosnien-Herzegowina in Verwaltung gegeben wird, bleiben seine Beziehungen mit Russland gespannt.

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Trotz dieser Spannungen gelingt es Deutschland während des Friedenskongresses von Berlin im Jahre 1878 die Vermittlerrolle des „ehrlichen Maklers“ der europäischen Politik zu spielen. Es vermeidet, eine dominierende Rolle, was seine Beziehungen mit England und Russland verschlechtert hätte. Übrigens war dieser Kongress die letzte Begegnung der Vertreter der Großmächte im Rahmen einer Friedenskonferenz im Geiste der Tradition des Friedens von Westfalen, von 1648.

Die russisch-österreichisch-ungarischen Gegensätze veranlassten Bismarck, ein neues System auf die Beine zu stellen, das das alte Dreikaiserbündnis ersetzen sollte. Er wählte ein enges Bündnis mit Österreich-Ungarn, indem er 1879 den sog. Zweibund unterschreibt (1879). Später aber, unter dem Druck von Italien (Crispi), wird der 1882 Dreibund (1882) mit Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien gegründet. Es war ein defensives, gegen Frankreich gerichtetes Bündnis. Im Jahre 1883 tritt auch das Königreich Rumänien diesem Bündnis bei, weil Bukarest dringend einen Sicherheitspakt benötigte, der den Frieden in Zentraleuropa sichern und es Russland gegenüber schützen sollte. Obwohl Italien mit Österreich schwere Probleme wegen Triest und Südtirol hatte, trat es dem von Bismarck vorbereiteten Bündnis bei weil es mit der französischen Expansion im Norden Afrikas, in Tunesien, das es für sich in Anspruch nahm, nicht einverstanden war. Dieses von Bismarck konzipierte Bündnissystem wurde von einem britisch-italienischen Pakt (1887) begleitet, der die französische Expansion im Mittelmeerraum aufhalten sollte. Auf diese Art wurde Frankreich vollständig isoliert.

2. Die große koloniale Erweiterung Europas (1880-1914)

Mit den achtziger Jahren beginnt die letzte Etappe, die spektakulärste, der kolonialen Expansion Europas. Die größten Nutznießer dieser Expansion waren England, Frankreich und Deutschland. Bedeutende koloniale Gebiete werden aber auch von Italien oder Belgien erworben. Holland und Portugal erweitern ihrerseits ihre alten Kolonien, während Russland weitere Gebiete in Zentralasien und im Orient erobert. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts treten auch die USA und Japan diesem Wettlauf bei. Bis zum Ersten Weltkrieg sind ganz Afrika sowie Südostasien und Ozeanien unter die direkte koloniale Herrschaft Europas geraten.

Die Ursachen dieser kolonialen Expansion sind recht unterschiedlich. Der Sieg des Nationalitätenprinzips in Europa, nach 1870, sowie das politisch-militärische Gleichgewicht auf dem Kontinent, machten hier jede Gebietserweiterung unmöglich. Man konnte höchstens von einer Erweiterung der Einflusssphären in der noch unruhigen balkanischen Region sprechen. Folglich konnte jede territoriale Ausdehnung nur außerhalb des europäischen Raumes stattfinden.

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Dabei gab es noch die Notwendigkeit, sich neue Rohstoffquellen und Absatzmärkte für den Waren- und Kapitalexport zu sichern. Dies war umso notwendiger, als sich die Weltwirtschaft in einer protektionistischen Phase befand, in der jeder Staat bestrebt war, seine eigenen Handels- und Versorgungsrouten zu errichten. Der technologische Fortschritt, besonders im Bereich der Schifffahrt und der Landverbindungen, ermöglichten die wirtschaftliche Verwertung dieser Ressourcen und die Kolonisierung von bis dahin nur schwer zu erschließenden Gebieten.

Besonders wichtig war auch die ideologische Begründung, so zum Beispiel die Notwendigkeit der Erforschung des ganzen Planeten sowie der Wunsch, die als primitiv betrachteten Völker zu zivilisieren. Die Europäer waren überzeugter denn je von der Überlegenheit ihrer Zivilisation sowie von der Tatsache, dass die ganze Menschheit den von ihnen eröffneten Weg, den Weg des Fortschrittes und der Vernunft, beschreiten würde.

Schließlich gab es politische und wirtschaftliche Ursachen, die jedem Staat eigen waren und die bei der Entfaltung der Kolonisierung eine bedeutende Rolle spielten. Der koloniale Imperialismus stimmt überein mit dem Höhepunkt des Nationalismus sowie mit den Anfängen einer demokratischen Politik. Immer wenn eine Regierung ihren Wählern nicht mehr sehr viel auf dem Gebiet der inneren Politik anbieten konnte, hatte sie die Möglichkeit, auf die koloniale Expansion zurückzugreifen, die eine extrem beliebte Ablenkung darstellte. Die „Glorie der Nation“, sowie die Perspektive wirtschaftlicher Vorteile machten aus der Kolonialpolitik ein unausweichliches Thema der Innenpolitik und der Wahlkampagnen.

Diese Kolonialpolitik führte zu zusätzlichen Divergenzen zwischen den Großmächten, besonders dann, wenn es um neue, noch nicht aufgeteilte Gebiete ging. Die Anzahl der kolonialen Auseinandersetzungen ging aber sehr stark zurück, nachdem die meisten Gebiete aufgeteilt und die Besitze und Einflusssphären zwischen den Großmächten abgesteckt waren.

3. Die internationalen Beziehungen nach 1890 und die Gründung der rivalisierenden politischen und militärischen Blöcke

Mit der Entlassung Bismarcks aus dem Amt des Reichskanzlers im Jahre 1890 beginnt eine neue Etappe im Bereich der internationalen Beziehungen. Deutschland verzichtet auf die vorsichtige Politik Bismarcks und verlässt die Stelle des Moderators, des Vermittlers zugunsten einer weltweit aktiven Einstellung. Deutschland stürzt sich immer mehr in die See- und Kolonialpolitik, was zu schweren Interessenskonflikten mit England führte. Die Unterstützung, die Deutschland den Österreichisch-Ungarischen Interessen auf dem Balkan entgegenbringt, brachte ihm die Feindschaft Russlands ein. Gleichzeitig unterstützt das Deutsche Reich die

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Türkei wirtschaftlich und militärisch und finanziert den Bau einer Eisenbahnlinie bis Bagdad, die Linie Berlin-Bagdad.

Der neue Leiter der deutschen Außenpolitik hat bei der Beurteilung der internationalen Beziehungen mehrere große Fehler gemacht. Er glaubte nicht an die Möglichkeit eines Bundes zwischen dem autokratischen Russland und der Französischen Republik, eben wegen den großen Unterschieden zwischen den politischen Systemen der beiden Ländern, aber auch nicht an eine Einigung zwischen England und Frankreich wegen ihrer traditionellen kolonialen Streitigkeiten, noch zwischen Russland und England wegen ihrer seit dem Beginn des Jahrhunderts bestehenden Rivalität. Eben weil Deutschland auf die Politik Bismarcks verzichtet und nicht mehr die Isolierung Frankreichs verfolgt, den Interessen Englands und Russlands nicht gerecht wird, haben diese Mächte, England, Frankreich und Russland, ein gegen Deutschland gerichtetes Bündnis geschlossen.

1893 unterschrieben Russland und Frankreich einen defensiven Bündnisvertrag gegen Deutschland. Obwohl der Zar diesen Bund mit dem republikanischen Frankreich nur schwer akzeptiert, konnte sich Russland nicht erlauben, Deutschland und Österreich gegenüber isoliert zu bleiben. Russland brauchte aber auch dringend die französischen Kapitalanleihen, die dann in bedeutendem Maß seine industrielle Entwicklung finanzieren halfen, Eisenbahnbau, Ostasienpolitik etc.

Im Vergleich mit den anderen europäischen Mächten hatte England eine eigenartige Stellung, weil es im 19. Jahrhundert des Öfteren eine Isolierungspolitik geführt und sich nicht in die Angelegenheiten Europas eingemischt hat. Großbritannien hat es immer vermieden, sich in lang dauernden Bündnissen zu engagieren und hat für sich immer eine große Bewegungsfreiheit in Anspruch genommen. Diese Politik der „herrlichen Isolierung“, splendid isolation, gründete auf seiner industriellen Macht sowie auf seiner Überlegenheit im Handel und auf See und bündelte alle seine Bestrebungen auf die Ausweitung seines Kolonialreiches.

Zu Beginn des 20. Jahrhundert aber sieht sich England genötigt, diese Politik zu ändern und ein stabiles Bündnissystem einzugehen. Ursache dafür sind die Veränderungen im internationalen Leben, wie zum Beispiel die Globalisierung der internationalen Beziehungen, die immer größere Konkurrenz, die die deutschen und amerikanischen Produkte den britischen Erzeugnissen machten, die bedrohliche Entwicklung der Flotten seiner Rivalen und der Kampf um die Aufteilung der Kolonialgebiete.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat England mit fast allen Großmächten Streitereien. Dies erklärt die Isolation des Königreiches. Die fast schon traditionelle russisch-englische Spannung wurde durch die russische Expansion in Zentralasien, in Richtung Persien und Afghanistan, noch verschärft, da auf diese Art die britische Herrschaft in Indien bedroht war.

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England vermag auch die Anwesenheit Russlands in Nordchina nicht zu dulden. Im Jahre 1898 kommt es zu einer Verschlechterung der Beziehungen mit Frankreich, als beide Mächte ihren Anspruch auf den ägyptischen Sudan geltend machen. Mit Deutschland gibt es eine grundsätzliche Frage, in denen sich die beiden Länder nicht einig sind, nämlich im Bereich von Industrie, Handel und Flotte, sonst gab es mit dem Deutschen Reich keine gravierende Probleme, und auch nicht, was die Aufteilung des englischen Kolonialreiches betreffen konnte.

England versucht daher, die betreffenden Spannungen durch eine Reihe von Abkommen über die kolonialen Differenzen abzubauen. Die Reihe dieser Bemühungen beginnt im Jahre 1898 mit Deutschland, mit dem es zu einer Einigung zu kommen versucht. Einige Historiker sind der Meinung, dass bei einem Zustandekommen dieser Annäherung an Deutschland die Chance existiert hätte, den Weltkrieg zu vermeiden. Deutschland verpasst diese Chance, indem es die Vorschläge der britischen Diplomatie abweist, eben weil man in Berlin nicht glaubte, dass England zu einem Bündnis mit Frankreich oder Russland kommen könnte.

Unter diesen Umständen nähert sich England Frankreich an. Die Fortschritte Deutschlands auf der See und im Handel beunruhigten England umso mehr. Im Jahre 1904 wird eine Reihe von Abkommen unterzeichnet, die die englisch-französischen Kolonialstreitigkeiten regelten, besonders jene von Ägypten und Marokko. Diese Abkommen haben zwischen England und Frankreich zu einem Klima der Zusammenarbeit geführt. Es entstand die „Entente cordiale“ zwischen Frankreich und England. In derselben Zeitspanne, zwischen 1900 und 1902, nähert sich auch Italien Frankreich an und verspricht ihm im Falle eines deutsch-französischen Krieges die Neutralität. Obwohl Italien den Dreierbund nicht verlässt, wird es immer unzufriedener mit dem Wachsen des österreichischen Einflusses auf dem Balkan, was sich seinen eigenen Interessen zuwiderläuft.

Parallel mit den immer besseren Beziehungen zwischen England und Frankreich verbessern sich auch die Beziehungen zwischen Großbritannien und Russland. Im Jahre 1907 haben die beiden Mächte ein Abkommen unterzeichnet, das ihre Einflusszonen und Interessenssphären in Tibet, in Afghanistan und in Persien regelt und gegeneinander abgrenzt, so dass sich die Lage in der Region entspannte. Von diesem Datum an konnte man von der „Triple entente“, einem Dreierverband, sprechen.

3. Die Balkankrisen

Der Weltfrieden war während dieser Jahre von der Lage auf der Balkanhalbinsel bedroht, einer Region, die aus diesem Grund „das Pulverfass Europas“ genannt wurde. Die Instabilität der Region erklärte sich aus der der Krise der türkischen Herrschaft auf der Halbinsel, wo die

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Nationalismen der hiesigen Völker es nicht erlaubten, eine für alle annehmbare Formel des Zusammenlebens zu finden. Ihre territorialen Ansprüche überlagerten sich wegen des nationalen Mosaiks der Gegend, was eine Grenzziehung nach ethnischen Kriterien unmöglich machte und auch, weil die betreffenden Ansprüche ihre historische Rechtfertigung jeweils in einer Vergangenheit suchten, die von Konflikten gekennzeichnet war.

Dazu kamen die Interessen der Großmächte, besonders Russlands und Österreich-Ungarns, später dann aber auch Italiens. Diese Interessen waren entweder expansionistisch, wie im Falle Russlands, oder sie trachteten den Einfluss eines Gegners zu beschränken, beziehungsweise Kompensationen für die Fortschritte des Anderen zu erhalten, im Falle Österreich-Ungarns und Italiens. Die zahlreichen internen Konflikte sowie die politischen Umstürze begünstigten die Instabilität der Region, einschließlich der Spannungen, die zwischen den Großmächten existierten. Selbst der Weltkrieg von 1914-1918 hatte eine Balkankrise zum Anlass.

Im Jahre 1866 findet eine erste „bulgarische Krise“ statt, die entscheidend zum Abstand Österreich-Ungarns von Russland und zur Auflösung des „Dreikaiserbündnisses“ beigetragen hat. Der Fürst von Bulgarien, Alexander von Battenberg, der im Jahre 1879 als russischer Favorit den Thron bestiegen hatte, versuchte jetzt die russische Vormundschaft zu beseitigen, besonders nachdem er im Jahre 1886 von der Türkei Ostrumelien erhalten hatte. Im Jahre 1886 hat ihn ein Komplott von russenfreundlichen Offizieren entmachtet, aber es gelingt ihm, nach einigen Tagen zurückzukommen, weil die Bulgaren das russische Protektorat nicht mehr wünschten. In dieser Situation greift Russland ein, um seine Interessen in der Region zu schützen. Alexander dankt ab, aber letztendlich wird der bulgarische Thron von Ferdinand von Sachsen-Coburg besetzt, der von Österreich unterstützt wird. Von diesem Augenblick an stellt sich Bulgarien traditionell auf die Seite Österreich-Ungarns, das seinerseits die Unterstützung Deutschlands hat.

Im Jahre 1903 findet ein neuer Umsturz auf dem Balkan statt. Eine Gruppe von nationalistischen serbischen Offizieren ermordet Alexander I. Obrenović, den König von Serbien, der bis dann eine Österreich freundliche Politik geführt hatte. Der neue König, Peter Karadjordjević, ist einem Bündnis mit Frankreich und besonders mit Russland günstig gesinnt. Von nun an ist das von Russland unterstützte Serbien eine gefährlicher Nachbar für Österreich-Ungarn, weil es einen Anziehungspunkt für die nationalistischen Bestrebungen der Südslawen aus der Doppelmonarchie darstellt. Folglich wird Wien die Beseitigung dieses unangenehmen Gegners konsequent verfolgen. Dies umso mehr, als sich den Balkanstaaten Erweiterungsperspektiven auf Kosten des Osmanischen Reiches eröffneten.

Während der Jahre 1908/09 findet eine weitere Krise statt, die von Bosnien-Herzegowina. Im Jahre 1908 hat Österreich, das den Aufstand der „Jungtürken“ aus Istanbul ausnützt, Bulgarien bei der Ausrufung seiner Unabhängigkeit unterstützt und annektiert Bosnien-

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Herzegowina, ein Gebiet, das es im Jahre 1878 zur Verwaltung bekommen hatte. Serbien, das darin eine Gefahr für seine Pläne zur Einheit der Südslawen sah, protestierte gegen diesen Anschluss und verlangte die Unterstützung Russlands. Russland hätte gerne eingegriffen, konnte es aber nicht, weil ihm einerseits die militärische Macht dazu fehlte und andererseits, weil es nicht die Unterstützung Frankreichs hatte, das sich in einen Konflikt auf dem Balkan nicht einlassen wollte

Zuletzt musste Serbien seine an Österreich gerichteten Drohungen zurückziehen, aber diese Krise hat die Ressentiments des serbischen Nationalismus gestärkt und Russland darin überzeugt, seine Beziehungen im Rahmen der Entente noch mehr zu verstärken. Die Krise hat auch zur Schwächung des Dreierbundes beigetragen, weil Italien mit Unbehagen das Wachsen der Macht Österreich-Ungarns auf dem Balkan mit ansehen musste, ohne dass es selbst einen Ausgleich Kompensationen bekommen würde.

Schließlich finden während der Jahre 1912-1913 die beiden Balkankriege statt. Zu jenem Augenblick beherrschte das Osmanische Reich noch einen zusammenhängenden Streifen zwischen dem Schwarzen Meer und dem Adriatischen Meer, hauptsächlich mit Thrakien, Makedonien und Albanien. Mit Ausnahme Albaniens, mehrheitlich islamisch, waren diese Gebiete hauptsächlich von Christen bewohnt, besonders von Griechen, Bulgaren und Serben. Die Bevölkerungen bildeten ein ethnisch und territorial sehr gemischtes Mosaik, wie zum Beispiel in Makedonien.

Während dieser Periode, in der der Nationalismus blühte, beklagten die christlichen Völker des Balkans die politischen Zentralisierungsmaßnahmen des Reiches zugunsten des türkischen und islamischen Elementes, eine Tendenz, die von den „Jungtürken“ begünstigt wurde. Dazu kommt die Tatsache, dass das Osmanische Reich aus dem Krieg mit Italien, in den Jahren 1911/12, geschwächt hervorging, infolge dessen es Libyen und den Dodekanes verliert.

Unter diesen Umständen erklären die vier an der Region interessierten Staaten, Griechenland, Bulgarien, Serbien und Montenegro, dem Osmanischen Reich den Krieg. So beginnt der erste Balkankrieg. Das Osmanische Reich wird schnell besiegt. Die verbündeten Staaten besetzen fast alle europäischen Gebiete des Reiches, mit Ausnahme des Gebietes um Istanbul.

Die vier Alliierten geraten bei der Aufteilung der eroberten Gebiete aber in Streit. Die größten Unruhen provozierte Bulgarien, das ganz Makedonien für sich beanspruchte. Im Jahre 1913 bricht dann der zweite Balkankrieg aus, im Verlaufe dessen sich Serbien und Griechenland gegen Bulgarien verbünden. Das Osmanische Reich, das wenigstens Adrianopel wiedergewinnen will, greift auch ein, außerdem Rumänien, das eine Politik des balkanischen Gleichgewichts führt und für das Wachsen Bulgariens Kompensationen verlangt. Bulgarien wird

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besiegt und muss seine territoriale Erweiterung beschränken, während alle anderen Balkanstaaten ihre Positionen stärken können. Serbien dehnt sich weit in den Süden aus und bekommt Makedonien, während Griechenland seine Nordgrenze erweitert und Albanien unabhängig wird.

Die Ergebnisse der beiden Balkankriege waren für Deutschland und Österreich-Ungarn ein Misserfolg. Ihre beiden Schützlinge, das Osmanische Reich und Bulgarien wurden nacheinander besiegt, während Serbien, der Verbündete Russlands, einen wesentlichen territorialen Gewinn verzeichnen konnte. Selbst Rumänien entfernte sich immer mehr von Österreich-Ungarn, weil Bukarest einen Machtzuwachs Bulgariens nicht wünschte.

Infolge dieser Veränderung des balkanischen Gleichgewichts zugunsten der russischen Politik sehen sich Österreich-Ungarn und Deutschland genötigt, mit Blick auf die Zukunft zu reagieren. Es war fast unausweichlich, dass der erste Zwischenfall auf dem Balkan den Eingriff der Großmächte zur Folge haben musste. Weil Österreich-Ungarn und Russland durch Verträge an alle anderen europäische Mächte gebunden waren, drohte sich der Konflikt weltweit auszudehnen.

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Der erste Weltkrieg (1914 bis 1918)

Der Erzherzog Österreichs, Franz Ferdinand, der zu Besuch in Sarajevo war, in der Hauptstadt der von Wien im Jahre 1908 einverleibten Provinz Bosnien, wurde am 28. Juni 1914, am Vidov dan, dem St.-Veits-Tag, von dem serbischen Studenten Gavrilo Princip ermordet. Princip war Mitglied einer nationalistischen Geheimgesellschaft, einer Unterabteilungen in Belgrad, die „Schwarze Hand“. Es stellt sich die Frage wie ein solcher Zwischenfall den Ausbruch eines zerstörerischen Weltkrieges ermöglichte, infolge dessen die ganze Welt radikale Veränderungen erleben musste.

1. Die Ursachen des Krieges

Es gibt keinen Zweifel daran, dass sich viele Menschen vor dem Jahre 1914 vor einem solchen Krieg fürchteten, der sich wegen dem wirtschaftlichen und kolonialen Wettstreit der Weltmächte, des Wettrüstens und der bestehenden nationalen Spannungen, schon längst androhte. Die Entwicklung der Nationalstaaten und die Verbreitung des Patriotismus als Massengefühl führten während dieser Zeit zu einer unerschütterlichen Entschlossenheit aller Völker, ihr Nationalinteresse, oder das, was sie darunter verstanden, zu verteidigen. ohne Rücksicht auf Kosten und Opfer. Zweitens waren es die wissenschaftlichen und technischen Fortschritte, die eine Perfektion der militärischen Vernichtungsmittel auf einem Niveau ermöglichten, das nie zuvor in der Geschichte der Menschheit erreicht wurde. Diese Tatsachen verursachten also die Ausbreitung des Konfliktes bis zu seinen äußersten Grenzen

Trotzdem kann der im Jahre 1914 begonnene Krieg nicht als unvermeidbar bezeichnet werden, wenn man den Umstand berücksichtigt, dass keine der Regierungen, die den Krieg auslösten, weder den Ausbruch, noch die Ausweitung des Krieges wünschten. Entscheidend war aber die Tatsache, dass jeder Staat in einem Allianzsystem eingebunden war und somit eine Reihe von Sicherheitspflichten auf sich nahm, in der Überzeugung, dass von deren Einhaltung das nationale Überleben eines jeden Einzelnen selbst abhänge. Wenn Regierungen die Kräfte für den Kriegseinsatz bereitstellten, wenn sie Ultimaten stellten oder Kriege erklärten, glaubten sie steif und fest, dass ihre Sicherheit und das nationale Ansehen ihrer Länder aufs Spiel gesetzt waren – in der Überzeugung, dass es keine Alternative zu ihrer Vorgehensweise geben könne.

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Die Erwartung, wie die Bevölkerung der europäischen Länder auf diese Aufrufe reagieren würde, weist auf eine kaum aufschlüsselbare Stimmung, auf eine Mischung von Verwirrung und patriotischer Begeisterung hin.

Die Idee, dass die Völker voller Schwung und Enthusiasmus in den Kampf ziehen würden, hat sich zumindest teilweise, sicherlich nur vordergründig, oberflächlich bestätigt. Diese Idee war besonders in den Kreisen einem gewissen Bildungsniveau mit offensichtigen Einflüssen der nationalistischen Erziehung verbreitet, wie vor allem auch unter den Abgeordneten aus den europäischen Parlamenten, die einstimmig für die Kriegsanleihen stimmten.

Die ländliche Bevölkerung war anfangs verwirrt und erkannte den Ernst der Lage nicht.

Trotzdem kann man sagen, dass die Völker auf den Aufruf ihrer Regierungen reagierten, weil diese alle ihre Kräfte dafür einsetzten, um den Bürgern das Gefühl zu vermitteln, dass sich ihr Vaterland in Gefahr befinde und es nun ihre Pflicht sei, Leib und Leben für dessen Verteidigung, notfalls durch Tötung des Feindes, einzusetzen, um es zu verteidigen.

Sogar in Österreich-Ungarn zogen die Soldaten mit dem entsprechenden Schwung und Patriotismus in den Kampf. Ein Beispiel dafür wären die siebenbürgischen Rumänen, die 1916 in den Krieg zogen, wodurch sie sich gegen das Königreich Rumänien stellten, und „Tod den Serben“ ausriefen, die Fahnen hissten und „Wach auf Rumäne“ sangen, Manifestationen, die von der Heeresführung erlaubt und sogar gefördert wurden, eben um die Nationalgefühle zu mobilisieren.

Wie immer, konnten die Nationalgefühle im Dienst der verschiedensten Pläne mobilisiert werden und die Soldaten, mit einer verwirrten Begeisterung in die Eisenbahnwaggons einsteigend und mit ihren Schirmkappen aus den Fenstern winken, wie in alten Filmen noch zu sehen ist, wussten nicht, dass sie sich in die Schützengräben des unmenschlichsten Krieges aller Zeiten begeben, aus dem 10 Millionen aus ihren Reihen nicht mehr zurückgekehrt sind.

2. Der Ausbruch des Krieges

Nach dem Mord von Sarajevo sah Österreich-Ungarn die Gelegenheit gekommen, den Konflikt mit Serbien für immer zu lösen. Wien beschuldigte die Regierung von Belgrad der Favorisierung des Attentats und stellte ihr am 23. Juli 1914 ein Ultimatum, das eine Reihe von Anforderungen umfasste, die so verfasst waren, dass Belgrad sie nicht akzeptieren konnte,

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unter anderem das Recht österreichischer Behörden, den Fall in Serbien zu untersuchen, was die Staatssouveränität Serbiens in Frage stellte. Am 28. Juli erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Deutschland schloss sich dieser Erklärung an, weil es ein besonderes Interesse an die Festigung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie hatte und gleichzeitig hoffte, dass sich der Krieg lokal beschränken lassen könne.

Russland war aber nicht bereit, seinen serbischen Verbündeten fallen zu lassen, also verordnete es die Mobilmachung, ohne nach der Meinung Frankreichs zu fragen. Deutschland konnte die Gefahr einer Niederlage des Österreichisch-Ungarischen Reiches nicht riskieren und erklärt Russland den Krieg, während Frankreich sich gezwungen sah, seine Bündnisverpflichtungen Russland gegenüber einzuhalten. Diese Verpflichtung passte aber perfekt in Frankreichs Politik mit ihren seit Jahren gepflegten Revanchegelüsten Deutschland gegenüber.

Der deutsche Reichskanzler, Bethmann-Hollweg, zögerte vor den sich abzeichnenden Perspektiven eines generellen Konfliktes.

Der Generalstab des Heeres aber übte einen verstärkten Druck in dieser Hinsicht aus, indem er der Meinung war, dass Deutschland eine militärische Überlegenheit besitze, die es in Zukunft verlieren könnte, so dass es sich vor einer einzigartigen Gelegenheit befände, den Krieg zu gewinnen.

Am 3. August erklärte Deutschland Frankreich den Krieg. Ein großes Problem ergab sich aus der Tatsache abgeleitet, dass Deutschland nach den von General Alfred von Schlieffen (1833-1913), ehemaliger Generalstabschef, im Jahre 1906 verfassten Kriegsplänen, zuerst Frankreich durch einen gewaltigen und raschen Schlag besiegen musste, wenn es einen langen Zweifrontenkrieg vermeiden wollte. Die deutschen Strategen aber waren der Ansicht, dass eine Niederlage Frankreichs nur dann möglich wäre, wenn ein massiver Angriff auf den linken französischen Flügel durchgeführt würde, wozu man aber Belgien durchqueren müsse, ein neutrales Land, für das England garantierte. Nach Schlieffens Plänen könnte der linken Flügel der französischen Armee aus Lothringen nur durch eine solche Umgehungsbewegung überrascht, dann eingekreist und vernichtet werden.

Bis zu diesem Zeitpunkt war England sehr reserviert gewesen, indem es versuchte in diesem Konflikt zu vermitteln, denn sie wollte wegen eines balkanischen Problems nicht in den Krieg eintreten. Am 4. August aber überfiel das deutsche Heer Belgien. Das bedingte die Kriegserklärung Englands an Deutschland, weil die Regierung in London die Eroberung der belgischen Küste, gegenüber der englischen Küste, als eine fatale Bedrohung der Interessen Großbritanniens betrachtete. Durch das Spiel der Allianzen hatte sich der Konflikt über ganz

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Europa ausgebreitet. Nur Italien wollte zu jenem Zeitpunkt nicht in den Krieg eintreten und erklärte seine Neutralität, obwohl es zum Dreibund gehörte.

3. Teilnehmer und Kriegsschauplätze

Obwohl die Kriegs-Akteure glaubten, dass es sich um einen nur kurzen Krieg handeln würde, sollte er Krieg lange und kostspielig werden. Außer den 65 Millionen mobilisierten Soldaten, vor allem die mit Gewehren ausgerüsteten und von einer starken Artillerie unterstütze Infanterie, werden jetzt neue, zerstörerische Waffen verwendet: Selbstladegewehren, d.h. Maschinengewehre, Giftgase, Panzer, die gegen Ende des Krieges erscheinen, die Luftwaffe, Kanonen, die 100 km weit schießen konnten sowie die U-Boote.

Der Konflikt erhält allmählich den Charakter eines Weltkrieges, je mehr neue Mächte in den Krieg eintreten. So traten auf die Seite der Entente und ihrer ursprünglichen Alliierten Russland, Frankreich, England, Serbien und Belgien, die britischen Dominions, wie zum Beispiel Kanada und Australien, dann folgen Japan im Jahre 1914, Italien 1915 , Rumänien und Portugal 1916, Griechenland, Brasilien und besonders die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1917. Auf die Seite des Dreierbundes traten das Osmanische Reich 1914 und Bulgarien 1915.

Als Folge der Ausweitung des Konflikts spielte sich dieser auf mehreren Kriegsschauplätzen ab, die unterschiedliche Bedeutung erlangten.

Erstens gab es die zwei Hauptkriegsschauplätze: die Westfront in Frankreich, wo die französischen, englischen, belgischen und amerikanischen Armeen gegen die deutschen Truppen kämpften; die Ostfront in Ostrußland und Polen, wo die Deutschen dem russischen Heer im Norden standhielten und die Österreicher im Süden.

Außer diesen gab es eine Reihe von Nebenkriegsschauplätzen von geringerer Bedeutung, so die Front in Italien, die 1915 an der Grenze mit Österreich-Ungarn eröffnet wurde und wo die italienischen Truppen gegen die von den Deutschen unterstützten Österreicher kämpften. Auch an der rumänischen Front, wo die Feindseligkeiten 1916 ausbrachen, kämpften die von den Russen unterstützten Rumänen gegen die Österreicher, Deutschen und Bulgaren. Letztendlich wurde die rumänische Front zu einer südlichen Erweiterung der großen Ostfront. Es gab auch am Balkan eine Front, die ursprünglich von Serbien gegen Österreich-Ungarn unterstützt wurde. Später wurden dann die Kämpfe an dieser Front von einem französisch-englischen Heer fortgesetzt, das an den Dardanellen gelandet war und dann wieder nach Saloniki zurückgezogen wurde und mit der Hilfe Griechenlands gegen die bulgarischen und osmanischen Truppen kämpfte.

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Andere Nebenkriegsschauplätze wurden im Mittleren Orient eröffnet, an den Ufern des Suez Kanals, wo England das Osmanische Reich angriff, so wie auch in Palästina, wo die Britten einen Aufstand der Araber gegen die Osmanen provozierten, im Kaukasus, wo Russland das Osmanische Reich bekämpfte. Die Deutschen Kolonien in Afrika und dem Pazifik wurden von den Britten, Franzosen und Japanern angegriffen und erobert.

Um dieses Bild vollständig zu beschreiben, soll auch noch der Seekrieg erwähnt werden, während dessen die mit Kriegsschiffen und U-Booten ausgestattete deutsche Seeflotte auf allen Meeren besonders die Handelsschiffe der Alliierten vernichtend angriff.

Der größte Teil der militärischen Kräfte wurde aber auf den wichtigsten Kriegsschauplätzen in Europa eingesetzt. Die Entente kontrollierte in großen Linien die weit ausgedehnten Gebiete, die zahlreichsten Völker, Bergwerks- und Industrieressourcen und die größten Handels- und Kriegsflotten. Im Gegensatz dazu verfügte der Dreierbund über eine hochwertigere Ausrüstung und eine besser ausgebildete deutsche Armee. Strategisch gesehen hatten die Zentralmächte, Deutschland und Österreich-Ungarn, den Vorteil ihrer kompakten Stellung auf dem Kontinent, der ihnen die Überwachung der internen Linien erlaubte. Diese Tatsache gab ihnen auch die Möglichkeit, geschickte Manöver auszuführen und ihre Kräfte leichter als die westlichen Alliierten von einer Front zur anderen zu bewegen.

Andererseits stellte diese Lage auch einen Nachteil dar, nämlich die Gefahr, umzingelt zu werden. Deutschland war vor allem durch die Notwendigkeit benachteiligt, ständig an zwei Riesenfronten standzuhalten.

4. Der Krieg in den Jahren 1914 bis 1917

Die Pläne der beiden in den Konflikt einbezogenen Mächtegruppen gingen von der Voraussetzung eines kurzen Krieges aus. Sie rechneten mit raschen Offensivangriffen, deren Erfolg von den zahlreichen Vorstößen der beiden Allianzen gesichert werden sollte. In kurzer Zeit sind diese Pläne aber fehlgeschlagen und die Generalstäbe waren gezwungen, einen stehenden, defensiven Krieg zu führen. Strategisch gesehen löste diese Tatsachen große Verwirrung aus, woraus sich das Problem der Neuaufstellung von Soldaten und der Wiederaufrüstung mit Munitionen und Materialien ergab.

Der deutsche Umgehungsplan über Belgien rechnete mit der Tatsache, dass die französischen Truppen nach ungefähr 6 Wochen eingekreist und vernichtet wären, so dass die deutsche Armee gegen Russland an die Ostfront ziehen konnte. Auf ähnliche Weise sah der von

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General Joffre erarbeitete französische Plan einen direkten Angriff auf die deutsche Grenze, in der Region von Lothringen vor, der dazu bestimmt wäre, das ganze deutsche Heer zu binden, um es danach in einer einzigen großen Schlacht zu vernichten.

Der viel zu einfach gestaltete französische Plan ist schon im August 1914 fehlgeschlagen. Im Gegensatz dazu schaffen es die Deutschen, durch den Schlieffen-Plan einen offensiven Bewegungskrieg zu führen, Belgien zu erobern - indem sie die Neutralität dieses Landes verletzen und den Kriegseintritt Großbritanniens hervorrufen - und in den Nordosten Frankreichs, bis in die Nähe von Paris, vordringen.

Im September schaffte es die französisch-englische Armee, diese große Offensive aufzuhalten, indem sie den ersten großen Sieg in der Schlacht an der Marne, 6.-9. September 1914, erkämpft, Paris retteten. Es gelingt dieser Armee sogar, die deutschen Truppen mehrere Kilometer zurückzuschlagen. Nach dieser Schlacht besaß der deutsche Generalstab „keinen Plan für die Kriegführung auf lange Sicht mehr. Die folgende Strategie blieb ein System von Aushilfen ohne großes Konzept“.

Nach dem Scheitern der offensiven Kriegspläne der Anfangsphase stand der Krieg, nach Theodor Schieder, „im Zeichen strategischer Verwirrung und Ratlosigkeit, die sich vor allem auf die Hauptfront in Frankreich auswirkte“

Von diesem Datum an hörte der Bewegungskrieg auf und wurde durch einen langen und kostspieligen Stellungskrieg ersetzt. Die zwei großen Heere waren dazu gezwungen, sich auf die schon vorhandenen Stellungen zu konzentrieren, indem sie sich in zwei unendlich langen Schützengräben Systemen eingruben, die sich von der Nordsee bis zur schweizerischen Grenze erstreckten. Alle Versuche auf beiden Seiten, diese Frontlinie zu durchbrechen, sind von jenem Zeitpunkt an fehlgeschlagen, weil der Gegner es immer wieder schaffte, neue Kräfte zur Hilfe zu holen und jeden möglichen Durchbruch zu verhindern.

Die Eroberung einiger Quadratmeter, durch einen blutigen und sinnlosen Angriff, konnte Tausenden das Leben kosten, auch den Verbrauch riesiger Munitionsmengen und somit die militärischen Kräfte und die Moral der Soldaten senken.

In dieser Lage war die deutsche Heeresleitung gezwungen, ihre Pläne zu ändern. Das war nun unumgänglich, weil sich der Standkrieg zum Nachteil Deutschlands entfaltete. Deutschland verfügte zu jener Zeit über geringere Menschen- und Materialreserven als die Entente.

So war es für den deutschen Generalstab die wichtigste Aufgabe geworden, eine rettende Lösung zur Abkürzung des Krieges zu finden.

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Folglich setzt Deutschland 1915 alle seine Kräfte zur Vernichtung der russischen Armee ein, weil besonders die riesige Ausdehnung der Ostfront den offensiven Bewegungskrieg begünstigte. Unter der Leitung des Generals Hindenburg besetzte sie den russischen Teil Polens und Litauens. Trotzdem schafften es die Deutschen nicht, Russland zu besiegen und aus dem Krieg auszuschalten, weil die zu erobernden Gebiete im Vergleich zum menschlichen Potential Deutschlands zu riesig waren. So kommt es auch an der Ostfront zu einer Erstarrung der militärischen Bewegungen, die bis 1917 dauerte. Vor allem im südlichen Teil der Ostfront, in Galizien, erlangten die Russen mehrere Siege über das österreichisch-ungarische Heer, besonders im Jahre 1916, während der Offensive unter der Leitung von General Brusilov.

Die Situation wurde für die Mittelmächte noch verheerender, als Italien 1915 und Rumänien 1916 auf der Seite der Entente in den Krieg eingetreten. Dies bedeutete für die österreichische Armee die Eröffnung neuer Kampfschauplätze. Die nicht gerade glänzenden Leistungen der österreichisch-ungarischen Armee mussten immer wieder durch den Eingriff deutscher Truppen ausgeglichen werden, um das militärische Gleichgewicht wiederherzustellen, oder die Initiative auch auf diesen sekundären Kriegsschauplätzen zu erlangen. Dies führte aber zu einer Schwächung der Schlagkraft des deutschen Heeres an den Hauptfronten, obwohl es immer wieder gelingt, aufgrund der die guten Transportmöglichkeiten – interne Eisenbahnlinien – die Truppen rasch von einer Front an die andere zu transportieren.

Entscheidend für den Verlauf des Krieges blieb aber die Westfront. Die Alliierten Truppen haben zwischen den Jahren 1915 und 1917 durch Zermürbungsoffensiven, die hunderttausende Menschen das Leben gekostet haben, vergeblich versucht, diese Front aufzubrechen.

Der deutsche Generalstab leitete 1916 einen neuen Aktionsplan ein, indem er eine umfangreiche Offensive in eine einzige Richtung startete, nämlich auf die Festung von Verdun, wohin der größte Teil der deutschen Armee konzentriert wurde.

Das Ziel der deutschen Strategen war, allmählich alle Reserven der Alliierten auf einen engen Platz zu konzentrieren, um diese hier durch einen entscheidenden Kampf endgültig zu vernichten. Die von General Pétain geführte französische Armee hat dieser blutigen Offensive aber standgehalten. So verursachte die Schlacht von Verdun den Tod von fast einer Million Menschen, einen Verlust, den sich die Deutschen und Franzosen auf makabre Weise „teilten“. Das bedeutete aber den Misserfolg des deutschen Plans, Frankreich durch einen entscheidenden Kampf zu besiegen und aus dem Krieg auszuschließen.

5. Der U-Boot Krieg und der Kriegseintritt der USA

1917 versucht der deutsche Generalstab aufs Neue, eine endgültige Lösung für den Konflikt zu finden, indem er einen allgemeinen U-Boot Krieg auslöste. Die Entente hatte auch

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bis dahin auf dem Meer gegen Deutschland gekämpft und dank der Überlegenheit der britischen Seeflotte eine Blockade über die deutschen Nordseehäfen verhängt.

Die Versorgung der Mittelmächte mit Nahrung und industriellen Rohstoffen wurde durch die englische Blockade verhindert. Folglich konnten die Mittelmächte nur durch die drastische Rationalisierung des Konsums der Zivilbevölkerung und dank der synthetischen Nahrungs- und Rohrstoff-Ersatzmittel, die die deutsche chemische Industrie erzeugte, überleben.

Als Replik auf die Blockade der Entente, löst Deutschland den U-Bootkrieg aus. Damit dieser effizient sein konnte, mussten die deutschen U-Boote alle Schiffe versenkten, einschließlich jener, die neutralen Staaten gehörten. Dies aber war ein schwerer Verstoß gegen das internationale Recht und wurde zum Auslöser vieler politischer Probleme Deutschlands, das nun Gefahr lief, sich neue Gegner zu schaffen.

1917 entschloss sich Deutschland, dieses Risiko auf sich zu nehmen und versenkte ohne eine Vorwarnung alle fremden Schiffe. Am Ende des Jahres 1916 versenkte die deutsche Seemacht pro Monat 350.000 Tonnen fremder Schiffe. Im März 1917 waren es schon 870.000 Tonnen monatlich! Der deutsche Generalstab schätzte, dass in einem solchen Rhythmus die Entente in einigen Monaten zusammenbrechen würde, da ihre militärischen Bemühungen von der Rohrstoffversorgung aus den Kolonien oder den Vereinigten Staaten abhingen.

Trotzdem erwies sich auch dieser Plan der deutschen Strategen als ein Fiasko. Einerseits wehrten sich die Handelsschiffe der Alliierten gegen die deutschen U-Boote, und andererseits veranlasste die Torpedierung und Versenkung der amerikanischen Schiffe im Jahre 1917 das Eintreten der Vereinigten Staaten in den Krieg gegen Deutschland, mit der Kriegserklärung der USA an Deutschland am 6. April 1917 und am 7. Dezember 1917 an Österreich-Ungarn.

Obwohl der von der amerikanischen Öffentlichkeit unterstützte Präsident Wilson ursprünglich ein Pazifist war, konnte er die militärische Vorherrschaft Deutschlands in Europa nicht dulden. Andererseits brachten die politischen Vorbilder und praktischen Interessen die Vereinigten Staaten näher an England und Frankreich, die sich in Gefahr befanden. Deutschland hat die Möglichkeit des Eintretens der USA in den Krieg nicht ernstlich in Betracht gezogen, da es wusste, dass diese nicht über eine besondere Schlagkraft verfügten. Die Amerikaner schafften es aber in kurzer Zeit, bis zum Sommer 1918, mehr als eine Million Soldaten zu mobilisieren und unter dem Kommando von General Pershing nach Europa zu schicken.

Zu dieser militärischen Anstrengung kamen auch der bedeutende Beitrag der amerikanischen Industrie und die Ressourcen der amerikanischen Wirtschaft noch hinzu. Der amerikanische Beitrag spielte eine entscheidende Rolle beim Sieg der Entente, nachdem alle

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Teilnehmer nach vier Jahren eines schonungslosen Krieges auf beiden Seiten vollständig erschöpft waren.

6. Der Krieg im Jahre 1918. Kriegsende und Folgen des Krieges

Zu Beginn des Jahres 1918 gab es keine Aussicht auf eine Beendigung des Krieges. Die amerikanischen Truppen waren noch nicht in Frankreich angekommen, an der Ostfront war das russische Heer zusammengebrochen.

Im Februar und Oktober 1917 fanden in Russland zwei Revolutionen statt, in deren Verlauf das Zarenregime beseitigt wurde. Ende des Jahres 1917 wurde die Macht von einer durch Lenin geführten bolschewistischen Diktatur übernommen. Das neue Regime der Sowjets, das eine interne Konsolidierung brauchte, trat aus dem Krieg aus und schloss einen Separatfrieden mit Deutschland.

Durch den Friedensvertrag von Brest-Litowsk vom 3. März 1918 verzichtete das bolschewistische Russland auf Livland, Kurland, Litauen, Estland und Polen. Russland erkennt Finnland und die Ukraine als selbstständige Staaten an, die somit unter deutschen Einfluss gerieten. Unter diesen Umständen schloss Rumänien im Mai 1918 auch einen Separatfrieden mit den Mittelmächten. Rumänien trat Teile der Dobrudscha (nicht die ganze) an Bulgarien ab und Deutschland konnte die rumänischen Ölquellen nutzen.

Auf diese Weise schaffte es Deutschland, den größten Teil der Truppen von der Ostfront nach Frankreich zu versetzen. Im Frühling des Jahres 1918, als die Amerikaner noch nicht in den Krieg eingetreten waren, ergab sich für die deutschen Truppen dort zahlenmäßig ein Vorteil.

Unter Ausnutzung diese Situation und mit dem Einsatz einer wirksameren Taktik, die die Alliierten Linien durchbrechen sollte, nahm der vom General Ludendorff geführte deutsche Generalstab den Bewegungskrieg wieder auf. Zwischen März und Juli 1918 begannen die deutschen Truppen mehrere, besonders gefährliche Angriffe auf Paris und setzten dazu die letzten Reserven der Mittelmächte bzw. Deutschlands ein. Diese letzte deutsche Offensive brachte die Alliierten dem Zusammenbruch in einem Moment, nahe, als Deutschland seine letzten Reserven aufbrauchte, nachdem seine menschlichen und materiellen Ressourcen erschöpft waren.

Trotzdem schafften es die von General Ferdinand Foch (1851-1829) geführten und von den amerikanischen Truppen unterstützen Westalliierten im Juli 1918, in dem zweiten Kampf an der Marne, dem Angriff Ludendorffs zu widerstehen. Von jenem Zeitpunkt an übernahmen die Alliierten endgültig die Initiative. Die deutsche Armee begann sich zur Grenze des Reiches

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zurückzuziehen, so dass die Offensive der Alliierten nicht nur von der Erschöpfung der deutschen Truppen, sondern auch durch Einsatz von neuen Waffen, wie zum Beispiel der Panzer, bei Amiens, und der Luftangriffe begünstigt war. Die Deutschen ziehen sich Juli/August 1918 auf die „Siegfriedstellung“ zurück.

Gleichzeitig wurde die innere Widerstandsfähigkeit der Mittelmächte erkennbar immer schwächer. Die Bevölkerung der zwei Reiche, die nach vier Jahren von Feindseligkeiten ausgehungert und dezimiert war, war nicht mehr imstande, dem Krieg standzuhalten. Der Mangel an den notwendigsten, alltäglichen Gütern beschleunigte die allgemeine Unzufriedenheit und provozierte politisch-sozialen Spannungen, die durch die Friedenversprechungen des Präsidenten Wilson und das große Echo der bolschewistischen Revolution in Russland nur noch verstärkt wurden. Angesichts der militärischen Lage an der Front, drohten die Völker des Habsburgerreiches, sich von ihm zu trennen.

Unter diesen Umständen sahen sich die Verbündeten Deutschlands im Herbst 1918 genötigt, der Reihe nach einen Waffenstillstand zu fordern. Am 29. September traten die von der englisch-französisch-serbischen Armee bei Saloniki besiegten Bulgaren aus dem Krieg aus, während die Truppen der Entente nach Norden weitermarschierten und Serbien befreiten. Am 31. Oktober forderten die Türken einen Waffenstillstand, nachdem sie in Palästina und Syrien von den Engländern besiegt worden waren. Am 3. November unterschreibt auch Österreich-Ungarn den Waffenstillstand - sie standen an der italienischen Front unter starkem Druck, wo eine Fahrlässigkeit des eigenen Kommandos bei Vittorio-Veneto 300.000 Mann den Italienern kampflos ausgeliefert hatte und der Weitermarsch Alliierten auf dem Balkan nach Saloniki und Österreich-Ungarns innerer Zerfall offenkundig war.

Deutschland, das allein einer Großoffensive der Alliierten an der Westfront gegenüber stand, begann schon im Oktober über einen Waffenstillstand mit dem amerikanischen Präsident Wilson zu verhandeln. Aber während die deutsche Armee an der Frontlinie blieb, brachen in den großen Städten und Häfen Deutschlands Aufstände der Arbeiter und Matrosen aus. In Berlin wurde die Republik ausgerufen, Kaiser Wilhelm II. verzichtete auf den Thron und ging am 10. November 1918 ins holländische Exil. Unter diesen Umständen schlossen die von dem Sozialdemokraten Friedrich Ebert geführten Vertreter der provisorischen Regierung Deutschlands am 11 November 1918 im Wald von Compiègne, in Frankreich, den Waffenstillstand, der den Krieg beendete.

So endete der blutigste Krieg, den die Weltgeschichte bis zu jener Stunde erlebt hatte - ein Krieg, aus dem Europa und die ganze Welt völlig verändert hervorging.

Die großen Reiche, das Deutsche Reich, Russland, das Habsburgerreich und das Osmanische Reich waren besiegt worden, sie verzeichneten keine Gebietserweiterungen mehr,

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sondern Verluste an Menschenleben und Ressourcen, ja man kann sagen, sie sind in sich zusammengefallen.

Einige Staaten wechselten ihre Regierungsform, andere ihr ganzes soziales und politisches System, andere wiederum wurden einfach aufgelöst. Die Vorherrschaft Europas über die ganze Welt war von nun an wegen der bedeutenden Rolle, die die Vereinigten Staaten beim Sieg über die Mittelmächte und bei der Gestaltung der neuen Nachkriegsordnung spielten, heftig umstritten und ernsthaft in Frage gestellt. Die sozialen Unruhen in Russland und anderen europäischen Ländern begünstigten das Erscheinen neuer politischer Regime, deren totalitärer, teils absurder Charakter im vorigen Jahrhundert noch nicht abzusehen war.

Die vom Krieg verursachten enormen Schäden, die Gräueltaten, stellten alle traditionellen Werte der vorher existierenden Welt in Frage. Die vom Krieg ausgelöste Gewissenskrise äußerte sich durch einen ausgeprägten Skeptizismus vor der Entwicklung der europäischen Zivilisation, durch den Verlust eines Sicherheits- und Kontinuitätsgefühls, mit einer neuen Lebenshaltung, die Gewalt akzeptierte und dem menschlichen Leben gegenüber Verachtung zeigte. Die späteren Gewalttaten und Grausamkeiten des Faschismus und Kommunismus wurden weitgehend von dieser Denkweise vorbereitet, die aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs geboren wurde.

Andererseits gab es auch die Überzeugung, dass dieser Krieg der letzte war, besonders weil das von ihm verursachte Gemetzel auf eine Grenze hinzuweisen schien, die die Selbstzerstörungstendenz der Menschen nicht mehr überschreiten könne. Auch wenn die Idealisten der Epoche, wie der Präsident Wilson, sich diesbezüglich irrten, haben ihre Bemühungen eine neue Welt ohne Krieg aufzubauen, die Hoffnungen eines neuen Jahrhunderts belebt, wonach die Gefahr eines mit Massenvernichtungswaffen geführten totalen Krieges letztendlich durch ein rationales System der Beziehungen zwischen den Staaten und durch den Triumph humanistische Prinzipien überwunden werden sollte.

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ANHANG*

Friedrich Schiller über den Sinn des Studiums der Geschichte:

“… wird Ihnen das Studium der Weltgeschichte eine ebenso anziehende als nützliche Beschäftigung gewähren. Licht wird sie ihrem Verstande und eine wohltätige Begeisterung in Ihrem Herzen entzünden. Sie wird ihren Geist von der gemeinen und kleinlichen Ansicht moralischer Dinge entwöhnen, und indem sie vor Ihren Augen das große Gemälde der Zeiten und Völker auseinander breitet, wird sie die vorschnellen Entscheidungen des Augenblicks und die beschränkten Urteile der Selbstsucht verbessern. Indem sie den Menschen gewöhnt, sich mit der ganzen Vergangenheit und mit seinen Schlüssen in die ferne Zukunft vorauszueilen: so verbirgt sie die Grenzen von Geburt und Tod, die das Leben des Menschen so eng und so drückend umschließen, so breiter sie optisch täuschend sein kurzes Dasein in einen unendlichen Raum aus und führt das Individuum unvermerkt in die Gattung hinüber.“

(Antrittsvorlesung Friedrich Schillers am 26. Mai 1789: „Einführung in die Universalgeschichte“, in Kurt Rossmann, Deutsche Geschichtsphilosophie, Ausgewählte Texte Lessing bis Jaspers, DTV, München, 1969, S. 159)

Der Philosoph Gottfried Wilhelm von Leibniz ( 1646 – 1716 ) schrieb 1677 über die Reichs- und völkerrechtliche Stellung der deutschen Fürsten:

Souverän (…) ist derjenige, der Herr eines hinreichend großen Gebietes ist um sich in Europa in Friedens- und Kriegszeit durch Verträge, militärische Macht und Bündnisse Ansehen zu verschaffen. Es macht dabei nichts aus, wenn er seine Gebiete nur als Lehen innehat oder gar die Majestät eines Oberhauptes über sich anerkennt, wenn er nur Herr im eigenen Hause ist und darin nicht anders als durch Waffengewalt beeinträchtigt werden kann. Die Majestät besteht in den Recht zu befehlen, ohne selbst Befehlen unterworfen zu sein, die Souveränität dagegen ist das anerkannte Recht, über Untertanen eine ungehinderte Zwangsgewalt auszuüben, seinerseits aber von niemanden zu etwas gezwungen werden zu können (…), es sei denn durch kriegerische Gewalt (…).

* Wo nicht anders angegeben, stammen die Texte aus Prof. Dr. Hilke Günther-Arndt, Dr. Dirk Hoffmann, Prof. Norbert Zwölfler, (Hrsg.), Geschichtsbuch Oberstufe, Band 1, Von der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Cornelsen Verlag, Berlin, 1995.

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Die größeren Fürsten Deutschlands und Italiens die durch ihre Machtmittel und Allianzen Ansehen genießen, sind Souveräne, mögen sie auch die Majestät von Kaiser und Reich anerkennen. Der Westfälische Frieden verhielt ihnen die Befugnis unter sich und mit auswärtigen Mächten Allianzen und Verträge zu schließen; sie können aus eigener Machtvollkommenheit Krieg erklären, sofern nur das Reich dadurch keinen Schaden erleidet ; und wenn das Reich seinerseits an jemanden Krieg erklärt, können sie neutral bleiben, sofern sie nur ihre Anteil an der Kriegssteuer bezahlen. Sie sind also nicht Untertanen im eigentlichen Sinne, denn ihre Person ist unverletzlich und ein Strafverfahren gegen sie persönlich daher nicht möglich; man kann sich allerdings dafür an ihre Staaten halten (…). Wenn die Eigenschaft als Reichsfürst die Träger dieser Würde zu Untertanen machte, so würde daraus folgen, dass die Könige von Spanien, Schweden und Dänemark, die ja auch Lehen vom Kaiser tragen und ihm denselben Eid leisten wie die deutschen Fürsten, damit Untertanen geworden wären.

Aus der Bill of Rights vom 13. Februar 1689:

Die in Westminster versammelten geistlichen und weltlichen Lords und Gemeinen, die gesetzmäßige, vollständige und freie Vertretung aller Stände des Volkes in diesem Königreich, legten am 13. Tag im Februar im Jahr unseres Herrn 1689 ihren Majestäten , zu der Zeit genannt und bekannt unter dem Namen und Titel Wilhelm und Maria Prinz und Prinzessin von Oranien, die in eigener Person anwesend waren, eine gewisse geschriebene Erklärung vor, welche von oben angeführten Lords und Gemeinen in folgenden Worten ausgestellt wurde (…):

Die angemaßte Befugnis Gesetze oder die Ausführung von Gesetzen durch königliche Autorität ohne Zustimmung des Parlaments aufzuheben ist gesetzwidrig.

Die angemaßte Befugnis von Gesetzen oder der Ausführung von Gesetzen durch königliche Autorität zu dispensieren, wie sie Kürzlich beansprucht und ausgeübt wurde, ist gesetzwidrig.

Die Errichtung des früheren außerordentlichen Gerichtshofes für kirchliche Rechtsfälle sowie alle anderen Kommissionen und Gerichtshöfe ähnlicher Natur sind gesetzwidrig und gefährlich.

Steuern für die Krone oder zum Gebrauch der Krone unter dem Vorwand einer Prärogative ohne Erlaubnis für längere Zeit oder in anderer Weise, als erlaubt oder bewilligt wurde, zu erheben, ist gesetzwidrig.

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Es ist das Recht des Untertans dem König Bittschriften einzureichen, und jede Untersuchungshaft sowie Verfolgung wegen solch einer Petition ist gesetzwidrig.

Es ist gegen das Gesetz, es sei denn mit Zustimmung des Parlaments, eine stehende Armee im Königreich in Friedenszeiten aufzustellen oder zu halten. den protestantischen Untertanen ist es erlaubt Waffen zu ihrer Verteidigung gemäß ihrer Stellung und wie es das Gesetz gestattet zu führen

Die Wahl von Parlamentsmitgliedern soll frei sein. Die Freiheit der Rede und der Debatten und Verhandlungen im Parlament darf von keinen Gerichtshof oder sonst wie außerhalb des Parlaments angefochten oder in Frage gestellt werden .Eine allzu hohe Bürgschaft darf nicht gefordert werden. Auch dürfen keine übermäßigen Geldstrafen auferlegt oder grausame und ungewohnte Strafen vollzogen werden ( … )

Um allen Beschwerden abzuhelfen sowie zur Besserung, Stärkung und Erhaltung der Gesetze sollen Parlamentssitzungen häufig gehalten werden ( … )

Im vollen Vertrauen , dass seine Hoheit der Prinz von Oranien seine diesbezügliche Erklärung erfüllen und sie gegen Verletzung diesbezügliche Erklärung erfüllen und sie gegen Verletzung ihrer hiermit zugesicherten Rechte sowie gegen alle sonstigen Angriffe auf ihre Religion , Rechte und Freiheiten schützen , wird , beschließen die zu Westminister versammelten geistlichen und weltlichen Lords und Gemeinen, dass Wilhelm und Maria, Prinz und Prinzessin von Oranien, König und Königin von England sein und als solche erklärt werden sollen.

Friedrich II. von Preußen (1740-1786 ) in seinem 1752 verfassten Politischen Testament:

Eine gut geleitete Staatsregierung muss ein ebenso fest gefügtes System haben wie ein philosophisches Lehrgebäude. Alle Maßnahmen müssen gut durchdacht sein. Finanzen, Politik und Heerwesen auf ein gemeinsames Ziel steuern: nämlich die Stärkung des Staates und das Wachstum seiner Macht. Ein System kann aber nur aus einem Kopfe entspringen; also muss es aus dem des Heerschers hervorgehen. Trägheit, Vergnügung und Dummheit; diese drei Ursachen hindern die Fürsten an ihrem edlen Berufe für das Glück der Völker zu wirken ( … ).

Der Herrscher ist nicht zu seinem hohen Rang erhoben, man hat ihm nicht die höchste Macht anvertrauen, damit er Verweichlichung dahinlebe, sich vom Mark des Volkes mäste und glücklich sei während alles darbt. Der Herrscher ist der erste Diener des Staates. Er wird gut besoldet, damit er die Würde seiner Stellung aufrechterhalte. Man fordert aber von ihm, dass er werktätig für das Wohl des Staates arbeite und wenigstens die Hauptgeschäfte mit Sorgfalt

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leite. Er braucht zweifellos Gehilfen. Die Bearbeitung der Einzelheiten wäre zu umfangreich für ihn. Aber er muss ein offenes Ohr für alle Klagen haben (…).

Geheimartikel des Teilungsvertrags vom 15./26. Januar 1797 zwischen Russland, Österreich und Preußen:

Da die beiden kaiserlichen Höfe ebenso wie Seine Majestät der König von Preußen es für notwendig erachten alles zu zerstören, was die Erinnerung an die Existenz des Königreichs Polen zurückrufen könnte, nachdem dieses politische Gebilde endgültig beseitigt worden ist, kommen die Hohen Vertragsschließenden Parteien überein und verpflichten sich niemals in Ihre Titel die Benennung oder die Zusatzbezeichnung „Königreich Polen“ aufzunehmen, eine Bezeichnung, die von jetzt an und für immer unterdrückt bleiben muss.

Aus der Rheinbundakte vom 12. Juli 1806 :

Art I. Folgende Staaten (Aufzählung der vertragschließenden Staaten 1) trennen sich für immer vom deutschen Reich und schließen unter sich einen Sonderbund mit dem Namen Rheinbund (…).

Art XXXV: Zwischen dem französischen Reich und den Rheinbundstaaten wird insgesamt und einzeln eine Allianz geschlissen, in deren Folgen jeder Krieg auf dem Kontinent, den eine der vertragschließenden Mächte führen muss, sofort für alle anderen zur gemeinsamen Sache wird. (…)

Art XXXVIII: Das Kontinent, das jeder der Verbündeten im Kriegsfall stellen muss, wird wie folgt festgesetzt;

Frankreich stellt 200 000 Mann aller Waffen

Bayern 30 000 Mann aller Waffen

Württemberg 12 000 Mann

Der Großherzog von Baden 8 000

Der Großherzog von Berg 5 000

Der Großherzog von

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Hessen – Darmstadt 4000

Ihre Hochzeit der Herzog und der Fürst von Nassau stellen mit den anderen verbündeten Fürsten ein Kontingent von 4 000 Mann (…).

Art XXXIX: Die hohen vertragschließenden Parteien behalten sich vor in Zukunft in den neuen Bund auch weitere deutsche Fürsten und Staaten aufzunehmen, wenn sie befinden, dass die Aufnahme im gemeinsamen Interesse liege.

Napoleon I. über den Wert des Menschen in einem Gespräch mit Metternich (Dresden 1813)

Napoleon: Sie wollen also den Krieg? Nun Sie sollen ihn haben. Ich habe die preußische Armee bei Lützen vernichtet, die Russen bei Bautzen zerschmettert, und nun wollen Sie an die Reihe kommen. Sehr schön!

Metternich: Ich habe Ihre Soldaten gesehen, sie sind kaum mehr als Kinder. Und wenn diese Säuglinge weggefegt sind, was bleibt Ihnen dann?

Napoleon: (Gerät in Wut und schleudert seinen Hut in die Ecke): Sie sind nicht Soldat und wissen nicht, was eine Soldatenseele ist. Ich bin im Lager aufgewachsen und schere mich den Teufel um das Leben einer Million Menschen! (Unterstr. S.M. und R.G.)

Metternich: Wenn die Worte, die Sie soeben geäußert haben, nur von einem Ende Europas bis zum anderen widerhallen könnten!

Napoleon ich mag meinen Thron verlieren, aber unter seinen Trümmern werde die ganze Welt Ich begraben

Und zum Vergleich: Joseph Goebbels im Jahre 1945: “Wir werden die Tür hinter uns zuknallen, dass die Welt wackeln wird!”

(Freund, Michael, Deutsche Geschichte, Bertelsmann Verlag, Gütersloh, 1960)

Klemens Zens, Geschichte aktuell, II, Von der Renaissance bis zur Oktoberrevolution, Pädagogik aus dem Bundesverlag, Österreichischer Bundesverlag, Wien, 1981, S. 114

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Aus der Instruktion Fürst Metternichs (1773-1859) für den österreichischen Gesandten in der Schweiz, Baron von Binder, vom 9. Juni 1826:

Das erste Ziel der Bemühungen unserer Regierung und aller seit der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Europas mit ihr verbündeten Regierungen ist die Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung, die das glückliche Ergebnis dieser Wiederherstellung ist; eines Zustandes der Ruhe, der allen die Früchte eines so teuer erkauften Friedens sichert und dadurch allein die für die Zukunft gesäten Keime des Guten fruchtbar zu machen vermag. Seit einigen Jahren sehen wir zu unserer Genugtuung, wie mehrere der Regierungen, die am spätesten die Notwendigkeit der zur Errichtung dieses Zieles geeigneten Maßnahmen einsahen, sich endlich zu der Überzeugung durchrangen, dass die Unterdrückung des noch bestehenden Übels die erste und unerlässlichste Vorbedingung dafür ist. Dieses Übel, man kann es nicht verhehlen, hat gerade seit der allgemeinen Befriedung erschreckende Fortschritte gemacht. Es ist allumfassend in seiner unheilvollen Betätigung, es äußert sich in allen möglichen Formen, in fast allen Ländern. Da es in seiner destruktiven Betätigung allumfassend ist, kann es nur durch einen allumfassenden Widerstand bekämpft und besiegt werden. Dieses Übel ist der revolutionäre Geist, geboren aus jener ordnungswidrigen Unruhe, welche die Umwälzungen der Epoche der heutigen Generation aufgeprägt haben , gespeist durch begehrliche Leidenschaften und tiefe Entsittlichung der einen, begrüßt durch den Fanatismus der anderen. Systematisch in ihren Plänen, streng folgerichtig in ihrem lichtscheuen Treiben finden die Führer dieser gottlosen Sekte, die sich zum Umsturz der Altäre und Throne zusammenschloss, von einem Ende Europas zum anderen Verbündete für die Durchführung ihrer verbrecherischen Unternehmungen überall da, wo dieselben Leidenschaften, dieselben sozialen Verhältnisse in gleicher Weise auf die Geister sich auswirken. Wo sie im Augenblick ihre Brandfackel noch nicht schleudern können, bauen sie ihre Batterien für die Zukunft auf; durch Unglauben und Freigeisterei korrumpieren sie die Gesinnung einer irregeleiteten Jugend, um ihr im günstigen Augenblicke die Waffen in die Hand zu drücken. [...]

Es ist Zeit, dass alle Regierungen Europas, welches auch immer ihre Verfassungsform sein mag, zu der Einsicht gelangen, dass isolierte Maßnahmen der Schwere des Übels nicht mehr gewachsen sind; dass es um ihrer aller gemeinsame Sache geht; dass sie handeln müssen, im gleichen Geist und durch gemeinsame Maßnahmen gegen ein Übel, das sie alle in gleicher Weise bedroht, und dass die Notwendigkeit ihrer Selbsterhaltung ihnen die Pflicht auferlegt einander aus freien Stücken zu helfen um eine destruktive Kraft auszutilgen, welche das Schicksal der Staaten in Frage stellt, die Jahrhunderte voller Kriege und politischer Stürme unerschüttert überstanden haben.

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Fichte: „Rede an die deutsche Nation“

1807-1808 hielt der deutsche Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814) in Berlin eine Vorlesung unter dem Titel „Reden an die deutsche Nation“, die unter den Gebildeten der Stadt großen Anklang fand und veröffentlicht wurde (Auszug):

Gehet ihr ferner so hin in eurer Dumpfheit und Achtlosigkeit, so erwarten euch zunächst alle Übel der Knechtschaft: Entbehrungen, Demütigungen, der Hohn und Übermut des Überwinders: ihr werdet herumgestoßen werden in allen Winkeln, weil ihr allenthalben nicht recht und im Wege seid, solange, bis ihr, durch Aufopferung eurer Nationalität und Sprache, euch irgendein untergeordnetes Plätzchen erkauft und bis auf diese Weise allmählich euer Volk auslöscht. Wenn ihr euch dagegen ermannt zum Aufmerken, so findet ihr zuvorderst eine erträgliche und ehrenvolle Fortdauer und sehet noch unter euch und um euch herum ein Geschlecht aufblühen, das euch und den Deutschen das rühmlichste Andenken verspricht. Ihr sehet im Geiste durch dieses Geschlecht den deutschen Namen zum glorreichsten unter allen Völkern erhoben, ihr seht diese Nation als Wiedergebärerin und Wiederherstellerin der Welt.

Es hängt von euch ab, ob ihr das Ende sein wollt und die Letzten eines nicht achtungswürdigen und bei der Nachwelt gewisse sogar über die Gebühr verachteten Geschlechtes, bei dessen Geschichte die Nachkommen, falls es nämlich in der Barbarei, die da beginnen wird, zu einer Geschichte kommen kann, sich freuen werden, wenn es mit ihnen zu Ende ist, und das Schicksal preisen werden, dass es gerecht sei; oder ob ihr der Anfang sein wollt und der Entwicklungspunkt einer neuen, über alle eure Vorstellung herrlichen Zeit [...] Bedenket, dass ihr die Letzten seid, in deren Gewalt diese große Veränderung steht. Ihr habt doch noch die Deutschen als Eins nennen hören, ihr habt ein sichtbares Zeichen ihrer Einheit , ein Reich und einen Reichsverband gesehen oder davon vernommen, unter euch haben noch von Zeit zu Zeit Stimmen sich hären lassen, die von dieser höheren Vaterlandsliebe begeistert waren. Was nach euch kommt, wird sich an andere Vorstellungen gewöhnen , es wird fremde Formen und einen anderen Geschäfts – und Lebensgang annehmen; und wie lange wird es noch dauern, dass keiner mehr lebe, der Deutsche gesehen oder von ihnen gehört habe?

Was von euch gefordert wird, ist nicht viel. Ihr sollt es nur über euch erhalten euch auf kurze Zeit zusammenzunehmen und zu denken über das, was euch unmittelbar und offenbar vor den Augen liegt. Darüber nur sollt ihr euch eine feste Meinung bilden, derselben treu bleiben und sie in eurer nächsten Umgebung auch äußern und sie in eurer nächsten Umgebung auch äußern und aussprechen. Es ist die Voraussetzung, es ist unsre sichere Überzeugung, dass der Erfolgt dieses Denkens bei euch allen auf die gleiche Weise ausfallen werde und dass, wenn ihr nur wirklich denket und nicht hingeht in der bisherigen Achtlosigkeit, ihr übereinstimmend denken werdet; dass, wenn ihr nur überhaupt Geist euch anschaffen und nicht in dem bloßen

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Pflanzenleben verharren bleibt, die Einmäßigkeit und Eintracht des Geistes von selbst kommen werde. Ist es aber einmal dazu gekommen, so wird alles Übrige, was uns nötig ist, sich von selbst ergeben.

Heinrich von Treitschke über die Lage in Deutschland vor der Gründung des deutschen Kaiserreichs

Noch vor der Gründung des deutschen Kaiserreichs von 1871 kommentierte der deutsche Historiker Heinrich von Treitschke (1843 – 1896) die Lage in Deutschland:

Die unzufriedenen Massen, man täusche sich nicht, hegen mehr Vertrauen zu dem Königtum als zu dem Parlamente. [...] Die Zustände der Gesellschaft sind in Deutschland im Ganzen gesünder, die Klassengegensätze minder schroff als in Frankreich; niemand denkt bei uns an eine populäre Tyrannis, einen socialisme autoritaire . Doch ein starkes Königtum, das über den sozialen Gegensätze steht, ist uns unentbehrlich um den Frieden in der Gesellschaft zu wahren und zu festigen, die gewaltigen Probleme, welche die rasch anwachsende Volkswirtschaft noch aufwerfen wird, unbefangen zu lösen. [...] Dies große Vaterland der Freiheit des Gedankens hat eine Tyrannei der Mehrheit nie gewollt, weder im Staate noch in der Gesellschaft; und dass dem so bleibe, dass es in Deutschland der Mehrheit nie gelinge die Minderheit zu unterjochen, sie mundtot zu machen, dafür soll unser nationales Königtum schützend einstehen. Erwägen wir diese Macht des preußischen Königtums und die großen Aufgaben, welche die deutsche Nation noch mit seiner Hilfe zu lösen hat, so scheint unverkennbar, dass unser Liberalismus einige seiner Lieblingswünsche ermäßigen muss, die mit einer lebendigen monarchischen Gewalt sich nicht vertragen. Dazu zählt vornehmlich das Verlangen nach einer Parteiregierung im englischen Sinne und nach dem Rechte der unbeschränkten Steuerverweigerung. [...] Eine solche monarchische Regierung besitzt unleugbar größere Stetigkeit als ein Parteiregime; dass sie den Fortschritt hemme, ist durch die Erfahrung nicht erwiesen.[...] Das Verlangen nach parlamentarischer Parteiregierung entstammt der urteilslosen Bewunderung englischer Zustände; der Gedanke des absoluten Steuerverweigerungsrechts dagegen ist das rechtmäßige Kind neufranzösischer Doktrinen.

Aus dem Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Erfurt 1891:

Die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft führt mit Naturnotwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes, dessen Grundlage das Privateigentum

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des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln bildet. Sie trennt den Arbeiter von seinen Produktionsmitteln und verwandelt ihn in einen besitzlosen Proletarier, indes die Produktionsmittel das Monopol einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Kapitalisten und Großgrundbesitzern werden. (…)

Nur die Verwaltung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln – Grund und Boden, Gruben und Bergwerke, Rohstoffe, Werkzeuge, Maschinen, Verkehrsmittel – in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebene Produktion kann es bewirken, dass der Großbetrieb und die stets wachsende Ertragsfähigkeit der gesellschaftlichen Arbeit für die bisher ausgebeuteten Klassen aus einer Quelle des Elends und der Unterdrückung zu einer Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger ,harmonischer Vervollkommnung werde. Diese gesellschaftliche Umwandlung bedeutet die Befreiung nicht bloß des Proletariats, sondern des gesamten Menschengeschlechts, das unter den heutigen Zuständen leidet. Aber sie kann nur das Werk der Arbeiterklasse sein weil alle anderen Klassen, trotz des Privateigentums an Produktionsmitteln stehen und die Erhaltung der Grundlagen der heutigen Gesellschaft zum gemeinsamen Ziel haben. (…)

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands kämpft also nicht für neue Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst und für gleiche Rechte und gleich Pflichten aller ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung. Von diesen Anschauungen ausgehend bekämpft sie in der heutigen Gesellschaft nicht bloß die Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter, sondern jede Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen eine Klasse, eine Partei, ein Geschlecht oder eine Rasse.

Ausgehend von diesen Grundsätzen fordert die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zunächst:

Allgemeines, gleiches direktes Wahl- und Stimmrecht mit geheimer Stimmabgabe aller über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts für alle Wahlen und Abstimmungen. (…)

Direkte Gesetzgebung durch das Volk vermittelst des Vorschlags- und Verwerfungsrechts. (…)

Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. (…)

Abschaffung aller Gesetze, welche die freie Meinungsäußerung und das Recht der Vereinigung und Versammlung einschränken oder unterdrücken.

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Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlicher und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benachteiligen.

Erklärung der Religion zur Privatsache. (… )

Weltlichkeit der Schule. Obligatorischer Besuch der öffentlichen Volksschulen. Unentgeltlichkeit des Unterrichts der Lehrmittel und der Verpflegung ( … ) .

Unentgeltlichkeit der Rechtspflege und des Rechtsbeistands . ( … )

Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleistung ( … )

Zum Schutze der Arbeiterklasse fordert die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zunächst:

Eine wirksame nationale und internationale Arbeiterschutzgesetzgebung (=

Überwachung aller gewerblichen Betriebe … )

Rechtliche Gleichstellung der landwirtschaftlichen Arbeiter und der Dienstboten mit den gewerblichen Arbeitern; Beseitigung der Gesindeordnungen .

Sicherstellung des Koalitionsrechts.

Übernahme der gesamten Arbeiterversicherung durch das Reich mit maßgebender Mitwirkung der Arbeiter an der Verwaltung .

Der preußisch-österreichische Krieg - Königgrätz

Wie ein Todgeweihter ging Benedek in die Schlacht. Man hatte ihn, der nur Italien kannte, gezwungen, den Oberbefehl auf dem deutschen Kriegsschauplatz zu übernehmen. Er war überzeugt, dass Habsburg Vabanque spielte. Am 1. Juli 1866, zwölf Uhr mittags, sendet Benedek an den Kaiser ein Telegramm, in dem seine ganze Mutlosigkeit zum Ausdruck kommt: „Bitte Eure Majestät dringend den Frieden zu schließen. Katastrophe der Armee unvermeidlich." Es ist in der Weltgeschichte einzigartig, dass der Oberkommandierende schon vor der Schlacht die Katastrophe ankündigt.

3. Juli 1866

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„Vorgestern schon besorgte Katastrophe der Armee heute vollständig eingetreten.“

Den Kriegsausgang entschied Moltkes neue Kriegstechnik. Er ließ die Armeen getrennt marschieren, aber vereint schlagen. Das preußische Zündnadelgewehr gab dem Heer eine Überlegenheit wie die Panzerwaffe den Armeen der Alliierten im Herbst 1918.

In Rom sagte ein Kardinal: „Il mondo casca – Die Welt stürzt zusammen!“

(Freund, Deutsche Geschichte)

Artikel 19 der österreichischen Dezemberverfassung von 1867:

Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache:

Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt.

In den Ländern, in welchen mehrer Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, dass ohne Anwendung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält.

Kulturkampf: Der Kanzelparagraph (1871)

„Der sogenannte <Kanzelparagraph> wurde am 10. Dezember 1871 auf Antrag Bayerns und nach italienischem Vorbild dem deutschen Strafgesetzbuch eingefügt, um religiösen Kultus strikt von politischen Willensbekundungen zu trennen. … Äußerer Anlass war das vom ersten vatikanischen Konzil 1870 gegen energischen Widerspruch gerade auch deutscher Katholiken verkündete Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes <ex cathedra>…“

„Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnen im Namen des Deutschen Reiches, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrates und des Reichstages, was folgt:

Einziger Artikel. Hinter § 130 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich wird folgender neue §130a eingestellt:

Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge, oder welcher in einer Kirche

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oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte vor Mehreren Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft.

Urkundlich unter Unserer Höchsteigenständigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.

Gegeben Berlin, den 10. Dezember 1871

Wilhelm

Fürst v. Bismarck

(Bruch, Hofmeister, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Band 8, Kaiserreich und Erster Weltkrieg, 1871-1918, 2. Aufl. Philip Reclam Verlag, Stuttgart 2002, S. 44-45.

Aus dem „ Kissinger Diktat“ des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck ( 1815 – 1898 ) vom 15 . Juni 1877 :

Ich wünsche, dass wir, ohne es auffällig zu machen, doch die Engländer ermutigen, wenn sie Absichten auf Ägypten haben: Ich halte es in unserem Interesse und für unsere Zukunft eine nützliche Gestaltung, einen Ausgleich zwischen England und Russland zu fördern, der ähnlichen gute Beziehungen zwischen beiden, wie im Beginn dieses Jahrhunderts, und demnächst Freundschaft beider mit uns in Aussicht stellt. Ein solches Ziel bleibt vielleicht unerreicht, aber wissen kann man das auch nicht. Wenn England und Russland auf der Basis, dass Ersteres Ägypten, Letzteres das Schwarze Meer hat, einig würden, so wären beide in der Lage auf lange Zeit mit Erhaltung des Status quo zufrieden zu sein und doch wieder in ihren größten Interessen auf eine Rivalität angewiesen , die sie zur Teilnahme an Koalitionen gegen uns, abgesehen von inneren Schwierigkeiten Englands für dergleichen, kaum fähig macht.

Ein französischen Blatt sagte neulich von mir, ich hätte „le Cauchemar des coalitions“; dieser Art Alp wird für einen deutschen Minister noch lange und vielleicht immer ein sehr berechtigter bleiben. Koalition gegen uns können auf westmächtlicher Basis mit Zutritt Österreichs sich bilden, gefährlicher vielleicht noch auf russisch- österreichisch – französischer; eine große Intimität zwischen zweien der drei letztgenannten Mächte würde der dritten unter ihnen jederseits das Mittel zu einem sehr empfindlichen Drucke auf uns bieten. In der Sorge vor

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diesen Eventualitäten, nicht sofort, aber im Lauf der Jahre, würde ich als wünschenswerte Ergebnisse der orientalischen Krisis für uns ansehen:

1. Gravitierung der russischen und der österreichischen Interessen und gegenseitigen Rivalitäten nach Osten hin .

2. Der Anlass für Russland eine starke Defensivstellung im Orient und an seinen Küsten zu nehmen und unseres Bündnisses zu bedürfen.

3. Für England und Russland ein befriedigender status quo der ihnen dasselbe Interesse an Erhaltung des Bestehenden gibt, welches wir haben,

4. Loslösung Englands von dem uns feindlich bleibenden Frankreich wegen Ägypten und des Mittelmeers,

5. Beziehungen zwischen Russland und Österreich , welche es beiden schwierig machen die antideutsche Konspiration gegen uns gemeinsam herzustellen ([...] ) .

Wenn ich arbeitsfähig wäre, könnte ich das Bild vervollständigen und feiner ausarbeiten, welches mir vorschwebt: nicht das irgendeines Ländererwerbes, sondern das einer politischen Gesamtsituation, in welcher alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden.

Österreich-Ungarn vor dem Ersten Weltkrieg„Über seine Völkerschaften thronte der Kaiser, ein Mann sagenhafter Vorwelt, der junge Herr der Gegenrevolution von 1848, der alt, erfahren und pessimistisch geworden war. Die Leute liebten ihn jetzt oder bewunderten ihn doch, seinen strengen Lebensstil, sein würdiges, pflichttreues Arbeitsdasein. Keine prahlerischen Reden hier, keine schillernden Taktlosigkeiten, aber sommers und winters aufstehen um 5 Uhr und Arbeit bis in die Nacht für das Wohl seiner Völker, so wie der Greis es verstand.“

„Aber es gab auch viel Hass im alten Österreich, und Wien, das goldene Wien, brütete ihn wie aus Sumpf die Fieberkrankheiten: Hass der kleinen Leute gegen die Juden…, Hass des Bürgertums gegen die Sozialdemokraten; Hass der Nationalitäten, der Deutschen und Slawen gegeneinander; Hass der Erfolglosen gegen jene denen es besser ging.“

(Mann, Golo, Deutsche Geschichte des 19. Und 20. Jahrhunderts, 17. Auflage, S. Fischer Verlag, 1983)

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Zens, Geschichte aktuell, 2)

„Wien war mehr als die Hauptstadt des Habsburgerreiches – Wien war ein Geisteszustand. Zwei Haltungen standen im Gesichtsfeld der meisten Einwohner dieser Stadt einander gegenüber: Heiteres Genießen der Künste oder Ästhetizismus einerseits und Indifferenz gegenüber politischen und gesellschaftlichen Reformen oder therapeutischem Nihilismus andererseits…

In Hunderten von Kaffeehäusern unterhielten sich damals Intellektuelle miteinander, ohne an eine Veränderung der Realität auch nur zu denken…

Auf diese bezog sich auch Graf Berthold, Minister des Äußeren, als man ihn 1914 warnte, dass der Krieg mit Russland im eigenen Land zur Revolution führen könnte: „Wer sollte wohl die Revolution machen“, fragte er, „Herr Trotzki im Café Central?“

„Wir die wir in Wien geboren und aufgewachsen sind, hatten während der glanzvollen Zeit der Stadt vor dem Ersten Weltkrieg keine Ahnung, dass diese Epoche das Ende bedeuten sollte… und noch viel weniger ahnten wir, dass die Habsburger-Monarchie zum Untergang bestimmt war. Wir genossen die herrliche Stadt, die so elegant und schön war, und dachten keinen Augenblick daran, dass das Licht, das über ihr strahlte, das eines farbigen Sonnenuntergangs sein könnte“ (Max Graf, Musikkritiker) (Johnston, M. William, Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938, Böhlau Verlag Wien, Köln,Weimar, 1992)

Golo Mann über die Rolle des Staates vor dem Ersten Weltkrieg„Nein, nicht der Klassenkampf war Europas Schicksal. Klassen gab es, aber nicht deren zwei überall, wie Marx mit vereinfachender Plumpheit prophezeit hatte, sondern unzählige Nuancen von Klassen. Sie hatten immer zusammengelebt, sie würden schlecht und recht auch weiter zusammen leben, Veränderungen im Sinne wachsender Gleichheit sich allmählich vollziehen. Der Staat war Europas Schicksal. Er auch bestimmte, so oder so, das Verhältnis der Klassen zueinander. Er bot einer Klasse mehr als der anderen, zu ihrem Vorteil stärker ausgenutzt als von anderen, aber er war mit keiner identisch. Was in den folgenden Jahrzehnten den Lauf der Dinge im Guten und Bösen charakterisierte, koloniale Expansion und imperialistischer Streit, Schutzzölle und Flottenbau, Bündnisse, Gegenbündnisse und Wettrüsten, technische Erziehung und Welthandelskonkurrenz und philosophische Doktrinen vom Recht des Stärkeren – es war alles durch den nationalen Machtstaat und nicht ohne ihn. […] Durch ihre Machtkonkurrenz haben die Staaten dann schließlich auch die Revolution zur Hintertür wieder hereingelassen. Ohne 1914 kein 1917. Nun wurden, spät, die extremsten Versprechen von 1848 verwirklicht;

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der Nationalismus dort, wo er noch unbefriedigt geblieben war, und der Kommunismus. Aber: anders, ganz anders. Was nun geschah, hätten die Achtundvierziger, Karl Marx nicht ausgenommen, kaum als Erfüllung ihres Testamentes anerkannt.“ (Golo Mann, Propyläen Weltgeschichte, Bd. VIII.)

Die Abdankungsurkunde Wilhelms II

„Ich verzichte hierdurch für alle Zukunft auf die Rechte an der Krone Preußens und die damit verbundenen Rechte an der deutschen Kaiserkrone.Zugleich entbinde Ich alle Beamte des Deutschen Reiches und Preußens, sowie alle Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Marine, des preußischen Heeres und der Truppen der Bundeskontingente des Treueides, den sie Mir als ihrem Kaiser, König und Obersten Befehlshaber geleistet haben. Ich erwarte von Ihnen, dass sie bis zur Neuordnung des Deutschen Reiches den Inhabern der tatsächlichen Gewalt in Deutschland helfen, das Deutsche Volk gegen die drohende Gefahren der Anarchie, der Hungersnot und der Fremdherrschaft zu schützen.

Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedruckten Kaiserlichen Insiegel.

Gegeben Amerongen, den 28. November 1918.

Wilhelm

(vom Bruch, Hofmeister, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, Band 8, Kaiserreich und Erster Weltkrieg 1871-1918, Philipp Reclam jun. Stuttgart, 2. Aufl. 2002, S. 482)

Die politischen Prinzipien der Heiligen Allianz

Beim Wiener Kongress waren eine Reihe von hervorragenden Persönlichkeiten anwesend, Fürsten und Diplomaten, deren politische Anschauungen die Neuorganisierung Europas beeinflussen sollten.

Infolge der Gespräche, die während des Kongresses stattfanden, gründeten der orthodoxe Zar Russlands, Alexander I., der katholische Kaiser Österreichs, Franz I. und der evangelische König von Preußen Friedrich Wilhelm III. im September 1815 in Paris die Heilige Allianz. Durch dieses Abkommen verpflichteten sich die drei Herrscher aufgrund ihrer

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christlichen Solidarität und gemäß „den Worten der Hl. Schrift“ (Art. 1), sich gegenseitig, in ihrer Innen- und Außenpolitik zu unterstützen. Dieses Abkommen setzte keine konkreten politischen Konsequenzen voraus, da es kein regelrechter, formeller Vertrag war. Man verstand ihn eher als ein Abkommen mit starkem moralischem Wert. Es beinhaltete auch eine Reihe von mystisch-religiösen Formulierungen wie „aus unserer Verantwortung vor Gott“ (Stichwort Gottesgnadentum) leiteten sie ihr Recht zur Intervention gegen alle nationalen und liberalen Bestrebungen ab. Das revolutionäre Prinzip der Menschenrechte wurde durch den Gott gebührenden Respekt ersetzt. Der Initiator dieses Textes war Zar Alexander, eine komplexe Persönlichkeit, typisch für die romantische Epoche, gespalten zwischen dem russischen Traditionalismus, einem starken Mystizismus unter deutschem Einfluss und liberalen Tendenzen, die ihren Ursprung in seiner französischen Erziehung hatten.

Großbritannien aber, das in Wien vom Leiter des Foreign Office, dem Lord Castlereagh, vertreten war und die europäische Stabilität entschlossen verteidigte, hat dieses Dokument nicht unterschrieben. Dieser Text entsprach wegen seinem mystischen Charakter nicht dem pragmatischen Sinn der britischen Diplomatie und dem britischen Geiste.

Im Gegenzug veranlasste Großbritannien die Gründung des Viererpakts, ein Bündnis das ursprünglich gegen Frankreich gerichtet war und später durch die gemeinsame Aktion der Mitglieder und das Interventionsrecht der Großmächte, das „Konzert der Mächte“, die Bewahrung der europäischen Stabilität verfolgte. Dieses Bündnis der vier Großmächte setzte durch, dass sich ihre Botschafter oder Herrscher periodisch auf Konferenzen trafen und die europäische Politik im Sinne ihrer Absichten und Ziele bewachten.

Frankreich, in Wien von seinem Außenminister Talleyrand vertreten (er war Außenminister unter Barras, Napoleon und Ludwig XVIII.; er hatte seinen Herrscher Napoleon verraten, als er spürte, dass dessen Macht sinken würde), wollte die politische Isolierung, in der es sich befand, durchbrechen.

Die herausragende Gestalt des Kongresses war Fürst Metternich, der Kanzler Österreichs, der konsequent den Aufbau eines stabilen Europas verfolgte, vereint aufgrund der Prinzipien des Konservativismus und der Legitimität, ein Europa mit unveränderlichen Grenzen und Regierungen. Folglich widersetzte sich Metternich jedem Versuch, diese Stabilität zu verletzen, jeder subversiven Tendenz, egal ob sie aus dem liberalen oder aus dem nationalen Lager stammte.

Es gab und gibt Historiker, die behaupten, dass der Geist des Kongresses von Wien ein reaktionärer war, gegen die Errungenschaften der französischen Revolution gerichtet. Auch wurde dieser Kongress kritisiert, weil er die sich im Keim befindlichen nationalen Ideen und Wünsche nicht beachtet habe. Andererseits aber war dieser Kongress der Beginn einer lang

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andauernden europäischen Friedensperiode, während der Europa keine verheerenden Kriege und Revolutionen mehr erlebte. Mehr noch, das System, das vom Wiener Kongress eingeleitet wurde, hat auch die Bedeutung eines paneuropäischen Verständnisses wachsen lassen, das jedoch nicht auf die Zusammenarbeit zwischen den Nationen, sondern auf jene zwischen ihren Herrschern aufgebaut war. Was die internationalen Beziehungen betrifft, hat dieser Kongress die Stabilität und die Ruhe Europas gesichert, Ziele, für die sich besonders Metternich, aber auch die britische Diplomatie eingesetzt haben.

Die Herrscher, die sich in Wien versammelt hatten, waren der Ansicht, dass diese Stabilität nicht nur durch die Aufrechterhaltung des territorialen status-quo gesichert würde, sondern auch durch die konservativen politischen Regierungen, die sich jeder innenpolitischen Veränderungen widersetzten. Eben dies war der Bereich, in dem die Politik der Heiligen Allianz Schwierigkeiten bekommen sollte. Die liberalen, politischen und sozialen Veränderungstendenzen, in Verbindung mit den sich immer stärker durchsetzenden Nationalismen, haben letztlich das konservative und legitim dynastisch-europäische Sicherheitssystem Metternichs gesprengt und beseitigt.

Die Erfolge und Misserfolge des „Systems Metternich“

Trotz des allgemeinen Wunsches nach Stabilität, nach Frieden und Sicherheit, ist es selbstverständlich, dass dieses Bündnis der Herrscher Europas nicht immer perfekt funktionieren konnte. Während des ganzen Jahrhunderts bildet der englisch-russische Gegensatz eine ernstliche europäisch-geostrategische Rivalität. Die beiden Mächte stießen besonders im Orient und in Asien aufeinander. Bedeutend war auch die Rivalität zwischen Österreich und Preußen. Letzteres wollte seinen Einfluss und seine Positionen im Deutschen Bund festigen. Frankreich, das im Jahre 1815 zum Schweigen gezwungen wurde, versuchte die existierenden Gegensätze auszunutzen und den von den Mächten gelassenen Freiraum zu benützen, um wieder Einfluss auf die europäische Politik zu gewinnen.

Nach 1815 waren die ernsthaften Verteidiger dieser Stabilität, Österreich und Großbritannien, die beiden Mächte, die lediglich eine Bewahrung des status-quo verfolgten. Österreich befürchtete, dass die nationalen Bewegungen in Italien und Deutschland seine Interessen in diesen Regionen beeinträchtigen würde. Gleichzeitig widersetzte sich Österreich dem russischen Vordringen auf dem Balkan. Hier stimmen seine Interessen mit denen Englands überein, das auch die Bewahrung der Integrität des Osmanischen Reiches wünschte, eben um seinen Einfluss im östlichen Mittelmeer zu bewahren und die Kontrolle über den Weg nach Indien auszuüben.

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Dieses System internationaler Politik, von Metternich mit allen Kräften unterstützt, beweist seine Effizienz besonders in der Zeitspanne von 1815 bis 1822. Immer wenn in einem Punkte Europas innere oder äußere Konflikte auftraten, die die Stabilität Europas in Gefahr setzten, trafen sich die Vertreter der Großmächte in einem Kongress und beschlossen gemeinsam, wie sie vorzugehen hätten, militärisch oder diplomatisch.

Beim Kongress von Aachen (Aix-la Chapelle; 1818), wurde dieses Konzert der Mächte durch die Aufnahme Frankreichs in die Heilige Allianz erweitert. Die Konferenzen von Karlsbad und Wien, 1819 und 1820, befassten sich mit der Überwachung und Neutralisierung der Studentenunruhen in den deutschen Ländern. Die Kongresse von Troppau, Oktober 1820 und Laibach/Ljubljana, Januar 1821, beauftragten Österreich, auf Ersuchen der Könige von Piemont und Neapel, militärisch in diesen Staaten einzugreifen, um die Unruhen der italienischen National-Patrioten niederzuwerfen (In Neapel arbeitete der Geheimbund der Carbonari seit 1769 für eine nationale Revolution). 1820 wurde König Ferdinand I. gezwungen, eine Verfassung anzunehmen. Sizilien versuchte sich aus dem Königreich loszulösen. Die Revolution breitete sich in Sardinien-Piemont aus. Der militärische Eingriff Österreichs löste Hass gegen die Habsburger aus. Österreich behielt seine Truppen in diesen Ländern bis zum Jahre 1823.

1820 wurde in Spanien infolge einer Truppenrevolte in Cadiz und einer Revolution der Liberalen, König Ferdinand VII. abgesetzt. Gegen den britischen Einspruch, unter Wellington, beauftragte der Kongress von Verona im Oktober 1822 Frankreich mit der militärischen Intervention in Spanien, um König Ferdinand wieder auf den Thron zu bringen. Die französischen Truppen greifen ein, besetzen 1823 Madrid und die Festung Trocadero. Nach dem Tod Ferdinands VII., der unter französischer Besatzung harte Vergeltung übte, brachen die Gegensätze in Spanien erneut im sog. Karlistenkrieg (1834-1839) aus.

Nach 1822 aber wird die Solidarität der europäischen Monarchen immer schwächer. Das fast föderative System von Metternich bricht auseinander. Obwohl Metternich immer noch dieselbe Politik verfolgt, erleidet er bis 1848 immer mehr Misserfolge und behält immer weniger Anhänger.

In Portugal setzt sich England für die portugiesischen Liberalen ein. Es unterstützt Maria II. Da Gloria als Königin, 1834, die Enkelin des Königs Johann VI., der 1821 aus Brasilien zurückgekehrt war und die Verfassung anerkannt hatte.

Seit 1822, als an der Spitze des Foreign Office, des britischen Außenamtes, George Canning stand – ein Minister mit liberaleren Ansichten als Castlereagh –, akzeptiert England immer schwerer das Interventionsprinzip und löst sich langsam von Österreich und aus seinen politischen Bindungen an Europa („Splendid Isolation“).

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Die Folgen der neuen britischen Politik zeichneten sich erstmals zwischen 1822 und 1823 ab, als sich England mit Erfolg einem Eingriff der „Heiligen Allianz“ gegen die spanischen Kolonien in Lateinamerika widersetzte. Später, 1825 bis 1827, verteidigt England mit russischer und französischer Unterstützung den Aufstand der Griechen von 1825-1827 gegen den Sultan des Osmanischen Reiches, obwohl dieser der legitime Souverän der Griechen war und der europäische Status quo dadurch in Gefahr geriet.

Die Haltung der Mächte, die den Aufstand der Griechen unterstützten, führte zu einer neuen Situation, die zu einer vollständige Änderung der zukünftigen internationalen Beziehungen führte. Die Rechte der Herrscher sollten nicht mehr durch militärische Eingriffe legitimiert werden, die grundlegende Folgen für die europäischen Großmächte mit sich brachten. Eine Legitimation sollte von nun an vom nationalen Prinzip, vom Freiheitskampf der Völker abgeleitet werden. Trotzdem sollte ein solcher Freiheitskampf das europäische Gleichgewicht und folglich die allgemeinen Interessen des europäischen Kontinents nicht verletzen.

Im Jahre 1830 setzt ein neuer Schlag dem Einfluss Metternichs in Europa ein Ende. In Frankreich wurden die Bourbonen verdrängt und der neue König, Louis-Philippe, bildet zusammen mit England eine Gruppe der liberalen Mächte, die sich der konservativen Politik Österreichs, Preußens und Russlands widersetzten. Obwohl zwischen England und Frankreich kein volles Einvernehmen herrschte, gelingt dieser liberalen Verbindung im Jahre 1830 die Lostrennung Belgiens aus dem Königreich der Niederlande – von den Holländern dominiert – effizient zu unterstützen und in Spanien zugunsten der liberalen Strömungen einzugreifen. Ganz Westeuropa ist dem österreichischen Einfluss entkommen.

Folglich sucht Metternich die Freundschaft des von Nikolaus I. autokratisch regierten Russischen Reiches sowie diejenige Preußens. 1833 unterschreiben die Vertreter der drei konservativen Mächte in Münchengrätz einen Bündnisvertrag. Dieser wurde 1835 und 1846 erneuert und garantierte seinen Mitgliedern die politische Stabilität, falls sie im Inneren oder im Äußeren bedroht wären. Dieses konservative Bündnis erlaubte dem Zaren den polnischen Aufstand von 1830/31 niederzuschlagen und Metternich, in den italienischen Staaten militärisch einzugreifen sowie politischen Einfluss auf die liberalen Süddeutschen Staaten auszuüben.

Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. in Preußen registriert die österreichische Politik neue Misserfolge. Preußen beginnt die Vereinigung Deutschlands gegen Österreich vorzubereiten. Gleichzeitig übernimmt Piemont die Führung der italienischen Gegner der Habsburger. Einen letzten Schlag bekamen die Habsburger im Jahre 1846, als der Stuhl Petri von Pius VI. bestiegen wurde, der einer eher liberalen, den italienischen Patrioten freundlich gesinnten Politik zugeneigt war, also antiösterreichisch eingestellt war. Die

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Verwirrungen Europas im Jahre 1848 zeichneten sich schon jetzt ab. Metternich sollte seinen Kanzlerposten verlieren und ins Exil gehen.

Metternichs internationale Politik hatte in den ersten Jahren nach den napoleonischen Kriegen Erfolg. Sie entsprach einem ermüdeten, Frieden suchenden Kontinent nach den langen Kriegsjahren, den Unruhen, den Leiden und der Umsetzung revolutionärer Prinzipien auf internationaler Ebene,

Im Laufe der Zeit aber konnte das System Metternichs den neuen Forderungen der liberalen und nationalen Bewegungen nicht mehr gerecht werden, zumal die unflexible Haltung Metternichs selbst die Spannungen nur mehr vergrößert hat. Nach 1830 bildet die französische und englische Politik eine Alternative zur konservativen Politik Österreichs und Russlands. Diese Alternative nahm für sich den Nachweis in Anspruch, dass unter den neuen politischen Umständen eine liberale Politik fähig wäre, den Frieden, die Stabilität und das Gleichgewicht zwischen den Großmächten zu bewahren, würde man nur den nationalen Interessen der Völker gerecht. Dies war umso mehr notwendig, als diese nationalen Interessen Spannungen provozierten, die eines Tages unkontrollierbar zu werden drohten. Nach 1848 sollten solche Ideen die diplomatischen Unternehmungen sowohl auf dem Gebiet der Prinzipien der internationalen Politik, wie auch in den Reihen der Öffentlichkeit legitimieren. Bis sie aber in der außenpolitischen Praxis einen Platz gefunden hatten, sollte noch viel Zeit vergehen.

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