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Landtag von Baden-Württemberg 14. Wahlperiode Drucksache 14 / 2442 05. 03. 2008 1 Eingegangen: 05. 03. 2008 / Ausgegeben: 11. 03. 2008 Gesetzentwurf der Landesregierung Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg A. Zielsetzung Das in Artikel 71 Abs. 3 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg geregel- te Konnexitätsprinzip soll präzisiert und erweitert werden. B. Wesentlicher Inhalt Mit der Präzisierung und Erweiterung des Konnexitätsprinzips werden künftig außer der Übertragung von Aufgaben vom Land auf die Kommunen auch vom Land veranlasste nachträgliche Änderungen landesrechtlich übertragener Aufga- ben, die Übertragung neuer bisher vom Land noch nicht wahrgenommener Auf- gaben sowie eigene Anforderungen des Landes an die Erfüllung bestehender Auf- gaben der Kommunen vom Anwendungsbereich des Konnexitätsprinzips erfasst. Zudem wird die Umwandlung einer freiwilligen Aufgabe in eine Pflichtaufgabe in den Anwendungsbereich des Konnexitätsprinzips aufgenommen. Ferner wird bestimmt, dass das Nähere zu einer Konsultation der kommunalen Seite zur Kos- tenfolgenabschätzung im Zusammenhang mit dem Konnexitätsprinzip in einem Gesetz oder einer Vereinbarung geregelt werden kann. C. Alternativen Keine. D. Kosten für die öffentlichen Haushalte Die Erweiterung des Konnexitätsprinzips kann tendenziell zu mehr Anwendungs- fällen führen, in denen das Land einen finanziellen Mehrlastenausgleich zuguns- Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente

Gesetzentwurf - Landtag Baden Württemberg · Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 14 / 2442 3 Staatsministerium Stuttgart, den 4. März 2008 Baden-Württemberg Ministerpräsident

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Landtag von Baden-Württemberg 14. Wahlperiode

Drucksache 14 / 244205. 03. 2008

1Eingegangen: 05. 03. 2008 / Ausgegeben: 11. 03. 2008

Gesetzentwurf

der Landesregierung

Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg

A . Z i e l s e t z u n g

Das in Artikel 71 Abs. 3 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg geregel-te Konnexitätsprinzip soll präzisiert und erweitert werden.

B . W e s e n t l i c h e r I n h a l t

Mit der Präzisierung und Erweiterung des Konnexitätsprinzips werden künftigaußer der Übertragung von Aufgaben vom Land auf die Kommunen auch vomLand veranlasste nachträgliche Änderungen landesrechtlich übertragener Aufga-ben, die Übertragung neuer bisher vom Land noch nicht wahrgenommener Auf-gaben sowie eigene Anforderungen des Landes an die Erfüllung bestehender Auf-gaben der Kommunen vom Anwendungsbereich des Konnexitätsprinzips erfasst.Zudem wird die Umwandlung einer freiwilligen Aufgabe in eine Pflichtaufgabein den Anwendungsbereich des Konnexitätsprinzips aufgenommen. Ferner wirdbestimmt, dass das Nähere zu einer Konsultation der kommunalen Seite zur Kos -tenfolgenabschätzung im Zusammenhang mit dem Konnexitätsprinzip in einemGesetz oder einer Vereinbarung geregelt werden kann.

C . A l t e r n a t i v e n

Keine.

D . K o s t e n f ü r d i e ö f f e n t l i c h e n H a u s h a l t e

Die Erweiterung des Konnexitätsprinzips kann tendenziell zu mehr Anwendungs-fällen führen, in denen das Land einen finanziellen Mehrlastenausgleich zuguns -

Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internetabrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente

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ten der Kommunen zu leisten hat. Da nicht absehbar ist, in welchem Maße dasLand künftig Regelungen trifft, die in den erweiterten Anwendungsbereich desKonnexitätsprinzips fallen, lassen sich die finanziellen Auswirkungen nicht näherquantifizieren.

E . K o s t e n f ü r P r i v a t e

Keine.

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Staatsministerium Stuttgart, den 4. März 2008Baden-Württemberg

Ministerpräsident

An denPräsidenten des Landtagsvon Baden-Württemberg

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,

in der Anlage übersende ich Ihnen gemäß Artikel 59 Absatz 1 der Landesverfas-sung den von der Landesregierung beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Än-derung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg mit Begründung undVorblatt. Ich bitte, die Beschlussfassung des Landtags herbeizuführen. Feder-führend ist das Innenministerium.

Mit freundlichen Grüßen

OettingerMinisterpräsident

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Der Landtag wolle beschließen,

dem nachstehenden Gesetzentwurf seine Zustimmung zuerteilen:

Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg

Artikel 1

Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg

Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom11. November 1953 (GBl. S. 173), zuletzt geändert durchGesetz vom 23. Mai 2000 (GBl. S. 449), wird wie folgtgeändert:

Artikel 71 Abs. 3 erhält folgende Fassung:

„(3) Den Gemeinden oder Gemeindeverbänden kanndurch Gesetz die Erledigung bestimmter bestehenderoder neuer öffentlicher Aufgaben übertragen werden.Gleichzeitig sind Bestimmungen über die Deckung derKosten zu treffen. Führen diese Aufgaben, spätere vomLand veranlasste Änderungen ihres Zuschnitts oder derKosten aus ihrer Erledigung oder spätere nicht vomLand veranlasste Änderungen der Kosten aus der Erle -digung übertragener Pflichtaufgaben nach Weisung zueiner wesentlichen Mehrbelastung der Gemeinden oderGemeindeverbände, so ist ein entsprechender finanziel-ler Ausgleich zu schaffen. Die Sätze 2 und 3 gelten ent-sprechend, wenn das Land freiwillige Aufgaben der Ge-meinden oder Gemeindeverbände in Pflichtaufgabenumwandelt oder besondere Anforderungen an die Erfül-lung bestehender, nicht übertragener Aufgaben begrün-det. Das Nähere zur Konsultation der in Absatz 4 ge-nannten Zusammenschlüsse zu einer Kostenfolgenab-schätzung kann durch Gesetz oder eine Vereinbarung derLandesregierung mit diesen Zusammenschlüssen gere-gelt werden.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung inKraft.

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Begründung

A. Allgemeiner Teil

Seit Inkrafttreten der Landesverfassung 1953 ist das Konnexitätsprinzip in Artikel 71Abs. 3 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV) geregelt. Danachkann das Land den Gemeinden und Gemeindeverbänden durch Gesetz die Erledi-gung bestimmter öffentlicher Aufgaben übertragen. Dabei sind Bestimmungenüber die Deckung der Kosten zu treffen. Die bisherige Regelung sieht zudem vor,dass ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen ist, wenn diese über-tragenen Aufgaben zu einer Mehrbelastung der Gemeinden oder Gemeindever-bände führen.

Die Anwendung des Konnexitätsprinzips hat bisher zur Voraussetzung, dass dasLand eine öffentliche Aufgabe vom Land auf die Gemeinden oder Gemeindever-bände überträgt. Änderungen des Zuschnitts einer Aufgabe, die nicht zuvor vomLand auf die Kommunen übertragen wurde, führen bislang nicht zur Anwendungdes Konnexitätsprinzips, auch wenn diese Änderungen vom Land veranlasst sind;dasselbe gilt auch für vom Land veranlasste Änderungen der Kosten, die mit derErledigung einer nicht vom Land auf die Kommunen übertragenen Aufgabe ver-bunden sind.

Nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs folgt aus dem bisherigen Kon -nexitätsprinzip die Verpflichtung des Landes zum Mehrlastenausgleich nicht nurfür den Zeitpunkt der Aufgabenübertragung selbst oder für einen mehr oder weni-ger eng umgrenzten Zeitraum nach der Übertragung, sondern für die gesamteZeit, während derer die Gemeinden und Gemeindeverbände infolge der Übertra-gung die Aufgabe erfüllen. Ergeben sich ins Gewicht fallende Änderungen desAufgabenzuschnitts oder der Kosten aus ihrer Erledigung, so hat sich nach derRechtsprechung des Staatsgerichtshofs der Gesetzgeber die Frage der Aufgaben -übertragung und dabei die Frage des Mehrlastenausgleichs erneut zu stellen(StGH, Urteil vom 5. Oktober 1998 – GR 4/97, VBlBW 1999, S. 18).

In der am 1. Dezember 2006 unterzeichneten Vereinbarung zwischen der Landes-regierung und den kommunalen Landesverbänden wurde eine Verständigung zurFortentwicklung der Finanzbeziehungen zwischen dem Land und den Kommunenerzielt. In dieser Vereinbarung ist vorgesehen, dass das in der Verfassung für Ba-den-Württemberg geregelte Konnexitätsprinzip durch eine Änderung der Verfas-sung und durch eine gesetzliche Regelung präzisiert und erweitert wird; danachsollen vom Land veranlasste nachträgliche Änderungen landesrechtlich übertra-gener Aufgaben, die Übertragung neuer bisher vom Land noch nicht wahrgenom-mener Aufgaben sowie eigene Anforderungen des Landes an die Erfüllung be -stehender, nicht übertragener Aufgaben dem Anwendungsbereich des Konnexitäts -prinzips unterfallen. Nach dieser Vereinbarung besteht Konsens, dass nur Ände-rungen mit wesentlichen Kostenfolgen den Mehrlastenausgleich auslösen (ent-sprechend wird ein Mehrlastenausgleich zugunsten des Landes nur reduziert,wenn sich die Kosten wesentlich verringern). Ferner legt die Vereinbarung fest,dass möglichst „schlanke“ Regelungen zur Ausgestaltung des Konsultationsver-fahrens zur Kostenfolgenabschätzung zu treffen sind.

Die Vereinbarung sieht zudem vor, dass die Stellung der kommunalen Landesver-bände in Verfahren einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes vor demStaatsgerichtshof über die Finanzverteilung zwischen Land und Kommunen (Ar-tikel 71 Abs. 3 LV) durch ein Beitrittsrecht in den Fällen gestärkt wird, die aus derSicht der kommunalen Landesverbände von grundsätzlicher Bedeutung sind.

Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung dieser Vereinbarung im Hinblick auf diePräzisierung und Erweiterung des Konnexitätsprinzips; die Einführung eines neu-en Konnexitätsausführungsgesetzes sowie die Schaffung eines Beitrittsrechts inVerfahren vor dem Staatsgerichtshof erfolgt in einem gesonderten Gesetz. Mit

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beiden Gesetzen wird einer grundlegenden Forderung der kommunalen Landes-verbände seitens des Landes Rechnung getragen.

– Finanzielle Auswirkungen:

Die Erweiterung des Konnexitätsprinzips kann tendenziell zu mehr Anwendungs-fällen führen, in denen das Land einen finanziellen Mehrlastenausgleich zuguns -ten der Kommunen zu leisten hat. Da nicht absehbar ist, in welchem Maße dasLand künftig Regelungen trifft, die in den erweiterten Anwendungsbereich desKonnexitätsprinzips fallen, lassen sich die finanziellen Auswirkungen nicht näherquantifizieren.

– Bürokratieabbau:

Soweit auf Grund der Erweiterung des Konnexitätsprinzips den Kommunen weni-ger Anforderungen (z. B. Standards) seitens des Landes an die Erfüllung be -stehender Aufgaben auferlegt werden, ist damit auch ein Beitrag zur Deregulie-rung und zum Bürokratieabbau verbunden.

Im Rahmen der Anhörung haben die kommunalen Landesverbände dem Gesetz-entwurf ohne Änderungswünsche unverändert zugestimmt (vgl. beigefügte Anla-gen).

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg):

Artikel 71 Abs. 3 LV wird neu gefasst. Damit verbunden ist jedoch keine völligeNeuregelung des Konnexitätsprinzips. Vielmehr wird – ausgehend vom bisheri-gen Regelungsinhalt und vom Verursacherprinzip – insbesondere der Anwen-dungsbereich des Konnexitätsprinzips präzisiert und erweitert.

Zu den Regelungen des Artikels 71 Abs. 3 LV im Einzelnen:

Zu Satz 1:

In Satz 1 ist die bisherige Übertragungsmöglichkeit bestimmter bestehender öf-fentlicher Aufgaben auf die Gemeinden oder Gemeindeverbände um die Übertra-gungsmöglichkeit bestimmter neuer öffentlicher Aufgaben ergänzt. Die Ergän-zung dient der Klarstellung. Vom Konnexitätsprinzip wird danach auch die Über-tragung solcher Aufgaben erfasst, die zuvor von keinem anderen Verwaltungsträ-ger erfüllt wurden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs ist unter einer „bestimm-ten öffentlichen Aufgabe“ im Sinne von Artikel 71 Abs. 3 LV „nur ein konkretesAufgabengebiet im Sinne bestimmter zu erledigender Verwaltungsangelegenhei-ten“ zu verstehen. Ein konkretes Aufgabengebiet in diesem Sinne ist die Wahr-nehmung einer bestimmten Sachaufgabe (mit Außenwirkung) und nicht die reinverwaltungsinterne Tätigkeit wie beispielsweise die innere Organisation, das Per-sonalwesen oder die Haushaltswirtschaft. Rein verwaltungsinterne Tätigkeitendienen letztlich der Vorbereitung bzw. der Schaffung der notwendigen Vorausset-zungen zur Erfüllung der den Gemeinden oder Gemeindeverbänden obliegendenAufgaben. Dementsprechend hat der Staatsgerichtshof die Anfang der 1990er-Jahre erfolgte Kommunalisierung bestimmter Landesbeamter nicht als die Über-tragung einer Aufgabe qualifiziert, weil damit ohne Änderung des bestehendenAufgabenkreises der Landkreise nur ein Wechsel des Dienstherrn für die betroffe-nen Landesbeamten erfolgte.

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Das Vorliegen einer öffentlichen Aufgabe bestimmt sich danach, ob sich bei einerbislang nicht den Gemeinden oder Gemeindeverbänden obliegenden Durch-führung einer bestimmten materiellen Regelung im Vergleich zu ihrer Durch-führung durch die Gemeinden oder Gemeindeverbände deren Aufgabenkreis bzw.Aufgabenbestand als solcher verändert oder nicht, ob es also zu einer Aufgaben-differenz kommt. Für diese vergleichende Betrachtung ist regelmäßig auf die be-stehenden Zuständigkeitsregelungen abzustellen. Wird eine neue materielle Rege-lung von einer bereits bestehenden Zuständigkeitsregelung, die sich auf einganzes Sachgebiet, einzelne Tatbestände oder einen einzelnen Tatbestand be -ziehen kann, nicht erfasst, liegt eine weitere, zusätzliche Aufgabe vor und bedarfes zu ihrer Durchführung durch die Gemeinden oder Gemeindeverbände einerAufgabenübertragung.

Die Übertragung einer Aufgabe bedarf nach Satz 1 unverändert wegen des darinenthaltenen Gesetzesvorbehalts grundsätzlich eines Gesetzes. Darunter sind for-melle Landesgesetze zu verstehen. Etwaige Übertragungen von Aufgaben durchBundesgesetz fallen nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 71 Abs. 3 LV.Dies hat jedoch keine praktische Relevanz mehr, nachdem wegen der Änderungdes Grundgesetzes (GG) im Zuge der Föderalismusreform nach Artikel 84 Abs. 1Satz 7 bzw. Artikel 85 Abs. 1 Satz 2 GG den Gemeinden und Gemeindeverbän-den Aufgaben durch Bundesgesetz nicht mehr übertragen werden dürfen.

Auf Grund des Gesetzesvorbehalts kann nur ausnahmsweise eine Übertragung einer Aufgabe durch eine Rechtsverordnung in Betracht kommen in Fällen, in de-nen die in einer Rechtsverordnung erfolgte Aufgabenübertragung einen bloßenVollzug der gesetzlichen Regelung darstellt und keine über die gesetzliche Ermäch-tigung hinausgehende eigenständige Regelung beinhaltet. Insoweit gibt es mit dergesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bereits eine gesetzgeberische Grund ent -scheidung über eine entsprechende Aufgabenübertragung, sodass der Gesetzesvor-behalt auch in einem solchen Fall ausreichend gewahrt bleibt. Eine Aufgabenüber-tragung durch eine bloße Verwaltungsmaßnahme, insbesondere durch eine Verwal-tungsvorschrift, scheidet aus.

Zu Satz 2 und 3:

Satz 2 wird insoweit verändert, als mit dem Austausch des bisherigen Wortes„Dabei“ durch das Wort „Gleichzeitig“ verfassungsrechtlich klargestellt wird,dass es nicht wie bisher ausreicht, die Kostendeckungsregelung in sachlichem undzeitlichem Zusammenhang mit einer Aufgabenübertragung zu treffen, sonderndass dies gleichzeitig, wenn auch nicht unbedingt in demselben Gesetz, geregeltwerden soll. Damit wird eine engere zeitliche Verknüpfung von Aufgabenübertra-gung und Kostendeckungsregelung vorgegeben. In Satz 3 erfolgt eine Klarstel-lung, dass nur wesentliche Mehrkosten auszugleichen sind. Außerdem wird dasKonnexitätsprinzip um drei Fallkonstellationen erweitert. Eine Änderung desKerngedankens und der Grundsystematik des Verhältnisses von Satz 2 und 3 istdamit nicht verbunden.

Der Kerngedanke besteht nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs bisherdarin, dass Artikel 71 Abs. 3 LV einen finanziellen Ausgleich ohne Rücksicht aufdie finanzielle Gesamtleistungsfähigkeit der Kommunen in den Fällen gewährt, indenen das Land die Gemeinden oder Gemeindeverbände durch die Übertragungvon Aufgaben belastet und sich selbst durch die Aufgabenübertragung von eige-nen Kosten entlastet. Nach der Grundsystematik stehen die Kostendeckungsrege-lung in Satz 2 und der Mehrlastenausgleich in Satz 3 in einem Stufenverhältnis.Bei der Aufgabenübertragung im Sinne von Satz 1 hat der Gesetzgeber in einemersten Schritt über eine Kostendeckungsregelung zu befinden. Nur wenn eine fi-nanzielle Mehrbelastung der Gemeinden oder Gemeindeverbände trotz einer Kos -tendeckungsregelung bestehen bleibt oder aber die Kostendeckung gerade durcheinen finanziellen Mehrlastenausgleich erfolgen soll, ist in einem zweiten Schrittein finanzieller Mehrlastenausgleich vorzusehen. Unter einem „entsprechenden“

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finanziellen Ausgleich ist nicht nur ein angemessener Ausgleich zu verstehen,vielmehr muss der Ausgleich die entstehenden Kosten decken.

In Satz 3 ist klargestellt, dass es eines finanziellen Mehrlastenausgleichs dann be-darf, wenn die Mehrbelastung der Gemeinden oder Gemeindeverbände wesent-lich ist. Bloße Bagatellbelastungen erfordern keinen Mehrlastenausgleich. Wanneine solche Bagatellbelastung vorliegt, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht derEinzelfallprüfung vorbehalten, da der unbestimmte Rechtsbegriff „wesentlich“nicht dauerhaft abschließend betragsmäßig festgelegt werden kann. Als Anhalts-punkt für eine wesentliche Belastung kann die einfachgesetzliche Regelung imKonnexitätsausführungsgesetz herangezogen werden.

Zur Präzisierung und Klarstellung des Konnexitätsprinzips ist in Satz 3 ent -sprechend der bisherigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs geregelt, in welchen Fällen bei späteren Änderungen ein finanzieller Ausgleich zu schaffenist. Es handelt sich um drei Fallkonstellationen. Dies sind zum einen spätere vomLand veranlasste Änderungen des Zuschnitts von Aufgaben und zum anderen spä-tere vom Land veranlasste Änderungen der Kosten aus der Erledigung von Auf-gaben; zudem wird der Fall, dass spätere nicht vom Land veranlasste Änderungender Kosten aus der Erledigung übertragener Pflichtaufgaben nach Weisung zu einer wesentlichen Mehrbelastung führen, vom Konnexitätsprinzip ausdrücklichmit umfasst. Für alle drei Fallkonstellationen gilt, dass jeweils zuvor eine Über-tragung einer Aufgabe nach Satz 1 erfolgt sein muss und es im Anschluss daranspäter zu Veränderungen kommt, die zu einer zusätzlichen finanziellen Belastungführen und die bei den beiden erstgenannten Fallkonstellationen vom Land veran-lasst werden. Ausnahmsweise bedarf es keiner Veranlassung durch das Land beiÄnderungen der Kosten aus der Erledigung übertragener Pflichtaufgaben nachWeisung, da hier im Unterschied zu den Selbstverwaltungsaufgaben der Hand-lungsspielraum der Kommunen, um auf Kostenänderungen reagieren zu können,deutlich eingeschränkt ist. Darüber hinaus werden spätere durch gesetzliche Än-derungen auf der Ebene des Bundes oder der Europäischen Union hervorgerufeneÄnderungen bei den Kosten, die mit der Erledigung einer durch das Land übertra-genen Aufgabe verbunden sind, nicht von Satz 3 erfasst (ausgenommen bei über-tragenen Pflichtaufgaben nach Weisung), da es insoweit an einer Veranlassungdurch das Land fehlt; etwas anderes gilt nur dann, wenn und soweit bei der Um-setzung von Regelungen des Bundesrechts oder des Rechts der Europäischen Uni-on das Land einen ihm zurechenbaren eigenen Gestaltungsspielraum wahrnimmtund dies zu zusätzlichen finanziellen Belastungen der Gemeinden oder Gemein-deverbände führt.

Eine Änderung des Zuschnitts einer zuvor übertragenen Aufgabe liegt vor, wenndas Spektrum der mit der Erledigung dieser Aufgabe verbundenen Tatbeständeerweitert wird. Von der zweiten Fallkonstellation der sich später ändernden Kos -ten aus der Erledigung der übertragenen Aufgabe werden beispielsweise vomLand veranlasste Änderungen bei vorhandenen und fortbestehenden Leistungstat-beständen erfasst.

Zu Satz 4:

Nach dem neuen Satz 4 gelten die Sätze 2 und 3 entsprechend, wenn das Land eine bisher freiwillige Aufgabe der Gemeinden oder Gemeindeverbände in eineweisungsfreie Pflichtaufgabe oder in eine Pflichtaufgabe nach Weisung umwan-delt.

Nach dem neuen Satz 4 gelten die Sätze 2 und 3 zudem entsprechend, wenn dasLand künftig besondere Anforderungen an die Erfüllung bestehender, vom Landnicht übertragener Aufgaben begründet. Erfasst werden damit diejenigen Aufga-ben, die ohne vorherige Übertragung zum Aufgabenbestand der Gemeinden oderGemeindeverbände gehören, nicht aber Aufgaben, die vom Land auf die Gemein-den oder Gemeindeverbände übertragen worden sind. Damit wird das Konnexitäts -

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prinzip erweitert auf vom Land begründete besondere Anforderungen an die Er-füllung bestehender, nicht übertragener Aufgaben der Gemeinden oder Gemein-deverbände. Inhaltlich handelt es sich bei diesen besonderen Anforderungen re-gelmäßig um Standards oder Vorgaben, die die Art und Weise der Erfüllung einerAufgabe für die Kommunen verbindlich näher bestimmen und zu beachten sind.

Keine solchen besonderen Anforderungen stellen Weisungen im Rahmen derstaatlichen Aufsicht über die Kommunen dar. Ebenso wenig werden solche be-sonderen Anforderungen begründet, soweit nur die rein verwaltungsinterne Tätig-keit wie beispielsweise die innere Organisation, das Personalwesen oder dieHaushaltswirtschaft betroffen ist, da damit nicht die Wahrnehmung und Erfüllungvon Aufgaben mit Außenwirkung verbunden ist. Auch durch Förderrichtlinien,die bestimmte Standards als Voraussetzungen für eine Förderung von Kommunendurch das Land vorsehen, werden keine besonderen Anforderungen an die Erfül-lung bestehender Aufgaben begründet, da den Kommunen die freie Entscheidungüberlassen bleibt, ob sie eine vom Land zur Verfügung gestellte Förderung in An-spruch nehmen oder nicht. Eine Verpflichtung der Kommunen, diesen Standardeinzuhalten, ohne ihnen einen eigenen Entscheidungsspielraum zu belassen, istdamit nicht verbunden.

Die entsprechende Geltung der Sätze 2 und 3 hat zur Folge, dass auch in den Fäl-len, in denen besondere Anforderungen an die Erfüllung bestehender, nicht über-tragener Aufgaben gestellt werden, eine Kostendeckung oder ein finanziellerMehrlastenausgleich vorzusehen ist; dasselbe gilt, wenn sich die mit den besonde-ren Anforderungen verbundenen Kosten wegen späterer vom Land veranlasstenÄnderungen erhöhen.

Zu Satz 5:

Nach dem neuen Satz 5 kann das Nähere zur Konsultation der in Artikel 71 Abs. 4LV genannten Zusammenschlüsse der Gemeinden und Gemeindeverbände zu einer Kostenfolgenabschätzung im Rahmen des Konnexitätsprinzips durch Gesetzoder eine Vereinbarung der Landesregierung mit diesen Zusammenschlüssen ge-regelt werden. Damit wird in der Landesverfassung die Möglichkeit verankert, zueinem wesentlichen Aspekt des Konnexitätsprinzips, der Konsultation der in Ar -tikel 71 Abs. 4 LV genannten Zusammenschlüsse zu einer Kostenfolgenabschät-zung im Rahmen einer Prognose, nähere Regelungen zu treffen und damit die An-wendung des Konnexitätsprinzips detaillierter auszuformen. Durch den Abschlusseiner Vereinbarung kann das Bemühen um einen partnerschaftlichen Umgangzwischen dem Land und der kommunalen Seite in besonderer Weise unterstrichenwerden, weshalb in Satz 5 ausdrücklich die Möglichkeit zum Abschluss einerVereinbarung anstelle oder ergänzend zu einer Regelung durch Gesetz eröffnetwerden soll.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten):

In Artikel 2 wird das Inkrafttreten geregelt. Das Gesetz soll am Tag nach seinerVerkündung in Kraft treten.

Die Erweiterungen des Konnexitätsprinzips finden Anwendung, wenn die Kostenverursachende Maßnahme nach dem Inkrafttreten der Verfassungsänderung er-folgt. Der bis dahin vorhandene Bestand an kommunalen Aufgaben und an Anfor-derungen an die kommunale Aufgabenerfüllung ist kostenmäßig durch das bis -herige System des kommunalen Finanzausgleichs und der sonstigen Finanzbe -ziehungen zwischen dem Land und den Kommunen abgedeckt.

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