Upload
others
View
4
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
1
Deutschlandfunk
GESICHTER EUROPAS
Samstag, 28. Januar 2012, 11.05 - 12.00 Uhr
Alltag im Niemandsland -
Zankapfel Nordkosovo
Mit Reportagen von Dirk Auer Redakteur am Mikrofon: Gerwald Herter
Musikauswahl: Babette Michel
Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.
©
- unkorrigiertes Exemplar -
Opening: (GSE-Stimmen)
Musik O-Ton Bascarevic Politisch ist wirklich jeder Aspekt des Lebens hier. Und es tut mir sehr leid für die jungen Leute - irgendwie fühle ich mich dafür verantwortlich, dass wir ihnen nicht etwas Anderes überlassen haben als diese Unsicherheit und diese politischen Tumulte. Das sagt der Musiker Ljubisha Bascarevic (Aussp. Bastscharevic), er ist Serbe und er lebt im vorwiegend serbischen Norden von Mitrovica. Der Kosovo-Albaner Halil Qelal (Ausspr. Tschelal) arbeitet ein paar Kilometer entfernt, in der Mine von Trepca, wo Albaner in der Mehrheit sind. O-Ton Quelal Wenn man die Politik wegnimmt von Trepca, nicht nur von Trepca, auch von ( ... ) andere Sachen, dann Trepca wird wieder Hauptsäule der Entwicklung. Dass die Leute wiederstolz sein werden. Gesichter Europas: Politisches Niemandsland - Leben im Norden des Kosovo. Reportagen von Dirk Auer, herzlich willkommen! Am Mikrophon ist Gerwald Herter
2
Musik-1 Mit dem "jüngsten Staat Europas" wollen die meisten von ihnen überhaupt nichts zu tun haben - etwa 60-Tausend Serben leben im Norden des Kosovo - in vier Gemeinden und ein paar Dutzend Dörfern. Dieses Gebiet liegt in direkter Nachbarschaft zu Serbien. Vom serbischen Stammland wird es allerdings seit einigen Jahren durch die Grenzen der unabhängigen albanisch dominierten Republik Kosovo getrennt. Belgrad erkennt die Unabhängigkeit der früheren Provinz Kosovo nicht an und auch die Serben hier denken nicht einmal daran. So werden zum Beispiel Rechnungen im Norden der alten Bergbaustadt Mitrovica ganz selbstverständlich in serbischen Dinar beglichen - und nicht etwa in Euro, der offiziellen kosovarischen Währung. Die Regierung des Kosovo hatte dem lange nur zugesehen. Im letzten Sommer schickte Pristina jedoch Zollbeamte in einer Kommandoaktion an die Grenze zwischen Kosovo und Serbien. Serben aus dem Nordkosovo randalierten und schossen. Auch mit deutschen Soldaten der internationalen KFOR-Truppe kam es zu Auseinandersetzungen. Atmo Motor anlassen
Trotz langer Verhandlungen und vieler Vermittlungsversuche dauert die Krise an. Barrikaden befinden sich immer noch auf wichtigen Verbindungsstraßen. Die Teilung hat sich sogar vertieft. In Mitrovica wird das besonders deutlich. Diese Stadt ist ethnisch geteilt. Wer aus dem albanischen Süden kommt und den Fluß Ibar überquert, gelangt gleichsam in eine andere Welt. Für einige Menschen hier ist dieser Kontrast dennoch seltsamer Alltag:
Reportage 1 Milos im Süden arbeiten, im Norden wohn en
Atmo: Fahren Autor
Milos Golubovic hat Feierabend. Umsichtig steuert er seinen alten
VW Polo durch die engen Gassen von Süd-Mitrovica. Jeden Tag
überquert er den Fluss Ibar, erst von Nord nach Süd, und dann
wieder zurück vom albanischen Süden in den serbischen Norden,
wo er zu Hause ist.
Atmo im Hintergrund: Handygespräch
Milos ist Mitte 30, groß, stämmig und trägt einen grauen
Kapuzenpullover. Er ist einer der ganz wenigen Serben, die im
albanischen Teil der Stadt arbeiten - und für sie ist seit dem
3
Sommer alles noch umständlicher geworden. Milos nimmt nicht
mehr die Ostbrücke. Stattdessen fährt er in einem großen Bogen in
die entgegensetzte Richtung.
O-Ton 1 Es ist die Zeit der Barrikaden. Die Menschen sind sehr nervös. Deshalb nehme ich zurzeit die andere Brücke. Das ist sicherer, gerade weil es dort keine Kontrollen gibt. Manche wissen, dass ich mit Albanern zusammenarbeite, und das bedeutet für sie zwangsläufig, dass ich gegen die Serben arbeite. Sie könnten mich bei einer Kontrolle also anhalten und dann könnte es unangenehm werden. Atmo
Autor
Kurz vor der Brücke nimmt Milos einen Schraubenzieher aus dem
Handschuhfach, er steigt aus und schraubt seine kosovarischen
Nummernschilder ab. Jeder mache das hier so, sagt er - zur
eigenen Sicherheit.
O-Ton 2 Die Leute im Norden wollen nicht einmal die alten Kosovo-Nummernschilder benutzen, die die UN-Verwaltung noch eingeführt hatte. Sie akzeptieren nur serbische Nummernschilder, ausgegeben vom serbischen Innenministerium. Autor
Von Süd- nach Nord-Mitrovica zu fahren, das ist, also ob man eine
innereuropäische Grenze überquert. Es gibt keine Schilder, keine
Formalitäten, aber plötzlich ist doch alles irgendwie anders: die
Nummernschilder der Autos, wenn sie überhaupt vorhanden sind;
die Schilder der Geschäfte, die Auslagen an den Kiosken, die
Sprache. Milos deutet Richtung Hauptbrücke. Mitten auf der Straße
ist ein meterhoher Wall aus Kies und Schutt zu sehen, darauf noch
einmal tonnenschwere Betonplatten - davor sind ein Zelt und ein
4
Container aufgebaut. Die Botschaft, Richtung Süden ist
unmissverständlich: Spätestens hier, an dieser Brücke, endet euer
Einflussbereich, denn hier ist Serbien.
O-Ton 3 Die Leute bewachen die Barrikaden Tag und Nacht. Sie wechseln alle vier Stunden. Alles ist bestens organisiert. Sollte jemand versuchen, die Barrikaden zu räumen, würden sie die anderen informieren und alle zusammen trommeln. Autor
Weiter geht es die Hauptstraße entlang, vorbei an in die Jahre
gekommenen Wohnblöcken aus jugoslawischer Zeit. Dazwischen:
Frisch gestrichene Neubauten, Kioske, Cafes und Kneipen. Links
und rechts der Straße hängen serbische Flaggen, dazwischen
immer wieder Schilder mit dem Hinweis: "Hier ist Serbien" oder dem
Aufruf: "Russland hilf uns!".
Atmo: Parkendes Auto Autor
Fast alle seine Besucher führt Milos irgendwann einmal auf den so
genannten "miner's hill" - den Hügel der Bergleute. Oben
angekommen, eröffnet sich der Blick über die ganze Stadt.
O-Ton: From here you don't see that the city is divided "Von hier aus sieht man nicht, dass die Stadt geteilt ist", stellt Milos
fest. Lange lässt er seinen Blick auf dem Häusermeer ruhen.
O-Ton 4 Ich bin wirklich sehr stolz ein Mitrovicianer zu sein. Aber das gilt nur für die alte Zeit. Mitrovica war eine große Industriestadt, wir hatten eine gute Musikszene und viele berühmte Sportler. Der Fußballklub Trepca zum Beispiel hat damals in der ersten jugoslawischen Liga gespielt - zusammen mit Hajduk Split, Dynamo Zagreb, Roter Stern
5
Belgrad. Wir haben alle in guter Nachbarschaft zusammen gelebt und gearbeitet. Ob Serben, Albaner oder Roma - eigentlich hatte das keine große Bedeutung. Autor
Die guten alten Zeiten - aus und vorbei! Milos war 13 Jahre alt, als
er im Keller saß und die Bomber der NATO am Himmel hörte.
Nach dem Krieg blieb in Mitrovica nichts wie es war: Die Albaner
aus dem Norden wurden in den Süden vertrieben, die Serben aus
dem Süden in den Norden, und so wurde aus der ehemaligen
gemischt-ethnischen Stadt: Mitrovica Süd und Mitrovica Nord, mit
dem Fluss Ibar als informelle Grenze. Zusätzlich wurde der Norden
von serbischen Flüchtlingen aus den südlichen Regionen von
Kosovo überschwemmt, während viele der alten Mitrovicianer die
Stadt für immer verließen.
O-Ton 5 Diejenigen, die hier geboren sind, sind inzwischen fast schon in der Minderheit. Viele von ihnen haben bessere Jobs in Belgrad gefunden. Und die Leute hier haben meistens immer noch keine Arbeit. So hatten sie viel Zeit, immer radikaler zu werden und in die Politik zu gehen. Die ganze Kultur der Stadt hat sich geändert. Mitrovica hat die alten Werte verloren, die es hier einmal gab. Autor
Wieder unten in der Stadt. Es ist Mittagszeit, und die verbringt Milos
in einem der unzähligen Kaffees, zusammen mit seinem Freund
Marko. Marko ist ein junger angehender Anwalt. Aber das hält ihn
nicht davon ab, regelmäßig Schichten an den Straßenbarrikaden zu
übernehmen.
O-Ton 6 Es wird immer gesagt, dass diese Leute Kriminelle sind. Das ist das Einfachste, aber so ist es nicht. Ich gehe zur Barrikade. Meine Familie ist dort, meine Mutter, meine Schwester - ganz normale Leute. Wir kämpfen einfach nur für unsere Rechte, nichts anderes.
6
Autor
Denn was sei schon dabei, sagt er. Die Albaner wollten nicht mehr
Teil von Serbien sein. Und sie, die Serben, eben nicht Teil von
Kosovo. Marko fordert deshalb neue politische Verhandlungen,
zumindest über die Zukunft von Nordkosovo. Denn, so sagt er:
O-Ton 7 Alles hängt an einem seidenen Faden. Wenn es keine Lösung gibt, dann kann die Situation auch leicht wieder eskalieren. Niemand kann das voraussagen. Autor
Währenddessen starrt Milos auf einen Flachbildschirm, wie er hier
inzwischen in fast jedem Café hängt. Wenn es um Politik geht, dann
klinkt er sich meistens aus. Überhaupt ist er mit seinen Gedanken
schon ganz woanders. Bald wird er seine Heimatstadt Mitrovica
verlassen. Er hat ein Stipendium für einen Masterstudiengang im
Ausland erhalten.
O-Ton 8 Ich will noch einmal etwas Neues lernen. Aber danach will ich zurückkehren. Nur Menschen, die hier gelebt haben, können der Stadt helfen. Ich denke tatsächlich, dass noch nicht alles verloren ist. Ich sehe Mitrovica als eine vereinte Stadt. Aber wohl erst in ferner Zukunft. Musik Literatur-Zitat-1: "Im Südosten Serbiens liegt die 10 887 Quadratkilometer grosse Sozialistische Autonome Provinz Kosovo mit 1 585 000 Einwohnern. In Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Verfassung über die volle Gleichberechtigung aller in Jugoslawien lebenden Völker und Nationalitäten werden in Kosovo in Verwaltung und Öffentlichkeit das Albanische und Serbokroatische, in Siedlungsgebieten der türkischen nationalen Minderheit auch die türkische Sprache gebraucht. Kosovo, im Zentrum der Balkanhalbinsel gelegen, gliedert sich in zwei große Beckenlandschaften, um die sich ringförmig eine Gebirgskette schließt: die Ebene Kosovo sowie Metohija, um die sich im Norden das Kopaonik-Gebirge,
7
Im Westen und Süden das Sara- (Ausspr.: "Schara") und Prokletje-Gebirge auftürmen. Von den 1 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Flächen sind 450 000 Hektar Waldland und 200 000 Hektar Weideland. ( ... )Die Region Kosovo ist eines der wichtigsten Bergbaugebiete Jugoslawiens( ... )." Musik Mod. So steht es im Kunstreiseführer "Jugoslawien - Sehenswürdigkeiten, Kulturdenkmäler, Kunstschätze", der 1983 in Belgrad erschien. Die volle Gleichberechtigung alle Völker und Nationalitäten war selbst in Jugoslawien ein Prinzip, das aus Sicht vieler zu kurz kam. Schon unter dem Kroaten Tito war häufig von der serbischen Dominanz die Rede. Als er tot war, wurden "großserbische" Ideen bald salonfähig. Belgrad ist die Unterstützung der Serben im Kosovo auch heute noch viel Wert. Mehr als 200 Millionen Euro überweist die serbische Regierung jährlich. Serbien will in die Europäische Union, Brüssel und auch Berlin können damit Druck auf Belgrad ausüben. Die serbische Regierung soll ihre Unterstützung für die Serben im Kosovo aufgeben und sie dazu bewegen, mit der albanischen Regierung in Pristina zusammenzuarbeiten. Ansonsten will die EU mit Serbien gar nicht erst über den Beitritt verhandeln. Atmo Straße Die so genannten "Parallelinstitutionen" im Norden des Kosovo erweisen sich allerdings als beständig. Welche Schwierigkeiten damit verbunden sind, im Niemandsland zu leben, zeigt sich zum Beispiel an der Rechtssprechung. Verschiedene Gerichtshöfe halten sich für zuständig, einer ist kosovop-albanisch, ein anderer serbisch. Sie berufen sich auf unterschiedliches Recht, kein Gesetz ist im Norden des Kosovo jedoch uneingeschränkt gültig. Reportage-2 Der serbische Anwalt Vlajic Atmo: Tür Autor
Das Anwaltsbüro von Nebojsa Vlajic. Etwa 20 Quadratmeter ist der
Raum groß, den er sich mit seinem Partner teilt. Die Einrichtung ist
schlicht, das Mobiliar schon etwas abgewetzt. In einem von zwei
braunen Ledersesseln sitzt ein alter, hagerer Mann. Er ist
gekommen, um sich sein Testament aufsetzen zu lassen.
Atmo: Gespräch
8
Vlajic und Pantovic: das ist inzwischen die Hauptadresse für die
Bürger von Mitrovica, wenn sie Rechtsbeistand brauchen. Seit Mitte
der 1990er Jahre betreiben sie hier ihre Kanzlei. Damals gab es
noch 10 Anwälte in der Stadt, jetzt sind es gerade noch einmal fünf.
Eigentlich noch weniger, weil einige nur noch in Teilzeit arbeiten,
sagt Vlajic, der jetzt hinter seinem riesigen Schreibtisch
verschwindet. Viel sei hier ja auch nicht mehr zu tun - an einem Ort,
an dem es seit drei Jahren noch nicht einmal mehr ein ordentliches
Gericht gibt.
O-Ton 9 Bis 2008 hatten wir noch ein Gericht unter Verwaltung der UN. Es gab dort auch einige serbische Richter, aber mit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos hat sich die Situation vollständig geändert. Plötzlich sollte auf den Urteilsverkündungen der albanischen Richter "Republik Kosovo" stehen - und das wollten die Bürger von Nord-Mitrovica nicht akzeptieren. Autor
Die serbischen Richter und Justizangestellten besetzten das
Gericht. Wenige Tage später räumten Spezialeinheiten der UN-
Polizei das Gebäude, es kam zu schweren, gewalttätigen
Auseinandersetzungen mit serbischen Demonstranten: Panzer
fuhren auf, Handgranaten wurden geworfen, Autos brannten, auf
beiden Seiten wurde scharf geschossen. Monatelang blieb das
Gericht geschlossen, dann wurde es wieder eröffnet - allerdings im
Exil: in der 15 Kilometer entfernten und ausschließlich von Albanern
bewohnten Stadt Vushtrri.
O-Ton 10 Aber dort arbeiten sie einfach nicht. Natürlich gibt es einige objektive Hindernisse. Sie würden sagen, wir haben kein Räumlichkeiten, keine Ausstattung. Wir sind nicht in unserer Stadt, nicht in unserem Gebäude. Aber manchmal fehlt einfach nur der Wille zu arbeiten.
9
Autor
Und das serbische Gericht? Es hat seinen Sitz in der benachbarten
Gemeinde Zvecan, theoretisch ist es zuständig für ganz Kosovo,
aber praktisch ist es auf den Norden beschränkt.
O-Ton 11 Mit den Fällen, die sie bearbeiten können, arbeiten sie besser. Aber die Anzahl und die Art der Fälle, die sie überhaupt behandeln können, ist extrem beschränkt. Eigentlich geht es dort nur um Zivilrecht . Das Gericht hat außerdem keine Mittel, Urteile zu vollstrecken, sie durchzusetzen. Autor
Das heißt aber, es arbeitet weiterhin vollständig unter serbischer
Hoheit und wendet ausschließlich die serbischen Gesetze an? Eine
Frage, die Vlajic sichtbar irritiert. Natürlich, sagt er.
O-Ton (engl.): Because Kosovo was always part of Serbia "Weil Kosovo immer Teil von Serbien war". Dass das auch weiterhin
der Fall sein wird, daran gibt es auch für Nebojsa Vlajic keinen
Zweifel. Auch wenn er als Anwalt ganz pragmatisch ist:
O-Ton 12 Manche unserer Mandaten ziehen es vor, zum kosovarischen Gericht zu gehen, manche zum serbischen Gericht. Es liegt an ihnen, das zu entscheiden. Wir vertreten sie vor jedem Gericht. Meistens wissen sie aber, dass es nicht viel gibt, was sie erreichen können. Ihre Erwartungen sind also sehr gering. Atmo
Das Testament ist aufgesetzt, jetzt geht es an die Unterschrift. Der
86-jährige Zharko hat Probleme mit seiner Hand und ziert sich.
Atmo: Dialog
10
"Auf geht's, unterschreib einfach so gut, wie Du kannst." "Gut,
was?" "Gut. Warum soll das nicht gut sein? Fantastisch!" Während
sich der alte Mann noch freut, macht Nebojsa Vlajic die Unterlagen
fertig. Er weiß, was dem Besucher durch den Kopf geht. Ein
kosovarisches Gericht, das sich im Exil befindet und nicht arbeitet;
ein serbisches Gericht, das angeblich arbeitet, aber es tatsächlich
nicht kann, weil es mit der kosovarischen Polizei nicht kooperiert?
Und das noch dazu bei der Urteilsvollstreckung auf den "good will"
der Beteiligten angewiesen ist?
O-Ton 13 Es ist schwierig das zu erklären. Es ist normal zu denken, dass die Menschen ohne Gesetz oder Polizei, ohne Gerichte durchdrehen. Aber das passiert in Mitrovica nicht. Ich kann Ihnen sagen, dass die Kriminalitätsrate hier viel geringer ist als vor dem Krieg. Es gibt fast keine Morde und fast keine Diebstähle in Nord-Mitrovica. Autor
Woran das liegt, dafür hat Vlajic eine Erklärung. Ausgerechnet hier
in Mitrovica, da glaubt er doch manchmal auch wieder an das Gute
im Menschen.
O-Ton 14 Die Leute sind sich ziemlich klar über ihre bürgerlichen Pflichten. Sie wissen genau, was sie tun sollten und was nicht. Und deshalb glaube ich, dass es manchmal Kooperation zwischen den Menschen geben kann, ohne dass Zwang auf sie ausgeübt werden muss. Autor
Das Testament von Zharko ist fertig. "Frag lieber nicht", antwortet
der auf die Frage nach seiner Gesundheit. Die Beine machen nicht
mehr mit.
Atmo: Dialog
11
"Trinkst Du?" Ja, ab und zu ein Glas Rakia. Und rauchst Du? Ja,
das auch. "Hör auf zu rauchen, und dann ist alles in Ordnung", sagt
der Anwalt und lacht. Dann wird er wieder ernst - er hat zwei
Abschlüsse amerikanischer Universitäten erworben. Oft fragt er sich
deshalb, ob er damit nicht auch etwas anderes hätte erreichen
können.
O-Ton 15 Manchmal würde ich gerne ein besseres, ein anderes Leben führen. Ich bin nicht glücklich mit der ganzen Situation hier. Aber ich bin glücklich mit meinem kleinen Leben. Ich habe einen guten Ruf in meiner Stadt. Ich habe meine Mandanten, wenn auch weniger als früher. Autor
Und dann sagt er etwas, dass man immer wieder hört, von den
alten Mitrovicianern.
O-Ton 16 Aber ich gehöre hierher. Ich will nirgendwo anders hin. Musik
Mod. Leben im Niemandsland - das macht den Alltag mühsam. Ohne Lösung für den serbisch dominierten Norden des Kosovo wird sich auch das ganz große Problem nicht lösen lassen: offiziell beharrt die serbische Regierung darauf, den Anspruch auf ganz Kosovo nie aufzugeben. Möglicherweise Taktik, die auf eine Teilung des Kosovo hinauslaufen soll, wenn es nach Belgrad geht. Mitrovica wäre dann eine endgültig geteilte Stadt, aber das würde wiederrum Probleme aufwerfen. Eines davon wäre besonders gravierend.Im Norden leben zwar vorwiegend, aber nicht ausschließlich Serben. Trotz der serbischen Vorherrschaft wohnen etwa 2-Tausend-200 Albaner in Nord-Mitrovica - außerdem um die 1-Tausend-300 Bosniaken. Atmo Bus Die allermeisten bleiben unter sich, haben keinen Kontakt zur serbischen Bevölkerung: Nusha Haradini sitzt mit 15 anderen Albanern in einem Bus, der dafür sorgt, dass sie einigermaßen sicher in den Süden der Stadt und zurück kommt: Reportage- 3 Die Albanerin Nusha Haradini lebt (auc h) unter Serben
12
Autor
Erschöpft lässt sich Nusha Haradini auf einen der freien Sitze fallen.
Dann setzt sich der alte Bus in Bewegung.
Atmo
Die Fenster sind mit dichten Vorhängen zugezogen, und dabei
bleibt es, auch während der ganzen Fahrt durch den serbischen
Norden von Mitrovica - bis zur Siedlung "Mikronaselje", die von den
Albanern "Kodra e minatorëve” genannt wird.
Atmo: Aussteigen
Dort angekommen, ist man plötzlich in einer anderen Welt. Es ist
ländlich, kleine Einfamilienhäuser mit Gärten prägen das Bild. Hier
ist Nusha aufgewachsen.
Atmo
Bis zum Krieg war das hier eine gemischte Siedlung, erzählt sie.
Dann musste auch von hier die albanische Bevölkerung fliehen.
Anders als im Rest der Stadt, kehren sie seit einiger Zeit wieder
zurück.
O-Ton 17 alb. Als ich zurückkehrte, war noch alles zerstört. Über 70 albanische Häuser sind hier niedergebrannt worden. Ich war sehr traurig, als ich das alles gesehen habe.
Autor
14 neue Häuser stehen schon, vier weitere werden gerade gebaut.
Nusha war unter den ersten, die wiederkamen:
Atmo: Tür, Flur Autor
13
Auch ihr Haus war bis auf die Grundmauern zerstört. Das neue
steht jetzt wieder genau auf dem selben Grundstück. Vor einem
Jahr hat sie es bezogen - über 10 Jahre nachdem sie mit ihrer
Familie von hier vertrieben worden war.
O-Ton 18 Die Serben waren maskiert und sie sagten, ihr habt 5 Minuten. Wir haben Taschen gepackt und uns dann in der Nähe der Brücke versammelt. Die serbische Polizei hat dann gesagt, dass wir zur Busstation gehen sollten. Sie haben uns unsere Dokumente abgenommen und auch das Geld, das wir besaßen. Wenn man sich weigerte, wurde man geschlagen. Autor
Sieben Busse fuhren an diesem Tag nach Gjakova, im Westen
Kosovos gelegen. Von dort aus sollte es weiter nach Albanien
gehen.
O-Ton 19 Auf dem Weg haben wir schreckliche Dinge gesehen, darunter etwas, das ich niemals vergessen kann: Traktoren wurden bombardiert, und ich sah ein Babybett, es war zerstört - und das Baby lag darauf. Neben der Straße lagen Leichen, Tote, einfach nur mit Zeitungen bedeckt. Als wir ankamen, sagte der Busfahrer wir sollten geradeaus gehen, nicht nach links, nicht nach rechts. Wegen der Minen. Er war ein Serbe, und ich bin ihm sehr dankbar für seine Hilfe. Atmo Autor
Nusha setzt türkischen Kaffee auf. Drei Monate blieben sie in
Albanien, von da aus ging es dann mit dem Schiff nach Italien und
schließlich nach Österreich.
Während dieser Zeit ist ihr Mann gestorben, ihre Kinder haben
geheiratet, die Familie bekam in Österreich ein Aufenthaltsrecht,
und die ersten Enkel kamen zur Welt. Alles war gut - eigentlich.
14
Aber irgendwann, da sagte sie mit fester Stimme: Ich gehe zurück!
Zurück nach Nord-Mitrovica.
O-Ton Zuhause ist eben Zuhause, sagt sie und lacht. Die Kinder
jedoch waren entsetzt. Zurück nach Nord-Mitrovica? Zu den
Serben? Kaufe oder miete ein Haus im Süden, flehten sie ihre
Mutter an. Es war vergeblich.
O-Ton 20 Als ich dann zurückkam, hatte ich tatsächlich große Angst. In Österreich habe ich immer davon geträumt, wie es ist, zurückzukommen. Ich träumte, ich komme zurück und verlaufe mich. In meinem Traum habe ich dann mein Gesicht verdeckt, damit die Serben nicht sehen, wie ich zurückkehre. Regie: Orig. kurz hochziehen Aber dann sah ich meine serbischen Nachbarn, die an der Straße auf mich warteten: Nusha, wie geht es Dir? Kommst Du zurück für immer? Wir werden dieselben Nachbarn sein, wie wir es früher waren, hab keine Angst! Atmo Autor
Draußen muss der Hund gefüttert werden. Und wie bestellt kommt
Zoran Rakic vorbei, ein Mann um die 50.
O-Ton 21 Er war der erste, der mich willkommen hieß und mir zur Rückkehr gratuliert. Und ich bin froh, dass ich einen solchen Nachbarn habe. Autor
Zoran Rakic stammt aus einer der ältesten Familie Mitrovicas. Und
für sie sei das Zusammenleben von Serben und Albanern doch
schon immer eine Selbstverständlichkeit gewesen, betont er.
O-Ton 22 Sprecher! Wir hatte eine Big Band und mit der hatten wir großen Erfolg. In ganz Jugoslawien haben wir bei internationalen Festivals gespielt. Bis zum Krieg funktionierte alles reibungslos. Albaner, Türken, Montenegriner, Serben - alle spielten wir zusammen.
15
Autor
Nusha nickt.
O-Ton 23 Wir habe uns besucht. Und wir haben uns gegenseitig zum muslimischen Bajram und zum orthodoxen Slava-Fest gratuliert. Autor
Auf dem Weg zurück zum Haus trifft Nusha einen weiteren
Nachbarn.
Atmo
"Komm mal wieder vorbei", ruft sie ihm zu. Drinnen wird die nächste
Tasse Kaffee aufgesetzt. Aber natürlich, sagt sie dabei, das Leben
hier sei auch nicht einfach, vor allem jetzt nicht, da die politische
Situation wieder angespannt ist. Zum Einkaufen geht sie meistens
in den albanischen Süden von Mitrovica. Manchmal aber auch in
den Norden. Vor kurzem zum Beispiel, da musste sie eine
Rechnung bezahlen. Sie wusste nicht, dass die Serben wieder
einmal protestieren und geriet in eine Menschenmenge.
O-Ton 24 Sprecherin Ich habe dort Kollegen getroffen, mit denen ich 35 Jahre lang zusammengearbeitet hatte: Nusha, wo gehst Du hin? Na, auf die Barrikade (Lachen) Und die Kollegen sagten, Du bist nicht normal (Lachen)
Autor
Aber Nusha weiß: Die Zukunft wird nicht nur von ihr und ihrer
kleinen Welt in der Siedlung bestimmt, sondern letztlich, wie so oft
im Kosovo, von der großen Politik. Mit Sorge verfolgt sie, dass
einige serbische Politiker selbst die endgültige Teilung des Kosovo
in Kauf nehmen wollen, womit sie dann plötzlich doch auf der
falschen Seite wäre.
16
O-Ton 25 Sprecherin Damit würde sich alles ändern. Ich wollte dann nicht mehr hier leben. Wir haben vorher zusammen gelebt, warum nicht jetzt? Wir sollten die Grenzen nicht mehr ändern. Musik Zitat-2: "Titova Mitrovica wird erstmals um die Mitte des 15. Jahrhunderts erwähnt. Die Stadt entwickelte sich um die Sankt Demetrioskirche, ihr ursprünglicher Name war Dimitrovica. Bei Titova Mitrovica steht ein Denkmal in Form eines Förderwagens zu Ehren des Bergmanntrupps, der am 30. Juli 1941 die Seilbahn in Trepca in die Luft sprengte und sich sodann der gefeierten 1. Proletarischen Brigade anschloss. Trepca, eine bedeutende Bergbausiedlung wird erstmals 1303 erwähnt. In Trepca befinden sich die Ruinen der Sankt Peterskirche, Saska crkva genannt, in Stari Trg eine der reichsten Mineral- und Kristallsammlungen der Welt." Mod. Mitrovica war zu jugoslawischen Zeiten aus denen dieser Text stammt, keineswegs ein "schwarzes Loch", Titova Mitrovica war eine wichtige Industriestadt. Die so oft beschworene "goldene Vergangenheit" der Region ist mit dem Namen Trepca verbunden. Dieses Industriekombinat bestand aus mehreren Bergwerken, Schmelzen und Betrieben, die die Metalle weiter verarbeiteten, unter anderem zu Munition. In Titos Jugoslawien gehörte Trepca mit 26-Tausend Arbeitern zu den ganz großen Unternehmen und brachte reichlich Devisen ein. Fast alle Familien in Mitrovica konnten direkt oder indirekt von Trepca leben. Atmo Warten auf Aufzug Mod. Wegen der Vorkommen an Blei und Zink werden die Minen immer noch als "Kronjuwel" des Kosovo bezeichnet. Schon Anfang der 80er Jahre war es hier zu Auseinandersetzungen zwischen Albanern und Serben gekommen. Dabei ging es auch um die Vorherrschaft im Unternehmen und die vermeintliche Diskriminierung der Albaner. Trotzdem hoffen jetzt viele, dass Trepca wieder zum Motor der wirtschaftlichen Entwicklung werden könnte. Trepca ist geteilt. Im serbischen Norden liegt vor allem ein Schmelzwerk, im albanischen Süden liegt, einige Kilometer von der Stadt entfernt, die größte Mine, Stari Trg. Reportage-4 Im albanischen Bergwerk Atmo: Sirene, Aufzug nach unten Autor
17
Ein kurzes Signal, dann rauscht der der Förderkorb fast lautlos in
die Tiefe. Fünf Arbeiter fahren ein. Keiner ist jünger als 50, sie
tragen Gummistiefel, blaue Arbeitshosen, und weiße Schutzhelme
auf dem Kopf..
Atmo: Scheppern
Die zehnte Ebene ist das Ziel - 800 Meter unter der Erdoberfläche.
Atmo Autor
Unten wartet bereits Halil Qela, einer der leitenden Manager von
Trepca. Seit einem Vierteljahrhundert arbeitet er hier, wie zuvor
schon sein Vater und sein Großvater.
O-Ton Mit Trepca verbunden zu sein ist ein Stolz für uns. Autor
Und deshalb war er sofort nach Kriegsende aus Deutschland
zurückgekehrt. Als er nach Mitrovica kam, stand Trepca schon unter
der UN-Verwaltung des Kosovo - und wurde erst einmal stillgelegt.
O-Ton Erstes mal durften wir normal arbeiten 2006. Autor
Was auch an den Schäden lag, die die serbische Belegschaft
hinterlassen hatte.
O-Ton Immer noch heute haben wir Minen, Bergwerke, die sind unter Wasser. Die ganze Metallurgie ist kaputt gegangen. Viele Sachen sind auch geklaut. Autor
18
Halil Qela geht voran, durch einen zunächst noch gut ausgebauten
Tunnel. Die ersten 100 Meter sind immer beleuchtet, danach sorgen
nur noch die Helm-Lampen für Licht. Wasser rieselt von den
Wänden in kleinen Rinnsalen herab, auf dem Boden fließt es zu
einem ansehnlichen Strom zusammen. Qela deutet auf einen
Eingang zu einer Höhle, die mit Zement abgedichtet ist.
O-Ton Normalerweise System ist, in Englisch nennt man das "cut and fill": Nimmt man das Erz und füllt das mit dem anderen Material, dass nicht die Mine kaputt geht. Autor
Normalerweise! In den 90er Jahren hatten die serbischen Manager
alle albanischen Arbeiter entlassen, und die Mine stand unter ihrer
Kontrolle.
O-Ton nur das gute Erz genommen, aber nichts für die Mine gedacht. Mit damalige serbische Gesetze auch war verboten. Aber Milosevic hat ganz andere Ziele gehabt. Der hat seine eigene Gesetz gehabt. Autor
Spiralförmig windet sich der Gang weiter zur nächster Ebene. Die
Luft ist warm, etwa 27 Grad, und durch das viele Wasser herrscht
an manchen Stellen geradezu ein tropisches Klima. Dann plötzlich
Licht: Eine natürliche Höhle von gewaltigen Ausmaßen. 15, 20
Arbeiter hauen mit schwerem Gerät mächtige Erzbrocken aus dem
Fels.
Atmo
Mit der Hand werden die Brocken dann zerkleinert und durch ein
Gitter in einen Schacht gestoßen. Seit 2006 hat sich daran nichts
geändert:
19
Atmo
O-Ton Damals haben wir mit 22.000 Tonnen angefangen. Und heute haben wir geschafft 140.000 Tonnen. Ist immer noch zu wenig für Trepca, aber trotzdem wir haben das viel geschafft. Atmo Autor
Auch eine Art Büro gibt es hier unten, direkt neben der
Grubenbahn, die das Erz zum Hauptschacht transportiert. Der
Raum dient als Besprechungszimmer für die Ingenieure. Als
Manager ist Qela nicht mehr oft hier unten. Die Geschicke der Mine
leitet er jetzt von oben. Und deshalb weiß er, ohne einen Investor
wird sich Trepca kaum weiterentwickeln können. Um einen Investor
zu finden, müsste jedoch zunächst eine politische Lösung gefunden
werden, um die Trennung von Nord und Süd zu überwinden.
O-Ton Süd ohne Nord, auch Nord ohne Süd, das hat keine Zukunft. Bin ich 100 Prozent sicher, dass gleiche Meinung haben alle Experten von Albaner und alle Experten von Serben. Autor
Und deshalb gibt es für Halil Qela nur einen Weg: Nord und Süd,
Serben und Albaner müssen wieder zusammenarbeiten.
O-Ton Trepca war eine und es wird eine. So wie ist jetzt, das gefällt nur Kriminellen und Leute, die sind gegen Trepca, gegen Zukunft von Bürgern von Mitrovica, egal welche Nationalität sind. Autor
Denn "Nord" und "Süd" -
O-Ton
20
Diese Begriff dürfte es nicht mehr existieren. Müsste es sagen, mit eine gute Ingenieur, mit eine gute Arbeiter - aber nicht mit eine Nord- und Südmensch. Mit solcher Mentalität kommt keine Investor hier. Atmo Autor
Die erste Schicht endet um 3 Uhr Nachmittags. Mit den anderen
Bergleuten fährt auch Halil jetzt wieder nach oben.
Atmo
Kontakte zwischen serbischen und albanischen Ingenieuren gibt es
selten, aber wenn, dann verstehen sie sich eigentlich ganz gut.
O-Ton Wenn man schafft, mit denen direkt zu sprechen. Die haben keine andere Chance zu denken wie ich, weil wir sind Bürger von diese Stadt hier.
Autor
Vor kurzem zum Beispiel, da kam es zu einem Treffen. Die
kosovarische Polizei hatte einige Lastwagen von Trepca Nord
beschlagnahmt, und die Serben kamen in den Süden, um ihre
albanischen Kollegen um Hilfe zu bitten.
O-Ton Ich war persönlich auch da und hab gesehen, ganz normales Kontakt mit denen, sehr gute Leute. Wenn hätte nicht die Politik Druck gemacht, gibt es Bereitschaft von beide Seiten, was Gutes zu tun.
Autor
Das es irgendwann so kommen wird, davon ist Halil Qela
überzeugt:
O-Ton
21
Wenn man die Politik, die Hände wegnimmt von Trepca. Nicht nur von Trepca, auch von manche andere Sachen, dann Trepca wird wieder diese Hauptsäule von Entwicklung. Genauso wie Albaner, Serben, wie auch alle anderen werden stolz sein, dass Trepca ist da. Atmo: Aufzug nach oben
Musik Turbo Folk! Mod. In der Zeit des jugoslawischen Zerfalls eroberte von Belgrad aus eine Musikrichtung Serbien, die Turbo-Folk genannt wurde. Diese Mischung aus traditioneller Volksmusik, aus Schlager, Pop und auch Techno galt bald als musikalischer Ausdruck der Politik von Slobodan Milosevic. Die Sängerin Zeza wurde zur Turbo-Folk-Ikone. Sie heiratete den so genannten "Freischärler" Arkan, der mit seiner Freiwilligen-Truppe ungezählte Kriegsverbrechen beging. Gemischt ethnische Bands fielen mit den Kriegen in allen jugoslawischen Republiken und auch in der Provinz Kosovo auseinander, Mitrovica machte keine Ausnahme. Dabei war gerade diese Stadt berühmt für ihre Musikszene. Internationale Jazz- und Blues- Festivals fanden hier statt, vor allem aber galt Mitrovica als Stadt des Rock. Viele der Rockmusiker waren in ganz Jugoslawien bekannt. Atmo /Musik Traditionen, an die sich anknüpfen lässt. Ein großer Teil der albanischen Musiker ist zwar nach Pristina gegangen. Trotz der vielen Schwierigkeiten lebt die Musikszene im Norden von Mitrovica wieder auf und sie entwickelt sich: Reportage 5 Generation Mitrovica - Musikszene im No rden Atmo Autor
Es ist früher Nachmittag, aber im Jugendzentrum ist die Luft jetzt
schon rauchgeschwängert. Es gibt eine kleine Bibliothek, eine Bar
und eine Bühne für Konzerte. Für diesen Abend ist eine Band aus
Belgrad angekündigt. Ljubisa Bascarevic sitzt in einem Sessel und
ist zufrieden: Der nationalistische Turbofolk sei auch hier wieder auf
dem Rückzug, meint er. Und ein bisschen betrachtet er das auch
als sein Werk. Ljubisa gehört zum Urgestein der lokalen Rockszene
22
- mit seinen 40 Jahren ist er nicht mehr selbst aktiv, aber den
jungen Rockbands hier hilft er so gut er kann.
O-Ton 26 Sprecher 1 Wir haben in den 90er Jahren wirklich eine dunkle Zeit erlebt - für alles, was gut und progressiv war. Lange Haare galten plötzlich als völlig inakzeptabel. Sämtliche Werte änderten sich. Selbst die besten Bands konnten nicht mehr arbeiten, die Musiker mussten andere Jobs finden. Dennoch hat die Rockmusik überlebt - entscheidend war die Begeisterung der Menschen, die wirklich dafür gekämpft haben, sie für künftige Generation zu bewahren. Autor
Und dabei guckt Ljubisa zu Filip Radenkovic herüber, Gitarrist der
Punkrockband "Hosenfefer". Auch er ist schon etwas in die Jahre
gekommen, aber mit seinen langen Haaren, Lederkutte und
dunklem 3-Tagebaart nimmt man ihm den Rocker immer noch ab,
ohne dass es peinlich wirkt. Für seine Band schreibt Filip auch die
Texte.
O-Ton 27 Sprecher 2 Es gibt hier viele Themen. Als ich noch Schüler war, gab es zum Beispiel diese große Inflation, das hieß kein Geld. Wir tranken viel, weil wir sonst nichts zu tun hatten - und das kannst du in unseren Songs hören. Nach dem Krieg kamen die internationalen KFOR-Soldaten, und das war auch nicht das, was wir uns erwartet hatten. Das kannst Du in den Songs hören, besonders in dem einem, über diese Stadt: KM - Kosovska Mitrovica. Autor
Filip klappt seinen Laptop auf und spielt das dazugehörige Video
ab: 4 Jungs in einem schummrigen Kellergewölbe, alle mit langen
Haaren, schwarzem T-Shirt und dunkler Sonnenbrille.
Atmo
"Zu viele Diebe ... zu viele Junkies, fremde Bastards, die die Stadt
zerstören ... diese ganze Scheiße in diesem kleinen Ort ... Und
23
dann der Refrain: Das ist nicht der Ort, wo ich leben sollte. Nicht die
Luft, die ich atmen will. ... Nimm mich mit an einen Ort, wo ich leben
kann."
O-Ton: We can't live here normal. Autor
Wir können hier nicht normal normal leben, sagt Filip. Aber dann
hält er kurz inne. Weggehen könnte - zumindest er - aber auch
nicht.
O-Ton : I'm connected somehow to this town, i don't know. Autor
Irgendwie gebe es da diese Verbindung zu dieser Stadt, meint er
nachdenklich. Und davon handelt auch das Lied, an dem die
Musiker gerade arbeiten: Alles eigentlich unerträglich zu finden,
aber dennoch nicht weggehen zu können.
Atmo Autor
Hinten, in den Proberäumen, übt eine Band ein neues Lied ein.
Ljubisa schaut oft hier vorbei, spricht mit den Jugendlichen und
versucht, ihnen Auftrittsmöglichkeiten in den Bars der Stadt zu
vermitteln.
O-Ton 28 Sprecher-1 Sie sind sehr gut ausgestattet. Wir dagegen hatten noch in nassen und kalten Kellern geprobt. Andererseits sind sie mit diesen schlimmen Bildern von Gewalt groß geworden - und das ist irgendwie in ihrem Unterbewusstsein. Es gibt hier viele Punk- und Ska-Bands, die recht rebellisch sind gegenüber der politischen Wirklichkeit . Aber es gibt auch viele, die mit der Musik vor der Realität fliehen.
24
Autor
Es ist Abend geworden. Die Band ist eingetroffen, ein wenig später
als geplant. - Soundcheck.
Atmo
Fast alle Musiker der Stadt sind da. Das Konzert einer auswärtigen
Band gilt als Pflichttermin. Auch an diesem Abend wird deutlich:
Belgrad ist zwar fünf Autostunden entfernt, doch die serbische
Hauptstadt ist immer noch näher als der Südteil der eigenen Stadt.
O-Ton 29 Sprecher-1 Wir haben keine Bands von Süd-Mitrovica, die hierher kommen und spielen. Die ganze Situation ist Immer noch sehr fragil. Und dasselbe gilt für die Bands von hier, die auch nicht auf der andere Seite spielen. Wir brauchen vielleicht noch einige Zeit, um die Beziehungen wieder aufzubauen. Musik ist ja eigentlich etwas, was Leute verbindet. Musik sollte über der Politik stehen. Autor
Dann geht es los. Der Raum ist voll, die Luft ist zum Schneiden. Atmo: Lied "Get up, stand up. Stand up for your rights ..." Das Lied bleibt die einzige politische Botschaft an diesem Abend.
Ljubisa steht an eine Säule gelehnt, zusammen mit seinen
Freunden, und lässt seinen Blick über das Publikum schweifen.
O-Ton 30 Sprecher-1 Politisch ist wirklich jeder Aspekt des Lebens hier. Und es tut mir sehr leid für die jungen Leute - irgendwie fühle ich mich dafür verantwortlich, dass wir ihnen nicht etwas Anderes überlassen haben als diese Unsicherheit und diese politischen Tumulte. Atmo: Konzert O-Ton 31 Sprecher-1 Ich wäre wirklich froh, wenn einige junge Bands von hier Erfolg hätten, dass sie Alben aufnehmen könnten, die Chance hätten in Europa zu spielen. Dann wäre auch unsere ältere Generation
25
zufriedener. Sie sind unsere Zukunft. Wenn sie eine gute Zukunft haben, dann haben auch wir etwas gut gemacht. Musik Zitat-3: "Viele tausend Jahre lang hat der Mensch auf dem jugoslawischen Boden Spuren hinterlassen. Etliche sind verschwunden im Nebel der Zeit, auf Kriegszügen von Heeren und Horden und auf grossen Wanderungen. Eine Menge aber sind erhalten gebleiben, verstreut über ganz Jugoslawien, in Städten, Dörfern und abseits der großen Straßen, in der Weglosigkeit." Musik hoch Das waren Gesichter Europas: Politisches Niemandsland - Leben im Norden des Kosovo. Dirk Auer war der Autor der Reportagen, Babette Michel suchte die Musik aus und führte Regie. Sprecher der Literaturauszüge war Matthias Lühn. Für Ihr Interesse dankt, auch im Namen von Ton und Technik, Gerwald Herter. Wir wünschen Ihnen noch einen schönenTag! Musik