14
Goffman und der Windows Live Messenger Hausarbeit Maria Badke

Goffman Und Der Windows Live Messenger

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Goffman Und Der Windows Live Messenger

1

Goffman und der Windows Live Messenger Hausarbeit Maria Badke

Page 2: Goffman Und Der Windows Live Messenger

2

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 3

2. Windows Live Messenger Was ist das? 4

3. Goffmans Rahmenanalyse und Interaktionsrituale 6

4. Die Diskurforschung 8

5. Die Rahmen und das Ritual in der Chatsituation beim Windows Live Messenger 9

5.1 Goffman und der Windows Live Messenger 9

5.2 Analyse eines Chatverlauf 11

6. Fazit 12

7. Literaturverzeichnis 14

8. Abbildungsverzeichnis 14

Page 3: Goffman Und Der Windows Live Messenger

3

1. Einleitung

Im Rahmen der Vorlesung und des Seminars „Mikrosoziologie: Technik und Interaktion“

wurde das Thema Interaktionstheorie behandelt. Es geht darum, mit Hilfe von soziologischen

Theorien herauszufinden, wie sich Interaktion gestaltet. „Wer handelt wie?“ und „Wodurch

kommt ein Sinn zustande?“ sind die zentralen Fragen, die es zu beantworten gilt. Gerog

Herbert Mead und Herbert Blumer, die dem symbolischen Interaktionismus zugeordnet

werden, beantworten diese Fragen, indem sie Objekten, Situationen und Beziehungen eine

Symbolkraft zuschreiben, die im vermittelten Prozess der Interaktion entsteht (vgl. Mead,

1975 S. 115 ff & Blumer, 1973 321 ff). Goffman geht einen ähnlichen Weg, indem er u.a.

versucht, die Rahmen einer Situation zu definieren oder Interaktionsrituale beschreibt (vgl.

Goffman, 1977 & Goffman, 1971). Es geht ihm darum zu beschreiben, was in Face-toFace-

Kommunikation, in der mindestens zwei Individuen anwesend sind, geschieht, egal aus

welchen Blickwinkel.

Im Kontrast zur Face-to-Face-Kommunikation steht im Zeitalter der Informationstechnik die

Kommunikation über das Medium Internet, die kein physisches Beisammensein der

Gesprächspartner erfordert. Diese „virtuelle“ Kommunikation soll in dieser Hausarbeit

anhand des Windows Live Messenger untersucht werden, einem Programm, das zum Chatten

dient. Dieses Programm wird als Beispiel herangezogen, da es sich durch einen hohen

Bekanntheitsgrad auszeichnet: Mit 330 Millionen Nutzern ist es eines der am häufigsten

benutzten Messenger weltweit (vgl. Lubold, 2009).

Es wird versucht, die Frage: „Was verändert sich in der Interaktion bei der Nutzung eines

Messenger im Vergleich zur Face-to-Face-Kommunikation?“ mit Hilfe von Goffmans

Konzept zu beantworten. Dafür wird erst das Praxisbeispiel des Windows Live Messenger

vorgestellt, danach das Konzept der Rahmenanalyse und das der Interaktionsrituale. Im

weiteren Verlauf werden Begriffe der Diskursforschung eingeführt, um dann diese und das

Konzept Goffmans anhand des Windows Live Messengers diskutieren zu können. Im

abschließenden Fazit wird dann eindeutig der Unterschied der beiden Kommunikationsformen

herausgestellt.

Page 4: Goffman Und Der Windows Live Messenger

4

2. Windows Live Messenger: Was ist das?

Das Wort Messenger kommt aus dem Englischen und bedeutet Bote. Der Windows Live

Messenger ist ein so genannter Instant Messenger, ein Programm, das es erlaubt, via Internet

und nahezu in Echtzeit mit Freunden und Bekannten auf der ganzen Welt zu chatten. Benötigt

werden hierfür lediglich ein Computer, ein Internetzugang, die Windows Live Messenger

Software und ein Account, das heißt ein Nutzerkonto, mit dem man sich später beim

Programm anmeldet. Die Windows Live Messenger Software kann man sich kostenlos von

msn.com downloaden. Die Nutzung des Messengers ist danach unabhängig von einem

Browser, das heißt, das Programm ist selbstständig in der Lage, ins Internet zu gehen. Den

Account legt man nach dem Download der Software mit Hilfe seiner E-Mail-Adresse an.

Über diese E-Mail-Adresse kann man dann von anderen gefunden und kontaktiert werden.

Personen, die einen gefunden haben oder die man selbst kontaktiert hat, werden vom

Windows Live Messenger angezeigt. Sofern sie (und natürlich man selbst) online sind, ist es

möglich, mit ihnen in Kontakt zu treten, also zu „chatten“. Ähnlich wie bei Social Networks

spielt hier der Netzwerkgedanke, die Verbindung zu Freunden und Bekannten, eine große

Rolle.

Windows Live Messenger ist ein Produkt des Anbieters Microsoft. Erstmals wurde es –

damals noch unter dem Namen MSN Messenger – am 22. Juni 1999 eingeführt und erreichte

innerhalb von 60 Tagen einen Zuwachs von 2,5 Millionen Nutzern (vgl. Lubold, 2009).

Nachfolgend wird illustriert, wie es aussehen kann, wenn man sich bei Windows Live

Messenger eingeloggt hat: In Abbildung 1 kann man sehen, dass „David“ und „Schenke“

gerade Online sind. Sie haben einen grünen Punkt, „S“ hingegen ist zwar online, aber

beschäftigt, dies verdeutlicht der rote Punkt. Alle anderen sind nicht online und werden daher

durch einen weißen Punkt gekennzeichnet. Neben den drei genannten Möglichkeiten existiert

noch die Kennzeichnung durch einen orangenen Punkt, dieser signalisiert, dass das

Gegenüber zwar online, aber abwesend, das heißt nicht am PC ist. Des Weiteren kann man

erkennen, dass diejenigen Personen, die man als Favoriten ausgewählt hat, ganz oben stehen;

dies können etwa Personen sein, mit denen man oft in Kontakt steht. Außerdem sieht man,

dass es beim Windows Live Messenger möglich ist, sich ein Pseudonym zu geben, das dann

anstelle der E-Mail-Adresse angegeben wird, beispielsweise „cricri“, die oben bei den

Favoriten steht. Man kann eine Schnellnachricht schreiben, wie es „Schenke“ gemacht hat.

Diese kann auch als Statuszeile betrachtet werden. Außerdem ist es möglich, nach Kontakten

zu suchen oder eine Internet Suchmaschine aufzurufen. Wie in der Abbildung 1 zu sehen,

Page 5: Goffman Und Der Windows Live Messenger

5

kann man auch ein Bild von sich einbinden, das beim Chatten angezeigt wird. Um zu einer

Chatsituation zu gelangen, klickt man einfach die Person an, mit der man kommunizieren

möchte.

Abbildung 1 nach dem einloggen (Screenshot vom 07.05.2010)

Abbildung 2 ist ein Beispiel dafür, wie eine solche Chatsituation aussehen könnte. Links sind

die beiden Bilder der Chatpartner zu sehen und daneben die zwei Textfelder. Das eine, in dem

der Nutzer seine Nachricht neu schreibt und das andere in dem das Geschriebene von beiden

steht. Der Windows Live Messenger unterscheidet sich von Chaträumen insofern, als dass er

für die 1:1 Kommunikation genutzt wird. Er ähnelt somit eher dem Briefeschreiben oder dem

Telefonieren, da die Personen sich nicht fremd sind wie in einem öffentlichen Chatraum, bei

dem man meist nicht alle – womöglich sogar keinen – der Kommunikationspartner kennt.

Page 6: Goffman Und Der Windows Live Messenger

6

Obwohl die heutigen Nutzungsmöglichkeiten weit über das Chatten hinausgehen1, wird sich

die vorliegende Hausarbeit auf diese Funktion des eins-zu-eins-Chattens konzentri

Abbildung 2 Chatsituation (Screenshot vom 07.05.2010)

3. Goffmans Rahmenanalyse und Interaktionsrituale

Im folgenden Abschnitt werden die in der Einleitung erwähnten Theoriekonzepte Goffmans

beschrieben, die Individuen in Interaktionen benutzen, nämlich der Begriff der primären

Rahmen und der Begriff der Rituale.

Die primären Rahmen werden in dem Buch „Rahmenanalyse“ als diejenigen

Erfahrungsschemata erklärt, die aufgrund von gewissen Organisationsprinzipien unbewusst

benutzt werden, um eine Situation sinnhaft wahrzunehmen (vgl. Goffman, 1977, S. 19).

Goffman setzt seine Rahmen-Analyse an einer Face-to-Face-Kommunikationssituation an,

indem er den einzelnen Akteuren die Frage: „Was geht hier eigentlich vor?“ (Goffman, 1977,

S. 35) in den Mund legt. Er unterscheidet hier zwischen zwei Arten von Rahmen, natürliche

und soziale. Natürliche Rahmen sind diejenigen, die nicht gerichtet, nicht orientiert sowie

vollkommen deterministisch sind und hinter denen keine willentliche Absicht zu erkennen ist

(vgl Goffman, 1977, S. 31). Das Wetter ist beispielsweise ein solches Phänomen: Es beruht

ausschließlich auf physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten und kann nicht durch

Menschen beeinflusst werden.

1 Es ist sowohl möglich miteinander zu chatten, als auch bildchatten, zu telefonieren oder bildtelefonieren, ganz

abgesehen von den vielen Zusatzfunktion wie Spielen, der mobilen Nutzung übers Handy u.a.

Page 7: Goffman Und Der Windows Live Messenger

7

Soziale Rahmen haben im Gegensatz dazu einen Verständnishintergrund für Ereignisse, an

denen eine oder mehrere Individuen beteiligt sind. (vgl Goffman, 1977, S. 32) Um bei dem

obigen Beispiel zu bleiben, wäre ein sozialer Rahmen etwa ein Gespräch zwischen Freunden

über die Vor- und Nachteile von gutem Wetter.

In dem Buch „Interaktionsrituale“ geht es Goffman ebenfalls darum zu beschreiben, was in

direkter Interaktion geschieht. Er will erklären, wie sich soziale Organisation in situativen

Interaktionen bildet. Dabei geht er davon aus, dass jedes Individuum, das soziale Kontakte

mit anderen Individuen hat, eine bestimmte Strategie auswählt, nach der es sich verhält. Eine

Strategie stellt ein Repertoire an Mustern dar, die auf Grundlage der Situationanalyse des

Individuums der jeweiligen sozialen Situation ausgesucht und dann verbal und nonverbal in

seinem Verhalten gezeigt wird (vgl. Goffman, 1971, S. 10). Mit dieser Strategie versucht das

jeweilige Individuum, ein bestimmtes Image zu vermitteln. Das Image ist nach Goffman „der

postive soziale Wert[…], den man für sich durch die Verhaltensstrategie erwirbt, von der die

anderen annehmen, man verfolge sie in einer bestimmten Interaktion. Image ist ein im

Termini sozial anerkannter Eigenschaften umschriebenes Selbstbild, […]“ (Goffman, 1971,

S.10). Hier sei das Selbst erwähnt, das sich aus den verschiedenen Images zusammensetzt.

Ferner wird dargestellt, was benötigt wird, um dieses Image zu wahren: Das Individuum

benutzt Techniken der Imagepflege. Diese Techniken der Imagepflege werden von Goffman

als Handlungen beschrieben „ […], die vorgenommen werden, um all das, was man tut, in

Übereinstimmung mit seinem Image zu bringen. Techniken der Imagepflege dienen dazu,

„Zwischenfällen“ entgegenzuarbeiten – das sind Ereignisse, deren effektive, symbolische

Implikationen das Image bedrohen“ (Goffman, 1971, S. 18). Es gibt zwei Grundarten der

Imagepflege: zum einen den Vermeidungsprozess, der dem Vorbeugen von Zwischenfällen

dient, zum anderen den korrektiven Prozess, der dazu dient, einen Zwischenfall zu

korrigieren.2 Diese Techniken sind sozusagen die ‚Ausführungsorgane‘, sie stehen unter dem

Oberbgriff der Rituale. Rituale sind die Mittel, die Menschen aus verschiedensten

Gesellschaften nutzen, um selbstregulierend an sozialen Begegnungen teilzunehmen

(Goffman, 1971, S. 52). Diese können anders als bei Durkheim auch von Individuen, die aus

einer urbanisierten, säkularisierten Welt kommen, eingesetzt werden (vgl. Goffman, 2001, S.

14). Rituale vollziehen sich in Ehrerbietung und Benehmen. Die Begriffe Ehrerbietung und

Benehmen sind ausgewählt worden, um herauszustellen, dass es einen Zusammenhang

2 In „Wir alle spielen Theater“ hat Goffman diesen Sachverhalt ebenfalls benannt, als Impression Mangement

(die Eindrucksmanipulation). Er schreibt „…, denn diese Störungen zu vermeiden, ist die Technik der

Eindrucksmanipulation“ (Goffman, 2009, S. 189)

Page 8: Goffman Und Der Windows Live Messenger

8

zwischen säkularisierten und heiligen Symbolen gibt (vgl. Goffman, 2001, S.14).

Ehrerbietung ist laut Goffman „die Handlungskomponente, […] durch die symbolisch die

Wertschätzung des Empfängers dem Empfänger regelmäßig übermittelt wird oder die

Wertschätzung dessen, wofür dieser Empfänger als Repräsentant gilt.“ (Goffman, 1971, S.

64) Die Würdigung eines Individuums durch ein anderes wird als Ehrerbietung verstanden.

Diese kann in Form von Vermeidungsritualen oder Zuvorkommenheitsritualen erbracht

werden. Vermeidungsrituale dienen dazu, Distanz zwischen den Individuen zu schaffen,

Zuvorkommenheitsrituale dagegen eine Verbindung3 (vgl. Goffman, 1971, S. 78f).

Benehmen wird als „jenes zeremonielle Verhaltenselement bezeichne[t], das

charakteristischerweise durch Haltung, Kleidung und Verhalten ausgedrückt wird und das

dazu dient, dem Gegenüber zum Ausdruck zu bringen, daß man ein Mensch mit bestimmten

erwünschten oder unerwünschten Eigenschaften ist.“(Goffman, 1971, S. 86) Beim Benehmen

geht es eher um die nonverbalen Dinge, die in einer Interaktion vorhanden sind, als um die

verbalen. Ehrerbietung und Benehmen dienen in einer Interaktion dazu, das Image

aufrechtzuerhalten.

Zuletzt sei noch ein Instrument erwähnt, das Goffman in „Wir alle spielen Theater“

verwendet und das für die nachfolgende Analyse sehr passend erscheint: die Vorder- und

Hinterbühne. Die Vorderbühne wird als der Raum benannt, in dem die Handlungen vollzogen

werden (vgl. Goffman, 2009, S. 100). Die Hinterbühne hingegen wird als Rückzugsraum für

die Individuen betrachtet, in dem der auf der Vorderbühnen erweckte Eindruck bewusst

wiederlegt wird (vgl. Goffman, 2009, S. 104).

Die primären Rahmen bezeichnen also die erkenntnisleitenden Erfahrungsschemata, die für

den Vorgang der Analyse durch jedes einzelne Individuum in den jeweiligen Situationen

benutzt wird. Danach erfolgt die Zuordnung dieser Erfahrungsschemata zu Verhaltensweisen,

diese sind wiederum Ritualen untergeordnet.

4. Diskursforschung

Die Diskursforschung hat sich aus der Konversationsanalyse entwickelt, einer

Forschungsrichtung, die sich primär mit sprachlicher Interaktion befasst (vgl. Buber, 2009,

S.333). Der Begriff Diskurs wurde u.a. von Foucault geprägt. Vor allem aber die Definition

Brünners und Graefens stellt für diese Arbeit die größte Relevanz dar, weil sie legtimiert,

3 Durkheim unterscheidet ebenso zwischen positiven und negativen Riten. Negative Riten werde dazu verwendet

um mit Heiligen in Kontakt zu vermeiden und positive Riten um den Kontakt herzustellen.

Page 9: Goffman Und Der Windows Live Messenger

9

Begrifflichkeiten der Diskursanalyse für die Analyse eines Chats zu verwenden: Diskurse

können ihnen zufolge sowohl Gespräche als auch Geschriebenes sein (vgl. Brünner, 1994, S.

8).

Es gibt unterschiedliche Strömungen der Diskursforschung, zum einen in der Soziologie und

zum anderen in der Linguistik. Ziel beider Strömungen ist es, Strukturen und

Organisationsprinzipien von Kommunikation zu finden, jedoch unterscheidet sich ihr

Vorgehen. Arbeitet man im Sinne der Diskursforschung, schaut man in der Soziologie

genauso wie in der Linguistik sowohl auf das Gesagte als auch auf den

Entstehungshintergrund in der Situation (vgl. Beißwenger, 2009, S. 120).

Die Begrifflichkeiten des Sprecherwechsels, des Rederechts und der Sequenzialität aus der

Diskursforschung sollen für die später folgende Analyse einer Windows-Live-Messenger-

Chatsituation in dieser Arbeit dienen. Rederecht (floor) ist, wenn einen Interaktionspartner für

einen Moment das alleinige Gesprächsrecht zugestanden wird (vgl. Beißwenger, 2003,

S.123). Sprecherwechsel (turn taking) ist demzufolge, wenn sich das Rederecht der

Interaktionspartner ändert (vgl. Beißwenger, 2003, S.123). Sequenzialität sind paarweise

auftretende Ausdrücke, die von jeweils unterschiedlichen Sprechern zur selben Zeit geäußert

werden.

5. Der Rahmen und das Ritual in der Chatsituation beim Windows Live

Messenger

Im Folgenden wird der Windows Live Messenger bzw. die über ihn laufende Interaktion des

Chattens zuerst mit dem Konzept Goffmans analysiert. Dabei werden die Begriffe Sender und

Empfänger verwendet, die nun kurz erklärt werden sollen: Der Sender ist derjenige, der etwas

übermitteln möchte, der Empfänger ist derjenige, der die Nachrichten vom Sender erhält. Im

zweiten Abschnitt wird dann eine Analyse einer genauen Chatsituation folgen, bei der auch

die Begriffe der Diskursforschung genutzt werden.

5.1 Goffman und der Windows Live Messenger

Schaut man sich die obige Beschreibung des Windows Live Messengers (zu Abbildung 1 und

Abbildung 2) an, kann man feststellen, dass die primären Rahmen wesentlich beschränkter

sind als in einer Face-to-Face-Kommunikation. Sie sind beispielsweise eingegrenzt durch die

Page 10: Goffman Und Der Windows Live Messenger

10

Angaben, die man zu seiner Person machen kann, durch den Weg, den man geht, um mit

anderen in Kontakt zu treten und durch die Darstellung der eigenen Persönlichkeit, die auf

Bild, die Schnellnachricht und das Pseudonym (wenn man dieses hat) begrenzt ist. Die hierbei

angewandten primären Rahmen können als soziale Rahmen bezeichnet werden, da sie einen

Verständnishintergrund für ein von Menschen geschaffenes „Ereignis“ (nämlich die

Interaktion über den Windows Live Messenger) liefern.

Während der Chatsituation löst sich die Beschränktheit etwas auf: Lediglich die Möglichkeit

zum Senden von Nachrichten kommt hinzu. Es ist anzumerken, dass der Sender hierbei über

seine Erscheinung bestimmt. Die Techniken der Imagepflege und das daraus resultierende

Image, welches sich das Gegenüber bildet, sind fast ganz unter der Kontrolle des jeweiligen

Individuums. Es hat die Möglichkeit, vor dem Abschicken einer Nachricht zu prüfen, ob es

diese wirklich in dieser Form schicken will und kann sie bei Bedarf beliebig modifizieren.

Diese Option zur Prüfung seiner Darstellung hätte es in einer Face-to-Face-Situation in dieser

Art nicht. Denn hier gibt es eine vielzahl von Reizen die der Empfänger wahrnehmen kann

und die gleichzeitig wesentlich schwerer unter Kontrolle zu halten sind (etwa Mimik und

Gestik), da mehr primäre Rahmen vorhanden sind.

Eine Folge der ermöglichten Kontrolle über die Techniken der Imagepflege während eines

Chats ist, dass Täuschungen wesentlich einfacher aufrechterhalten werden können, ohne das

Selbst zu gefährden.4 Zusätzlich kann der Sender, in Goffmans Theatermethaper gesprochen,

gleichzeitig auf der Vorder- und Hinterbühne sein. Das heißt, der Sender könnte nackt vor

dem PC sitzen (Hinterbühne), ohne dass der Empfänger dies auf seinem Bildschirm

(Vorderbühne) sehen würde. An das gleichzeitige Vorhandensein auf Vorder- und

Hinterbühne schließt ein weiterer wichtiger Aspekt der Chatkommunikation an: Sie ist

ungebunden an räumliche Begrenzung im physischen Sinne. Das heißt, der Sender ist nicht

nur gleichzeitig auf beiden Bühnen, sondern er kann zudem sehr weit entfernt von seinem

Empfänger sein. Auch dieser Aspekt wäre in einer Face-to-Face-Kommunikation physisch

nicht möglich - ein Gespräch muss zur gleichen Zeit am gleichen Ort geführt werden.

Insgesamt ist eine Chatsituation weniger von sozialen Sanktionen geprägt als die Face-to-

Face-Kommunikation, da es weniger Kommunikationsregeln gibt. Eine Unterhaltung kann

beim Chatten einfach unterbrochen werden, ohne dass es einer Begründung dafür von Nöten

ist. In einem Gespräch sind zwar auch Pausen möglich, diese bedürfen aber anders als beim

Chat in jedem Falle einer Einleitung. Ein weiterer Unterschied liegt in der Beanspruchung der

Sinne. In einer Face-to-Face-Situation stehen einem viel mehr zur Verfügung - Riechen,

4 Dazu hier jedoch nicht mehr, denn das würde durch die Modulation der primären Rahmen beschrieben werden,

die ein weiteres Kapitel in Goffmans Rahmenanalyse darstellt.

Page 11: Goffman Und Der Windows Live Messenger

11

Tasten, Sehen und Fühlen - , als bei der Nutzung des Windows Live Messengers, bei der man

lediglich sieht, was das Gegenüber geschrieben hat.

Ehrerbietung und Benehmen werden im nächsten Abschnitt dieser Arbeit an einem Beispiel

verdeutlicht.

5.2 Analyse eines Chatverlaufs

Um mit der Analyse zu beginnen, ist hier ein Konversationsabschnitt, wie er beim Chatten

über den Windows Live Messenger entstanden sein könnte, aufgeführt:

1 14:03:32 Sica Hallo??

2 14:04:09 Pilu hey

3 14:04:17 Sica wie gehts dir?

4 14:04:29 Pilu gut und dir?

5 14:04:34 Sica auch gut

6 14:04:42 Sica (ist bloß etwas warm hier drin)

7 14:05:03 Pilu stimmt, hier auch

8 14:05:27 Sica na super, dann haben wir ja die gleichen

grundvoraussetzugnen

9 14:05:32 Sica fangen wir an?

10 14:05:33 Pilu sollen wir dann mal zum thema kommen?

11 14:05:43 Pilu jo

(vgl. Beißwenger, 2009, S. 121)

An dieser Stelle sollen die Begriffe Rederecht, Sprecherwechsel und Sequenzialität noch

einmal deutlich gemacht werden. Das Rederecht wird Sica eingestanden indem Pilu auf die

Frage „Hallo??“ mit „hey“ antwortet. Sprecherwechsel wären dementsprechend immer dann,

wenn sich die Sprecher abwechseln. Doch zu dem Zeitpunkt, als beide nach dem Beginn der

Unterhaltung fragen, kann dieses Element als Sequenzalität betrachtet werden. Obwohl man

eigentlich nicht annehmen dürfte, dass sie in einer solchen Kommunikation vorhanden ist, da

rein technisch gesehen immer nur eine Nachricht übermittelt werden kann.

Ehrerbietung in Form von Zurvorkommenheitsritualen finden sich in den Beiträgen eins bis

fünf und sechs bis acht. Die Beträge eins bis fünf folgen mit ihren Frage-Antwort-

Sprecherwechseln dem Ablaufschema des Begrüßens.

In den Beiträgen sechs und sieben, bei denen sich das Rederecht von Sica auf Pilu verschiebt

und sie auf das in Klammern geschriebene „ist bloß warm hier drin“ antwortet mit „stimmt,

hier auch“ dient der Verfolgung der Strategie. Anhand dieses kurzen Ausschnitts kann nicht

genau bestimmt werden, welche Strategie durch die Beiden gewählt wurde, aber die Beiträge

sechs bis acht lassen darauf schließen, dass sie eine besitzen, weil Zuvorkommenheitsrituale

Page 12: Goffman Und Der Windows Live Messenger

12

angewandt werden, beide den Verlauf des Chats voran treiben und sich gegenseitig bestätigen

(vgl. Goffman, 1971, S. 11). Dadurch kann davon ausgegangen werden, dass beide ein

bestimmtes Image haben. Auf dieses Image des jeweils anderen reagieren sie, erst Pilu und

dann Sica. Insgesamt kann gesagt werden, dass die Images beider jeweils durch den anderen

gewahrt wurden, indem Ehrerbietung in Form von Zuvorkommenheitsritualen erwiesen

wurde. An dieser Stelle sei nocheinmal darauf hingewiesen, dass Ehrerbietung ein

Oberbegriff für die Techniken der Imagepflege ist. Dieser Abschnitt könnte unter dem

korrektiven Prozess gefasst werden kann. Sica schreibt etwas in Klammern, und misst dem

wahrscheinlich keinen großen Wert hinzu. Pilu hingegen antwortet auf diese Aussage, als

hätte sie nicht in Klammern gestanden. Sie stellt sich in diesem Moment (egal ob es bei ihr

warm ist oder nicht) auf die Seite von Sica. Sica als Empfängerin wird dadurch nicht nur

mitgeteilt, dass Pilu auch warm ist, sondern sie sich mit ihr verbunden fühlt, sie haben beide

das „gleiche Schicksal“. Der darauf folgende Sprecherwechsel und Sicas Beitrag könnten

dann als Korrektur ihres vorherigen verstanden werden, da sie im Anschluss ihren Beitrag

sechs durch den Beitrag acht erneut verbalisiert und beide in ihm auf eine gleiche Ebene setzt

„na super, dann haben wir ja die gleichen Grundvoraussetzungen“.

Dadurch, dass sie in den Beiträge neun bis zehn gleichzeitigen zum Thema kommen wollen,

wird zum einen von Pilu die Korrektur von Sica akzeptiert, zum anderen ein neuer

Gegenstand zum Dialog gemacht. Diese Sequenzialität, die zudem noch den gleichen Inhalt

hat, untermauert die jeweiligen Images der Interaktionspartner bzw. die Einigkeit der beiden

Kommunikationsteilnehmer über den Fortlauf der Chatkommunikation. Ein Vermeidungs-

ritual ist in diesem Ausschnitt der Chatkommunikation nicht zu finden, obwohl dieses

durchaus vorhanden hätte sein können, wenn beispielsweise einer versucht hätte die

Kommunikation abzubrechen.

Das Analysemittel des Benehmens lässt sich in einem Chat gar nicht anwenden, da es keine

nonverbalen Dinge gibt, die innerhalb dieser Kommunikationsform dem Empfänger

übermittelt werden können. Weder Haltung, noch Kleidung oder Verhalten können von einem

der beiden Interaktionsteilnehmer durch den andern in Erfahrung gebracht werden.

6. Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Interaktion im Verhältnis zur Face-to-

Face-Kommunikation in vielen Punkten ändert. Das Konzept Goffmans das ursprünglich

nicht für diese Art der Analyse vorgesehen war bietet trotzalledem einen Erkenntnisgewinn.

Page 13: Goffman Und Der Windows Live Messenger

13

Goffman selbst definiert „Interaktion (das heißt: unmittelbare Interaktion) grob als (…)[den]

wechselseitige[n] Einfluss von Individuen untereinander auf ihre Handlungen während

unmittelbarer physischer Anwesenheit“

(Goffman, 2009, S. 18). Da die physische

Anwesenheit in der Internetkommunikation nicht gegeben ist, liegt hier ein Grund, weshalb

einige Dinge mit ihm nicht erklärt werden können. Aufgefallen ist, dass der Ansatz Faktoren

wie etwa die Antwortgeschwindigkeit nicht beinhaltet. Jedoch konnte auch nicht der

komplette Gedanke des diskursanalytische Ansatz genutzt werden, da bei den oben

ausgewählten Beispiel nichts über die Entstehungssituation (wie lange und wie wurde die

Sprache verschriftlicht) bekannt ist, lediglich die Logfiles (Chatmitschnitte) standen zur

Verfügung. Somit können die sprachlichen und verhaltensmäßigen Handlungsweisen nicht

rekonstruiert werden. Das heißt, es besteht nicht nur ein Problem in dem Ansatz Goffmans,

sonder auch in den Daten, die für die Analyse hinzugezogen wurden. Vielleicht wären

bestimmte Dinge, wenn man Filmmaterial zur Entstehungsgeschichte von Sica und Pilu

gehabt hätte, anders interpretiert worden, weil sie sich in gewisser Art und Weise verhalten

haben. Ebenfalls hätten Aussage über das Benehmen der einzelnen Interaktionspartner

getroffen werden können. Diese wären jedoch anders zu betrachten, als es Goffman definiert

hat, denn die jeweiligen Empfänger würden dieses Verhalten nicht wahrnehemen.

Des Weiteren gibt es Elemente, die in der Face-to-Face-Kommunikation enthalten sind, beim

Windows Live Messenger in anderer Art, ein Beispiel hierfür ist die Hinterbühne, auf die man

praktisch keinen Einblick bekommen kann. Man kann mit dem Ansatz nicht erklären, was

durch diese Art der Kommunikation Neues über die Technik hinzukommt.

Jedoch ist der Grundmechanismus, das Beantworten der Frage „Was geht hier eigentlich

vor?“ und das unterbewusste Einordnen der Situation in Interaktionsrituale identisch. Somit

ergibt sich, dass trotz der erläuterten Einschränkungen der Anwendbarkeit der genannten

Ansätze, sie zu einer Analyse für eine Windows-Live-Messenger-Chatsituation gewinn-

bringend herangezogen werden konnten.

Page 14: Goffman Und Der Windows Live Messenger

14

7. Literaturverzeichnis:

Beißwenger, Michael (2003): „Sprachhandlungskoordination in der Chat“ In: Zeitschrift für

germanistische Linguistik 31 (2), S. 198-231

Beißwenger, Michael (2009): „Multimodale Analyse von Chat-Kommunikation“ In Karin

Birkner & Anja Stukenbrock (Hrsg.): „Die Arbeit mit Transkripten in Fortbildung, Lehre und

Forschung“ Mannheim S. 117-143

Blumer, Herbert (1973): „Der methodologische Standort des symbolischen

Interaktionismus“ In Jörg Strübig und Bernd Schnettler (Hrsg.): „Methodologie interpretativer

Sozialforschung: Klassische Grundlagentexte“ UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz

2004 S. 321 ff

Brünner, Gisela / Graefen, Gabriele (Hrsg.) (1994): „Texte und Diskurse. Methoden und

Forschungsergebnisse der Funktionalen Pragmatik“ Westdeutscher Verlag, Opladen

Buber, Renate; Holzmüller, Hartmut H. (Hrsg.) (2009): „Qualitative Marktforschung:

Konzepte-Methoden-Analysen“ 2. Auflage, Gabler Verlag, Wiesbaden

Goffman, Erving (1971): „Interaktionrituale: über Verhalten in direkter Kommunikation“

übersetzt von Renate Bergsträsser und Sabine Bosse, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main

Goffman, Erving (1977): „Rahmenanalyse“ übersetzt von Hermann Vetter, Suhrkamp

Verlag, 1. Auflage, Frankfurt am Main S. 1- 51

Goffman, Erving (2001): „Interaktion und Geschlecht“ übersetzt von Hubert Knoblauch

Campus Verlag GmbH, 2. Auflage, Frankfurt am Main

Goffman, Erving (2009): „Wir alle spielen Theater“ Piper Verlag,7. Auflage, München 1969

Lubold, Manuela (2009): „Happy Birthday, Windows Live Messenger“,

http://windowsliveblog.spaces.live.com/blog/cns!720E46AE746458F7!5495.entry letzter

Zugriff am 04.07.2010

Mead, George Herbert (1975): „Geist, Identität und Gesellschaft“ Suhrkamp Verlag

Frankfurt/M.

8. Abbildungsverzeichnis:

Abbildung 1 nach dem einloggen selbsterstellter Screenshot vom 07.05.2010 S. 5

Abbildung 2 Chatsituation selbsterstellter Screenshot vom 07.05.2010 S. 6