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Grußwort der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz 3 · 3 Grußwort der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz Das übergreifende Ziel des WHO-Netzwerkes ist das Schaffen

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Grußwort der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz 3

Grußwort der Sächsischen Staatsministerin Christine Clauß 5

Grußwort des Präsidenten der Sächsischen Landesärztekammer Prof. Dr. Jan Schulze 7

1. Einleitung 9

Impressionen 11

2. Impulsreferate

(1) „Von der Gesundheitsförderung und Prävention zur Versorgung“ 12

(2) „Bewegung für gesunde Lebensführung“ 13

(3) „Einfluss von Demografie und sozialem Status auf die Gesundheit“ 16

3. Ausgewählte Beiträge

3.1 Workshop „Versorgung im Gesundheitswesen aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger“

(1) Die Rolle der Patientenzufriedenheit im Krankenhaus 18

(2) Die Rolle der Selbsthilfe im Gesundheitssystem 20

3.2 Workshop „Dresden bewegt sich“

(1) Auswirkungen körperlicher Aktivität auf die Gesundheit – Konsequenzen für die Praxis 22

(2) Projekt „Fit für 100“ der Deutschen Sporthochschule 24

3.3 Workshop „Frühe Hilfen – eine Herausforderung für die Kommune”

(1) Kinderschutz und Frühe Hilfen in Dresden 26

(2) Familienhebammen im Rahmen Früher Hilfen in Dresden 28

(3) Niedrigschwellige, aufsuchende Arbeit durch Familienhebammen – Erfahrungen aus Frankfurt 30

3.4 Workshop „Gesundheitliche Chancengleichheit“

(1) „KiNet“ und „Aufwachsen in sozialer Verantwortung“ des EB Kindertageseinrichtungen 32

(2) Projekt „Kids fit und aktiv in Dresden“, Gesundheitsförderung in der Förderschule 34

(3) Erfahrungen aus den Projekten „GO - Gesund im Osten“ und „AGNES - Aktiv im Alter“ und Weiterführung 36

3.5 Workshop „Suchtprävention“

Suchtprävention in Dresden - Status Quo 38

4. Zusammengefasste zentrale Aussagen der Workshops 41

Sponsoren 44

Inhalt

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Grußwort der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz

Das übergreifende Ziel des WHO-Netzwerkes ist das Schaffen

gesundheitlicher Chancengerechtigkeit aller

Bevölkerungsgruppen. Die Umsetzung dieses internationalen

Projektes erfolgt auf kommunaler Ebene in Dresden in den

Schwerpunkten „Aktives und gesundes Altern“, „Kinder- und

Jugendgesundheit“, „Förderung der körperlichen Aktivität“ sowie

„Gesunde Stadtplanung“.

Mit dem Bericht „Stadtgesundheitsprofil“ kommt Dresden nicht

einfach nur seiner Verpflichtung zur Vorlage eines Reportes

nach. Wir setzen durch die stadtraumbezogenen Ergebnisse

gezielte Handlungsschwerpunkte für die Stadtteile mit

Nachholebedarf. Lassen Sie mich hierzu drei konkrete Beispiele

nennen.

Im Stadtteil Gorbitz mangelt es, so ein Ergebnis, älteren

Menschen an Bewegung.

Genau an diesem Punkt setzt das Projekt „Stadtspaziergang“ an,

das gemeinsam vom Quartiersmanagement Gorbitz, der

Sächsischen Landesvereinigung für Gesundheitsförderung

sowie dem WHO Projekt entwickelt wurde. Eingeladen sind

Bürgerinnen und Bürger, die mittels Spaziergängen im Frühjahr

und im Herbst einerseits zu Bewegung animiert werden,

gleichzeitig aber auch Interessantes und Wissenswertes über

ihren Stadtteil erfahren. Das ursprünglich für ältere Menschen

konzipierte Angebot, nehmen inzwischen auch immer mehr

Jüngere an.

Spazieren gehen, sich bewegen, ohne Angst und in der Gruppe

stärkt sowohl körperliche, als auch geistige und soziale

Komponenten. Gerade der Gedanke, nicht nur einzelne

Teilbereiche, sondern vielmehr ganzheitliche Aspekte gesunder

Lebensweise zu betrachten, macht den Erfolg dieses Projektes

aus. Es soll nun auf weitere Stadtteile übertragen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Dresdnerinnen und Dresdner,

verehrte Gäste,

„Dresden hat zu viele dicke Frauen“

Das titelte die Dresdner Morgenpost in ihrer Ausgabe vom 25.

August letzten Jahres. Neben der Schlagzeile kehrt eine adipöse

Frau dem Leser ihren Rücken zu. Dieser füllt zwei Drittel der

gesamten Seite aus. Ein erschreckendes Bild.

Sehr geehrte Damen und Herren, warum stelle ich dieses

Beispiel an den Anfang meiner Rede? Etwa 40 Prozent der

Männer und mehr als 20 Prozent der Frauen sind in Dresden mit

einem BMI-Wert zwischen 25 und 30 übergewichtig.

Diese und viele weitere Ergebnisse wurden im vergangenen

Jahr im Stadtgesundheitsprofil 2012 veröffentlicht, welches im

Rahmen des WHO-Projektes „Gesunde Städte“ nun bereits zum

sechsten Mal seit 1997 erarbeitet wurde. Der BMI ist ein Wert,

der Ausdruck darüber gibt, wie gesund ein Mensch ist.

Gesundheit ist ein wichtiger persönlicher aber auch

gesellschaftlicher Wert und heute das zentrale Thema dieser

Fachkonferenz, zu der ich Sie, sehr geehrte Frau

Staatsministerin, Sie, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Schulze und

Sie, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sehr herzlich

begrüße.

Seit 22 Jahren ist die Landeshauptstadt Dresden Mitglied im

Europäischen Netzwerk der WHO „Healthy Cities“ und dies

übrigens nach wie vor als einzige deutsche Stadt.

Als Oberbürgermeisterin bin ich stolz, dass dieses Engagement

unserer Kommune deutlich macht, Dresden hat eine

Vorreiterrolle als gesunde und zukunftsfähige Stadt.

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Ein anderes Beispiel:

Ich erinnere noch einmal an die eingangs erwähnte Schlagzeile:

„Dresden hat zu viele dicke Frauen“.

Der Anteil der Menschen mit Übergewicht in Dresden ist relativ

hoch und zudem stadträumlich unterschiedlich. Ein EU-Projekt

greift genau an dieser Stelle an. So werden derzeit in

Kooperation mit dem Sportstätten- und Bäderbetrieb Lauf- und

Walkingstrecken in verschiedenen Stadtteilen erarbeitet und

beschildert.

Ansässige Sportvereine sollen die laufinteressierten

Dresdnerinnen und Dresdner dabei beraten und coachen.

Eine App mit Informationen zur Laufstrecke möchte zudem vor

allem junge Leute an die frische Luft locken.

Mir gefällt besonders, dass das vorerst im Sportpark Ostra,

Bühlau, Weißig und Gorbitz geplante Projekt darauf abzielt,

altersübergreifend und zeitlich unabhängig sowohl körperliche

als auch soziale Komponenten unserer Bürger zu stärken.

Regelmäßige Bewegung und körperliche Aktivitäten sind

gesundheitsfördernd in jedem Lebensalter.

Ein drittes Beispiel:

Das Gesundheitsamt bietet für Schüler der zweiten bis vierten

Klassen das Projekt „Gesunde Lebensweise“ an, eine

Erweiterung des Projektes „Gesundes Pausenbrot“. Über vier

Unterrichtsstunden werden verschiedene Stationen zu den

Themen Ernährung, Bewegung, Mein Körper und

Wasser/Hygiene angeboten. Am Ende des Tages erhält die

teilnehmende Klasse nach der Beantwortung von Fragen eine

Urkunde.

Alle Schulen im Stadtgebiet können sich für das Projekt

bewerben.

Es wird sehr gut von Schulen angenommen und zeigt,

Gesundheitsförderung ist in jedem Alter möglich und

willkommen.

Drei Beispiele habe ich genannt. Eine Reihe weiterer

ambitionierter Projekte ließe sich hier vorstellen. Sie alle

bezwecken, an nachgewiesenen Schwachstellen Anstöße zu

geben, Verhaltensweisen zu überdenken.

Wenn starke Partner am Start sind, die eng zusammenarbeiten

und an einem Strang ziehen, wie in den exemplarisch

vorgestellten Beispielen, sind wir auf einem guten Weg, das

Wohlbefinden, den Gesundheitszustand und das

Gesundheitsverhalten aller Bürgerinnen und Bürger in allen

Stadtteilen auf ein gleich gutes Niveau zu bringen. Das

Gesundheitsbild einer Stadt ist letztlich nur so gut, wie die

Gesundheit jedes einzelnen Bewohners.

Meine Damen und Herren,

ich habe eingangs den relativ großen Prozentsatz von Frauen

und Männer mit einem Body Mass-Index zwischen 25 und 30

benannt. Das Stadtgesundheitsprofil ist im übertragenen Sinne

der City-Mass-Index für unsere Stadt. Nun gibt es noch keine

Formel, die die Anzahl der Einwohner durch den

Gesundheitszustand jedes Einzelnen zum Quadrat nimmt, und

trotzdem lässt sich mein Dank auf einen Nenner bringen:

Ich danke allen Institutionen, Ämtern und Vereinigungen, die

Daten für den Bericht zur Verfügung gestellt haben sowie denen,

die die Daten akribisch ausgewertet und das

Stadtgesundheitsprofil 2012 erarbeitet haben.

Darüber hinaus danke ich der Sächsischen Landesärztekammer,

die diese Konferenz durch die Bereitstellung der Räumlichkeiten

und der Technik maßgeblich unterstützt hat sowie der

Gesellschaft für Gesunde Arbeit Dresden mbH und dem TUMA-

INI-Institut für Präventionsmanagement für das Sponsoring.

Sehr geehrte Damen und Herren,

tragen Sie mit dieser Konferenz dazu bei, dass sich der City-

Mass-Index Dresdens in einem gesunden Bereich bewegt.

Stellen Sie sich der Herausforderung, passgenaue Maßnahmen

zu erarbeiten, die an den festgestellten Schwachstellen gezielt

ansetzen. Behalten Sie auch in Zukunft Ihr Engagement und

Ihren Ideenreichtum für ein gesundes Dresden bei. Ich wünsche

Ihnen einen regen Austausch, konstruktive Diskussionen und

eine erfolgreiche Konferenz.

Helma Orosz

Oberbürgermeisterin

der Landeshauptstadt Dresden

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Grußwort der Sächsischen Staatsministerin Christine Clauß

Kommt, wir bauen eine Stadt, eine wunderschöne Stadt, wo man

nicht nur wohnen, wo man nicht nur arbeiten, sondern wo man

auch lachen kann. Und lachen ist ja bekanntlich gesund und

steht hier symbolisch für Lebensqualität.

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlichen Dank für die freundliche Einladung und Begrüßung.

Gern bin ich Ihrer Einladung gefolgt. Nicht nur, weil ich mich

darüber freue, dass Ihnen die Gesunde Stadt genauso am

Herzen liegt wie mir und ich Sie dabei gern unterstütze. Sondern

auch weil ich neugierig bin. Neugierig, auf Ihre Gedanken und

Ideen. Denn die Gesunde Stadt hat viele Facetten, aus

unterschiedlichen Perspektiven und letztlich versteht jeder etwas

anderes unter einer gesunden Stadt. Aber aus der Summe der

Meinungen entsteht ein Bild, das hoffentlich vielen gerecht wird –

Alt und Jung, Mann und Frau, Entspannten und Gestressten, in

Prohlis und in Striesen. Genetische Disposition, soziale

Sicherheit, medizinische Versorgung und Bildung,

Umweltfaktoren – all dies beeinflusst unsere Gesundheit.

Ernährung. Bewegung. Bandmaß. – Was hält gesund? Was

macht krank? Was ist festgelegt? Was ist beeinflussbar? Diese

Fragen standen Pate bei der Erarbeitung unserer

Gesundheitsziele – sechs an der Zahl. Da ist zum Beispiel das

„Aktive Altern“, mit dem wir Maßnahmen für die Gesundheit

unserer jungen Alten sichern. Oder das Gesundheitsziel

„Gesund aufwachsen“, das mit dem Mittelpunkt Kinderschutz

das Wohlergehen unserer Jüngsten sicherstellt. Wir geben damit

jenen eine Stimme, die noch keiner hört und jenen auf die keiner

mehr hört. Es kommt darauf an, zu individuellem

Gesundheitsverhalten anzuregen und etwaige Defizite des

sozialen Umfeldes und der Umwelt abzubauen. Einflussfaktoren

wollen wir zum Positiven verändern. Dafür kann die Politik von

Freistaat wie Kommunen die Weichen stellen. Das streben wir

im Freistaat Sachsen mit dem Gesundheitszieleprozess seit

2007 an. »Gesund aufwachsen« und »Aktives Altern« sind die

politischen Schwerpunkte, die für die Zielrichtung und das

Engagement des Freistaates zum Gesunderhalt seiner

Bevölkerung stehen. Sie bilden damit einen Kanon mit dem

Stadtgesundheitsprofil Dresdens.

Die im letzten Jahr von unserer Sächsischen Landesvereinigung

für Gesundheitsförderung veröffentlichte Befragung bei den

Gesundheitsämtern in Sachsen hat mein Haus und die

Ausrichtung bestätigt: Die Gesundheitsziele »Gesund

aufwachsen« und »Aktives Altern« sind mehr als nur verbal in

unseren Städten und Landkreisen angekommen. Ein gelungenes

Beispiel dafür, dass Landes- und kommunale

Gesundheitsförderung miteinander harmonieren. Auch Dresden

geht seinen Weg und ist damit Schrittmacher – auch mit der

heutigen Tagesordnung. Ob Gesundheitsförderung oder

Prävention, ob Versorgung oder Bewegung, ob Frühe Hilfen

oder Gesundheitliche Chancengleichheit oder

Suchterkrankungen. Sie haben an alle Themen gedacht. Ich bin

schon sehr gespannt auf die Ergebnisse.

Meine Damen und Herren,

bitte stellen Sie weiterhin den Kinderschutz in den Mittelpunkt

aller Präventionsprojekte. Bitte engagieren Sie sich weiterhin so

aktiv für die Zahngesundheit unserer Kinder. Bitte machen Sie

weiter so. Bitte entwickeln Sie weiterhin so tolle Projekte wie den

Rad-Stadtplan.

Noch zwei Gedanken, die mir am Herzen liegen. Erstens:

Unsere jungen Alten sind da und nutzen die Möglichkeiten der

sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe. Auch unser Altenbild

hat sich geändert. Die Oma sitzt schon lange nicht mehr im

Lehnstuhl und strikt. Sie trägt mini und fährt Mini. Der Opa lässt

sich schon lange nicht mehr die Pantoffeln von seiner

Enkelkindern bringen und erzählt Geschichten von früher. Er ist

mit den Jüngsten aktiv unterwegs und erklärt unsere Flora und

Fauna, erklärt die Welt, wie sie ist und misst sich wie nebenbei

mit den Jüngsten im Laufen.

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Mein zweiter Gedanke: Vernetzen Sie sich. Wie bereits erwähnt,

sind alle wichtigen Themen heute Nachmittag in ihren

Workshops vertreten. Und doch kommt es darauf an, nicht nur

jedes Thema, jedes Alter zu bedenken, sondern auch

Schnittstellen zu finden, Synergien ausfindig zu machen und zu

nutzen und den Weg zur Gesunden Stadt gemeinsam zu gehen.

Gemeinsam können Sie – können wir – viel erreichen, um die

Zukunft unserer Gesellschaft zu sichern. Denn eine gesunde

Stadt ermöglicht allen den Zugang zu einer breiten Vielfalt an

Kenntnissen, Erfahrungen und Dienstleistungen. Mögen sich

Ihren Erfolgen der zurückliegenden 21 Jahre hier in Dresden

viele weitere anschließen. Für Ihre Tagung wünsche ich Ihnen

interessante Vorträge, gewinnbringende Gespräche und

motivierende Ergebnisse. Herzlichen Dank.

Christine Clauß

Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz

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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

wenn wir von Gesundheit, Bürgerschaft und kommunalen

Gestaltungsmöglichkeiten sprechen, bietet sich an, die drei eher

sperrigen Begriffe zunächst in ein Bild zu übertragen. So könnte

man sie unter anderem als Triangel visualisieren, die nur dann

sauber tönt, wenn die Verbindung aus Bürger und Kommune in

ihrem gemeinsamen Angelpunkt – dem der Gesundheit – sicher

und beweglich hält.

Mit diesem klingenden Bild begrüße ich Sie ganz herzlich zu

unserer Gesundheitskonferenz unter dem Motto „Gesunde Stadt

– Gesunde Bürgerschaft“. Diese Veranstaltung ist für mich ein

willkommener Anlass, die Schlagworte jenes Mottos und die

besondere Beziehung dieser Gesundheitsallianz einmal etwas

genauer unter die Lupe zu nehmen.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

um es in einem vielleicht naiven Verständnis von Demokratie

auszudrücken, könnte der Bürger als der nehmende Teil

verstanden werden, der sein Anrecht auf Gesundheit gegenüber

dem gebenden Part – der Stadt oder dem Land – gelten macht.

Und so naiv ist dieses Verständnis vielleicht gar nicht: Auch das

Bundesverfassungsgerichts spricht in einem Urteil den Bürgern

ein Recht auf Gesundheit zu.

Doch daraus dem Staat, dem Landkreis, der Stadt oder der

Gemeinde eine schlicht gesetzlich abgeleitete Pflicht

zuzuschreiben, für das Wohlergehen Ihrer Einwohner zu sorgen,

geht an den vorherrschenden Wirklichkeiten vorbei. Eine

gesunde Bürgerschaft ist keine Pflicht des Staates, sie ist

logische Voraussetzung seiner Funktionsfähigkeit. Anders

gesagt, ist die Vermeidung von Krankheit, die Aufrechterhaltung

der Gesundheit und damit die Gewährleistung der unge-

brochenen Arbeitsfähigkeit wohl einer der wichtigsten

gesamtwirtschaftlichen Einflussfaktoren und eine der großen

Herausforderungen unserer Zeit geworden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

diese Einschätzung mag Ihnen vielleicht etwas hoch gegriffen

erscheinen, doch zeigen uns die Reporte der Krankenkassen

wie auch verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen zur

betriebswirtschaftlichen Bedeutung von Krankentagen und

Arbeitsausfällen immer deutlicher, welche Dimensionen der

Schaden für ein an sich funktionierendes Systems annehmen

kann, wenn man die Gesundheit seiner Mitglieder

vernachlässigt.

Grußwort des Präsidenten der Sächsischen Landesärztekammer Prof. Dr. med. habil. Jan Schulze

Und hier geht es schon lange nicht mehr nur um die körperlicher

Unversehrtheit unserer Bürger. Psychische Krankheiten klettern

die Liste der klinischen Einweisungsgründe beharrlich nach oben

und durch psychische Störungen verursachte Ausfälle kosten die

Unternehmen Unsummen. Dem Bundesarbeitsministerium nach

stieg die Zahl der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen

und Verhaltensstörungen in Deutschland von 33,6 Millionen aus

dem Jahr 2001 auf 53,5 Millionen im Jahr 2010. Der Dresdner

Psychologe Professor Dr. Wittchen zeigte in einer europaweiten

Studie, dass psychische Störungen 2010 mit 27 Prozent der

gesellschaftlichen Gesamtbelastung deutlich mehr Kosten

verursachten als alle körperlichen Erkrankungen.

Allerdings sollte man hier natürlich differenzieren: stressbedingte

Schädigungen der geistigen Gesundheit, die aus einem

Überlastungsgefühl am Arbeitsplatz entstehen, sind zuallererst

auch da zu beheben. Einen motivierten und belastbaren

Mitarbeiter erhält nur, wer auf dessen Bedürfnisse eingeht und

die Voraussetzungen dafür schafft, dass dieser mit einem guten

Gefühl zur Arbeit kommt … und auch wieder geht. Hier sind also

die Unternehmen, sind Arbeitgeber, ist die Wirtschaft an sich in

der Pflicht.

Was aber die Vorbeugung körperlicher Schäden, die Förderung

gesunder Lebens- und Arbeitsbedingungen angeht, kann die

öffentliche Verwaltung, kann Landkreis, Stadt und Gemeinde

durchaus etwas bewirken. Gemeinsam erarbeitete

Gesundheitsziele wie „Aktiv Altern“ oder Initiativen, die der

Gesundheit am Arbeitsplatz dienen, seien hier genannt. Die

Schlagworte dieser Zeit sind Prävention und

Gesundheitsförderung. Denn Vorbeugung von Krankheit geht

Hand in Hand mit der Stärkung des Bewusstseins einer

individuellen Verantwortung für die eigene Lebensqualität. Und

es sind Angebote der Bewegungsförderung wie das des

Qualitätssiegels SPORT PRO GESUNDHEIT oder

suchtpräventive Maßnahmen, die kommunal auf die Beine

gestellt werden und die einen bedeutsamen Beitrag dazu leisten,

die Bevölkerungsgesundheit zu steigern, die gesellschaftliche

Kosten zu senken und die Lebensqualität zu erhöhen.

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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

Wenn wir schon vom „Aktiven Altern“ sprechen, so ist es nur

logisch, dass es auch ein Gesundheitsziel „Gesund Aufwachsen“

gibt, welches gesundheits- und bildungsfördernde Lebenswelten

für unsere Kinder anstrebt. Auch hier plädiere ich dafür, den

Fokus möglichst weit aufzuziehen. Gesundheit beginnt mit einer

behüteten und geordneten Kindheit. Umso mehr freut es mich,

dass ganz aktuell der Ausbau präventiver Angebote der frühen

Hilfe durch Familienhebammen in Dresden angekündigt wurde.

Junge, überlastete oder kranke Eltern mit Hilfe von Familien-

Hebammen auf Ihrem ersten Wegstück zu begleiten, kann

Überforderung, Eskalation und letztlich Gewalt in der Familie

vorbeugen. Die Sächsische Landesärztekammer begrüßt

derartige Projekte von Herzen.

Bei all diesen Themen sollten wir auch Vorausschau halten, um

auf die kommenden Probleme vorbereitet zu sein. Ich spreche

damit vor allem den demografischen wie auch den

geografischen Wandel an. Die Herausforderung an die Städte

wird sich aus zwei Entwicklungen ergeben: Zum einen wird die

Bevölkerungsbewegung vom Land in die Stadt auch weiter

zunehmen. Die Städte als wirtschaftliche Leuchttürme ziehen an

und bieten eine breite medizinische Versorgung. Die steigende

Zahl der Zuwanderer und Pendler bringt aber auch Umwelt-,

Lärm- und Verkehrsbelastungen mit sich. Das sind nicht zu

ignorierende Faktoren. Zum anderen wird die Bevölkerung

immer älter. Und auch wenn Dresden als Geburtenhauptstadt

immer wieder Anlass zur Hoffnung gibt, werden wir uns ernsthaft

damit beschäftigen müssen, wie in den sich ausdünnenden

ländlichen Regionen eine adäquate Versorgung der immer

Älteren zu gewährleisten sein wird.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

Sie sehen, die Thematik hat viele Facetten, viel wird bereits

getan, das Bewusstsein ist an vielen Stellen geschärft. Wo es

noch Nachholbedarf gibt, welche Maßnahmen auf den Weg

gebracht werden und mit welchem Erfolg die bereits

Umgesetzten arbeiten, werden wir heute erfahren. Ich bin

gespannt auf die Ergebnisse des Stadtgesundheitsprofils 2012

und freue mich auf die interessanten Workshops. Mögen diese

wieder ein Stück dazu beitragen, dass Stadt und Bürgerschaft

um den Wert der Gesundheit wissen, so dass die Triangel auch

weiter klingt.

Prof. Dr. med. habil. Jan Schulze

Präsident der Sächsischen Landesärztekammer

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1. Einleitung Dr. Peggy Looks Beauftragte WHO-Projekt „Gesunde Städte“

Wie sieht es mit dem Gesundheitszustand und dem

Gesundheitsverhalten der Bürgerinnen und Bürger in Dresden

aus? Mit dieser Frage wird sich in regelmäßigen Abständen im

WHO-Projekt „Gesunde Städte“ beschäftigt. Basis der Arbeit des

WHO-Projektes „Gesunde Städte“ bildet das

Stadtgesundheitsprofil als ein Gesundheitsbericht, der die

gesundheitliche Lage der Bevölkerung zahlenmäßig hinterlegt.

Das Stadtgesundheitsprofil ist Grundlage für die Ableitung von

Handlungsschwerpunkten im Rahmen des Projektes sowie für

das Entwickeln von gezielten Maßnahmen der kommunalen

Gesundheitsförderung.

Das letzte Stadtgesundheitsprofil ist 2007 als Themenheft für die

Darstellung der Gesundheit der Generation 50Plus erschienen.

Im Stadtgesundheitsprofil 2012 wurden hingegen alle

Altersgruppen in Dresden berücksichtigt. Es gibt einen Überblick

über die gesundheitliche Lage der Bevölkerung einschließlich

dem Gesundheitsverhalten sowie der gesundheitlichen

Versorgung. Es wurde versucht, im Rahmen vorhandener Daten

die Analyse möglichst stadträumlich zu differenzieren, um gezielt

Handlungsschwerpunkte eruieren zu können.

Hauptaussagen, die im Stadtgesundheitsprofil getroffen werden

sind zum einen, dass mehr als die Hälfte der Dresdnerinnen und

Dresdner ihren Gesundheitszustand als gut einschätzen. Mit

zunehmendem Alter wird der eigene Gesundheitszustand als

weniger gut beurteilt. Damit lassen sich sicherlich auch die

Unterschiede zwischen den Stadträumen erklären. In

Stadträumen mit einem geringen Altersdurchschnitt wird die

eigene Gesundheit oftmals besser beurteilt.

Stellt man die Frage, wodurch die eigene Gesundheit und das

Wohlbefinden beeinträchtigt wird, dann werden hier neben

persönlichen Faktoren auch Beeinträchtigungen, die aus der

Arbeit bzw. Umwelt resultieren benannt. Hier bieten sich gezielte

Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen an, die

z.T. auch Gegenstand der Arbeit des WHO-Projektes sind.

Die Gesundheit eines Menschen ist im Wesentlichen auch von

deren Ernährungsgewohnheiten sowie der körperlichen Aktivität

beeinträchtigt. Daher werden ebenfalls die Daten zum Body-

Mass-Index sowie zur körperlichen Aktivität in Dresden

betrachtet. Es ist einerseits erfreulich feststellbar, dass

annähernd 50 Prozent der Frauen und mehr als 40 Prozent der

Männer einen normalgewichtigen BMI-Wert aufweisen.

Allerdings sind auch etwa 40 Prozent der Männer und mehr als

20 Prozent der Frauen mit einem BMI-Wert zwischen 25 und 30

kg/m² übergewichtig. Übergewicht kann erheblich das

Krankheitsrisiko erhöhen, so dass hier präventive Maßnahmen

im Sinne einer Aufklärung bereits frühzeitig ansetzen müssen.

Die Dresdnerinnen und Dresdner halten sich fit. In den

Altersgruppen von 16 bis 74 Jahren treiben über 60 Prozent ein-

oder mehrmals in der Woche Sport bzw. sind körperlich aktiv.

Über 40 Prozent der 16- bis 24-Jährigen treiben sogar

mindestens zwei- bis dreimal in der Woche Sport. Eine

wesentliche Aussage in der Auswertung der Kommunalen

Bürgerumfrage von 2010 ist, dass stadträumliche Unterschiede

bestehen. In einigen Stadträumen sind die Bürgerinnen und

Bürger wesentlich aktiver als in anderen. Auch hier sind in

Kooperation mit anderen Akteuren gezielte Maßnahmen und

Aktionen gestartet worden, um die körperliche Aktivität zu

fördern. Zu nennen sind hier die Stadtteilrundgänge in Dresden-

Gorbitz, der Westhanglauf sowie das Projekt „Kids fit und aktiv in

Dresden“ des Gesundheitsamtes.

Vor dem Hintergrund steigender Kinderzahlen in Dresden, haben

wir im Stadtgesundheitsprofil insbesondere auch die kleinen

Dresdnerinnen und Dresdner im Blick. Die Daten des Kinder-

und Jugendärztlichen Dienstes ermöglichen eine Reihe von

verlässlichen Aussagen über den Gesundheitszustand der

Dresdner Kinder. Bei Betrachtung der Entwicklung von

Sprachauffälligkeiten von Kindern im Kindergartenalter (die

eindeutig von Sprachstörungen abzugrenzen sind), zeigen sich

über den Zeitverlauf deutlich positive Entwicklungen. Dies ist

nicht zuletzt auch durch die qualifizierte Arbeit des Personals in

den Kindertageseinrichtungen wie auch durch das ganzheitliche

Projekt KiNet erreicht worden.

Dennoch gibt es auch weitere Herausforderungen, wenn man

sich die prozentualen Unterschiede der BMI-Werte im Vergleich

der Schultypen anschaut. Hier wurde bereits erkannt, dass

Kinder aus Förderschulen erheblich stärker einen erhöhten BMI-

Wert aufweisen als Kinder anderer Schultypen. Im Rahmen des

Projektes „Kids fit und aktiv in Dresden“ hat man sich dieser

Herausforderung gestellt und in einem ersten Modellvorhaben im

Albert-Schweitzer-Förderzentrum Kinder begeistert, sich

ausgewogen zu ernähren und Spaß an der Bewegung zu haben.

Derzeit stehen Überlegungen an, wie man dieses Modellprojekt

auch in anderen Schulen mit geeigneten Partnern integrieren

kann.

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Mit der Vorlage des Stadtgesundheitsprofils ist die Arbeit des

WHO-Projektes keineswegs abgeschlossen. Im Rahmen einer

anschließenden Gesundheitskonferenz werden mit politischen

Vertretern, Fachleuten, Vertretern der Sächsischen

Landesärztekammer sowie der Krankenkassen, konkrete

Maßnahmen zur weiteren Förderung der Gesundheit der

Dresdnerinnen und Dresdner entwickelt.

Am 16. März 2013 richtete die Landeshauptstadt Dresden in

Kooperation mit der Sächsischen Landesärztekammer die

Gesundheitskonferenz „Gesunde Stadt - Gesunde Bürgerschaft /

Gesundheit in Kommunen gestalten“ zur Auswertung des

Stadtgesundheitsprofils 2012 aus.

Aus der Vielfalt der Themen des Stadtgesundheitsprofils wurden

folgende fünf Schwerpunktthemen in den Workshops diskutiert:

Versorgung und deren Bedeutung für die Kommune,

Sicherung gesundheitlicher Chancengleichheit,

Bewegungsförderung als präventive Maßnahme,

Suchtprävention und

Frühe Hilfen als kommunale Herausforderung.

In den vorangestellten Hauptreferaten werden die Schwerpunkte

„Versorgung“ durch Herrn Prof. Dr. Joachim Kugler (TU

Dresden), „Gesundheitliche Chancengleichheit“ durch Frau Dr.

Monika Köster (BZgA) sowie „Bewegung für gesunde

Lebensführung“ durch Herrn Dr. Christoph Altmann (SLAEK)

andiskutiert.

Den Abschluss der Veranstaltung bildetet eine

Podiumsdiskussion mit den Moderatorinnen und Moderatoren

der Workshops.

Die vorliegende Dokumentation bildet einen Überblick über die

Hauptreferate sowie die Beiträge in den Workshops. Die

einzelnen Präsentationen finden Sie unter www.dresden.de/who.

Wir wünschen Ihnen eine interessante und informative Lektüre.

Kontakt: Dr. Peggy Looks, Soziologie M.A., Master Ökonomie und Management Beauftragte WHO-Projekt „Gesunde Städte“ Gesundheitsamt Dresden E-Mail: [email protected]

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Impressionen

Fotos: Sächsische Landesärztekammer, 2013

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(1) „Von der Gesundheitsförderung und Prävention zur Versorgung“ von Prof. Dr. Joachim Kugler

2. Impulsreferate Im Folgenden sind Kurzfassungen zu ausgewählten Beiträgen der Gesundheitskonferenz „Gesunde Stadt - Gesunde Bürgerschaft“

aufgeführt. Für die Inhalte der Beiträge sind die Autor/innen verantwortlich. Die jeweiligen Präsentationen finden Sie unter

www.dresden.de/who.

Gesundheit ist nicht das Fehlen von Krankheit und Behinderung,

sondern psychisches, körperliches und soziales Wohlbefinden

WHO, 1947

Das deutsche Gesundheitssystem gehört zu den

bestausgestatteten in Europa. Der Gesundheitssektor trägt mit

ca. 11% zum Bruttosozialprodukts bei. Mehr als 290 Milliarden

Euro betragen allein die jährlichen Ausgaben in der gesetzlichen

Krankenversicherung. Die Ausgaben für Prävention nehmen bei

den Gesundheitsausgaben jedoch nur einen kleinen Raum ein

(ca. 4 %).

Daten der Weltgesundheitsorganisation zeigen, dass die

Lebenserwartung in Deutschland in den letzten Jahren unter

dem der europäischen A-Länder liegt. Auch die

Lebenserwartung in Gesundheit erreicht im europäischen

Vergleich allenfalls durchschnittliche Werte. Betrachtet man die

Sterblichkeit für einzelne Altersgruppen, so zeigt sich im

europäischen Vergleich eine Untersterblichkeit bis zum 40.

Lebensjahr und eine Übersterblichkeit für über 40-Jährige in

Deutschland. Dies kann als Indiz gewertet werden, dass das

deutsche Gesundheitssystem gut für die Versorgung von akuten

Krankheiten und Unfälle im Kindes- und frühen

Erwachsenenalter gerüstet ist, jedoch für eine Behandlung

chronisch kranker, multimorbider älterer Patienten Defizite

aufweist.

Internationale Studien legen nahe, dass ca. 50 % der Todesfälle

in industrialisierten Ländern auf vermeidbares Risikoverhalten

zurückführbar ist. Desweiteren sind für viele häufige chronische

Krankheiten (‚Volkskrankheiten‘) Lebensstilfaktoren als Risiko

gut untersucht: z.B. Herzinfarkt, Allergien, Tumore.

Trotz deutlicher Hinweise, dass die Übersterblichkeit neben

struktureller Ineffizienzen auch einem Mangel an

Gesundheitsförderung und Prävention geschuldet sein könnte,

sind z.B. die Daten zum Übergewicht, zum Alkoholkonsum und

zum Rauchen für die Bundesrepublik Deutschland wenig

ermutigend.

Für die Zukunft sind zwei Szenarien denkbar:

a) Der Lebensstil der Bevölkerung ändert sich nicht,

Gesundheitsförderung und Prävention werden auf

dem bisherigen niedrigen Niveau beibehalten, dann

ergibt sich ein zukünftiger Lebenserwartungszuwachs

vorwiegend aus dem medizinisch-technischen

Fortschritt. Ändert sich im Risikoverhalten nichts, wird

der Beginn chronischer Erkrankungen in der

Lebenspanne so bleiben, wie er jetzt sich darstellt.

Das bedeutet für den Einzelnen mehr Lebensjahre in

chronischer Krankheit, da sich die Spanne zwischen

Ausbruch einer Krankheit und dem Tod durch den

medizinisch-technischen Fortschritt verlängert. In

einem solchen Szenario (‚Medikalisierungsthese‘)

werden die Ausgaben im Gesundheitssystem

dramatisch ansteigen.

b) Gelingt es das Risikoverhalten gezielt zu verändern,

werden Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und

Prävention verstärkt, kann die Zeit bis zum Ausbruch

einer Erkrankung (‚Kompressionsthese‘)

hinausgeschoben werden. Die bedeutet, dass die

Lebensjahre in Gesundheit zunehmen, was positiv für

die Lebensqualität des Einzelnen, aber auch für die

Produktivkraft einer Bevölkerung ist. Zudem wird der

Zeitpunkt der Inanspruchnahme von

Gesundheitsleistungen in eine höheres Alter

verschoben. Die Kostensteigerungen in diesem

Szenario würden bei gleichem

Lebenserwartungszuwachs deutlich weniger steigen,

da diagnostische und therapeutische Aufwendungen

bei schon bestehender chronischer Erkrankung teurer

sind als Interventionen zur Änderung des

Risikoverhaltens.

Eine stärkere Betonung der Gesundheitsförderung und

Prävention erscheint eine wichtige Zukunftsaufgabe für das

deutsche Gesundheitssystem. Das WHO-Netzwerk ‚Gesunde

Städte‘ leistet hierzu wichtige Aufbauarbeit auf kommunaler

Ebene.

Kontakt: Joachim Kugler Univ.-Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Medizinische Fakultät, TU Dresden E-Mail: [email protected]

12

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(2) „Bewegung für gesunde Lebensführung von Dr. Christoph Altmann

Landesweite Gesundheit ist nur schwer messbar. Sachsen ist

aus verschiedenen Gründen gesundheitlich ein gewisses

Risikogebiet. Sächsische Bürger rauchen zwar im Schnitt

weniger verzollte Zigaretten als der Bundesdurchschnitt. Über

die beiden Staatsgrenzen nach Tschechien und Polen besteht

aber eine ständige Zufuhr von unverzollten Zigaretten, so dass

die gesundheitlichen Auswirkungen insgesamt schwer messbar

sind. Junge Menschen in Sachsen rauchen mehr als in anderen

Bundesländern. Junge Frauen und Mädchen rauchen laut

Tabakatlas 2009 in Sachsen fast doppelt so häufig wie im

Bundesdurchschnitt.

Laut einer Analyse der BEK Gmünder Ersatzkasse gehört

Sachsen, wie alle neuen Bundesländer zu den Gebieten, wo die

gesetzliche Krankenversicherung besonders viel Geld pro

Versicherten aufwendet. Dies lässt sich zwar relativieren, wenn

altersbezogen gewichtet wird oder wenn die Gesundheitskosten

für gleich Kranke verglichen werden (hier liegt Sachsen sogar

eher günstig). Sachsen gehört aber dennoch diesbezüglich zu

den deutschen Problemzonen.

Im Herzreport 2009 hatte das Bundesland Sachsen die höchste

Sterblichkeit an Herzkrankheiten von allen Bundesländern.

Obwohl die Häufigkeit zum Beispiel des Herzinfarktes in

Sachsen eher niedrig liegt, ist die Sterblichkeit am Herzinfarkt in

Sachsen zumindest 2008 / 2009 eine der höchsten in

Deutschland gewesen. Die Gründe hierfür sind nicht letztlich

geklärt, die Statistik ist bereits altersbereinigt. Es liegt

wahrscheinlich einerseits an der Flächenstruktur Sachsens mit

verlängerten Notarztzeiten und zum anderen an der geringeren

Aufmerksamkeit, die sächsische Bürger diesen Erkrankungen

widmen (verlängerte Wartezeit des Patienten).

Umso wichtiger ist es also, dass Prävention und

Sekundärprävention in Sachsen flächendeckend und mit

verstärktem Engagement umgesetzt werden, um die Bürger

entsprechend gesund zu erhalten.

Der vorliegende Beitrag stellt die Rolle der Bewegungstherapie

in der Gesunderhaltung vor.

Bereits seit 1986 wurde in der Harvard alumni study festgestellt,

dass 20 Kilometer zusätzliche Gehstrecke in der Woche, oder

das tägliche Treppensteigen von 5 Stockwerken nach 15 Jahren

die Sterblichkeit um etwa 30 % vermindern kann.

Eine US-amerikanische Studie belegte 2002, dass die

Lebenserwartung gesunder Menschen relativ direkt von der

körperlichen Fitness, gemessen in Wattleistung bei einem

Belastungstest, abhängt. Die Studie zeigte, einen

Überlebensvorteil von 6 Jahren Lebenszeit mit jeder

zusätzlichen Fitness-Stufe im Test.

Regelmäßige sportliche Betätigung schützt auch vor

lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen bei

Überanstrengungen. In einer Studie an Tausenden von Ärzten

wurde im Jahr 2000 nachgewiesen, dass regelmäßiger Sport die

Sterblichkeit nach 12 Jahren um 31 % verringerte und dass

Ärzte, die regelmäßig Sport trieben, auch bei plötzlichen

Überlastungen weitgehend vor lebensbedrohlichen

Rhythmusstörungen geschützt waren.

In einer weiteren großen Untersuchung, die vor allem die

Frauengesundheit betraf (Harvard WHI-Studie 2002), konnte

nachgewiesen werden, dass 5 Stunden Sport pro Woche

innerhalb von 4 Jahren das Risiko für einen Herzinfarkt oder für

einen Schlaganfall um 55 % verminderten. Dabei kam es vor

allem auf die aufgewendete Kalorienmenge an und nicht so sehr

auf die maximale sportliche Intensität. Längeres Gehen war also

genau so nützlich, wie kurzfristige starke sportliche Belastung.

Eine langjährige Beobachtung von Tausenden von

Krankenschwestern über 20 Jahre zeigte, dass 5 Stunden Sport

pro Woche die Sterblichkeit um 37 % absenken konnte.

Diese Studien, deren Wirkungsnachweis weit über die

Möglichkeiten aller bekannter Medikamente hinaus geht,

belegen eindrucksvoll, dass körperliche Aktivität und Bewegung

langfristig Gesundheit sichert und zu einem längeren und

gesünderen Leben führt.

Welche Aufgaben ergeben sich daraus für Entscheidungsträger

und Multiplikatoren?

Den Unbeweglichen in Bewegung bringen.

Den Sportler beraten.

Barrieren erkennen und überwinden.

Beteiligung der Betroffenen auf allen Ebenen.

Freiwilligkeit.

Langfristigkeit und Nachhaltigkeit.

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Die gesundheitlichen Auswirkungen von Bewegung zu erkennen,

ist allein zu wenig.

Letztendlich bedarf es einer zentralen politischen Willensbildung,

um solche Bewegungskonzepte flächendeckend umzusetzen.

Natürlich müssen solche Konzepte strukturell und finanziell

unterlegt sein, weil sonst am Ende der Bürger gar nicht begleitet

werden kann, um eine solche Lebensstilveränderung im Alltag

zu verwirklichen.

Kostenträger, Krankenkassen, Rentenversicherer, große

Betriebe, Arbeitsmediziner, Medien und Einrichtungen des

Bildungssystems müssen beteiligt werden, damit

flächendeckend Bewegung als gesundheitliches Therapeutikum

in der Bevölkerung umgesetzt werden kann.

Die Wirklichkeit sieht leider trotz der eindeutigen

Studienergebnisse unbefriedigend aus. Krankenkassen-

Bewegungskurse werden im Allgemeinen nur so lange

wahrgenommen, wie auch die Krankenkasse bezahlt. Ärztliche

Empfehlungen zur Bewegung weisen zum Teil nicht die

erforderliche Klarheit auf und werden in der Umsetzung nicht

ausreichend begleitet. Trotz zig-tausender Gesundheitsangebote

der gesetzlichen Krankenkassen und trotz Möglichkeiten für

Ärzte, Bewegung zu verordnen, und Patienten und betreute

Personen in sportliche Angebote zu vermitteln und trotz einer

hervorragenden Infrastruktur der Sportvereine durch die

Möglichkeiten von Sport pro Gesundheit, sind wir in Sachsen

weit davon entfernt, das tägliche Bewegungstherapie im Alltag

der Menschen angekommen wäre. Allein beim Rezept auf

Bewegung zeigen sich enorme Probleme bei der Umsetzung. Es

finden sich keine Vergütungsformen für ärztliche

Gesprächsinterventionen. Es zeigen sich juristische Bedenken

hinsichtlich des Formulartextes an sich und hinsichtlich von

möglichen Verletzungen des Wettbewerbrechtes. Am Ende

kommt bei dem Bürger und bei der Bürgerin keine klare

Botschaft der Entscheidungsträger und Multiplikatoren an.

Wir müssen befürchten, dass am Ende viele Bürger eine

resignative Grundhaltung einnehmen und sich letzten Endes mit

einem sitzenden unbewegten Lebensstil zufrieden geben. Etwas

humorvoll könnte das Lebenskonzept dieser Menschen so

formuliert werden:

„Genieße froh Wein, Weib, Gesang. Den Wein vor allen Dingen.

Und rät der Arzt zur Mäßigung, so lasst so zuerst das Singen.“

Die Begleitung eines Menschen in einen bewegungsfreundlichen

Lebensstil oder die Beratung eines sportlich ambitionierten

Menschen in ein maßvolles gesundheitsorientiertes

Bewegungsverhalten ist eine große pädagogische,

gesundheitspolitische und auch medizinische Aufgabe.

Ausdrücklich warnen möchte ich vor einer zu starken Betonung

des Sicherheitsaspektes und vor zu vielen unnötigen Verboten.

Ein mir gut bekannter Bewegungstrainer formulierte

diesbezüglich einmal den Satz:

„Wir Deutschen sind kein Volk von Bedenkenträgern. Wir sind

ein Volk von risikobewussten Bedenkenträgern!“

Unnötige Verbote zerstören die Motivation und die

Freiheitlichkeit des Bewegungsverhaltens der Bürgerinnen und

Bürger und sollten unterbleiben.

Ich empfehle Verbote nur dann, wenn ein Schaden eindeutig

nachweisbar ist oder wenn der Patient oder der Betroffene das

Risiko der Bewegung weder einschätzen, noch kontrollieren

kann. Zusätzlich muss das Verbot aber auch tatsächlich

umsetzbar sein.

Wenn diese Grundregeln beachtet werden, können Verbote nur

noch einen sehr kleinen Raum im Bewegungsverhalten

einnehmen. Die Hauptaufgabe wäre eine konstruktive und

fachlich ausgewogene Begleitung des Bewegungsverhaltens des

Betroffenen. Grenzbereiche gesundheitlicher Gefährdung

können z.B. in modernen Kampfsportarten, in

leistungssportlichen Aktivitäten jenseits des 30. Lebensjahres

oder in Aufenthalten in großen Höhen über 5.000 Meter oder im

Tauchsport bestehen. Nach meiner Erfahrung ist aber ein

liberales Verständnis der fachlichen Begleitung solcher

Aktivitäten sinnvoller als ein engherziges Verbieten und

Reglementieren. Man darf nicht unterschätzen, dass auch für

manche älteren oder gesundheitlich bereits geschädigten

Personen große sportliche Leistungen eine enorme

Lebenserfüllung, ein Glücksgefühl darstellen und lieber fachlich

begleitet werden sollen, als durch unnötige Verbote,

Lebensfreude und Motivation einzuschränken.

Regelmäßige körperliche Aktivität gehört zu einer der

wirkungsvollsten und kostengünstigsten Maßnahmen in

Prävention und Therapie von zahlreichen Erkrankungen.

So lassen sich depressive Erkrankungen,

Blutfettstoffwechselstörungen, Zuckerkrankheit, Bluthochdruck

und viele andere chronische Erkrankungen unserer Zeit günstig

mit regelmäßigem sinnvollem Bewegungstraining verbessern

oder verhindern.

Es ist kritisch zu hinterfragen, warum diese Maßnahme nur

vergleichsweise selten genutzt wird. Gibt es möglicherweise

keine ausreichenden wirtschaftlichen Interessen oder Anreize für

eine konsequente und flächendeckende Bewegungstherapie?

Die in den Medien ständig präsente Bewerbung gesunder

Ernährung oder diverser Pharmaprodukte zeigt, dass auf diesen

anderen Bereichen offensichtlich besser Geld verdient werden

kann (Statement von Prof. Dr. Leyk, Deutsche Sporthochschule

Köln, Deutsches Ärzteblatt 2009).

Selbst deutlich übergewichtige Erwachsene können mit

entsprechend günstiger Methodik in stabile

Bewegungsprogramme integriert werden und dadurch ihre

körperliche Leistungsfähigkeit und ihr Gewicht deutlich

verbessern (Studie Deutsche Sporthochschule Köln 2008).

Es kommt also vor allem auf die Motivation, auf die

Kommunikation und auf die Umsetzbarkeit im Alltag für die

Betroffenen an, dann sind auch flächendeckende

Bewegungsprogramme machbar!

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.

Regelmäßige Bewegung sollte eingebettet werden in einen

gesunden Lebensstil, bestehend aus Nichtrauchen, klugem

Umgang mit Stress, ausreichend Schlaf und Ruhe sowie einer

ausgewogenen gesundheitsbewussten Ernährung.

Ausdauersportarten sind zu bevorzugen. Krafttraining und

Muskelaufbau sollten aber in jedem Lebensalter elementare

Bestandteile von Bewegungsprogramm sein.

Leitsätze des gesunden Lebensstils bleiben:

Verzichten aus Prinzip hat keinen Sinn.

Die Spielregeln kennen und gezielt reagieren.

Strategisch und zielorientiert handeln.

Den Körper nicht schlechter behandeln als das

eigene Auto.

Kontakt: Dr. Christoph Altmann Internist Kardiologe Kardiovaskulärer Präventivmediziner DGPR Vorsitzender Landesverband Sachsen für Prävention und Rehabilitation von Herz Kreislauf Erkrankungen Präventionsbeauftragter der Sächsischen Landesärztekammer Email: [email protected]

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(3) „Einfluss von Demografie und sozialem Status auf die Gesundheit“ von Prof. Dr. Elisabeth Pott & Dr. Monika Köster

Die Lebenserwartung steigt, die Menschen werden älter.

Neugeborene Mädchen haben eine Lebenserwartung von 82,7

Jahren, neugeborene Jungen von 77,7 Jahren. Aufgrund der

ferneren Lebenserwartung können heute 65 jährige Frauen von

weiteren 20,7 Jahren, und 65jährige Männer von weiteren 17,5

Jahren ausgehen. Vor diesem Hintergrund - sowie mit

verursacht durch die in Deutschland niedrige Geburtenziffer -

ändern sich die Zusammensetzung und Struktur der

Gesellschaft. Dies bringt neue Herausforderungen für viele

gesellschaftliche Bereiche und Akteure mit sich. Hinzu kommen

der gesamtgesellschaftliche Wandel und die hiermit einher

gehenden Entwicklungen u.a. bzgl. individueller Lebens- und

Wohnformen, Bildung, Arbeitsmarkt, Einkommen, kulturellem

Hintergrund.

Da immer mehr Menschen ein hohes Alter erreichen, ist es ein

wichtiges Ziel, die gewonnenen Lebensjahre bei möglichst guter

Gesundheit. Selbstbestimmtheit und Lebensqualität zu

verbringen. Hierzu müssen die bestehenden Ressourcen genutzt

und die Möglichkeiten von Gesundheitsförderung und Prävention

ausgeschöpft werden. U.a. muss für eine frühzeitige und

lebensbegleitende sowie Lebensphasen berücksichtigende

Gesundheitsförderung und Prävention Sorge getragen werden.

Es gibt hierzu bereits einige gute Umsetzungsbeispiele und

tragfähige Verbindungen zwischen Handlungsfeldern und

Akteuren der Gesundheitsförderung.

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung sollte der

Fokus der Gesundheitsförderung noch stärker auf Generationen

übergreifende Ansätze, auf die Aktivität und Teilhabe aller

Generationen (Partizipation) sowie Ressourcen orientiert

ausgerichtet sein. Gleichzeitig gilt es, die zentralen chronisch

degenerativen Erkrankungen, die entsprechenden Risikofaktoren

sowie die im höheren Lebensalter häufig auftretende

Multimorbidität zu berücksichtigen. Alters- und

Gesundheitsmanagement werden zunehmend notwendiger -

dies betrifft u.a. auch Firmen und Unternehmen, die mit älter

werden Belegschaften arbeiten.

Gleichzeitig ist zu beachten, dass die Zielgruppe der älteren und

alten Menschen eine äußerst heterogene Zielgruppe ist. Neben

dem Alter der Menschen sind viele weitere Zielgruppenmerkmale

wie Geschlecht, Bildung, berufliche Situation, Einkommen,

Familiensituation und Migrationshintergrund etc. von Bedeutung.

Mit Blick auf die Gesundheit, auf Morbidität und Mortalität spielen

der biografische und vor allem der sozioökonomische

Hintergrund bedeutsame Rollen. Menschen, die unter sozial

schwierigen Bedingungen leben, sind häufiger und

schwerwiegender krank und sterben in der Regel früher.

So haben Männer der untersten Einkommensschicht eine um ca.

10 Jahre geringere Lebenserwartung, als Männer der obersten

Einkommensgruppe.

In diesem Kontext ist – zielgruppen- und

generationenübergreifend - der kommunale Ansatz der

Gesundheitsförderung bedeutend. Zentrale Akteure des

Gesundheits-, sozialen und Bildungsbereichs auf der

kommunalen Ebene müssen zielgerichtet und Lebensphasen

bezogen zusammenarbeiten und die Übergänge zwischen den

Lebensphasen berücksichtigen. Dies bezieht sich auf den

Bereich der Kinder- und Jugendgesundheit ebenso, wie auf die

Gesundheit von Erwachsenen und älter werdenden Menschen

(z.B. Übergang von der Erwerbstätigkeit in die

Nacherwerbsphase). Die Zusammenarbeit und Vernetzung der

jeweils relevanten Akteure muss unterstützt werden. Bislang gibt

es einige gute Beispiele und auch konkrete Vereinbarungen. Es

stellt sich heraus, dass viele Aktivitäten und Maßnahmen, die in

der Kommune z.B. für Familien mit kleinen Kindern gut und

sinnvoll sind, sich auch für die Zielgruppe der älteren Menschen

als hilfreich erweisen (z.B. abgesenkte Bürgersteige,

ausreichende Beleuchtung, Parkanlagen, Sport- und

Freizeitanlagen etc.). Durch Generationen übergreifende

Maßnahmen können in vielen Bereichen Synergieeffekte in der

Kommune, in den Lebenswelten der Bürgerinnen und Bürger,

erreicht werden.

Die BZgA fördert die Gesundheit unterschiedlicher Ziel- und

Altersgruppen lebenslaufbegleitend in Zusammenarbeit mit

zentralen Partnern auf Bundes-. Länder- und kommunaler

Ebene. Hierbei stehen die Schaffung bzw. Weiterentwicklung

gesundheitsfördernder Strukturen, die sektorübergreifende

Zusammenarbeit, die Vernetzung von Wissenschaft und Praxis,

die zielgerichtete Kooperation von Einrichtungen des

Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesens, das Aufgreifen

bewährter Ansätze (good practice) im Vordergrund. Um Nach-

haltigkeit, und Verstetigung zu erreichen, sind qualitätssichernde

Maßnahmen unabdingbar.

Zur Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit hat die

BZgA 2003 den Nationalen Kooperationsverbund

„Gesundheitliche Chancengleichheit“ initiiert. Gemeinsam mit

inzwischen 58 Akteuren auf der Bundesebene kümmert sich die

BZgA um Fragen der Gesundheitsförderung sozial

benachteiligter Zielgruppen, so z.B. um Kinder und Jugendliche

sowie Erwachsene und ältere Menschen in schwierigen sozialen

Lagen.

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Ein umfassender Internetauftritt www.gesundheitliche-

chancengleichheit.de stellt Daten, Informationen und praxisnahe

Werkzeuge sowie Beispiele guter Praxis bereit. In enger

Zusammenarbeit zwischen dem Kooperationsverbund

„Gesundheitliche Chancengleichheit“ und dem bei der BZgA

angesiedelten Nationalen Zentrum Frühe Hilfen und

kommunalen Ebene werden Auf- und Ausbau von tragfähigen

Netzwerken unterstützt.

Im Rahmen ihres Programms „Gesund und aktiv älter werden“

arbeitet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

(BZgA) eng mit den Bundesländern und Kommunen zusammen.

Über regionale Konferenzen, über die Bereitstellung von

Materialien und Arbeitshilfen für die Akteure vor Ort sowie eine

Website www.gesund-aktiv-älter-werden.de ist eine bedarfs-

orientierte Unterstützung der Multiplikatorinnen und

Multiplikatoren und der älteren Menschen und ihrer Familien im

Lebensraum Kommune in der Umsetzung.

Kontakt: Prof. Dr. Elisabeth Pott Präsidentin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Email: [email protected]

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3. Ausgewählte Beiträge

3.1 Workshop „Versorgung im Gesundheitswesen aus Sicht der

Bürgerinnen und Bürger“

(1) Die Rolle der Patientenzufriedenheit im Krankenhaus von Dr. Tonio Schönfelder

Im Rahmen der Qualitätssicherung und -verbesserung im

Gesundheitswesen gewinnt die Perspektive der Patienten in

zunehmendem Maße an Aufmerksamkeit. Gesetzlich geforderte

Qualitätssicherungsmaßnahmen haben die Voraussetzungen

dafür geschaffen, dass Krankenhäuser Patientenbefragungen

als Instrument zur Beurteilung der Leistung und Qualität der

Versorgung nutzen. Die veränderten Ansprüche des Patienten

an den Krankenhausaufenthalt und der gesetzlich forcierte

Wettbewerb zwischen den Einrichtungen führen dazu, dass sich

Kliniken wie Anbieter wirtschaftlicher Produkte verhalten

müssen. Patienten- und somit Kundenbefragungen, wie sie in

anderen Branchen bereits üblich sind, rücken zunehmend in den

Mittelpunkt. Daher stellt bei vielen Zertifizierungsmethoden im

Krankenhausbereich die Messung der Patientenzufriedenheit ein

zentrales Modul dar.

In Deutschland sind Verfahren zur Ermittlung und Verbesserung

der Patientenzufriedenheit Bestandteil von strukturierten

Qualitätsberichten, die Krankenhäuser regelmäßig

veröffentlichen müssen. Diese Berichte haben das Ziel,

Patienten und Ärzte über die Qualität und die Leistungen von

Krankenhäusern zu informieren. Andere Länder gehen einen

Schritt weiter und setzen Patientenzufriedenheit als Instrument

zur Qualitätssicherung im Rahmen von Pay-for-Performance-

Modellen ein. In Großbritannien wird die Zufriedenheit der

Patienten mit deren Behandlung regelmäßig im Rahmen des

NHS National Patient Survey Programmes ermittelt.

Gesundheitseinrichtungen und Hausärzte erhalten hierbei

Bonuszahlungen in Abhängigkeit der Zufriedenheitsergebnisse.

Im staatlichen US-amerikanischen Krankenversicherungssystem

Medicare wurde 2012 ein Vergütungssystem eingeführt, welches

Krankenhäuser für eine hohe Patientenzufriedenheit belohnt.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, weshalb die

Perspektive der Patienten und speziell deren Zufriedenheit mit

der Krankenhausbehandlung so bedeutsam geworden ist.

Internationale Studien haben diesbezüglich verschiedene

positive Effekte sowohl für die Patienten als auch die

Leistungserbringer aufgezeigt.

Die Zufriedenheit mit dem Krankenhausaufenthalt ist ein

wichtiger Einflussfaktor für die Therapietreue und die

Bereitschaft, sich einer weiteren notwendigen Behandlung zu

unterziehen, und hat damit direkten Einfluss auf den langfristigen Behandlungserfolg. Weitere Untersuchungen haben einen

Zusammenhang zwischen Patientenbewertungen und der

Profitabilität von Krankenhäusern gefunden. Dabei haben die

erfolgreichsten Einrichtungen durchschnittlich die zufriedensten

Patienten. Dies wird dadurch erklärt, dass zufriedene Patienten

häufiger in die gleiche Einrichtung zurückkehren und diese

Dritten weiterempfehlen wodurch die Patientenzahlen und damit

der Marktanteil steigen. Die durch Patientenumfragen ermittelten

Zufriedenheitsergebnisse können darüber hinaus zur

systematischen Schwachstellenanalyse in der

Patientenversorgung und zur Verbesserung der Strukturen und

Prozesse in Krankenhäusern genutzt werden. Weitere Studien

haben gezeigt, dass unzufriedene Patienten häufiger aufgrund

von vermeintlichen Behandlungsfehlern klagen. Dieser Aspekt

gewinnt in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Im Jahr 2011

haben sich circa 40.000 Patienten aufgrund von

Fehlbehandlungen an Beschwerdestellen gewandt.

Aufgrund der positiven Effekte der Patientenzufriedenheit, ist es

aus Sicht des Krankenhaussektors von großer Bedeutung

Kenntnisse darüber zu besitzen, welche Aspekte Zufriedenheit

auslösen und bis zu welchem Ausmaß Einrichtungen die

Bewertungen von Patienten selbst beeinflussen können.

Patientenzufriedenheit ist ein multidimensionales Konstrukt, das

sich aus mehreren Faktoren zusammensetzt, deren Bedeutung

für den einzelnen Patienten durch bisherige Untersuchungen

nicht gänzlich erklärt werden kann. Studien haben jedoch

gezeigt, dass sich Patientenzufriedenheit primär aus vier

Komponenten zusammensetzt. Dies sind die subjektiven

Wahrnehmungen verschiedener Aspekte des

Krankenhausaufenthaltes wie beispielsweise die Organisation

von Untersuchungen und die Aufklärung über die Behandlung,

einrichtungsspezifische Variablen wie z.B. die Ausstattung der

Zimmer und die Verweildauer sowie demografische Merkmale

wie Alter und Geschlecht des Patienten.

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Kontakt: Dr. Tonio Schönfelder Fakultät für Gesundheits- und Pflegewissenschaften Westsächsische Hochschule Zwickau E-Mail: [email protected]

Den letzten Punkt stellen Erfahrungen aus früheren

Krankenhausaufenthalten und daraus resultierende Erwartungen

an die Behandlung dar.

Eine Vielzahl von Studien hat den Zusammenhang zwischen

Patientenzufriedenheit und Variablen, die von Krankenhäusern

im Rahmen der Behandlung beeinflusst werden können (z.B.

Organisation, Freundlichkeit) und Variablen, die nicht beeinflusst

werden können (z.B. Alter, Geschlecht), untersucht. Die

Ergebnisse zeigen, dass aus Patientensicht interpersonale und

organisatorische Aspekte den größten Stellenwert einnehmen.

Die Freundlichkeit der Pflegekräfte, der Ärzte und des übrigen

Krankenhauspersonals haben über die meisten Studien hinweg

den stärksten Einfluss auf die Zufriedenheit. Ein reibungsloser

Ablauf der Einweisung und der Entlassung sowie die

Organisation und der Ablauf von Untersuchungen sind ebenso

von großer Bedeutung. Überraschenderweise sind für die

meisten Patienten die Qualität der Mahlzeiten und die

Zimmerausstattung nach Aussage der Studienergebnisse

wichtiger, als objektive medizinische Qualitätsindikatoren wie

Komplikationen im Anschluss an die Behandlung. Faktoren, die

im Rahmen des Qualitätsmanagements von den

Krankenhäusern nicht beeinflusst werden können, wie

beispielsweise demografische und einrichtungsgebundene

Variablen, haben auf die Patientenzufriedenheit einen

vergleichsweise geringen Einfluss.

Die Erhebung der Zufriedenheit ist keine objektive Messung,

sondern eine subjektive Evaluation, welche im individuellen

Kontext der Patienten stattfindet. Bedingt durch deren

begrenzten medizinischen Kenntnisse stellt sich die Frage, ob

eine subjektive Beurteilung überhaupt Aussagen über die

Qualität der Krankenhausbehandlung zulässt. Diesbezügliche

Studien zeigen eindeutig, dass Patienten dazu in der Lage sind,

die Qualität der Behandlung adäquat einzuschätzen.

Bewertungen von Ärzten und Pflegekräften hinsichtlich einzelner

Aspekte der Behandlung stimmten überwiegend mit

Bewertungen der Patienten überein.

Die Sichtweise der Patienten sollte bei der Evaluation der

Behandlungsqualität routinemäßig Berücksichtigung finden.

Deren Rückmeldungen können objektive Qualitätsindikatoren

wie beispielsweise Mortalitätsraten sinnvoll ergänzen. Die

Erhebung der Behandlungsqualität aus Patientensicht ist nicht

durch Beobachtungen oder betriebswirtschaftliche Kennzahlen

ersetzbar und liefert wichtige Kenntnisse bezüglich

Kommunikationsmustern, Vermittlung von Information über die

Behandlung und Barrieren beim Zugang zu

Gesundheitsleistungen. Die subjektiven Beurteilungen der

Patienten lassen zwar keinen eindeutigen Schluss auf die

objektive Behandlungsqualität der Krankenhäuser zu, die

Ergebnisse von Patientenumfragen zeigen jedoch, in welchen

Bereichen Krankenhäuser den Erwartungen der Patienten

entsprechen und an welchen Stellen noch Nachholbedarf

besteht.

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(2) „Die Rolle der Selbsthilfe im Gesundheitssystem“ von Marion Panek

Wenn wir heute von Selbsthilfe und deren Rolle im

Gesundheitssystem sprechen, dann geht es uns nicht nur um die

traditionellen institutionalisierten Strukturen der Spitzenverbände

der Selbsthilfe (BAGS, DPWV, DAG SHG, DHS) oder

sozialstaatlicher Organisationen. Wir betrachten die neue

gruppenorientierte Selbsthilfe für beinahe alle gesundheitlichen

Themen und Erkrankungen.

Diese entwickelte sich in der Bundesrepublik zunächst als eine

reformorientierte und kreative Gegenbewegung zum

professionellen Versorgungssystem. In den neunzehnhundert-

siebziger und achtziger Jahren ist die Selbsthilfe zu einer

„Vierten Säule“ im System der gesundheitlichen Versorgung

herangewachsen (neben ambulanter und stationärer Versorgung

und dem öffentlichen Gesundheitsdienst), und sie wird heute von

allen gesellschaftlich relevanten Institutionen anerkannt. Der

Stellenwert der Erfahrungen und Kompetenzen, den die

Selbsthilfe einbringen kann, wächst kontinuierlich. Selbsthilfe

leistet nachweislich einen wichtigen Beitrag zur Gesunderhaltung

und zur Problembewältigung, insbesondere für chronisch kranke

und behinderte Menschen. Das belegen zahlreiche empirische

Untersuchungen. Die Selbsthilfegruppen auf lokaler und

überregionaler Ebene und deren Unterstützungsstrukturen

haben eine besondere Bedeutung als Kooperationspartner für

ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem. Das ist ganz im Sinne

der Ottawa-Charta der WHO zu verstehen. Danach soll

Gesundheitsförderung den Menschen ein höheres Maß an

Selbstbestimmung ermöglichen, damit sie zur Stärkung ihrer

Gesundheit befähigt werden.

Begriff Gruppenselbsthilfe

In Selbsthilfegruppen schließen sich Menschen mit gleicher

Problembetroffenheit (persönlich oder als Angehörige) außerhalb

ihrer alltäglichen Beziehungen zusammen, um sich gegenseitig

zu helfen. Dies geschieht freiwillig, gleichberechtigt und

eigenverantwortlich. Die Gruppe bietet ihren Mitgliedern

emotionale Unterstützung und Hilfestellung bei der

Krankheitsverarbeitung und Alltagsbewältigung.

Erfahrungswissen, d.h. selbsterlebtes Wissen, über die

Erkrankung oder zu einem besonderen Lebensproblem wird aus

der Sicht Betroffener weitervermittelt an Menschen mit gleicher

Betroffenheit. Im Mittelpunkt der Gruppenarbeit steht die

gegenseitige Information über Behandlungsmöglichkeiten,

Therapien oder Erfahrungen mit Medikationen. Es geht nicht

darum, medizinische oder therapeutische Behandlung zu

ersetzen, sondern vielmehr um deren wirkungsvolle Ergänzung.

Selbsthilfegruppen stellen eine geeignete Organisationsform dar,

die dem Wunsch vieler Menschen entsprechen, mit Verbündeten

gemeinsam selbst aktiv an der Problembearbeitung mitzuwirken.

Die meisten Selbsthilfegruppen haben ihren

Themenschwerpunkt in den Bereichen chronische Erkrankung

und Behinderungen sowie zu den verschiedensten

Lebensproblemen und -krisen.

Verbreitung und Strukturen der Selbsthilfe

Hochrechnungen zufolge wird die Zahl der Selbsthilfegruppen in

Deutschland mit 70.000 bis 100.000 mit rund drei Millionen

aktiven Mitgliedern angegeben. Im Vergleich zu rund zwei

Millionen Mitgliedern der im Bundestag vertretenen Parteien hat

die Selbsthilfe damit auch eine beträchtliche quantitative

Bedeutung. Verschiedene Untersuchungen haben ermittelt, dass

etwa fünf Prozent der von einem Problem Betroffenen in

Selbsthilfegruppen engagiert sind - dass ist wiederum

verhältnismäßig wenig.

Die Selbsthilfe hat sehr differenzierte und vielfältige Strukturen.

Den Kern bilden die (informellen) Selbsthilfegruppen auf lokaler

Ebene, wo die unmittelbare persönliche Begegnung und der

Erfahrungsaustausch stattfinden. Daneben gibt es

Selbsthilfeorganisationen und -initiativen, die als

Interessenvertretung chronisch Kranker und behinderter

Menschen auch als Verhandlungspartner mit Politik und

Verwaltung, Leistungsanbietern und Kostenträgern im

Gesundheitswesen auftreten. Parallel dazu entwickelte sich mit

den Selbsthilfekontaktstellen eine Unterstützungsstruktur auf

örtlicher Ebene. Mit der Bewilligung zweier

Bundesmodellprogramme zur Etablierung professioneller

Selbsthilfeunterstützung durch Selbsthilfekontaktstellen erfuhr

die Selbsthilfebewegung eine bedeutende gesellschaftliche und

politische Anerkennung. Inzwischen sind Kontaktstellen

annähernd flächendeckend in Deutschland vorhanden, sie

arbeiten themenübergreifend und fungieren als Schaltstelle

zwischen selbsthilfeinteressierten Menschen, den Selbsthilfe-

zusammenschlüssen und Professionellen.

Gesetzliche Verankerung der Selbsthilfe

Die gesellschaftliche und staatliche Anerkennung von Selbsthilfe

ist auch durch gesetzliche Regelungen in den

Sozialgesetzbüchern verankert. Einerseits ist damit die

finanzielle Förderung festgeschrieben, andererseits bedeutet das

auch Anerkennung der Leistung und des Wertes der Selbsthilfe

für die Gesellschaft:

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- § 20c SGB V regelt seit dem Jahr 2000 die

Selbsthilfeförderung durch die gesetzlichen

Krankenkassen verpflichtend. Die Fördergrundsätze

des GKV-Spitzenverbandes sind aufgestellt in

einem „Leitfaden zur Selbsthilfeförderung“, von dem

eine neue Fassung zum 1. Juli 2013 zu erwarten ist.

- Im SGB VI (§ 31 Abs. 1 Nr. SGB VI) wird die

Förderung der Selbsthilfe durch die

Rehabilitationsträger geregelt. Auf dieser Grundlage

steht die Pauschalierte Sucht-

Selbsthilfegruppenförderung der Deutschen

Rentenversicherung Bund.

- Das SGB XI enthält Regelungen zur Förderung

niedrigschwelliger Betreuungsangebote,

ehrenamtlicher Strukturen und der Selbsthilfe durch

die Soziale Pflegeversicherung (§§ 45c und 45d

SGB XI). - Mit dem Gesetz zur Modernisierung der

gesetzlichen Krankenkassen, kurz

Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG), wurde

im Jahr 2004 eine Grundlage zur Beteiligung der

Selbsthilfe an der Gestaltung des gesundheitlichen

Versorgungssystems geschaffen (§§ 140f und 140g

SGB V). Damit spielt die Selbsthilfe eine

wesentliche Rolle bei der Patientenvertretung in

Gremien des Gesundheitswesens auf Länderebene

und im Gemeinsamen Bundesausschuss, allerdings

nur mit beratender Funktion.

Ursachen, Wirkungen und Leistungen von

Selbsthilfegruppen

Die Zunahme von Selbsthilfeaktivitäten und deren wachsende

Bedeutung sind in solchen gesellschaftlichen Ursachen zu

sehen, wie

- wachsende Probleme im Gesundheits- und

Sozialbereich - z.B. Zunahme psychischer

Erkrankungen und Probleme, Verlagerung der

Krankheitsschwerpunkte hin zu

Verschleißerkrankungen

- Unzufriedenheit mit den Strukturen im

professionellen Versorgungssystem

- Überforderung und Veränderung sozialer

Netzwerke, wie Familie oder Nachbarschaft

- zunehmendes Problembewusstsein hinsichtlich

Gesundheit und Umwelt

- geänderte Werteeinstellungen, z.B. eine

Verschiebung vom traditionellen Ehrenamt hin zu

einer stärkeren Bürgerbeteiligung.

Aktivierung von Selbsthilfekräften bei den Patient/-innen wird

eine salutogene Wirkung zugeschrieben, d. h. persönliche und

soziale Gesundheitsressourcen werden gestärkt und Gesundheit

gefördert, denn: Mitglieder von Selbsthilfegruppen erfahren

Solidarität, Anteilnahme, Verantwortungsübernahme und

Kooperationsbereitschaft.

Auch in der ambulanten und stationären medizinischen

Rehabilitation wird der Arbeit von Selbsthilfegruppen große

Bedeutung beigemessen. Mehrere Studien belegen eindeutig die

nachhaltige Sicherung des Rehabilitationserfolgs durch

Teilnahme an Nachsorge- und Selbsthilfegruppen. Insbesondere

bei seltenen Erkrankungen und in der Suchtnachsorge können

Patienten profitieren, wenn Ärzte und Psychotherapeuten das

erfahrungsbasierte Wissen der Selbsthilfe ergänzend empfehlen.

Das im Jahre 2001 in Kraft getretene SGB IX verpflichtet die

Rehabilitationsträger zur Einrichtung gemeinsamer

Servicestellen, die Betroffene beraten und dabei auch mit

Selbsthilfegruppen zusammenarbeiten.

Unter Federführung des Paritätischen wurde 2009 das Netzwerk

„Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im

Gesundheitswesen“ ins Leben gerufen mit der Zielstellung, die

Zusammenarbeit zwischen Selbsthilfe und Ärzten und (Reha-)

Kliniken zu stärken und Selbsthilfefreundlichkeit als

Qualitätsmerkmal in der Patientenorientierung zu verstetigen.

Dabei wurden Qualitätskriterien zur Selbsthilfefreundlichkeit

entwickelt, die bereits in Qualitätsmanagementsysteme von

Gesundheitseinrichtungen einbezogen werden. Das Konzept gibt

wichtige Impulse für den Aufbau und die Pflege von

Kooperationsbeziehungen.

Zusammenfassend kann die Rolle der Selbsthilfe im

Gesundheitswesen so beschrieben werden: Selbsthilfegruppen

erzielen Effekte im Bereich der gesundheitlichen Versorgung,

indem sie das professionelle Versorgungssystem ergänzen, die

Eigenverantwortung und Teilhabe der Betroffenen betonen und

sich als „Kritiker“ mit etwaigen Mängeln der professionellen

medizinischen Versorgung auseinandersetzen.

Zwei Aussagen zur Rolle der Selbsthilfe im

Gesundheitssystem:

„Durch das Gruppenengagement wird nicht nur das eigene

Selbstbewusstsein gestärkt, sondern durch den offensiven

Umgang mit Themen werden auch gesellschaftliche

Veränderungen angestoßen und herbeigeführt.“ (Thiel, Wolfgang,

NAKOS)

„Selbsthilfe in Gruppen hat die Fähigkeit, aus individueller

Betroffenheit sowohl kollektive Erfahrungen und Integration als

auch Teilhabe und Interessenvertretung zu erzeugen.“

(Thiel, Wolfgang, 2007, Selbsthilfegruppenjahrbuch 2007,

Psychosozial-Verlag, Gießen)

Damit werden heilsame Entwicklungen für sich selbst und für

andere in Gang gesetzt. Die Teilnahme an Selbsthilfegruppen

trägt bei den Patient/-innen zu mehr Wohlbefinden, zu einem

positiven Krankheitsverlauf bei, wirkt gegen Vereinsamung und

Ausgrenzung. Psychosoziale Probleme im Zusammenhang mit

chronischen Erkrankungen oder Behinderungen werden besser

bewältigt. Daraus resultiert ein erheblicher volkswirtschaftlicher

Nutzen, denn Teilnehmer von Selbsthilfegruppen verhalten sich

gesünder, gehen seltener zum Arzt, brauchen (meistens)

weniger Medikamente und nutzen gesundheitliche Angebote

gezielter. In der Außenwirkung gehen von Selbsthilfegruppen

viele sozialpolitisch relevante Impulse aus, Expertensicht wird

korrigiert und professionelle Hilfe ergänzt.

Die gesundheitspolitische Bedeutung von

Selbsthilfegruppen und beispielhafte Kooperationen:

Immer mehr Einrichtungen des gesundheitlichen

Versorgungssystems erkennen Selbsthilfefreundlichkeit als eine

Möglichkeit, ihre Patientenorientierung zu verbessern. Das

bedeutet, dass eine selbsthilfefreundliche

Gesundheitseinrichtung ihr ärztliches und pflegerisches Handeln

durch das Erfahrungswissen der Selbsthilfe erweitert, ihre

Patienten auf die Möglichkeit von Selbsthilfe aufmerksam macht

und kooperationsbereite Selbsthilfegruppen aktiv unterstützt.

Aus der gesetzlichen Verpflichtung der Einbindung von

Selbsthilfe in die professionelle Versorgung im SGB V sind

vielfältige Kooperationen und Vernetzungen entstanden. Typisch

für die Zusammenarbeit zwischen Selbsthilfe und

gesundheitlichem Versorgungssystem sind Kontakte mit

Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen und Arztpraxen,

wobei eine strukturelle Verankerung der Zusammenarbeit und

formale Vereinbarungen wichtig sind für lebendige

Kooperationen. So gibt es Kooperationsverträge mit

Gesundheitseinrichtungen, die das Zusammenwirken von

Expertenwissen und Laienkompetenz festschreiben.

Beispielhaft hierfür ist das „Hamburger Modellprojekt

Qualitätssiegel Selbsthilfefreundliches Krankenhaus“ aus den

Jahren 2005/06. Das Projekt bestätigte den Nutzen einer

nachhaltigen Zusammenarbeit für beide Seiten. Es konnte

nachgewiesen werden, dass beide Partner profitieren, wenn es

gelingt, dauerhafte Kooperationen zu initiieren und aufrecht zu

erhalten. Der BKK Bundesverband hat 2008 einen Leitfaden für

interessierte Krankenhäuser mit dem Titel

„Selbsthilfefreundliches Krankenhaus - auf dem Weg zu mehr

Patientenorientierung“ herausgegeben, in dem Anregungen für

eine systematische Zusammenarbeit auf der Grundlage von

Qualitätskriterien für ein selbsthilfefreundliches Krankenhaus

gegeben werden.

Ein weiteres Beispiel sind die Kooperationsberatungsstellen für

Selbsthilfegruppen und Ärzte (KOSA), die an sechs Standorten

bei den Kassenärztlichen Vereinigungen als Bindeglied zwischen

Ärzteschaft und Selbsthilfe eingerichtet wurden. Sie sollen deren

Zusammenarbeit fördern, etwa durch die Einbeziehung der

Selbsthilfe in ärztliche Qualitätszirkel, und so zu einer

Verbesserung der ambulanten Versorgung beitragen.

Empfehlenswerte Literatur:

Trojan/Bellwinkel/Bobzien/Kofahl/Nickel:

Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheits-wesen. Wie

sich selbsthilfebezogene Patientenorientierung

systematisch entwickeln und verankern lässt.

Bremerhaven 2012

Selbsthilfefreundliches Krankenhaus - auf dem Weg

zu mehr Patientenorientierung. Ein Leitfaden für

interessierte Krankenhäuser. BKK Bundesverband

2008

Der Patient im Mittelpunkt - Netzwerk

Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im

Gesundheitswesen. Berlin 2012

Kontakt: Marion Panek Sozialamt Dresden Email: [email protected]

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3.2 Workshop „Dresden bewegt sich“ (1) Auswirkungen körperlicher Aktivität auf die Gesundheit - Konsequenzen für die Praxis von Prof. Dr. Peter Schwarz

Individuelle Intervention stimuliert Erfolg

Es wird immer wieder diskutiert, ob es wichtiger ist, sich mehr zu

bewegen oder die Ernährung umzustellen. Die wissenschaftliche

Evidenz zeigt heute ganz klar, dass das Entscheidende eine

nachhaltige Lebensstiländerung ist, die individuell umgesetzt

werden muss [1]. Dabei ist es zweitrangig, ob eine Risikoperson

ihre Ernährung umstellt oder sich mehr bewegt. Es ist wichtiger,

dass die Risikoperson nachhaltig ihren Lebensstil in kleinen

Schritten ändert und dabei auf den Aspekt der

Lebensstiländerung setzt, der ihr leichter fällt. Um eine

nachhaltige Lebensstiländerung zu erreichen, werden

strukturierte Interventionsprogramme empfohlen. Die Evidenz

zeigt hierbei, dass die Regelmäßigkeit eines

Interventionskontaktes stärker mit einem Präventionserfolg

assoziiert ist als die Intensität. Das ermöglicht eine gute Chance,

um Interventionsprogramme verstärkt mit Krankenkassen

umzusetzen, die Internet, Telefonanrufe und andere Medien für

einen kontinuierlichen Kontakt einsetzen.

Dem Diabetes davonlaufen

Einiges haben wir in den letzten 2 Jahren im Hinblick auf

Bewegung und Diabetesprävention gelernt. Eine lange Zeit hat

die Bewegung ein Schattendasein hinter der Ernährung geführt.

Wir lernen aber im Moment, dass die Bewegung einen

bedeutsameren Anteil hat. Pathophysiologisch macht das Sinn

[1]. Durch mehr Bewegung baut man mehr Muskelmasse auf

und diese Muskelmasse ist direktes Zielgewebe der

Insulinwirkung. Sie verbessert eine bestehende Insulinresistenz

und nimmt vermehrt Glukose auf, was sich beides direkt positiv

auf eine Verhinderung eines Diabetes auswirkt. Von Thomas

Yates in England wurde im Rahmen der PREPARE Studie

untersucht, wie viele Schritte notwendig sind, um effektiv

Diabetes zu verhindern. Im Rahmen des Programms „Walking

away from Diabetes“ wurde eine größere Gruppe von Probanden

über 2 Jahre verfolgt [2]. Es zeigte sich, dass 1.000 Schritte

zusätzlich am Tag über 1 Jahr den postprandialen

Glukosespiegel stärker senken(1,2mmol/l) als das durch eine

durchschnittliche Diabetestherapie erreicht werden kann. Das

sind sehr gute Ergebnisse, wissen wir doch, dass das

regelmäßige Tragen eines Schrittzählers über einen Zeitraum

von 3 Monaten dazu führen kann, dass Probanden 1.500 –

2.000 Schritte pro Tag mehr laufen.

Das direkte Feedback vom Schrittzähler führt dazu, dass die

Probanden intrinsisch motiviert sind und häufig, ohne es bewusst

wahrzunehmen, mehr Schritte machen, als ohne den

Schrittzähler. Allerdings liegt die durchschnittliche Schrittzahl bei

Deutschen unterhalb von 3.000 Schritten pro Tag. „TIPP:“

Empfohlen für einen aktiven Lebensstil sind 10.000 Schritte

täglich. Auch wenn unser inaktiver Alltag von diesem Ziel weit

entfernt ist, kann das Tragen eines Schrittzählers ein

niedrigschwelliges effektives Interventionsinstrument sein, um

Menschen zu mehr Bewegung anzuhalten und die diskrete

Steigerung des Bewegungsalltags kann sich effektiv auf eine

Verhinderung eines Diabetes auswirken. Damit eröffnet sich eine

neue Chance für die Entwicklung von Interventionsprogrammen,

die einen Schrittzähler einsetzen und Menschen somit

stimulieren, „ihrem Diabetes davon zu laufen“. Eine nachhaltige

Lebensstiländerung, die dazu führt, dass ich täglich 1.000 mehr

Schritte laufe und mehr Ballaststoffe zu mir nehme, hilft

nachweislich, mein Risiko für einen Typ 2 Diabetes zu senken[1].

Praxisbeispiel zur Diabetesprävention Es wird immer wieder darüber diskutiert, ob Diabetesprävention eine ärztliche Aufgabe ist oder in einem ärztlichen Setting stattfinden muss. Wir denken, dass der Bereich erfolgreicher Diabetesprävention außerhalb des ärztlichen Settings sehr groß sein kann, allerdings im ärztlichen Setting der Arzt eine Schlüsselposition in der Motivation der Risikopersonen hat, um sie initial zur Teilnahme an Präventionsmaßnahmen zu bewegen. Wie kann aber ein Praxisbeispiel nicht-ärztlichen Settings aussehen? Stellen Sie sich vor, Sie identifizieren eine Risikoperson mit viszeraler Adipositas (Taillenumfang 103cm) im Alter von 40 Jahren mit einer positiven Familienanamnese und einem FINDRISK Score von 15. Diese Person hat ein deutlich erhöhtes Diabetesrisiko, fühlt sich aber gesund. Macht Diabetesprävention bei dieser Person Sinn? Unbedingt! Statistisch gesehen kann diese Person in den nächsten 5 bis 8 Jahren einen Diabetes mellitus entwickeln und hat jetzt schon eine bestehende Insulinresistenz. Dem kann man am allerbesten mit körperlicher Bewegung und einer gesünderen Ernährung vorbeugen. Was können wir dieser Person empfehlen? Mit 10.000 Schritten, die diese Risikoperson täglich läuft, kann der Taillenumfang um 8 bis 12 cm abnehmen (damit ist die Person im gesunden Bereich) und die Insulinresistenz kann durch eine Reduktion des viszeralen Fettes und Aufbau von etwas Muskelmasse signifikant erhöht werden. Also empfehlen Sie dieser Person einen Schrittzähler und begleiten Sie sie mit einem Interventionsprogramm, einer Schulung, regelmäßigen Newslettern per Email oder auch Telefonanrufen, um sie bei der Stange zu halten, damit sie täglich ihre 10.000 Schritte erreicht. Vielleicht hilft dieser Person auch die Teilnahme an einem Schrittwettbewerb in der Arztpraxis, in der Firma oder im privaten Umfeld. Vielleicht kann diese Person sogar gegen Sie selbst mit ihrem Schrittpensum antreten und so nachhaltig erfolgreich 10.000 Schritte pro Tag umsetzen und ihren Diabetes verhindern.

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Curriculum für die Ausbildung zum Präventionsmanager

Das Projekt mit dem Akronym IMAGE (Development and

Implementation of a European Guideline and Training Standard

for Diabetes Prevention) ist die erste Initiative, die europäische

Standards für eine konsequente Steuerung der Primärprävention

von Diabetes mellitus Typ 2 entwickelt hat (Schwarz, Gruhl et al.

2007). Wesentliche Ziele des Projektes waren die Erstellung

einer europäischen Leitlinie zur Diabetes-Prävention, die

Entwicklung eines Curriculums für Präventionsmanager und die

Entwicklung einer europäisch einheitlichen Strategie für

Qualitätsmanagement von präventiven

Interventionsmaßnahmen. In vielen Arbeitsgruppen und

Plenarsitzungen haben sich über 100 Experten aus der

europäischen Union und den angrenzenden Ländern zu den

eben genannten Bausteinen Gedanken gemacht. Eines der

Ergebnisse des IMAGE Projektes mit weitreichender praktisch

struktureller Relevanz war die Erstellung eines europäischen

Curriculums für die Ausbildung zum Präventionsmanager [3],

welches nun in Sachsen für interessierte Gesundheitsberufler

vom TUMAINI Institut für Präventionsmanagement (GmbH)

angeboten werden kann.

In erster Linie ist der Präventionsmanager die Person, die ein

Interventionsprogramm in Gruppen mit den zu betreuenden

Risikopersonen durchführt. Darüber hinaus liegt es in der

Verantwortung des Präventionsmanagers, die Kommunikation

mit anderen Partnern in Netzwerkstrukturen aufzubauen und

aufrechtzuerhalten. Bis zu einem gewissen Grad gehören auch

Aufklärung und Screening zu seinen Aufgaben. Ein

entscheidender Teil besteht in der Organisation der

Durchführung von Interventionsprogrammen und deren

Evaluation. Im Rahmen der Intervention liegt der Schwerpunkt in

den Bereichen Verhaltensänderung und Motivation und – darin

einfließend - Lebensstilaspekte mit Ernährungs- und

Bewegungsschwerpunkt.

Die generelle Struktur des Curriculums für die Ausbildung eines

Präventionsmanagers besteht aus einer Vorkursphase, die von

einer E-Learning Plattform unterstützt wird. Wochen vor Beginn

eines Ausbildungskurses kann sich der Präventionsmanager

anhand von vorbereiteten Materialien im Selbststudium mit dem

Fachschwerpunkt auseinandersetzen. Dem schließt sich eine

direkte Schulung an, in der an sieben Tagen der

Präventionsmanager mit den notwendigen Anforderungen

vertraut gemacht wird. Dieser Prozess wird durch Gruppenarbeit

unterstützt und die Gruppen oder der einzelne

Präventionsmanager präsentieren die Ergebnisse vor den

jeweils anderen. Im Anschluss an den Präsenzkurs schließt sich

eine dritte Phase an, während der der Präventionsmanager

schon mit seinem Interventionsprogramm beginnt. Begleitend

hierzu schreibt er eine zusammenfassende Hausarbeit. In dieser

stellt der Präventionsmanager seine Interventionsstruktur, sein

Arbeitsumfeld, sein Netzwerk und seine Schwerpunkte in der

Intervention dar. Das Ziel hierbei ist, dass der

Präventionsmanager seinen eigenen Businessplan erarbeitet,

um damit die Erfolgschancen bei der Umsetzung zu erhöhen.

Alle Kursschritte sollen sich nicht länger als 6 Monate hinziehen

und werden von einem lokalen oder auch europäischen Alumni-

Netzwerk unterstützt. Das Schulungs-Curriculum besteht aus 8

Modulen (7x Schulung + 1x Projektarbeit-Präsentation). Nach

dem Kurs wird vom TUMAINI Institut ein Jahr Supervision für die

Präventionsmanager bei Start ihrer Präventionsprogramme

angeboten und von Qualitätszirkeln unterstützt. Der

Schwerpunkt der Ausbildung liegt auf einem „Skills Training“, da

aus den bekannten Evaluationsstudien ein klarer

Zusammenhang zwischen der Interaktionsfähigkeit des

Präventionsmanagers mit den Risikopersonen und einem

Präventionserfolg zu verzeichnen war. Das Augenmerk in der

Ausbildung liegt dabei auf einer erfolgreichen

Lebensstiländerung und nicht auf dem Aspekt

Wissensvermittlung. Interessierte können sich dazu gerne bei

Autor informieren.

Literatur:

1. Schwarz PE, Greaves CJ, Lindstrom J, Yates T, Davies MJ (2012)

Nonpharmacological interventions for the prevention of type 2 diabetes

mellitus. Nat Rev Endocrinol 8: 363-373.

2. Yates T, Davies MJ, Sehmi S, Gorely T, Khunti K (2011) The Pre-

diabetes Risk Education and Physical Activity Recommendation and

Encouragement (PREPARE) programme study: are improvements in

glucose regulation sustained at 2 years? Diabet Med 28: 1268-1271.

3. Kronsbein P, Fischer MR, Tolks D, Greaves C, Puhl S, et al. (2011)

IMAGE - Development of a European curriculum for the training of

prevention managers. Br J Diabetes Vasc Dis 11: 163-167.

Kontakt: Prof. Dr. Peter E.H. Schwarz Abteilung Prävention und Versorgung des Diabetes, Medizinische Klinik III, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden E-mail: [email protected]

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(2) Projekt „Fit für 100“ der Deutschen Sporthochschule von Frank Nieder

„fit für 100“ ist als Projekt in Nordrhein-Westfalen unter

wissenschaftlicher Leitung von Prof. Dr. Heinz Mechling am

Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie in der

Trägerschaft der Deutschen Sporthochschule Köln von 2005-

2007 durchgeführt worden.

Vorrangiges Ziel war es, durch ein auf die teilnehmenden

hochaltrigen Menschen abgestimmtes Kraft- und

Koordinationstraining die motorischen und sensorischen

Fähigkeiten sowie die Alltagskompetenzen zu stärken, um die

Mobilität und die Selbstständigkeit zu erhöhen bzw. möglichst

lang zu erhalten.

Die Trainingsgruppen wurden in ambulanten sowie in teil- und

vollstationären Versorgungsstrukturen der Altenhilfe angeboten.

Demenziell erkrankte Menschen wurden in Gruppen integriert

bzw. in 2 Gruppen trainierten ausschließlich Menschen mit einer

Demenz.

Insgesamt absolvierten in der 1-jährigen Untersuchungsphase

152 hochaltrige Menschen zweimal wöchentlich für jeweils 60

Minuten ein Krafttraining. Die Kräftigungsübungen wurden

ergänzt durch Übungen zur Koordinationsverbesserung.

Im Bereich der Schulterbeweglichkeit, der isometrischen

Handkraft, der Beinkraft sowie des Wohlbefindens wurden teils

deutliche Verbesserungen erzielt. Indikatoren der

Pflegebedürftigkeit blieben stabil, dem altersbedingten

Muskelabbau konnte entgegengewirkt und einige Aktivitäten des

täglichen Lebens konnten wiederhergestellt werden.

Fragen zum subjektiven Wohlbefinden der Teilnehmer und zur

Einschätzung des Programms wurden positiver bewertet.

Teilnehmende berichteten immer wieder voller Begeisterung von

ihren persönlichen Erfolgen. In einer Altersgruppe, in der die

Menschen eine Zunahme ihrer Defizite erleiden, ist der Erfolg

von besonderer Bedeutung und stärkt das subjektive

Wohlbefinden und letztendlich die Lebensqualität. Die

Indikatoren der kognitiven Leistung blieben stabil – auch bei

Demenzkranken.

Angeregt und ermutigt durch die Erkenntnisse der ersten

Untersuchung richteten sich die Aktivitäten des Projektteams von

Juni bis Dezember 2007 im Rahmen einer Pilotstudie auf die

Personengruppe der demenziell erkrankten Menschen und deren

Angehörige.

Zum einen, da zwei Drittel der dementiell erkrankten Menschen

zu Hause versorgt werden, zum anderen weil der

gesundheitliche Zustand der pflegenden Angehörigen deutlich

schlechter ist, als bei gleichaltrigen nicht pflegenden Menschen.

Somit sollten die positiven Auswirkungen bewegungsbezogener

Aktivitäten für Therapie und Prävention genutzt werden.

Als Ergebnisse der Pilotstudie kann festgehalten werden, dass:

ein gezieltes Training möglich ist. Die Übungen des

Programms werden gelernt!

ein Trainingsumfang von 60 min realistisch ist!

die subjektiv empfundene Lebenssituation besser beurteilt

wird!

die erlebte Leistungsfähigkeit zu Stolz und Wohlbefinden

führt, die Zuwendung zu Freude!

Ab dem Jahr 2009 wurden die Erkenntnisse der Pilotphase in

„NADiA – Neue Aktionsräume für Menschen mit Demenz und

ihre Angehörigen an einer größeren Zahl von Probanden

untersucht.

Bei NADiA handelt es sich um das 2012 beendete

Forschungsvorhaben von „fit für 100“. In Kooperation mit den

Demenzservice Zentren NRW wurde den noch in der eigenen

Häuslichkeit lebenden demenziell erkrankten Menschen und

ihren pflegenden Angehörigen das Trainingsangebot im Rahmen

niedrigschwelliger Betreuung zugänglich gemacht. Das

gemeinsame Training ist als Ergänzung und Bereicherung der

bestehenden Hilfen für Menschen mit Demenz und ihren

Angehörigen zu verstehen und soll durch seine

Niedrigschwelligkeit den Zugang in das bereits existierende

Hilfesystem erleichtern sowie eine wohnortnahe Nutzung

ermöglichen. Inhaltlich wurden durch das praxisnahe und

evaluierte ff100-Bewegungsprogramm Demenzkranke und deren

Angehörige gleichermaßen trainiert. Eine gesteigerte

Kraftfähigkeit, eine Verbesserung der Reaktions- und

Gleichgewichtsfähigkeit und eine positive Wirkung auf die

geistige Leistungsfähigkeit sollen die Alltagskompetenz der

Demenzkranken verbessern, sowie einen Beitrag zu deren

Sturzprävention leisten. Der Angehörige auf der anderen Seite

profitiert sowohl durch die Stärkung der körperlichen und

psychischen Ressourcen, als auch durch eine Steigerung der

Kraftfähigkeit. Dadurch soll die aktuelle Pflegebelastung

reduziert und der Angehörige optimal auf die zukünftige Pflege

vorbereitet werden.

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Die bisherigen Ergebnisse zeigen:

1. Es ist möglich, ein progressiv gesteigertes

Krafttrainingsprogramm mit Demenzkranken durchzuführen. Die

Steigerung der Trainingsgewichte war bei den zwei weiteren

Messzeitpunkten signifikant höher im Vergleich zum

Ausgangsniveau. Dies gilt sowohl für die Arm- und Beingewichte,

als auch für Demenzkranke und Angehörige gleichermaßen. Es

zeigte sich, dass bei den Demenzkranken, bei denen die

Trainingsgewichte über die Interventionszeit gesteigert wurden,

die Handkraft konstant gehalten werden konnte. Dagegen nahm

die Handkraft bei den Demenzkranken ab, bei denen die

Trainingsgewichte gleich gehalten oder reduziert wurden. Die

grundsätzliche Trainierbarkeit ist auch bei demenziell erkrankten

Menschen gegeben, grundlegende Trainingsprinzipien sind zu

beachten.

2. Die Rückmeldungen von Teilnehmern und Übungsleitern

zeigten, dass sie die positiven Auswirkungen primär auf der

physischen Ebene wahrnehmen. Allerdings betonten sie auch

die positiven Effekte auf der psycho-sozialen Ebene, wobei der

Austausch untereinander und die Freude an Bewegung im

Vordergrund standen.

3. Durch das Projekt NADiA wurden bis heute 16 als

niedrigschwellig anerkannte Betreuungsangebote geschaffen.

Das entspricht 5632 Betreuungsfällen pro Jahr bezogen auf die

Demenzkranken. Diese Zahl verdoppelt sich bei Hinzurechnung

der Kontakte für die Angehörigen.

Unser Fazit: Bewegungsangebote für eine älter werdende

Gesellschaft müssen nicht alters- sondern fähigkeitsadäquat

bereitgehalten werden. Junge und junggebliebene,

leistungswillige Ältere können deutlich gefordert werden. Ebenso

brauchen Demenzkranke keine Schonräume, sondern

Angebotsräume, in denen sie -auch gemeinsam mit den

pflegenden Angehörigen- tätig werden können. Die Verknüpfung

von entlastenden Angeboten mit gesundheitssportlichen Inhalten

erscheint sinnvoll. Der nicht in erster Linie problemorientierte

Zugangsweg -nicht die Demenz, sondern der Sport stehen im

Vordergrund- erleichtert den Zugang zu diesem

niedrigschwelligen Betreuungsangebot

Kontakt: Frank Nieder Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie Deutsche Sporthochschule Köln Email: [email protected]

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3.3 Workshop „Frühe Hilfen - eine Herausforderung für die Kommune“ (1) Kinderschutz und Frühe Hilfen in Dresden von Viviane Röhr

Kinderschutz ist nicht nur eine Aufgabe des Jugendamtes,

sondern im Grundsatz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Dabei sind insbesondere auch diejenigen Professionen gefragt,

die beruflich mit Kindern, Jugendlichen und Familien in Kontakt

stehen. Diese können Hilfebedarfe und mögliche Gefährdungen

erkennen und Türöffner für Hilfsangebote sein. Das Jugendamt

hat die notwendigen Hilfs- und Unterstützungsangebote bereit zu

stellen, aber auch im Ernstfall das Kindeswohl zu sichern. Dies

impliziert das staatliche Wächteramt.

Netzwerk für Kinderschutz und Frühe Hilfen

Damit diese Kooperation zum Wohle des Kindes gelingen kann,

haben wir in Dresden das Netzwerk für Kinderschutz und frühe

Hilfen. Das Netzwerk für Kinderschutz und Frühe Hilfen fördert

das gesunde körperliche, geistige und seelische Aufwachsen

von Kindern und trägt zu einem effektiven Schutz des

Kindeswohls bei. Daraus ergibt sich eine doppelte

Aufgabenstellung, zum einen Eltern in der Wahrnehmung ihrer

Erziehungsverantwortung zu unterstützen und zum anderen das

Kindeswohl in Risikosituationen durch klare Hilfe- und

Kontrollstrategien zu sichern. Die Koordinierungsstelle für das

Dresdner Netzwerk für Kinderschutz ist beim Jugendamt als

Stabstelle angesiedelt.

Das Forum Kinderschutz als zentrales Gremium repräsentiert

das Netzwerk für Kinderschutz und gibt den Professionen in

Dresden Möglichkeit und Raum für gemeinsame

Kinderschutzarbeit.

Es vereint ämter-, institutions- und professionsübergreifend

Kooperationspartner/-innen und bietet eine Gesprächsplattform,

deren Mitglieder als Multiplikatoren/-innen fungieren.

Regelmäßige Arbeitsgruppentreffen finden seit Beginn 2012

vierteljährlich statt. Aufgaben des Forums sind:

Optimierung bereits vorhandener sowie weiterer

Ausbau von Netzwerkstrukturen

Ausbau und Verbesserung der interdisziplinären

Zusammenarbeit

Informationstransfer durch Multiplikatoren/-innen

Transparenz in den Aufgabenbereichen

Mitwirkung bei der Öffentlichkeitsarbeit

Unterarbeitsgruppen bearbeiten unterschiedliche

Themenkomplexe. Beispielsweise entwickelte die AG

Kindeswohl einen Kinderschutzordner im Sinne einer

Handlungsempfehlung zum Umgang mit Verdacht auf

Kindeswohlgefährdungen.

Das Netzwerk für Kinderschutz hat seit Einführung des

Bundeskinderschutzgesetzes mit dem § 3 KKG eine gesetzliche

Grundlage, die die Grundidee des Netzwerkes stärkt, nämlich

eine Verantwortungsgemeinschaft für das Kindeswohl zu bilden.

Der Freistaat Sachsen unterstützt die regionalen Netzwerke auf

Basis des Sächsischen Handlungskonzeptes für präventiven

Kinderschutz.

Ergebnisse

Auf einige Ergebnisse der Arbeit in den Netzwerken möchte ich

an dieser Stelle verweisen.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit konnte in den letzten

Jahren ausgebaut werden, unter anderen auch durch das

vierteljährliche Forum Kinderschutz als interdisziplinäres

Netzwerkforum und seine Unterarbeitsgruppen. Drüber hinaus

hat das Jugendamt Dresden mit einer Reihe von

Kooperationspartnern Kooperationsverträge abgeschlossen,

die die Zusammenarbeit bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung

regelt, beispielsweise mit dem Eigenbetrieb

Kindertageseinrichtungen (2008), dem Sozialamt (2009), dem

Sächsischer Hebammenverband (2009), dem

Schulverwaltungsamt und Bildungsagentur (2010), dem

Gesundheitsamt (2011), dem Kreissportbund (2011) und dem

Jobcenter (2012).

Der Newsletter des Netzwerks für Kinderschutz erschien

erstmals im Sommer 2011 und seitdem vierteljährlich. Er

informiert über den Stand der Netzwerk- und Kinderschutzarbeit

in Dresden, Arbeitsergebnisse des Forums Kinderschutz und der

Unterarbeitsgruppen, aktuelle Themen und Debatten, Projekte,

Weiterbildungen und vieles mehr.

Mit der seit Ende 2011 bestehenden Kinderschutzplattform

www.dresden.de/kinderschutz werden Informationen zu Hilfs-

und Unterstützungsangeboten zielgruppengerecht bereit gestellt.

Eine ausführliche Rubrik für Fachkräfte behandelt alle relevanten

Kinderschutzthemen. Das Netzwerk für Kinderschutz informiert

auf dieser Seite über den aktuellen Stand der Kinderschutzarbeit

in Dresden. Beispielsweise sind die Protokolle des Forums

Kinderschutz, die aktuelle Netzwerkkonzeption und die

Newsletter des Netzwerks für Kinderschutz einsehbar. Damit soll

für die Professionen Transparenz hergestellt werden.

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Neben dem jährlichen Netzwerkfachtag finden zur Qualifizierung der Kinderschutzarbeit Informationsveranstaltungen, Workshops und Schulungen statt. Themen sind:

Umsetzung des § 8a SGB VIII

Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung (Definition, Begrifflichkeit, Handlungsoptionen, gewichtige Anhaltspunkte)

Handlungsempfehlungen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung

hilfreiche Materialien

weiterführende Hilfen

Arbeit des Netzwerks für Kinderschutz

Qualifizierung des Schutzauftrags

Arbeitsweise des Jugendamtes Zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos bei Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung können alle Fachkräfte, die mit Kindern, Jugendlichen und Familien beruflich in Kontakt stehen, eine insoweit erfahrene Fachkraft hinzuziehen. Die Stadt Dresden hat dafür eine Fachkräfteliste veröffentlicht. Ein Fachaustausch der insoweit erfahrenen Fachkräfte wird 2 mal jährlich durch das Jugendamt organisiert. Zur Qualifizierung der Kinderschutzarbeit wurden unterstützende Materialien erarbeitet, die im Dresdner Kinderschutzordner zusammengefasst sind. Eine Reihe von Modellprojekten wurden unterstützt und einige konnten dauerhaft verstetigt werden, beispielsweise die Begrüßungsbesuche in Familien nach Geburt eines Kindes.

Frühe Hilfen

Und die Stadt Dresden konnte als eine der ersten Kommunen in Sachsen die Bundesinitiative Frühe Hilfen umsetzen. Die Bundesinitiative Frühe Hilfen bietet die Rahmenbedingungen und finanziellen Voraussetzungen, um Frühe Hilfen qualitativ und quantitativ auszubauen. Neben dem Ausbau der Koordinationsstruktur für den Bereich Frühe Hilfen, entstanden Aufsuchende Gesundheitshilfen am Gesundheitsamt mit Einsatz von Familienhebammen und das Ehrenamtsprojekt "Gemeinsam mit Eltern - Entlastung für Eltern in überfordernder Situation".

Von den 2012 rund 1.750 im Jugendamt registrierten Informationen über eine mögliche Kindeswohlgefährdung waren 178 Mal Säuglinge unter einem Jahr und in 381 Fällen Kleinkinder vom ersten bis zum dritten Lebensjahr betroffen. Damit macht die Altersgruppe der 0 bis 3jährigen ungefähr ein Drittel aller gemeldeten Verdachtsfälle aus...ein deutliches Signal, dass wir uns dieser Altersgruppe zuwenden müssen und ein deutliches Indiz für die Notwendigkeit der Frühen Hilfen, die deshalb ein wesentlicher Schwerpunkt im Netzwerk sind.

„Frühe Hilfen bilden lokale und regionale Unterstützungssysteme mit koordinierten Hilfsangeboten für Eltern und Kinder ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren mit einem Schwerpunkt auf der Altersgruppe der 0- bis 3-Jährigen.“ so die Definition des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen.

Frühe Hilfen sollen, die gesunde Entwicklung von Kindern fördern, die Entstehung von Gefährdungssituationen verhindern, Be- und Erziehungskompetenzen von Eltern stärken sowie Brücken bauen zur Überwindung von Belastungen oder als Zugang ins weitere Hilfesystem. Frühe Kindheit ist die entscheidende Phase für lebenslange psychische Gesundheit und aus verschiedenen Forschungsprojekten weiß man, Frühe Hilfen lohnen sich (Forschungen Pro Kind).

Frühe Hilfen sind ein Beitrag zum präventiven Kinderschutz. Grundsätzlich richten sich Angebote der Frühen Hilfen in Dresden an alle werdenden Eltern und Eltern mit Kindern bis zu 3 Jahren. Da die kindliche Entwicklung in den ersten Lebensjahren besonders sensibel und störanfällig ist, brauchen werdende Mütter und Eltern mit Risikofaktoren besondere Unterstützung und möglichst frühzeitige und passgenaue Hilfsangebote.

Diese Familien zu erreichen, kann nur dann gelingen, wenn Ansprechpersonen und vertraute Menschen aus dem Lebensumfeld zum „Türöffner“ für die Hilfsangebote werden.

Durch die Arbeit im Netzwerk für Kinderschutz ist es inzwischen selbstverständlich, dass Kinderschutzarbeit nur in einer Verantwortungsgemeinschaft gelingen kann. Alle Professionen, die beruflich mit Kindern, Jugendlichen und Familien in Kontakt stehen, haben die Verantwortung, bei Gefährdungen zu reagieren und auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinzuwirken. Doch auch, wenn noch keine Gefährdung vorliegt, ist es nötig, mögliche Risikofaktoren, Unterstützungsbedarfe und Überforderungssituationen zu erkennen und geeignete Hilfen anzubieten. Im Bereich der frühen Hilfen erfordert dies ein kooperatives Zusammenwirken von Kinder- und Jugendhilfe, Gesundheitswesen, Schwangerenberatungsstellen und Frühförderung. Weitere Informationen zur Kinderschutz- und Netzwerkarbeit in Dresden finden Sie auf www.dresden.de/kinderschutz.

Kontakt: Viviane Röhr Koordinatorin des Netzwerkes für Kinderschutz und Frühe Hilfen Email: [email protected]

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(2) Familienhebammen im Rahmen Früher Hilfen in Dresden von Ramona Blümel

Die Gesundheit eines Kindes ist besonders in der

Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett bis zum Ende des 1.

Lebensjahrs gefährdet. In dieser Zeit werden wesentliche

Voraussetzungen für die gesunde Entwicklung in der weiteren

Kindheit gelegt. Im 1. Lebensjahr sind die Kinder im besonderen

Maße auf die Fürsorge und Pflege von Erwachsenen

angewiesen. Die Gesundheitsförderung, die

Gesundheitsprävention sowie die Förderung der Mutter-/ Vater-/

Kindbindung sind dabei zentral. Schwierige Lebensumstände

oder Belastungen der Eltern erschweren aber eine ausreichende

Versorgung des Kindes. Eine deutlich zunehmende Zahl von

Familien mit Kindern oder werdenden Eltern muss umfassend

unterstützt und das gesunde und gewaltfreie Aufwachsen der

Kinder gesichert werden. Besonders in der Altersgruppe der 0-

bis 3-jährigen ist in den letzten Jahren eine zahlenmäßige

Zunahme der gemeldeten Kindeswohlgefährdungen zu

verzeichnen. Deshalb wird diese Altersgruppe als Zielgruppe für

die Arbeit des Netzwerkes für Kinderschutz und für die Frühen

Hilfen definiert. Im Zuge der Bundesinitiative Netzwerke Frühe

Hilfen und Familienhebammen wurde in Dresden das Konzept

der Aufsuchenden Gesundheitshilfe entwickelt. Ziel der

Aufsuchenden Gesundheitshilfe der Stadt Dresden ist es,

Familien mit einem erhöhten Unterstützungsbedarf bezüglich

gesundheitlicher, medizinisch-sozialer und psycho-sozialer

Risiken zu erreichen und Kindeswohlgefährdungen in enger

Kooperation mit der Jugendhilfe zu erkennen, zu minimieren und

zu vermeiden. Auf dieser Grundlage wurden Familienhebammen

/Familienkinderkrankenschwestern als Aufsuchende

Gesundheitshilfe an das Gesundheitsamt angebunden. Sie

begleiten diese Familien mit einem erhöhten

Unterstützungsbedarf und binden sie an andere Hilfestrukturen

besonders der Jugendhilfe an.

Familienhebammen / Familienkinderkrankenschwestern

verfügen neben ihrem Grundberuf über eine Zusatzausbildung,

die es ihnen ermöglicht, diese Familien psycho-sozial und

gesundheitlich zu beraten, zu betreuen und zu begleiten. Die 5

Mitarbeiterinnen (0,95 VZK; 0,8 VZK; 0,75 VZK; 2mal 0,5 VZK)

der Aufsuchenden Gesundheitshilfe betreuen mit ihrem

niedrigschwelligen, präventiven Hausbesuchsprogramm Familien

von der Schwangerschaft bis zum 1. Geburtstag des Kindes.

Eine Begleitung durch die Familienhebamme /

Familienkinderkrankenschwester kann jederzeit

- unabhängig vom Alter des Kindes - beginnen.

Ein frühzeitiger Kontakt – am besten in der Schwangerschaft - zu

den hochbelasteten Familien ist eine Chance für frühzeitige

Unterstützungsmöglichkeiten und für eine verbesserte

Ausgangslage für die junge Familie. Originäre

Hebammentätigkeiten werden dabei als Zugangsweg genutzt.

Die Familienkinderkrankenschwester stärkt die elterlichen

Kompetenzen insbesondere von Familien mit behinderten oder

chronisch kranken Kindern, bei Frühgeborenen sowie Kindern

mit Regulationsstörungen.

Die Aufsuchende Gesundheitshilfe begleitet Familien mit einem

besonderen Unterstützungsbedarf bezüglich gesundheitlicher,

medizinisch-sozialer und psycho-sozialer Risiken, wie z.B.

mit Verunsicherung bezüglich der gesundheitlichen

Entwicklung des Kindes

mit höherer Kinderzahl (besonders Kleinkinder)

mit minderjährigem Elternteil

in denen Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen

bestehen

die von häuslicher Gewalt bedroht oder betroffen sind

mit Migrationshintergrund und fehlender Einbindung

in das Gesundheitssystem

mit chronischer Erkrankung oder Frühgeburt des

Kindes

mit behinderten Elternteil

mit psychisch- oder suchtkrankem Elternteil

In der präventiv ausgerichteten Begleitung der Familien durch

die Mitarbeiterinnen der Aufsuchenden Gesundheitshilfe liegt

das Augenmerk auf die:

Förderung / Beobachtung der Eltern-Kind-Bindung

Beobachtung der körperlichen, neurologischen und

emotionalen Entwicklung des Kindes

sowie auf die Förderung der Elternkompetenzen und

-ressourcen.

Die Familienhebamme / Familienkinderkrankenschwester hat als

großes Ziel die Gesundheitsprävention und -förderung der

ganzen Familie. Dies schließt die Beratung und Anleitung der

Eltern zur altersentsprechenden Ernährung, Pflege und

Förderung des Kindes sowie das Hinwirken auf die Teilnahme an

Vorsorge- und Präventionsmaßnahmen für Mutter und Kind mit

ein. Eltern mit eingeschränkter Fähigkeit zur Alltagsbewältigung

werden durch die Mitarbeiterin der Aufsuchenden

Gesundheitshilfe unterstützt, betreut und angeleitet. In der

präventiven Begleitung von Familien gilt immer der Grundsatz

der Hilfe zur Selbsthilfe. Ziel der Betreuung ist es, Eltern zu

befähigen, viele Aufgaben und Wege im Laufe der Begleitung

selbst zu übernehmen. Eine anfängliche Begleitung der Eltern zu

Ärzten oder Institutionen ist aber oft erforderlich. Die Netzwerk-

und Kooperationsarbeit der Familienhebamme /

Familienkinderkrankenschwester zur Schließung von

Versorgungslücken nimmt einen großen Teil ihrer Arbeit ein. Sie

fungiert als Lotsin im interdisziplinären Netzwerk zur Betreuung

von Familien.

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Es gilt, die Familien in bestehende Angebote ihres sozialen

Umfeldes zu integrieren oder in weitere Hilfen überzuleiten. Eine

multiprofessionelle Kooperation und Vernetzung von

Institutionen und Angeboten des Gesundheitswesens, der

Schwangerschaftsberatung, der Kinder- und Jugendhilfe sowie

weiterer sozialer Dienste sind für die Integration der

Aufsuchenden Gesundheitshilfe in das bestehende Netzwerk

sowie für die effektive Arbeit der Familienhebamme /

Familienkinderkrankenschwester unabdingbar.

Aufgrund ihres Tätigkeitsprofils wird die Aufsuchende

Gesundheitshilfe in die sekundäre und tertiäre Prävention

eingeordnet. Im Bereich der selektiven Sekundärprävention steht

die Förderung und Hilfe unterstützungsbedürftiger Eltern im

Vordergrund und die Mitarbeiterin der Aufsuchenden

Gesundheitshilfe ist neben anderen Helfersystemen der

Hauptansprechpartner für diese Familie.

Bei einer Kindeswohlgefährdung - also innerhalb der indizierten

Tertiärprävention - agiert die Familienhebamme /

Familienkinderkrankenschwester nur unterstützend zu den

Hilfesystemen der Kinder- und Jugendhilfe. Die Mitarbeiterinnen

der Aufsuchenden Gesundheitshilfe üben keinen Schutzauftrag

nach §8a SGB VIII und übernehmen keine Kontrollfunktion.

Die Stadt Dresden - als Geburtenhauptstadt Deutschlands -

nimmt in Sachsen eine Vorreiterfunktion ein. Als erste Kommune

wurde bereits 2012 mit der Umsetzung der Bundesinitiative

Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen begonnen und

mit der Aufsuchenden Gesundheitshilfe ein freiwilliges und

kostenloses Angebot zur Unterstützung von sozialbelasteten

Familien geschaffen. Die Arbeit der Frühen Hilfen am

Gesundheitsamt wird sachsenweit als Beispiel vorgezeigt. Die

Aufsuchende Gesundheitshilfe wurde an das Gesundheitsamt

angebunden und in die Strukturen des Kinder- und

Jugendärztlichen Dienst integriert. Durch ein präventives,

ganzheitliches und teilstrukturiertes Hausbesuchsprogramm

können Familien mit einem erhöhten Unterstützungsbedarf von

der Schwangerschaft bis zum 1. Geburtstag des Kindes begleitet

werden. Die Häufigkeit der Hausbesuche wird dem Bedarf der

Familie angepasst und im Durchschnitt 1-2-mal wöchentlich

betragen. Die Aufsuchende Gesundheitshilfe ist in das Netzwerk

für Kinderschutz integriert und basiert auf einer engen

Kooperation zwischen dem Gesundheitsamt und dem

Jugendamt. Der Zugang zu diesem präventiven

Unterstützungsangebot für die Eltern erfolgt durch die

Selbstmeldung oder durch die Kooperationspartner innerhalb

des Kinderschutznetzwerkes. In den ersten 3 Monaten der

Aufsuchenden Gesundheitshilfe konnten bereits 23 Familien

betreut werden, die zum größten Teil (6 an der Zahl) durch das

Jugendamt vermittelt wurden.

In einer ersten kommunalen Evaluation (16.3.2013) ließ sich

erkennen:

Besonders junge Mütter (18 - 24 Jahre) nahmen die

Hilfe in Anspruch.

Erkrankungen der Mutter (psychische Erkrankungen,

geistige „Einschränkungen“, Drogenerkrankung),

psycho-soziale Belastungen und ein erhöhter Bedarf

des Kindes (Frühgeburt, Mehrlinge) waren am

häufigsten der Anlass für eine Betreuung.

Schwerpunkte der Arbeit der Familienhebammen /

Familienkinderkrankenschwester lagen in den

Bereichen:

Gesundheit des Kindes

Gesundheit Mutter / Vater

Förderung des Kindes

Alltagsstrukturierung

Stärkung der Mutter-/ Vater-/ Elternrolle

Einbindung in das soziale Netz

In den nächsten Monaten gilt es, die vorhandenen

Arbeitsstrukturen und Umsetzungen der Konzeptionsvorgaben

mit den Zielen der Effektivität, der Qualitätsentwicklung und -

sicherung sowie der Evaluierbarkeit weiterzuentwickeln. Die

Mitarbeiterinnen der Aufsuchenden Gesundheitshilfe nutzen die

Möglichkeit der Hospitation, um die Erfahrungen anderer Städte

(bzw. Frankfurt / Main) aus dem Einsatz von Familienhebammen

/ Familienkinderkrankenschwestern in die Entwicklung von

Arbeitsstrukturen in Dresden einfließen zu lassen.

Kontakt: Ramona Blümel KJÄD / Aufsuchende Gesundheitshilfe Dresden Email: [email protected]

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(3) Niedrigschwellige, aufsuchende Arbeit durch Familienhebammen - Erfahrungen aus Frankfurt von Dr. Peter Neumann

Die Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt am Main hat

2007 beschlossen, vom Amt für Gesundheit im Benehmen mit

dem Jugend- und Sozialamt ein Konzept zur Verbesserung des

Kinderschutzes erarbeiten zu lassen. Hierbei sollten die

medizinischen Fachkenntnisse sowie Möglichkeiten aktiv in die

Kinderschutzarbeit eingebracht werden.

Im Spätherbst 2008 konnte das neue Konzept letztendlich

umgesetzt werden. Dem Jugend- und Sozialamt wurden hierfür

13 Stellen neu zugeordnet. Hier wurde ein nahezu rund um die

Uhr fernmündlich erreichbares Team geschaffen, welches

sowohl mit städtischen als auch externen Stellen eng vernetzt

ist.

Im Weiteren wird auf die Arbeit des Teams „Frühe Hilfen“ des

Amtes für Gesundheit eingegangen. Hier wurden der Abteilung

Kinder- und Jugendmedizin 2 Kinderarztstellen sowie 5 Stellen

für Kinderkrankenschwestern bzw. Familienhebammen

zugeordnet, die mit 6 Mitarbeiterinnen besetzt werden konnten.

2012 kamen noch weitere 3 Stellen für Kinderkrankenschwestern

bzw. Familienhebammen hinzu. Die Teams des Jugend- und

Sozialamtes sowie des Amtes für Gesundheit arbeiten eng und

vertrauensvoll zusammen.

Die Kinderkrankenschwestern und Familienhebammen betreuen

gemeinsam mit den Kinderärztinnen und –ärzten des Amtes für

Gesundheit besonders belastete, beratungsbedürftige Familien

präventiv und auf freiwilliger Grundlage, d. h., die Familien

stimmen möglichst schon vor oder kurz nach der Geburt dieser

Betreuung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes

für Gesundheit schriftlich und freiwillig zu. Je nach aktuellem

Bedarf erfolgen dann Hausbesuche, bei denen die

gesundheitlichen Aspekte des Kindes im Vordergrund stehen. Es

wird regelmäßig das Körpergewicht und die Körperlänge

überprüft sowie der Ernährungs- und Pflegezustand beurteilt.

Selbstverständlich gehört die Beurteilung von weiteren Faktoren

auch dazu (Versorgung des Kindes mit altersgerechter Nahrung,

Kleidung und Spielzeug, Wohnsituation, Haltung von Haustieren,

Arztbesuche, Zusammenarbeit mit diversen Ämtern, Jobcenter

usw.). Diese rein präventive, bedarfsangepasste Tätigkeit kann

beendet werden, wenn eine tragfähige Mutter-Kind-Bindung

besteht, die körperliche sowie seelische Entwicklung des Kindes

unauffällig sind und die Familie in Weiterbetreuung bspw. eines

freien Trägers übergeht und/oder die präventiven Angebote des

Jugend- und Sozialamtes annehmen kann.

Regelmäßige Teambesprechungen sowohl innerhalb der

Abteilung als auch insbesondere bei Problemen des Schutzes

des Kindeswohls mit dem Kinderschutzteam des Jugend- und

Sozialamts sichern die hohe Qualität der Betreuung.

Selbstverständlich können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

an einer externen Supervision teilnehmen, Teilnahme an

diversen Fortbildungsmaßnahmen wird gewährt und gefördert.

In der Folge werden die Ergebnisse der nach einem Jahr

durchgeführten externen Evaluation des Projekts vorgestellt. Der

sehr kurze Zeitrahmen musste aufgrund der Vorgaben der Politik

eingehalten werden. Bei der Evaluierung wurde eine Analyse der

Falldokumentationen (N=92) im ersten Projektjahr durchgeführt,

die durchschnittliche Betreuungsdauer betrug 22 Wochen, wobei

allerdings rund 1/3 der Familien länger als 33 Wochen betreut

wurden. Es wurde festgestellt, dass

die im Konzept angepeilte Zielgruppe erreicht wurde

die Betreuungsschwerpunkte dem Konzept

entsprachen

Trotz der Kürze des Evaluationszeitraums bereits

eine Verbesserung der Gesamtsituation bei mehr als

einem Drittel der betreuten Familien festgestellt

werden konnte (insbesondere die Ziele „Gesundheit“

sowie „Entwicklung“ des Kindes)

Erwartungsgemäß soziostrukturelle Probleme der

Familien (insbes. Arbeitslosigkeit) kaum beeinflussbar

waren

In über 53% der Fälle eine Verbesserung der

Situation nach 6 – 12 Monaten Betreuungszeit gegen

nur knapp 29% nach einer Betreuungszeit von 2 – 5

Monaten festzustellen war

Besonders belastete Familien überdurchschnittlich

viele Probleme in der schwerbeeinflussbaren

Problemkategorie „Alltag der Mutter“ sowie

„Gesundheit Kind“ aufwiesen

Diese Familien am längsten und am intensivsten

betreut wurden

Sie am häufigsten die Merkmale „ohne

Migrationshintergrund (knapp 67% gegen 47% in der

Gesamtgruppe), „ohne Ausbildung“ sowie

„Drogenkonsum“ aufwiesen

Diese Gruppe 4x so häufig ohne eigenen Haushalt

bei den Eltern lebte

In dieser – sehr belasteten und besonders intensiv

betreuten Gruppe – es erfreulicherweise zu keiner

Inobhutnahme eines Kindes kam

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In der Zeit von 10/2008 bis 02/2013 wurden insgesamt 444

Familien betreut; derzeit (03/2013) befinden sich 42 Familien in

laufender Betreuung, diese konnte mittlerweile bei 402 Familien

abgeschlossen werden. In 347 Fällen wurden die Familien von

dritter Seite an das Amt für Gesundheit vermittelt, 97 Familien

meldeten sich selbst an.

Die Umsetzung des Konzeptes ist als erfolgreich zu bezeichnen.

Die Anbindung der medizinischen Fachkräfte an das Amt für

Gesundheit war richtig, da dies den Zugang zu den Familien

wesentlich erleichterte und die letztendliche Anbindung auch an

das Jugend- und Sozialamt auch mit seinen präventiven

Angeboten ermöglichte.

Kontakt: Dr. Peter Neumann Gesundheitsamt Frankfurt am Main Email: [email protected]

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3.4 Workshop „Gesundheitliche Chancengleichheit“ (1) „KiNet“ und „Aufwachsen in sozialer Verantwortung“ des EB Kindertageseinrichtungen von Jenny Matuschke

Das gesunde Aufwachsen von Kindern ist eines der wichtigsten

Anliegen der gesamten Gesellschaft. Neben den Müttern und

Vätern nehmen Kindertageseinrichtungen und Schulen ihre

Verantwortung für die Möglichkeiten und Chancen, wie sich

Kinder entwickeln und entfalten, wahr. Die ungleichen

Aufwachsbedingungen von Kindern fordern Institutionen der

Erziehung, Bildung und Sozialisation zunehmend heraus,

gemeinsam mit Familien und in der ressortübergreifenden

Zusammenarbeit bestehende Strukturen kritisch zu hinterfragen

und einer konzeptionellen, strukturellen und inhaltlichen

Weiterentwicklung Raum zu geben.

Das Modellprojekt „KiNET – Netzwerk für Frühprävention,

Sozialisation und Familie“ und das Handlungsprogramm

„Aufwachsen in sozialer Verantwortung“ sind eine Antwort der

Landeshauptstadt Dresden auf diese Entwicklung und tragen

dazu bei, Kindern ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen.

1. Das Modellprojekt – KiNET 2005-2010

Jugendamt, Kinder- und Jugendärztlichem Dienst, Sozialamt,

Stadtplanungsamt und dem Eigenbetrieb

Kindertageseinrichtungen zu aktuellen Problemkonstellationen

und veränderten Bedarfslagen im Sozialraum. Sie beschrieben

hohe professionelle Unterstützungsbedarfe bei Familien und

Kindern sowie bei Fachkräften im Stadtteil, insbesondere in

Kindertageseinrichtungen.

Ausgehend von den Wahrnehmungen der Akteure und den

alarmierenden Untersuchungsergebnissen der Vierjährigen (Kita-

Screening) im Bereich der Sprache1 wurden Handlungsansätze

formuliert und ein stadteilbezogenes Gesamtkonzept erarbeitet.

Grundlegendes Ziel von KiNET als Projekt mit Modellcharakter

war die Entwicklung eines übertragbaren sozialraumorientierten

Konzeptes für Frühprävention. das empirisch rückgebunden und

begleitet wird, um mögliche Handlungsansätze für Familien,

pädagogische Fachkräfte und weitere Akteure aus dem

Sozialraum Dresden-Gorbitz zu entwerfen.

Zum Aufbau eines „sozialraumorientierten Netzwerkes für

Frühprävention in Stadtteilen mit besonderen

Herausforderungen“ wurde im Sinne der Frühprävention an der

Ebene der Kindertageseinrichtung und der Ebene des

Sozialraum angesetzt, um Risiken zu erkennen bzw. Problemen

vorzubeugen und riskanten Aufwachs- und

Sozialisationsbedingungen entgegen zu wirken.

Dazu wurden zwei grundlegende Thesen verfolgt und

methodisch bearbeitet:

1. Kindertageseinrichtungen sind Orte der Frühprävention,

besonders in sozial benachteiligten Stadtteilen

Stärkung von Institutionen, insbesondere KiTa

2. Vernetzung unterstützt frühpräventives Handeln,

besonders in sozial benachteiligten Stadtteilen

Vernetzung von Kita

In der mehrjährigen Modellprojektphase von KiNET2 wurde eine

differenzierte Problem- und Bedarfsbeschreibung aus

unterschiedlichen Perspektiven bzw. Verantwortungsbereichen

realisiert. Es gelang, Kindertageseinrichtungen auf der Ebene

der Leitungskräfte in einem Netzwerk zusammenzuführen,

Kooperationen aufzubauen und gemeinsame Strategien zu

entwickeln, um mit den Herausforderungen, die sich für

Kindertageseinrichtungen aus der Verortung in einem Stadtteil

mit besonderem Entwicklungsbedarf ergeben, besser

umzugehen3.

2. Das Handlungsprogramm „Aufwachsen in sozialer

Verantwortung“ 2008 - 2012

Kindertageseinrichtungen sehen sich auf Grund der

Lebenssituation von Kindern und Familien besonderen

fachlichen Herausforderungen gegenüber. Im Zuge des

Stadtratsbeschlusses zum Fachplan Kindertageseinrichtungen

und Kindertagespflege wurde der Eigenbetrieb

Kindertageseinrichtungen im Jahr 2007 beauftragt, bis zur

nächsten Fortschreibung des Bedarfsplanes Instrumentarien zur

Feststellung der unterschiedlichen Anforderungen an

Einrichtungen durch Kinder mit erhöhtem erzieherischem Bedarf

zu entwickeln und Maßnahmen zur gezielten Unterstützung bei

erhöhten Anforderungen vorzuschlagen.

Mit dem verabschiedeten Handlungsprogramm „Aufwachsen in

sozialer Verantwortung“ wird die Kindertagesbetreuung

systematisch und praxisorientiert weiterentwickelt. Zur

Umsetzung der Programmziele sind in den 32 beteiligten

Kindertageseinrichtungen zusätzlich Sozialpädagogen/innen im

Umfang von je einer vollen Stelle tätig. Sie entwickeln

gemeinsam mit den Teams entsprechende Konzepte,

Maßnahmen und Angebote, um jedem Kind die bestmöglichen

Voraussetzungen für seine Entwicklung und Entfaltung zu

bieten. Kern und Ziel des Handlungsprogramms ist die Initiierung

eines mehrschichtigen Prozesses, bei dem es darum geht:

Im Jahr 2004 verständigten sich

Praxisakteure der Kinder- und Jugendhilfe

der Stadtteils Dresden-Gorbitz in einer

ämterübergreifenden Zusammenarbeit mit

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33

die pädagogische Arbeit mit den Kindern sensibel an

deren sozialen Lebenshintergrund auszurichten

bedarfsangemessene Förderangebote zu entwickeln

und im natürlichen Alltag der Einrichtungen zu

verankern

Unterstützungssysteme für Kinder und deren Familien

in prekären, belasteten, benachteiligenden

Lebenssituationen in der Kindertagesstätte sowie in

Kooperation und Vernetzung mit Akteuren im sozialen

Umfeld zu etablieren

neue Formen der Kombination von bedarfsgerechten

kinder- und jugendhilflichen Leistungen mit dem

Regelangebot von Kindertagesstätten aufzubauen

und die dafür erforderlichen Schnittstellen

auszugestalten

Dabei geht es nicht nur um die „Bearbeitung“ spezifischer

Bedarfe von Kindern, die von (den Folgen) sozialer

Benachteiligung bedroht oder betroffen sind, sondern jedes

einzelne Kind mit seinen Lebenssituationen, Potenzialen,

Wünschen und Neigungen in den Mittelpunkt der pädagogischen

Arbeit zu stellen. Die Einrichtungen werden durch ein

Kompetenz- und Beratungszentrum an der Arbeitsstelle für

Praxisberatung, Forschung und Entwicklung (apfe) e.V. begleitet

und unterstützt.

3. Zusammenfassung

Beide vorgestellten Modellprojekte betrachten den Sozialraum

bzw. die Institution KiTa als Ganzes und mit den spezifischen

Wechselwirkungen. Dazu gehört die Erarbeitung von

Gesamtkonzepten, welche die unterschiedlichen Aufträge und

Teilperspektiven einbeziehen. Die Herausforderung bestand und

besteht darin, konkrete anschlussfähige und bedarfsgerechte

Handlungskonzepte zu entwickeln bzw. vorhandene Systeme

und angemessene Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln.

Beide Modellprojekte haben ihre Wirksamkeit für die Kinder, ihre

Familien und die Akteure in der Kita bzw. im Sozialraum unter

wissenschaftlicher Begleitung nachgewiesen. Die leichte

Abnahme von Sprachentwicklungsauffälligkeiten im Jahr

20010/11 im Vergleich zu 2003/04 bei den Vierjährigen in

Dresden-Gorbitz könnten ein weiterer Hinweis hierfür sein.

1Quelle: Landeshauptstadt Dresden, Gesundheitsamt, Abt. Kinder- und Jugendärztlicher Dienst

Nach den überaus positiven Erfahrungen aus dem

Modellprojekt „KiNET – Netzwerk für Frühprävention,

Sozialisation und Familie“ wurde in Zusammenarbeit mit dem

KiNET-Koordinatorenteam, dem Institut apfe e.V. an der

Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden und

in Abstimmung mit den beteiligten Fachämtern ein Konzept für

die Übertragung und Verstetigung des Modellansatzes

entwickelt. Der Jugendhilfeausschuss hat im November 2011

beschlossen, das Projekt in Dresden-Gorbitz zu verstetigen

und auf Dresden-Prohlis mit dem Namen „Auf dem Weg zum

Netzwerk für Frühprävention – das Dresdner Modell“ zu

übertragen. Das „Dresdner Modell für Frühprävention“

integriert die Erfahrungen des Projektes und ist zugleich eine

Weiterentwicklung der bereits realisierten Ansätze.

Das Dresdner Programm „Aufwachsen in sozialer

Verantwortung“ hat im Mai 2012 seine erste Fortschreibung in

Form eines Handlungskonzeptes erfahren4. Die

Fortschreibung beinhaltet ein optimiertes Auswahl- und

Beteiligungsverfahren für Kindertageseinrichtungen und ein

weiterentwickeltes Handlungskonzept. Es enthält Aussagen zu

Bedarfen, pädagogischen Leitlinien, institutionellen

Rahmenbedingungen, einrichtungsbezogenen

Entwicklungsprozessen sowie hierzu notwendigen

Rahmenbedingungen und Unterstützungssysteme und bezieht

diese argumentativ aufeinander.

weitere Informationen unter:

www.dresden.de/de/03/01/02/berichte_und_filme.php

www.kinet-dd.de

www.aufwachsen-in-sozialer-verantwortung.de

Kontakt: Jenny Matuschke Netzwerkkoordinatorin KiNET Email: [email protected]

1 Untersuchung des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes 2004 - Sprachentwicklung der

Kinder in Gorbitz (43,4 %) im Vergleich zu Dresden (28,7 %) 2 Phase I von Juli 2005 bis März 2008, finanziert durch die Landeshauptstadt Dresden und Phase II von April 2008 bis Dezember 2010, finanziert durch das Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit bes. Entwicklungsbedarf – Die soziale Stadt“ 3 Pfeifer, Schmidt, Müller: Handlungsempfehlung zur Verstetigung und Weiterentwicklung des Netzwerkes für Frühprävention in Dresden-Gorbitz 2011, S. 1 4 vgl. Konzeption für die Fortschreibung des Dresdner Handlungsprogramms „Aufwachsen in

sozialer Verantwortung“ vom Januar 2012

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(2) Projekt „Kids fit und aktiv in Dresden“,

Gesundheitsförderung in der Förderschule von Eike Schulze

Ein Anliegen der Landeshauptstadt Dresden ist die Förderung

von Gesundheit und Wohlergehen ihrer Bürger.

Seit 1991 ist die LH Dresden Mitglied im Netzwerk der WHO

,,Gesunde Städte“.

Der Gesundheitsförderung unserer ,,kleinen Dresdner“ muss

dabei ein ganz besonderer Stellenwert beigemessen werden.

Denn sie sind unsere Zukunft und wir können nicht früh genug

damit anfangen, sie für einen gesunden Lebensstil zu

motivieren.

Die Einschulungsuntersuchungen des Kinder- und

Jugendärztlichen Dienstes im Schuljahr 2009/2010 ergaben,

dass 10,13 % der Schüler Störungen in der Grobmotorik

aufweisen. Besorgniserregend sind auch die Zahlen unserer

Kinder mit Übergewicht. So erhöht sich der Anteil der

übergewichtigen Schüler mit zunehmendem Alter von 5,78 % bei

der Einschulungsuntersuchung auf 8,16 % in der 2. Klasse und

sogar 12,12 % bei den Untersuchungen in der 6. Klasse.

(Stadtgesundheitsprofil 2012, S.68)

Des Weiteren besteht oft ein enger Zusammenhang zwischen

Armut und niederem Bildungsstand. „Kinder aus

einkommensschwachen Familien besuchen deutlich häufiger

Förderschulen als Kinder aus einkommensreichen Familien.

Diese Aussage lässt sich sowohl auf den elterlichen

Bildungsabschluss, als auch auf den Sozialstatus der Eltern

übertragen: Je niedriger die elterliche Bildung und der

Sozialstatus, umso höher die Wahrscheinlichkeit eines

Förderschulbesuches“ (Bericht zur Entwicklung sozialer

Strukturen und Lebenslagen, Lebenslagenbericht, Dresden

2008, S.118)

Eine wichtige Aufgabe der Abteilung Gesundheitsförderung der

LH Dresden besteht deshalb darin, Einfluss auf die Lebens- und

Ernährungsgewohnheiten der Kinder und Jugendlichen zu

nehmen.

Das Schülerprojekt „Kids fit und aktiv in Dresden“ wurde am 27.

Februar 2012 als Pilotprojekt am Förderzentrum Albert

Schweitzer Schule für Lernbehinderung im Stadtteil Prohlis in der

4. Klassenstufe gestartet und befindet sich derzeit in der zweiten

Erprobungsphase.

Zielsetzung

Hauptziel: gesundheitsfördernde Lebensweise für

Kinder an Lernförderschulen

Teilziele:

gesundheitsförderndes Ernährungsverhalten

Konstanthaltung bzw. Reduzierung des

BMI

Förderung der körperlichen Aktivität/ Spaß an der

Bewegung

Verbesserung der motorischen

Fähigkeiten der Kinder

Stärkung der Sozialkompetenz der Kinder

Steigerung der

Selbststeuerungsfähigkeit und der

Teamfähigkeit

Schulung der Eltern zu gesundheitsbewusster

Lebensweise

Aktive Einbindung der Eltern in die

Projektarbeit „Lebensstilveränderung

in der Familie“

Für jeweils ein Schulhalbjahr nehmen die Schüler derzeit

obligatorisch an den Modulen Ernährungschulung und

Bewegungsförderung teil, in denen sich inhaltlich Bestandteile

der Sozialkompetenz wiederfinden. Im wöchentlichen Wechsel

werden die 16 Moduleinheiten in einem Zeitumfang von 90

Minuten durch die Mitarbeiter der Gesundheitsförderung

vermittelt, sowie 2 Ganztagesveranstaltungen angeboten.

Außerdem nimmt die Elternarbeit einen hohen Stellenwert ein.

Im Schuljahr 2014/2015 soll dieses Projekt flächendeckend für

alle Förderzentren im Bereich der Lernförderung als

Schuljahresprojekt für die Klassenstufe 3 oder 4 angeboten

werden. Die Vorstellung der Projektidee erfolgt persönlich

durch die Mitarbeiter der Gesundheitsförderung an den

Schulleiter der jeweiligen Einrichtung.

Grundlage und Voraussetzung für eine erfolgreiche

Weiterführung des Projektes ist die Bereitschaft der Schulen

mindestens 2- 3 Lehrer/Innen, Erzieher/Innen im Bereich der

gesundheitsfördernden Lebensweise zu qualifizieren, um eine

optimale Umsetzung des Projektes am Förderzentren für

Lernbehinderung zu gewähren.

Die Schulung erfolgt im März/ April des laufenden Jahres

durch Mitarbeiter der Abteilung Gesundheitsförderung, so dass

die Schule mit Beginn des neuen Schuljahres das Projekt

starten kann. Es wird ein Basisseminar angeboten mit den

Bestandteilen Ernährung / Bewegung und Sozialkompetenz.

Der zeitliche Umfang beträgt 2 Tage mit jeweils 8

Unterrichtseinheiten.

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Die Seminarinhalte und die Stundenbilder für die jeweiligen

Module sind in einer Handreichung zusammengefasst und

werden den Teilnehmern in Anschluss an die Veranstaltung

ausgegeben. Bei Bedarf haben die Teilnehmer die Möglichkeit

noch ein Aufbauseminar von 8 UE zu besuchen, welches sich

gezielt mit einer verstärkten Elternarbeit befasst und der

Gestaltung und Durchführung von Abschlussfesten im Rahmen

des Projektes.

Projektablauf

Vor Projektbeginn findet ein Themenelternabend statt. Die Eltern

werden über Inhalte, Ziele und Ablauf des Projektes durch

Mitarbeiter der GF und die durchführende Lehrkraft / Erzieherin

informiert. Ausgabe eines Fragebogens zum Aktivitätsverhalten

und den Lebensgewohnheiten in der Familie.

Im Projektzeitraum werden drei „aktive Elternnachmittage“

angeboten, an denen sich die Eltern und Kinder gemeinsam

beteiligen. Eltern werden als ,,Helfer“ in den Projektablauf

eingebunden, um gemeinsam die Bildungsziele im Modul

Ernährung, Bewegung und Sozialkompetenz zu erreichen. Ideen

und Eigeninitiative der Eltern werden dabei beachtet. Die Eltern

tragen dazu bei, dass sich z.B. ein gemeinschaftliches gesundes

Frühstück oder Aktionstage realisieren lassen.

Erstellung von „themenbezogenen Newslettern“ für die Eltern.

Auftaktveranstaltung

Projekttag ,,Gesunde Lebensweise“

Wissensvermittlung und Praxis in den Themenbereichen

Bewegung,

Ernährung,

Selbstkompetenz/

Körperwahrnehmung

Durchführung der Module

Fortsetzung des Projektes mit den Modulen Ernährung und

Bewegung, sowie Sozialkompetenz als integrativer Baustein. Im

14 tägigen Wechsel werden die Inhalte mit einem zeitlichem

Umfang von 90 min über ein gesamtes Schuljahr durch die

geschulten Lehrer/ Erzieher mit Unterstützung der Mitarbeiter der

GF vermittelt.

Modul Ernährung:

Wissensvermittlung und Verständnis für die verschiedenen

Lebensmittel / Lebensmittelgruppen

Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten in der

Nahrungszubereitung

Erleben von Tisch- und Esskultur

Gemeinsames Essen zur Stärkung der Sozialkompetenz

Modul Bewegung:

Freude und Spaß am Bewegen

Kennenlernen vielfältiger Bewegungsformen

Spiele zur Stärkung der Teamfähigkeit

Umgang mit Sieg und Niederlage

Stressabbau durch Bewegung

Bewegungsideen für zu Hause

Aktive Elternnachmittage:

Der zeitliche Umfang der Nachmittage beträgt 2-3 Stunden und

setzt sich aus Praxis und Theorie zusammen. Im Bereich

Ernährung und Bewegung und Sozialkompetenz erhalten die

Eltern praktische Anregungen und Tipps. Sie sind aufgefordert

gemeinsam mit ihren Kindern aktiv an den Moduleinheiten

teilzunehmen und sich auszuprobieren. Im Anschluss erhalten

die Eltern eine Handreichung zu den Stundeninhalten.

Vorstellen und Erleben gemeinsamer Eltern-Kind

Spiele

Zwischenmahlzeiten leicht und gesund zubereitet

Kommunikation mit Kindern / Umgang mit Gefühlen

Wandertag:

Durchführung eines gemeinsamen Eltern-Kinder-Wandertags

unter erlebnispädagogischen Gesichtspunkten

Pflanzenkunde (Erkennen von Kräutern und

Getreidearten und deren Nutzung)

Spiele in der Natur ( Spielideen mit Naturmaterialien )

Stärkung der Teamfähigkeit

Abschlussfest:

Gestaltung eines Abschlussfestes (Ideensammlung der Kinder)

Darbietung einer Sportshow durch die Förderschüler

Präsentation eines selbst gestalteten und

zubereiteten Abschlussbuffets der Förderschüler zur

gesunden Ernährung

Finanzierung

Die Finanzierung des Projektes ist ein großes Problem und

bisher ist es noch nicht gelungen Sponsoren für die

Durchführung des Projektes im Schuljahr 2014/2015 zu finden,

vor allem für die Übernahme der Lebensmittelkosten. Derzeit

laufen Gespräche mit der Bildungsagentur zur Finanzierung über

die Ganztagsangebote der Schulen. Verhandlungen mit den

Krankenkassen zur Integration und finanziellen Unterstützung

innerhalb des Projektes erfolgen im Mai 2013.

Kontakt: Eike Schulze Koordinatorin Reha-Sport / Gesundheitsamt Dresden Email: [email protected]

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(3) Erfahrungen aus den Projekten „GO - Gesund im Osten“ und „AGNES - Aktiv im Alter“ und Weiterführung von Claudia Menkouo

Herkömmliche traditionelle Ansätze der Prävention und

Gesundheitsförderung ermöglichen sozial benachteiligten

Personengruppen keinen ausreichenden Zugang zu

gesundheitsförderlichen Angeboten (Arbeitsgemeinschaft der

Spitzenverbände der Krankenkassen 2004, Razum 2004). Für

eine Steigerung der Gesundheitschancen sozial benachteiligter

Personengruppen sind niedrigschwellige und innovative Ansätze

notwendig. Stadtteile, Nachbarschaften und das unmittelbare

soziale Umfeld bieten besonders für diese Zielgruppen geeignete

Settings für die Gesundheitsförderung. Dort können

gesundheitsfördernde Angebote in bereits vorhandene und von

den Betroffenen akzeptierte Strukturen eingebettet und

Zugangsbarrieren verringert werden (Rosenbrock und Kümpers

2006, Bestmann 2009).

Mit den Forschungsprojekten „GO-Gesund im Osten“ und

„AGNES-Aktiv im Alter“ wurden von 2009 bis 2011/ 2012 im

Stadtteil Leipziger Osten, einem sozialen Brennpunkt, ein

Settingansatz der Gesundheitsförderung umgesetzt. Ziel der

Projekte war die Entwicklung und Evaluation niedrigschwelliger,

partizipativer und stadtteilbezogener Interventionen zur

Verbesserung der gesunden Lebensweise – zum einen von

Kindern aus sozial benachteiligten Familien und Familien mit

Migrationshintergrund (GO) und zum anderen von älteren

Menschen (AGNES). Die Mütter standen im GO-Projekt als

„Gesundheitsmanagerinnen der Familie“ im Mittelpunkt der

Maßnahmen. Ihre gesundheitsbezogenen, praktischen und

sozialen Kompetenzen sollten gestärkt werden, damit sie noch

besser als bisher für eine gesundheitsförderliche Lebensweise

ihrer Kinder Sorge tragen können.

Während der Projektlaufzeit wurden verschiedene verhaltens-

sowie verhältnispräventive Maßnahmen umgesetzt. Für einen

verbesserten Zugang zu sozial benachteiligten Gruppen im

Stadtteil und der Stärkung gesundheitlicher Chancengleichheit

erwiesen sich dabei im Projekt vier Strategien und Ansätze als

erfolgreich. Die hier genannten Erfolgsansätze in der

Verhaltensprävention (Interventionen mit Zielgruppe) und

Verhältnisprävention (Strukturen, Netzwerkaufbau) wirken dabei

eng zusammen.

1. Niedrigschwelligkeit

Niedrigschwelligkeit ist ein Qualitätskriterium in der

Gesundheitsförderung und bezeichnet die Art des Zugangs für

die Nutzung eines Angebotes. Sie gilt als die wahrscheinlich

„entscheidende Kategorie im gesundheitsförderlichen Kontext

milieu- und quartiersbezogener Sozialarbeit“ (Schütte-Bäumner

2007).

Die Konzipierung eines niedrigschwelligen Angebotes orientiert

sich eng an der Lebenswelt der Zielgruppe. Folgende Merkmale

kennzeichnen eine niedrischwellige Arbeitsweise:

Zeitlich und räumlich offene, alltagsnahe Strukturen,

Formale und finanzielle Barierrefreiheit,

Direkte und persönliche Ansprache,

Soziale und kulturelle Zielgruppenorientierung. (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. 2005, Bunge et al. 2006, Bestmann 2009, Hartung et al. 2010).

Stadtteilbezug, Zielgruppenorientierung und Partizipation, d.h.

die Entwicklung der Angebote im Stadtteil und am Bedarf der

Nutzerinnen orientiert, waren im GO-Projekt entscheidend für

einen erfolgreichen Zugang zu den Müttern.

Der Gesundheitsladen wurde als Anlaufstelle für Nutzerinnen

(sowie Kooperationspartner) im Stadtteil etabliert; er war täglich

geöffnet und hielt gesundheitsförderliche Angebote aus einer

„Komm- und Gehstruktur“ bereit. Das Spektrum der Angebote

reichte von Informationsveranstaltungen mit Expertinnen und

Experten über kostenlose offene Beratung bis hin zu

Freizeitangeboten. Mehr als ein Drittel der Angebote wurde

gemeinsam mit Kooperationspartnern im Stadtteil und in deren

Räumlichkeiten realisiert. Ein Beispiel für niedrigschwellige

Angebote ist das in Kooperation mit dem Internationale Frauen

Leipzig e.V. einmal und monatlich kostenfrei durchgeführte

Frauen-Informationscafé. Die Teilnehmerinnen bestimmten die

Gesundheitsthemen, eingeladene Expertinnen und Experten

vermittelten Wissenswertes im gemeinsamen Gespräch mit den

Teilnehmerinnen. Bei Bedarf standen Sprachmittlerinnen zur

Verfügung. Beim Zugang zu den Angeboten spielte vor allem die

persönliche Ansprache eine Rolle. Zwei Drittel der

Teilnehmerinnen gab an von Freunden, Bekannten oder

Personen in Vereinen, Projekten oder öffentlichen Institutionen

und den Gesundheitsladen selbst angesprochen worden zu sein.

Flyer, Internet, Aushänge und Mitteilungen in der Lokalpresse

spielten dagegen eine untergeordnete Rolle (Grande und Große

2012).

2. Multiplikatorenansatz

Das Erreichen der Zielgruppe über Multiplikatoren, sogenannte

Mittler oder Schlüsselpersonen, hat sich als erfolgreicher Weg

zur Erreichung sozial Benachteiligter, die schriftliche Materialien

weniger eigenständig wahrnehmen, erwiesen (Hartung et al.

2010).

Page 38: Grußwort der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz 3 · 3 Grußwort der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz Das übergreifende Ziel des WHO-Netzwerkes ist das Schaffen

37

In Zusammenarbeit mit dem Quartiersmanagement, dem

Gesundheitsamt und dem Amt für Stadterneuerung und

Wohnungsbauförderung wurden Bürgerforen organisiert, in

denen das Thema „Gesund im Stadtteil“ gemeinsam mit

Stadtteilakteurinnen und – akteuren, Stadtpolitik sowie

Bewohnerinnen und Bewohnern diskutiert wurde, wichtige

Handlungsbedarfe bestimmt und erste Ideen für

Handlungsstrategien gefunden wurden. Die Ergebnisse sind in

offenen Werkstätten aufgenommen und erneut diskutiert worden

und führten zur Gründung des „Netzwerks „Gesundheit im

Leipziger Osten“. Das Netzwerk ermöglicht den Zugang zu

bisher unerreichten Zielgruppen und mündete nicht zuletzt in der

Integration des Themas Gesundheit als eigenständiges

Handlungsfeld im Stadtteilentwicklungskonzept für den Leipziger

Osten(Grande und Große 2012).

Weiterführung: Modellprojekt „Koordinierungsstelle

Gesundheit Leipzig“

Bereits während der Laufzeit der Projekte GO und AGNES

entstand gemeinsam mit dem Gesundheitsamt und dem Amt für

Stadtentwicklung und Wohnungsbauförderung der Stadt Leipzig

die Idee der Weiterentwicklung eines Projektes zur

Gesundheitsförderung. Dabei war die Frage, wie kann man es

schaffen, über die Aktivitäten einzelner Projekte hinaus,

nachhaltige Strukturen und Netzwerke in einer Kommune zu

schaffen, die das Thema Gesundheitsförderung als eine

kommunale Querschnittsaufgabe etablieren, handlungsleitend.

Entwickelt wurde als Antwort darauf das Modellprojekt, das von

Juni 2012 bis Mai 2014 umgesetzt und von der Stadt Leipzig und

der AOK Plus gefördert wird.

Aufbauend auf den Erfahrungen des Projektes „GO-Gesund im

Osten“ soll mit der „Koordinierungsstelle Gesundheit„ die

Entwicklung selbsttragender gesundheitsförderlicher Strukturen

auf Stadtteilebene hin zu gesunden Quartieren unterstützt

werden. Durch die Fortschreibung quartiersbezogener

Gesundheitsberichterstattung und Quartiersdiagnose (in den

Stadtteilen Leipziger Osten und Grünau) sollen detailliertere

Aussagen zur gesundheitlichen Lage der Bewohner/-innen und

Versorgung in einzelnen Stadtteilen möglich sein. Der Aufbau

von Partnerschaften für gesunde Leipziger Stadtteile soll

fortgesetzt und verstetigt und Strukturen für die Umsetzung in

Form ressortübergreifender Zusammenarbeit mit

Kommunalpolitik, Stadtverwaltung, Krankenkassen,

Gesundheits- und Stadtteilakteuren sowie den Zielgruppen

geschaffen werden. Das Handlungsfeld Gesundheit soll in das

Stadtteilentwicklungskonzept integriert werden und eine

dauerhafte Beteiligung und Verantwortungsübernahme der

Kommune gesichert werden. Mit dem Modellprojekt ist eine

„Koordinierungsstelle Gesundheit“ mit entsprechenden

Kompetenzen eingerichtet worden. Die Aufgaben der

Koordinierungsstelle liegen vor allem in der Netzwerkarbeit,

Moderation, Aktivierung, Beteiligung, Öffentlichkeitsarbeit sowie

Berichterstattung. Der deutschlandweite Transfer in die Praxis

soll durch eine umfassende Evaluation gesichert werden.

Kontakt: Claudia Menkouo HTWK Leipzig Email: [email protected]

Zur Förderung der gesunden Lebensweise wurden im GO-

Projekt zwei Ansätze gewählt. Zum einen wurden

Laienmultipliktorinnen als Gesundheitsmittlerinnen ausgebildet

und gesundheitsspezifisches Wissen (Bewegung, Ernährung,

Vorsorge) vermittelt. Zum anderen wurden Gewerbetreibende im

Stadtteil für die Themen „Inanspruchnahme von

Vorsorgeuntersuchungen“ (Nagelstudios) und „Gesundes

Pausenbrot“ (Lebensmittelhändler) aktiviert (Grande und Große

2012).

3. Beiläufige Kompetenzvermittlung

In jüngster Zeit wird in der Arbeit mit schwer erreichbaren

Zielgruppen ein niedrigschwelliger Zugang mit dem Prinzip der

„beiläufigen“ Kompetenzvermittlung verknüpft, der vor allem in

offenen Sozial-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen Erfolg

verspricht (Douma und Kilian 2007, Hartung et al 2010).

Spaßbetonte Angebote, die an der Lebenswelt und dem Alltag

der Zielgruppe ansetzen und handlungsorientiert sind, bieten die

Chance, gesundheitsrelevante Informationen und Kompetenzen

nicht direkt, sondern „beiläufig“ im Austausch oder gemeinsamen

Tun zu erwerben. Die Zielgruppe kann so erfolgreich an

vermeintlich weniger attraktive Gesundheitsthemen herangeführt

werden (Friedrich et al. 2010, Reimann et al. 2010).

Ein Beispiel für ein Angebot ist die im GO-Projekt monatlich

stattgefunden „Interkulturelle Kochgruppe“. Die Teilnehmerinnen

wählten unter Anleitung einer Ökotrophologin Rezepte aus ihren

Heimatländern aus, prüften deren Zusammensetzung und

ersetzten beispielsweise fett- und zuckerreiche Zutaten durch

eine gesündere Variante. Nach dem gemeinsamen Einkaufen

und Zubereiten der Gerichte wurden diese zusammen verzehrt.

Die Kochgruppe wurde intensiv zum Austausch und als Raum für

das Knüpfen sozialer Kontakte genutzt. Eine Befragung der

Teilnehmerinnen zum Grund für die Teilnahme am Angebot

ergab, dass der Aufbau und die Pflege sozialer Kontakte ein

bedeutsames Motiv war. Die Nutzerinnen wollten Freundinnen

treffen und die Küche anderer Länder kennen lernen. Der Erwerb

von Fähigkeiten für die Zubereitung gesunder Gerichte stand

dabei im Hintergrund (Große et al. 2012).

4. Vernetzung im Stadtteil

Entscheidende Faktoren für einen zielgruppengerechten und

erfolgreichen Zugang sind die Vernetzung und Verankerung im

Stadtteil sowie die Anbindung an soziale Einrichtungen und die

Zusammenarbeit mit Vereinen (Bunge et al. 2006).

Professionelle gesundheitsbezogene Netzwerke ermöglichen

fächerübergreifende Kooperation von Akteuren und dient der

Entwicklung gemeinsamer Gesundheitsziele, Strategien und

Maßnahmen sowie der Bildung nachhaltiger Strukturen, mit

deren Hilfe flexibel auf Gesundheitsprobleme und Entwicklungen

im Stadtteil regiert werden kann (Reimann et al. 2010, Trojan

und Süß 2010).

Im GO-Projekt erwies sich die Kooperation mit anderen Akteuren

vor Ort, der Einbezug von Partnern unter Berücksichtigung der

bereits vorhandenen Angebotsstrukturen (siehe Punkt

Niedrigschwelligkeit) und die Initiierung von Netzwerken und das

Nutzen vorhandener Netzwerkstrukturen einschließlich des

Einbezugs relevanter Gesundheitsakteure als erfolgreich. 37

Page 39: Grußwort der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz 3 · 3 Grußwort der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz Das übergreifende Ziel des WHO-Netzwerkes ist das Schaffen

38

3.5 Workshop „Suchtprävention“ Suchtprävention in Dresden - Status Quo von Dr. Kristin Ferse & Anja Maatz

Zur Beurteilung von konkreten suchtpräventiven Bedarfen für

Dresden erfolgte eine Bestandsaufnahme vorhandener

suchtpräventiver Angebote unterschiedlichster Träger (z.B.

Polizei, Krankenkassen, Suchtberatungsstellen, Jugendhilfe).

Dabei wurden nur jene erfasst, die nach Selbsteinschätzung der

Träger einem Konzept folgen bzw. für die ein Konzept vorliegt.

Abb. 1: Ergebnisse der Bedarfsanalyse

Einteilung der vorhandenen Angebote nach unterschiedlichen

Präventionsbegriffen

Zur strukturellen Einordnung der Angebote wurden

unterschiedliche Definitionen von Suchtprävention

herangezogen. Dies ermöglicht es verschiedene Perspektiven im

Blick zu haben.

Im Arbeitskreis „Suchtprävention Dresden“ entwickelte sich auf

dieser Grundlage ein Verständigungsprozess zu Anforderungen,

Inhalten, Evaluationsmöglichkeiten und neuen Bedarfen für die

Suchtprävention.

Um weitere Rückschlüsse ziehen zu können, wurden neben der

bestehenden Angebotsstruktur epidemiologische Daten

betrachtet. Die epidemiologische Situation zur stationären

Versorgung von Dresdner Suchtkranken in Sachsen

(Auswertung der Krankenhausstatistik Sachsen 2011,

Statistisches Landesamt) ergab, dass 2599 Dresdner

PatientInnen auf Grund „Psychischer und Verhaltensstörungen

durch psychotrope Substanzen“ (ICD 10, Kapitel F10 bis F19)

stationär behandelt werden mussten. 81% der Personen sind

wegen Alkohol, 11% aufgrund multiplen Substanzgebrauch und

3% wegen Stimulanzien (u.a. Crystal) behandelt worden. Damit

entspricht die Verteilung der Suchtmittel von Dresdner

PatientInnen dem Durchschnitt der sächsischen PatientInnen.

Der Anteil der Männer liegt bei allen Suchtmitteln (außer

Sedativa) höher. Bei stationär behandelten Störungen nur durch

Alkohol (F 10) waren von den 613 Frauen 15% unter 25 Jahre,

von den 1484 Männern nur 9% unter 25 Jahre alt.

807 DresdnerInnen wurden aufgrund der Diagnose akute

Alkoholintoxikation (F10.0) im Jahr 2011 stationär behandelt.

24% der Betroffenen waren unter 25 Jahre. Von den betroffenen

Frauen (260) waren 32% unter 25 Jahre. Von den betroffenen

Männern (547) 21% unter 25 Jahre. Bei den unter 15jährigen

und 70-75jährigen liegt der absolute Anteil der betroffenen

Frauen sogar höher als bei den Männern. Diesen Vergleich

veranschaulicht nachfolgende Abbildung.

Abb. 2: Anteil Dresdner Frauen und Männer mit

stationärer Versorgung (einschließlich

Stunden- und Sterbefälle) in Sachsen aufgrund einer akuten

Alkohohlintoxikation (F10.0) als Hauptdiagnose im Jahr

2011 (N=807)

Quelle: Krankenhausstatistik Sachsen, Statistisches Landesamt

Auch bei der Diagnose Abhängigkeitsyndroms (F10.2) ist der

Anteil der stationär behandelten Frauen in der Altersgruppe der

unter 25jährigen höher als bei den Männern der gleichen

Altersgruppe. Von 203 Frauen waren bereits 4% unter 25 Jahre,

bei den Männern (513) nur 2%.

Im Rahmen der ambulanten Suchthilfe (Suchtberatungsstellen

der Stadt) zeigt sich ein etwas anderes Bild. Der Anteil der

KlientInnen, die aufgrund von Alkohol eine Beratung suchen ist

zwar immer noch am größten (1803), gefolgt von 884

Konsumenten illegaler Drogen (davon 372 Crystal). Aber

während in der stationären Versorgung 80% wegen Alkohol und

„nur“ 20 % wegen anderer (auch illegaler Drogen) behandelt

werden, beträgt in der ambulanten Versorgung der Anteil der

KlientInnen, die wegen des Gebrauchs illegaler Drogen Beratung

suchen fast 1/3. Dabei steigen vor allem die Crystalkonsumenten

in der Beratung an.

547 5

29 82 52 60 41 54 67 59 39 27 14

9

9

260 6

19 59 26 17 13 20 29 26 16 12 4

10

3

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90%

100%

Insg

esam

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r 15

15-1

8

18-2

5

25-3

0

30-3

5

35 -

40

40-4

5

45-5

0

50-5

5

55-6

0

60-6

5

65-7

0

70-7

5

75 u

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lter

Frauen Männer Frauen

Männer

Page 40: Grußwort der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz 3 · 3 Grußwort der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz Das übergreifende Ziel des WHO-Netzwerkes ist das Schaffen

39

Die bisherige Darstellung zeigt, dass präventive Angebote

stärker Frauen (bzw. geschlechtsspezifische Aspekte) und unter

25jährige sowie Crystalkonsumenten in den Blick nehmen

müssen.

Abb. 3: Klientenverteilung in den Dresdner

Suchtberatungs- und Behandlungsstellen 2012

Neben den obigen Quellen wurde auch das in Dresden und

Leipzig installierte Alkoholpräventionsprojekt HaLT-Hart am

LimiT ausgewertet, um Schlussfolgerungen für suchtpräventive

Bedarfe in Dresden ziehen bzw. diskutieren zu können. Im

Rahmen des Projektes werden mit Minderjährigen, die aufgrund

einer Alkoholintoxikation stationär behandelt werden mussten,

noch im Krankenhaus sogenannte Brückengespräche geführt.

Die Auswertung dieser lässt folgende Aussagen zu:

In Dresden und Leipzig sind die meisten eingelieferten Kinder/ Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren alt. Eine früher Konsum von Alkohol erhöht die Gefahr späteren Alkoholmissbrauchs und einer Abhängigkeitserkrankung. So haben Kinder, die mit 13, 14, oder 15 schon regelmäßig Alkohol trinken, ein Risiko von über 40% im späteren Leben alkoholabhängig zu werden. Erst mit 16 sinkt dieses Risiko, bis es sich ab etwa 20 Jahren bei einem Risiko von etwa 10% einpendelt (Laucht et al. 2007 in Batra und Hentsch, 2012).

Für beide Städte ist auffällig, dass etwa die Hälfte der Kinder/ Jugendlichen in einer Familie mit Trennungserlebnissen (bzw. bei nur einem Elternteil) leben.

In Dresden haben mehr Minderjährige Alkohol selber erwerben können (Jugendschutz/Ordnungsamt).

Die Geschlechterverteilung (Abb. 4) zeigt den hohen Anteil der mit einer Alkoholintoxikation eingelieferten Mädchen insbesondere in den jüngeren besonders gefährdeten Altersgruppen. So sind Kinder und Jugendliche und hier v.a. Mädchen eine Risikogruppe auf die Suchtprävention ausgerichtet werden muss

56,94% 1,24%

31,88%

4,87%

1,97%

0,35% 0,89%

1,85%

- Alkohol

- Medikamente

- illegale Drogen

- pathologisches Spielverhalten

- problematischer Mediengebrauch

- Essstörungen

- Tabak

- sonstige Betroffene ohne Angaben

Abb. 4: Vergleich Altersverteilung nach Geschlecht

Leipzig (N=92); Altersdurchschnitt 15,4 Jahre, Jungen: 57%

Dresden (N=147); Altersdurchschnitt: 15,2 Jahre, Jungen 60%

Eine weitere besondere Risikogruppe und damit ein Bedarf an

selektiver Prävention bezieht sich auf Kinder suchtkranker Eltern.

Bundesweit leben 2,65 Mill. Kinder in Familien mit mindestens

einem suchtkranken Elternteil. Jährlich kommen ca. 10000

Neugeborene mit Alkoholschäden auf die Welt. Davon weisen

4000 das Vollbild des fetalen Alkoholsyndroms (FAS) mit

lebenslangen körperlicher und geistiger Schwerbehinderung auf.

Die restlichen 6000 Kinder zeigen fetale Alkoholeffekte, die sich

u.a. in kognitiven und verhaltensbezogenen Einschränkungen

äußern.

Sind suchtkranke Eltern nicht in prä -und perinataler Betreuung,

werden sie nicht dem Jugendamt gemeldet, um Unterstützung zu

organisieren, entstehen hier besonders schwere

Ausgangspositionen für deren Kinder. 1/3 dieser Kinder

entwickeln ebenfalls eine Suchterkrankung, 1/3 erfahren

gesundheitlich-soziale Chancenungleichheiten bei der

gesellschaftlichen Teilhabe. Damit stellen Kinder suchtkranker

Eltern eine Hochrisikogruppe dar, die sich auszeichnet durch:

ein bis zu 6faches Risiko für die Entwicklung substanzbezogener Störungen

andere klinische Auffälligkeiten wie Angststörungen, Depressionen, Störungen des Sozialverhaltens sowie

hyperkinetische Störungen

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

35%

12 13 14 15 16 17

Gesamtfälle 4,40% 4,50% 24,00% 17,40% 19,60% 30,40%

Mädchen 2,20% 2,25% 12,00% 6,50% 4,40% 13,00%

Jungen 2,20% 2,25% 12,00% 10,90% 15,20% 17,40%

Gesamtfälle

Mädchen

Jungen

0,00%

5,00%

10,00%

15,00%

20,00%

25,00%

30,00%

35,00%

12 13 14 15 16 17

Gesamtfälle 2,70% 10,10% 13,40% 24,20% 31,50% 16,80%

Mädchen 0,00% 6,06% 6,03% 8,70% 14,07% 7,39%

Jungen 2,70% 4,04% 7,37% 15,50% 17,43% 9,41%

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genetische Risiken (z.B. müssen Söhne alkoholkranker Väter mehr Alkohol trinken, um die gleiche berauschende Wirkung zu erfahren wie Kinder nichtabhängiger Väter)

ein Elternhaus, in dem Kälte, Instabilität, ein unberechenbares elterliches Verhalten, häufig chronische Konflikte, Streitsituationen, Kindesvernachlässigung, physische und psychische Gewalt erlebt werden können

Nur 1/3 der Kinder Suchtkranker bleibt dennoch psychisch

gesund und stabil. (Quelle: Sucht, Zeitschrift für Wissenschaft

und Praxis,4, August 2012, S.277- 285 und Info, Dienst für 4_12

Gesundheitsförderung, Sucht, Resilienzförderung bei Kindern

aus suchtbelasteten Familien).

In Dresden sind im Jahr 2012 654 Klienten in Suchtberatungs-

und Behandlungsstellen betreut worden, in deren Haushalt

Kinder leben. Oder: Mindestens 654 Kinder und Jugendliche

sind im Alltag von der Sucht ihrer Eltern bzw. eines Elternteiles

betroffen. Mindestens, weil hier nur die Zahl der in Dresdner

Suchtberatungs- und Behandlungsstellen betreuten KlientInnen,

die mit Kindern im eigenen Haushalt leben erfasst wurde, nicht

aber die Anzahl der Kinder und Jugendlichen. Und das

Dunkelfeld konsumierender und (noch) nicht behandelter Eltern

ist hoch. Das heißt, wir müssen von einer wesentlich höheren

Anzahl von Dresdner Kindern ausgehen, die von der Sucht ihrer

Eltern im Alltag betroffen sind (654 + X).

Für Dresden lassen sich aus bisheriger Sicht nachfolgende

Bedarfe für die Suchtprävention zusammenfassen:

Dresden braucht passgenaue, geschlechtsspezifische

und evaluierbare Konzeptionen (Qualitätsstandards),

die sich an spezielle Zielgruppen richten. Dabei sind

insbesondere Methoden zu wählen, die emotionale

Zugänge zu den Zielgruppen und emotionales Lernen

der Zielgruppen ermöglichen.

Dresden braucht nach derzeitiger Datenlage

spezifische Angebote für folgende Zielgruppen:

Kinder suchtkranker Eltern (z. B. Trampolin)

riskant Alkohol und andere Drogen

konsumierende

Minderjährige ( z.B. Ausbau HaLT)

suchtkranke Eltern

suchtkranke Schwangere und junge Mütter

junge suchtkranke Männer und Frauen unter 25

Jahre

suchtkranke Berufstätige zwischen 45 und 55

Jahren

Crystalkonsumenten

Zielgruppenspezifisch ist die Vernetzung von

unterschiedlichen Professionen (z.B. mit der

Jugendhilfe, mit Frauenärzten) auszubauen.

Die besondere Herausforderung aber liegt darin, dass die

Kommunen keine gesetzlich verankerten Pflichtaufgaben für

gesundheitliche Prävention und damit auch unzureichend

finanzielle Mittel für Suchtprävention zur Verfügung haben. Der

bestehende Referentenentwurf für ein Gesetz zur Förderung von

Prävention macht dies deutlich.

Kontakt: Dr. Kristin Ferse & Anja Maatz Koordination Suchthilfe / Gesundheitsamt Dresden Email: [email protected] [email protected]

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4. Zusammengefasste zentrale Aussagen der Workshops

Workshop „Versorgung aus Bürgersicht“ Moderation: Prof. Dr. Joachim Kugler (TU Dresden)

Leitthesen:

Angesichts der demografischen Veränderungen wie

die steigende Anzahl von Geburten, der zunehmende

Anteil älterer Menschen sowie der anhaltende Zuzug

insbesondere auch junger Familien in der Stadt

Dresden, ist es die Verpflichtung aller

Verantwortlichen an der Gesundheitsversorgung, sich

diesen gegenwärtigen Veränderungen bewusst zu

sein und in die zukünftigen Überlegungen sowie

Handlungen einzubeziehen.

Besonderes Anliegen aller Verantwortlichen im

Gesundheitssektor sollte die bedarfsgerechte

bürgernahe Gestaltung der Versorgung sein, dies

heißt insbesondere individuelle, wohnortnahe und

fachgerechte Versorgung - sowohl für den

ambulanten wie auch stationären medizinischen und

pflegerischen Sektor - zu gewährleisten.

Definition der betrachteten Settings im Workshop:

Stationäre sowie ambulante medizinische und

pflegerische Einrichtungen

Selbsthilfegruppen/-initiativen

Kommune

Zentrale Aussagen der Diskussion:

Patientenzufriedenheit als beeinflussender Faktor der

Behandlung

Patientenzufriedenheit steht in Zusammenhang mit

Personalzufriedenheit der Versorgungseinrichtung

wichtig ist ein anerkennender, freundlicher Umgang

mit den Patienten

Sicherstellung einer Versorgungsstruktur und -qualität

bei seltenen Erkrankungen

Verzahnung von stationären und ambulanten

Strukturen stärker fokussieren, hier liegen aus Sicht

der Workshopteilnehmer/innen noch viele Potenziale

Selbsthilfe als weitere Säule im Gesundheitssystem

derzeit 225 Selbsthilfegruppen in Dresden, die zu

unterschiedlichen Themen arbeiten

Private Krankenkassen sind nicht an der Finanzierung

der Selbsthilfe beteiligt; Finanzierung der Selbsthilfe

z.T. über Sponsoring

Thema „Patientenzufriedenheit“ und „Selbsthilfe“ mit

in die Arbeit des Seniorenbeirates zum

„Entlassungsmanagement“ einbinden

Workshop „Dresden bewegt sich“ Moderation: Prof. Dr. Peter Schwarz

(TU Dresden/TUMAINI-Institut)

Leitthesen:

Körperliche Aktivität und Bewegung ist ein Bestandteil

einer gesunden Lebensweise vom Kindes- bis zum

Seniorenalter.

Daten aus Stadtgesundheitsprofil belegen, in fast

allen Altersgruppen von 16 bis 74 Jahren treiben über

60 Prozent ein- oder mehrmals in der Woche Sport.

40 Prozent der 16- bis 24-Jährigen treibt sogar

mindestens zwei- bis dreimal in der Woche Sport.

Im Sinne der Prävention, ist Bewegung und

körperliche Aktivität bereits in jungen Jahren

wesentlicher Einflussfaktor für das Entstehen von

Erkrankungen im fortgeschrittenen Erwachsenenalter.

Der Mensch sollte daher bereits frühzeitig körperliche

Aktivität in den eigenen Alltag integrieren.

Die überwiegende Zeit verbringt der Mensch am

Arbeitsplatz. Die positiven Aspekte von Bewegung

und körperliche Aktivität auf mentale und körperliche

Leistungsfähigkeit sowie Wohlbefinden, sind

hinlänglich bewiesen. Der Arbeitgeber, sollte daher

die körperliche Aktivität speziell fördern und

entsprechend unterstützen.

Körperliche Aktivität sollte bis ins hohe Alter gefördert

werden, um ein gesundes und aktives Altern zu

ermöglichen. Auch ein alter Mensch kann körperlich

aktiv sein. Dafür sollten niedrigschwellige Angebote

entsprechend der Zielgruppe vorgehalten werden.

Körperliche Aktivität kann Krankheiten im Alter

vermindern bzw. dem Fortschreiten von

Erkrankungen.

Daten aus dem Stadtgesundheitsprofil belegen, dass

mit zunehmendem Alter, der Anteil an körperlich

Aktiven abnimmt.

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Definition der betrachteten Zielgruppen im Workshop:

Unternehmen

Generation 50+

demenziell Erkrankte (Frühstadium)

Zentrale Aussagen der Diskussion:

Was bewegt die Nicht-Beweger?

„Beweg Dich“ - jeder Schritt zählt

< 5000 Schritte inaktiver Lebensstil

Ziel: >12500 Schritte (optimal)

Schrittzähler erwerben (30% lassen sich

dadurch motivieren)

Arzt Schlüsselposition

WAP-Projekt:

Walking-Strecken in Dresden als eine

Möglichkeit der Motivationssteigerung

Betriebliche Gesundheitsförderung: es wurde ein

Best-Practice-Fallbeispiel aus einem Unternehmen

vorgestellt

Körperliche Aktivität im Alltag einbinden

Motivation steigern

Wissen vermitteln / austauschen

bereits früh im Lebenslauf ansetzen

Workshop „Frühe Hilfen - eine Herausforderung

für die Kommune“ Moderation: Dr. Elke Siegert (Gesundheitsamt Dresden)

Leitthesen:

Niedrigschwellige, aufsuchende Arbeit vor und nach

der Geburt, trägt zur Verbesserung der Eltern-Kind-

Beziehung bei, um so eine gesunde Entwicklung und

Aufwachsen zu unterstützen.

Ein niedrigschwelliges Angebot sollte insbesondere

für sozial-benachteiligte Familien bereitgestellt

werden, um Wissensdefizite über vorhandene

Hilfestrukturen zu beseitigen und Ressourcen für die

Bewältigung von familiären Situationen sowie für die

Unterstützung der kindlichen Entwicklung zu bieten.

Frühe Hilfen sind eine Form der primären Prävention,

die nur durch stete Vernetzung der Akteure nachhaltig

wirken kann.

Definition des zu betrachteten Setting im Workshop:

häusliche Umgebung von Familien mit besonderen

Bedarfen

Zentrale Aussagen der Diskussion:

Schwierigkeit besteht im Zugang zu den Eltern

als Herausforderung für den Aufbau der Struktur wird

berichtet, dass ein Zusammenspiel unterschiedlicher

Professionen gelernt werden muss

es geht um den Ausbau einer Koordinationsstruktur;

die Anbindung an das Gesundheitsamt bietet den

Vorteil der Nutzung vorhandener Strukturen

Kinderkrankenschwestern und Hebammen mit

Zusatzqualifikation werden als Mitarbeiter der

aufsuchende Gesundheitshilfe eingesetzt

die Strukturierung des Alltags der Mütter ist vorrangig

Aufgabe der aufsuchenden Gesundheitshilfe

Workshop „Gesundheitliche Chancengleichheit“

Moderation: Stephan Koesling

(Sächsische Landesvereinigung für Gesundheitsförderung)

Leitthesen:

Soziale Faktoren beeinflussen die Gesundheit eines

Menschen.

Bürgerinnen und Bürger in schwierigen sozialen

Lebenslagen bedürfen entsprechender

Berücksichtigung bei

Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Daher muss es

Aufgabe sein, gesundheitsschädigende

Risikofaktoren in Bezug auf die soziale Lage, wie

z.B. die von erwerbslosen und älteren Menschen

sowie besonders Kindern aus sozial schwachen

Familien, zu mindern.

Es sind vor allem niedrigschwellige Angebote für

sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen von

Bedeutung, um gesundheitliche Ungleichheiten

zwischen Stadträumen und verschiedenen Gruppen

zu verringern.

Die Stadt Dresden besitzt die Verantwortung,

gesundheitliche Chancengerechtigkeit spürbar und

nachvollziehbar zu gestalten.

Page 44: Grußwort der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz 3 · 3 Grußwort der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz Das übergreifende Ziel des WHO-Netzwerkes ist das Schaffen

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der Preis und Verfügbarkeit von Drogen spielt bei

Prävention große Rolle

Akteure sind an suchtpräventiven Projekten

interessiert

Projekte müssen finanziert werden; Ehrenamt ist

daher gut und erforderlich

in Dresden verzeichnen Suchtberatungsstellen einen

Anstieg an Crystalkonsumenten, dennoch Alkohol auf

1. Platz

es muss über Strukturen / Zugänge nachgedacht

werden, um möglichst viele Patienten erreichen zu

können

Aufbau bestehender Angebote anschauen und diese

effektivieren („mehr vom Selben hilft nicht!“)

zwischen den verschiedenen Institutionen braucht es

eine grundsätzliche Struktur zur Zusammenarbeit

Schule muss mit vielen Themen umgehen, Sucht ist

eines davon, Kontinuität schwierig, da fehlende Zeit

und finanzielle Ressourcen

Thema Sucht sollte ab Geburt im Blick stehen, daher

Vernetzung an Schnittstellen unabdingbar

Reintegration von Schülern mit Psychiatrieerfahrung

ist schwierig

Verjüngung des Klientel, welche Sucht- und

psychische Erkrankungen haben; daher Kooperation

zwischen einzelnen Akteuren notwendig

(Gesundheitsamt / Schule / Jugendamt / stationäre

Hilfe / Ordnungsamt, und weitere Akteure)

Perspektive Altenhilfe:

viele Suchtkranke Bewohner ab 50 - 60 Lj.

neues Tätigkeitsfeld alte Suchtkranke bzw.

suchkranke Alte

gute Zusammenarbeit mit Kliniken

Kernpunkte für Podiumsdiskussion:

zielgerichtete Kooperation und Vernetzung

Suchtprävention muss ansetzten an:

Werten und Regeln (Verhältnisprävention)

sowie gesellschaftlichen Strukturen (Geld

als Steuerunginstrument)

Prävention als gesetzlich verankerte

Pflichtaufgabe notwendig

(Gefährdungsbeurteilung für Gesellschaft)

Definition betrachteten Settings im Workshop:

Kita/Schulen

Förderschulen

Stadträume mit besonderen Bedarfen

Zentrale Aussagen der Diskussion:

es bedarf eines Gesamtkonzeptes Gesundheit, dass

auf einer sauberen methodischen Evaluation der

Projekte und der Reihenuntersuchungen des

KJÄD/Jugendzahnklinik aufbaut und ein

Handlungsprogramm für sozial benachteiligte

Dresdner beinhaltet, dass für jeweilige

Stadträume/Stadtteile ableitet:

Erhöhter Personalbedarf in Kita

Integrierte Sozialplanung

Einbindung notwendiger Angebote

Legitimation durch Gesetzgebung und Einbindung

weiterer Ressourcen (z.B. GKV-SGB V)

Vernetzung einzelner SGB (Stichwort

„Präventionsgesetz“)

Schärfung des Bildungsauftrages für Gesundheit

Workshop „Suchtprävention“ Moderation: Dr. Frank Härtel

(Suchtbeauftragter der Sächsischen Landesärztekammer)

Eingangsreferat zum „Lagebild von Dresden - aktuelle Daten und

Darstellung der Präventionsstruktur“ durch Dr. Kristin Ferse

Zentrale Aussagen der Diskussion:

Suchtprävention als Thema im Stadtgesundheitsprofil

nicht enthalten; Ziel: Aufnahme der Thematik „Sucht“

Suchtprävention ist vielfältig definierbar

Definitionen zeigen verschiedene Perspektiven auf

in Dresden v.a. Begriffe „universell, selektiv, indiziert“

genutzt

Verhaltensprävention setzt am Individuum an;

Verhältnisprävention setzt an gesellschaftlichen

Strukturen an

Erstellung einer Übersicht aller suchtpräventiver

Angebote in der Stadt

Zuordnung zu verschiedenen Definitionen & Abgleich

mit Bedarfen

Ergebnis:

Angebote für Kinder

suchtkranker Eltern fehlen

Angebote für junge Frauen

fehlen

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