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34 Tages-Anzeiger – Mittwoch, 5. September 2012 Wissen Von den Hirnhäuten wird eigentlich nur gesprochen, wenn sie entzündet sind. Meningitis nennen Ärzte die gefürchtete Erkrankung, die meist durch Infektio- nen hervorgerufen wird. Doch die Häute sind auch da, wenn es gut geht. Es gibt drei verschiedene Arten, die in Schich- ten das Hirn und das Rückenmark über- ziehen und schützen. Die äusserste Hirnhaut, die Dura ma- ter, ist dick und lederartig, sie kleidet die Schädelinnenseite aus. An einigen Stel- len umschliesst sie eine besondere Form von Blutleiter, der das sauerstoffarme Blut aus den Venen des Gehirns und der Augen sammelt und letztlich Richtung Herz weiterleitet. Die mittlere Schicht heisst Spinnwebenhaut (Arachnoidea) und ist von einem Gewebe aus Blutgefäs- sen durchzogen. Darunter liegt der so- genannte Subarachnoidalraum, ein Be- reich mit Bindegewebe, Blutgefässen und Hirnwasser (Liquor). Letzteres wird über Zotten in den Blutleiter der äusse- ren Hirnhaut abgeleitet. Die innerste, weiche Hirnhaut (Pia mater) überzieht die Hirnmasse wie eine Plastikfolie und versorgt das Gehirn mit Nährstoffen aus dem Hirnwasser. ( fes) Copyright: Dorling-Kindersley-Verlag Harte Gehirnhaut (Dura mater) Subarachnoidalraum Gehirn Weiche Gehirnhaut (Pia mater) Spinnwebhaut- zotten Venöse Blutleiter Spinnwebhaut (Arachnoidea) Schädelknochen Arterie Von Irène Dietschi «Geniale Rauschwirkung» – «angeneh- mes Anfluten» – «Flash kurz nach dem Ziehen»: Mit solchen Formulierungen beschreiben Konsumenten in einschlä- gigen Internetforen die Wirkung von «Badesalz», das sie sich wie Kokain in die Nase gezogen haben. Weniger gut bekam die Designer- droge einem jungen Mann, der Anfang August von der Polizei in den Notfall des Luzerner Kantonsspitals eingewiesen wurde. «Er war so aggressiv, dass wir ihn auf die Intensivstation bringen und mit einem Narkosemittel ruhigstellen muss- ten», sagt Serge Elsasser, Leitender Arzt für Intensivmedizin. Zu Schaden gekom- men sei niemand, doch es habe 36 Stun- den gedauert, bis sich der Patient von seinem «Trip» erholt habe und entlassen werden konnte. Horrormeldungen aus den USA Seither grassiert wieder die Angst vor «Badesalz». Die «Zombie-Droge» sei in der Schweiz angekommen, war in Zei- tungen zu lesen. Sie verwiesen auf frü- here Horrormeldungen aus den USA – Fälle von Selbstverstümmelungen, Über- dosierungen, gar Kannibalismus. Was steckt dahinter? Die Fakten: «Badesalz» ist ein Sammelbegriff für ¬ eine neue Gruppe von Drogen, die rein synthetisch, also im Labor hergestellt und im Internet als Wellnessprodukte getarnt vermarktet werden. Auch als Pflanzendünger oder Kapseln wird das weisse Pulver zum Schnupfen angeprie- sen. In Fachkreisen kursieren die neuen Substanzen als «Research Chemicals», «Designerdrogen» oder «Legal Highs» – immer wieder neue Stoffe, die vom Be- täubungsmittelgesetz (noch) nicht er- fasst sind. Das bekannteste «Badesalz» ist Me- ¬ phedron, ein Cathinon-Derivat (chemi- sche Bezeichnung: 4-Methylmethcathi- non oder 4-MMC), das in der Schweiz seit Dezember 2010 verboten ist. Beson- ders verbreitet ist Mephedron in Gross- britannien, Schweden, Tschechien, Aus- tralien und Neuseeland. In Grossbritan- nien wurde Mephedron ab 2008 so populär wie Kokain, bevor es im April 2010 verboten wurde. Im selben Jahr registrierten die britischen Behörden 48 Todesfälle «im gesicherten Zusam- menhang mit Mephedron». Im Umlauf ist die Droge noch heute, insbesondere bei Teens und Twens. Über den Wirkmechanismus und die Toxikologie der Substanz ist jedoch we- nig bekannt. «Dafür bräuchte es erstens Tierstudien und zweitens Langzeitunter- suchungen an Konsumenten – ein prak- tisch unmögliches Unterfangen bei der Kurzlebigkeit von Legal Highs», sagt Boris Quednow, Professor für Experi- mentelle und Klinische Pharmako- psychologie an der Universität Zürich. Eine der wenigen Studien zu Mephedron haben britische Forscher Anfang 2012 im Fachblatt «Addiction» publiziert. Sie untersuchten das Verhalten von 20 Me- phedron-Konsumenten während und nach dem Rausch. Unter dem Einfluss der Droge zeigten sich die Probanden verwirrt und unkonzentriert, gleich- zeitig erzählten sie, typisch für Stimu- lanzien, von euphorischen Gefühlen und überbordendem Selbstvertrauen. Auch das Verlangen nach der nächsten Dosis war bei allen schnell wieder da. Bei Gedächtnistests schnitten sie schlechter ab als die Kontrollgruppe. Um die Langzeitwirkung von Mephe- dron einzuschätzen, muss man auf Er- kenntnisse zur natürlichen «Schwester» des Cathinon-Derivats zurückgreifen: die Kath-Pflanze. Diese enthält einen psychoaktiven Wirkstoff, dessen chemi- sche Struktur derjenigen von Mephe- dron ähnlich ist. «Kath wird in Ostafrika seit Jahrhunderten als Stimulanz und Alltagsdroge konsumiert, unter ande- rem gegen den Hunger», sagt Boris Quednow. Die Kathblätter werden ein- zeln vom Strauch gezupft und im Mund zu Bällchen zerkaut. In jüngerer Zeit hat sich Kath global verbreitet, insbeson- dere in den Niederlanden, Grossbritan- nien und Nordamerika; Amsterdam und London sind die wichtigsten Umschlag- plätze für Kath in Europa. Entgleiste Selbstkontrolle Ein Forscherteam um die niederländi- sche Psychologin Lorenza Colzato hat die Langzeitwirkung des Kath-Konsums untersucht. Resultat: Kath-Konsumen- ten sind im Durchschnitt impulsiver als andere, sie können sich schlechter kon- trollieren und sind bei der Arbeit weni- ger leistungsfähig. «Die Ergebnisse las- sen sich mit den Langzeitwirkungen von Kokain und Amphetamin vergleichen, zu denen es gesicherte Daten gibt», sagt Boris Quednow. Und: «Wahrscheinlich bewirken Kath und demnach auch Cathinon-Derivate wie Mephedron ähn- liche Veränderungen des Dopaminsys- tems und anderer Botenstoffsysteme im Hirn wie Kokain oder Amphetamin.» Und was hält der Fachmann vom jüngsten Mephedron-Vorfall in Luzern? Wie beurteilt er Meldungen über die mehrfachen «Kannibalenattacken» aus den USA, bei denen die Angreifer unter dem Einfluss von «Badesalz» ihre Opfer verstümmelt und sie teilweise sogar ge- gessen haben sollen? «Dass solche Ereig- nisse allein durch Mephedron verur- sacht werden, ist schwer vorstellbar, aber nicht unmöglich», sagt Boris Qued- now. «Bei allen Stimulanzien zeigt ein kleiner Teil der Konsumenten sehr intensive Verhaltensänderungen, bei denen die Selbstkontrolle völlig entglei- sen kann. So finden die schlimmsten Gewaltausbrüche von Individuen häufig unter Kokain statt.» Manchmal sei dabei eine vorbestehende psychiatrische Erkrankung mit im Spiel, die durch die Droge ausgelöst oder verstärkt werde. Stimulanzien könnten aber auch bei völ- lig Gesunden vorübergehende Psycho- sen auslösen. Eine «stille Epidemie» Mephedron ist in der Schweiz zwar offi- ziell kaum verbreitet. Trotzdem sieht Boris Quednow in den «Legal Highs» ein ernsthaftes Problem. «Erstens hat sich durch das Internet ein neuer globaler Drogenmarkt etabliert, der sich den bis- herigen Kontrollmechanismen völlig entzieht», sagt er. «Zweitens können da- durch neue Substanzen, die noch auf keiner Liste stehen, sehr schnell unters Volk gebracht und wieder vom Markt ge- zogen werden.» Der Konsument werde so zum Versuchskaninchen. Eine «stille Epidemie» von neurotoxi- schen Substanzen sei im Gang, deren nachteilige Wirkung nicht absehbar sei. «Wir müssen davon ausgehen, dass man- che dieser Stoffe bei den Konsumenten nachhaltige Veränderungen im Gehirn bewirken», sagt Boris Quednow. «Wel- che das sind, wissen wir vielleicht erst in 10 oder 20 Jahren. Dann ist es zu spät, um davor zu warnen.» Gut getarnte Designerdroge Der jüngste Vorfall mit «Badesalz» hat die Diskussion um Designerdrogen neu entfacht. Wie verbreitet die Stoffe hierzulande sind, ist unklar. Ebenso, was sie im Gehirn der Konsumenten anrichten. Hart, spinnwebenartig, zart: Die drei Häute des Gehirns Körperwissen Über die Verbreitung von «Badesalz» und anderen «Legal Highs» in der Schweiz gibt es widersprüchliche Informationen. Mephedron sei hierzulande ein Randthema, sagen die angefragten Fachstellen unisono. Streetwork Zürich etwa hat in den vergangenen zwei Jahren über 800 Drogenkonsumenten befragt, «und nur 13 Personen gaben an, mit Badesalzexperimentiert zu haben», sagt Leiter Donald Ganci. Beim Forensischen Institut Zürich registrierte man seit 2009 lediglich zwei Dutzend Mephedron-Fälle. Aber: «Die Stoffe, die der Zoll zur Analyse an uns weitergibt, sind mannigfaltig an Art und Menge», sagt Stadtpolizei-Sprecher Marco Cortesi. Immerhin ist seit dem 1. Juli 2011 ein strengeres Betäubungsmittelgesetz in Kraft. Teil der Verordnung ist das neue Verzeichnis «e» für Designerdrogen, in dem nicht nur einzelne Stoffe, sondern ganze Substanz- familien gelistet werden können, beispiels- weise alle Cathinon-Derivate. «Mit dem Verzeichnis eist das Schlupfloch für Designerdrogen enger geworden, und die Vollzugsbehörden – Zoll, Polizei, Staatsanwaltschaften – erhalten eine Handhabe», sagt Hans-Beat Jenny von Swissmedic. Die Schweiz verliere dadurch an Attraktivität für den Import und den Transit grosser Mengen «Badesalz». (I.D.) Designerdrogen Strengere Kontrollen Der Ausstieg aus der Kernenergie und die Ziele des Klimaschutzes machen einen grundlegenden Umbau des Schweizer Energiesystems dringend nötig. Dies erklärte der ETH-Rat am Dienstag in Bern. Die Energieforschung der Institute des ETH-Bereichs könnte dabei helfen. ETH-Rat und ETH-Bereich wollen sich für die vom Bundesrat ange- kündigte Förderung der Energiefor- schung einsetzen. Die Regierung erklärte im Juni, sie wolle mit Blick auf die Ener- giewende die Energieforschung für die Jahre 2013 bis 2016 mit 200 Millionen Franken fördern und das Geld beim Par- lament beantragen. Zu den Forschungsthemen des ETH- Bereichs in Sachen Atomausstieg und Kli- mawandel gehören etwa die Speicherung von nachhaltig erzeugter Energie oder sogenannte Smart Grids, intelligente Stromnetzwerke (TA vom 1. 9.). Diese können den unterschiedlichen Anfall von erneuerbaren Energien dem Bedarf der Verbraucher entsprechend besser steu- ern. Mehrere Mikronetze, die ein gesam- tes Netz bilden, sind im Smart Campus an der ETH Hönggerberg im Test. Alexander Wokaun, Leiter Allge- meine Energie und Direktionsmitglied des Paul-Scherrer-Instituts (PSI), nannte als Beispiel die Gewinnung von Methan aus Holz und Landwirtschaftsabfällen. Ein Gasmotor oder eine Brennstoffzelle erzeugt aus dem Gas Strom. Eine Wär- me-Kraft-Koppelungsanlage dieser Art wird die AEW Energie AG mit Partnern aus der Industrie am PSI bauen. 850 Windanlagen wären nötig Ebenfalls ins Ressort Speicherung fällt ein geschlossener CO2-Zyklus für den motorisierten Verkehr: CO2-haltige Luft aus Auspuffen könnte mithilfe neuarti- ger Solarzellen zu Synthesegas aus Kohle- und Wasserstoff umgewandelt werden. Das Gas würde dann als flüssi- ger Treibstoff wieder verwendet. Mit Bautechnologien, -materialien und -systemen sowie nachhaltig erzeug- ten Treibstoffen befassen sich die Empa und die Eawag in Dübendorf ZH. Hans Björn Püttgen, Leiter des Energy Center der ETH Lausanne, veranschaulicht den Umbau des Energiesystems am Beispiel der Windkraft. Zurzeit würden in der Schweiz 8 Windanlagen gebaut, sagte er. «Um die Leistung des Atomkraftwerks Mühleberg zu ersetzen, bräuchte es 850 solche Anlagen.» (SDA) Die Energie der Zukunft Die Droge Mephedron wird als «Badesalz» in unverfänglicher Verpackung gehandelt. Foto: Jon Enoch (Dukas, Eyevine)

Gut getarnte Designerdroge - UZH€¦ · Weniger gut bekam die Designer-droge einem jungen Mann, der Anfang August von der Polizei in den Notfall des Luzerner Kantonsspitals eingewiesen

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34 Tages-Anzeiger – Mittwoch, 5. September 2012

Wissen

Von den Hirnhäuten wird eigentlich nur gesprochen, wenn sie entzündet sind. Meningitis nennen Ärzte die gefürchtete Erkrankung, die meist durch Infektio-nen hervorgerufen wird. Doch die Häute sind auch da, wenn es gut geht. Es gibt drei verschiedene Arten, die in Schich-ten das Hirn und das Rückenmark über-ziehen und schützen.

Die äusserste Hirnhaut, die Dura ma-ter, ist dick und lederartig, sie kleidet die Schädelinnenseite aus. An einigen Stel-len umschliesst sie eine besondere Form von Blutleiter, der das sauerstoffarme Blut aus den Venen des Gehirns und der Augen sammelt und letztlich Richtung Herz weiterleitet. Die mittlere Schicht heisst Spinnwebenhaut (Arachnoidea) und ist von einem Gewebe aus Blutgefäs-sen durchzogen. Darunter liegt der so-genannte Subarachnoidalraum, ein Be-reich mit Bindegewebe, Blutgefässen und Hirnwasser (Liquor). Letzteres wird über Zotten in den Blutleiter der äusse-ren Hirnhaut abgeleitet. Die innerste, weiche Hirnhaut (Pia mater) überzieht die Hirnmasse wie eine Plastikfolie und versorgt das Gehirn mit Nährstoffen aus dem Hirnwasser. (fes) Copyright: Dorling-Kindersley-Verlag

Harte Gehirnhaut(Dura mater)

Subarachnoidalraum

GehirnWeiche Gehirnhaut(Pia mater)

Spinnwebhaut-zotten

Venöse Blutleiter

Spinnwebhaut(Arachnoidea)

Schädelknochen

Arterie

Von Irène Dietschi«Geniale Rauschwirkung» – «angeneh-mes Anfluten» – «Flash kurz nach dem Ziehen»: Mit solchen Formulierungen beschreiben Konsumenten in einschlä-gigen Internetforen die Wirkung von «Badesalz», das sie sich wie Kokain in die Nase gezogen haben.

Weniger gut bekam die Designer-droge einem jungen Mann, der Anfang August von der Polizei in den Notfall des Luzerner Kantonsspitals eingewiesen wurde. «Er war so aggressiv, dass wir ihn auf die Intensivstation bringen und mit einem Narkosemittel ruhigstellen muss-ten», sagt Serge Elsasser, Leitender Arzt für Intensivmedizin. Zu Schaden gekom-men sei niemand, doch es habe 36 Stun-den gedauert, bis sich der Patient von seinem «Trip» erholt habe und entlassen werden konnte.

Horrormeldungen aus den USASeither grassiert wieder die Angst vor «Badesalz». Die «Zombie-Droge» sei in der Schweiz angekommen, war in Zei-tungen zu lesen. Sie verwiesen auf frü-here Horrormeldungen aus den USA – Fälle von Selbstverstümmelungen, Über-dosierungen, gar Kannibalismus. Was steckt dahinter? Die Fakten:

«Badesalz» ist ein Sammelbegriff für ¬eine neue Gruppe von Drogen, die rein synthetisch, also im Labor hergestellt und im Internet als Wellnessprodukte getarnt vermarktet werden. Auch als Pflanzendünger oder Kapseln wird das weisse Pulver zum Schnupfen angeprie-sen. In Fachkreisen kursieren die neuen Substanzen als «Research Chemicals», «Designerdrogen» oder «Legal Highs» – immer wieder neue Stoffe, die vom Be-täubungsmittelgesetz (noch) nicht er-fasst sind.

Das bekannteste «Badesalz» ist Me- ¬phedron, ein Cathinon-Derivat (chemi-sche Bezeichnung: 4-Methylmethcathi-non oder 4-MMC), das in der Schweiz seit Dezember 2010 verboten ist. Beson-ders verbreitet ist Mephedron in Gross-britannien, Schweden, Tschechien, Aus-tralien und Neuseeland. In Grossbritan-nien wurde Mephedron ab 2008 so populär wie Kokain, bevor es im April 2010 verboten wurde. Im selben Jahr registrierten die britischen Behörden 48 Todesfälle «im gesicherten Zusam-menhang mit Mephedron». Im Umlauf ist die Droge noch heute, insbesondere bei Teens und Twens.

Über den Wirkmechanismus und die Toxikologie der Substanz ist jedoch we-nig bekannt. «Dafür bräuchte es erstens Tierstudien und zweitens Langzeitunter-suchungen an Konsumenten – ein prak-tisch unmögliches Unterfangen bei der Kurzlebigkeit von Legal Highs», sagt Boris Quednow, Professor für Experi-mentelle und Klinische Pharmako-psychologie an der Universität Zürich. Eine der wenigen Studien zu Mephedron

haben britische Forscher Anfang 2012 im Fachblatt «Addiction» publiziert. Sie untersuchten das Verhalten von 20 Me-phedron-Konsumenten während und nach dem Rausch. Unter dem Einfluss der Droge zeigten sich die Probanden verwirrt und unkonzentriert, gleich-zeitig erzählten sie, typisch für Stimu-lanzien, von euphorischen Gefühlen und überbordendem Selbstvertrauen. Auch das Verlangen nach der nächsten Dosis war bei allen schnell wieder da. Bei Gedächtnistests schnitten sie schlechter ab als die Kontrollgruppe.

Um die Langzeitwirkung von Mephe-dron einzuschätzen, muss man auf Er-kenntnisse zur natürlichen «Schwester» des Cathinon-Derivats zurückgreifen: die Kath-Pflanze. Diese enthält einen psychoaktiven Wirkstoff, dessen chemi-sche Struktur derjenigen von Mephe-dron ähnlich ist. «Kath wird in Ostafrika

seit Jahrhunderten als Stimulanz und Alltagsdroge konsumiert, unter ande-rem gegen den Hunger», sagt Boris Quednow. Die Kathblätter werden ein-zeln vom Strauch gezupft und im Mund zu Bällchen zerkaut. In jüngerer Zeit hat sich Kath global verbreitet, insbeson-dere in den Niederlanden, Grossbritan-nien und Nordamerika; Amsterdam und London sind die wichtigsten Umschlag-plätze für Kath in Europa.

Entgleiste SelbstkontrolleEin Forscherteam um die niederländi-sche Psychologin Lorenza Colzato hat die Langzeitwirkung des Kath-Konsums untersucht. Resultat: Kath-Konsumen-ten sind im Durchschnitt impulsiver als andere, sie können sich schlechter kon-trollieren und sind bei der Arbeit weni-ger leistungsfähig. «Die Ergebnisse las-sen sich mit den Langzeitwirkungen von

Kokain und Amphetamin vergleichen, zu denen es gesicherte Daten gibt», sagt Boris Quednow. Und: «Wahrscheinlich bewirken Kath und demnach auch Cathinon-Derivate wie Mephedron ähn-liche Veränderungen des Dopaminsys-tems und anderer Botenstoffsysteme im Hirn wie Kokain oder Amphetamin.»

Und was hält der Fachmann vom jüngsten Mephedron-Vorfall in Luzern? Wie beurteilt er Meldungen über die mehrfachen «Kannibalenattacken» aus den USA, bei denen die Angreifer unter dem Einfluss von «Badesalz» ihre Opfer verstümmelt und sie teilweise sogar ge-gessen haben sollen? «Dass solche Ereig-nisse allein durch Mephedron verur-sacht werden, ist schwer vorstellbar, aber nicht unmöglich», sagt Boris Qued-now. «Bei allen Stimulanzien zeigt ein kleiner Teil der Konsumenten sehr intensive Verhaltensänderungen, bei

denen die Selbstkontrolle völlig entglei-sen kann. So finden die schlimmsten Gewaltausbrüche von Individuen häufig unter Kokain statt.» Manchmal sei dabei eine vorbestehende psychiatrische Erkrankung mit im Spiel, die durch die Droge ausgelöst oder verstärkt werde. Stimulanzien könnten aber auch bei völ-lig Gesunden vorübergehende Psycho-sen auslösen.

Eine «stille Epidemie»Mephedron ist in der Schweiz zwar offi-ziell kaum verbreitet. Trotzdem sieht Boris Quednow in den «Legal Highs» ein ernsthaftes Problem. «Erstens hat sich durch das Internet ein neuer globaler Drogenmarkt etabliert, der sich den bis-herigen Kontrollmechanismen völlig entzieht», sagt er. «Zweitens können da-durch neue Substanzen, die noch auf keiner Liste stehen, sehr schnell unters Volk gebracht und wieder vom Markt ge-zogen werden.» Der Konsument werde so zum Versuchskaninchen.

Eine «stille Epidemie» von neurotoxi-schen Substanzen sei im Gang, deren nachteilige Wirkung nicht absehbar sei. «Wir müssen davon ausgehen, dass man-che dieser Stoffe bei den Konsumenten nachhaltige Veränderungen im Gehirn bewirken», sagt Boris Quednow. «Wel-che das sind, wissen wir vielleicht erst in 10 oder 20 Jahren. Dann ist es zu spät, um davor zu warnen.»

Gut getarnte DesignerdrogeDer jüngste Vorfall mit «Badesalz» hat die Diskussion um Designerdrogen neu entfacht. Wie verbreitet die Stoffe hierzulande sind, ist unklar. Ebenso, was sie im Gehirn der Konsumenten anrichten.

Hart, spinnwebenartig, zart: Die drei Häute des GehirnsKörperwissen

Über die Verbreitung von «Badesalz» und anderen «Legal Highs» in der Schweiz gibt es widersprüchliche Informationen. Mephedron sei hierzulande ein Randthema, sagen die angefragten Fachstellen unisono. Streetwork Zürich etwa hat in den vergangenen zwei Jahren über 800 Drogenkonsumenten befragt, «und nur 13 Personen gaben an, mit ‹Badesalz› experimentiert zu haben», sagt Leiter Donald Ganci. Beim Forensischen Institut Zürich registrierte man seit 2009 lediglich zwei Dutzend Mephedron-Fälle. Aber: «Die Stoffe, die der Zoll zur Analyse an uns weitergibt, sind mannigfaltig an Art und Menge», sagt Stadtpolizei-Sprecher Marco Cortesi. Immerhin ist seit dem 1. Juli 2011 ein strengeres Betäubungsmittelgesetz in Kraft. Teil der Verordnung ist das neue Verzeichnis «e» für Designerdrogen, in dem nicht nur einzelne Stoffe, sondern ganze Substanz-familien gelistet werden können, beispiels-weise alle Cathinon-Derivate. «Mit dem Verzeichnis ‹e› ist das Schlupfloch für Designerdrogen enger geworden, und die Vollzugsbehörden – Zoll, Polizei, Staatsanwaltschaften – erhalten eine Handhabe», sagt Hans-Beat Jenny von Swissmedic. Die Schweiz verliere dadurch an Attraktivität für den Import und den Transit grosser Mengen «Badesalz». (I.D.)

DesignerdrogenStrengere Kontrollen

Der Ausstieg aus der Kernenergie und die Ziele des Klimaschutzes machen einen grundlegenden Umbau des Schweizer Energiesystems dringend nötig. Dies erklärte der ETH-Rat am Dienstag in Bern. Die Energieforschung der Institute des ETH-Bereichs könnte dabei helfen. ETH-Rat und ETH-Bereich wollen sich für die vom Bundesrat ange-kündigte Förderung der Energiefor-schung einsetzen. Die Regierung erklärte im Juni, sie wolle mit Blick auf die Ener-giewende die Energieforschung für die Jahre 2013 bis 2016 mit 200 Millionen Franken fördern und das Geld beim Par-lament beantragen.

Zu den Forschungsthemen des ETH-Bereichs in Sachen Atomausstieg und Kli-mawandel gehören etwa die Speicherung von nachhaltig erzeugter Energie oder sogenannte Smart Grids, intelligente Stromnetzwerke (TA vom 1. 9.). Diese können den unterschiedlichen Anfall von erneuerbaren Energien dem Bedarf der Verbraucher entsprechend besser steu-ern. Mehrere Mikronetze, die ein gesam-tes Netz bilden, sind im Smart Campus an der ETH Hönggerberg im Test.

Alexander Wokaun, Leiter Allge-meine Energie und Direktionsmitglied

des Paul-Scherrer-Instituts (PSI), nannte als Beispiel die Gewinnung von Methan aus Holz und Landwirtschaftsabfällen. Ein Gasmotor oder eine Brennstoffzelle erzeugt aus dem Gas Strom. Eine Wär-me-Kraft-Koppelungsanlage dieser Art wird die AEW Energie AG mit Partnern aus der Industrie am PSI bauen.

850 Windanlagen wären nötigEbenfalls ins Ressort Speicherung fällt ein geschlossener CO2-Zyklus für den motorisierten Verkehr: CO2-haltige Luft aus Auspuffen könnte mithilfe neuarti-ger Solarzellen zu Synthesegas aus Kohle- und Wasserstoff umgewandelt werden. Das Gas würde dann als flüssi-ger Treibstoff wieder verwendet.

Mit Bautechnologien, -materialien und -systemen sowie nachhaltig erzeug-ten Treibstoffen befassen sich die Empa und die Eawag in Dübendorf ZH. Hans Björn Püttgen, Leiter des Energy Center der ETH Lausanne, veranschaulicht den Umbau des Energiesystems am Beispiel der Windkraft. Zurzeit würden in der Schweiz 8 Windanlagen gebaut, sagte er. «Um die Leistung des Atomkraftwerks Mühleberg zu ersetzen, bräuchte es 850 solche Anlagen.» (SDA)

Die Energie der Zukunft

Die Droge Mephedron wird als «Badesalz» in unverfänglicher Verpackung gehandelt. Foto: Jon Enoch (Dukas, Eyevine)