Hammelsprung Politk&Internet Ausgabe 1

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    editorial

    Ham |mel | sprung, der;

    (1) parlamentarisches Abstimmungsverfahren, bei demdie Abgeordneten den Plenarsaal verlassen und ihn zurZhlung ihrer Stimmen durch eine von drei Tren be-treten, die jeweils fr Ja, Nein oder Enthaltung stehen;

    (2) berparteiliches und unkommerzielles politischesMagazin an der NRW School of Governance in Duis-burg, von Studierenden gegrndet und im Dezember2009 erstmalig erschienen.

    Die politischen Entscheidungsprozesse und damit unsere ganze Dedern sich zur Zeit unter dem Einfuss neuer Kommunikationstechnter Weise und es ist abzusehen, dass sich diese Entwicklung in deren noch weiter ortsetzen wird. Die technologischen Neuerungenerkennbaren gesellschatlichen Konsequenzen lassen dabei berechtau eine neue Kultur der Teilhabe aukommen: Distanz wird zu Inteenkonsumenten werden zu Produzenten, Whler zu Beratern, Polpartnern und die politische Entscheidungsndung kommt damit wIdeal der allgemeinen Akzeptanz um einiges nher.

    Internet und Politik sptestens seit der Wahl Barack Obamas sind

    grie auch in der breiten entlichkeit eng miteinander verbundenim Mainstream, jedoch scheint die Perspektive verengt und event-oaber haben wir es mit Stroheuern und wann mit Dauerbrennedieser plakativen Titelgebung r die erste Ausgabe des HAMMELSwir den Fokus au langr istige Entwicklungslinien lenken, die sich akampgetses und kurzristiger Hypes autun. Gerade zum Ende deres 2009, das bereits stark vom politischen Geschehen im Netz gedass Wahlen online entschieden wurden, bietet sich nun die Mglirenzierten Refexion.

    Wer sich mit dem Spannungseld Internet und Politik beschtigtReihe von wichtigen Fragen und Problemen stellen: bereinstimausgeprgtes soziales Element als wesentliches Merkmal der aktueEntwicklungen identiziert werden bei den jeweiligen Bezeichnunlerdings noch Uneinigkeiten (S. 22). Wie Technologien aber auch imwerden: Sie sind prinzipiell neutral. Das Internet kann ebenso alsmokratisierungsprozesse (S. 14) dienen wie auch r eine VernetzuTerrorismus (S. 56).Wie gehen wir damit um, wenn gesellschatlich

    nehmend virtuell und online konstruiert werden (S. 11)? Wie werdeDemokratie so essentiellen Medien zukntig entwickeln (S. 26)? Ulichkeiten zur technologischen Integration verschiedener gesellschbereiche werden bereits erprobt und welche Geahren zeichnen sicGerade Verechter des Datenschutzes sollten aber in diesem Zusamachten, bei ihrem Engagement nicht in eine Glaubwrdigkeitsalle z

    Das Internet ist r die Politik Ressource und Risiko zugleich: Partizinur unktionieren, wenn politische Organisationen tatschlich auch

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    Der amerikanische Prsidentschatswahl-kamp 2008 war nicht nur der ersteOnline-Wahlkamp in der Geschichteder Demokratien, sondern kann auch di-rekte Einfsse au Deutschland haben.Zwar lie der Bundestagswahlkamp2009 noch weitgehend ofine ab, den-noch kann sich kein deutscher Wahl-kamp dem Sog der US-Mobilisierungs-Kampagnen entziehen. Trotz vlligunterschiedlicher Wahl-Szenarien undeinem unvergleichbar einmaligen Star-Kult um Barack Obama hat der US-Pr-sidentschatswahlkamp neue Standardsgesetzt, die Nachahmung in Europa n-den werden. Das Web 2.0 wird die po-litischen Kommunikation ebenso revo-

    lutionieren wie vor einigen Jahrzehntendas Fernsehen. Das neue Internet ist einetechnische Innovation, die neue Formendes sozialen und politischen Miteinan-ders mit all seinen weitreichenden Fol-gen r die Kommunikation in Politik,Wirtschat und Gesellschat provoziert. Web 2.0 ermglicht die selbst organi-sierte Interaktion und Kommunikationder Nutzer durch Herstellung, Tauschund Weiterverarbeitung von nutzer- basierten Inhalten ber Weblogs, Wi-kis und Social Networks. BesondersSocial Networking verndert die Rolleund Bedeutung von Inormationen imKommunikationsprozess: Es gibt keinetraditionelle Auteilung mehr zwischenSender und Empnger. Ziel der Politik

    Das Web 2.0 wird die politischeKommunikation revolutionieren.

    Gruwort

    von Karl-Rudolf Korte

    Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Khat seit 2002 die Professor fr PFachgebiet Politisches System Deutschland und moderne StaaUniversitt Duisburg-Essen inne2000 die Forschungsgruppe Reer Direktor der NRW School of G

    muss es sein, zu einem akzeptierten Mit-spieler in diesen sozialen Netzwerkenzu werden. Das Web 2.0 ist vor diesemHintergrund nicht nur eine technischeInternet-Innovation sozusagen einmodernes Werkzeug der Kommunikati-on, sondern darber hinaus auch Arenader Politik. Werkzeug bezieht sich indiesem Zusammenhang au die techni-schen Mglichkeiten moderner Inter-aktivitt, Arena au online gesteuerteInhalte einer prozess- und partizipati-onsorientierten Politik.

    Genau mit dieser hochaktuellen The-matik beschtigt sich die vorliegendePremieren-Ausgabe des HAMMEL-

    SPRUNG, der aus reiwilliger Initiativeseitens der Studierenden entwickel-ten politischen Fachzeitschrit. Die-ses Produkt ist ein weiterer innovati-ver Baustein, um die NRW School oGovernance zu einer wissenschatlichanspruchsvollen Einrichtung der Uni-versitt Duisburg-Essen zu machen. DerHAMMELSPRUNG ist ein gutes B eispieldar, dass unsere Lehre und Forschungauch au das zurckgreit, was jeder miteinbringt: ein sehr kreatives Labor vonvielltigen, bundesweiten Universi-tts-Abschlssen, eigenen persnlichenErahrungen und selbststndigen En-gagement, das wir im Forschungs- undLehralltag stndig nutzen. So knnenwir als Lehr- und Lerngemeinschat

    riskantes Denken, das Provokation im VerhltnBedeutungen, Werte uwill, gemeinsam praktizder geograsche Standmitten im Leben, in deWestens, der Kulturhau2010 macht die NRW nance zu einem gelebnenter sozialwissenschschung. Unsere inhaltlides Politikmanagementund Sachragen der Polipolitikvermittelnden Kwerden, kennzeichnet rer NRW School o Gdazu steuert nun auch

    SPRUNG seinen Beitrbedanke ich mich beim r die wichtigen Vorarbsche dem Projekt alles er

    ernen und sich bereit zeigen, den In-put der sich emanzipierenden Brgerge-sellschat in die Entscheidungsprozesseauzunehmen. Die Politik entdeckt der-weil die neuen Formate r sich, um mitden Brgern au Augenhhe zu kom-munizieren (S. 34 und 30). Gleichwohlsehen sich Politiker einem verndertenEntscheidungskontext ausgesetzt, dervon einer entlichkeit bestimmt ist,die niemals ofine ist (S. 18).

    Dr. Christoph Bieber verdeutlicht im In-terview (S. 4), dass der Erolg einzelnerKomunikations- und Interaktionsmo-delle sich nicht unverndert bertragenlsst, die etablierten Parteistrukturen

    dem Wandel sich aber unbedingt nenmssen. Welche (Irr-)Wege beschreitenaber die politischen Parteien, um demWandel zu begegnen (S. 62)? In Zukuntwerden Brger verstrkt ordern, auchhuger als nur alle vier bis n Jahre unddamit ber die regulren Wahlen hinausEinfuss auszuben. Welche Partizipati-onsormen entstehen im Internet abseitsder etablierten Beteiligungsormate (S.58)? Und welche Potentiale oenbarensich r Regierungen in der Dialogkom-munikation mit den Brgern ber dasNetz zur ber windung von Politikver-drossenheit, aber auch im Hinblick audie strategische Durchsetzung umstrit-tener politischer Vorhaben (S. 42)? Undschlielich bleibt bei aller Euphorie zu

    beachten: Technologischer Fortschrittist immer auch eine Frage gleichberech-tigter gesellschatlicher Teilhabe (S. 64).

    Die Mglichkeit zur Refexion nutztauch unser Gastautor Dr. Hajo Schuma-cher, der rckblickend die von Internet-plattormen beeuerten Proteste zur Pr-sidentschatswahl im Iran analysiert (S.

    46). Unser zweiter Gastautor, Dr. SteanPiasecki, lenkt den Blick au eine hu-g missachtete Whlergruppe, die sichihre eigenen medialen Nischen sucht (S.38). Kajo Wasserhvel, Otto Fricke undPhilipp Mielder stellen sich in Kurzin-terviews der Frage, wie bei wachsenderEmanzipation und Partizipation ihrerMitglieder und Whler die Ezienz despolitischen Systems zu gewhrleisten ist(S. 53 55). Und Franz Mnteering be-tont im Gesprch, dass es immer nochin erster Linie au Authentizitt unddie Qualitt der politischen Inhalte an-kommt, um im Wahlkamp Erst- undJungwhler zu erreichen (S. 50).

    Der HAMMELSPRUNG ist ein interdis-ziplinres studentisches Projekt. Die Re-daktion setzt sich aus Studierenden derNRW School o Governance zusammen.Fr die grasche Gestaltung konnten wirBenjamin Brinkmann vom FachbereichDesign der Fachhochschule Dsseldorgewinnen. Die otograschen Arbeitenin dieser Ausgabe verdanken wir Alex-ander Wurm, Student der Fotograe ander Fachhochschule Dortmund. Zukn-tige Ausgaben des HAMMELSPRUNGsollen ebenalls aus solchen ruchtbarenKooperationen heraus entstehen.

    Wir hoen, mit dem HAMMEL-SPRUNG wertvolle Beitrge zu aktu-ellen politischen Debatten leisten zu

    knnen. Politik, also die Herstellungallgemein verbindlicher Entscheidun-gen, muss zwingend au einer demokra-tischen Kultur der umassenden Inor-mation und Diskussion beruhen. DiesesMagazin behandelt gesellschatliche Fra-gestellungen bewusst aus verschiedenenPerspektiven und vor verschiedenenHintergrnden. Wir wollen so Anste

    r eine individuelle und dierenzierteAuseinandersetzung mit dem jeweiligenThemenschwerpunkt geben.

    Gespannt sind wir au Ihre Rckmel-dungen, am einachsten per E-Mail andie Redaktion:[email protected].

    Viel Spa mit der ersten Ausgabe!

    Die Redaktion

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    Zweifellos hat das Internet fr den Wahlsieg Obamas eine wichtige Rolle ge-spielt. Ist es dem US-Prsidenten jedoch gelungen, die hohe Partizipation imNetz aus dem Wahlkampf in seine Amtszeit mitzunehmen?

    Christoph Bieber: Er gibt sich au jeden Fall redlich Mhe. Einige Formate, die imWahlkamp eine groe Rolle gespielt haben, wurden in den Zeitraum nach der Wahltransportiert und dienen jetzt der oziellen Regierungskommunikation. Deutlichwurde schon mit der Webseite Change.gov aus der Transition Periodzwischen Wahlund Amtseinhrung, dass es ein ernstes Anliegen ist, den KommunikationskanalInternet auch ber den Wahlkampzeitraum hinaus konsequent zu nutzen. AuChange.gov konnten Brger zur Erarbeitung des Regierungsprogramms in einenDialog eintreten, au Missstnde hinweisen und einzelnen Politikeldern besondereRelevanz zusprechen. Gleichzeitig konnte dort auch die Arbeit von Expertengremienverolgt werden. Dieser Ansatz wird seit der Inauguration auch au den oziellen In-ternetprsenzen wie etwa der Webseite des Weien Hauses weiterverolgt.

    Lsst sich dieser direkte Dialog zwischen Regierung und Brgern mit demvon Ihnen mitgeprgten Begriff der Gesellschaftsberatung kennzeichnen also der Beratung der Politik durch die Brger?

    Das sind hug zwei Seiten einer Medaille. Au der einen Seite wird natrlich ver-sucht, entlichkeitswirksam eine neue Form von Regierungs-PR zu inszenieren:Der brgernahe Prsident, der au die Bevlkerung hrt und mit dem Ohr am Pulsder Zeit ist. Dies grenzt schon ast an Populismus. Au der anderen Seite muss man

    dem Angeklagten schon zugute halten, dass tatschlich versucht wird, Sachver-stand von ganz unterschiedlicher Seite her in die Regierungsarbeit mit einzubinden.Oene Brgerpanels oder Arbeitsbcher wie das Citizens Briefng Book sind dabeiFormate, die man durchaus dem Bereich der Gesellschatsberatung zurechnen kann soern man im Hinterkop behlt, dass alles auch einer entlichkeitswirksamenDarstellung und Legitimierung der Regierungsarbeit dient.

    Obama versucht also gleichzeitig, ber das Netz direkte Untersttzung frsein politisches Programm zu mobilisieren?

    Genau, das Versammeln der entlichkeit hinter den Ideen und Zielen des Prsiden-ten ist eine wichtige Ressource, um politische Entscheidungen durchzusetzen undden Kongress von Gesetzesvorhaben zu berzeugen. Diese Strategie des Going Publicist im politischen System der USA est verankert und wurde zuvor schon hug vonden Prsidenten angewandt nur nicht mit diesen Mitteln. Obama sttzt sich au dieneuen Kommunikationstechnologien, um seine Entscheidungen mit Hile der -entlichen Untersttzung zu legitimieren. Er sucht also nicht mehr ausschlielichdie klassische massenmediale entlichkeit, die er mit einer gut lancierten Fern-sehansprache oder einer Pressekonerenz erreichen kann. Das Press Corps, also dieJournalisten in Washington, wird mitunter sogar gezielt umgangen und die breiteKonkurrenz der Brgerentlichkeit direkt angesprochen was bei den etabliertenMedien natrlich nicht immer so gut ankommt.

    Laufen diese Kommunikationsprozesse reibungslos ab oder haben die neu-en Formate auch ihre Schwchen?

    Es scheint, dass die Administration zum Teil noch berordert ist mit der hohenBeteiligung, die sie mit diesen Formaten erreicht. Bei dem ersten Virtual Town HallMeetingetwa waren die Brger im Voreld dazu augeordert, Fr agen an den Prsiden-ten zu ormulieren. Hunderttausende haben davon Gebrauch gemacht, jedoch sindnur ganz wenige in der eigentlichen Veranstaltung augegrien worden. Es lsst sichalso nicht gerade behaupten, dass da ein halbwegs reprsentatives Abbild der Fragenauch tatschlich verhandelt worden wre. Au der anderen Seite signalisiert Obamamit der Schaung einer ganzen Reihe von Posten, die sich mit der Integration undOrganisation von Daten und Inormationen sowie der Erhhung der Transparenzbeassen, dass er diese Probleme erkannt hat und es ihm durchaus ernst ist. So gibtes beispielsweise au einmal eine Direktorin r Brgerbeteiligung, die von Googlekommt und deren Augabe es ist, eben solche Formate zu entwickeln und zu testen.

    eine vlligandere situation

    Der Gieener PolitikwissenschaftlerChristoph Bieber ber die Online-Regierungskommunikation BarackObamas, Herausforderungen frdie deutsche Politik sowie die lang-fristigen Chancen der Piratenpartei.

    Die Fragen stellteAlexander von Freeden

    Dr. Christoph Bieberist Mitglied des Zentrums fr Metivitt an der Justus-Liebig-Univbeschftigt sich mit den AuswirkMedien auf politische und geseZu seinen Verffentlichungen zPublikationen ber Online-Wahlder Mediendemokratie und Intehinaus schreibt er regelmig fsowie verschiedene Weblogs, daPolitik-digital.de.

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    Wenn wir den Vergleich mit Deutschland suchen: Die Angebote, die die Bun-desregierung fr den Dialog im Internet macht, sind bislang eher sprlich.Hat sie Angst, die Kontrolle zu verlieren?

    Da muss man dierenzieren: Eine Bundesregierung hat nach einer Wahl zunchsteinmal ganz bestimmte Augaben zu erledigen, bei denen man die Brger nicht ganzso stark beteiligen kann wie im Wahlkamp. Man kann den deutschen Behrden je-doch auch nicht vorweren, dass sie sich gar nicht nen wrden. Es klingt hug astso, als htte Obama alles erunden wie etwa das Angebot, Gesetzesentwre nochvor der Abstimmung einsehbar und kommentierbar zu machen. Die Internetseite desBundestags kennt aber auch schon seit langem eine Gesetzesdatenbank, in der mandetailliert nachvollziehen kann, wie der Gesetzgebungsprozess ablut, was in An-hrungen gesagt wird und welche Kritikpunkte existieren. Das Verstndnis dar,Regierungsarbeit transparenter zu machen, ist hier lngst angekommen einzelneInitiativen sind sogar schon mehr als zehn Jahre alt. Das Problem ist aber, dass dieProjekte in Deutschland schlechter verkaut und teilweise auch sehr kompliziert dar-gestellt werden: Man hat den Dreh noch nicht geunden, diese Angebote auch aueine brgerkompatible Weise umzusetzen.

    Auf der Ebene der Parteipolitik - welche Vorteile bietet die direkte Kommuni-kation mit dem Brger denn den Parteien?

    Das ist noch eine andere Baustelle: Die Parteien reuen sich ber einen neuen Kanal,um die Brger direkt anzusprechen. Im zweiten oder dritten Zug mssen sie dannaber eststellen, dass diese mglicherweise keine Parteimitglieder sind, und vielleichtauch keine werden wollen. Noch komplizierter wird es, wenn sich herausstellt, dassdie altgedienten Parteimitglieder den neuen Kommunikationsmglichkeiten garnicht so oen gegenberstehen. Es ist eine v llig andere Situation in Deutschland imVergleich zu den USA, was die Klientel angeht. In den Vereinigten Staaten kann prin-zipiell jeder mitarbeiten, der das mchte. In Deutschland gibt es jedoch ein Klassen-system, eine starke Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern.Die Parteien knnen zwar mit ihre n Kampagnen im Netz sicherlich einige Menschenr Politik interessieren, die keine Parteimitglieder sind. Es stellt sich jedoch sptes-tens nach einer Wahl die Frage, wie Politiker ihre Anhngerschat , die sie kurz ristigber Facebook und Twitter rekrutiert haben, langristig in die politische Arbeit ein-

    binden sollen da bin ich sehr gespannt.

    Erwarten Sie, dass das nach der Bundestagswahl 2009 wie schon 2005 alleswieder eingedampft wird?

    Nein, ich glaube schon, dass es diesmal etwas nachhaltiger sein wird. Online-Wahl-kamp ist nichts Exotisches mehr, er nutzt alltgliche Mainstream-Formate, mit de-nen man sich lngerristig auseinandersetzen muss. Bei Twitter und Facebook wirdes auallen, wenn die Politiker nur bis zur Wahl prsent sind, weil sie sich dort esten

    Geolgschaten gegenber sehen. Wenn sie sich unmittelbar nach der Wahl wiederzurckziehen, knnte das negativ auallen. Und daher glaube ich schon, dass mannach dieser Bundestagswahl etwas mehr Politik im Netz erleben wird, aber es wirdauch nicht der galaktische Durchbruch sein.

    Ist es denn typisch fr die Internetgeneration, dass sie sich nicht unbedingtin den Parteien organisiert, sondern eher das unverbindliche und kurzfristigeEngagement sucht?

    Es gibt au jeden Fall viele Mglichkeiten, sich online und abseits der Par teien zu en-gagieren. Die E-Petitionen an den Bundestag erreuen sich wachsender Beteiligung:Die Petition zu den Internetsperren war da keine Ausnahme, auch andere Themenwie Urheberrecht und Grundeinkommen werden recht gut nachgeragt. Soern derBundestag sich diesem Format net und es adquat in den Arbeitsprozess einbin-det, wird dies vermutlich auch so weitergehen. Ich glaube aber nicht, dass dies derWeg ist, au dem sich die Internetgeneration oder die Generation Upload, wie im-mer man sie auch nennen mag ausschlielich engagiert. Denn hier kommen wirzur Piraten-Partei, die mglicherweise sehr gut passen knnte zu dem politischenInteresse und der Aktivitt von Leuten, r die das Internet ein zentraler Lebensinhaltist. Die viel beklagte Politikverdrossenheit ist meiner Meinung nach in hohem Maeeine Parteienverdrossenheit: Parteien gelten Vielen als geschlossene Machtapparate,zu denen nur diejenigen Zutritt erhalten, die sich schon sehr rh und sehr intensiveinbringen. Gleichzeitig ist den Meisten bewusst, dass politischer Einfuss auch nochlngerristig an die Existenz von Parteien gebunden ist. Es wird sich bald entschei-den: Entweder verndern die etablierten Parteien in nchster Zeit ihre Partizipati-onsregeln, indem sie etwa ihre strikten Mitgliederkriterien nen. Oder es ndensich Parteien, die gewissermaen au der Arbeitsebene den Gegenbeweis antretenund demonstrieren, dass politische Prozesse innerhalb von Parteien auch andersablauen knnen als bisher. Die Piratenpartei hat eine realistische Chance, sich ln-gerristig zu etablieren, wenn die etablierten Parteien sich nicht nen und es nichtschaen, eine ordentliche Agenda zu Politik und Netz auzubauen.

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    Der neue Personalausweis heit jetzt oziell Brger-Card und sieht genauso auswie viele andere Chipkarten im Portemonnaie. Das Kartenlesegert r den Laptopwurde bereits gelieert. In einem gesonderten Brie erhlt Jonas Amis 46 Jahre altund Abteilungsleiter bei einer groen Buchhandelskette nun eine PIN-Nummerund eine Reihe von Ino-Materialien, darunter Hinweise zur Einrichtung seinesBrgerkontos au dem Portal buergernetz.de. Jonas net die Website und startetseine Online-Registrierung. Das Prozedere ist anderen Online-Registrierungen sehrhnlich und geht schnell von der Hand. Lediglich die Auswahl der Partnerorganisa-tionen nimmt etwas Zeit in Anspruch. Eine halbe Stunde wird der Abschluss derRegistrierung per E-Mail an sein neues Konto [email protected] besttigt.

    Schne neue Welt?

    Seine neue Brger-Card ermglicht es Jonas Amis, seine Steuererklrung online ab-zuwickeln und vieles Andere am PC zu erledigen, wor er zuvor noch au dem Amtseine Unterschrit leisten musste. Das neue Kartenlesegert ermglicht es, sich onlinezweielsrei zu identizieren. Praktischerweise unktioniert diese Online-Verizie-

    rung nicht nur bei der Kommunikation mit dem Amt, sondern auch r smtliche Zah-lungsvorgnge im Internet. Auch an der Kasse im Supermarkt kann er mit der Chip-karte zahlen und sogar Geld bei seiner Bank abheben, wenn sie denn zu den Partnernder Brger-Card gehrt ast wie bei Payback also. Seine alte Krankenkassenkarte kannJonas derweil entsorgen. In Zukunt werden alle seine P atientendaten au der Brger-Card gespeichert. Und bei der kommenden Bundestagswahl braucht er sich weder umdas Wetter noch die Adresse des Wahllokals zu kmmern. Whlen kann er jetzt vonzuhause aus, indem er sich unter buergerservice.de einloggt und das digitale Kreuzsetzt und das schon bis zu sieben Tage vor dem Wahltermin. Schne neue Welt!

    luxus oder leichtsinn?die id-card in estland wirdzum zentralen daten-speicher jedes brgers

    Die Schulnoten der Kinder kontrollie-ren, den Fahrschein in der Straen-bahn lsen oder eine neue Regierungwhlen alles mit einer Chipkarte.Wie ein kleiner Baltenstaat zumVersuchsfeld der Digitalisierung undZentralisierung unterschiedlichsterGesellschaftsfunktionen avanciert undwas man davon lernen kann.

    von Benjamin Liebsch

    Benjamin Liebschist Student im Masterstudiengaan der NRW School of Governasich mit Umwelt- und EuropapoKfer BJ 1971. Er hlt einen Baschichte & Politik der HHU Dsspraktische Erfahrungen im nordUmweltministerium sowie bei de

    E-Stonia

    Ziemlich unglaublich, aber wahr. Washier gerade beschrieben wurde, ist schonheute Realitt zwar nicht in Deutsch-land, dar aber in Estland, nur dass dieBrger-Card hier ID-Card heit. Derkleine Baltenstaat hat nach seiner Un-abhngigkeit 1991 die Weichen r einenneuen digitalen Staat gestellt. Was inDeutschland schon augrund der de-ralen Struktur und den zahlreichen ins-titutionellen Vetospielern als nahezu un-mglich erscheint, wurde in dem kleinenOstseestaat mit seinen rund 1,3 Millio-nen Einwohnern schnell und zielstrebigumgesetzt. Schon seit einigen Jahren hatE-Stonia den Ru eines Vorzeigelan-des, wenn es um die digitale Integrationder unterschiedlichsten Lebensbereichegeht. Kern dieser K ampagne ist dabei dieDigitalisierung der entlichen Verwal-tung, die der damalige M inisterprsidentMart Laar schon 1992 propagierte, umaus dem maroden Planstaat ein moder-nes demokratisches Gemeinwesen zumachen. Seitdem wurden erheblicheFortschritte gemacht.Besucht man heute die ozielle WebsiteEstlands, hat man zunchst gar nicht denEindruck, au einer staatlichen Internet-seite gelandet zu sein. Das bunte und ge-radezu jugendliche Design erinnert eheran einen Sotware-Hersteller oder einenOnline-Dienstleister. Dies sollte aber

    nicht darber hinwegtuschen, dass derinteressierte Besucher oder Brger miteinem bestimmten Anliegen hier nahe-zu alles ndet, was er bentigt. So kn-nen etwa Wohnortregistrierungen oderSteuererklrungen ber den Brgerser-vice papier- und problemlos abgewickeltwerden. Das Internet ist so zur realenSchnittstelle zwischen Brger und Ad-

    ministration geworden. Von dieser Artder direkten Kommunikation zwischenBrgern und Administration sind andereStaaten noch weit enternt.

    E-Vote

    Die Funktionen der ID-Card gehen mitt-lerweile sogar weit ber das hinaus, wasoben beschrieben wurde. So knnen sichEltern etwa online auch ber die Schul-noten ihrer Kinder inormieren. Eineozielle E-Mail-Adresse bekommt je-des Kind heute selbstverstndlich schonzur Geburt vom Staat geschenkt. Eineder wichtigsten und international meist beachteten Funktionen der ID-Card istallerdings die Mglichkeit, mit ihr wh-len zu knnen. Seit 2005 knnen dieEsten nmlich vom heimischen PC ausihre Stimme in die virtuelle Wahlur-ne weren. hnliche Projekte werdenderzeit auch in anderen Lndern entwi-ckelt. Zum Beispiel in der Schweiz, wogerade stuenweise ein elektronischesWahlverahren eingehrt wird. Bis 2011dren allerdings maximal 10% der Be-vlkerung online whlen gehen. DieseBegrenzung zeigt das Misstrauen, dasdie Eidgenossen der neuen Methodenoch entgegen bringen. Auch in anderenStaaten sind die ersten Gehversuche hinzur digitalen Stimmabgabe noch verhal-ten. In Deutschland hat das Bundesver-assungsgericht Anang des Jahres den

    Einsatz von Wahlgerweil eine ausreichendeKontrolle des Wahlakgegeben sei. In Estland ber diese und hnlicheger Gedanken. Als der Pdes 2005 sein Veto gegengesetz einlegte, wurdeneinige Wochen spter Verassungsgericht beisah das Prinzip one mnicht einmal dadurch die Internetwhler ihreWahlphase beliebig otren knnen.Natrlich ist die Wahluen estnischen Ausweisprominentes Beispiel sich auch andere demten seit einiger Zeit mibeschtigen und neugiBaltenstaat beobachtendie Online-Wahl ist Es ist vielmehr der gesatechnischen Innovationseinem Groprojekt d betreibt. Der Staat ist ner ganzen Innovationsin der unterschiedlicwirtschatliche und priin einem Datentrger Dieser ernet dem oder Privatmenschen er seine ID-Card geradMglichkeiten und Be

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    Diese Funktionsusion in einer ein-zigen Karte ist erstaunlich und irgend-wie beneidenswert zumindest, wennman an das Sammelsurium von Kartenin der eigenen Brietasche denkt. VieleVorteile der seit 2002 in Umlau bend-lichen ID-Card liegen also au der Hand.Vor allem die elektronische Signatur isteine Innovation, die r ein sinnvolleseGovernment als unabdingbar erscheint.Eine Reihe weiterer EU-Lnder verwen-den zwar ebenalls Chipkarten als Aus-weisdokumente, allerdings haben diesekaum zustzliche Funktionen. Aber auchin Deutschland soll ab November 2010ein elektronischer Personalausweis imScheckkartenormat eingehrt werden,mit dem wie in Estland eine elektroni-sche Signatur im Internet mglich seinwird.

    E-Security?

    Estland wird mit seiner ID-Card wohlnoch eine ganze Weile Vorreiter blei-ben: Whrend Diskussionen ber Miss- brauchsmglichkeiten hier nur verein-zelt entstehen, werden anderswo nocherhebliche Sicherheitsvorbehalte or-muliert. Die Mglichkeiten, Daten derBrger auszuspionieren und zu mani-pulieren, erscheinen allerdings auch alsvielltig. Allein durch die vielen Schrit-te, die bei der Online-Wahl zwischenStimmabgabe und Stimmauszhlung

    ntig sind, um die Daten zu sammeln,zu verschlsseln, zu anonymisierenund auszuwerten, entstehen neue Ri-sikoaktoren. Ein Personalausweis, dergleichzeitig Patientendaten enthlt undZahlungsmittel ist, bietet einer Vielzahlunterschiedlicher Interessen erhebliche Verlockungen, Zugri au diese Datenzu erhalten und sie r die eigenen Zwe-

    cke zu nutzen. Schon heute gibt es einenregen Handel mit den Daten der Brger,wie nicht zuletzt ein Bericht des ZDFmit dem treenden Titel Der glserneDeutsche aus dem Juli diesen Jahresdeutlich gezeigt hat. Wenn es also schonjetzt mglich ist, personenbezogene Da-ten aus verschiedenen Lebensbereichenzu einem umassenden Lebensprol zukombinieren, sollte man sich berlegen,ob dies noch weiter vereinacht werdensollte, indem gleich alle Daten au einerChipkarte gelieert werden.Au Deutschland oder andere groeStaaten lassen sich die estnischen Inno-vationen ohnehin nur beschrnkt ber-tragen. Die sozio-konomischen undpolitischen Gegebenheiten in einemFderalstaat mit 82 Millionen sind vondenen eines kleinen zentralistischenStaates mit 1,3 Millionen Einwohnernweit enternt. Trotzdem lohnt es sich,die Entwicklungen dort genau zu beob-achten, um zu gegebener Zeit bewhrteMethoden aus dieser europischen Ex-perimentierstube zu bernehmen. b-rigens: Bei der nchsten Wahl soll dortauch die Stimmabgabe per SMS mglichsein. Estland sucht den Weg in die (di-gitale) Demokratie des 21. Jahrhundertsund leistet dabei zweielsohne wertvollePionierarbeit r den Rest der Welt.

    politisch spielen?

    Chancen und Risiken der Politikver-mittlung von Computerspielen

    von Bastian Stein

    Computerspiele in der gesellschaftlichen Diskussion unterschtzt und berbewertet

    Winnenden, Emsdetten, Erurt sind die Orte, welche die politiscComputerspiele ast ausschlielich geprgt haben. Die intensive Nutherrlichender Spiele durch berwiegend mnnliche Jugendliche geine der mglichen Ursache der Amoklue. Neben den so genannthaben andere Aspekte einen schweren Stand in der entlichkeimerksamkeitswerte erzielen vielleicht gelegentliche Diskussionen uliche soziale Verwahrlosung der World-o-Warcrat-Spielerschat ueiner schwedischen Botschat in der virtuellen WeltSecond Lie. DEcho scheint das Phnomen Computerspiel als Bedrohung wahrzue sich danach ragen, ob diese Darstellung berwiegend durch OfSpieler erolgt und die Betroenen die klassischen Medien wederihnen zu Wort kommen. Obwohl dieser Artikel sich mit der laut senschatler Tobias Bevc bisher vernachlssigten Politikvermittluterspielen beasst, lsst sich in diesem Zuge mit einem Vorurteil au

    Das Computerspiel als Breitensport

    Computerspiele sind lngst in der Mitte der Gesellschat angekomKinderzimmer jugendlicher mnnlicher Nerds entwachsen. Die StDeutschland aus dem Jahr 2006 ergab, dass ca. 31% der Bevlkerunpublik zumindest hin und wieder Computerspiele nutzen. Der berder Computerspieler machen Freizeitspieler (54%) durchschnittli und Gewohnheitsspieler (24%) aus. Intensivspieler stellen ledigliTeil (5%) der Gesamtheit. Computerspielen ist lngst eine Breitenbe

    Bastian Steinhat in Erfurt StaatswissenschaftSchwerpunkt Wirtschaft und Repolitischem Engagement u.a. alsErfurter Studierendenrates war eUnternehmensberatungen bescgehrt zum Abschlussjahrgang diengangs Politikmanagement aGovernance.

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    Politikvermittlung durch Medien

    Mit der Ausdierenzierung und zuneh-menden Nutzung von Computerspie-len stellt sich wie bei anderen Mediendie Frage nach der Politikvermittlung.Politikvermittlung bringt das Erkennt-nistheoretische Grundphnomen zumAusdruck, dass Politik auch r politi-sche Akteure ein berwiegend massen-medial vermitteltes Geschehen ist, daspolitische Realitt nicht einach abbildet,sie vielmehr subjektiv und objektiv erst durch die Publizitt mitkonstruiert,so der Politik- und Medienwissenschat-ler Ulrich Sarcinelli. Zwar kann ber dieMachtverteilung zwischen Medien, Poli-tik und intermediren Institutionen ge-stritten werden, aber der grundstzlicheEinfuss medial vermittelter Wirklich-keit au die entliche Meinung und da-mit Politikentscheidungen ist anerkannt

    Konstruktion politischerWirklichkeit im Spiel

    Die Besonderheit von Computerspie-len im Unterschied zu anderen Medienliegt laut Tobias Bevc im Zusammenallvon Spiel und Erzhlung von Ludologie(Lehre vom Spiel) und Narration. Wh-rend der Spieler im Spielgeschehen eineGeschichte und ein Ziel verolgt, ist er bei der Wahl der Mittel und der Wegeabhngig von den programmierten Re-

    gelstrukturen. Andere Wege als diedurch die Gamedesigner vorgeschriebe-nen sind bisher nicht mglich. To- bias Bevc nennt dies die Ideologie desProgrammcodes. Der Spieler ist hierbeinoch einschlgiger in das Gescheheninvolviert als zum Beispiel bei der Lek-tre eines Textes oder dem Sehen einerFernsehsendung. Dies drngt die Frage

    au, ob im Vergleich zu anderen Mediendie kritische Distanz zur Spielgur ehlt.Wenn er au diese Weise das Erlebenund die Motive der Protagonisten beob-achtet, wird ihm letztlich suggeriert, dassdie gemachten Erahrungen seine eige-nen sind meint der Politologe HolgerZap, der sich mit den gesellschatlichenAuswirkungen von Computerspielenbeschtigt. Hug enthalten Computer-spiele auch transmediale Elemente ausder realen Welt, etwa Zeitungsartikel,Fernsehbeitrge, Graken und Texte, diedem Spieler das Gehl vermitteln, mitseinem Spiel in Bezug zum realen Ge-schehen zu stehen. Was bedeutet das rdie Vermittlung politischer Botschaten?Die Konstruktionsleistung gilt r die Vermittlung von politischen Inhalten,auch wenn Computerspiele bzw. derenEntwickler dies nicht oensichtlich be-absichtigen. Tobias Bevc asst wie olgtzusammen: Computerspiele beinhaltenkaum explizite politische Aussagen; gehtman aber von einem sehr weit geasstenBegri von Politik aus, maniestierensich politische Aussagen beispielswei-se in der Darstellung von Spielern undGegenspielern oder auch der Rolle vonGewalt etwa wenn der SpielverlauGewaltanwendung erordert, um denGegner zu besiegen [] Weitere politi-sche Themen sind zum beispielsweisedie Darstellung der Entwicklung derMenschheit oder einer Gesellschat, Fra-

    gen von Polizeigewalt, Gesetzlosigkeit,Mindestlhnen, Steuern, menschlichemZusammenleben im Spielverlau etc. Inall diesen Aspekten lassen sich, vor allemwenn man sie jeweils in ihren jeweiligenSpielkontexten sieht, genuin politischeAussagen erkennen.

    Alexander Wei, Politikwissenschatleran der Universitt Hamburg, sieht Com-puterspiele als Aubewahrungsorm desPolitischen. Die politischen Aussagenvon Computerspielen analysierte er amBeispiel des Spieles Civilization, einer-seits durch die Sequenzierung von Han-deln und Erleben und anderseits durchden Highscore. Der Highscore lsstden Spieler die Handlungsolgen seinerEntscheidungen erleben und bewertetdiese in einem Punktesystem. In demFallbeispiel war die berlegenheit derwestlichen Zivilisation, der Erolg vonmilitrischen Interventionen und der ul-timativen Steuerbarkeit der Gesellschatdurch staatliche Institutionen nur einigeder wenn auch durch die Spieleent-wickler unbeabsichtigten politischenWirklichkeit des Spiels. Die Anllig-keit, die Ideologie des Programmcodesr Abbildungen der realen Welt zu hal-ten, steigt mit zunehmender Unkennt-nis realer politischer Prozesse durch denNutzer.

    Christoph Klimmt, Inhaber einer Juni-orproessor r Publizistik mit Schwer-punkt Online-Kommunikation an der Johannes-Gutenberg-Universitt inMainz, hat den Zusammenhang vonComputerspielkonsum von Jugendli-chen, den inhaltlichen Botschaten vonSpielen und der politischen Prerenz derSpieler in einer noch unverentlichten

    Studie untersucht. Dieser zuolge ver-mittelten die untersuchten Spiele vorallem konservative Werte wie Gewaltals legitimes, planbares sowie erolgrei-ches Mittel der Konfiktlsung, Wettbe-werbsdenken und Sozialdarwinismus,Orientierung an Markt und Wettbewerb,Autreten patriotisch-nationaler Sym-bole und staatstragender Akteure. Hi-

    erarchisch organisierte Spielwelten undstrae Beehlsstrukturen (Preuen-tum) sowie konservative Moral- undStraphilosophie treten zu Tage. Um-ragen unter Spielern und Nichtspielernhaben ergeben, dass Spieler huger diegenannten Werte berworten und sichau der politischen Skala eher rechts ein-ordnen als Nichtspieler. Klimmt vermu-tet dahinter einen Sozialisationseektvon Computerspielen.

    Chancen und Risiken von Counterstrike zu Edutainment

    Es gibt gengend Grnde, sensibler mitder Konstruktion politischer Wirklich-keit durch Computerspiele umzugehen.Das gilt nicht nur r die Spieleentwick-ler selbst. Durch das einzigartige Hand-lungserleben eignen sich Computerspie-le hervorragend zur bermittlung vonBotschaten. Die Industrie greit dieseMglichkeit mit der Entwicklung vonAdvertise Games au. Aber auch die rech-te, linke und islamistische militante Sze-ne setzt lngst nicht mehr nur au Schul-ho-CDs oder Broschren, sondern mehrund mehr au harmlose Spiele, um mitihren Botschaten neue Zielgruppen zuerreichen. Langsam nimmt auch Politikund Verwaltung diesen Aspekt jenseitsvon der Debatte um Amoklue wahr.So beschtigt sich eine Abteilung derBundeszentrale r politische Bildung

    mit Computerspielen im Zusammen-hang mit politikernen Zielgruppen. Zu Wahlkampbeginn im Superwahljahr2009 entstanden unzhlige Mini-Spiele,rei vergbar r den Whler im Netz.Das Browsergame Power o politics wur-de eigens in Zusammenarbeit mit demsterreichischen Bundesrat entwickelt,um spielerisch die Kenntnisse von Ju-

    gendlichen ber politische Prozesse zuerhhen und damit Politikverdrossen-heit zu verringern. Wie bei der Internet-nutzung des Obama-Wahlkampes sindaber auch hier die Vereinigten Staatenden europischen Verhltnissen voraus.Schon 2002 verentlichte die UnitedStates Army den Egoshooter AmericasArmy. Es dient laut Aussagen der Armeevor allem der Popularittssteigerung desHeeres und als cost-eective recruit-ment tool. Und es ist natrlich kosten-los im Internet vergbar s amt Online-Rekrutierungsportal.

    Quellen:

    Bevc, Tobias (Hg.), 2006: CompZur Konstruktion von Politik undComputerspielen. Mnster: Lit V

    Klimmt, Christoph, 2006: Comppolitischer Konservatismus unteVortrag auf dem Workshop Konund Gesellschaft in Computersp19.-20.Oktober 2006

    Gerhards, Jrgen, 1998: Konzepffentlichkeit unter heutigen MeJarren, Otfried und Krotz Friedriunter Vielkanal-Bedingungen, B

    Luhmann, Niklas 2004: Die ReaMassenmedien, Wiesbaden: VS

    Sarcinelli, Ulrich, 1998: MediatisKommunikation in der demokratEin Handbuch mit Lexikonteil, W

    Spielplatz Deutschland 2006: SpURL: http://www.spielplatzdeut

    Wei, Alexander, 2006: ComputAufbewahrungsform des PolitiscTheorie in Age of Empires und CTobias 2006, S. 77-98

    Zapf, Holger 2006: AnmerkungKommunikation im Medium ComTobias 2006, S. 99 - 113

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    Das Internet erleichtert den r eine Demokratie wesentlichen gesellschatlichenDiskurs. Besonders in autoritr gehrten Staaten birgt das Web 2.0 erheblicheChancen r die Verbreitung und Festigung von demokratischen Werten. Dessensind sich Soziologen und Kommunikationswissenschatler schon lange vor denjngsten Ereignissen im Iran bewusst geworden. Jrgen Habermas sieht darin seineGrundthese des deliberativen demokratischen Verahrens besttigt: DemokratischeStrukturen knnen sich nur dann herausbilden, wenn innerhalb der Bevlker ung soviel Austausch wie mglich stattndet. In einem Auszug seiner Kleinen PolitischenSchriten heit es: Die computergesttzte Kommunikation [] unterminiert dieZensur autoritrer Regime, die versuchen, spontane entliche Meinungen zu kont-rollieren und zu unterdrcken. Besonders Twitter bietet als das neuste Social Medi-um die Mglichkeit, unmittelbar und breit gestreut Meinungen rei zu uern bzw.auszutauschen, und so den digitalen Aktivismus anzukurbeln. Aber auch Blogs undWeb-Portale sind hierr vor allem in Hinblick au undierte Diskussionen und dengesellschatlichen Dialog aus der digitalen Welt nicht mehr wegzudenken.

    Esraa Al Shafei Eine wie Keine

    Das Internet ist olglich ein Garant r Meinungsreiheit und Austausch in Lndern,wo Zensur und staatliche Kontrolle der Medien gang und gbe ist. Auch Esraa AlShaei hat das groe Potenzial erkannt, das das Medium mit sich bringt. Die 25-jh-rige Internetaktivistin wei, was es bedeutet, unter Zensur zu leben, zu denken undvor allem zu schweigen. Esraa kommt aus dem Inselstaat Bahrain, wo schon seitlanger Zeit Internetseiten mit innenpolitischen Inhalten und seit Beginn diesenJahres auch zunehmend Web 2.0-Formate wie beispielsweise Social Media Plattor-men gesperrt werden. So wird der Zugang tausender Web-Seiten verhindert. Dassei allerdings noch harmlos im Vergleich zu Syrien oder dem Iran, so Esraa, wo dieAnzahl der zensierten Web-Seiten in die Millionen gehe. Die Region Naher Osten istgeprgt von gewaltsamer Unterdrckung der Meinungsreiheit und des entlichenpolitischen Diskurses.Doch die engagierte, enthusiastische junge Frau lsst sich von der staatlichen Re-pression dieser Lnder nicht einschchtern. Mit 19 Jahren grndete Esraa ihre erste bedeutende Plattorm Mideastyouth.com, die in den nacholgenden Jahren durchein Netzwerk aus weiteren Projekten ergnzt wurde. Frustriert sei sie gewesen berdie von Vorurteilen belastete und einseitige Darstellung der Jugendlichen in den

    Meinungsfreiheit war lange ein wenigbekanntes Wort im Nahen Osten.Dieses nderte sich sptestens mitder Grndung der PlattformMideastyouth.com von Esraa AlShafei. Aber wie revolutionr kann dasWeb 2.0 in der krisengeschtteltenRegion sein? Eine kontextuelle Be-trachtung der Plattform und ein Portrtihrer Grnderin Esraa Al Shafei

    von Alice Berger

    Alice Bergerhat von September 2004 bis Juversitt Maastricht den Bacheloabsolviert. Nach Praktika beim FPhilanthropy gGmbH (Berlin), de(Bonn) sowie bei dem German IStudies (Hamburg) studiert sie smester 2008/2009 den Masteran der NRW School of Governa

    im krieg mit

    staatlichen ltern das internet als garantfr meinungsfreiheit

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    Medien des Nahen Ostens. Darauhinhabe sie das Ganze selbst in die Handgenommen. Heute tauschen sich auder Plattorm Mideastyouth.com nebenMuslimen und Juden auch Christen,Perser und Araber, Sunniten und Schii-ten sowie Trken und Kurden ber ihreMeinungen, Leidenschaten, Honun-gen, politischen Einstellungen und Ide-ale aus. Mideastyouth.com bietet zumersten Mal eine Gelegenheit, die Jugenddes Nahen Ostens im globalen Diskursin all ihrer Tiee, ihrer Gehle und ihrerKomplexitt darzustellen, so Esraa ineinem Interview mit Simon Columbusvon dem Nachrichtenportal Gulli.com.Die Vielalt der zu diskutierenden The-mengebiete wie Menschenrechte, Reli-

    gion, Minderheiten und Freizeit sowiedie Vielalt der teilnehmenden Bloggererlaubt eine dierenziertere Betrachtungder unterschiedlichen Ansichtsweisenau Mideastyouth.com. Und das ist ganzim Sinne der Habermasschen Grund-these.

    Die Reichweite derMeinungsfreiheit im Geheimen

    Sind also autoritr gehrte Staatendurch Plattormen wie Mideastyouth.com von Esraa Al Shaei au dem Wegzur Demokratie? Eine waghalsige Ver-mutung. Die aktuellen Beispiele im Iranhaben zwar gezeigt, welch immenses

    Ausma digitaler Aktivismus nehmenkann. Und auch Esraa zeigt Wege au,wie Austausch in der Bevlkerung undzwischen verschiedenen Religionen,Kulturen und ethnischen Gruppierun-gen au eine riedertige, neugierige Artund Weise mglich ist. Jedoch ist undbleibt Zensur Alltag r Blogger und di-gitale Aktivisten im Nahen Osten. Die

    stndig neu geundenen Wege, der staat-lichen Kontrolle zu entgehen, werdenschnell vom Staat eingeholt. Wir be-nden uns im Krieg mit den staatlichenFiltern, so Esraa im Interview au Gul-li.com. Und nicht nur mit Zensur ist zukmpen. Immer wieder ist von Verol-gung und Inhatierung die Rede auchbei Esraa. Die Blogger seien zunehmendgehrdet - vor allem, wenn sie ber lo-kale Angelegenheiten diskutieren.Obwohl demokratische Elemente lang-sam Einzug in die Gesellschaten desNahen Ostens halten, kann von einer di-gitalen Revolution und einem Siegeszugder Demokratie in der Region noch lan-ge nicht die Rede sein. Ein erster Schrittallerdings ist getan und mutige Beispie-

    le wie Esraa al Shaei geben Honung.Letztlich kommt es aber auch darau an,wer das Rennen des technischen Fort-schritts gewinnt: die staatliche Kont-rolle oder die Nutzer. Whrenddessensind die au der Strae auszutragendenKmpe gegen die repressiven Regimewohl unumgnglich und knnen durchdas Internet nicht ersetzt werden. Wennofine und online-Welt jedoch mitein-ander verbunden werden, knnen sichder interkulturelle Austausch und dieDemokratisierungstendenzen nachhal-tig etablieren.

    Browser? Was sind denn jetzt nochmal Browser?Brigitte Zypries, 2007

    Das Handy zu bedienen ist schon viel. [] Ich habe Gott sei Dank Ldie r mich das Internet bedienen.Michael Glos, 2007

    Ich wei nur, dass es Leute gibt, die da so ein Programm entwickeltman mit einzelnen Fundwrtern dann was nden kann, aber ich maHans-Christian Strbele, 2007

    Das Internet macht doo.

    Henryk M. Broder, 2007

    Der Computer ist r mich eher so ein ganz einaches Instrument.Wie ein Hammer oder ein Nagel.Guido Westerwelle, 2007

    Was berechtigt eigentlich jeden C omputerbesitzer,ungeragt seine Meinung abzusondern?Jean-Remy von Matt, 2006

    Wir haben das Internet als interaktives Medium berschtzt.Dieter Gorny, 2002

    Auerdem bin ich anstndig, mir muss das BKA keine Trojaner schWolgang Schuble, 2007

    Wenn irgendwann so etwas autaucht wie Acrobat Reader, ist r m

    wieder Feierabend. Ich habe es auch noch nie geschat, im Internet ren oder mir einen Videoclip anzugucken. Ich habe auch keinen Druich im Jahr vielleicht drei mal mache, ist, einen Text zu mailen.Harald Schmidt, 2003

    Das Internet? Gibts diesen Bldsinn immer noch?Homer Simpson

    Zusammengestellt

    von Isabelle Sonnenfeldund Alexander von Freeden

    kein kommentar

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    Die rasante technische Entwicklung unddie Technikanitt der Gesellschat ha-ben zu einer Revolution der Kommuni-kation gehrt. Whrend Mobilteleoner stndige Erreichbarkeit sorgen, habenE-Mails lngst den klassischen Brie er-setzt und bewirken einen unverzgertenschritlichen Austausch. Lngst vorbeiist die Zeit, in der man mindestens drei bis vier Tage au eine schritliche Ant-wort warten musste mit Smartpho-nes lassen sich E-Mails auch unterwegsim Moment des Versands empangen.Breitbandverbindungen ermglichen Videokonerenzen und den intensivenDatenaustausch quer ber den Globus,whrend Internetplattormen die Ver-netzung und den Dialog von unzhligen

    Teilnehmern berdern. Nahe liegt alsodie Vermutung, dass das Internet auchzu Vernderungen im Verhandlungs-kontext politischer Entscheidungsn-dung gehrt hat. Wenn politische Kom-munikation zukntig ber Bits undBytes ausgetragen wird wo bleibt dabeidie politische entlichkeit? Wagen wir einen Ausblick in das Jahr2029: Es ist die erste Plenarwoche des22. Bundestages. Die Plenardebatte ist invollem Gange, der Bundeskanzler hltgerade die Regierungserklrung. Nahezualle Abgeordneten des Deutschen Bun-destages sind anwesend doch der Ple-narsaal unter der Reichskuppel in Berlinist leer. Der Web-Server aber, au dem

    das internet alsverhandlungskontextfr politischeentscheidungstrger

    Der Wandel unserer Kommunikations-kultur ist evident und allgegenwrtig doch welche Implikationen fr die poli-tische Entscheidungsndung undihre Akteure lassen sich identizieren?

    von Andrs Mndez Inclan

    Andrs Mndez Inclanist Politologe und absolviert derzStudiengang an der NRW SchooAutor fhrte bereits das Bro einneten als dessen persnlicher Rer als Wahlkampeiter bei einer Mitarbeiter fr einen BundestagNeben seinem Studium war Andder CHE Consult GmbH besch

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    nun alle Plenardebatten virtuell stattn-den, ist gut besetzt. Jeder Abgeordnetehat Zugang, kann sich melden, dazwi-schenruen und abstimmen. Wie heute nur eben virtuell. Vision oder Utopie?

    Das Internet die Agora der Zukunft?

    Zurck in die Gegenwart: Einverstan-den, die Vorstellung eines virtuellen Ple-narsaales mutet an, als sei sie einem Best-selleroman von J.G. Ballard aus der New Wave der Science Fiction entnommen.Aber vollkommen an den Haaren herbei-gezogen ist das Szenario vielleicht dochnicht, auch wenn es momentan noch alsuerst schwierig erscheint, einer par-

    lamentarischen Debatte zwischen denetwa 600 Abgeordneten virtuell gerechtzu werden. Doch wer wei zukn-tige technische Entwicklungen mgenauch dies mglich machen. Schon heutewerden handeste Verhandlungspro-zesse in die virtuelle Sphre verlagert,so etwa in Grobritannien. Hier wirdgerade in einer Probephase die virtuelleGerichtsverhandlung eingehrt: Nacheiner Festnahme kann am selben TagAnklage erhoben und virtuell vor einemRichter per Webcam der Prozess gehrtwerden. Der Anwalt muss dabei nochnicht einmal beim Mandanten vor Ortsein. Es reicht aus, wenn er ebenalls perWebcam an der Verhandlung teilnimmt.

    Ob diese Art der judikativen Gewaltaus-bung mit dem entlichkeitsprinzipeiner Demokratie vereinbar ist, kann jedoch stark bezweielt werden. Nichtohne Grund hat Helmut Schmidt est-gestellt, dass das Grundrecht der Mei-nungsreiheit r den Brger nicht vielwert wre, wenn sein Prozess vor einemGericht im geheimen verhandelt wrde,

    oder ein Parlament unter Ausschluss derentlichkeit tagen wrde.Gerade die Frage nach der politischenentlichkeit ist, zumindest r politi-sche Entscheidungstrger, eminent. Mitihr steht und llt die Legitimation einerpolitischen Entscheidung. Im Kern gehtes hier um das altgriechische Demokra-tieideal, bei der die entlichkeit als Po-lis au der Agora teilnimmt. Ob au dengriechischen Marktpltzen, dem rmi-schen Forum Romanum oder im Plenar-saal des Deutschen Bundestages, Politikwird in irgendeiner Form entlich ge-macht, um legitimes politisches Handelnzu gewhrleisten. Nahe liegt deshalb dieFrage, ob das Internet r den modernenDemos die adquate Agora bildet, also

    ob der mndige Brger das Internet alspolitischen, entlichen Raum nutzenkann.

    Verhandlungen um Millionen

    Whrend es sich in der globalisierten Wirtschat mittlerweile lngst etablierthat, Verhandlungen ber Millionenge-schte per Videokonerenz zu hren,tun sich politische Entscheidungstrgerdamit noch recht schwer. Das Hoch derGehle bildet dabei vielleicht einmaleine Teleonkonerenz r den Fraktions-oder Parteivorstand. Verhandlungen umwirklich wichtige politische Entschei-dungen nden nach wie vor klassisch

    von Angesicht zu Angesicht statt.Dennoch spielen das Internet und seineneuen Kommunikationsmglichkeiten bereits heute eine nicht zu unterscht-zende Rolle im politischen Verhand-lungsprozess. Im Policy Cycle, demidealtypischen Modell des politischenProzesses, kommt der politischen -entlichkeit durch das Internet eine be-

    sondere Bedeutung bei der Problemde-nition, dem Agenda-Setting und derPolitikormulierung zu. In der Realittzeigt das Beispiel der Online-Petitiongegen die Sperrung von Internetseitendurch das BKA und die damit verbun-dene Zensursula-Kampagne, dass dervirtuelle Demos ein politisches Themaeindringlich au die Agora tragen kann.Die Geschwindigkeit von Entschei-dungsndungsprozessen wurde durchdas Internet erheblich erhht. Entschei-dungsentwre knnen ber E-Mailschnell verbreitet und in Online-Forendiskutiert werden. ICQ, MSN oderSkype erleichtern die Kommunikationzwischen Entscheidungstrgern, trotzrumlicher Distanz. Immer mehr Poli-

    tiker nutzen das Internet, um ihr poli-tisches Handeln der entlichkeit zuvermitteln: ber Facebook, StudiVZ,Twitter, Blogs und andere Plattormenwird in Echtzeit eine aumerksame poli-tische entlichkeit erzeugt.

    Die Distanz schwindet, doch dieArbeitsbelastung wchst

    Au der einen Seite erscheint dies alleswnschenswert. Es lsst sich wohl an-nehmen, dass die Verbreitung von In-ormationen durch politische Entschei-dungstrger nie zuvor so ungehindertvonstatten gegangen ist. Vor der Etab-lierung des Internets waren die Abge-

    ordneten darau angewiesen, dass wohl-wollende Print- oder Rundunkmedienihre Botschaten und Entscheidungentransportierten. Heute sind sie natr-lich immer noch au ein gutes Verhltniszu den Medien angewiesen. Sie knnenaber und das ist entscheidend berdas Internet schnell mit der politischenentlichkeit kommunizieren, ohne

    dabei einer journalistischen Auswahlund Bewertung zu unterliegen. Gleich-zeitig lsst sich otmals ein direktesFeedback erreichen, whrend die Dis-tanz zwischen Brgern und Politikernschwindet.

    Au der anderen Seite erschwert aberdiese stndig prsente entlichkeit Verhandlungen zwischen politischenEntscheidungstrgern. Zum einen lassensich mit den vielltigen Mglichkeitendes Internets nicht nur Inormationenverbreiten, die tatschlich zur Ver-entlichung bestimmt sind auch unge-wollte Inormationen knnen schnelleVerbreitung nden. Als es die modernenKommunikationsnetze noch nicht gab,

    war es etwa r Journalisten wesent-lich schwieriger, an geheime Verhand-lungsergebnisse zu gelangen oder aus Verhandlungen heraus zu berichten,die unter Ausschluss der entlich-keit stattanden. Mit dem Mobilteleonwurde dies schon wesentlich leichter,da hiermit die Mglichkeit bestand, sichper SMS aus einer lauenden politischen Verhandlung heraus mitzuteilen. DasInternet aber bietet nun die Mglichkeit,etwa ber die Plattorm Twitter eineprinzipiell unbegrenzte Leserschat miteiner einzigen Mitteilung aus einer Ver-handlung heraus in Echtzeit zu erreichenund so womglich ihren Ausgang zu be-einfussen. Insgesamt hat sich die Takt-

    olge des medialen Schlagabtauschesstark erhht. Atemlos werden Blog-Beitrge, Facebook-Statusmeldungen,Massen-E-Mails, Gstebuchkommenta-re und Pressemitteilungen aneinander-gereiht, so dass der Prsenz- und Recht-ertigungsdruck stetig ansteigt. Das hoheInormationsaukommen hat so ganzpraktische Konsequenzen r den politi-

    schen Alltag: Wohl jeder politische Ent-scheidungstrger wird sthnend davonberichten knnen, wie viele ungewollteund irrelevante E-Mails, Tweets, Pinn-wandeintrge und andere Nachrichtenihn jeden Tag erreichen und wieviel Zeitdie Bearbeitung und Beantwortung kos-tet.

    Festzuhalten bleibt, dass das Internet ei-nen massiven Einfuss au den Kontextausbt, in dem politische Entscheidun-gen getroen werden. Vorsicht scheintdort geboten, wo die Technik dazu ge-nutzt wird, die breite entlichkeit zuumgehen und Verhandlungen im digi-talen Hinterzimmer auszutragen. Man-gelnde Legimitt wre die Folge. Fr Po-

    litiker ist es derweil angenehm mit denBrgern kommunizieren zu knnen,ohne Umwege und ohne von redaktio-nellen Gnaden abhngig zu sein. Diesenwiederum ernet das Internet einenneuen Rckkanal, so dass ein Mehr anKommunikation und Interaktion mgli-cherweise das Ergebnis ist, in jedem Fallaber auch eine Mehrbelastung r Poli-tiker provoziert. Und was die eingangsangehrte Vision von der Zukunt derBundestagsdebatten angeht: Allem tech-nologischen Fortschritt zum Trotz wirdvoraussichtlich auch im Jahr 2029 derPlenarsaal unter der Kuppel des Reichs-tags mit Abgeordneten gellt sein.

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    Social Networks, Angela Merkels Pod-cast, del.icio.us, Micro-Blogging, Wahl-getwitter, Smartmobs die Liste derBegrie, die im Allgemeinen mit Politikund dem Internet in Zusammenhang ge-bracht oder von vielen unter dem Mantelder Unwissenheit verstaut werden, lie-e sich ewig lang ortsetzten. Dennochwird ortwhrend die Beschreibung ei-nes bergeordneten Zusammenhangserwartet, der r uns die rasanten Vern-derungen in der digitalen Welt au denPunkt bringt. Aber wie soll dieser aus-sehen? Web 2.0 scheint das Schlagwortzu sein, das hier Abhile zu schaen ver-spricht. Nur ehrlich, hilt uns das weiter?Ist die Aussagekrat dieser Formel nichtgenauso zweielhat wie Leben 2.0, Po-

    litik 2.0, MdB 2.0 oder Stasi 2.0? DieserBeitrag soll ein wenig Licht ins Begris-und Cyberdunkel bringen.

    Informatikerchinesisch

    Der studierte Philologe und Sot-wareentwickler Tim OReilly prgte im Jahre 2003 den Begri Web 2.0 nachdem Platzen der so genannten dotcom-Spekulationsblase, denn in dessen Folgesah er das Internet einer grundlegenden Vernderung ausgesetzt. Nutzung undInhalte des Internets wurden zuneh-mend von einem Pradigmenwechselgekennzeichnet: Der Internetnutzerwandelte sich vom passiven Konsumen-

    vom hype 2.0zum social web

    ber den sozialen Charakter desInternets und die Konsequenzen frdie Politik.

    von Sophia Schnborn

    Sophia Schnborngehrt zum Abschlussjahrgang studiengangs Politikmanagemeof Governance. Zuvor erwarb sieScience in Angewandter Kommenwissenschaft. Sie absolvierte Krupp sowie der Stiftung fr Wisin Berlin, und engagiert sich bei

    ten zum potenziellen Prenommierte EnzyklopOnline etwa wurde in von der Online-Enzykdia abgelst und damiparticipation verbunde bis heute: Der Begri Wwie vor nicht eindeutigmehr zog er in den letzau sich: Er sei zu technmatikerchinesisch, docdie Beschreibung der eierung. Eine bloe Tranhin eine zweite Stue iden Zahlen 2.0 zu ums Weiterentwicklung, daner neuen Qualittsstuim Internet wird jedoch

    Begri Social Web bewenn hier zunchst technomische Aspekte ausgeOb Web 2.0 oder Socialbleibt dennoch gleich: Eaktion, Partizipation, KAustausch, Netzwerkbzentralitt statt Zentralin Internettagebchernnannten Blogs, in kurzber Twitter, den Micund Videosharing, meisPodcasts, den kurzen Webormat, Chats als Enikation, dem Abo vondurch RSS, Bookmwie del.icio.us oder S

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    Mehrwert r alle Teilnehmer und Nut-zer. Diese Neuerung vermgen auch Be-grie wie kollektive Intelligenz oder kol-lektive Wissensproduktion mit Inhaltenzullen.

    Der Podcast von Angela Merkel bei-spielsweise geht an der many-to-many-Kommunikation des Social Web vorbei:Partizipation ber eine Kommentarunk-tion oder Bewertung ist nicht mglich.Die durch die Bewertung beispielswei-se mit Hile von Social Bookmarks aus-gelste Selbstorganisation ist allerdingsein grundlegendes Element des Social Webs und kann nicht einach umgan-gen werden. Au direktzurkanzlerin.de hingegen werden Mglichkeiten zur

    Interaktion bereitgestellt. Hier werdennach dem one-to-many-Prinzip die vie-len Einzelmeinungen der Nutzer regel-mig nach ihrer hchsten Relevanz ineiner Frage an die Kanzlerin verdichtet.Allerdings lieert letztendlich nur dasBundespresseamt im Autrag die Ant-wort der Kanzlerin. Im Gegensatz zuden USA kann man aber in Deutschlandbisher noch kaum ernsthate Blogger un-ter den Politikern nden. Tatschlich istdie direkte Interaktion im Internet zumTeil zeitauwndig: Ein allzu schlichtesUmgehen llt aber schnell au und wirdmit Desinteresse im Netz bestrat. Dasoneway-Denken des Sender-Empn-ger-Modells ist mit dem Social Web alsolngst berholt.

    Politik im sozialen Netz

    Es gibt kein Patentrezept r eine Poli-tik im Netz. Die Gesellschat muss erstlernen, mit dieser neuen Komplexitt ineinem sich stndig wandelnden Internetumzugehen. Der Groteil der Mglich-

    keiten im dezentralen Social Web istnoch lngst nicht ausgeschpt. Vor al-lem die jngere Generation wchst mitdiesem neuen Medium au, nutzt es inDeutschland aber hauptschlich nochzur Unterhaltung. Das Social Web er-mglicht jedoch mehr als das Sammelnvon Freunden au der StudiVZ-Seiteoder dem Abspielen von Musikvideosau Youtube. In den USA hat die Poli-tik Wege geunden, die Ideen des Br-gerjournalismus im Netz in die Politikeinfieen zu lassen. In Deutschland istdas Vertrauen in die traditionellen Mas-senmedien gro, in das Internet bishereher klein. Das bloe Abkupern ameri-kanischer Methoden ist allerdings r diedeutsche Politik nicht der richtige Weg;

    in Deutschland ist die Qualittspressedas r Politiker bedeutendere Medium im Gegensatz zu Netz-Formaten, die im-mer noch grtenteils Unterhaltungsin-halte verbreiten. Schlielich vertrauenauch die im Medienkonsum konservati-ven Deutschen den etablierten Medienweitaus mehr als den neuen Angebotenim Internet. Dennoch muss in der Poli-tik ein Umdenken stattnden: Politikersollten sich den Ideenreichtum und dieDynamik des Social Webs zu Eigen ma-chen. Aber auch manches Angebot imInternet ist noch au der Identittssucheund steckt bisweilen in den Kinderschu-hen. Bisher stellt sich noch allzu ot dieFrage: Ist das Social Web wirklich voneinem direktdemokratischen oder docheher anarchischem Charakter geprgt?Die Politik sollte das Internet aber vorallem nicht mehr als Raum einer unter-haltungsschtigen Masse, sondern alsChance r neue demokratische Impulse,als dezentralen Think Tank begreien.Die Versionsnummer 2.0 ist aber letzt-endlich nur schmckendes Beiwerk r

    eine rasante Weiterentwicklung im In-ternet. Die Werbewirksamkeit ist den-noch mit dem Begri Social Web imGegensatz zu Web 2.0 kaum zu erh-hen. Es ist hingegen nur noch eine Frageder Zeit, wann das Web 3.0, das Leben3.0 oder der MdB 3.0 ausgeruen wird.

    wie Facebook oder StudiVZ: Jeder kannmitmachen, jeder kann relevante Inor-mationen r sich herausltern, r an-dere bewerten, anderen mitteilen undvieles mehr. Diese sich stndig weiter-entwickelnden neuen Formen der Par-tizipation haben die Mglichkeit, dietraditionellen Meinungsmonopole derproessionellen Medien auzubrechen.many-to-many

    Spontane Zusammenschlsse von Men-schen in so genannten Smart Mobs oderFlash Mobs haben laut dem SoziologenHoward Rheingold sogar die Macht, gan-ze Regierungen zu strzen. In einem sichstndig entwickelnden Internet ist es al-

    lerdings raglich, welche Qualitt solcheUmwlzungen haben knnen. Der Mobkann laut Rheingold aber auch bedroh-lich werden. Wie soll solch eine Revolu-tion aussehen, wenn gerade einmal 55%der deutschen Internetnutzer Blogs le-sen und stattdessen berwiegend Videosund Bilder ansehen? Wo werden bei derVielzahl von Anwendungen Qualittenrefektiert? War Obamas vielgepriesenerInternetwahlkamp nicht doch blo eineproessionell durchorganisierte Werbe-aktion?

    Gerade r die Wirtschat, aber auch diedeutschen Politiker scheinen die SocialWeb-Formate doch vor allem r einenPR-Gag gut zu sein; aber es geht hiernicht um Konsum au der einen und Whlermaximierung au der anderenSeite. Durch den Wandel von one-to-many- zu many-to-many-Kommuni-kation werden bisherige Kommunikati-onsmuster und -strukturen verndert.In der netzwerkrmigen Anordnungim Social Web liegt der entscheidende

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    Morgens um halb neun im Duisburger Stadtteil Neudor. Au dem KPolitikstudentin stehen ein dampender Kaee und eine volle Mslim Hintergrund leise das Radio plrrt. Doch etwas ehlt, ein altbekadass bislang jedes klassische Frhstck begleitet hat: Es raschelt nichnur noch. Denn die junge Studentin liest keine Zeitung, sie blickt den Bildschirm ihres Laptops. Was ist passiert?

    Fr viele, vor allem junge Menschen ist es lngst nicht mehr selbstgelmig eine Tageszeitung zu lesen. Und das gilt trotz der Mahnusoren selbst r Studierende der Politikwissenschaten auch wennicht oen zugeben wrden. Die Mglichkeiten, sich ber das aschehen zu inormieren, sind zahlreicher und vielltiger gewordenOnline-Angebote. Deswegen gehrt es r viele zum morgendlichenNachrichtenportale oder gleich ihren RSS-Reader abzuruen, anstatdem Briekasten zu holen. Augenscheinlich ist erkennbar, dass sich Wechsel in der Art anbahnt, wie wir Inor mationen aunehmen. Nuim Mainstream angekommmen - und er scheint gravierender zu seigen Vernderungen im Mediensystem.

    Das Waldsterben hat eingesetzt

    Dem Metamedium Internet wird nachgesagt, gegenber allen andeVorteil zu besitzen, schneller und somit aktueller zu sein. Die ZeitAktualittsmonopol zwar schon vor geraumer Zeit an Radio und Fren, das Internet setzt den Zeitungen aber besonders zu, weil bei viegeboten das geschriebene Wort bei der Inormationsvermittlung dund Fernsehen haben au visuelle und auditive Reize gesetzt und so bei der Berichterstattung zwar Konkurrenz gemacht, jedoch nickompetenz eingegrien, der schritlichen Inormationsvermittlunsich Internet-Angebote hnlich wie Radio und Fernsehen nahund kostenlos abruen, wenn man die Rundunkgebhren und annchst einmal auer Acht lsst. Die Konsequenz: Der traditionsreist in Geahr. Journalisten werden entlassen oder mssen sich mit pverhltnissen begngen, Redaktionen werden zusammengelegt, gverschwinden vom Markt. Angesichts des Zeitungssterbens in den

    im rausch dergeschwindigkeit

    Die gedruckte Tageszeitung stecktin der Krise, der Online-Journalismusnoch in der Wild-West-Phase. Dieallgegenwrtige Beschleunigung re-volutioniert das Nachrichtengeschft,doch seine Zukunft ist bislang nurschemenhaft erkennbar.

    von Henning Becker

    Henning Beckerist Masterstudent an der NRW Sund Mitarbeiter bei der Fraktion Grnen im Landtag NRW. Er scseines Bachelorstudiums der Podes ffentlichen Rechts an der fr die Zeitschrift politikum.

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    hierzulande bereits gemahnt, dass dieEntwicklungen eine Geahr r die De-mokratie darstellen knnten.Ist Print also am Ende? Diese Schluss-olgerung ist zu kurz gegrien, denndie Vernderungen im Mediensystemwirken sich nicht au alle Zeitungengleichermaen aus. Der Inormati-onsgemeinschat zur Feststellung der Verbreitung von Werbetrgern zuol-ge haben vor allem die Tageszeitungenmit schwindenden Aufagenzahlen und Werbeeinnahmen zu kmpen, wohin-gegen Wochenzeitungen und -magazineihre Aufagenzahl stabil halten knnen wenn sie nicht sogar stolz Steigerungenverknden.

    Die perfekte Kombination?

    Dies erscheint zunchst wie ein Paradox gerade die gute alte Wochenzeitung sollsich in einem Umeld der immer weiterwachsenden Beschleunigung behauptenknnen? Was der Wochenzeitung je-doch zugute kommt, ist ihre klassischeStrke, umassende Hintergrundinor-mationen zu lieern. Sie berzeugt vorallem durch journalistische Grndlich-keit, mit tiegreienden Analysen undauwendig recherchierten Hintergrund- berichten. Und sie hat au Grund ihrerKonzeption nicht den Anspruch, Ver-knderin tagesaktueller Nachrichten zusein. Vielmehr bietet sie Orientierungin einer immer komplexer und schnellerwerdenden Welt: Die berwltigendeFlut an Inormationen wird r den Le-ser der Relevanz nach geordnet, gebn-delt, aubereitet und ausgewogen kom-mentiert. Entscheidend ist jedoch, dassdiese Bedchtigkeit mit umassendenund tagesaktuellen Online-Autrittengepaart wird. Im Netz wird aktuelle Be-

    richterstattung gelieert, es werden aberauch die Themen aus den Printausgabenaugegrien und weiterverarbeitet, Bei-trge werden miteinander vernetzt undund multimedial ergnzt. Zudem wirdLesern die Mglichkeit ernet, unter-einander zu diskutieren und auch mitden Autoren ins Gesprch zu kommen.Die enge Integration von Print- undNetzinhalten wird schon dadurch oen-sichtlich, dass sich im Anschluss an diegedruckten Artikel immer huger einLink ndet, mit dem sich das jeweiligeThema online weiterverolgen lsst. Diealte und neue Sphre hngen somit en-ger zusammen, als das Reden ber d ie je-weils Andere manchmal vermuten lsst.

    Natrlich sind auch die Tageszeitungenim Netz vertreten und stellen dort ein breitgechertes Angebot r ihre Leserzur Vergung. Jedoch geraten die Ta-geszeitungen hier in einen Teuelskreis: Whrend sie mit der Printausgabe nieso aktuell sein knnen wie online, lsstder tgliche Erscheinungsrhytmus nichtdie Refexion zu, wie sie die Wochen-zeitungen bieten. Whrend sich Letz-tere also durch ihre Netz-Autritte gutergnzen und mit der engen Verzahnungvon on- und ofine Leser an sich bindenknnen, machen sich Tageszeitungen imNetz gewissermaen selbst Konkurrenz.Ohne den Tageszeitungen ihre nachwie vor groe Bedeutung gerade r diepolitische entlichkeit und die Mei-nungsbildung absprechen zu wollen esist klar, dass sie einem groen Vernde-rungsdruck unterliegen und sich nenmssen, zum Beispiel r User Gene-rated Content und partizipativen Jour-nalismus. Und sie sollten sich au ihreStrken konzentrieren, etwa den regio-nalen Fokus. Hier ist nicht unbedingt die

    unverzgliche und atemlose Verbreitungvon Inormationen relevant, sonderneher eine nachhaltige und verlsslicheBerichterstattung, die au persnlichenKontakten und mitunter auwendigerlokaler Recherche beruht. So wirkt dieRegionalzeitung hug als identittssti-tender Faktor r eine Region bis jetztzumindest noch. Jedoch macht die Kriseauch vor den groen Regionalzeitungennicht halt, whrend einzelne Weblogs bereits damit beginnen, die Deutungs-hoheit r ihre Region zu reklamieren.

    Wettrennen und dochkein Ziel vor Augen

    Die Nachrichtenportale im deutsch-

    sprachigen Netz sind immer noch inder Wild-West-Phase, in der es darumgeht, Claims zu besetzten und sich das Vertrauen groer Leserschaten zu er-arbeiten. So beschreibt Wolgang Blau,Cheredakteur von ZEIT ONLINE, dieSituation in einem Interview mit demOnline-Inormationsdienst HORI-ZONT. Der Wild-West-Wettlau umAktualitt wird heute im Netz ausge-tragen, obwohl die bloe Verkndungeiner Neuigkeit auch hier kein Allein-stellungsmerkmal mehr ist. Dies wirdbesonders dann deutlich, wenn wie soot aktuelle Nachrichten au vielen mit-einander konkurrierenden Plattormenim gleichen und nahezu unvernder-ten Agenturwortlaut erscheinen. Somitliegt auch bei den Onlineangeboten derMehrwert in der kompetenten Einord-nung und Analyse der Geschehnisse, besonders aber auch in der schnellen Vernetzung mit anderen Inhalten undnicht blo in der schieren Aktualitt. Eskann von den Lesern als Selbstverstnd-lichkeit verlangt werden, sich heute mit

    einem Klick die Hintergrnde und wo-mglich vorhandene Quellen heranzie-hen zu knnen.Der Geschwindigkeitsrausch birgt zu-dem Geahren: Viel zu hug werdenin der ersten Hysterie Meldungen ein-ach bernommen und weitergereicht,ohne dass sie berprt werden. Diesmag etwa bei den vielen Vornamen desMinisters zu Guttenberg noch einer ge-wissen Komik nicht entbehren bei sei-ner Ernennung zum Bundeswirtschats-minister im Februar 2009 bernahmenzahlreiche Medien eine gezielte Manipu-lation aus der Wikipedia. Wenn Falsch-meldungen im Namen des Aktualittallerdings ungeprt verbreitet werden,sind noch ganz andere Konsequenzen

    denkbar als nur die Blostellung schlam-piger journalistischer Quellenarbeit.Aller Aktualitt zum Trotz: Onlineexistieren bislang kaum journalistischeGeschts- und Finanzierungsmodelle,die sich als wirklich traghig erweisen.Kaum eines der Nachrichtenportale imNetz arbeitet bis jetzt protabel, viel-mehr werden sie durch die Printproduk-te sowie weitere Einkommensquellenwie Karriere- und Partnerbrsen quer-subventioniert. Wenn jetzt allerdingsder Ru nach Paid Content, also nach zu bezahlenden Inhalten laut wird, dannsei entgegnet: Online-Inhalte sind rLeser gar nicht so kostenlos wie obenangedeutet und hug behauptet wird.Wie Joachim Dreyklut in einem Kom-mentar r die FINANCIAL TIMESDEUTSCHLAND zuletzt betonte, tra-gen Internetnutzer die nicht unerhebli-chen Kosten r Internetverbindung undHardwareanschaung. Nutzungskos-

    ten, die ber den Preis eines Zeitungsa-bonnements zumeist weit hinausgehen.

    Wenn der Kaffee zwischen denTasten versickert hatte Riepl recht?

    Dreyklut macht deutlich, dass auch dieLeser gedruckter Zeitungen nicht die In-halte bezahlen, sondern dass die Verlagesich in erster Linie ber Erlse aus demAnzeigengescht, aber auch mit Ein-nahmen aus Vertrieb und Druckgeschtnanzieren: Die Verlage haben starkenZugri au die Margen eines bedeuten-den Teils des Produktionsprozesses,aber auch des Verwertungs- und Distri- butionsprozesses einer gedruckten Zei-tung. Dreyklut ordert, dass die Verlage

    anstatt nach Paid Content zu ruen sich lieber Gedanken darber machensollten, warum sie es anderen berlas-sen, mobile Lesegerte au den Markt zubringen. Schlielich liegt hier die Mg-lichkeit, selbst wieder Herr der Distribu-tionskette zu werden.ber kurz oder lang wird jedenalls malwieder das Rieplsche Gesetz au dieProbe gestellt. Der deutsche Journalist Wolgang Riepl, seinerzeit Cheredak-teur der Nrnberger Zeitung, stellte 1913die These au, dass kein Instrument derInormation und des Gedankenaus-tauschs, das einmal eingehrt wurdeund sich bewhrt hat, von anderen voll-kommen ersetzt oder verdrngt wird.Wird die Tageszeitung einmal die Aus-nahme bilden? Die allermeisten Online- Journalisten, Blogger und Wochenzei-tungsredakteure werden wohl kaumau sie verzichten wollen, wrden sieernsthat vor die Entscheidung gestelltwerden mal ganz abgesehen vom ein-achen Leser. Die Zukunt wird Onlineund Print dazu zwingen, sich so weiter-

    zuentwickeln, dass sie und Werbekunden attrMoment jedenalls sindeng miteinander verwosich so einach gegeneinlieen.

    Zurck in Duisburg-NeFacebook sind abschlider Laptop ist wieder das Frhstck doch zu uverschtteten Kaee vund im vollen Bus auSeminar ist er doch zu ualso genau hinhrt, steschelt immer noch.

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    Wie wollen Sie eigentlich die nachhaltige Fischerei sichern? Dazu tan nichts ein? Dann angen Sie an, sich darber Gedanken zu macheine der Fragen, die Ihnen die Europische Union stellt und zu der Smen sollen. Sie haben davon noch g ar nichts mitbekommen? Schaue(www.youtube.com/user/eutube) nach dort warten auerdem anderer Fragen und Themen, ber die sich die EU mit ihren Brgmchte.

    Dieser Aktivismus berrascht, ist doch die EU nicht gerade als Kogenie bekannt. Viele ihrer Policies und Errungenschaten werden dBevlkerung nur schlecht oder unzureichend vermittelt. Seit einigegenauer gesagt, seit die Europische Verassung unter anderem amund niederlndischen Veto scheiterte macht sich Brssel ernsthatber, wie man mit der Bevlkerung in einen echten Dialog treten k anviele Lebensbereiche der Menschen von E U-Entscheidungen betrosen viele EU-Brger nicht genau, wie diese E ntscheidungen in Brsstande kommen und wer sie llt. Das ist ein wesentlicher Grund dviele Brger bis heute nicht wirklich mit Europa identizieren knn

    Der Plan D

    Die Europische Kommission will dies ndern und den Brger aktiveinbeziehen. Politische Diskurse zu bestimmten politischen ThemEuropa miteinander vernetzt und lnderbergreiend moderiert welebendiger zu machen. Ein Mittel dazu ist das Internet, das in den leinem immer wichtigeren Medium r politische Debatten herangdie Kommission in ihrem Plan D. Das D im Namen dieses PlanDemokratie, Dialog und Diskussion und wurde 2005 als Reaktiogescheiterten Verassungsreerenden entwickelt. Zumindest in deDisziplinen, Demokratie und Dialog, wurden der EU in der Verganwieder Dezite attestiert. Das soll sich mit der im Plan D beschriebkationsstrategie, also der strategischen Frderung von Diskussion ulich ndern.

    Es versteht sich ast von selbst, dass ein Teil dieser neuen StrategNutzung des Internets miteinschliet. Ebenso wie die US-AdminiObamas Amtsantritt im Januar 2009 einen eigenen Kanal au derYouTube eingerichtet hat, nutzt auch die EU dieses Portal, um ihre zu vermitteln. Nur waren die Europer diesmal sogar einen ganzenler als die Amerikaner. EUtube ging bereits im Sommer 2007 au Seheimlich zunchst, ohne dass dies an eine breite entlichkeit komde. Seitdem stellt die EU-Kommission in regelmigen Abstndeormationen zu aktuellen Themen online, Dokumentationen zur AEU-Institutionen oder auch Verbrauchertipps zum Thema Energie

    brssel sendetsignale undentdeckt youtubeals europische

    dialogplattform

    Die Europische Union spricht zu we-nig mit ihren Brgern und entscheidetber deren Kpfe hinweg. Was Brsseltut, um seinem Image als Kommuni-kationsmuffel zu entiehen und seineEntscheidungen den Brgern nherzu bringen, zeigt EUtube, der neueVideokanal im Internet.

    von Benjamin Liebsch

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    jedem Video knnen registrierte Nutzerdes Portals Kommentare schreiben undsich in einem oenen Forum ber dieInhalte austauschen. Dabei irritiert esetwas, dass man als Autor eines Online-Kommentars nach dem Versenden lesenmuss, dass seine Nachricht zunchstgenehmigt werden muss. Unweigerlichmutete dies wie eine Art Vorzensur an,die aber so gar nicht stattndet. Dennliest man die Kommentare zu den Vi-deos oder dem Kanal durch, nden sichauch zahlreiche uerst EU-eindliche,bisweilen sinnreie Texte. Ziel der Kom-mentarreigabe ist einzig die Einhaltungder Forenregeln, die etwa rassistischeKommentare verhindern soll.

    Die Generaldirektion Kommunikati-on der EU-Kommission, die r die Vi-deoinhalte des Kanals verantwortlich ist,stellt neben rein inormativen Videosauch Filme mit einer konkreten Hand-lungsauorderung an den Zuschauer insNetz. Au diese Weise will sie mit denBrgern in einen Dialog ber aktuelleeuropische Themen treten. Das jngs-te Beispiel r einen solchen Dialog sindkurze Clips zur gemeinsamen Fischerei-politik der EU, ber deren Reorm gera-de debattiert wird. Am Ende jedes Clipsragt ein Sprecher die Zuschauer, wie siedas im Film dargestellte Problem lsenwrden. Die gestellten Fragen wurdendabei seit den ersten Videos immer spe-zischer.

    Hier hat von Seiten der Filmproduzen-ten oenbar ein gewisser Lernprozessstattgeunden. Das genderte Formatmacht es dem Brger sehr viel leichter,sich innerhalb des Politikeldes zu ori-entieren. Zustzlich erhlt er Einblickin dessen zentrale Fragen. Jeder Clip

    enthlt auerdem Links zu anderen EU-Websites, au denen sich jeder ber H in-tergrnde und Details inormieren kann.ber die spezischen Fragen im Videohinausgehend kann man aber auch nochVorschlge zu anderen Themen und Fra-gen machen als zu denen, die im Filmangesprochen werden. Au diese Weisegibt die EU ihren Brgern eine Orientie-rung au den Weg, ohne sie in ihrer Mei-nungsuerung einzuschrnken. Die Vi-deos au EUtube sollen letztendlich dazuanimieren, tieer in das jeweilige Themaeinzudringen. Das erwhnte Projekt mitdem Titel Konsultation zur Reorm derGemeinsamen Fischereipolitik lutseit Mrz 2009 bis zum Ende des Jahres.Im November 2009 lag die Resonanz bei

    immerhin rund 70 individuellen Einsen-dungen von Privatpersonen und 45 Bei-trgen von Organisationen, die au derInternetseite der Europischen Kommis-sion verentlicht wurden.

    Clips fr die Masse?

    Nun kann man sagen, dass die insgesamtrund 115 Beitrge bei einer Bevlkerungvon rund 500 Millionen in der EU nichtsonderlich viel sind. Aber man muss bercksichtigen, dass es sich in diesemFall um ein spezielles und eng begrenz-tes Themengebiet handelt, von dem sichnicht jeder EU-Brger unmittelbar be-troen hlt. Hinzu kommt, dass EUtu-be bisher nur au deutsch, englisch undranzsisch vergbar ist, was eine gro-e Anzahl jener Menschen ausschliet,die keiner dieser Sprachen mchtig sind.Und schlielich ist es so, dass EUtube bis heute noch relativ wenigen Men-schen berhaupt bekannt ist. Insgesamthat EUtube knapp 9500 Abonnentenund 2,4 Millionen Kanalaurue seit der

    Ernung 2007. Der Kanal des WeienHauses hat dagegen von Januar bis Juli2009 bereits rund 2,1 Millionen Klicksund ast 80 000 Abonnenten r sich ge-winnen knnen.

    Eingeschrnkte Themengebiete, Sprech- barrieren und eine geringe Resonanzsind also Faktoren, welche die Rck-lauquote entscheidend beeinfussenund die bislang eher magere Teilnahme- bereitschat erklren knnen. Jedoch:Auch wenn das Ergebnis bei der Fische-reipolitik also aus partizipatorischerSicht noch verbesserungswrdig undkeinesalls reprsentativ r die Gesamt- bevlkerung ist, so wird das Konzeptdadurch nicht berfssig. Das Beispiel

    des YouTube-Kanals aus Washingtonzeigt, dass ein durchdachtes Kommu-nikationskonzept r das Internet undnatrlich die richtigen Politikinhalte dieMenschen dazu bewegen knnen, sichr Politik zu interessieren. Das KonzeptEUtube ist der richtige Ansatz, um gera-de junge Leute in einer gewohnten Um-gebung anzusprechen. Allerdings gibtes auch noch einige Optionen zu seinerVerbesserung, um die Mglichkeiten desMediums voll auszuschpen. Aus einerpartizipatorischen Demokratieperspek-tive ist klar, dass EUtube au allen Spra-chen der Mitgliedslnder vergbar seinmuss. Auch wenn die Filme nicht in jedeSprache synchronisiert werden knnen,sollten zumindest Untertitel r alle EU-Sprachen vergbar sein. Andernallswird nur eine Minderheit der Bevlke-rung erreicht, die in der Lage ist, die zumTeil komplexen Themen auch in einerFremdsprache zu verstehen. Die The-men selbst, die au EUtube behandeltwerden, sollten derweil so aktuell und sovielltig sein wie mglich Nur so wer-

    den mehr Menschen als bisher den Kanalnutzen und weiter empehlen.

    Abschlieend erscheint es wichtig est-zuhalten, dass EUtube vielen Brgernauch nach zwei Jahren au Sendungimmer noch kein Begri ist. Die, die sichohnehin r europische Politik interes-sieren, bemerken zwar die vereinzeltenLinks au EU-Websites oder die Quer-verweise bei Youtube selbst, die Masseder Brger bleibt davon jedoch unbe-rhrt. Dringend sollte daher mit einer breiter angelegten Inormationskampa-gne au dieses Angebot aumerksam ge-macht werden. Denn eines ist sicher: DieIdee und das Konzept von EUtube sindviel zu viel versprechend als dass der Ka-

    nal allein den Eliten Europas berlassenwerden sollte.

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    Was interessiert es mich, wann Leute joggen gehen oder einen Kaee trin-ken?! So reagierte ein Freund au denHinweis, er solle sich doch mal bei Twit-ter anmelden. Twitter ist schlielich dasneuste und beste Werkzeug der Web-gemeinde, um schnell Nachrichten undLinks zu verteilen. Auerdem ist ja sogarDemi Moore au Twitter, und ShaquilleONeil und Barack Obama sowieso.Doch so einach war er nicht zu ber-zeugen. Er sei schlielich schon au Face-book und StudiVZ, und bei Xing knneman ihn auch schon kontaktieren. Blog-gen wolle er sowieso nicht, das sei nuretwas r Programmierer und Nerds. Wie also diesen Skeptiker berzeugen?Es ist schon nicht einach, etwas zu er-

    klren, das es so vorher noch nicht gab.Es ist umso schwieriger, wenn diesesEtwas nicht so leicht zu greien ist, dennBlogs und Kurznachrichten lieen sichauch vor Twitter schon verentlichen wo soll also der Mehrwert sein?

    Kurznachrichten als Kernfunktion

    Au Twitter macht man nichts anderes,als kurze Nachrichten auch Tweetsgenannt mit maximal 140 Zeichen imInternet zu verentlichen. Jeder Nut-zer hat eine eigene Homepage, au derdie eigenen Tweets angezeigt werden.Updates macht man per SMS, ber dieTwitter-Website oder mit speziellenProgrammen, die den Zugri au Twitter

    vom PC oder Handy ermglichen. DieFrage What are you doing? ist promi-nent ber der Eingabemaske positioniertund regt an, seinen momentanen Ge-danken reien Lau zu lassen. In 140 Zei-chen ist jedem selbst berlassen, alltg-lich Erlebtes, aktuelle Nachrichten oderpolitische Statements auszutauschen.

    Der Microblogging-Dienst Twittermacht Furore in der deutschenInternet- und Politikszene. Die sponta-nen Kurznachrichten bergen eine un-geahnte Faszination, die sich auf demschmalen Grad zwischen Privatsphreund politischer ffentlichkeit bewegt.Eine Beobachtung

    von Isabelle Sonnenfeld

    Isabelle Sonnenfeldist seit Oktober 2008 Studentingang Politikmanagement an derGovernance und beschftigt sicder Politischen Kommunikation hlt einen Bachelor of Arts in EuUniversity Maastricht und arbeitebeim Deutsch-Franzsischen JuFriedrich-Ebert-Stiftung, der Euron und der Agentur PLEON.

    Ein eigentlich kleiner, aber enorm wich-tiger Aspekt bei Twitter ist das olgen.Man verolgt, man hat Verolger undman ist roh, wenn auch neue Twitter-User einen selbst in ihre Follower-Listeaunehmen. Man ollowt einem Nut-zer, wenn man interessante Tweets vonihm erwartet, denn nur dann sind dieseauch au der eigenen Startseite zu sehen. Jeder Nutzer schat sich somit ein ei-genes Mikrouniversum aus den unzh-ligen Inormationsetzen. Die eigenen140-Zeichen-Nachrichten sollten eineBalance zwischen alltglichen Banali-tten und inormativen Mitteilungen bilden, um die Follower-Gemeinde beiLaune zu halten und im besten Falle neueLeser zu gewinnen. Auch wenn der Ein-

    stieg bei Twitter r Neulinge zunchstmhevoll erscheint sobald die Kratdes Nachrichtenfusses erkannt wird, dersich au dem Bildschirm zeigt, verstehtman, worum es geht: leichtup to date zusein, unkompliziert am Leben enternterFreunde teilzuhaben, interessante Linkszu bekommen und spannende Diskurseunter den Twitter-Nutzern zu verol-gen - all dies bietet schnell den gesuch-ten Mehrwert. Wenn dann doch jemandzu viel ber Kaee oder den erkranktenHamster twittert, entollowt man ihneinach.

    ein zwitscherndervogel wird zum politikum

    Ein Abfallprodukt wirdzum Weltstar

    Twitter ist 2006 aus derOdeo entstanden, die sNutzung des Tools imnehmen dazu entschievon langatmigen E-MaKurznachrichten als innikationsinstrument zNach holprigen Anngestndige technische Vernahmen, wurde TwittSXSW Musikkoneren2007 zum ersten Mal ei blikum vorgestellt. BeiAustin treen sich nebeKreativen auch viele M

    Computer- und Sotwakonnte gerade in dieserzeugen und gewann dials bestes Blogging ToAnstieg der NutzerzahlCommunity ist an mehnen estzumachen. InTatsache, dass die meistbereits Blogger oder NuNetzwerken sind, wo siKurzorm und ohne Sclichkeit au Pinnwndelen Gstebchern hintesem KommunikationstoErolg gebracht.

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    Die Mglichkeiten sind durch die oe-ne Struktur des Datenstroms enorm:Man kann Bilder anhngen, Links inKurzorm hinzugen, und sogar Ak-tientransaktionen mit eigenen Krzelnverolgen. So hat sich also zum Beispieldas Hashtag, das Raute-Zeichen # zurKennzeichnung von einzelnen The-men etabliert. Die deutsche PlattormWahlgetwitter analysierte auch nach derBundestagswahl die Verwendung vonHashtags, indem sie die Hugkeit derparteibezogenen Verweise erasste unddadurch ein mehr oder weniger repr-sentatives Meinungsbild der deutschenTwitter-Gemeinde auzeigen konnte.Wahlgetwitterinormiert die Nutzer bei-spielsweise ber die Twitter-Aktivitten

    der Parteien und ihrer Politiker. Wennviele Tweets mit #spd versehen sind,steigert dies die Popularitt der SPD audieser Plattorm.

    Deutschland zwitschert

    In Deutschland hat sich Twitter wie auchin den USA zunchst hauptschlich un-ter Computerans verbreitet. Zur Zeitder US-Wahlen im Herbst 2008 wurdedas Twittern auch unter der politischenKlasse in den USA immer beliebter, dadie einzelnen Camps gezielt ihre Un-tersttzer ansprechen und Hinweise zuNachrichten oder Auenthaltsort derKandidaten verbreiten konnten. Hu-bertus Heil hat als SPD-Generalsekretr

    erstmals vom Parteitag der US-Demo-kraten aus einer beobachtetenden Pers-pektive getwittert. Als erster deutscherPolitiker erzeugte er sowohl in der deut-schen Twitter-Gemeinde als auch beiseinen politischen Kollegen und denMedien sehr viel Ausehen. Auch die Vorreiterrolle der Democratic Party um

    Barack Obama im Hinblick au den On-line-Wahlkamp hrte zu einer deutli-chen Vernderung der Strategien beimdiesjhrigen Bundestagswahlkamp.Das Gezwitscher des k leinen blauen Vo-gels war in jedem Fall so laut, dass auchdeutsche Politiker das neue Kommuni-kationsinstrument schwer unbeachtetlassen konnten.

    Bottom-up Kommunikationals Kernfunktion

    Fr politische Spitzenakteure scheint esjedoch erst einmal problematisch zu sein,das System hinter Twitter zu verstehen.Augrund des technologischen Hinter-grunds und der Auseinandersetzung mit

    meist unpolitischen Themen ist Twitternicht augenscheinlich ein brauchbaresInstrument r die politische Kommu-nikation. Erst bei genauerer Betrachtungerschliet sich das Potential. Neben denr private Nutzer interessanten Dyna-miken ergeben sich r Politiker nochweitergehende Konsequenzen aus derNutzung von Twitter. In Deutschlandhat sich nach der viel beachteten Twitte-rei von Hubertus Heil der SPDler Thors-ten Scher-Gmbel bei der Landtags-wahl in Hessen 2008 prominent mit derPlattorm beschtigt. Scher-Gmbeltwitterte als @TSG_Hessen ber Kae-trinken und Autoahren aber auch berpolitische Inhalte, die mit seiner Kandi-datur zusammenhingen. Seit der Hes-

    sen-Wahl wuchs die Begeisterung rden Microblogging-Dienst auch unteranderen Politikern stetig an, die die un-komplizierte Verbindung zu Unterstt-zern und die oenen Zugnge r Dis-kussionen und Inormationsaustauscherkannten.

    Auch der Nachrichtenwert von Twitterist gestiegen: Bei der Bundesprsiden-tenwahl hatten zwei Abgeordnete be-reits vor der oziellen Bekanntgabe desErgebnisses Horst Khler zum altenund neuen Bundesprsidenten gekrt.Die Emprung innerhalb der politi-schen Elite war enorm und auch das Me-dienecho vernderte weitreichend denStellenwert von Twitter in Hinblick audie Art und Weise der politischen Kom-munikation. Obwohl das Gezwitscher bei der Bundesprsidentenwahl bei Po-litikern und Medien schlussendlich alspolitische Lappalie betrachtet wurde,uerten Beobachter nun im Voreld derBundestagswahl Bedenken darber, in-wieweit Twitter den Ausgang durch die

    verrhte Bekanntgabe von Exit-Pollsbeeinfussen knnte.

    Nutzen in der parteipolitischenffentlichkeitsarbeit

    Inwieern ist Twitter also ein ntzlichesInstrument der politischen Kommuni-kation? Kann Kommunikation in 140Zeichen berhaupt unktionieren? Faktist: Die Regeln der Kommunikation ver-schieben sich, indem die kontinuierlicheTeilentlichkeit zur Normalitt wird. Wie man am Beispiel der Bundesprsi-dentenwahl sehen konnte, mssen dieBeteiligten jedoch die Konsequenzenund Wirkungen ihrer Verentlichun-gen verstehen. Was man au die Frage

    What are you doing? antwortet, bleibtschlielich jedem selbst berlassen. Hiertrennt sich daher die Spreu vom Weizen.Twitter ernet politischen Akteurenneue Zugnge, da Parteimitglieder und Wahlheler, aber gerade auch poten-zielle Whler direkt angesprochen undmobilisiert werden knnen. Die direkte

    und unkomplizierte Kommunikationmit den Politikern ist r Brger einewillkommene Abwechslung zur gehl-ten Unnahbarkeit der politischen Eli-te. Keine Frage, Parteien und Politikerkommunizieren au Plattormen wieTwitter, Facebook und MeinVZ andersals bisher. Parteiprole werden als Ver-lautbarungsinstrumente genutzt, wh-rend die Prole einzelner Politiker sehrviel interaktiver gestaltet sind als auden klassischen Websites. Bei Facebookoder MeinVZ wird mit Videos, lustigenGruppen oder Fotos versucht, eine gro-e Anhngermasse anzusprechen; beiTwitter mssen Politiker die Balancezwischen Kaeeklatsch-Geplnkel undsachpolitischer Interessenvertretung

    nden. Authentizitt ist an dieser Stelleein wichtiges Thema unter den Twitter-Nutzern. Wie oben angedeutet ist hierdie Refexion ber das eigene Tun (undSchreiben) uerst wichtig, denn die di-gitale Oenheit