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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Hannes Adomeit Rulands Rüstungsindustrie Struktur und internationale Verflechtungen S 15 April 2004 Berlin

Hannes Adomeit Rußlands Rüstungsindustrie

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Page 1: Hannes Adomeit Rußlands Rüstungsindustrie

SWP-StudieStiftung Wissenschaft und PolitikDeutsches Institut für InternationalePolitik und Sicherheit

Hannes Adomeit

RußlandsRüstungsindustrieStruktur und internationale Verflechtungen

S 15April 2004Berlin

Page 2: Hannes Adomeit Rußlands Rüstungsindustrie

Alle Rechte vorbehalten.Abdruck oder vergleichbareVerwendung von Arbeitender Stiftung Wissenschaftund Politik ist auch in Aus-zügen nur mit vorherigerschriftlicher Genehmigunggestattet.

© Stiftung Wissenschaft undPolitik, 2004

SWPStiftung Wissenschaft undPolitikDeutsches Institut fürInternationale Politik undSicherheit

Ludwigkirchplatz 3−410719 BerlinTelefon +49 30 880 07-0Fax +49 30 880 [email protected]

ISSN 1611-6372

Page 3: Hannes Adomeit Rußlands Rüstungsindustrie

Inhalt

Problemstellung und Schlußfolgerungen 5

Einleitung 7

Entwicklung des Rüstungskomplexes 1990�2000 9

Die russische Rüstungsindustrie unter Putin 11Unternehmensstrukturen und staatliche Kontrolle 11Konzentrationsprozesse 14Beschaffung 16

Waffenexporte 19Zuständigkeiten und Kontrollsysteme 19Volumen 20Produktstruktur 20Länderstruktur 21China 22Indien 22Andere Länder 23Konventionelle Waffen 24Massenvernichtungswaffenund ihre Trägersysteme 26

Rüstungszusammenarbeit mitwestlichen Industriestaaten 30Fehlschlag An-70 30Mig-29-Kooperation 31Zusammenarbeit mit Rußlandbei der Raketenabwehr? 32Kooperationsprogramme der EADS 34

Fazit 36

Abkürzungen 38

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Problemstellung und Schlußfolgerungen

Rußlands Rüstungsindustrie.Struktur und internationale Verflechtungen

Nationale, nationalpatriotische und nationalistischeStrömungen sind in Rußland heute wieder weit ver-breitet. Für sie typisch sind Forderungen nach einemstarken Staat im Inneren und außenpolitisches Groß-machtdenken. Vor allem sind derartige Denkkate-gorien bei den Inhabern von Ämtern in den sogenann-ten Machtstrukturen zu finden, den Ministerien fürVerteidigung, innere Angelegenheiten und Katastro-phenschutz sowie bei den Geheimdiensten, aber auchbei Präsident Putin und im Apparat des Kremls.

Ausdruck dieser Anschauungen ist die mehrfachvon Putin erhobene Forderung, Rußland müsse überkompakte, gut ausgebildete, gut bezahlte und mitden modernsten Waffen ausgerüstete Truppen ver-fügen. Streitkräftereform (»militärischer Aufbau«) undReform der Rüstungsindustrie sind russischen Vor-stellungen zufolge und objektiv also eng miteinanderverbunden. Die Armeereform hat der Autor in einervorangehenden Studie behandelt (Putins Militär-politik, Berlin: SWP, April 2003 [S 16/03]). Ziel dieserStudie ist es, die wichtigsten Entwicklungen im rus-sischen Rüstungswesen und ihre möglichen Konse-quenzen für westliche Interessen und Politik zu unter-suchen. Unter anderem sind folgende Auswirkungendenkbar:

Militärische Optionen. In Anlehnung an die ameri-kanische Sicherheitsstrategie hat Verteidigungs-minister Sergej Iwanow im Oktober 2003 bei derVorstellung einer dem Wesen nach neuen Militär-doktrin (»Aktuelle Aufgaben für die Entwicklung derStreitkräfte der Russischen Föderation«) im BeiseinPutins davon gesprochen, daß sich Moskau das Rechtvorbehält, Präventivschläge zu führen, wenn Ruß-lands Interessen oder seine Bündnisverpflichtungendies erforderten. Derzeit verfügt Rußland allerdingsnicht über die Aufklärungsmöglichkeiten und Waffen,die notwendig wären, um kleinere, bewegliche, ver-steckte oder verbunkerte Objekte präzise anzugreifen,geschweige denn um in großem Umfang außerhalbseiner Landesgrenzen militärisch zu intervenieren.Die Frage stellt sich, ob die russische Führung bereitund in der Lage ist, sich derartige Optionen zu ver-schaffen.

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Problemstellung und Schlußfolgerungen

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Interoperabilität und internationale Zusammen-arbeit. Im Zusammenhang mit gemeinsamen, Ruß-land einschließenden friedenserhaltenden oderFrieden erzwingenden Operationen, vor allem aberbei der Diskussion um ein Raketenabwehrsystem inEuropa ist zu prüfen, ob in Rußland neben den poli-tischen und organisatorischen auch die technischenVoraussetzungen bestehen, damit sich dieses Landwirksam beteiligen kann.

Waffenexporte. Die Überlebensfähigkeit des mili-tärisch-industriellen Komplexes hängt entscheidendvon den Deviseneinnahmen aus Waffenlieferungen ab.In den letzten Jahren haben diese erheblich zugenom-men. Dies wiederum wirft vier Fragen auf: Wird sichdieser Trend fortsetzen oder stellt er lediglich einletztes Aufbäumen vor einem drastischen Rückgangdes Rüstungsexports dar? Trägt die derzeitige Aus-weitung des Exports konventioneller Waffen dazu bei,die regionalen strategischen Gewichte vor allemim Nahen und Mittleren Osten, in Südasien und imFernen Osten zu verschieben? Läßt sich nachweisen,daß Moskau Militärtechnik und militärisch nutzbareTechnologie exportiert, die zur Verbreitung von Mas-senvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme bei-tragen könnten? Und wenn es derartige Lieferungengibt, wer ist dafür verantwortlich � hat das russischeExportkontrollsystem versagt oder wollen die zustän-digen Kontrollbehörden nicht einschreiten?

Die Studie kommt zu folgenden Schlußfolgerungen:! Die russische Regierung hat zwar mehr Geld für

Forschung, Entwicklung und Beschaffung zur Ver-fügung gestellt. Die staatlichen Finanzmittelreichen aber nicht aus, um die russischen Streit-kräfte in absehbarer Zeit mit modernen Waffenauszurüsten. Die erhöhten Deviseneinnahmenaus den Waffengeschäften tragen zwar dazu bei,Rüstungsunternehmen über Wasser zu halten,sie verbessern aber die Leistungsfähigkeit derRüstungsindustrie nicht nachhaltig. Zudem sinddie Strukturveränderungen bei den Streitkräftenselbst marginal. Daraus folgt, daß sich auf mittlereSicht der Modernisierungsgrad der Streitkräftenicht erhöhen und sich die militärischen Einsatz-optionen nicht erweitern werden, die der poli-tischen Führung zur Verfügung stehen.

! Die Auswirkungen der Rüstungsexporte auf regio-nale Machtverhältnisse sind in Asien unverkennbar:Insbesondere die Lieferung von Kampfflugzeugenund eines Flugzeugträgers an Indien und dessen

Ausrüstung mit neuen Waffensystemen haben er-hebliche Folgen für die militärische Kräftevertei-lung in der Region. Ähnliches gilt für den Rüstungs-export nach China. Im Nahen und Mittleren Ostendagegen sind die russischen Waffenlieferungenvon geringerer Bedeutung für die regionalen Kräfte-verhältnisse.

! Die insbesondere von den Vereinigten Staatenerhobenen Vorwürfe, Rußland trage mit Exportenvon Waffen und militärisch nutzbarer Technologiezur Weiterverbreitung von Massenvernichtungs-waffen und ihrer Trägersysteme bei, sind hinsicht-lich der Trägersysteme sowie biologischer und che-mischer Waffen übertrieben. Anders verhält essich vermutlich mit der Lieferung von Nuklear-technologie. Moskau hat Teheran dabei geholfen,die Voraussetzungen dafür zu schaffen, Uran an-zureichern, und in Iran haben Inspektoren derInternationalen Atomenergiebehörde entsprechen-des Material russischer Herkunft gefunden. Aufgabeeuropäischer Regierungen sollte es sein, die USAbei ihrem Bemühen zu unterstützen, das Problemder Weiterverbreitung gemeinsam mit Rußland inAngriff zu nehmen.

! Die innenpolitische Entwicklung in Rußlandmacht eine verstärkte Rüstungskooperation für denWesten problematisch. Der militärische Sektorist von der Privatisierung ausgenommen. Um Zen-tralisierungs- und Renationalisierungstendenzenkeinen Vorschub zu leisten und in den internenrussischen Auseinandersetzungen keine falschenImpulse auszulösen, sollten sich westliche Regie-rungen weitgehend aus diesem Sektor heraushaltenund der Privatindustrie das Feld überlassen.

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Einleitung

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Einleitung

In Rußland werden der »Rüstungsindustrie« (im wei-teren auch als militärisch-industrieller Komplex [MIK],russ. VPK und OPK, bezeichnet) Forschungsinstitute,Konstruktionsbüros und Produktionsbetriebe zu-gerechnet, die verschiedenen Regierungsbehördenunterstellt sind.1 Dazu zählen die Bereiche Waffen-und Munitionsindustrie, Luftfahrt-, Raketen- undRaumfahrtindustrie, Elektronik, Kommunikations-technologie, Radioelektronik und Schiffbau.

Die Atomindustrie wird in den Statistiken ausge-klammert; sie unterliegt offensichtlich größerer Ge-heimhaltung. Ihr Umfang ist infolgedessen nichtgenau zu bestimmen. Unklar ist des weiteren, inwie-weit die Produktion von Ausgründungen und privatenKleinunternehmen, die um die Stammunternehmendes Rüstungskomplexes herum aufgebaut wurden,in russische Statistiken Eingang findet. Nach Schät-zungen erfassen die Daten der Regierung über denMIK (die hauptsächlich auf Angaben des Bundesamtsfür Statistik, Goskomstat, beruhen) rund 90% der rus-sischen Rüstungsproduktion. Um ein wirklichkeits-nahes Bild von deren Umfang zu gewinnen, sindzusätzlich die Produktionsdaten einzelner Rüstungs-firmen � der großen Konsortien, Holdings oder, wiesie wörtlich übersetzt aus dem Russischen heißen,Vereinigungen (ob��edinenija) � heranzuziehen.

Die Institute und Unternehmen der Rüstungsindu-strie produzieren nicht nur militärische Güter, son-dern in erheblichem Umfang auch zivile. In der So-wjetära besaßen diese Unternehmen bei der Produk-tion ziviler Güter eine führende und bei einigen Kon-sumgütern wie Kühlschränke, Fotoapparate undelektronische Geräte sogar eine Monopolstellung aufdem Binnenmarkt. Aber auch heute ist der Anteilder zivilen Produkte am Output des MIK mit ca. 40%ungefähr so groß wie in der Sowjetära.

1 Die Erläuterung der Begriffe und Darstellung der Metho-denprobleme folgt zum Teil verbatim dem Aufsatz von PetraOpitz, Russische Rüstungsindustrie: Kein Phönix aus derAsche, in: Wochenbericht des DIW (Deutsches Institut fürWirtschaftsforschung), (2000) 37, S. 605�613, insbesondereS. 605�606. VPK: Voenno-promy�lennyj kompleks [Militärisch-industrieller Komplex]; OPK: Oboronno-promy�lennyj kom-pleks [Verteidigungsindustrieller Komplex].

Schon an dieser Übersicht wird die große Breitedes Themas deutlich. Im wesentlichen umfaßt es dreiBereiche: die Organisationsstruktur des militärisch-industriellen Komplexes, die Waffenexporte und dieMöglichkeiten internationaler Zusammenarbeit. Wasdie Organisation betrifft, ist immer noch eine Vielzahlvon Ministerien und Staatskomitees für Rüstungs-fragen zuständig. Die Palette der Produkte, sei es fürden Export oder den eigenen Gebrauch, reicht vonden bekannten und bewährten Kalaschnikows überU-Boote bis hin zu Topol-M-Interkontinentalraketen(letztere allerdings nicht für den Export). Dies machtes notwendig, Schwerpunkte bei der Behandlung desThemas zu setzen. Diese ergeben sich allerdings nahe-zu zwangsläufig aus der Natur der Sache:! Die größten Produzenten von Waffen und militäri-

scher Ausrüstung und zugleich die mit dem um-fangreichsten Exportvolumen und mit besondererinternationaler und strategischer Bedeutung sindausnahmslos mit der Luft- und Raumfahrtindustrieverbunden. Sie ist die Zukunft der russischenRüstungsindustrie schlechthin. In diesem Bereichfinden sich auch die meisten Beispiele für inter-nationale Kooperationen.

! Mit einem Anteil von drei Vierteln der Produktionan Waffen und militärischer Ausrüstung kommtdem Export eine zentrale Rolle in der Rüstungs-industrie zu. Wiederum annähernd drei Vierteldieser Ausfuhren bestehen aus Flugzeugen undLuftfahrttechnik.

! Verantwortlich für diese Exporte mittels Vergabevon Exportlizenzen ist das staatliche Komitee fürmilitärisch-technische Zusammenarbeit mit frem-den Staaten (KWTS Rossii). Die Ausführung vonmehr als drei Vierteln der Rüstungsaufträge fälltin die Kompetenz der staatlichen RüstungsagenturRosoboronexport.Der Schwerpunkt der Studie liegt infolgedessen

(1) hinsichtlich der Organisationsstruktur des Rü-stungswesens bei der Untersuchung der Funktion undArbeitsweise von KWTS und Rosoboronexport, (2) aufdem Waffenexport und (3) den Möglichkeiten inter-nationaler Kooperation. Und in allen drei Bereichen

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Einleitung

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ist der besonderen Bedeutung der Luft- und Raum-fahrtindustrie Rechnung zu tragen.2

2 Das Datenproblem stellte sich als weniger problematischheraus, als man in Anbetracht der Materie annehmen sollte.Das liegt erstens an den umfangreichen statistischen Angaben,die im »Informationsnetz VPK« des Ministeriums für Indu-strie, Wissenschaft und Technologie verfügbar sind (russ.VPK-TS: Voenno-promy�lennyj kompleks � Teleinformacion-naja set�), <www.vpk.ru>; die neueste Zusammenstellungstatistischer Angaben dieser Institution ist VPK Rossii v 2002godu. Strukturnye pokazateli [Der militärisch-industrielleKomplex Rußlands: Strukturdaten], Moskau 2003). Zweitenswar bei dem Vorhaben eine regierungsunabhängige For-schungsinstitution sehr hilfreich, das Zentrum für die Ana-lyse von Strategien und Technologien (CAST: Centr analizastrategij i technologij). Die im März 1997 gegründete Insti-tution befaßt sich ausschließlich mit Fragen des russischenmilitärisch-industriellen Komplexes und des Waffenexportssowie mit den Möglichkeiten internationaler Rüstungs-kooperation. Diese Studie konnte sich auf statistische An-gaben und Bewertungen des Zentrums stützen. Diese wieder-um gehen sowohl auf offizielle Daten des VPK-Informations-netzes zurück als auch auf jene anderer Regierungsinstitu-tionen und ihrer Repräsentanten. Des weiteren wertet dasZentrum Veröffentlichungen der Einrichtungen des MIK undInterviews mit den Direktoren von Rüstungsbetrieben aus.Drittens können eigene Gespräche mit Regierungsvertretern,Direktoren der Rüstungswirtschaft und unabhängigen Fach-leuten durchaus hilfreich sein. Der Autor hat diese Möglich-keit ausgiebig genutzt. Bei der Verknüpfung der Daten mitPersonen hat sich der Autor allerdings große Zurückhaltungauferlegt. Journalisten und Wissenschaftler, die sich mitsensiblen Fragen wie Rüstung und Waffenexporten befassen,bewegen sich in einer Grauzone möglichen Geheimnis-verrats. Die mit dem Betreten dieser Zone verbundenenDrohungen wirken oft absurd, was anhand der folgendenbeiden Grundsätze verdeutlicht werden mag: (1) Was geheimist und worüber dementsprechend nicht berichtet werdendarf, unterliegt der Geheimhaltung. Kurz: Was geheim ist,ist geheim; (2) Militärjournalisten und Forscher, die aus-schließlich mit offenen Quellen arbeiten, aber zu Schluß-folgerungen gelangen, die geheim sind, begehen Geheimnis-verrat. Eine umfassende Darstellung dieser Probleme findetsich in dem vom Center for Defense Information und dem Centerof War and Peace Journalism herausgegebenen Buch Sovremen-naja rossijskaja voennaja �urnalistika. Opyt, problemy, per-spektivy [Der gegenwärtige russische Militärjournalismus:Erfahrungen, Probleme, Perspektiven], Moskau: Gendal�f,2002.

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Entwicklung des Rüstungskomplexes 1990�2000

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Entwicklung des Rüstungskomplexes 1990�2000

Der Umfang des Rüstungskomplexes war zu Sowjet-zeiten enorm. Die Anzahl der in den Forschungs-und Entwicklungsbüros und den RüstungsbetriebenBeschäftigten umfaßte nach verschiedenen Schätzungenmehr als 10 Mio. Personen, die meisten davon in Ruß-land. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunionschrumpfte der MIK in Rußland drastisch. Im Jahre1994 betrug die Anzahl der in der Rüstungsindustrietätigen Personen noch 7,5 Mio. Bis 1996 ging ihre Zahlauf 3 Mio. zurück. Gegenwärtig finden dort immernoch rund 2 Mio. Menschen Arbeit.3

Auch die Anzahl der zum Rüstungskomplex gehörendenUnternehmen (ohne die Forschungsinstitutionen undBetriebe des Atomministeriums) sank erheblich. Imletzten Jahrzehnt wurden rund 400 Rüstungsbetriebewegen Insolvenz geschlossen. Im Jahr 2001 existiertenaber immerhin noch ca. 1700 Rüstungsunternehmen,und noch im Jahr 2003 wurde ihre Zahl mit rund 1600beziffert. Die Forschungs- und Entwicklungseinrich-tungen und die Waffenfabriken sind weit über dasLand verstreut; sie verteilen sich über insgesamt 72der 89 territorialen Einheiten Rußlands. Allerdings istder größte Teil von ihnen in nur zwölf Städten undRegionen konzentriert, ein Drittel aller Beschäftigtenin der Rüstungsindustrie arbeitet dort.4

3 Die nachfolgende Darstellung des Niedergangs des MIKberuht auf folgenden Quellen: Ksenia Gontschar, Kollaps oderWiedergeburt? Die Militärindustrie Rußlands, in: Wissen-schaft und Frieden, 18 (April 2000) 2, S. 19�23; außerdem auf:Peter Lock, Rüstung in Rußland: Entwicklungstendenzen undExporte, in: Wissenschaft und Frieden, 18 (April 2000) 2,S. 14�18; Irina Smetanenko, Konversion in Rußland, Köln 1998(Berichte des BIOst, 26/1998); Friedrich-Wilhelm Schlomann,Rußlands Rüstungsindustrie in tiefer Krise, in: DeutscherOstdienst, 31.7.1998, S. 5; Andrej Astachov, Nekotorye itogi iproblemy restrukturizacii voennoj promy�lennosti [EinigeErgebnisse und Probleme der Restrukturierung der Rüstungs-industrie], in: Finansy, (September 1999), S. 3�6; LeonidKonsals, Recept vy�ivanija dlja oboronnogo predprijatija[Rezept zum Überleben des Rüstungsbetriebs], in: Nezavisi-moe voennoe obozrenie (NVO, Internetausgabe), 28.1.2000;Ruslan Puchov, The Russian Defense Industry: Is the End inSight? (unveröffentlichtes Forschungspapier, März 2003), S. 1.4 Einen guten Überblick vermittelt das von der Nachrichten-agentur Informatsionnoe agenstvo ARMS-TASS herausgegebeneKompendium Predprijatija oboronno-promy�lennogo kom-pleksa Rossii i stran SNG. Spravočnik 2003�2004 [Die Betriebe

Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging auch dieProduktion des russischen Rüstungssektors enormzurück, und zwar weit mehr als die der Industrie ins-gesamt. Im Jahre 1998 war der Tiefpunkt erreicht; dasProduktionsniveau lag zu diesem Zeitpunkt um rund80% unter dem Wert des Jahres 1991.5

In der Luftfahrtindustrie betrug der Rückgang so-gar 88% und in der Elektronik 95%. Ende der neun-ziger Jahre belief sich der Output wichtiger Waffen-systeme nur noch auf ein Zehntel des Wertes, den erzu Beginn des Jahrzehnts gehabt hatte. Die Produktionvon Panzern wurde praktisch eingestellt (siehe Tabelle1). Auch Überwasser-Kampfschiffe wurden kaum mehrhergestellt. Lediglich ein Prozent des Bestands an Mili-tärflugzeugen war nach 1995 produziert worden, fastdie Hälfte sogar noch vor 1985. Die wenigen Waffen,die die Rüstungsindustrie produzierte, wurden in derRegel nicht den russischen Streitkräften zugeführt,sondern exportiert.

Tabelle 1

Waffenproduktion, 1990�2000

1990 1992 1994 1996 1998 2000

Panzer 1600 500 40 5 10 30

Schützenpanzer 3400 700 400 300 250 50

Kampfflugzeuge 400 150 50 20 30 40

Bomber 40 20 2 1 0 0

Kampfschiffe 2 2 0 1 0 1

U-Boote 12 6 4 3 1 1

Quelle: Christopher J. Hill, Russian Defense Spending, in: U.S. Con-gress, Joint Economic Committee (Hg.), Russia�s Uncertain EconomicFuture. Compendium of Papers, December 2001, Washington,D.C.: U.S. Government Printing Office, 2002, S. 173.

des militärisch-industriellen Komplexes Rußlands und derGUS-Staaten. Handbuch 2003�2004], Moskau 2004; Federationof American Scientists, Military Industry Overview, <www.fas.org/nuke/guide/russia/industry/overview.htm>; RomanSchlejnow, Wieso mußte der kommissarische Leiter der staat-lich kontrollierten Holding Almas-Antej sterben? Zu denGründen der Kriminalisierung der russischen Rüstungs-industrie, in: Novaja gazeta, 9.3.2003, zit. bei Deutsche Welle,DW-Monitor Ost-/Südosteuropa, 11.6.2003.5 Laut der Analyse des DIW; siehe Opitz, Russische Rüstungs-industrie [wie Fn. 1].

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Entwicklung des Rüstungskomplexes 1990�2000

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Das Mißverhältnis zwischen der großen Anzahlder in der Rüstungsindustrie Beschäftigten und demgeringen Produktionsniveau wirft die Frage auf: Wasmacht denn das Zweimillionenheer der im Rüstungs-komplex Beschäftigten eigentlich? Wie überlebt es?Darauf gibt es zwei Antworten. Die erste ist: staatlicheSubventionen. Die Gehälter werden aus der Staats-kasse bestritten. Die zweite lautet: Betriebsfürsorge.Die Großbetriebe sind mit amerikanischen factory odercompany towns vergleichbar, in denen Wohnungen,Kliniken, Kindergärten, Geschäfte, Transportunter-nehmen und Kraftwerke Teil der betrieblichen Infra-struktur sind. Bis zu 80% des Haushalts eines Groß-betriebs werden im russischen Rüstungssektor für dieAufrechterhaltung des sozialen Netzes verwandt.6

Erstmals seit Bestehen der Russischen Föderationverzeichnete die Rüstungsindustrie im Jahre 1999allerdings wieder einen Produktionszuwachs, der immer-hin 33% betrug. Dabei stieg die militärische Produk-tion mit 35% etwas stärker als die zivile (+29%). DieseRaten, die weit über dem Gesamtzuwachs der Indu-strieproduktion von 8,1% lagen, waren überwiegendauf die Erhöhung der Ausgaben für die militärischeBeschaffung, eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeitder zivilen Produktion der Rüstungsindustrie gegen-über der ausländischen Konkurrenz auf dem Binnen-markt und Erfolge im Exportgeschäft zurückzuführen.Ausgelöst wurde diese Entwicklung vor allem durchdie drastische Abwertung des Rubels im Jahre 1998,welche die Marktchancen russischer Waffen auf demWeltmarkt verbesserte.7

Trotz dieser leichten Erholung war Präsident Putinbei seinem Amtsantritt im Jahre 2000 mit dem be-schriebenen Problem einer großen Anzahl veralteterund alternder, über das Territorium Rußlands weitverstreuter und wirtschaftlich unrentabler Rüstungs-betriebe mit Millionen, zum großen Teil staatlichsubventionierten Beschäftigten konfrontiert. Wie hatPutin versucht, dieses Problem in den Griff zu bekom-men?

6 Federation of American Scientists, Military Industry Overview[wie Fn. 4].7 Zahlenangaben zur Produktionsentwicklung bei Centrekonomičeskoj konjunktury, Rossija, Bd. 1 (2000), S. 64, undChristopher J. Hill, Russian Defense Spending, in: U.S. Congress,Joint Economic Committee (Hg.), Russia�s Uncertain EconomicFuture. Compendium of Papers, December 2001, Washington,D.C.: U.S. Government Printing Office, 2002.

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Unternehmensstrukturen und staatliche Kontrolle

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Die russische Rüstungsindustrie unter Putin

Anfangs hing der Präsident dem in der Sowjetäraweit verbreiteten Gedanken nach, der militärisch-industrielle Komplex könne als zugkräftiges Pferd vorden maroden Karren der Gesamtwirtschaft gespanntwerden und so einen Modernisierungsschub für diezivile Industrie bewirken. So heißt es in dem unterseiner Ägide als Sekretär des Sicherheitsrats erarbeite-ten und von ihm als Präsident im Januar 2000 in Kraftgesetzten Sicherheitskonzept, es sei notwendig, den»Transfer neuer Militärtechnologien in die Zivilwirt-schaft zu stimulieren« und Mechanismen zu ent-wickeln, welche die »Konkurrenzfähigkeit russischerUnternehmen auf dem Weltmarkt gewährleisten«.8

Putin selbst stellte fest, der militärisch-industrielleKomplex (»Verteidigungsbereich«) sei ein »prioritärerSektor« der russischen Wirtschaft, in dem sich »fort-geschrittene Technologien und äußerst befähigtesPersonal angehäuft haben«.9 Dieser Sektor müsse »dieLokomotive für die [wirtschaftliche] Entwicklung sein«10

und könne »Rußland aus allen [!] seinen Problemenheraushelfen«.11 Die Prozeduren für die Vergabe vonStaatsaufträgen müßten allerdings verbessert, Innova-tionen beschleunigt, jüngere Spezialisten angewor-ben, Qualitätskontrollen verschärft, Bestimmungenfür den Bankrott von Unternehmen geändert, derillegale Transfer von Hochtechnologie ins Auslandverhindert und Deviseneinnahmen aus dem Waffen-exportgeschäft besser verwendet werden.12

Die Vorstellungen vom MIK als Lokomotive derGesamtwirtschaft verschwanden schnell im Abfall-korb der jüngsten russischen Geschichte. Was blieb

8 Koncepcija nacional�noj bezopasnosti Rossijskoj Federacii[Konzept der nationalen Sicherheit der Russischen Födera-tion], in: NVO (Internetausgabe), <http://nvo.ng.ru/concepts/2000-01-14/6_concept.html>.9 In einer Rede in Nischnij Nowgorod am 21.3.2000, ITAR-TASS (russ.), 21.3.2000.10 Zit. bei Vitalij Denisov, Oboronnyj zakaz uveličitsja v pol-tora raza [Die Staatsaufträge werden um das Anderthalbfacheerhöht], in: Krasnaja zvezda, 28.1.2000, S. 1 (Hervorhebungnicht im Original).11 Putin, Rede in Nischnij Nowgorod [wie Fn. 9] (Hervor-hebung nicht im Original).12 Ebd.

und bleibt ist das Bemühen, den Rüstungskomplex zureformieren und zu modernisieren.13

Unternehmensstrukturen undstaatliche Kontrolle

Eine der für russische Reformambitionen wichtigstenFragen lautet: Welche Eigentumsverhältnisse herrschenin der russischen Rüstungsindustrie, und wie könntenoder sollten sie verändert werden? Drei Eigentums-formen sind zu unterscheiden: Ein Teil der militäri-schen Forschungsinstitute und Rüstungsbetriebe istvollständig in privater Hand, ein anderer ist teilpriva-tisiert, ein dritter staatlich. Über zwei Drittel der

13 Vier in den Jahren 2001 bis 2003 erstellte Konzepte lieferndie Grundlage für die Reform des Rüstungswesens: Wie so oftim militärischen und militärisch-industriellen Bereich sinddiese Dokumente nicht publiziert, sondern lediglich vonRegierungsmitgliedern in Auszügen bekannt gemacht underläutert worden. Das erste Konzept umreißt die Basis fürdie Politik der Russischen Föderation im Bereich der Entwick-lung des verteidigungsindustriellen Komplexes für die Pe-riode bis 2010 und darüber hinaus; das zweite ist das Pro-gramm für die Reform und Entwicklung des verteidigungs-industriellen Komplexes im Zeitraum 2002 bis 2006; das dritteDokument ist vom Sicherheitsrat unter Vorsitz Putins imFebruar 2003 verabschiedet worden und konkretisiert dieVorgaben der ersten beiden. Ihm zufolge soll im Jahre 2006ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm und ab 2008ein Programm für die Neuausstattung der Streitkräfte star-ten; das vierte richtungweisende Papier ist der Entwurf einesKonzepts der staatlichen Luft- und Raumfahrtagentur Rosa-viakosmos zur Umstrukturierung und Privatisierung der rus-sischen Luft- und Raumfahrtindustrie. Es wurde im Novem-ber 2003 vorgelegt. Nachfolgend werden diese Konzepte inKurzform wie folgt benannt: »Basis bis 2010«, »Programm bis2006«, »Programm 2003« und »Aljoschin-Plan«. Das letzteDokument wird deshalb als Aljoschin-Plan bezeichnet, weiles »auf Anregung« des für Rüstungsfragen verantwortlichenstellvertretenden Ministerpräsidenten Boris Aljoschin zu-stande gekommen ist und seine Reformvorstellungen enthält.� Zusammenfassungen und Bewertungen der Programmefinden sich bei Konstantin Makienko, Programma restruktu-rizacij OPK: opyt kritičeskovo analiza [Das Programm zurRestrukturierung des VPK: Ergebnisse einer kritischen Ana-lyse], in: Eksport vooruzheniy (Integrum online), 15.3.2002,und Lyuba Pronina, Aviation Industry to Go Private, in: Mos-cow Times, 1.12.2003, S. 1, 2.

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Die russische Rüstungsindustrie unter Putin

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Forschungs- und Entwicklungsbüros und Betriebe sindentweder ganz in staatlicher Hand oder haben staat-liche Beteiligungen (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2

Verteilung der Eigentumsformen in der

russischen Rüstungsindustrie, Oktober 2001

Eigentumsform Anzahl der Firmen Prozent

Staatlich 701 43

Privatisierung gestattet 266

Privatisierung verboten 435

Aktiengesellschaften mit

staatlichen Anteilen

470 28

Goldener Anteil (>75%) 265

Kontrollanteil (>50%) 99

Blockierungsanteil (>25%) 89

Anteil weniger als 25% 17

Private Aktiengesellschaften 460 29

Insgesamt 1631 100

Quelle: Ruslan Puchov, The Russian Defense Industry: Is the Endin Sight? (unveröffentlichtes Forschungspapier, März 2003),auf der Grundlage von Daten des »Programms bis 2006« (sieheFn. 13).

Welche Absichten verfolgt nun die Regierung mitden Konzepten »Basis bis 2010« und »Programm bis2006«: Privatisierung oder Renationalisierung? Wie derdamals noch für Rüstungsfragen in der Regierungzuständige Vizepremier Ilja Klebanow bei der Erläu-terung des »Programms bis 2006« sagte, sollen alleAbläufe von der Forschung und Entwicklung über dieProduktion bis zum Verkauf unter ein und dasselbeDach gebracht und »die Ressourcen des Staates, derUnternehmen und Drittmittel konzentriert werden,um neue Technologien zu entwickeln und das Mar-keting zu verbessern«.14 Das klang ganz nach einerRückbesinnung auf Denkkategorien der sowjetischenZentralverwaltungswirtschaft. Weiter führte er aberaus, es sei nicht geplant, die Rüstungsindustrie mitHilfe der großen Holdinggesellschaften unter zentralestaatliche Kontrolle zu stellen und den Rüstungssektorzu renationalisieren. Er lehnte es denn auch ab, eineArt Superministerium für die Rüstungswirtschafteinzurichten. Das, so Klebanow, wäre »nostalgisch«,

14 Lyuba Pronina, Russia Approves Plan to Trim Defense In-dustry: Program Slashes Half of Firms, Puts Focus on Next-Generation Weapons, in: Defense News, 5.11.2001, S. 18. IljaKlebanow war gleichzeitig Minister für Industrie, Wissen-schaft und Technologie und ist es weiterhin.

»atavistisch« und würde an das Ministerium für Ver-teidigungsindustrie der Sowjetära erinnern. Die Hol-dings sollten imstande sein, Gewinne zu erzielen undin Forschung und Weiterentwicklung der Produktionzu investieren. Die Steuereinnahmen sollten haupt-sächlich in den Regionen bleiben und nicht an dasFinanzministerium in Moskau abgeführt werden.15

Wie verbreitet das konservative Denken allerdingsimmer noch unter Politikern und Staatsbeamten ist,trat im Herbst 2003 im Zusammenhang mit der Yukos-Affäre zutage. Einerseits bemüht sich Putin seitdemimmer wieder, aufgeschreckte russische und ausländi-sche Geschäftsleute mit der Zusicherung zu beruhi-gen, die seit Beginn der neunziger Jahre erfolgte Priva-tisierung werde nicht wieder rückgängig gemacht; aufder anderen Seite äußerte sein VerteidigungsministerSergej Iwanow im November 2003: »Meiner Ansichtnach sollte der Staat nicht die Kontrolle über irgend-welche strategischen Sektoren der Wirtschaft ver-lieren.«16 Ähnlich hört sich dies bei InnenministerBoris Gryslow an: »Wenn einige Firmen [unsere] Res-sourcen managen, heißt das noch lange nicht, daß sieunsere Profite privatisieren können.«17 Deswegen hatsich im Prinzip bisher nicht viel geändert: Wenn auchder Anteil der ausschließlich in privater Hand befind-lichen Aktiengesellschaften in den letzten zweiJahren, für die Zahlen vorliegen, leicht gestiegen ist(siehe Tabelle 3, S. 13), so wird das Rüstungswesendoch weiterhin durch Staatsbesitz geprägt.

Dasselbe ist zum Problem von Rolle und Einfluß desStaates zu sagen. In der Präsidialadministration undder Regierung scheint sich die An- und Einsicht durch-gesetzt zu haben, daß staatliche Regie wirtschaftlicherEffizienz nicht förderlich ist � auch nicht in der Rüstungs-industrie. So ist der jetzt in der Regierung für dieRüstungsproduktion zuständige Chef der FöderalenIndustrieagentur Boris Aljoschin bereits von der For-derung abgerückt, der Staat müsse einen Anteil von

15 Ebd.16 Valeria Korchagina, Strict Control: Russian Defense Minis-ter Tries on Energy Hat, in: Moscow Times, 18.11.2003, S. 1, 2.Die Äußerung Iwanows war allerdings nicht auf den Verteidi-gungssektor gemünzt, sondern auf die Ölindustrie.17 Auch Gryslows Bemerkungen richteten sich in erster Liniegegen die »Oligarchen« im Rohstoffsektor, sie dürfen aberals typisch für verbreitete Einstellungen zu anderen »natür-lichen Monopolen« gelten. Das genaue Zitat lautet: »RußlandsBodenschätze gehören keinen Unternehmen oder Einzel-personen. Wenn einige Firmen diese Ressourcen managen,heißt das noch lange nicht, daß sie unsere Profite privatisie-ren können« (Moskau übernimmt Kontrolle über ÖlkonzernYukos, in: Handelsblatt, 31.10.2003, S. 1).

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Unternehmensstrukturen und staatliche Kontrolle

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51% bei der Gründung von Holdinggesellschaftenhalten; ein Blockierungsanteil von 25% würde genügen.18

Auf einen Rückzug des Staates aus der Rüstungsindu-strie könnte ebenfalls die Tatsache hindeuten, daß derStaat nicht bereit ist, über bereits bestehende umfang-reiche Subventionen hinaus neue finanzielle Ver-pflichtungen einzugehen, und daß der größte Teil derInvestitionen in der Rüstungswirtschaft (ca. 80%) ausbetriebseigenen Mitteln stammt. Und schließlichhat der Staat auch seine in den Jahren 1994 bis 1999angehäuften Schulden aus Rüstungsaufträgen trotzÜberschüssen im Haushalt immer noch nicht be-glichen.19

Tabelle 3

Entwicklung der Eigentumsverhältnisse in der

russischen Rüstungsindustrie, 2001�2002

Eigentumsform Firmen 2001

Anzahl %

Firmen 2002

Anzahl %

Staatlich 667 41,6 618 39,8

Aktiengesellschaften

mit staatlichen

Anteilen

459 30,9 477 30,7

Private Aktiengesell-

schaften

486 30,3 458 31,2

Insgesamt 1602 100,0 1553 100,0

Quelle: Ruslan Puchow und Konstantin Makienko (CAST), Interview(Moskau), 17.10.2003.

Diese Indizien verdichten sich aber nicht zu einemGesamtbild, das eine Verringerung staatlichen Ein-flusses erkennen ließe. Zudem hat der Staat, um seineVorstellungen durchzusetzen und an den Profitenteilzuhaben, nach wie vor genügend Druckmittel zurHand: Er kann Rüstungsunternehmen die Lizenz fürForschung, Entwicklung oder Produktion entziehen,die Genehmigung für Exportvorhaben verzögernoder verweigern und Unternehmen vom Zugang zuGeheimmaterialien ausschließen. Der Staat bleibt

18 Privatization of the Russian Defense Industry, CAST Com-ments (online), 22.8.2003, <www.cast.ru/main/index.php?m=1&d=145&lang=1>.19 Die mangelnde Förderung von Investitionen in der Rü-stungsindustrie und die beharrliche Weigerung des Staates,seinen Schuldenberg gegenüber den Rüstungsbetrieben ab-zutragen, wird in einem Thesenpapier des Rates für Außen-und Verteidigungspolitik (SWOP) beklagt; siehe Oboronnajapolitika Rossii [Die Verteidigungspolitik Rußlands], unveröf-fentlichtes Thesenpapier des SWOP. Das Papier wurde auf derSitzung des Rates am 14.10.2003 diskutiert.

auch deswegen weiterhin in einer einflußreichenPosition, weil es keine privaten Bankkredite anRüstungsunternehmen gibt.20

Allerdings muß der Staat Einfluß und Profite un-gewollt teilen. Auf allen Ebenen grassiert Korruption,und das organisierte Verbrechen ist an den Gewinnen derRüstungswirtschaft mitbeteiligt: Ein Drittel des mili-tärisch-industriellen Komplexes wird nach Schätzungvon Insidern von kriminellen Strukturen kontrol-liert.21 Verteilungskämpfe werden infolgedessen auchgewaltsam entschieden. So wurde im Juni 2003 derkommissarische Leiter des Konzern Almas-Antej,Igor Klimow, in Moskau im Vorfeld einer Aktionärs-versammlung erschossen. (Der Konzern, der im Vor-jahr gebildet wurde, produziert Flugabwehrsystemevom Typ S-300, Petschora, Tor-M1 und Buk-M1-2.)Kurz davor war auch der ehemalige Direktor des zen-tralen wissenschaftlichen Forschungsinstituts Delfinin seiner Wohnung mit einer Kopfverletzung tot auf-gefunden worden.22

Wer von den drei im Verteilungskampf miteinan-der sowohl konkurrierenden als auch kooperierendenStrukturen � Staat, Privatwirtschaft und organisiertesVerbrechen � das Sagen hat, läßt sich schwer beurtei-len. In der Regel werden wohl die Politiker und Be-amten weiterhin das Heft in der Hand behalten. Diesesind allerdings untereinander in Grabenkämpfe umMacht, Geld und Einfluß verwickelt. Ihre Kompeten-zen überlappen sich und verändern sich laufend: Soschaffte Putin im Februar 2002 den Posten des fürRüstungsfragen in der Regierung verantwortlichenstellvertretenden Ministerpräsidenten ab, im April2003 richtete er ihn wieder ein und im März 2004, imZuge der Regierungsumbildung vor den Präsident-schaftswahlen, beseitigte er ihn erneut. Putin lösteeine ganze Reihe von Ministerien auf, gründete aber29 Bundesagenturen und 29 föderale Dienste neu.

Eine der neuen Bundesagenturen ist die FöderaleIndustrieagentur. Ihr Chef ist Boris Aljoschin, der großeErfahrung aus der Forschung und Entwicklung mili-

20 Eine Ausnahme ist ein Kredit der Alpha-Bank an einRüstungsunternehmen.21 Das ist die Ansicht der Mehrheit von 150 befragten Direk-toren von Rüstungsbetrieben aus verschiedenen Forschungs-,Entwicklungs- und Produktionsbereichen in verschiedenenRegionen Rußlands. Die Befragung wurde von Wissenschaft-lern des Instituts für soziale und wirtschaftliche Problemeder Bevölkerung der Russischen Wirtschaftsakademie durch-geführt, die Ergebnisse zitiert Schlejnow, Wieso mußte derkommissarische Leiter sterben? [wie Fn. 4].22 Ebd. Die Wahrscheinlichkeit, daß diese Gewaltverbrechenaufgeklärt werden, liegt erfahrungsgemäß bei Null.

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Die russische Rüstungsindustrie unter Putin

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tärischer Hochtechnologie mitbringt. Im Vorfeld derRegierungsumbildung war Aljoschin sogar als mög-licher neuer Regierungschef gehandelt worden.23 Inseiner neuen Funktion unterstehen ihm die vier vonKlebanow geschaffenen Ämter für Munitionswesen,Schiffbau, Kontrollsysteme und konventionelle Waf-fen. Zudem soll aus der bisher dem Ministerpräsiden-ten direkt unterstellten Luft- und RaumfahrtagenturRosaviakosmos die Luftfahrttechnik ausgegliedert undals fünftes Teilstück der Industrieagentur Aljoschinszugeordnet werden.

Offensichtlich erwartet Putin von Aljoschin, daß erOrdnung in das organisatorische Durcheinander imRüstungswesen bringt. Ob dies gelingen wird, ist zwei-felhaft. Ungewiß bleibt beispielsweise, wie die Kom-petenzen zwischen der Industrieagentur und demVerteidigungsministerium verteilt sind oder verteiltwerden, denn im Ministerium gibt es weiterhin eineHauptabteilung, die für das Rüstungs- und Beschaf-fungswesen verantwortlich ist. Unklar ist auch diegegenwärtige und künftige Rolle des von Putin imMärz 2003 vermutlich unter dem Eindruck desIrakkriegs im Verteidigungsministerium neu gebil-deten Komitees für die Beschaffung neuer konventio-neller Waffen für die Streitkräfte.24 Und schließlichrichtete der Präsident im April 2003 eine weitereStelle im Aufsichts- und Kontrollsystem ein: Er schufden Posten eines Beraters des Präsidenten für dieRüstungsindustrie und besetzte ihn mit GeneralmajorAlexander Buturin. Welche Befugnisse der Generalseither wahrgenommen hat, ist nicht zu erkennen.25

23 Aljoschin ist Absolvent des Moskauer Physikalisch-tech-nischen Instituts. Von 1978 bis 1982 arbeitete er am staat-lichen Wissenschaftlichen Forschungsinstitut für Flugsyste-me (GosNIIAS). Von 1984 bis 1989 war er Leiter des Zentrumsfür Mikroelektronik der Luftfahrtindustrie an diesem Insti-tut. Im Jahre 2000 wurde er erster stellvertretender Ministerfür Industrie, Wissenschaft und Technologie und im Novem-ber 2001 Leiter des staatlichen Komitees für Standardisie-rung; siehe Lyuba Pronina/Simon Saradzhyan, Putin AppointsNew Arms Tsar, in: Moscow Times (Internetausgabe),25.4.2003.24 Leiter dieses Staatskomitees wurde Wladimir Matjuchin,früher Chef des Kommunikationsgeheimdienstes FAPSI; sieheMarkus Wehner, Putin stärkt den Geheimdienst, in: Frankfur-ter Allgemeine Zeitung (FAZ), 15.3.2003, S. 6.25 Buturin ist Absolvent der Frunse-Militärakademie und hatseine gesamte Karriere im Militär gemacht. Vor seiner Ernen-nung war er Leiter der Hauptverwaltung für operative Fragenbeim Generalstab. Putin hatte ihn im März 2002 auf einemSkiurlaub kennengelernt; siehe Ilya Bulavinov, VladimirPutin Appoints New Adviser for Military-Industrial Sector, in:Pravda.ru (online), 19.4.2003; ders., in: Kommersant-vlast�

Wie verhält es sich mit der Kontrolle des für dasÜberleben des militärisch-industriellen Komplexesentscheidenden Waffenexports? Über die Vergabe vonmehr als vier Fünfteln der Aufträge für die Lieferungvon Waffen und militärischer Ausrüstung bestimmtdas staatliche Komitee für militärisch-technische Zusammen-arbeit mit fremden Staaten (KWTS Rossii), das formelldem Präsidenten unterstellt ist, aber bis zum Herbst2003 von General Michail Dmitriew, einem stellvertre-tenden Verteidigungsminister, geleitet wurde. Dievom Komitee autorisierten Geschäfte werden von derstaatlichen Firma Rosoboronexport abgewickelt, demBeinahe-Monopolisten für russischen Waffenhandel.26

Konzentrationsprozesse

Teil der erklärten Reformziele unter der Präsident-schaft Putins ist die Reduzierung der großen Anzahlvon Rüstungsbetrieben. Ende Oktober 2001 billigtender Sicherheitsrat und der Staatsrat, ein Forum, dasdie regionalen Gouverneure zusammenführt, diebeiden Grundsatzdokumente »Basis bis 2010« und»Programm bis 2006«, in denen unter anderem diesesZiel formuliert wird: Die Hälfte der damals 1631Rüstungsbetriebe sollten bis zum Jahre 2006 still-gelegt und die restlichen ca. 800 in rund 50 großenKonsortien oder Holdinggesellschaften zusammen-gefaßt werden.27

Offiziell sind bislang nur rund 50 Betriebe geschlos-sen worden (siehe Tabelle 3, S. 13), ein Teil, weil siefür bankrott erklärt wurden, ein anderer aufgrundder Verschmelzung mit anderen Betrieben und eindritter aufgrund betriebsinterner Beschlüsse. Bis zudem von der Regierung beschlossenen Ziel, die Anzahlder Betriebe im Rüstungssektor auf 800 zu reduzieren,ist noch ein weiter Weg zurückzulegen.

Seit Verabschiedung der beiden Grundsatzdoku-mente sind allerdings wichtige Konzentrations-prozesse zu verzeichnen: die Gründung großer Hol-dinggesellschaften. Zu ihnen gehören:

(Internetausgabe), 9.�15.6.2003.26 Die Zu- und Unterordnungsverhältnisse waren bis zu derReorganisation des Waffenexportsystems im November 2003sehr verschwommen. Siehe dazu und zu der nunmehr vor-genommen Reorganisation unten, S. 19ff.27 Zu den Dokumenten siehe Fn. 13. Russische Fachleuteschätzen, daß von den rund 1600 Rüstungsbetrieben nichtmehr als 300 Betriebe überhaupt etwas militärisch Brauch-bares produzieren; Information von Ruslan Puchow undKonstantin Makienko (CAST), Interview (Moskau), 17.10.2003.

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Konzentrationsprozesse

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! Suchoj AWPK. Entstanden durch Zusammenlegungvon 51% des Suchoj-Entwicklungsbüros, 74,5% derFlugzeug-Produktionsassoziation Komsomolsk-am-Amur (KnAAPO) und wiederum 74,5% der Nowo-sibirsk-Flugzeug-Produktionsassoziation.28

! Holding Luftfahrt- und Weltraumausrüstung. Ein Zu-sammenschluß von 20 Rüstungsunternehmen, derüber 60% des russischen Markts für Flugtechnik(einschließlich -elektronik) kontrolliert.29

! Avionika. Ein Konsortium, dessen Kern das Wissen-schaftliche und Produktionszentrum Techno-komplex bildet. Diesem wurden sieben weitereEntwicklungsbüros und Produktionsbetriebe zu-geordnet; Avionka steht damit in Konkurrenzzu dem vorgenannten Luftfahrt- und Weltraum-ausrüstungs-Großkonzern.

! NPO30 Saturn. Diese Holdinggesellschaft entstand ausdem Zusammenschluß des zivilen Flugmotoren-werks Rybinsk mit den Ljulka-Saturn-Werken;diese Werke stellen Düsenmotoren für Militärflug-zeuge her.Die bisher weitreichendsten Pläne für die Umstruk-

turierung sind in dem von der staatlichen Luft- undRaumfahrtagentur Rosaviakosmos auf Anregung undunter Einflußnahme Aljoschins erarbeiteten Konzeptzur Umstrukturierung und Privatisierung der russi-schen Luft- und Raumfahrtindustrie enthalten. DasKonzept sieht vor, die führenden Konstruktions- undEntwicklungsbüros und Betriebe wie Suchoj, Irkut,MiG, Iljuschin und Tupolew bis 2007 in einem einzi-gen Großkonzern namens Vereinigte Flugzeug-Herstel-lungsgesellschaft (OAK) zusammenzufassen. Diese ge-waltige Fusion soll unter anderem dazu beitragen, dieKonkurrenz unter den russischen Unternehmen zubeseitigen, und die Luftfahrtindustrie in die Lage ver-setzen, im internationalen Wettbewerb mitzuhalten.Die Holdinggesellschaft soll mit privatem Kapitalfinanziert und von Privatmanagern geführt werden,

28 Damit wurde ein Dekret des russischen Präsidentenvom 26.10.2001 ausgeführt; bei Abschluß dieser Arbeit wardie Verschmelzung des Suchoj-Entwicklungsbüros und derbeiden Produktionsfirmen fast vollendet; siehe FBIS/CentralEurasia Program, Directory of RF Defense RelatedAgencies and Personnel, <http://199.221.15.210/rusmil/AviationIndustry.html#SUKHOY>. Die Abkürzung AWPKsteht für Aviacionnyj voenno-promy�lennyj kompleks [Mili-tärisch-industrieller Komplex der Luftfahrt].29 Der russische Name des Konsortiums lautet: Aeroro-kosmičeskoe oborudovanie [Luftfahrt- und Weltraum-ausrüstung].30 NPO: Naučno-proizvodstvennoe od��edinenie [Wissen-schaftliche und Produktionsvereinigung].

der Staat nur einen Anteil von 25,5% daran halten.31

Man könnte also meinen, der europäische Luft- undRaumfahrtzusammenschluß EADS habe als Vorbildgedient. Zum Teil mag dies auch zutreffen. Der Unter-schied der beiden Strukturen ist allerdings, daß dermilitärische Teil von Forschung, Entwicklung und Pro-duktion der OAK »vorläufig« organisatorisch eigen-ständig bleiben und der Staat in diesem Bereich mehrals 50% der Anteile besitzen soll.32

Eine Vorstellung von den Größenordnungen der russi-schen Rüstungsindustrie vermittelt Tabelle 4 (S. 16),in der die zehn größten Firmen des MIK nach derHöhe ihrer Verkäufe von Waffen und Militärtechno-logie, den Verkaufserlösen insgesamt und den wich-tigsten militärischen Erzeugnissen geordnet sind.

Wie die Tabelle zeigt, sind neun der zehn Groß-konzerne auf die Forschung, Entwicklung und Produk-tion im Bereich Flugzeuge, Hubschrauber, Flugtechnikund Flugabwehrsysteme spezialisiert. Ihre Produkt-diversifizierung ist gering. Schwerpunkt der Einnah-men bei Suchoj und Irkut waren die Exporterlöse ausder Lieferung von Kampfflugzeugen: Suchoj AWPKerzielte Gewinne aus dem Export von 19 Su-30MKKnach China und 10 Su-24 nach Algerien; die Irkut-Holdinggesellschaft rückte mit der Lieferung von 10Su-30MKI an Indien und 10 Su-27UBK Trainingsflug-zeugen an China von der fünften Stelle in der Rang-folge der größten Rüstungskonsortien auf den zweitenPlatz vor.33 Auch das Ufa-Konsortium verbesserte seinePosition auf dem Markt für Flugtechnik und nimmtjetzt den vierten Platz ein. Ausschlaggebend dafürwaren seine Beteiligung an der Produktion und demExport von MiG-29, von Hubschraubern, aber auchVerträge, die den Bau von AL-31FP-Flugzeugmotorenunter Lizenz in Indien vorsehen. Lediglich Uralwagon-sawod produziert verschiedene Güter außerhalb desflugtechnischen Bereichs, vor allem Kampfpanzer(T-90S) und Eisenbahnwaggons. Allerdings gehört daswegen angeblicher Lieferungen an den Irak (Panzer-abwehrraketen vom Typ Kornet) ins Kreuzfeuer derBush-Administration geratene Entwicklungsbüro für

31 Pronina, Aviation Industry to Go Private [wie Fn. 13].32 Ebd.33 Irkut wird in den Statistiken als Teil der Suchoj-Holdinggeführt, Suchoj AWPK hält aber nur einen Anteil von 14,7%an dem Unternehmen. Es wird infolgedessen hier als eigen-ständiger Betrieb behandelt. Ein Schlüssel für die Zuord-nung der unterschiedlichen Typenbezeichnungen bei derSu-27 und Su-30 ist der letzte Buchstabe: K ist der Hinweisauf China (russ. Kitaj), I auf Indien und M auf Malaysia.

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Die russische Rüstungsindustrie unter Putin

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Tabelle 4

Die größten Rüstungsfirmen Rußlands:

Rangfolge, Verkaufserlöse (in Mio. US-Dollar) und Erzeugnisse im Jahre 2002

Rang Firma Militärische Verkäufe Verkaufserlöse insgesamt Wichtigste Erzeugnisse

1 Suchoj AWPK 988 1040 Su-27/Su-30

2 Irkut ANPK 509 562 Su-27/Su-30

3 Ufa Motoren PO 325 341 AL-31F-Flugzeugmotoren

4 Uralwagonsawod 271 475 T-90S-Kampfpanzer

5 RSK MiG 267 281 MiG-29

6 Kasan Helikoptera 188d 188d Mi-8/Mi-17

7 Oboron. Sistemyb 162 231 Flugabwehrsysteme

8 Ulan-Ude Flugzeugwerke 100d 100d Mi-8/Mi-17

9 Ural Opticalc 80 66 Flugzeugsensoren

10 Rostvertol 60d 60d Mi-24/Mi-35, Mi-36

Genaue Bezeichnungen und Erläuterungen:a Kasan-Helikopterwerk.b Oboronitel�nye sistemy [Verteidigungssysteme].c Ural Optisch-Mechanisches Werk.d Hubschrauberproduktion für militärische und zivile Zwecke (dual use).

Quelle: Andrej Garavskij, Kto est� kto v »oboronke«? [Wer ist wer in der Verteidigungsindustrie?], in: Krasnaja zvezda(Internetausgabe), 19.7.2003. Die Angaben beruhen auf Daten von CAST (Zentrum für die Analyse von Strategien undTechnologien, Moskau).

Instrumente KBP Tula auch auf diese Liste; nach Schät-zungen rangiert es sogar unter den ersten fünf.34

Im Vergleich zu den amerikanischen Rüstungs-konzernen nehmen sich die russischen Holdinggesell-schaften indessen wie Zwerge aus. Im Jahre 2002 be-trugen die Verkaufserlöse bei Lockheed Martin 23,4Mrd. US-Dollar, bei Boeing 22 Mrd. US-Dollar und beiRaytheon 15,3 Mrd. US-Dollar.35

Beschaffung

Eines der größten Probleme für die russische Rü-stungsindustrie ist der akute Mangel an staatlichenAufträgen. Um diesen Mangel deutlich zu machen,weist der ehemalige Direktor von RSK MiG, WladimirNikitin, auf folgende Tatsache hin: Während die staat-lichen Aufträge für seine Firma im Jahre 2002 bei

34 Es fehlt auf der Liste, weil das Werk keine Angabenzum Volumen seiner Produktion gemacht hat. Angabenvon Ruslan Puchow (CAST, Moskau), zit. in: Interfax-MilitaryNews Agency (Interfax-AVN), Weekly Newsletter (Moskau), 24/91(16.6.2003), S. 23�24.35 Diese und weitere Vergleichsdaten bei KonstantinLantratov, Rossijskuju oboronku ocenili pravil�no [Die rus-sische Rüstungsindustrie hat man richtig eingeschätzt],in: Kommersant� (Internetausgabe), 23.6.2003.

0,3% (!) der Gesamtproduktion (im Wert von 354 Mio.US-Dollar) lagen, betrug der Anteil der Binnennach-frage beim amerikanischen Rüstungskonzern Lock-heed Martin 73% und bei Boeing 83%.36

Ganz so dramatisch ist das Mißverhältnis zwischenWaffenexporten und Beschaffung für die eigenenStreitkräfte insgesamt allerdings nicht. Während dieExporte in den Jahren 2000 und 2001 mehr als dasDreifache der Beschaffung ausmachten, schrumpftedieses Verhältnis bis 2003 auf das Anderthalbfache(siehe Tabelle 5).37

36 New Version of MIG-29SMT Fighter Being Created Success-fully � MIG CEO, in: Interfax-Military News Agency (Interfax-AVN),Weekly Newsletter (Moskau), 24/91 (16.6.2003), S. 22.37 Im Jahre 2002 schien sich das Verhältnis aufgrunderhöhter Beschaffungsausgaben auf weniger als 2 zu 1verringert zu haben (siehe Tabelle 5). Den Berechnungen für2002 wurde die Annahme zugrunde gelegt, daß sich größereBeschaffungsausgaben tatsächlich in erhöhter Produktionniederschlagen würden. Das war nicht der Fall. Insofernbleibt es dabei, daß rund drei Viertel der produziertenMilitärgüter exportiert werden und nur ein Viertel für denHausgebrauch bestimmt ist; Auskunft von Maxim Pjaduschkinvon CAST (Interview, Moskau, 10.12.2003).

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Beschaffung

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Tabelle 5

Waffen und militärische Ausrüstung für den

Export und eigene Zwecke, 1997�2003 (in Mrd. Rubel

und Mrd. US-Dollar)

Jahr A: Export B: Eigengebrauch Verhältnis A:B

1997 23,10 ($ 2,60) 21,0 110

1998 25,31 ($ 2,61) 17,0 148

1999 83,77 ($ 3,39) 23,8 352

2000 105,23 ($ 3,68) 27,3 385

2001 103,14 ($ 3,71) 33,1 312

2002 151,20 ($ 4,80) 80,0 189

2003 165,43 ($ 5,57) 110,0 150

Quellen: Lyuba Pronina in: Defense News, 20.1.2003; IISS, TheMilitary Balance 2002�2003, <www.cast.ru/english/publish/2002/nov-dec/preliminary/html.#9>. Zahlenangabe für den Waffen-export im Jahre 2003: Putin auf der Sitzung des Komitees fürmilitärisch-technische Zusammenarbeit (KWTS) vom 1.3.2004:Voenno-techničeskij balans [Die militärtechnische Bilanz], in:Vremya novostej (Internetausgabe), 2.4.2004. Die Umrechnungder Rubelwerte des Waffenexports in Dollar erfolgte auf Basisdes durchschnittlichen Wechselkurses im betreffenden Jahr.

Nichts deutet allerdings auf eine rasche Moderni-sierung der russischen Streitkräfte hin:! Die Regierung hat zwar für das Jahr 2003 insgesamt

110 Mrd. Rubel (3,6 Mrd. US-Dollar) für Beschaffungzur Verfügung gestellt, was eine Erhöhung um30 Mrd. Rubel gegenüber dem Vorjahr darstellt(siehe Tabelle 5). In der russischen Statistik werdenunter Beschaffungsausgaben aber nicht nur Käufe(z.B. neue Waffen), sondern auch Aufwendungenfür Forschung und Entwicklung sowie Reparaturen sub-sumiert.

! Wenn Waffen und militärische Ausrüstung ange-schafft worden sind, dann hauptsächlich kleinereWaffensysteme (z.B. Handfeuerwaffen) und Ersatz-teile.38 Letztere sind zwar wichtig, um die Funktions-fähigkeit existierender Systeme aufrechtzuerhalten,sie tragen aber nichts zur Modernisierung bei.

! Der Krieg in Tschetschenien hat es erforderlichgemacht, bei Waffen und Munition auf die stra-tegischen Reserven zurückzugreifen. Ein Teil derAusgaben wurde dafür verwendet, diese Reservenwieder aufzufüllen.

! Den vom Sicherheitsrat unter Vorsitz Putins am25. Februar 2003 verabschiedeten Plänen zufolgesollen konkrete Forschungs- und Entwicklungs-programme im Jahre 2006 beginnen, ein Pro-

38 Siehe Hill, Russian Defense Spending [wie Fn. 7].

gramm für die Neuausstattung der Streitkräfteaber erst ab 2008.39

! Die Finanzmittel werden nach dem Gießkannen-prinzip verteilt. Auch nach der Teilreorganisationvon Machtministerien und Ämtern im März 2003gibt es immer noch einen Wildwuchs von militäri-schen Formationen und Organisationen, die jeweilseigene Budgets und Präferenzen für Forschung, Ent-wicklung und Beschaffung von Waffen haben.40

Bezüglich der Beschaffungsausgaben im Etat 2004ist der Schleier der Geheimhaltung im Herbst 2003zum ersten Mal etwas gelüftet worden. In einemSchreiben vom 14. Oktober 2003 an FinanzministerKudrin bezieht sich Verteidigungsminister Iwanowauf gemeinsame Gespräche über das Thema »Öffnungund Transparenz einzelner �geschlossener Posten� imHaushaltsentwurf für nationale Verteidigung« und aufeinen entsprechenden Bericht Iwanows an den Präsi-denten. Dem Schreiben beigefügt ist ein Anhang zumBudget für das Jahr 2004, in dem die Beschaffungs-ausgaben sowohl für die dem Verteidigungsmini-sterium unterstellten Streitkräfte als auch für zwei»andere Truppen« (gemeint sind die Truppen desInnenministeriums und die dem SicherheitsdienstFSB unterstellten Grenztruppen) aufgegliedert sind.41

Für das Verteidigungsministerium enthält er die inTabelle 6 (S. 18) aufgeführten Angaben.

Zwei Dinge sind bei dieser Aufstellung hervor-zuheben:! Wie immer man die Kaufkraft des »Verteidigungs-

rubels« ansetzen will, die Höhe der Ausgaben fürdie Trias Forschung und Entwicklung, Kauf undReparaturen ist im internationalen Vergleich sehrgering. Während Rußland nach dem Wechselkursberechnet für diese drei Zwecke 4,62 Mrd. US-Dollarausgibt, sind im Haushaltsentwurf der Bush-Admi-nistration für 2004 allein für Forschung und Ent-

39 Dieses Programm konkretisiert die Vorgaben der beidenin Fußnote 13 erwähnten Dokumente »Basis bis 2010« und»Programm bis 2006«; Einzelheiten zum dritten sind geheim(zum Problem der Klassifizierung des Geheimen siehe Fn. 2).40 Im März 2003 wurden die Föderale Agentur für Regie-rungskommunikation und Information beim Präsidenten derRussischen Föderation (FAPSI; Abhördienst für Radio-, Fest-netz- und Mobiltelefon) auf den Sicherheitsdienst FSB unddas Verteidigungsministerium verteilt und die Grenztruppendem FSB unterstellt. Weiterhin gibt es aber immer noch Trup-pen des Innenministeriums, Spezialeinheiten des FSB, Eisen-bahntruppen, Zivilverteidigungstruppen, ingenieurtechni-sche und Straßenbau-Kampfformationen.41 Brief und Anhang wurden von Vedomosti (Internet-ausgabe) am 12.10.2003 veröffentlicht.

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wicklung 61,8 Mrd. US-Dollar vorgesehen (entspre-chender Posten im russischen Verteidigungsbudget:1,74 Mrd. US-Dollar).42

! Bemerkenswert ist zum anderen der relativ hoheAnteil der Ausgaben für Elektronik und Kommunika-tionsmittel (umgerechnet 980 Mio. US-Dollar). Offen-sichtlich hat die politische und militärische Füh-rung sowohl aus den eigenen Defiziten im Tsche-tschenienkrieg als auch aus den Erfolgen der USAin den beiden Kriegen in Jugoslawien und im Irakgelernt, wie wichtig moderne, computergesteuerteAufklärungs-, Kommunikations- sowie Führungs-und Leitsysteme sind.43

42 Um die Zahlenangaben des russischen Verteidigungs-budgets vergleichbar zu machen, berechnet das Internatio-nale Institut für Strategische Studien in London den »Vertei-digungsrubel« nach Kaufkraft (PPP, purchasing power parity)als das Sechsfache des Wechselkurses. Für das Jahr 2002 bei-spielsweise werden die Verteidigungsausgaben mit 8,4 Mrd.US-Dollar nach Wechselkurs angegeben (262 Mrd. Rubel),nach PPP mit 50,8 Mrd. US-Dollar. Aufgrund der geringenProduktivität im russischen MIK muß der Multiplikator vonsechs allerdings als viel zu hoch angesehen werden. Hier istnicht der Ort, um diese Diskussion noch einmal aufzurollen.Vermutlich hat das IISS selbst die Problematik seiner Metho-dologie erkannt und für 2003 darauf verzichtet, eine Dollar-Vergleichsgröße zu benennen; siehe IISS, The Military Balance2003�2004, Oxford: Oxford University Press, 2004, S. 269,<www3.oup.co.uk/milbal/hdb/Volume_103/Issue_01/>.43 Der relativ hohe Anteil dieser Ausgaben kann als Effekteines weiteren Programms angesehen werden, das unter demNamen »Ausrüstung des Soldaten des 21. Jahrhunderts« läuft.

Tabelle 6

Beschaffungsausgaben des Verteidigungsministeriums

im Budgetentwurf für das Jahr 2004 (Angaben in Mrd.

Rubel und Mrd. US-Dollar)

Ausgabenzweck Mrd. Rbl (Mrd. US-$)

Forschung und Entwicklung 51,90 (1,74)

Käufe 54,86 (1,84)

Reparaturen bei Betrieben des

Verteidigungsministeriums

9,12 (1,84)

Reparaturen bei anderen

Betrieben

21,80 (0,73)

Insgesamt 137,68 (4,62)

darunter:

Flugtechnik 11,09 (0,37)

Schiffe und Boote 16,82 (0,56)

Panzerfahrzeuge 5,33 (0,18)

Artillerie 1,82 (0,06)

Elektronik und Kommuni-

kationsmittel

29,23 (0,98)

Handfeuer- und Stichwaffen 1,00 (0,03)

Quelle: Vedomosti (Internetausgabe), 12.10.2003. Umrechnungs-kurs 1 US-Dollar = 29,81 Rubel.

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Zuständigkeiten und Kontrollsysteme

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Waffenexporte

Zuständigkeiten und Kontrollsysteme

Derzeit werden alle Rüstungsgeschäfte vom Komiteefür militärisch-technische Zusammenarbeit mit fremdenStaaten (KWTS Rossii) überwacht, das im Dezember2000 gegründet wurde.44 Das Komitee vergibt Lizenzenfür Waffenausfuhren und kontrolliert darüber hinausdie gesamte Rüstungskooperation mit dem Ausland.Bis zur Reorganisation dieses Systems im November2003 lag die oberste Dienstaufsicht pro forma beimPräsidenten. Seine Mitglieder waren und sind auchnach der Reorganisation neben dem Präsidenten unteranderem der Leiter der Präsidialadministration, derRegierungschef, die Minister für Auswärtiges, Vertei-digung sowie Wissenschaft und Technologie und dieChefs von Rosoboronexport und der Geheimdienste.In Wirklichkeit spielte vor der Reorganisation aber dasVerteidigungsministerium die entscheidende Rolle.Entsprechend nahm einer der stellvertretenden Ver-teidigungsminister, General Michail Dmitriew, dielaufenden KWTS-Geschäfte wahr. In der Vergangenheithatte dieses Komitee allerdings verhältnismäßig gerin-ge Bedeutung. Es trat nur unregelmäßig zusammen.Nur bei Entscheidungen von besonderer Tragweitewaren der Präsident und die Chefs der beteiligtenMinisterien und Ämter anwesend.

Wenn das Komitee die Lizenz für einen Rüstungs-export erteilt, wird das entsprechende Geschäft vonder staatlichen Firma Rosoboronexport abgewickelt, demBeinahe-Monopolisten für russischen Waffenhandel.Zwar gibt es einige wenige Firmen, die ihre Produkteselbst vermarkten dürfen; ihr Anteil am Gesamt-exportvolumen betrug 2002 aber nur ca. 15%, undauch sie brauchen für ihre Geschäfte eine Lizenz vom

44 Russ.: Kommissija po voenno-techničeskogo sotruničestvo.Der Name des Komitees bezieht sich zwar auf Rüstungskoope-ration, es befaßt sich aber auch oder vor allem mit dem russi-schen Waffenexport. Die nachfolgende Darstellung der Rolledes KWTS folgt Konstantin Lantratov, Prezident prodol�itreformu systemy voenno-techničeskogo sotrudničestva [DerPräsident setzt die Reform des Systems der militärisch-tech-nischen Zusammenarbeit fort], in: Kommersant�, 5.11.2003,S. 2, und Markus Wehner, Auf verschlungenen Wegen nachBagdad: Geliefert über Zwischenhändler: Russische Waffenim Irak, in: FAZ, 3.4.2003, S. 5.

KWTS.45 Auf der Sitzung des Komitees am 1. März 2004teilte Putin mit, daß weitere vierzehn Rüstungsfirmenautorisiert worden seien, ihre Produkte und Dienst-leistungen in eigener Regie zu exportieren.46 DerZweck dieser Maßnahme war offensichtlich, nicht-staatlichen Rüstungsfirmen mehr Raum im Waffen-handel zu geben. Der Präsident selbst nannte dieerzielten Ergebnisse »bescheiden«, gemessen an dengesetzten Zielen waren sie geradezu katastrophal:Der Anteil der Produkte dieser Firmen am Gesamt-waffenexport sank im Jahre 2003 auf 6%!47

Für die Reorganisation des KWTS/Rosoboronexport-Systems gab es zwei handfeste Gründe: Dem Staat ent-gingen Steuereinnahmen, und die Deviseneinnahmenwurden nur zu einem geringen Teil in militärischeForschung und Entwicklung reinvestiert. So stellteder Rechnungshof im April 2003 fest, daß das Steuer-einkommen aus Rüstungsgeschäften in dem Maßesank, in dem das Exportvolumen stieg. Im Jahre 2001seien statt der erwarteten vier Milliarden Rubel anRüstungsexporteinnahmen nur 200 Mio. in die Staats-kasse geflossen. Rosoboronexport habe in jenem Jahrlediglich vier Prozent seines Gewinns versteuert, näm-lich 50 Mio. Rubel anstelle von 1,248 Mrd. Rubel! Wogenau das veruntreute Geld geblieben ist, konnteder Rechnungshof nicht feststellen. Mit an Sicherheitgrenzender Wahrscheinlichkeit wurde es aber nicht

45 Die Prozentzahlen finden sich bei Ruslan Pukhov/Konstan-tin Makienko/Maxim Pyadushkin, Preliminary Estimates of Rus-sia�s Arms Exports in 2002, in: Eksport vooruzheniy (Moskau),34 (November�Dezember 2002) 6, S. 5.46 Vystupitel�nye slova Prezidenta Rossii V. V. Putina nazasedanii Komissii po voprosam voenno-techničeskogo sotru-dničestva s zarube�nymi stranami [Einleitende Worte des Prä-sidenten Rußlands auf der Sitzung der Kommission für mili-tärisch-technische Zusammenarbeit], in: Nachrichtenbulletindes russischen Außenministeriums vom 2.3.2004, <www.mid.ru>.47 Nach den Angaben von CAST, Itogi vonneo-techničeskogosotrudničestva Rossii s zarubezhnymi gosudarstvami v 2003godu [Ergebnisse militärisch-technischer ZusammenarbeitRußlands mit ausländischen Staaten im Jahre 2003], in: Peri-skop, 1.3.2004; Aleksej Nikol�skij, Vyručka oboronki rastët[Die Einnahmen der Rüstungsindustrie wachsen], in: Vedo-mosti (Internetausgabe), 1.3.2004.

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Waffenexporte

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für die Neuentwicklung von Rüstungstechnik ver-wendet.48

Im November 2003 wurden auf einer Sitzung desKWTS, die von Putin geleitet wurde, einige wichtigeorganisatorische Veränderungen beschlossen. Teil-nehmer an der Sitzung waren mit Ausnahme desChefs von Rosoboronexport, Andrej Beljaninow (einehemaliger KGB-Offizier), und seines Stellvertreters,Sergej Tschemesow, alle anderen oben genanntenleitenden Mitglieder des Komitees.49 Dabei traf manfolgende Entscheidungen: Der Behörde wurden neue,weitreichende Befugnisse eingeräumt. Vor allem sollKWTS gegenüber Rosoboronexport direkte Weisungs-befugnis haben. Zudem soll der geschäftsführendeLeiter aus dem Verteidigungsministerium (Dmitriew)russischen Berichten zufolge durch eine Putin näher-stehende Person ersetzt werden.50

Wie verhält es sich aber mit der Kontrolle von Liefe-rungen militärisch nutzbarer ziviler Technologie, dendual use technologies, zu denen nicht nur Nukleartech-nologie, sondern auch � zumindest in amerikanischerSicht � eine breite Palette von Hochtechnologien ge-hören, die militärisch genutzt werden könnten. Fürderartige Produkte, die nach russischer Auslegungzivilen Charakter haben, gibt es ein separates Kontroll-regime, das im Ministerium für wirtschaftliche Ent-wicklung und Handel (Abteilung für Exportkontrolle)angesiedelt ist. Letzte Instanz für die Vergabe einerExportlizenz für derartige Produkte ist eine inter-ministerielle Kommission für Exportkontrolle (Eks-portkontrol Rossii).51

Volumen

Zur Zeit des Kalten Krieges hatten sich die VereinigtenStaaten und die Sowjetunion den ersten Platz im inter-nationalen Waffengeschäft mit einem Volumen vonjeweils mehr als 20 Mrd. US-Dollar streitig gemacht.Das Rekordjahr für die Sowjetunion war 1987, als sie

48 Vadim Solov�ev, Oboroneksport obnosit goskaznu [Der Rü-stungsexport fließt an der Staatskasse vorbei], in: Nezavisi-maja gazeta (Internetausgabe), 25.4.2003.49 Lantratov, Prezident prodol�it reformu [wie Fn. 44].50 Andrej Beljaninow soll den Berichten zufolge die Leitungder MiG-Flugzeugkorporation übernehmen, Tschemesow sollLeiter von Rosobornexport werden; Lantratov, Prezident pro-dol�it reformu [wie Fn. 44]; Pavel Felgenhauer, Same Old Shake-Up Game, in: Moscow Times, 11.11.2003, S. 11.51 Dekret Nr. 96 des Präsidenten der Russischen Föderationvom 29.1.2001.

Waffen im Wert von 31,2 Mrd. US-Dollar exportierte.52

Nach dem Ende des Kalten Krieges schrumpften dierussischen Rüstungsexporte so drastisch, daß ihr Wertim Jahre 1994 nur noch 1,7 Mrd. US-Dollar betrug.Nach einem Anstieg Mitte der neunziger Jahre fielensie 1997 wieder auf 2,6 Mrd. US-Dollar zurück. Seit-dem sind energische Anstrengungen unternommenworden, das Waffenexportvolumen zu erhöhen � miteinigem Erfolg: Von 1998 bis 2003 nahmen die Liefe-rungen von 2,6 Mrd. US-Dollar auf 5,57 US-Dollar zu(siehe Tabelle 7).

Tabelle 7

Russische Waffenexporte, 1994�2003

(in Mrd. US-Dollar)

Jahr Volumen Jahr Volumen

1994 1,72 1999 3,39

1995 3,05 2000 3,68

1996 3,52 2001 3,71

1997 2,60 2002 4,80

1998 2,61 2003 5,57

Quellen: (für die Zeit bis 2001) Ruslan Pukhov/Konstantin Makienko/Maxim Pyadushkin, Preliminary Estimates of Russia�s Arms Ex-ports in 2002, in: Eksport vooruzheniy (Moskau), 34 (November�Dezember 2002) 6, S. 2; Aleksej Nikolskij/Mikhail Kozyrev, Mono-polija VTS krepčaet [Das Monopol der Kommission für militä-risch-technische Zusammenarbeit verstärkt sich], in: Vedomosti(Internetausgabe), 5.3.2002;(für 2002) Ruslan Puchow und Konstantin Makienko, Interview mitdem Autor, Moskau, 17.10.2003; Interview des stellvertretendenLeiters von KWTS Rossii, Alexander Dennisow, in: NVO,24.10.2003, S. 1, 6;(für 2003) Statement Putins am 1.3.2004: Voenno-techničeskijbalans [Die militärtechnische Bilanz], in: Vremya novostej(Internetausgabe), 2.4.2004; Vystupitel�nye slova PrezidentaRossii V. V. Putina na zasedanii Komissii po voprosam voenno-techničeskogo sotrudničestva s zarube�nymi stranami [Einlei-tende Worte des Präsidenten Rußlands auf der Sitzung der Kom-mission für militärisch-technische Zusammenarbeit], in: Täg-liches Informationsbulletin des russischen Außenministeriumsder Russischen Föderation vom 2.3.2004, <www.mid.ru>.

Produktstruktur

Kampfflugzeuge und Hubschrauber mit allem, wasdazugehört (Motoren, Elektronik und Munition),machen bei weitem den größten Teil (75%) der russi-schen Waffenexporte aus, gefolgt von Waffen für dieLandstreitkräfte (15%), die Marine (6%) und die Luft-

52 Robert Karniol, Russian Industry Hunts Out a Future forItself, in: Jane�s Defence Weekly (Internetausgabe), 1.3.2000.

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Länderstruktur

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verteidigung (4%) (siehe Tabelle 8). Der hohe Anteil derAusfuhren von Flugzeugen und Flugtechnik ist in denletzten Jahren weiter gestiegen: Im Jahre 1999 betruger nur wenig mehr als die Hälfte des Gesamtexportsan Waffen und militärischer Ausrüstung.53

Tabelle 8

Produktstruktur der Rosoboronexport-Waffenexporte

im Jahre 2002

Luftwaffenausrüstung und Flugtechnik 75%

Waffen für Landstreitkräfte 15%

Waffen für die Marine 6%

Luftverteidigungssysteme 4%

Quelle: Ruslan Pukhov/Konstantin Makienko/Maxim Pyadushkin,Preliminary Estimates of Russia�s Arms Exports in 2002, in:Eksport vooruzheniy (Moskau), 34 (November�Dezember 2002) 6,S. 3.

Die »Renner« im russischen Waffenexportgeschäftsind die hauptsächlich von Suchoj produzierten Mehr-zweck-Kampfflugzeuge vom Typ Su-27 und Su-30 ver-schiedener Versionen sowie künftig aller Voraussichtnach die neuentwickelten Jagdbomber Su-32FN undSu-37. Der Export von MiG-Flugzeugen ist dagegen inden vergangenen Jahren stark zurückgeblieben, wasweniger mit Qualitätsmerkmalen zu tun als mitder Nachfrage: Die Hauptabnehmer von Kampfflug-zeugen, China und Indien (siehe nächster Abschnitt,S. 22f), wünschen keine leichten oder mittleren,sondern schwere Jagdflugzeuge mit einem Lade-gewicht von mehr als 28 t und einem Kampfradiusvon mindestens 1500 km. Diesen Bedarf kann derKonzern RAK MiG nicht befriedigen.

Überraschend an der Übersicht in Tabelle 8 ist, daßdie auch von westlichen Spezialisten als modern undleistungsfähig eingestuften Luftabwehrsysteme insbeson-dere vom Typ S-300 PMU-1, das Nachfolgesystem S-400und die Abwehrsysteme kürzerer Reichweite vom TypBuk-M1-2 und Tor-M1 nur einen äußerst geringenAnteil von 4% an den Waffenexporten haben. Schonnach dem ersten Golfkrieg und den Nato-Luftangriffengegen Jugoslawien hätte man erwarten können, daß

53 Die Exporte der anderen Produktgattungen verteiltensich wie folgt: Waffen für die Landstreitkräfte 27%, dieMarine 11% und die Luftverteidigung 4%. Die Angaben stam-men von CAST (Analytisches Zentrum für Strategie und Tech-nologie, Moskau), zit. bei: Il�ja Bulavinov/Ivan Safronov (Inter-viewer), Aleksej Ogarëv (Interviewter), Aleksej Ogarëv: gosu-darstvo dol�no doverit�sja »Rosvooru�eniju« [Alexej Ogarjow:Der Staat sollte Vertrauen in Roswooruschenie setzen], in:Kommersant�, 14.3.2000, S. 3.

die Nachfrage nach derartigen Systemen steigenwürde. Das war aber nicht der Fall. Der Chef von Roso-boronexport rechnete ungeachtet dessen im Jahr 2003mit einem Durchbruch beim Export von Luftabwehr-systemen (und von Waffen und Ausrüstung für dieMarine).54 Doch auch der ist nicht eingetreten. Da-für gibt es politische, finanzielle und technologischeGründe:! Einige der Länder, die brennend an russischen Luft-

abwehrsystemen interessiert wären (so z.B. Syrien),gehören zu den amerikanischen »Problemstaaten«.Geschäfte mit anderen potentiellen Käufern � wiezum Beispiel Taiwan � sind politisch ebenso pre-kär. Würde Rußland solchen Staaten Luftabwehr-systeme liefern, würde es seine lukrativen Rü-stungsgeschäfte insgesamt gefährden und im FalleTaiwans auch seine politischen Beziehungen mitChina.

! Für ein wirksames Flugabwehrsystem benötigtman eine Vielzahl von Raketenbatterien; eine ein-zige Batterie vom Typ S-300 kostet rund 120 Mio.US-Dollar. Obwohl die Abwehrwaffen billiger alsvergleichbare westliche Produkte sind, scheuenviele Staaten derartige Kosten.

! So gut die russischen Systeme auch sein mögen, istdoch unklar, ob sie gegen die von den USA entwik-kelten aktiven und passiven Abwehrmaßnahmenwirksam sind.

Länderstruktur

Rosoboronexport und die Firmen, die Exportgeschäftein eigener Regie durchführen dürfen, lieferten im Jahr2002, für das Zahlen vorliegen, Waffen und militäri-sche Ausrüstung in mehr als 50 Länder. Nachfolgendwerden erst die Größenordnungen und Produkt-schwerpunkte dieser Lieferungen behandelt, danachihre politische Bedeutung. Dabei ist zu prüfen, ob dieim Westen weit verbreitete Ansicht zutrifft, Rußlandexportiere aus wirtschaftlichen Gründen und ohneRücksicht auf politische Konsequenzen alles an Waf-fen und militärischer Ausrüstung, was überhauptmöglich ist.

54 Lyuba Pronina, Arms Export Boom Is Losing Steam, in:Moscow Times (Internetausgabe), 9.6.2003. Ähnlich äußertesich der Leiter von KWTS, Michail Dmitriew, zit. bei SergejBabičev, Rabotaem na perspektivu [Wir arbeiten perspekti-visch], in: Gudok (Internetausgabe), 17.10.2003.

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Waffenexporte

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China

Wie in den Jahren zuvor war China im Jahre 2002Rußlands bei weitem größter Abnehmer vonRüstungsgütern (58% aller Lieferungen); erst 2003machte Indien ihm diesen Rang streitig. Das Landkauft Su-27- und Su-30-Mehrzweck-Kampfflugzeugein verschiedenen Variationen, MiG-31-Abfangjäger,Il-76MD-Langstreckentransportflugzeuge, S-300-Flug-abwehrraketensysteme, T-80U-Kampfpanzer, U-Booteder Kilo-Klasse und Zerstörer der Sowremennyj-Klasse.Bereits 30% der in China vorhandenen Militärtechnikstammen aus Rußland und der ehemaligen Sowjet-union. Seit 1995 hat Peking seine Ausgaben für Luft-waffentechnik auf fast 1,7 Mrd. US-Dollar jährlichverdreifacht, und ein großer Teil dieser Gelder fließtnach Rußland.

Flugzeuge und Flugtechnik machen den größtenAnteil des Waffengeschäfts mit China aus. Zu der Serieentsprechender bilateraler Abkommen gehören die imJahre 1996 geschlossene Vereinbarung zur Produktionvon 200 Su-27SK-Kampfflugzeugen unter russischerLizenz im Wert von insgesamt 2,5 Mrd. US-Dollar unddas im August 1999 unterzeichnete Abkommen überden Kauf von Kampfflugzeugen vom Typ Su-30MKKim Wert von rund 2 Mrd. US-Dollar. Bis Ende 2002wurden 19 Su-30MKK und Komponenten für die lizen-zierte Produktion von 180 bis 185 Su-27SK geliefert,außerdem 76 Su-27SK und Su-27BK, 57 Su-30MKK undKomponenten für die lizenzierte Produktion von Su-27SK in Shengyang.55 Diese Entwicklung setzte sich imJahre 2003 fort.56

Die Geschäfte werden normalerweise im Rahmeneiner eigens für diesen Zweck gegründeten gemein-samen Kommission für militärisch-technische Zusam-menarbeit abgewickelt. In dieser Kommission hat sich

55 Diese Zusammenfassung der russisch-chinesischen Waf-fengeschäfte und Rüstungskooperation beruht hauptsächlichauf folgenden Quellen: Bin Yu, China�Russia Relations: Cop-ing with the Post-Kosovo Fallout, in: Comparative Connec-tions: An E-Journal on East Asian Bilateral Relations (PacificForum CSIS), (Oktober 1999), <www.csis.org/pacfor/cc/993Qchina-rus.html>; Manfred Quiring, Rußlands Rüstungs-lobby macht mobil, in: Welt am Sonntag, 23.5.1999, S. 62;Frank Umbach, Die chinesischen Streitkräfte auf dem Weg zueiner militärischen Supermacht? Sicherheits-, rüstungs- undmilitärpolitische Strategien und ihre Auswirkungen auf dieregionale Stabilität, in: Susanne Luther/Peter J. Opitz (Hg.),Chinas Rolle in der Weltpolitik an der Schwelle zum 21. Jahr-hundert, München: Hanns-Seidel-Stiftung (in Vorbereitung),(Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen, Bd. 19).56 CAST, Itogi v 2003 godu [wie Fn. 47].

Rußland erfolgreich dafür eingesetzt, den Anteil vonBarter-Geschäften zu reduzieren und Waffen haupt-sächlich gegen Devisen zu liefern.

Indien

Der andere Großeinkäufer russischen Kriegsmaterialsist Indien. Mit einem Anteil von 28% an den gesamtenrussischen Waffenexporten nahm es 2002, wie in denJahren zuvor, den zweiten Platz unter den Bezieher-ländern ein.57 Seit 1996 hat Neu-Delhi von MoskauWaffen im Wert von über 4 Mrd. US-Dollar gekauftund will dieses Volumen bis zum Jahre 2010 auf 10Mrd. US-Dollar ausweiten. Schon heute sind die indi-schen Streitkräfte zu 60% und die Flotte sogar zu 80%mit russischer Militärtechnik ausgestattet. Moskaumodernisierte die in der Sowjetära gelieferten MiG-21und lieferte 40 Su-30MKI-Kampfflugzeuge, die jetzt zuden wichtigsten Waffen der indischen Luftwaffe gehö-ren; indische Piloten werden in Rußland ausgebildet.In den nächsten drei Jahren will Moskau im Waffen-geschäft mit Indien mehr als 4 Mrd. US-Dollar ver-dienen, davon 700 Mio. US-Dollar durch den Verkaufvon MiG-29K-Kampfflugzeugen, die von Flugzeug-trägern aus operieren können (siehe unten), weitere1,5 Mrd. US-Dollar durch Produktionslizenzen der Su-30MKI und 1 Mrd. US-Dollar durch die Lieferung von300 T-90-Kampfpanzern. Moskau hat überdies zu-gestimmt, daß Neu-Delhi A-50-Aufklärungsflugzeugemieten darf. Darüber hinaus verhandelt Rußland mitIndien über den Verkauf von Tu-22M3-Mittelstrecken-bombern, die auch mit Nuklearwaffen ausgerüstetwerden können, und von S-300-Flugabwehrsystemensowie ihre Produktion unter russischer Lizenz. Auchdie indische Marine wird zum Teil mit russischenSchiffen ausgerüstet. Geliefert wurden dieselgetrie-bene U-Boote und im Jahre 2003 zwei Fregatten imWert von insgesamt 1 Mrd. US-Dollar.

Durch den Erwerb der beiden Fregatten und wei-tere, bereits im Jahre 1996 vereinbarte Lieferungenvon insgesamt 12 Su-30K, 8 Su-30MKI und 32 Su-30MKI

57 Folgende Quellen wurden für die Zusammenfassung derrussisch-indischen Waffengeschäfte und Rüstungskoopera-tion herangezogen: Friedrich-Wilhelm Schlomann, RussischeWaffenexporte in alle Welt, in: Deutscher Ostdienst, 3.4.1998,S. 5; Simon Saradzhyan, Russia to Earn Billions as India BoostsIts Reach, in: Moscow Times (Internetausgabe), 16.11.1999;India to Buy Tanks, in: Moscow Times (Internetausgabe),3.2.2000.

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Länderstruktur

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verdrängte Indien im Jahr 2003 erstmals China vomersten Platz unter Rußlands Waffenkunden.58

Das aktuell größte Exportvorhaben ist die imJanuar 2004 unterzeichnete Überstellung des 40 000-Tonnen-Flugzeugträgers der Kiew-Klasse AdmiralGorschkow an Indien. Der Träger dümpelt und rostetderzeit in Sewerodwinsk bei der russischen Nordflotte,die kein Geld hat, ihn zu unterhalten. Ein ganzes Jahr-zehnt haben Moskau und Neu-Delhi über das Projektverhandelt, jetzt schenkt Rußland den Flugzeugträgerformal der indischen Marine, wird dabei aber gut ver-dienen, denn die Schenkung ist Teil eines umfassen-den Verhandlungspakets, das die Modernisierung desFlugzeugträgers vorsieht sowie seine Ausrüstungunter anderem mit 20 MiG-29K, einer seegestütztenVersion des Kampfflugzeugs, sowie sechs Ka-31-Hub-schraubern, die U-Boote bekämpfen können. Umrü-stung und waffentechnische Ausstattung des Flug-zeugträgers kosten nach russischen Angaben 1,6 Mrd.US-Dollar, die in Hartwährung zu entrichten sind.Rechnet man die Kosten für weitere Waffen, Munitionund die Modernisierung indischer Hafenanlagen fürdie Admiral Gorschkow hinzu, könnte Rußland andiesem Kontrakt bis zu 2,5 Mrd. US-Dollar verdienen.59

Andere Länder

Die übrigen Empfänger russischer Lieferungen vonWaffen und militärischer Ausrüstung sind weit überden Globus verteilt. Allerdings ist das Volumen dieserGeschäfte weitaus geringer als jene der Rüstungs-exporte nach China und Indien: Der verbleibendeAnteil beträgt lediglich 15%. Eine genaue Aufschlüs-selung dieses Prozentsatzes ist nicht möglich, da dieoffiziellen russischen Angaben ebenso unvollständigwie widersprüchlich sind.

Dem Chef des KWTS, General Michail Dmitriew,zufolge belegte Iran im Jahre 2002 mit einem Trans-aktionsvolumen von 270 Mio. US-Dollar und einemAnteil von 5,6% an den russischen Rüstungsexporten

58 CAST, Itogi v 2003 godu [wie Fn. 47].59 »Admiral Gor�kov« prodan Indii [Die Admiral Gorschkowwurde an Indien verkauft], in: Ekspert (Internetausgabe), 406(26.1.2004) 3; Za indijskie voennye kontrakty Rossija poluchit$1,5 milliarda [Für militärische Kontrakte mit Indien erhältRußland 1,5 Mrd. US-Dollar], in: Izvestija (Internetausgabe),21.1.2004; nach anderen Quellen 1,6 Mrd. US-Dollar. DieSchätzung von insgesamt 2,5 Mrd. US-Dollar für das Gesamt-projekt stammt von Lyuba Pronina, India to Pay $650 M[illion]for Aircraft Carrier, in: Moscow Times, 3.12.2003, S. 5.

den dritten Platz.60 Zu den Waffensystemen, die Ruß-land an Iran liefert, gehören unter anderem MiG-29S-und Su-24MK-Kampfflugzeuge, Transporthubschrau-ber, Kampf- und Schützenpanzer, S-200-Flugabwehr-systeme und U-Boote der Kilo-Klasse.61

Nach anderen offiziellen Angaben nahm dagegenKuwait mit 4% der Waffenexporte den dritten Platzein, gefolgt von Zypern (3%) und Vietnam (1%).62 Auchdas Moskauer Zentrum für die Analyse von Strategienund Technologien (CAST) meint, es sei »am wahr-scheinlichsten«, daß Kuwait der drittgrößte Beziehergewesen ist (»offensichtlich« � wie es vage heißt �aufgrund des Kaufs von Mehrfachraketenwerfernvom Typ Smertsch). CAST schließt aber auch nichtaus, daß Algerien dieser Rang gebührt, das Su-24-Kampfflugzeuge und »möglicherweise« Hubschraubererworben hat.63

Erfolge hatte Rußland in den Jahren 2002 und 2003bei Exporten und neuen Abschlüssen mit Staaten Süd-ostasiens zu verzeichnen. Gegenstand der Geschäftewaren Kampfflugzeuge der Suchoj-Serie und Hub-schrauber, Hauptabnehmer sind Malaysia, Indonesienund Vietnam. Die russischen Waffenexporte an andereLänder und Regionen fallen dagegen kaum ins Ge-wicht. Das gilt für die Geschäfte mit den alten undneuen Nato-Staaten wie auch mit den GUS-Staaten, diemit Rußland als Mitglieder des Taschkenter Vertragsüber kollektive Sicherheit (ODKB) verbündet sind.

Ein großer Teil der russischen Waffengeschäfte istpolitisch problematisch. Oft muß Moskau dort, wo essich um eine Ausweitung bestehender Rüstungsbezie-hungen oder um neue Abnehmer bemüht, mit nega-tiven Auswirkungen auf seine eigene Sicherheits-politik und mit wirtschaftlichen Nachteilen rechnen.Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Rüstungs-geschäfte (1) Veränderungen regionaler Machtgleich-gewichte nach sich ziehen, (2) mit Staaten abgeschlos-sen werden, die auf der amerikanischen Liste der Pro-blem- oder »Schurkenstaaten« stehen oder (3) zurWeiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen

60 Interview mit General Michail Dmitriev, zit. bei Babičev,Rabotaem na perspektivu [wie Fn. 54].61 Konstantin Makienko, The Outlook for Russian�IranianArms Trade: Opportunities and Risks, in: Eksport vooru-zheniy, (März�April 2001), S. 2�7.62 Fighters to Become the Basis of Russian Arms Exports, in:CAST Comments (online), 5.8.2003.63 Konstantin Makienko, Okončatel�nye itogi 2002 goda voblasti VTS Rossii s inostrannymi gosudarstvami [EndgültigeErgebnisse im Bereich der militärisch-technischen Zusam-menarbeit Rußlands mit ausländischen Staaten im Jahre2002], in: Eksport vooruzheniy, (Januar�Februar 2003), S. 2.

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und ihrer Trägersysteme beitragen. Ganz kritisch wirdes, wenn � wie im Falle Irans � alle drei Bedingungenzutreffen.

Nachfolgend wird bei der Untersuchung der poli-tischen Problematik russischer Waffenexporte nachkonventionellen Waffen einerseits und Massen-vernichtungswaffen und ihren Trägersystemen ande-rerseits unterschieden.

Konventionelle Waffen

Angesichts der Tatsache, daß die russischen Waffen-lieferungen ganz überwiegend an Indien und Chinagehen, liegt es nahe zu folgern, Rußland setze damitsein immer wieder beschworenes Konzept von »Multi-polarität« um. In dieser Perspektive würden MoskausRüstungsexporte dem Aufbau eines »strategischenDreiecks« dienen, eines kontinental-eurasischenGegenbündnisses zur Nato und letztlich eines Ge-gengewichts zur Dominanz der USA im asiatisch-pazi-fischen Raum. So plausibel diese Sicht erscheinenmag, ist sie doch eine Verzerrung der Wirklichkeit.Für die Bildung eines »strategischen Dreiecks« sind dieRivalitäten unter den drei selbsternannten Großmäch-ten zu groß. Außerdem sind die Waffenexporte anIndien einerseits und an China andererseits von unter-schiedlicher politischer Bedeutung.

Die Waffengeschäfte mit Indien haben für Rußlandverhältnismäßig geringe politische und strategischeBedeutung, wenngleich sie von Vorteil sind. Die russi-schen Lieferungen haben den Modernisierungsgradder indischen Land- und Luftstreitkräfte zweifelsohneerhöht. Nach dem Kauf der Fregatten, der Überstel-lung und Umrüstung der Admiral Gorschkow und derModernisierung von Hafenanlagen mausert sichIndien zu einer ernstzunehmenden regionalen See-macht. In Tadschikistan richtet es mit russischer Zu-stimmung eine Luftwaffenbasis für Kampfflugzeugeund Militärtransporter ein und verschafft sich da-durch neue Fähigkeiten zu regionaler Machtprojek-tion.64 Und schließlich verfügt das Land über Nuklear-waffen. All das stärkt Indiens Unabhängigkeit undstellt im Einklang mit russischen Vorstellungen von»Multipolarität« in der Tat ein gewisses politisches

64 Die Einrichtung einer Luftwaffenbasis wurde MitteNovember 2003 in Neu-Delhi von Beamten des indischenVerteidigungsministeriums bekanntgegeben. Die Basisbefindet sich in Ayni, 10 km nordöstlich von Duschanbe;Neelesh Misra, Indian Base Set Up in Tajikistan, in: MoscowTimes, 14.11.2003, S. 3.

Gegengewicht zu den USA in Asien her. Dies wurdenoch einmal durch den Besuch des indischen Premier-ministers Vajpayee Mitte November 2003 in Moskauunterstrichen.65 Im Falle Indiens stimmen Rüstungs-exporte und politische Interessen Rußlands offensicht-lich überein.

Das läßt sich nicht unbedingt für die russischenWaffengeschäfte mit China sagen. Im Gegensatz zuMoskaus Beziehungen mit Neu-Delhi waren die mitBeijing in der Sowjetära oft gespannt und hatten Endeder sechziger Jahre sogar zu militärischen Auseinan-dersetzungen geführt. Auch das Verhältnis des neuenRußlands zu China ist ambivalent. Angesichts derwirtschaftlichen Erfolge und der Großmachtambitio-nen Chinas einerseits und der prekären ökonomi-schen Lage der russischen Fernostprovinzen sowieMoskaus schwacher militärischer Präsenz in dieserRegion andererseits wird im außen- und sicherheits-politischen Establishment Rußlands daran gezweifelt,ob die Hilfestellung bei der Modernisierung der chine-sischen Streitkräfte tatsächlich den eigenen mittel-und langfristigen strategischen Interessen dient.66 Bis-her jedenfalls hatte das wirtschaftliche Kalkül in derWaffenexportpolitik gegenüber China Vorrang vorstrategischen Erwägungen. Die Frage aber, ob dieseInteressen im Widerspruch zueinander stehen, läßtsich nicht eindeutig beantworten.

Von besonderem Belang sind auch die vormaligenRüstungs- und Militärbeziehungen zum Irak und diegegenwärtigen und künftigen Geschäfte mit Iran. Vorallem anhand dieser beiden Länder sollte sich nach-prüfen lassen, inwieweit die Auffassung zutrifft, Ruß-land exportiere Rüstungsgüter aus wirtschaftlichemInteresse ohne Rücksicht auf politische Konsequenzen.Im Fall des Irak speiste sich diese Auffassung erstensaus Vermutungen, daß sich Bagdad in den neunziger

65 Mit Blick auf die amerikanische Haltung zu den Konflik-ten in Tschetschenien und Kaschmir forderten Putin undVajpayee in einer gemeinsamen Erklärung eine »konsistenteund kompromißlose Haltung zum Terrorismus«. Zudem stell-ten sie mit offensichtlicher Spitze gegen die USA und die vonihr geführte Militäraktion gegen den Irak fest, »kein einzel-nes Land und keine Gruppe von Ländern darf ein Monopolauf das Recht beanspruchen, das Schicksal der Welt durch�humanitäre� oder andere Interventionen zu kontrollieren«(zit. in: Mara Bellaby, Vajpayee and Putin Take a Swipe at U.S.,in: Moscow Times, 13.11.2003, S. 3).66 Siehe hierzu Pavel Felgenhauer, An Uneasy Partnership:Sino�Soviet Defense Cooperation and Arms Sales, in:Andrew Pierre/Dmitri Trenin, Russia in the World Arms Trade,Washington, D.C.: Carnegie Endowment for InternationalPeace, 1997, S. 87�103.

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Konventionelle Waffen

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Jahren unter Umgehung der UN-Sanktionen Ersatz-teile, neue Waffen und Rüstungstechnik aus Rußlandbeschafft habe, und zweitens aus Behauptungender amerikanischen Regierung, sie habe »glaub-würdige Beweise« dafür, daß noch kurz vor Kriegs-ausbruch russische Waffen nach Bagdad geliefertworden seien.67 Genannt wurden die lasergesteuertePanzerabwehrrakete Kornet (Reichweite 5500 Meter),von denen Rußland mehr als 1000 Stück in den Irakausgeführt habe, GPS-Störsender, welche die Treff-genauigkeit von Präzisionswaffen beeinträchtigenkönnen, sowie Nachtsichtgeräte. Auch die für dieLieferungen angeblich verantwortlichen Rüstungs-firmen wurden angeprangert.68

Aller Wahrscheinlichkeit nach sind russische Waf-fen und Ersatzteile in den neunziger Jahren tatsäch-lich in den Irak gelangt, vermutlich aber nicht aufdirektem Wege. Sie werden vielmehr von Drittstaatenwie Belarus und Ukraine geliefert und/oder über Dritt-staaten wie Syrien, Jemen und Jordanien. Der Vorwurf,»Rußland« habe Waffen an den Irak geliefert, trifftfolglich so nicht zu oder ist zumindest übertrieben.Auch der Vorwurf, Waffen seien bis »kurz vor« Kriegs-ausbruch ausgeliefert worden, ist mit Skepsis auf-zunehmen. So räumten Vertreter des Entwicklungs-büros KBP einem russischen Militärkorrespondentengegenüber zwar ein, 1000 Kornet-Raketen seien expor-tiert worden, allerdings im Jahre 1998, und nicht anden Irak, sondern an Syrien.69 Was die Störsender

67 Erklärung des Pressesprechers des Weißen Hauses,Richard Boucher, am 24. März 2003; U.S. Department of State,Daily Press Briefings, March 24, 2003, <www.state.gov/r/pa/prs/dpb/2003/ 18982.htm>. Vladimir Levin, Lično ja ne savidijutem, kto vstretisja s gvardejami Saddama [Ich persönlichbeneide niemanden, der Saddams Garden trifft], in: Informa-cionnoe agentsvo, Press-centr.Ru (Integrum online), 1.4.2003;Wehner, Auf verschlungenen Wegen [wie Fn. 44].68 Im Protestschreiben des State Departments war von dreiFirmen die Rede, die Störsender an den Irak geliefert habensollen, aber nur eine davon (Awiakonversija) wurde nament-lich genannt. Russischen Berichten zufolge muß es sichbei den anderen beiden um die ProduktionsvereinigungKwant und den Betrieb für Eletromechanik in Brjanskgehandelt haben; Igor� Korotčenko, Elektronnye druz�jaSaddama [Die elektronischen Freunde Saddams], in: Neza-visimaja gazeta (Internetausgabe), 25.3.2003; Moskva iVa�ington protestujut drug druga [Moskau und Washingtonprotestieren gegenseitig], in: Kommersant� (Integrum online),25.3.2003; Wehner, Auf verschlungenen Wegen [wie Fn. 44];Paul J. Saunders/Nikolas K. Gvosdev, Jamming the Russian�American Relationship, in: In the National Interest,26.3.2003, <www.inthenationalinterest.com/Articles/Vol2Issue12/vol2issue12saunders.html>.69 Pavel Fel�gengauer, Tajnye postavkii Rossijskogo oru�ija

betrifft, ist zweifelhaft, ob es sich hierbei überhauptum militärische Produkte handelt. Und Nachtsicht-geräte kann jedermann privat auf dem russischenMarkt kaufen.

Die amerikanischen Vorwürfe dienten offensicht-lich einem doppelten Zweck: Zum einen sollte Ruß-land gewarnt werden, den Bogen seiner Oppositiongegen die amerikanische Militärintervention im Iraknicht zu überspannen. Zum anderen sollte Moskaueinmal mehr vor Augen geführt werden, wie ernst esder Bush-Administration damit ist, Lieferungen mili-tärischer und militärisch nutzbarer Technologie anProblemstaaten zu unterbinden � eine Vorgehens-weise, die sich im Dreiecksverhältnis USA, Rußlandund Iran wiederholt.

Im Gegensatz zu der Kontroverse um Waffenliefe-rungen an den Irak sind Lieferungen militärischerund militärisch nutzbarer Technologie an Iran wederein abgeschlossenes Kapitel der russisch-amerikani-schen Beziehungen noch kann hier unterstelltwerden, die politische Führung Rußlands wisse nichtum die Brisanz des Problems. Hinsichtlich der kon-ventionellen Waffen hatten der damalige Minister-präsident Wiktor Tschernomyrdin und der amerika-nische Vizepräsident Al Gore 1995 ein geheimes Proto-koll unterzeichnet, in dem sich Rußland auf eineVerringerung des Waffenhandels mit Iran festlegte.Diesem Protokoll zufolge durfte Moskau die bestehen-den Verträge über die Lieferung von Panzern undSchützenpanzern beziehungsweise deren Produktionunter russischer Lizenz sowie über den Verkauf vonInfanteriewaffen und U-Booten zwar erfüllen, neueaber nicht mehr abschließen. Die russische Rüstungs-lobby kritisierte die Vereinbarung von Anfang an.Ohne politische Beschränkungen, so wurde argumen-tiert, könnten mit Iran Lieferverträge im Wert von biszu 8 Mrd. US-Dollar abgeschlossen werden. Im Novem-ber 2000 kündigte das Moskauer Außenministeriumdas Protokoll mit der Begründung, die VereinigtenStaaten hätten sich nicht an die vereinbarte Geheim-haltung gehalten; außerdem hätten sich die innen-politischen Verhältnisse in Iran positiv entwickelt.70

Die Aufkündigung des Protokolls scheint allerdingsweder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht

v Irak [Geheime Lieferung russischer Waffen an den Irak],in: Novaja gazeta (Integrum online), 28.3.2003.70 Makienko, Outlook for Russian�Iranian Arms Trade[wie Fn. 61]; Il�ja Bulavinov, Mar�al Sergeev naru�il protokol[Marschall Sergejew hat das Protokoll verletzt], in: Kommer-sant�, 14.1.2000. Bulavinov beziffert das Potential des Waffen-exportgeschäfts mit Iran auf 4 Mrd. Dollar.

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Waffenexporte

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nennenswerte Folgen gehabt zu haben. Der Wert derWaffenlieferungen an Iran (270 Mio. US-Dollar imJahre 2002, siehe oben, S. 23) hat sich seit einigenJahren praktisch nicht geändert, und die Waffen, dieIran erhält, sind nicht dazu geeignet, die regionalenMachtverhältnisse zu destabilisieren. Die MiG-29S-Kampfflugzeuge sind veraltet und nicht mit Präzi-sionswaffen zur Bekämpfung von Bodenzielen aus-gerüstet. Auch die Su-24MK-Kampfflugzeuge sindälteren Baudatums und in geringer Anzahl geliefertworden. Zwar hat Teheran Transporthubschraubererhalten, aber keine modernen Kampfhubschrauber.Die Anzahl der gelieferten Kampf- und Schützenpan-zer macht immer noch nicht die Verluste wett, dieIran im langjährigen Krieg gegen den Irak erlittenhat. Die S-200-Flugabwehrsysteme haben zwar einegroße Reichweite, aber ein veraltetes Lenksystem. Unddie U-Boote der Kilo-Klasse haben eine Wasserverdrän-gung, die es ihnen nicht erlaubt, in den flachenGewässern des Persischen Golfs wirksam zu operieren;außerdem sind sie nicht wie die modernere russischeVersion 636M mit Raketensystemen gegen Überwasser-schiffe ausgerüstet.71

Die russische und die amerikanische Auffassungzu den Lieferungen an Iran sind jedoch grundverschie-den. Während der Vorsitzende des russischenRüstungskomitees KWTS beschwichtigt, man liefere»ausschließlich Verteidigungssysteme« in begrenzterAnzahl, »führt Reparaturen aus« und »modernisiertveraltete Waffentechnik«,72 behauptet das amerikani-sche Außenministerium, »die russische Regierungha[be] tödliche militärische Ausrüstung an Ländergeliefert, die als staatliche Sponsoren von Terroris-mus« gelten müßten. Die USA verhängten im Sep-tember 2003 Sanktionen gegen das Entwicklungsbürofür Instrumente KBP Tula, das bereits wegen desangeblichen Verkaufs von Kornet-Raketen an den Irakin die amerikanische Schußlinie geraten war (sieheoben, S. 15). Als Begründung gab das State Departmentan, KBP Tula habe lasergesteuerte Artilleriesystemevom Typ Krasnopol an Teheran geliefert.73

71 Makienko, Outlook for Russian�Iranian Arms Trade[wie Fn. 61].72 Zit. bei Babičev, Rabotaem na perspektivu [wie Fn. 54].73 Bill Gertz, U.S. Sanctions Moscow-Owned Firm for IranSales, in: Washington Times (Internetausgabe), 16.9.2003.Die Sanktionen sind für KBP Tula allerdings praktisch bedeu-tungslos. Sie bestimmen, daß die Firma von Geschäftsbezie-hungen mit der amerikanischen Regierung ausgeschlossenwird und keine Genehmigung erhalten darf, amerikanischeWaffen und militärische Ausrüstung zu kaufen.

Zu interpretieren sind diese amerikanischen Vor-würfe wohl ähnlich wie im Fall Iraks: Sie sind eherals Schüsse vor den Bug der russischen Regierungzu werten, bei ihren Waffenlieferungen an Iran be-stimmte Grenzen nicht zu überschreiten und dieLieferungen selbst (weiterhin) zu reduzieren und zukontrollieren, und weniger Ausdruck einer echtenBesorgnis, daß Rußland Iran in großem Umfang auf-rüsten könnte.

Ein letztes Beispiel für die politische Problematikrussischer Exporte konventioneller Waffen und dieGrenzen, die der Rüstungsexportpolitik Moskaus oftgesetzt sind, ist Zypern. Anfang 1997 hatte Moskau mitNikosia ein in Anbetracht des schwelenden griechisch-türkischen Konflikts heikles Abkommen über die Lie-ferung von Flugabwehrsystemen des Typs S-300 PMU-1geschlossen. Die Realisierung der Vereinbarung warallerdings am vehementen Widerstand Washingtonsund Ankaras gescheitert. Schließlich fand Moskaudoch einen Weg, das spektakuläre Exportgeschäft zuverwirklichen: Die Raketenkomplexe wurden mitHilfe russischer Militärberater und technischer Spezia-listen im Laufe des Jahres 2000 in Kreta aufgestellt. DieInsel ist zwar griechisches Territorium, formell gehö-ren die Waffensysteme aber Zypern.74

Politisch noch brisanter als der Verkauf konventio-neller Waffen an Problemstaaten sind Lieferungenoder technische Unterstützungsleistungen Rußlands,die solchen Staaten zur Herstellung von Nuklear-waffen und Raketen dienen können. Auch hier stelltsich die Frage, ob Moskau derartige Hilfe leistet odergeleistet hat.

Massenvernichtungswaffen undihre Trägersysteme

Das erste zu untersuchende Problem ist, ob RußlandIran dabei geholfen hat, Mittelstreckenraketen als Träger-systeme für ABC-Waffen herzustellen. Als Träger kom-men die Schahab-3- und -4-Raketen in Frage. AnfangNovember 2003 gab Iran zwar bekannt, es habe dieEntwicklung der Schahab-4 eingestellt, aber dieserSchritt ist kaum von Bedeutung, denn die Schahab-3soll sich bereits in nicht bekannter Anzahl im ira-nischen Arsenal befinden. Außerdem gehen die Arbei-ten an diesem Raketentyp75 weiter. Iran bemüht sich

74 Jurij Golotjuk, U�li na bazu [Hin zur Basis], in: Izvestija,1.12.1999, S. 1.75 Dessen Reichweite wurde von Iran ursprünglich mit

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Massenvernichtungswaffen und ihre Trägersysteme

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offensichtlich weiterhin, einsatzfähige Mittelstrecken-raketenkräfte aufzubauen. Unbestritten ist auch, daßTeheran ohne ausländische Hilfe das fortgeschritteneStadium seines Vorhabens nicht erreicht hätte.

Wie bei anderen sensiblen Waffenexportfragenhat Moskau Vorwürfe energisch zurückgewiesen,russische Forschungs- und Entwicklungsbüros oderRüstungsbetriebe seien an iranischen Programmenzur Herstellung von Mittelstreckenraketen beteiligtgewesen. Rußland beteuert, es habe sich strikt an dieBestimmungen des internationalen Regimes zur Kon-trolle des Transfers von Raketentechnologie (MTCR)gehalten.76 Ende der neunziger Jahre räumte der rus-sische Geheimdienst FSB zwar ein, daß iranischeWaffenhändler versucht hätten, Komponenten für einRaketenprogramm in Rußland zu kaufen, ihr Vor-haben sei aber »in einem frühen Stadium entdecktund unterbunden worden«.77

Nach amerikanischer Auffassung ist die Beweislagebei den Mittelstreckenraketen allerdings eindeutig.Ein im November 2003 vom CIA vorgelegter Berichtstellt kategorisch fest: »Russische Stellen haben mitihren Hilfen Iran bei seinen Bemühungen unterstützt,neue Raketen zu entwickeln und Teherans Eigenstän-digkeit bei der Produktion von Raketen zu erhöhen.«78

Auch Nordkorea und China sollen dem Bericht zu-folge Iran bei der Entwicklung von Mittelstrecken-raketen geholfen haben.

Von besonderer Bedeutung scheinen dabei abernicht Irans Beziehungen zu Rußland, sondern zu Nord-korea zu sein: Die Schahab-3 wird als Weiterentwick-lung der nordkoreanischen Nodong angesehen. Nord-korea hat Raketen vom sowjetischen Typ Scud-B und

1300 km und vor kurzem mit 1700 km angegeben. Israelhat gewarnt, sie könne auf 2500 km ausgeweitet werden. Eineumfassende Darstellung des iranischen Raketenprogrammsbietet der Beitrag: Iran�s Ballistic Missiles: Upgrades Under-way, in: IISS Strategic Comments (Internetausgabe), 9 (2003)9, <www.iiss.org/stratcomments.php?volume=9&issue=9>.76 Missile Technology Control Regime (MTCR).77 Vladimir Arabinov, Moskve ugro�ajut novye sankcii [Mos-kau drohen neue Sanktionen], in: Izvestija, 15.1.1999, S. 2. ImDezember 2001 gab der FSB erneut bekannt, er habe Bemü-hungen von Mitgliedern russischer »Machtstrukturen« unter-bunden, illegale Geschäftskontakte zum iranischen Geheim-dienst anzubahnen; Vasily Lata/Anton Khlopkov, Iran�s Missileand Nuclear Challenge, in: Arms Control & Security Letters(PIR Center, Moskau), 6 (Juli 2003) 140.78 Unclassified Report to Congress on the Acquisition ofTechnology Relating to Weapons of Mass Destruction andAdvanced Conventional Munitions, January 1 through June30, 2003, verfügbar unter <www.cia.gov/cia/reports/721_reports/jan_jun2003.htm#iran>.

-C nachgebaut, schätzungsweise 600 vom ersten und1000 Exemplare vom zweiten Typ, die Hälfte davonfür den Export. Pjöngjang scheint regelrecht zu einemUmschlagplatz für russische Mittelstreckenraketengeworden zu sein, die Lieferungen gehen dabei sowohlan Iran als auch an Pakistan.79 Diese Raketen sowieihre Weiterentwicklung zur Nodong- und Taepodong-Serie gehen sämtlich auf Scud-B-Raketen zurück,die Nordkorea von Ägypten (!) im Jahre 1979 oder 1980erhalten hat. Die Sowjetunion hatte es abgelehnt,diese Raketen Nordkorea zu verkaufen.80

Auch in der Folgezeit gab es keine Anzeichen dafür,daß russische Institutionen bei der Entwicklungnordkoreanischer Mittelstreckenraketen mitgewirkthätten. Wie Teheran hat Pjöngjang zwar immerwieder versucht, russische Raketenspezialisten anzu-werben.81 Es ist auch nicht auszuschließen, daß es rus-sischen Fachleuten gelungen ist, nach Teheran oderPjöngjang auszureisen. Es ist jedoch glaubwürdig,wenn Moskau behauptet, es halte sich an das Regimezur Kontrolle des Transfers von Raketentechnologie.

Wie verhält es sich aber mit dem Transfer vonKnow-how, Ausrüstung und Materialien an Problem-staaten, die damit potentiell in die Lage versetztwerden, Nuklearwaffen herzustellen? Bei der Beant-wortung dieser Frage verdienen wiederum RußlandsBeziehungen mit Iran besondere Aufmerksamkeit.

Ausgangspunkt jeglicher Bewertung sollte die Tat-sache sein, daß es Teheran ernst damit war und ist,Nuklearwaffen zu produzieren. Iran selbst hat ein-geräumt, daß es Anlagen gebaut hat, die geeignetsind, Komponenten und Rohmaterialien für dieAnreicherung von Uran zu produzieren. WeitereAnlagen zur Herstellung von schwerem Wasser und

79 Diese These hat vor allem Robert Schmucker vertreten,Spezialist für Raumfahrttechnik an der Technischen Univer-sität München, z.B. auf der Konferenz »Confidence BuildingMeasures as a Possible Instrument of MTCR?« der StiftungWissenschaft und Politik (SWP) in Ebenhausen, 24.�26.5.2000.80 Federation of American Scientists, Nuclear Forces Guide:Nodong-1, <www.fas.org/nuke/guide/dprk/missile/nd-1.htm>;Monterey Institute of International Studies, North Korea�s BallisticMissile Program, <http://cns.miis.edu/research/korea/>.81 Einer der spektakulärsten Fälle war der Versuch von 60russischen Raketenspezialisten im Oktober 1992, von Sche-remetewo-2 nach Nordkorea zu fliegen. Die Fachleute warenMitarbeiter im VP Makajew OKB, einem Konstruktionsbürofür seegestützte ballistische Raketen, das in der Sowjetäraauch für die Entwicklung der Scud-B zuständig war. Die rus-sischen Grenzkontrollbehörden verweigerten Ihnen die Aus-reise; Federation of American Scientists, Nuclear Forces Guide:Nodong-1 [wie Fn. 80]; Monterey Institute of International Studies,North Korea�s Ballistic Missile Program [wie Fn. 80].

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Plutonium sind entweder geplant oder schon gebautworden. Unter anderem aufgrund dieser Entwick-lungen warf die Internationale Atomenergiebehörde(IAEA) Iran in ihrer Resolution vom 26. November2003 zwar nicht direkt vor, ein Atomwaffenprogrammverfolgt zu haben oder verfolgen zu wollen, stellteaber »mit allergrößter Besorgnis« fest, daß »Iran innicht-deklarierten Einrichtungen Uran angereichertund Plutonium getrennt hat, ohne IAEA-Schutzbestim-mungen zu berücksichtigen«.82

Rußland spielt eine wichtige Rolle für das iranischeNuklearprogramm. Das 1000-Megawatt-Atomkraft-werk in Buschehr, südwestlich von Isfahan, wird vonRußland gebaut. Es soll ab Mitte 2004 den Brennstoffliefern, um den Reaktor zu betreiben, und im Jahr2005 fertiggestellt sein. Noch im Juli 2002 vereinbar-ten Moskau und Teheran in einem Memorandum ofUnderstanding eine umfassende, auf zehn Jahre an-gelegte Zusammenarbeit in Nuklearfragen und denBau von insgesamt sechs Atomreaktoren, vier davonin Buschehr und, zwei in Ahvaz, 100 km von derGrenze zum Irak entfernt.83

Moskau hat in der Vergangenheit jegliche Kritik ander russisch-iranischen Zusammenarbeit bei der Nut-zung von Nuklearenergie zurückgewiesen. Das Kraft-werk in Buschehr diene ausschließlich der friedlichenNutzung von Atomenergie; darüber hinaus handele essich bei den Buschehr-Projekten um Leichtwasser-reaktoren genau jenes Typs, den die VereinigtenStaaten unter anderem an Nordkorea geliefert haben.Dem läßt sich entgegenhalten, daß Rußland nicht nurdas Kraftwerk Buschehr baut, sondern Iran auchTechnologie zur Anreicherung von Uran überlassenhat. Dies wird in dem Bericht der IAEA festgestellt,der dem Gouverneursrat der Behörde zu seinerSitzung am 20. November 2003 vorgelegt wurde.84

Zudem fanden Inspektoren der IAEA im Februar 2004heraus, daß in den von Iran fertiggestellten Zentri-

82 IAEA, Board of Governors, Implementation of the NPT Safe-guards Agreement in the Islamic Republic of Iran � Resolu-tion, 26.11.2003, <www.iaea.org/Publications/Documents/Board/2003/gov2003-81.pdf>.83 Ausführliche Übersichten finden sich bei Marshall Breit,Iran�s Nuclear Program, Washington, D.C.: Carnegie Endow-ment for International Peace, <www.ceip.org/files/projects/npp/pdf/Iran/nuclearfacilities.pdf>, und Lata/Khlopkov, Iran�sMissile [wie Fn. 77].84 George Jahn, Russia Surfaces in IAEA�s Probe of Iran, in:Moscow Times, 21.11.2003, S. 3. Der Bericht nennt Chinaund Pakistan als weitere Lieferstaaten.

fugen in Rußland hergestelltes angereichertes Uranverwendet wurde.85

Die Inspektoren waren zwar der Ansicht, das Uranstamme nicht direkt aus Rußland. In Anbetracht derTatsache, daß Moskau Iran zweifellos Technologie zurUrananreicherung geliefert hat, gilt es aber einParadox zu klären: Warum kontrolliert und begrenztRußland den Export von konventionellen Waffen undMittelstreckenraketen sowie von Komponenten fürihre Herstellung, nicht aber von Technologie, die zurHerstellung iranischer Atomwaffen dienen kann?

Vier Erklärungen kommen in Betracht: (1) Präsidentund Regierung waren sich der internationalen politi-schen Brisanz des Problems nicht bewußt; (2) die Ex-portkontrollen haben versagt; (3) die staatlichenStellen drückten wegen des großen Einflusses derAtomindustrie und aus wirtschaftlichem Interesse einAuge zu; (4) die russische Position gegenüber Iranveränderte sich erst im Laufe der Zeit. Auszuschließenist die erste Interpretation, denn Washington hatdieses Thema immer wieder, auch auf höchster Regie-rungsebene, zur Sprache gebracht und Moskau zurBeendigung jeglicher Kooperation mit Teheran inNuklearfragen gedrängt.86 Auch die zweite Erklärungist gerade wegen der großen internationalen politi-schen Bedeutung des Problems, aber auch wegen derunter Putin erfolgten Stärkung aller Kontrollinstan-zen wenig plausibel.

Die dritte Interpretation kommt vermutlich derWahrheit am nächsten. Allerdings ist sie mit dervierten zu verbinden: Schon vor dem 11. September2001 konnte Rußland im Prinzip kein Interesse daranhaben, daß sich die Anzahl der Atommächte erhöht,vor allen Dingen nicht an seiner Südgrenze. DieserGedanke verfestigte sich nach den Terrorangriffen aufdie USA. Im Zuge der Kontroverse um Massenvernich-tungswaffen und ihre Trägersysteme im Irak 2002/2003 schärfte sich das russische Bewußtsein für dieBedeutung des Problems weiter. Gleichzeitig erhöhtesich der amerikanische Druck auf Moskau, gegenüber

85 William J. Broad, Iran Uranium Tied To Russia, in: Inter-national Herald Tribune, 1.3.2004, S. 3.86 Im August 2002 beispielsweise hatte der Staatssekretär fürEnergiefragen, Spencer Abrahams, auf einer Pressekonferenzin Moskau gewarnt: »Clearly the extension of Russian nuclearcooperation with Iran remains an issue of utmost concern tous. We consistently urge Russia to cease all nuclear cooper-ation with Iran, including its assistance to the reactor inBushehr« (Zit. in: Charles Digges, US DOE Chief HarshlyCriticises Russia�Iran Nuclear Cooperation, in: <www.bellona.no/en/international/russia/ nuke_industry/co-peration/25104.html>).

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Massenvernichtungswaffen und ihre Trägersysteme

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Teheran eine gemeinsame Haltung zu entwickeln.Tatsächlich begann Rußland seine Position ab Februar2003 zu ändern, als der Iran öffentlich erklärte, erstrebe die Entwicklung eines kompletten Nuklear-kreislaufs an. Moskau begann nun seinerseits, dieTeheraner Regierung zu drängen, ein Zusatzprotokollmit der IAEA zu unterzeichnen, das schärfere Kon-trollen der iranischen Atomanlagen gestattet. Desweiteren stellte sich Rußland jetzt auf den Stand-punkt, es werde den Reaktor nur dann fertigstellen,wenn Iran einwillige, den verbrauchten Nuklear-brennstoff nach Rußland zu transferieren. Vermutlichtrug der russische Druck auch dazu bei, daß dieMission der drei europäischen Außenminister imOktober 2003 in Teheran Erfolg hatte: Die iranischeRegierung erklärte sich bereit, das Zusatzprotokollzu unterzeichnen und die Anreicherung von Uraneinzustellen.87

87 Rainer Hermann, Iran will kein Uran mehr anreichern, in:FAZ, 22.10.2003, S. 1.

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Rüstungszusammenarbeit mit westlichen Industriestaaten

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Rüstungszusammenarbeit mit westlichen Industriestaaten

Waffenexporte und militärtechnische Zusammen-arbeit sind, wie oben ausgeführt, Rettungsringe fürdie russische Rüstungsindustrie. Von wenigen Aus-nahmen abgesehen, wie der Lieferung des Flugabwehr-systems S-300 PMU-1 an Zypern beziehungsweiseKreta/Griechenland, und trotz kostengünstiger Ange-bote ist es Moskau aber bisher nicht gelungen, Waffenin westliche Industriestaaten zu exportieren. Diemeisten dieser Staaten gehören der Nato an und legenWert auf Standardisierung und Interoperabilität derWaffen. Darüber hinaus verfügen sie über leistungs-fähige Rüstungswirtschaften � und Rüstungslobbies,die nationale Regierungen unter Druck setzen, ein-heimische Produkte zu kaufen. Zudem ist der RufRußlands als Serviceleister schlecht. Auch scheinenZweifel angebracht, ob russische Waffensysteme dieneuesten Erkenntnisse und Entwicklungen in derHochtechnologie berücksichtigen. Diese praktisch un-überwindlichen Hindernisse, die russischen Waffen-exporten in Nato-Staaten entgegenstehen, könntentheoretisch zumindest teilweise mit Hilfe von Rü-stungszusammenarbeit behoben werden. Vor allembei der Lieferung von Systemkomponenten, aber auchbei der Vermarktung russischer Produkte könnte einesolche Zusammenarbeit für Moskau von Nutzen sein.Die Frage stellt sich also, welche Beispiele von Koope-ration es gibt, welchen Erfolg diese gehabt haben undwelche Perspektiven sich bieten.

Fehlschlag An-70

Ein erstes großes Bemühen um Rüstungskooperationgab es in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, als inverschiedenen Nato-Staaten über die Ausrüstung derLuftwaffen mit einem neuen schweren Transportflug-zeug diskutiert wurde. In Moskau waren die Hoffnun-gen groß, daß es gelingen würde, gemeinsam mitKiew das russisch-ukrainische Transportflugzeug Anto-now-70 weiterzuentwickeln, zu produzieren und zuvermarkten.88 Ein Erfolg der russischen Bestrebungen

88 Obwohl die Antonow-70 hauptsächlich in der Ukraineproduziert wird, erfolgt fast 80% der Entwicklung in Ruß-land, 63% der Triebwerkskomponenten stammen von dort.

wäre in seiner politischen und wirtschaftlichen Bedeu-tung nicht zu überschätzen gewesen. Denn die An-schaffung eines neuen Großraumflugzeugs gehörteund gehört zu den unverzichtbaren größeren Beschaf-fungsprojekten nicht nur in Deutschland, sondern bei-spielsweise auch in Großbritannien, Frankreich,Italien, Spanien, Belgien und den Niederlanden.

In der Bundesregierung fand das Projekt politischeUnterstützung. Folgende Faktoren gaben dafür denAusschlag:! Gemäß dem Urteil westlicher Konstrukteure war

die Antonow-70 technisch ausgereift. Ein Prototypdieses Flugzeugs wurde bereits im Januar 1994 ge-testet.89

! Das Flugzeug wies günstige Leistungsparameterauf (47 t Zuladung mit einer Reichweite bei diesemGewicht von 1350 km oder 5000 km bei 30 t) undversprach relativ geringe Einsatzkosten.

! Die Anschaffungskosten erschienen dank einervermutlich großen Stückproduktion akzeptabel.90

! Mögliche Alternativen genügten entweder denAnforderungen nicht (z.B. die amerikanische C-17und C-130) oder mußten noch entwickelt werden(wie die militärische Variante der Airbus-Serien).

! Das Projekt eröffnete Möglichkeiten einer Mitbetei-ligung europäischer Firmen an der Produktion.

! Eine russisch-westeuropäische Zusammenarbeit beider Weiterentwicklung, Produktion und Vermark-tung der An-70 wäre das seltene Beispiel einer prak-

Es war vorgesehen, die Serienfertigung des Flugzeugs in Kiewund Samara oder Tomsk anzusiedeln. Usbekistan sollte sichmit der Produktion von Flügeln beteiligen; vgl. Sergej Vladi-mirov, Proekt An-70. Probnyj kamen� Evropejskoj integracii[Das An-70-Projekt: Prüfstein für die europäische Integration],in: Aviarynok, (Dezember 1997), S. 15.89 Ergebnis einer Machbarkeitsstudie der DASA (unveröffent-licht).90 Die Chancen einer verbilligten Serienproduktion schie-nen auch deswegen gut zu sein, weil sich russischen Angabenzufolge der Bedarf für die russische Luftwaffe auf 200 Groß-raumtransportflugzeuge und für Sondertruppen und dasMinisterium für Katastrophenschutz auf weitere 150 Maschi-nen belaufen würde; Nikolaj Baranov, An-70: realii i perspek-tivy [An-70: Realitäten und Perspektiven], in: Krasnaja zvezda,29.2.2000.

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Mig-29-Kooperation

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tischen Kooperation mit Rußland und der Ukrainein einem sensiblen Bereich gewesen.Allen diesen günstigen Entscheidungsfaktoren zum

Trotz wurde am Rande der Internationalen Luftfahrt-ausstellung in Berlin im Juni 2000 deutlich, daß dieAn-70 keine Chance hatte, in die Luftwaffe der euro-päischen Nato-Staaten integriert zu werden.91 Natio-nale europäische, vor allem französische Rüstungs-interessen hatten sich offensichtlich gegen politischeErwägungen durchgesetzt. Im Prinzip war die Ent-scheidung bereits zu diesem Zeitpunkt für den AirbusA400M von Airbus Military Company (AMC) gefallen,einer Tochterfirma des Airbus-Konzerns, der wieder-um eine Tochter des europäischen Luft- und Raum-fahrtkonzerns EADS ist.

Die Konsequenz für die An-70 und ihre ukrainisch-russischen Hersteller ist, daß die Maschine trotz allerunbestrittenen hohen technischen Qualitätsmerkmaleeiner ungewissen Zukunft, möglicherweise sogarihrem Ende entgegensieht: Die russische Luftwaffewill das Flugzeug wegen der zu hohen Kosten nichtanschaffen und gibt statt dessen der Tu-330 und derIl-214 den Vorzug.

Mig-29-Kooperation

Eines der bisher erfolgreichsten Projekte russisch-west-licher Zusammenarbeit ist das russisch-deutsche Joint-venture zur Instandhaltung und Modernisierung desKampfflugzeugs MiG-29.92 Zu Zeiten des WarschauerPakts waren die Luftwaffen der DDR, Polens, der Tsche-choslowakei, Ungarns, Rumäniens und Bulgariens mitdieser Maschine ausgerüstet. Seit der Übernahme derNVA-Luftwaffe durch die Bundeswehr und dem Nato-Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staatenmüssen die neuen Mitglieder der westlichen Allianzihre Luftwaffen mit assignierten Flugzeugen in dieintegrierte Luftverteidigung einbinden. Dies wieder-um bedeutet, daß die Anforderungen der Nato undder International Civil Aviation Authority hinsichtlichKommunikation, Identifikation und Navigation erfüllt

91 Informationsdienst Wolfgang Bredow (Berlin), <www.bredow-web.de/ILA_2002/Transportflugzeuge/Antonow_AN-70/antonow_an-70.html>.92 Nachfolgende Angaben beruhen im wesentlichen auf demREUSS Jahrbuch für Luft- und Raumfahrt, Newsletter, September1999, <www.reuss.de/newsletter/1999/september.html>; sieheauch Christoph Schwennicke, Scharping dementiert Festlegungauf »Antonow«, in: Süddeutsche Zeitung, 4.4.2000, S. 7.

und diesbezügliche Modifikations- und Modernisie-rungsprogramme aufgelegt werden müssen.

Diesen Zielen dient die 1993 gegründete deutsch-russische MiG Aircraft Product Support Company.93

Das Joint-venture soll den Betrieb der MiG-29 bismindestens 2015 gewährleisten. Bei seiner Gründungwar auch daran gedacht, die Betreuung des Waffen-systems durch die Beteiligung weiterer MiG-29-Nutzer-staaten in Mittel- und Osteuropa auf eine breitereBasis zu stellen, um so bei der Instandhaltung undErsatzteilversorgung deutliche Kostensenkungen zuerreichen. Rußland hoffte, die im Bestand Polens,Ungarns, Bulgariens, Rumäniens und der Slowakeibefindlichen etwa 120 bis130 MiG-29 ebenfalls um-rüsten zu können. Mit Rumänien und der Slowakeiwurden Anfang des neuen Jahrtausends entsprechen-de Vereinbarungen getroffen und umgesetzt, und imSeptember 2003 übergab die Bundesluftwaffe ihre 23modernisierten MiG-29 zum stolzen Preis von einemEuro der polnischen Luftwaffe.94 Ungarn und Bul-garien entschieden sich jedoch gegen entsprechendeProjekte. So erfolgreich die deutsch-russische Koope-ration bei der MiG-29 auch gewesen sein mag, dieStückzahl der in den Arsenalen weniger ostmittel-europäischer Staaten verbliebenen Bestände ist gering.Insofern handelt es sich bei diesem Waffensystemzumindest in Europa um ein Auslaufmodell.

93 Il�ja Kedrov, MiGi po standartam Nato [MiGs auf Nato-Standard], in: NVO (Internetausgabe), 17.9.1999. Die FirmaMiG Aircraft Product Support GmbH (MAPS) ist eine Grün-dung nach deutschem Recht. Sie hat ihren Sitz bei der EADS(früher DASA) in Manching und soll die technische und logi-stische Betreuung der MiG-29 der Deutschen Luftwaffe sicher-stellen. Das Joint-venture besteht zu gleichen Teilen aus einerProjektgruppe der EADS auf deutscher Seite und dem russi-schen Rüstungsunternehmen RAK MiG sowie Roswoorusche-nie auf russischer Seite.94 Peru, Ecuador und Malaysia traten aber als Käufer derMiG-29 auf. An Polen wurden 23 Maschinen übergeben; derursprüngliche, von der NVA übernommene Bestand betrug24 Flugzeuge. Das Bundesverteidigungsministerium machteunter anderem Kostengründe für die Übergabe der Kampf-flugzeuge an Polen geltend; 23 MiGs for One Euro, in: DeutscheWelle, 28.9.2003.

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Rüstungszusammenarbeit mit westlichen Industriestaaten

SWP-BerlinRußlands RüstungsindustrieApril 2004

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Zusammenarbeit mit Rußlandbei der Raketenabwehr?

Im Februar 2001 unterbreitete der damalige russischeVerteidigungsminister Sergejew Nato-GeneralsekretärRobertson bei seinem Besuch in Moskau einen Vor-schlag zur Entwicklung eines »gesamteuropäischenRaketenabwehrsystems« gegen nukleare Bedrohungen.Das Abwehrsystem, praktisch eine mobile Eingreif-truppe, sollte in Krisengebiete verlegt werden können;es sollte sich gegen nicht-strategische ballistischeRaketen richten und zum Schutz von Punktzielen �Truppenansammlungen, einzelnen Objekten oderbegrenzten Gebieten � eingesetzt werden können.95

Die russische Initiative wurde im Laufe des Jahres vonExpertengruppen diskutiert, der russische und Nato-Vertreter angehörten. Beim Gipfeltreffen im Mai 2002in Rom hieß es zwar in der Erklärung der Staats- undRegierungschefs der Nato und Rußlands zum neuenVerhältnis zwischen Rußland und dem westlichenBündnis, daß gemeinsame Anstrengungen im Bereichder regionalen Raketenabwehr unternommen werdensollten und man Konsultationen über Konzepte, Ter-minologie, Systeme und Systemleistungen, Interopera-bilität sowie gemeinsame Ausbildung und Übungenaufnehmen wolle; auf den russischen Vorschlagvom Vorjahr wurde aber nicht Bezug genommen.96

Die Möglichkeit, Rußland im Rahmen des neuenNato�Rußland-Rates an der bis Ende 2003 zu erstel-lenden Machbarkeitsstudie der Allianz zu einer»Active Layered TBM97 Defense« zu beteiligen, wurdebisher auch noch nicht genutzt.

Im Mai 2003 gab es allerdings Berichte, wonachRußland und die USA nicht nur einer Rahmenverein-barung über bilaterale Zusammenarbeit bei der strate-gischen Raketenabwehr nahe seien.98 Mehr noch, Nato-

95 Text in russischer Sprache, veröffentlicht vom MoskauerInstitut für Physik und Technologie, Zentrum für Rüstungs-kontrolle, Energie und Umweltstudien, unter <www.armscontrol.ru>; eine umfassende Darstellung und Bewer-tung der Initiative findet sich bei Klaus Arnhold, RußlandsVorschlag zur nicht-strategischen Raketenabwehr für Europa,Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, September 2001(S 28/01).96 Nato, Nato�Russia Relations: A New Quality. Declarationby Heads of State and Government of Nato Member Statesand the Russian Federation, Basic Texts, Rome Summit, 28May 2002, <www.nato.int/docu/basictxt/b020528e.htm>.97 TBM = Theater Ballistic Missile.98 American Foreign Policy Council, U.S., Russia Drift towardsNMD Accord, in: Missile Defense Briefing Report (Washing-ton, D.C.), (19.5.2003) 104, <www.afpc.org/mdbr/mdbr104.

Generalsekretär George Robertson sagte nach derersten Sitzung des Nato�Rußland-Rates in Moskau,Rußland und die neunzehn anderen Mitglieder desRates hätten sich auf ein konkretes Programm für denmöglichen Aufbau eines nicht-strategischen Raketen-abwehrsystems in Europa geeinigt. »Wir halten esfür ein Pilotprojekt. Sie können die [Realisierungs-chancen] dieses oder jenes Projekts daran messen,wie es finanziert wird. In dieser Hinsicht ist uns einDurchbruch gelungen. Jedes der Länder der 20 � Ruß-land und die 19 Mitgliedstaaten der Nato � hat seineBereitschaft erklärt, das genannte Projekt zu finan-zieren.«99 Wie noch zu zeigen sein wird, sind Zweifelan dieser Bereitschaft angebracht.

Ein wichtiger Punkt bei den russischen Vorstellun-gen zum Aufbau von strategischen oder nicht-strategi-schen Abwehrsystemen ist der Wunsch, vorhandeneund noch weiterzuentwickelnde russische Raketen-abwehrtechnologie zu nutzen. Rußland, so heißt es imVorschlag vom Februar 2001 beispielsweise, verfüge»über eine große Erfahrung und einen Vorlauf bei derSchaffung derartiger Systeme«, über »Radaranlagen,die in der Lage sind, Meldungen und Zielzuweisungenüber ballistische Raketen an die Waffen des Systemszu geben«, und über »Testgelände« sowie »Erprobungs-und Simulationsbasen«.100

Rußland besitzt seit Jahren regional wirksame,mobile Flugabwehrraketen, von denen einige auch dieFähigkeit besitzen, ballistische Raketen abzufangen.

shtml>. Zu den Problemen russisch-amerikanischer Koopera-tion bei der Raketenabwehr siehe Hannes Adomeit, Putin unddie Raketenabwehr: Moskaus Haltung zu NMD im Kontextder russisch-amerikanischen Beziehungen, Berlin: StiftungWissenschaft und Politik, September 2001 (S 29/01).99 Vadim Solov�ev, Rossija otstupaet, Nato dvi�etsja vperëd.General Kvashnin svoračivät gruppirovku voisk na Balkanach,a rensek Robertson vedët verbovku na postsovetskom pros-transtve [Rußland tritt zurück und die Nato bewegt sichnach vorn: General Kwaschnin zieht die Truppenkontingenteaus dem Balkan ab und Generalsekretär Robertson wirbt aufpostsowjetischem Territorium], in: Nezavisimaja gazeta,16.�22.5.2003, S. 1.100 Auf das Vorhandensein russischer Raketenabwehrtech-nologie wird einige Male in dem Vorschlag selbst hingewie-sen, aber auch in der innerrussischen Diskussion; siehe z.B.Aleksandr Plotnikov, S-400 ... opjat� vtorye? »Triumf« proletaetmimo deneg [S-400 ... wieder die Zweiten? Die »Triumf« fliegtam Geld vorbei], in: RNE [Russkoe nacional�noe edinstvo] (on-line), 5.2.2002, <www.rne.org/vopd/rusnews/rnew_506.htm>,und den Standpunkt des ehemaligen Oberbefehlshabersder russischen Luftstreitkräfte, General Anatolij Kornukow:Prognoz Kornukova [Kornukows Prognose], in: NVO (Internet-ausgabe), 28.6.2002.

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Zusammenarbeit mit Rußland bei der Raketenabwehr?

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Zu den Abfangsystemen gehören im Kurzstrecken-bereich die Tor-M1, im mittleren Bereich die Buk-M1-2und bei den größeren Reichweiten das S-300-Systemin den Versionen S-300 V, S-300 VM und S-300 PMU-1,das Antej-2500-System (mit neuen Raketen vom Typ9M-82M und 9M-83M ausgerüstet), das in der Test-phase befindliche System S-400 (in russischer Bezeich-nung auch 48H6E) als Grundlage für das neue Rake-tenabwehrsystem Triumf und das mögliche Nachfolge-system S-500.101

Russischen Angaben zufolge gibt es zur Antej-2500kein ebenbürtiges System. Die amerikanische Patriothabe sich im Golfkrieg 1990 als recht unwirksam er-wiesen und lediglich eine Erfolgsrate von 0,36 aufeiner Skala von 0 bis 1 erzielt. Auch die Weiterent-wicklung, die Patriot PAC-3, erreiche nicht die Lei-stungswerte der Antej-2500, letztere habe »bei zahl-reichen Testschüssen gegen [anfliegende] ballistischeRaketen einen Erfolgswert von nicht weniger als 0,98erzielt«. Das System »garantiert zuverlässig die Vertei-digung beliebiger Objekte gegen alle Luftangriffs-mittel einschließlich ballistischer Systeme mit einerReichweite von 2500 km«. Eine einzige Batterie vonRaketen des Antej-Systems könne »zuverlässig Objekteauf einer Bodenausdehnung von 1000 bis 2500 qkmund in einem Luftraum von 125 000 qkm bekämpfen.«Auch unter modernen Kriegsbedingungen werde»seine Überlebensfähigkeit dadurch erhöht, daß seinePosition schnell verändert werden kann, was die geg-nerische Aufklärung erschwert«.102 Das Triumf-Rake-tenabwehrsystem mit der Rakete S-400/48H6E, dasAntej ersetzen soll, ist russischen Erklärungen zufolgenoch leistungsfähiger und leichter zu bedienen alsseine Vorgängerin und sowohl für nicht-strategische

101 Westliche Bezeichnungen lauten wie folgt: SA-15 Gaunt-let und SA-N-9 (Tor), SA-17 und SA-N-12 Grizzly (Buk-M1-2),SA-10 und SA-N-6 Grumble (S-300 PMU), SA-12A Gladiatorund SA-12B Giant (S-300 V) und SA-20 (S-400 Triumf). Dieseegestützten Versionen sind jeweils mit »N« bezeichnet.Zu den technischen Daten und westlichen Bezeichnungensiehe <http://sun00781.dn.net/nuke/guide/russia/airdef/...>und <www.fas.org/man/dod-101/sys/missile/index.html>.Russische Quellen zu den technischen Einzelheiten derAbwehrsysteme sind Veniamin Yefremov/Yuri Svirin, Antey-2500: Without Equal, in: Military Parade (online), <www.milparade.com/1998/25/030.htm>, sowie das Interview mitdem Generaldirektor des militärindustriellen KonzernsAntej, Jurij Svirin, Aktual�noe interv�ju. Prioritety »Anteja«[Aktuelles Interview: Die Prioritäten Anteijs], in: Krasnajazvezda, 24.3.2001, S. 4. Zum Tor-M1-System siehe AnatolijDokučaev, Pul�s planety. Rezonans [Der Puls des Planeten:Resonanz], in: Krasnaja zvezda, 17.1.2001, S. 3.102 Svirin, Aktual�noe interv�ju [wie Fn. 101].

als auch strategische Luft- und Raketenabwehr ge-eignet.103 Als Putin der Nato im Februar 2001 vor-schlug, ein gemeinsames Raketenabwehrsystem inEuropa aufzubauen, hat er wohl vor allem an dasS-400/Triumf-System als Grundlage gedacht.104

Wenn auch die hier zitierten Aussagen über dasLeistungsvermögen der russischen Abwehrwaffen mitVorsicht zu genießen sind, wäre es verfehlt, es zuunterschätzen. Ganz offenkundig hat Rußland indiesem Bereich etwas anzubieten. Selbstverständlichgilt dies auch für den Westen. Vor allem im BereichElektronik und Sensoren ist die amerikanische Tech-nologie weiter entwickelt als die russische und könntein ein gemeinsames System einbezogen werden. InEuropa betreiben Frankreich, Italien und Deutschlandeine beschränkte Entwicklung von Raketenabwehr-systemen: Frankreich und Italien entwickeln unterder Systembezeichnung ASTER Abwehrsysteme gegenKurz- und Mittelstreckenraketen für Land-, Luft- undSeestreitkräfte. Deutschland beteiligt sich mit Italienund den USA auch an der Entwicklung von MEADS(Medium Extended Air Defense System), einem mobi-len landgestützten Raketenabwehrsystem mit dem-selben Zielspektrum.

Das russische Interesse an der Kooperation mit demWesten ist offensichtlich: Seit die russische Luft- undRaketenabwehr 1977 auf die S-300 umgestellt wurde,produzierte das militärische Forschungs- und Entwick-lungsbüro Almas durchschnittlich 30 bis 40 Abwehr-raketen pro Jahr. In den vergangenen sieben Jahrenjedoch erhielt die russische Armee davon nicht eineeinzige; die produzierten Waffen wurden ausschließ-lich exportiert.105 Eine der Folgen ist, daß der russi-sche Luftraum nach Ansicht russischer Militärexper-ten nur zu 25 bis 30% geschützt ist � ein Prozentsatz,der sich auf 60% erhöhen ließe, wenn die Luftwaffemit dem neuen System Triumf ausgestattet würde.Gerade dies sei die Zielvorgabe des Staatlichen Rü-stungsprogramms bis 2010 (»Basis bis 2010«).106 Wennim Rahmen von Joint-ventures oder über den Kauf

103 Triumf SAM System to Become Core of Russia�s Air De-fense, in: Interfax-Military News Agency (Interfax-AVN), WeeklyNewsletter (online), 29 (19.7.2002) 44.104 Plotnikov, S-400 [wie Fn. 100]. Auch General Kornukowist der Meinung, daß die Triumf die Basis eines europäischenRaketenabwehrsystems bilden könnte; Prognoz Kornukova[wie Fn. 100]. Der ersten Quelle zufolge hätte das Triumf-System schon im Jahre 2002 in Serie gehen sollen, dazu seies aber aus Geldmangel nicht gekommen.105 Plotnikov, S-400 [wie Fn. 100].106 Ebd.

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fertiger russischer Systeme und Komponenten auchnicht sichergestellt werden kann, daß die russischenStreitkräfte selbst mittels staatlicher Beschaffungs-aufträge modernisiert werden, ließe sich doch dieLeistungsfähigkeit von Teilen des militärisch-indu-striellen Komplexes sichern.

Einer Zusammenarbeit zwischen Rußland und demWesten stehen vermutlich weniger organisatorischeund technologische Probleme in Rußland als vielmehrfinanzielle Hindernisse im Weg. Neu zu entwickelndeRaketenabwehrsysteme sind teuer. Das MEADS-Projektbeispielsweise könnte mehr als 10 Mrd. Euro kosten.Laut der diesem Projekt zugrundeliegenden techno-logischen Machbarkeitsstudie (Risk Reduction Effort/RRE) liegt aber die Obergrenze der finanziellen Ver-pflichtungen des deutschen Anteils (25%) bei lediglichca. 75 Mio. Euro.107

Ohne massive amerikanische Beteiligung ist also aneine Finanzierung von Forschung und Entwicklungsowie an den Aufbau einer Raketenabwehr in Europanicht zu denken. Der sporadisch von Mitgliedern derBush-Administration geäußerte Gedanke, daß ameri-kanische Geldmittel für den Kauf von russischen Rake-tenabwehrsystemen oder ihrer Komponenten zurVerfügung gestellt werden könnten, liegt in Wirklich-keit vermutlich sowohl der Regierung als auch demKongreß fern. Dasselbe trifft für den Technologietrans-fer zu. Nicht von ungefähr heißt es in der Gemein-samen Erklärung der Präsidenten Bush und Putin vom24. Mai 2002, die Prüfung der Möglichkeiten einergemeinsamen Entwicklung von Raketenabwehrtech-nologie solle »unter Berücksichtigung der Bedeutungdes gegenseitigen Schutzes geheimer Informationenund der Gewährleistung geistiger Eigentumsrechte«erfolgen.108

Russische Militärexperten haben infolgedessen zuRecht Zweifel sowohl an der angeblich in der Natozum Aufbau eines europäischen Raketenabwehr-

107 Im Jahre 2001 lauteten die Daten für die MEADS-Finan-zierungsplanung wie folgt: 2001 46,2 Mio. DM; 2002 36,6Mio. DM; 2003 37,9 Mio. DM; 2004 9,6 Mio. DM; TaktischeLuftabwehr: MEADS � Plug and Fight, in: Geopowers (online),9.5.2001, <www.geopowers.com/Machte/Deutschland/Rustung/rustung.html>.108 Sovmestnaja deklaracija Prezidenta V. V. Putina iPrezidenta D�. Busha o novych strategičeskich otno�enijachme�du Rossijskoj Federaciej i Soedinennymi �tatami Ameriki[Gemeinsame Erklärung der Präsidenten V. V. Putin undG. Bush über die neuen strategischen Beziehungen zwischender Russischen Föderation und den Vereinigten Staaten vonAmerika], <http://www.president.kremlin.ru/summit8/s8_doc2ru.html>.

systems erzielten Einigung als auch an der Bereit-schaft der Nato-Staaten geäußert, ein solches zufinanzieren. Sie weisen unter anderem darauf hin,daß die USA sich schon seit Jahren vergeblich darumbemüht haben, die europäischen Nato-Staaten zueiner Erhöhung ihrer Militärausgaben und einerModernisierung ihrer Streitkräfte zu bewegen.109

Kooperationsprogramme der EADS

Im Juli 2001 unterzeichneten die European Aeronau-tic Defence and Space Company (EADS) und die russi-sche Luft- und Raumfahrtagentur Rosaviakosmos inMoskau ein Partnerschaftsabkommen, das die Berei-che zivile Luftfahrt, militärische Transportflugzeuge,Hubschrauber, Kampfflugzeuge und Raumfahrt um-faßt. Weitere Abkommen wurden 2003 geschlossen.Die getroffenen Vereinbarungen sehen unter anderemfolgendes vor:! die Entwicklung und Produktion von Fahrwerken,

Rumpfteilen, Triebwerksaufhängungen und Metall-teilen für die Höhenflosse des Militär-Airbus A400Min Rußland;

! Erstellung einer Machbarkeitsstudie zur Nutzlastund einer Marktstudie für den schweren Hubschrau-ber Mi-38 unter Federführung der EADS-Tochter-gesellschaft Eurocopter und gemeinsame Entwick-lung eines Prototyps;

! Fertigung von Bauteilen für die laufenden Airbus-Programme A320 und den geplanten SuperjumboA380 in Rußland;

! Erstellung einer Machbarkeitsstudie von EADS,Rolls-Royce Deutschland und Irkut zu Produktionund Vermarktung des amphibischen FlugzeugsBe-200;

! Verhandlungen zwischen Eurocopter (eine EADS-Tochtergesellschaft und weltgrößter Hersteller vonHubschraubern) mit Irkut über den Zusammenbauder EC-120- und EC-130-Passagierhubschrauber in Ruß-land;

! Ausbau der bereits existierenden Trägerraketen-Programme (Joint-ventures) Starsem und Eurockot,Starts von Sojus-Trägerraketen vom WeltraumbahnhofKourou in Französisch-Guayana, Erforschung undEntwicklung von Antriebs- und Wiedereintrittstechno-logien und Beteiligung Rußlands am europäischenNavigationssystem Galileo.

109 Solov�ev, Rossija otstupaet [wie Fn. 99].

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Kooperationsprogramme der EADS

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Der Wert der auf einen Zeitraum von zehn Jahrenangelegten Projekte wurde mit mehr als 2 Mrd. Euroangegeben.110

Von besonderer Bedeutung für die Erhaltung derLeistungsfähigkeit der russischen Luft- und Raum-fahrtindustrie, der zivilen als auch der militärischen,ist die dem Abkommen zugrundeliegende Absicht,einige tausend hochqualifizierter Arbeitsplätze in derrussischen Luft- und Raumfahrtindustrie zu sichern.Diesem Ziel diente unter anderem auch die Eröffnungeines Ingenieurzentrums zur Weiterentwicklungder Airbus-Flugzeuge im Juni 2003 und eines Techno-logiebüros der EADS in Moskau im Oktober 2003.111

Die Verlautbarungen von EADS und seiner russi-schen Partner bringen üblicherweise die guten Nach-richten. Die schlechten kommen oft zu kurz. Bewertetman die EADS-Programme und jene anderer west-licher Konzerne kritisch, wird folgendes deutlich:! Bei der Zusammenarbeit in zivilen Bereichen der

Luft- und Raumfahrt gibt es Fortschritte. Dagegenist die Kooperation im militärischen Bereich (dasMiG-29-Programm ausgenommen) nicht vom Fleckgekommen. So ist beispielsweise das russischeUnternehmen Hydromasch in Nischnij Nowgorodals Zulieferer für die zivilen Airbus-Programmetätig und hat Interesse an der Mitarbeit an derA400M bekundet. Da es sich bei letzterem aber umein militärisches Projekt handelt, brauchen diepotentiellen Vertragspartner (EADS und die Kaskol-Holding) die Zustimmung des KWTS. Die läßt aufsich warten.112

! Während die Zusammenarbeit mit russischen Wis-senschaftlern und Ingenieuren Fortschritte macht,werden von russischer Seite für westliche (zivile)Hochtechnologieprodukte (z.B. die Airbus-Program-

110 Daten zum EADS-Rosaviakosmos-Abkommen finden sichbei: EADS und Russische Luft- und Raumfahrtagentur Rosavia-kosmos vereinbaren strategische Partnerschaft, EADS-Presse-mitteilung, Moskau, 2.7.2001, <www.eads.net>; EADS in Rus-sia and the CIS, August 2003, <http://www.eads.net/frame/lang/en/xml/content/OF00000000400004/3/70/504703.html >.111 Das erstgenannte Zentrum in Zusammenarbeit mit demKaskol-Konzern, das zweite in Partnerschaft mit der Rus-sischen Akademie der Wissenschaften; EADS eröffnet Tech-nologiebüro in Moskau, EADS-Pressemitteilung, Moskau,14.10.2003, <http://www.eads.net/frame/lang/de/xml/content/OF00000000400003/6/56/426566.html>.112 Eine der vielen Ungereimtheiten bei diesem Thema:KWTS hat EADS mündliche Zusagen gegeben, daß das Projektin Angriff genommen werden kann. Eine schriftliche Zusagewurde einige Male angemahnt, aber nicht erteilt; Interviewmit dem Leiter des EADS-Büros in Moskau, Joachim Michel(Moskau, 11.12.2003).

me) im wesentlichen nur Rohstoffe und Halbfertig-waren zugeliefert.113

! Grenzen der Zusammenarbeit werden von derbisherigen Struktur und Arbeitsweise des KWTSgezogen, aber auch von der Weigerung der russi-schen Regierung, die Obergrenze von 25% für aus-ländische Beteiligungen an Unternehmen in derLuft- und Raumfahrtindustrie zu beseitigen. DieseWeigerung ist unter anderem der Grund dafür,warum Eurocopter seine Anteile an dem trilate-ralen Joint-venture Euromil (an dem es sogar mit33,3% beteiligt ist; während KWS Kasan und MilMoskau zusammen 66,6% halten) verkaufen undaus dem Unternehmen aussteigen will.114

113 EADS stellt fest: »Over the last few years, [cooperation]has evolved from raw material only to raw material andsemi-finished products« (zit. in: EADS in Russia and the CIS[wie Fn. 110]).114 Lyuba Pronina, Eurocopter Eyes Making Choppers inRussia, in: Moscow Times, 24.10.2003, S. 5.

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Fazit

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Fazit

Die jüngsten Entwicklungen in der russischenRüstungsindustrie, im Waffenexport und bei derrüstungstechnischen Zusammenarbeit ergeben einwidersprüchliches Bild. Das hervorstechende, für Ruß-land typische Merkmal ist die Lücke zwischen An-spruch und Wirklichkeit, zwischen Mißständen undden für ihre Beseitigung zur Verfügung gestelltenMitteln sowie zwischen Absichten, Plänen und Be-schlüssen und ihrer Ausführung. Charakteristisch fürdie Präsidentschaft Putins ist allerdings, daß es eingeschärftes Bewußtsein für existierende Mängel gibt,ebenso wie den Willen, sie zu beheben.

In der Präsidialadministration und der Regierungist man sich durchaus krasser Mißverhältnisse bewußt.Zu diesen gehören:! neue, hauptsächlich von den Vereinigten Staaten

vorangetriebene waffentechnische Entwicklungen,vor allem in den Bereichen Digitalisierung undAutomatisierung von Kontroll-, Aufklärungs- undKommunikationssystemen auf der einen Seite, eingeringer Modernisierungsgrad der russischen Streit-kräfte auf der anderen Seite;

! die Notwendigkeit der Modernisierung der russi-schen Streitkräfte bei gleichzeitig geringen staat-lichen Zuweisungen und Beschaffungsaufträgen;

! ein überdimensionierter, weitverzweigter Rüstungs-komplex mit immer noch rund 1500 Forschungs-und Entwicklungseinrichtungen und Betrieben,von denen bestenfalls einige Hundert etwas Brauch-bares produzieren;

! die Erkenntnis, daß staatliche Regie auch in derRüstungsindustrie wirtschaftlicher Effizienz nichtförderlich ist, dies angesichts der Tatsache, daßStaatsbetriebe und Aktiengesellschaften mit staat-licher Beteiligung in der Realität eine ungebrochenbeherrschende Stellung in Forschung, Entwicklungund Produktion einnehmen und der Export vonWaffen, militärischer Ausrüstung und Dienst-leistungen nahezu ausschließlich von der staat-lichen Rüstungsagentur Rosoboronexport abgewik-kelt wird.Präsident Putin und der für Rüstungsfragen in der

Regierung zuständige Chef der Föderalen Industrie-agentur Aljoschin haben sich bemüht, diese Miß-stände zu beseitigen. Der bisherige Erfolg dieses

Bemühens ist allerdings gering, und die Zukunfts-aussichten sind ungewiß: Die Regierung hat zwar dieAusgaben für Forschung und Entwicklung, Kauf neuerWaffen und Reparaturen für 2003 und 2004 erhöht;im Grunde genommen sind die angesetzten Finanz-mittel aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.Infolgedessen deutet auch wenig darauf hin, daß es inabsehbarer Zeit zu einer nennenswerten Neuausstat-tung der russischen Streitkräfte kommen könnte.

Konzentrationsprozesse im militärisch-industriellenKomplex sind zwar in die Wege geleitet worden, siekommen aber nur schleppend voran. VerschiedeneBetriebe sind mit anderen zusammengelegt, nurwenige aber stillgelegt worden.

Auch bei den Privatisierungsbemühungen sind dieErgebnisse dürftig. Wie erwähnt, hat Aljoschin weit-reichende Pläne zur Zusammenlegung all jener Kon-struktions- und Entwicklungsbüros sowie Betriebeentwickelt, die im Flugzeug- und Flugmotorenbau undbei der Flugelektronik führend sind. Sie sollen ineinem einzigen Avionik-Großkonzern aufgehen. Dermilitärische Teil des Konzerns soll aber »vorerst« instaatlicher Hand bleiben. Rund ein Dutzend Rüstungs-firmen sind autorisiert worden, ihre Produkte undDienstleistungen in eigener Regie zu exportieren, derAnteil derartiger Firmen am Gesamtwaffenexport istim vergangenen Jahr jedoch zurückgegangen.

Auch die Gefahr eines drastischen Rückgangs desRüstungsexports ab 2006 ist keineswegs gebannt. Dasgroße Problem, mit dem die russische Waffenexport-politik dabei zu kämpfen hat, ist weniger die Qualitätdes Angebots. So wäre es übertrieben zu behaupten,daß (1) der zeitliche Entwicklungsabstand bei derHochtechnologie zwischen Rußland und den west-lichen Industriestaaten im militärischen Bereich einganzes Jahrzehnt betrage oder (2) nur Entwicklungs-und Schwellenländer � möglicherweise künftige Groß-mächte � russische Waffen kaufen würden, weil siefinanziell nicht in der Lage oder willens seien, diehohen Preise für Hochtechnologieprodukte der west-lichen Welt, insbesondere der USA, zu zahlen, oder(3) daß sich diese Länder angesichts einer regionalenpolitischen und militärischen Konkurrenz und poten-tiellen Gegnern, die ebensowenig wie sie über diemodernsten Waffen verfügen, mit Kriegsmaterial der

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Fazit

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zweiten Garnitur begnügen würden. Der Aufrecht-erhaltung des gegenwärtigen Volumens des russi-schen Waffengeschäfts sind eher politische Grenzengezogen. Die USA und die europäischen Staatenwollen ihre eigenen Waffen produzieren und expor-tieren; die neuen und alten Mitglieder der Nato über-nehmen diese Waffen für ihre Streitkräfte; und auchSchwellenländer � einschließlich China und Indien �wollen ihre eigene Rüstungsindustrie aufbauen.Dort, wo es theoretisch Möglichkeiten der Wieder-herstellung oder Ausweitung des russischen Waffen-exports gibt (z.B. Irak), verhindert der amerikanischeEinfluß auf die Innen- und Waffenimportpolitik desjeweiligen Landes ihre Verwirklichung. In anderenFällen (z.B. Iran, Syrien) handelt es sich um »Problem-staaten«; Rußland stieße bei Rüstungsexportvorhabenauf amerikanischen Widerspruch, den zu ignorierennegative politische Folgen haben würde, aber auchwirtschaftliche.115

Ähnlich stehen einer Zusammenarbeit zwischen Ruß-land und dem Westen in Rüstungsfragen vermutlichweniger organisatorische und technologische Pro-bleme in Rußland im Weg als innerwestliche politi-sche und finanzielle Hindernisse. Doch sowohl dieAusführung des Abkommens über die Modernisierungder MiG-29 als auch verschiedene Programme derEADS zeigen, daß eine Kooperation mit russischenEinrichtungen politisch sinnvoll und wirtschaftlichrentabel sein kann.

Bewertet man die EADS-Programme und die Pro-gramme anderer westlicher Konzerne kritisch, wirdallerdings folgendes deutlich: Während die Zusam-menarbeit mit russischen Wissenschaftlern und Inge-nieuren gut ist und in zivilen Bereichen der Luft- undRaumfahrt Fortschritte macht, kommt sie im mili-tärischen Bereich kaum voran. Derzeit beschränkt siesich im wesentlichen auf den Einbau westlicher Hoch-technologieprodukte in russische Kampfflugzeuge. Esgibt gleichwohl auch Zulieferungen in umgekehrterRichtung. So liefert das russische Unternehmen Hydro-masch Materialien für die zivilen Airbus-Programme,aber auch für den A400M. Die Produktpalette ist aberbisher eingeschränkt und geht kaum über Rohstoffe,

115 So könnte die amerikanische Regierung beispielsweiseden russischen Raketen- und Weltraumkomplex empfindlichtreffen, wenn sie US-Firmen verbieten würde, weiterhin Satel-liten auf russischen Raketen in den Weltraum transportierenzu lassen � eine Geschäftsbeziehung, die immerhin einenWert von 800 Mio. US-Dollar hat; Bulavinov, Mar�al Sergeev[wie Fn. 70].

Halbfertigwaren und mechanische Komponenten(z.B. Flügelteile und Fahrwerke) hinaus.

Dennoch kann Rüstungskooperation mit RußlandZukunft haben, vor allem dann, wenn westlicheFirmen die richtigen Partner suchen. Einer davon istzweifelsohne der Suchoj-Großkonzern mit seinerVerbindung zu Irkut. Die von diesen beiden Unter-nehmen gebauten Kampfflugzeuge der Su-27- undSu-30-Serien in unterschiedlichen Versionen waren dieVerkaufsschlager im russischen Exportgeschäft. ImGegensatz zu anderen Firmen hat Suchoj-AWPKFinanzmittel aus seinen Geschäften mit China undIndien für betriebsinterne Forschung und Entwick-lung verwendet. EADS, das in der Vergangenheit denMiG-Konzern zum Partner hatte, führt in richtiger Ein-schätzung der Zukunftsaussichten dieses KonzernsGespräche über weitere Gemeinschaftsprojektezur Modernisierung von Kampfflugzeugen bis hin zurgemeinschaftlichen Entwicklung eines Kampfflug-zeugs der fünften Generation.

Für westliche Regierungen gibt es im Rüstungsbereichauf einem Gebiet Handlungsbedarf: dem der Raketen-abwehr. Eine Zusammenarbeit mit Rußland bis hin zueiner Weiterentwicklung und Anschaffung russischerRaketenabwehrsysteme könnte aber wohl nur ineinem zweiten Schritt vereinbart werden. Der erstemüßte darin bestehen, daß sich die europäischenHauptstädte in Abstimmung mit Washington darüberklar werden, wie sie zum Aufbau strategischer (globa-ler) oder nicht-strategischer Raketenabwehrsysteme(in Europa) stehen. Erst dann könnte darüber entschie-den werden, welche Firmen und welche Länder anentsprechenden Rüstungsprojekten beteiligt werdensollten. Ansonsten ist nicht zu sehen, wo westlicheRegierungen tätig werden müßten. Nicht zuletzt umder Gefahr zu entgehen, in den internen russischenAuseinandersetzungen die falschen Signale zu setzen,sollten sich westliche Regierungen weitgehend ausdiesem Bereich heraushalten und der Privatindustriedas Feld überlassen.

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Abkürzungen

SWP-BerlinRußlands RüstungsindustrieApril 2004

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Abkürzungen

ABC Atomar, Biologisch, ChemischAMC Airbus Military CompanyANPK Aviacionnyj naučno-promy�lennyj kompleks (Wissen-

schaftlicher und Produktionskomplex für Luftfahrt),wie beispielsweise in ANPK Irkut

AWPK Aviacionnyj voenno-promy�lennyj kompleks (Mili-tärisch-industrieller Komplex der Luftfahrt), wiebeispielsweise in AWPK Suchoj

CAST Centr analiza strategij i technologij (Zentrum für dieAnalyse von Strategien und Technologien), regie-rungsunabhängige Forschungsinstitution, Moskau

CEO Chief Executive OfficerCIA Central Intelligence AgencyDASA Daimler-Benz Aerospace AGDIW Deutsches Institut für WirtschaftsforschungEADS European Aeronautic and Space CompanyFAPSI Federal�naja agenstvo pravitel'stvennoy svjazi i

informacii (Föderale Agentur für Regierungs-kommunikation und Information beim Präsidentender Russischen Föderation)

FAZ Frankfurter Allgemeine ZeitungFSB Federativnaja slu�ba bezopasnosti (Föderaler Sicher-

heitsdienst)GPS Global Positioning SystemGUS Gemeinschaft Unabhängiger StaatenIAEA International Atomic Energy AgencyIISS International Institute for Strategic Studies, LondonKBP Konstruktorskoe bjuro prioborostroenija (Entwick-

lungsbüro für Instrumente), ansässig in TulaKnAAPO Komsomol�skoe-na-Amure aviacionnoe proizvodst-

vennoe ob��edinenie (Komsomolsk-am-Amur Flug-zeug-Produktionsassoziation), Teil des Suchoj-Kon-sortiums, Hersteller u.a. der KampfflugzeugeSu-30MKI, Su-MKK und Su-30MK2

KWS Kazanskij vertolëtnyj zavod (Kasan-Hubschrauber-werk)

KWTS Kommissija po voenno-techničeskogo sotruničestvo(Komitee für militärisch-technische Zusammen-arbeit), Vergabe- und Kontrollinstanz für Rüstungs-exporte und Rüstungskooperation mit dem Ausland

MAPS MiG Aircraft Product Support CompanyMEADS Medium Extended Air Defense SystemMiG OKB imeni A. I. Mikojana i M. I. Gureviča (Vereinigtes

Konstruktionsbüro namens A. I. Mikojan und M. I.Gurevitsch)

MIK Militärisch-industrieller Komplex (russ. VPK und OPK)MTCR Missile Technology Control RegimeNato North Atlantic Treaty OrganizationNMD National Missile DefenseNPO Naučno-proizvodstvennoe ob��edinenie (Wissenschaft-

liche und Produktionsvereinigung)NVO Nezavisimoe voennoe obozrenie (Unabhängige Über-

sicht für Militärfragen), Wochenausgabe der Tages-zeitung Nezavisimaja gazeta

OAK Ob��edinënnaja aviacionno-stroitel�naja korporacija(Vereinigte Flugzeug-Herstellungsgesellschaft),geplanter Großkonzern für die Luft- und Raum-fahrtindustrie

ODKB Organizacija dogovora o kollektivnoj bezopasnosti(Organisation des Vertrags über kollektive Sicher-heit); organisatorischer Zusammenschluß von Teil-nehmerstaaten der Gemeinschaft UnabhängigerStaaten (GUS)

OKB Ob��edinënnoe konstruktorskoe bjuro (VereinigtesKonstruktionsbüro), wie beispielsweise in OKB MiG

OPK Oboronno-promy�lennyj kompleks (Verteidigungs-industrieller Komplex), Rüstungswirtschaft

PO Proizvodstvennoe ob��edinenie (Produktionsvereini-gung), wie beispielsweise in Ufa-Motoren-PO

PPP Purchasing Power ParityRostvertol Rostovskij vertolëtnyj zavod (Rostow-Hubschrauber-

werk)RSK Rossijskaja samolëtostroitel�naja korporacija (Russi-

sche Flugzeugbaukorporation), wie beispielsweise inRSK MiG

SWOP Sovet po vne�nej i oboronnoj politike (Rat für Außen-und Verteidigungspolitik), Forum von Mitgliederndes Establishments, die an außen- und sicherheits-politischen Fragen interessiert sind. Koodinator derSWOP-Aktivitäten ist Sergej Karaganow

TBM Theater Ballistic MissileUN United NationsVIK Verteidigungsindustrieller Komplex (russ. OPK)VPK Voenno-promy�lennyj kompleks

(Militärisch-industrieller Komplex)