Hans Waldenfels Sein Name ist Franziskus · Druckdaten Waldenfels, Franziskus (76639).indd 9 03.02.14 10:48. Vorwort 10 chen Gemächer und sein Wohnen in Santa Marta, seine Betonung

Hans Waldenfels Sein Name ist Franziskus

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Hans Waldenfels

Sein Name ist FranziskusDer Papst der Armen

Ferdinand Schöningh


Umschlagabbildung: Papst FranziskusAgência Brasil© Licença Creative Commons Atribuição 3.0 Brasil (wiki commons)

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© 2014 Ferdinand Schöningh, Paderborn(Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)

Internet: www.schoeningh.de

Einbandgestaltung: Anna Braungart, TübingenSatz: Martin Mellen, BielefeldPrinted in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn

ISBN 978-3-506-76639-7


Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Kapitel 1 Die geistlichen Quellen: Jesuitische Inspiration . . . . . 13

Eine Überraschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Das Wappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Die Quelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17»Unser Glaube ist Kampf « . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19Unterscheidung der Geister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22»Sentire cum Ecclesia« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Kapitel 2 Die neue Balance der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Die Intention des Papstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27Eine neue Weise des Sprechens . . . . . . . . . . . . . . . . 28Das Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29Gesten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Lebensmeister – Lesemeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Kapitel 3 Im Umfeld der Mystik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Zeit der Mystik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37»Mystik« bei Papst Franziskus . . . . . . . . . . . . . . . . . 38Zur Sprache der Mystik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42Mystagogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44Im interkulturell-interreligiösen Kontext . . . . . . . . . 47Einheit der Mystik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Kapitel 4 »An die Grenzen menschlicher Existenz«: Evangelisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53»Neuevangelisierung«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53Evangelisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54Ein Aktionsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

Sehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58Urteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Die Kirche, Träger der Evangelisierung . . . . . . . . . . 62


Drei Bereiche kirchlichen Handelns . . . . . . . . . . . . 64Kerygma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65Liturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67Diakonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Kapitel 5 »Ganz unten anfangen«: Die Kirche . . . . . . . . . . . . . 71»Ein Feldlazarett« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71Kirche in Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73Volk Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75Konturen einer kommenden Kirche? . . . . . . . . . . . . 78

»Laien« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79Heilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81»Geh-Kirche« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81»Dezentriert« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Von der Basis her . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85Ort der Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

In bleibender Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

Kapitel 6 Sein Name ist Franziskus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91Der Name . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91Der Papstname . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92Die Namenswahl von Papst Franziskus . . . . . . . . . . 92Der Name – ein Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94Gotterfahrung in der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96Das Evangelium leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99Die Armut lieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105Der Ruf nach Armut auf dem Konzil . . . . . . . . . . . 107

Der Kirche und den Menschen dienen . . . . . . . . . . 111

Nachwort »Evangelii gaudium« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115Mut zur Selbstbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116»Im Aufbruch« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

»Geh«-Kirche – »Kirche mit offenen Türen« . . . . . 118Der Traum des Papstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119Mehr Freude und Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120Stunde der »Mystik« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121Die Laien, die Frauen und das ganze Volk Gottes . . 122

Evangelisierung im heutigen Kontext . . . . . . . . . . . 124


Die Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125Die Kulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127Volksfrömmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129Geld und Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131»Arme Kirche für die Armen« . . . . . . . . . . . . . . . . 134Die Schwachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136Ruf nach Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

Und Franziskus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

Anhang 1 Kardinal Giacomo Lercaros Intervention von 1962 . . 141

Anhang 2 Katakombenpakt: »Für eine dienende und arme Kirche« . . . . . . . . . . . 145

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153



Vorwort 9

Vorwort

Das Jahr 2013 wird mit zwei Daten sicher in die Geschichte der katholischen Kirche eingehen: 11. Februar und 13. März 2013.

Am 11. Februar 2013 verkündete Papst Benedikt XVI. zum Ende desselben Monats seinen Rücktritt vom Amt des obersten Hirten der Kirche, – ein Ereignis, das es seit Papst Cölestin V. im Jahre.1294 nicht mehr gegeben hat. Mehrere Ereignisse, die das Innere der Kir-che nachhaltig erschüttert hatten, waren der Entscheidung vorausge-gangen. Dabei handelt es sich nicht nur um das sexuelle Fehlverhal-ten zahlreicher Kleriker an Jugendlichen in den USA, Irland, Mexiko und schließlich im Heimatland des Papstes Deutschland. Rom selbst war von schweren Skandalen betroffen. Verdächtigungen gab es seit langem im Hinblick auf finanzielle Transaktionen des Vatikans. Das Vertrauen des Papstes wurde nachhaltig beschädigt durch die indis-krete Verbreitung interner Informationen. Zudem deckte der Müns-teraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf einen höchst kriminellen Fall auf, der sich im 19. Jahrhundert in einem römischen Nonnenkloster abgespielt hat und nicht zuletzt den einflussreichen Konzilstheolo-gen Joseph Kleutgen in hohem Masse belastete1. Bedenkt man, dass Kleutgen eine wichtige Rolle in der Ausbildung der Neuscholastik und im Vorfeld des Ersten Vatikanischen Konzils gespielt hat, auf dem die Unfehlbarkeit des Papstes und sein Jurisdiktionsprimat fei-erlich verkündet wurden, kann man die Erschütterungen gut nach-vollziehen, die die Entdeckungen in den vatikanischen Archiven ausgelöst haben müssen.

Das zweite einschneidende Datum war der 13. März 2013. Gegen alle journalistischen Prognosen und Spekulationen ging der argen-tinische Kardinal Jorge Mario Bergoglio in kurzer Zeit aus dem Kon-klave als Papst hervor, erstmals ein Lateinamerikaner und Jesuit; der sich zudem völlig unerwartet den Namen des umbrischen Franzis-kus von Assisi zulegte. Obwohl er wohl schon beim vorausgegange-nen Konklave eine Rolle gespielt haben muss, war der Lateinameri-kaner italienischer Herkunft in unseren Breiten weithin unbekannt. Auffallend waren seine ersten Aktionen, die eher »weltliche« Form seiner ersten Präsentation auf der Loggia von St. Peter, seine Selbst-vorstellung als »Bischof von Rom«, seine Bitte um den Segen und das Gebet des Volkes vor der Spendung seines eigenen Segens, sein Verbleiben in der Nähe der Menschen im Verzicht auf die päpstli-


Vorwort 10

chen Gemächer und sein Wohnen in Santa Marta, seine Betonung eines einfachen Lebensstils in Kleidung und im Umgang mit seiner Umgebung, sein Eintreten für »eine arme Kirche der Armen«. All das fand Ausdruck in der Wahl seines Namens »Franziskus«.

Es hat sich ergeben, dass ich im Herbst 2013 wiederholt die Gestalt des neuen Papstes zu besprechen hatte. Das war Anlass, dass ich mich sehr früh mit den anfangs spärlichen Publikationen von ihm und über ihn befassen musste. Es zeigte sich aber bald, dass sich aus dem, was aus Argentinien mitgeteilt wurde, sehr schnell ein erstes Profil erstellen ließ, das sich in der Folgezeit immer mehr bestätigte und deutlichere Konturen annahm. So ergab sich aus den vorgetragenen Texten am Ende ein erstes geordnetes Ganzes. Die Tatsache, dass die ersten vier Kapitel aus Vorträgen entstanden sind, bringt es mit sich, dass einige wichtige Papstzitate sich wiederholen.

Am Anfang steht die Beschäftigung mit den Quellen, aus denen der Jesuit auf dem Stuhl Petri lebt. In seinem Interview mit dem Chefredakteur der römischen Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica Antonio Spadaro fand sich ein Wort des Selbstverständnisses, das sich die Frankfurter Allgemeine (F.A.Z.) zu eigen machte: Der neue Papst ringt um eine »neue Balance« – offensichtlich zwischen Theo-rie und Praxis, Leben und Lehre. Die Lebenswelt, in der Papst Fran-ziskus in seinem gläubigen Vollzug beheimatet ist, bezeichnet er als »mystisches Umfeld«, – eine Bezeichnung, die an das Mystikver-ständnis seine Ordensbruders Karl Rahner erinnert, der unter »Mys-tik« wesentlich das Suchen und Finden Gottes im Alltag des Lebens versteht. Die »Mystik der offenen Augen« richtet sich aber stets an die Menschen mit der Aufforderung, das Evangelium zu leben und zu künden. »Evangelisierung« ist der Auftrag, den jeder Christ aus seiner persönlichen Gottesbegegnung empfängt.

Die Betonung des je eigenen Christseins verleiht den Zukunfts-konturen der Kirche neuen Ausdruck. Papst Franziskus ist ein Mann des Konzils, der als solcher zunächst selbst Mitglied des Volkes Got-tes ist. Bei allen Verwundungen, unter denen die Kirche heute leidet, betont er aufs Neue die Verantwortung der Laien, den Aufbau der Kirche »ganz von unten«, den Auftrag hinauszugehen an die Ränder der Welt und der menschlichen Gesellschaft bis zu den Ärmsten – und diese nicht nur im materiellen, sondern auch im spirituellen Sinn.

»Er nennt sich Franziskus.« »Sein Name ist Franziskus.« Die verschiedenen Beobachtungen lassen sich im Blick auf den Heiligen aus Assisi in diesem Namen zusammenfassen. Dieser Name wird


Vorwort 11

tatsächlich zum Programm – wie wir hoffen: einer Erneuerung der Kirche. Das alles aber fand dann nochmals deutlichen Ausdruck im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium, das Ende November 2013 erschien, als dieses Buch fertig war; es musste in einem Nach-wort gewürdigt werden.

Dieses Vorwort ist in Hongkong geschrieben worden. Hongkong ist eine der faszinierendsten Hafenstädte der Welt. Die Engländer wussten, warum sie 1843 dieses Eingangstor zum großen Kontinent China zu einer Kronkolonie machten. Seit 1997 gehört Hongkong wieder zu China, spielt aber aufgrund der ausgehandelten Privile-gien im Sinne des Slogans »Ein Land, zwei Systeme« heute eine aus-gezeichnete Rolle als Brückenkopf nach China.

Das äußerst lebendige Bistum Hongkong mit einer halben Million Gläubigen unter über 7 Millionen Einwohnern besteht seit 1946 und wird seit 1969 von chinesischen Bischöfen geleitet. Ich wohne in diesen Tagen im Holy Spirit Study Center mit Kardinal John Tong unter einem Dach. Der Kardinal lebt ein Papst Franzis-kus ähnliches Leben. Er bewohnt wie die Seminaristen ein kleines Zimmer im Seminar, teilt mit ihnen den Tisch und verhält sich wie einer der Anwesenden, fährt tagsüber mit seinem Wagen ins Büro in die Stadt oder wo immer er sich mit den Menschen treffen muss, in die Gemeinden, zu den Mitarbeitern, zu den Menschen, die ihn brauchen.

Das Buch über Papst Franziskus möchte ich Kardinal John Tong widmen, dem ich im Laufe der Jahre immer wieder begegnet bin und mit dem ich die Sorge um die Kirche, auch die Kirche Chinas teile. Gerade hier wird deutlich: Die Kirche wird wesentlich dadurch überleben, dass sie sich bemüht, die Gestalt einer Nachfolgegemein-schaft Jesu anzunehmen. Dazu ruft uns die Lebensgestalt des ers-ten Papstes von der anderen Seite der Welt auf, – der Papst, der sich »Franziskus« nennt.

Hongkong, am Fest Allerheiligen der Gesellschaft Jesu.6. November 2013

Hans Waldenfels SJ



Eine Überraschung 13

Kapitel 1

Die geistlichen Quellen: Jesuitische Inspiration2

Eine Überraschung

Die Papstwahl am 13. März 2013 war voller Überraschungen: Erst-mals wurde ein Lateinamerikaner zum Papst gewählt, erstmals seit langer Zeit ein Ordensmann, erstmals überhaupt ein Jesuit, und die-ser nahm den Namen eines anderen Ordensgründers an. Jorge Mario Bergoglio aus Argentinien wählte den Namen des Franzskus von Assisi und nannte sich »Franziskus«, und auch das geschah zum ers-ten Mal in der Geschichte des Papsttums (vgl. Batlogg / Kuster, 13–23).

Angesichts der vordergründigen Unübersichtlichkeit ist es angebracht, nach den geistlichen Quellen seines Lebens zu fragen und diese mit seinem Verständnis von Evangelisierung zu verbin-den. Denn unbestritten ist Evangelisierung die zentrale Botschaft und Aufgabe seines Lebens. Doch gleich hier ist anzumerken: Das Attribut »neu« wird zwar heutzutage gerne der »Evangelisierung« beigegeben; bei Papst Franziskus habe ich aber zwar vieles über die Evangelisierung gefunden (vgl. Kap. 4) doch die Steigerung: »neue Evangelisierung« kommt höchstens marginal vor3. Dieser Sprachge-brauch ist seit der Spätzeit Benedikts XVI. und der von ihm einberu-fenen Bischofssynode 2012 aufgekommen, weil in den knapp 30 Jah-ren seit dem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi, das Papst Paul VI. im Anschluss an die Bischofssynode 1974 am 8. Dezember 1975 veröffentlichte, die Evangelisierung in Europa keinen wirkli-chen Aufschwung genommen, sondern die Kirche in ihrem Bestand und ihrem Einfluss eher weiter verloren hat. Ob freilich ein neuer Begriff fähig ist, einer Sache neuen Schwung zu verleihen, die unbe-stritten zum Wesen christlicher Selbstverwirklichung gehört, ist mehr als fragwürdig.

Nun geht es im Folgenden nicht zunächst darum, wie Papst Fran-ziskus die Evangelisierung sieht, sondern woraus er lebt. Weil er den Namen »Franziskus« gewählt hat, stellt sich die Frage, ob und wie sich in seinem Denken und Handeln die Inspiration seines Ordens wiederspiegelt oder ob er nicht vielleicht mit diesem Namen eher von seinem Orden abrückt. Das ist definitiv nicht der Fall. Glück-


Die geistlichen Quellen: Jesuitische Inspiration 14

licherweise gibt es schon in dem, was wir in den frühen Monaten seines Pontifikats von ihm wissen, hinreichende Spuren und Hin-weise, die eine Antwort ermöglichen. Diese haben inzwischen eine eingehende Bestätigung in einem Interview gefunden, das Papst Franziskus im August 2013 – stellvertretend für zahlreiche andere Jesuitenzeitschriften in der ganzen Welt – dem Chefredakteur der römischen Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica P. Antonio Spadaro gegeben hat und das von den Stimmen der Zeit in deutscher Sprache veröffentlicht wurde und als kleines Buch mit einer Einführung von Andreas R. Batlogg erschienen ist (vgl. Interview). Die bleibende Ver-ankerung des Papstes in der Gesellschaft Jesu ist dabei nicht mehr zu übersehen.

Das Wappen

Ein guter Einstieg ist ein Blick auf sein Wappen. Schon dessen Gestaltung enthält einen deutlichen Hinweis auf seine Herkunft und ein klares Bekenntnis zu seinem Orden. Das Wappenschild zeigt auf tiefblauem Grund das Emblem der Gesellschaft Jesu: eine goldene Sonne mit dem verkürzten Jesusmonogramm: IHS, durchzogen von einem Kreuz, an dessen Ende drei Nägel. Hinzugefügt sind außer-dem ein Stern und eine Blüte, die als Symbole für Maria und Joseph stehen und die Gesamtsymbolik zu einem Hinweis auf die heilige Familie machen. Der blaue Untergrund erhält zumeist eine doppelte Deutung. Einmal gilt er als Farbe der Gottesmutter, dann als Verweis auf die argentinische Heimat des Papstes, deren Flagge übrigens wie das Jesuitenemblem in der Mitte eine strahlende Sonne zeigt, – Erin-nerung an die Inka-Mythologie. Neu ist in diesem päpstlichen Wap-pen die Hinzufügung des bischöflichen Wahlspruchs: »Miserando atque eligendo«, der Beda Venerabilis zugeschrieben wird: »Durch Erbarmen und Erwählung.«

Das ursprünglich der griechischen Schreibweise entlehnte gekürzte Jesus-Monogramm, das im Laufe der Zeit verschiedene Ausdeutungen erfahren hat, ist seit den Tagen des heiligen Ignatius in Gebrauch und Ausdruck der bewussten Zugesellung der Mitglie-der der Societas Jesu zum Schicksal Jesu und seiner Nachfolge. Mit der Einfügung dieses Monogramms in sein Wappen bekennt sich der Papst einmal zum menschgewordenen Gottessohn, zugleich aber auch bleibend zu der Ordensgemeinschaft, in die er 1958 21jäh-rig eingetreten ist und an die er sich mit 32 Jahren 1973 durch die


Das Wappen 15

Ablegung der feierlichen Professgelübde für sein Leben gebunden hat. Schon kurz danach nahm er 1974/5 als Provinzial der argentini-schen Provinz an der 32. Generalkongregation teil, die in Rom unter dem damaligen Generaloberen Pedro Arrupe sich mit den Antworten der Gesellschaft Jesu auf die Anforderungen unserer Zeit befasste. Wegweisende Dekrete formulierten die Sendung des Ordens heute, seinen Einsatz für den Glauben und die Gerechtigkeit sowie den Ruf nach Inkulturation des christlichen Glaubens und Lebens.

Ein deutliches Zeichen seiner inneren Verankerung in der Gesell-schaft Jesu setzte Papst Franziskus am 31.Juli 2013, dem Fest des heiligen Ignatius. An diesem Tag im ersten Jahr seines Pontifikats besuchte er die römische Kirche Il Gesù mit dem Grab des Grün-ders, der Armreliquie des heiligen Franz Xaver, dem Gnadenbild der Madonna della Strada und dem Grab von P. Arrupe. Franz Xaver und Pedro Arrupe erwähnte der Papst dann ausdrücklich in der Predigt des Festgottesdienstes.

Die Predigt begann mit einem Hinweis auf das Monogramm. Papst Franziskus deutete es auf folgende Weise von einer lateini-schen Version her4:

»Das Zeichen von uns Jesuiten ist ein Monogramm, das Akronym für ›Iesus Hominum Salvator‹ (IHS) [= Jesus der Menschen Erlöser – HW]. Jeder von euch wird mir sagen: Das wissen wir sehr wohl! Aber dieses Zeichen erinnert uns ständig an etwas, was wir nie vergessen dürfen: die Zentralität Christi für jeden von uns und die gesamte Gesellschaft Jesu, von der der heilige Ignatius wollte, dass sie mit dem Namen Jesu benannt werde, um ihren Bezugspunkt zu zeigen. Im Übrigen stellt er uns von Beginn der Geistlichen Übungen an vor unseren Herrn Jesus Christus, vor unseren Schöpfer und Erlöser (EB Nr. 5). Das bringt uns Jesuiten und die ganze Gesellschaft dazu, ›dezentral‹ zu sein, vor dem immer größe-ren Christus zu stehen, dem ›Deus semper maior‹ (= dem immer größeren Gott), ›intimior intimo meo‹ (= innerlicher als mein Innerstes), der uns immer aus uns selbst herausführt, in eine Kenosis, ein ›Herausgehen aus der Eigenliebe, dem Eigenwillen und Eigeninteresse‹« (EB Nr.189).

Die »Dezentralität« des Jesuiten betont der Papst sehr ausdrücklich erneut in seinem Interview mit P. Antonio Spadaro:

»Die Gesellschaft Jesu ist eine Institution, die sich in Spannung, immer radikal in Spannung befindet. Der Jesuit ist dezentriert: Die Gesellschaft Jesu in sich selbst ist dezentriert. Ihr Zentrum ist Christus und seine Kir-che. Also: Wenn die Gesellschaft Jesu Christus und die Kirche als Mitte hat, besitzt sie zwei fundamentale Bezugspunkte für ihr Gleichgewicht, um an den Rändern der Gesellschaft zu leben. Wenn die Gesellschaft Jesu jedoch ihren Blick allzu sehr auf sich selbst richtet, stellt sie sich als


Die geistlichen Quellen: Jesuitische Inspiration 16

sehr solide, gut gewappnete Struktur in den Mittelpunkt und läuft damit Gefahr, sich sicher und selbstgenügend zu fühlen. Die Gesellschaft Jesu muss immer den Deus semper maior vor sich haben, die Suche nach der immer größeren Ehre Gottes; sie muss vor sich haben die Kirche, die wahre Braut Christi unseres Herrn Christus des Königs, der uns gewinnt und dem wir unsere ganze Person und unser ganzes Schicksal aufopfern, obwohl wir nur unzureichende tönerne Gefäße sind. Diese Spannung führt uns ständig aus uns selbst heraus. Was die dezentrierte Gesellschaft wirklich stark macht, ist dann das zugleich väterliche und brüderliche Mittel der Gewissensrechenschaft, weil es ihr eben hilft, in die Sendung hinauszugehen.« (Interview, 34f.)

Mit gutem Grund gehört zu den auffälligsten Unterschieden in der Bezeichnung des Jesuitenordens, dass Jesuiten nicht wie Benedikti-ner, Dominikaner oder auch Franziskaner sich nach ihrem Ordens-gründer nennen, sondern in ihrem Namen die Hinordnung auf Jesus den Gekreuzigten zum Ausdruck bringen. Jesuiten wollen socii Iesu, Weggefährten Jesu, sein. Dass die Buchstaben IHS das Kreuz durchzieht und die Nägel auf die grausame Hinrichtung Jesu am Kreuz verweisen, macht die Bereitschaft zum Äußersten deutlich. Zu diesem entscheidenden Moment des Lebens Jesu bekennt sich der jetzige Papst immer wieder.

Die Bereitschaft zum Äußersten zeigte sich in seinem Leben schon darin, dass er, wie es von der ersten Stunde an bei Jesuiten üblich war, sich für den Einsatz in der Weltmission meldete. Die Bereitschaft, geographisch an die Ränder der Welt zu gehen, ver-sinnbildeten in der Frühzeit der Gesellschaft Jesu Petrus Canisius (1521–1597), der in den Ländern der Reformation tätig wurde, und Franz Xaver (1506–1552), den es nach Asien, nach Indien, Südost-asien, später nach Japan und am Ende des Lebens Richtung China zog, – ein Ziel, das er bekanntlich nicht mehr erreichte; Franz Xaver starb im Angesicht des chinesischen Festlands. Jorge Bergoglio war es schon aus gesundheitlichen Gründen nicht vergönnt, ihm in die-ser Sendung zu folgen. In seinem Interview fügt er einen anderen Jesuiten der ersten Stunde hinzu, Peter Faber (1506–1546); an ihm imponiert ihm:

»Der Dialog mit allen, auch mit den Fernstehenden und Gegnern, die schlichte Frömmigkeit, vielleicht eine gewisse Naivität, die unmittelbare Verfügbarkeit, seine aufmerksame innere Unterscheidung, die Tatsache, dass er ein Mann großer und starker Entscheidungen und zugleich fähig war, so sanftmütig, so sanftmütig zu sein…« (Interview, 39)5

Der Papst reihte am 17. Dezember 2013, seinem Geburtstag, Peter Faber unter die Heiligen der Gesellschaft Jesu ein.


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