Hartmut Kaelble_Historischer Vergleich

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  • 7/25/2019 Hartmut Kaelble_Historischer Vergleich

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    Historischer Vergleich

    von Hartmut Kaelble

    Der historische Vergleich hat sich in den vergangenen vierzig Jahren stark vern-dert. Das gilt fr seinen Stellenwert innerhalb der Geschichtswissenschaft ebenso wie

    fr seine Anwendung in der Forschungspraxis, fr die Vergleichsrume ebenso wiefr Vergleichszeitrume, fr die Themen von historischen Vergleichen ebenso wie frdie Methoden und die Zugnge, fr die Anste aus anderen Wissenschaftsdiszipli-nen ebenso wie fr die wissenschaftstheoretische Verankerung. Der Artikel beginntmit Definitionen des historischen Vergleichs und widmet sich seinem Wandel in derGeschichtswissenschaft, skizziert die Debatten und Forschungen ber den historischenVergleich und benennt am Ende zentrale Problemstellungen und Perspektiven.

    Was ist der historische Vergleich?

    Unter dem historischen Vergleich versteht man blicherweise die systematische Ge-genberstellung von zwei oder mehreren historischen Einheiten (von Orten, Regionen,Nationen oder Zivilisationen, auch historische Persnlichkeiten), um Gemeinsamkei-ten und Unterschiede, Annherungen und Auseinanderentwicklungen zu erforschen.Dabei geht es nicht nur darum, diese zu beschreiben, sondern sie auch zu erklren undTypologien zu entwickeln. Die grundstzliche Trennung von John Stuart Mill zwischender Methode der Differenz und der Methode der bereinstimmung, d.h. der Analysevon Unterschieden oder der Analyse von Parallelen schrft sicher unseren Blick, wur-de aber in dieser Grundstzlichkeit vom historischen Vergleich nicht bernommen.1

    Dennoch verschliet er sich keiner der beiden Zugriffe.Allerdings befasste sich der historische Vergleich in der Praxis sehr oft eher mit Un-

    terschieden. Groe Debatten von Historikern etwa ber den American exceptionalism,

    ber dieexception franaise

    , ber die Sonderentwicklung Grobritanniens, ber die Be-sonderheiten der Wirtschaft Japans oder ber den deutschen Sonderwegdrehten sichganz um Differenzen. Manchmal ist daraus sogar der Schluss gezogen worden, dass

    1 John Stuart Mill, A System of Logic, Ratiocinative and Inductive. Being a Connected View of the Prin-ciples of Evidence, and the Methods of Scientific Investigation, London 1843.

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    der historische Vergleich seinem Wesen nach auf Unterschiede ausgerichtet sei .2 Inletzter Zeit tritt dieses Argument zurck, wozu auch der Trend zur Globalgeschichteund zur Geschichte derGlobalisierung,aber auch der vernderte bilaterale innereuro-pische Vergleich im Zuge derEuropisierungbeigetragen haben. Die beiden groen

    Bcher zur Globalgeschichte des langen 19. Jahrhunderts von Jrgen Osterhammel undChristopher A. Bayly sind beeindruckende Beispiele fr die vergleichende Suche nachUnterschieden, aber auch nach Gemeinsamkeiten. Die neuesten Bnde der deutsch-franzsischen Geschichte sind weit weniger von der Auseinandersetzung mit nationa-len Unterschieden geprgt als die Forschung vor dreiig Jahren.3

    Der historische Vergleich ist nicht uniform und schliet eine groe Vielfalt von Zu-gngen ein. Dabei kann der historische Vergleich Flle aus derselben Epoche, aber auchaus unterschiedlichen historischen Epochen untersuchen. Er kann international sein,aber auch innerhalb eines Landes Regionen, Orte, auch Familien oder Persnlichkeitenvergleichen. Er kann sich auf Flle derselben Kultur beschrnken, wie dies der Alt-meister des historischen Vergleichs Marc Bloch forderte,4 aber auch Flle aus ganz un-

    terschiedlichen Zivilisationen gegenberstellen, wie dies etwa in der groen Debatteber den Aufstieg Europas und das Zurckbleiben Chinas im 18. und 19. Jahrhundertgeschieht.5 Er kann die Vergleichsflle in gleicher Intensitt untersuchen oder aber imasymmetrischen Vergleich einen Fall in das Zentrum stellen und nur kurze vergleichen-de Blicke auf andere Flle werfen. Er kann nur zwei Flle oder eine grere Zahl vonFllen vergleichen, die allerdings in der Regel doch dadurch begrenzt ist, dass sich His-toriker darum bemhen, jeden Vergleichsfall in seinen historischen Kontext einzuord-nen. Wenn man mit einem vergleichenden historischen Projekt beginnt, ist es wichtig,sich die Vielfalt der Optionen zu vergegenwrtigen.

    Es ist versucht worden, Unterschiede zwischen Vergleichen zu typologisieren. DieIntentionen bei historischen Vergleichen kann man in drei Typen fassen: den analy-

    tischen Vergleich, der Erklrungen fr ein historisches Phnomen durch die verglei-chende Analyse unterschiedlicher Flle entwickelt; den kontrastiven aufklrenden Ver-

    2 Jrgen Kocka, Asymmetrical Historical Comparison. The Case of the German Sonderweg, in: Historyand Theory 38 (1999), S. 40-51; Jrgen Kocka, Historische Sozialwissenschaft heute, in: Manfred Hett-ling/Paul Nolte u.a. (Hrsg.), Perspektiven der Gesellschaftsgeschichte, Mnchen 2000, S. 5-24; ArndBauerkmper, Geschichtsschreibung als Projektion: Die Revision der Whig Interpretation of Histo-ry und die Kritik am Paradigma vom deutschen Sonderweg seit den 1970er Jahren, in: Stefan Ber-ger (Hrsg.), Historikerdialoge: Geschichte, Mythos und Gedchtnis im deutsch-englischen kulturellenAustausch, Gttingen 2003, S. 383-483; Bernd Weisbrod, Der englische Sonderweg in der neuerenGeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 16 (1990), S. 233-252; Peter Baldwin, The Narcissism ofMinor Differences: How America and Europe Are Alike, Oxford 2009.

    3 Jrgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Ein Geschichte des 19. Jahrhunderts, Mnchen 2009;Christopher A. Bayly, Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780-1914, Frankfurt a. M.2006. Der vernderte Zugang zum deutsch-franzsischen Vergleich wird besonders deutlich in: HlneMiard-Delacroix, Deutsch-franzsische Geschichte. 1963 bis in die Gegenwart, Darmstadt 2011.

    4 Marc Bloch, Pour une histoire compare des socits europennes (1928), in: Marc Bloch, Mlangeshistoriques, Bd. 12, hg. von Charles-Edmond Perrin, Paris 1963, S. 16-40.

    5 Vgl. Kenneth Pomeranz, The Great Divergence: China, Europe, and the Making of the Modern WorldEconomy, Princeton 2001; Andre G. Frank, ReOrient: Global Economy in the Asian Age, Berkeley 1998;

    Jrgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, Kap. 12.

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    gleich, der sich etwa mit der Entwicklung der Demokratie oder den Menschenrechtenbefassen kann und ihrer historischen Durchsetzung in den einen Lndern, ihr histori-sches Scheitern in anderen Lndern gegenberstellt und erklrt; den verstehenden undgleichzeitig distanzierenden Vergleich, der andere Lnder durch den historischen Ver-

    gleich mit dem eigenen Land besser zu verstehen versucht und gleichzeitig damit auchdas historische Selbstverstndnis des eigenen Landes aus anderer Perspektive siehtund revidiert.6 Eine andere Typologie geht von dem Grundgegensatz zwischen demindividualisierenden Vergleich, der den Einzelfall in das Zentrum stellt und von denmeisten Historikern betrieben wird, und dem generalisierenden Vergleich aus, dem esum generelle Entwicklungen geht. Der Sozialwissenschaftler Charles Tilly hat dazu ineiner inzwischen klassischen, oft zitierten Typologie vier Vergleichstypen unterschie-den: den individualisierenden Vergleich, der die Besonderheiten zweier oder wenigerFlle herausarbeitet; den einschlieenden Vergleich, der Teile eines greren Ganzenwie etwa die Kolonien eines Imperiums vergleicht; den Variationenvergleich, der sichauf die Varianten eines allgemeinen universellen Prozesses wie etwa der Urbanisierung

    oder der demografischen Transition konzentriert, und schlielich den generalisieren-den Vergleich, dem es nur um das Aufspren allgemeiner Regeln geht.7

    Dieser klassische historische Vergleich ist ergnzungsbedrftig und auf verschiedeneWeise offen. Man sollte diese ffnungen nicht zu rasch schlieen, sondern sie produktivweiterdenken. Drei besonders wichtige ffnungen seien erwhnt.

    Eine erste ffnung des historischen Vergleichs ist in den letzten Jahren intensiv dis-kutiert worden: die Unterschiede gegenber den anderen Zugngen dertransnationa-len Geschichte, also gegenber Transfers, gegenber internationalen Verflechtungen,gegenber internationalen Bewegungen und Organisationen, gegenber Bildern desEigenen und des Anderen und ihren jeweiligen Ritualen. Diese ffnung des Vergleichshat sich durchgesetzt, weil sich Historiker/innen in der Regel mit der Gegenberstel-

    lung von Fllen in historischen Vergleichen nicht begngen. Sie interessieren sich inaller Regel auch dafr, welchen Einfluss die verglichenen Flle aufeinander hatten, wiestark sie verflochten waren und wie die Zeitgenossen die Unterschiede oder hnlich-keiten zwischen den Vergleichsfllen sahen. Ob eine transnationale historische Unter-suchung das Gewicht auf den Vergleich, auf Verflechtungen oder eher auf wechselsei-tige Bilder legt, oder ob sie alle diese Zugnge gleichermaen behandelt, hngt vorallem von der Fragestellung, den Eigenheiten des Falls und den Quellen des jeweiligenProjekts, aber auch von intellektuellen Zeitstrmungen ab.8

    6 Vgl. dazu Heinz-Gerhard Haupt, Comparative History, in: International Encyclopedia of the Social andBehavioral Sciences, Amsterdam, 2001, Bd. 4, S. 2397-2403; Hartmut Kaelble, Der historische Vergleich.Eine Einfhrung zum 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt 1999, S. 48ff.

    7 Charles Tilly, Big Structures, Large Processes, Huge Comparisons, New York 1984, S. 82ff., 145ff.8 Michel Espagne, Les transferts culturels franco-allemands, Paris 1999; Hartmut Kaelble/Jrgen Schrie-

    wer (Hrsg.), Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaf-ten, Frankfurt a. M. 2003; Hartmut Kaelble, Die Debatte ber Vergleich und Transfer und was jetzt?,in: H-Soz-u-Kult, Berlin 2005,http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=574&type=artikel;engl: Between Comparison and Transfers and what now?, in: Heinz-Gerhard Haupt/Jrgen Kocka(Hrsg.), Comparative and Transnational History. Central European Approaches and new Perspectives,New York/Oxford 2009, S. 33-38; Matthias Middell, Kulturtransfer und Historische Komparatistik

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    http://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Transnationale_Geschichtehttp://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Transnationale_Geschichtehttp://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=574&type=artikel;http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=574&type=artikel;http://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Transnationale_Geschichtehttp://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Transnationale_Geschichte
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    Eine zweite, kaum diskutierte Offenheit des historischen Vergleichs ist der Vergleichzwischen aufeinanderfolgenden Epochen einer territorialen Einheit. Er wird von His-torikern sehr hufig praktiziert, jedoch normalerweise von ihnen nicht als Vergleichbezeichnet. Auf den ersten Blick ist der Unterschied zum Vergleich nicht leicht nach-

    zuvollziehen, weil es um ganz hnliche Analyseverfahren geht wie beim historischenVergleich. Was als Umbruch zwischen Epochen untersucht wird, hnelt sehr den Un-terschieden zwischen Vergleichsfllen. Was als Kontinuitten zwischen Epochen an-gesehen wird, hnelt sehr den Gemeinsamkeiten zwischen Vergleichsfllen. Histori-ker/innen rechnen solche Zsuren- und Epochenvergleiche trotzdem nicht zum histori-schen Vergleich, weil die historische Entwicklung auf der Zeitachse einen grundstzlichanderen Charakter hat als die Gegenberstellung zweier rumlich und vielleicht auchzeitlich getrennter Flle. Die historische Entwicklung schafft zwischen aufeinanderfol-genden Epochen desselben Landes oder desselben Ortes eine dichte und unverwechsel-bare Beziehung aus Kausalitten, Erfahrungen und Erinnerungen, die zwischen unter-schiedlichen Orten oder Lndern derselben Epoche, die man vergleicht, nicht denkbar

    ist. Trotzdem sind die Grenzen zum Vergleich flieend. Vergleiche zwischen geogra-fisch und zeitlich weit auseinanderliegenden Fllen desselben Kontinents wie etwa derFranzsischen Revolution von 1789 und der europischen Revolution von 1848 werdendoch als historische Vergleiche angesehen. Auch diese schwierige Abgrenzung des his-torischen Vergleichs zu diskutieren, kann zu interessanten neuen berlegungen fhren.

    Eine dritte, ebenfalls kaum diskutierte, aber gleichzeitig oft verwandte Methode vonHistorikern ist die historische Darstellung internationaler Entwicklungen, in der vie-le und oft sehr unterschiedliche Lnder behandelt werden. Sie unterscheidet sich vomhistorischen Vergleich nicht immer klar. Europische oder globalgeschichtliche Hand-bcher, aber auch viele Monografien ber internationale Prozesse, Institutionen oder

    Ideen enthalten solche Darstellungen. Sie sind meist nicht im strengen Sinn verglei-chend, weil es ihnen vor allem um den gemeinsamen Trend geht und auf Unterschiedeoft nur unsystematisch eingegangen wird. Aber die Grenze zum historischen Vergleichist im Einzelfall oft nicht przise zu ziehen.

    Wandel des Vergleichs

    Der historische Vergleich erlebte seinen groen Aufschwung seit den 1970er-Jahren vorallem in der Sozial- und in der Wirtschaftsgeschichte, aber auch in der politischenGeschichte. Er besa damals in der Geschichtswissenschaft ein relativ groes Pres-tige, wurde sogar als Knigsweg bezeichnet. Komparatisten sahen sich manchmal

    Thesen zu ihrem Verhltnis, in: Comparativ 10 (2000), S. 7-41; Johannes Paulmann, Internationaler Ver-gleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsanstze zur europischen Geschichte des 18.bis20. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 267 (1998), S. 649-685; Hannes Siegrist, Comparative His-tory of Cultures and Societies. From Cross-Societal Analysis to the Study of Intercultural Interdepen-dencies, in: Comparative Education 42 (2006), S. 377-404; Michael Werner/Bndicte Zimmermann,Vergleich, Transfer, Verflechtung. Ansatz der Histoire croise und die Herausforderung des Transna-tionalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607-636.

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    als Pioniere einer internationalen ffnung der Geschichtswissenschaft, die thematischviel umfassender und vielfltiger als die Diplomatiegeschichte oder die internationa-le Ideengeschichte sein konnte. Historische Komparatisten waren allerdings eine sehrschmale Gruppe. Nicht nur Historiker/innen, die sich mit der Geschichte ihres eigenen

    Landes befassten, sondern auch die Spezialisten anderer Lnder oder anderer Weltre-gionen, verglichen kaum. Selbst aus den beiden wichtigsten europischen Institutio-nen fr auereuropische Regionen, der EHESS in Paris und der School for Africanand Asian Studies in London, kamen wenige historische Vergleiche. Allgemein galt derhistorische Vergleich fr Dissertationen und Habilitationen als riskant.9

    Wichtige Anste fr den historischen Vergleich kamen vor allem von amerikani-schen historischen Sozialwissenschaftlern wie Charles Tilly, Karl Deutsch, ReinhartBendix, Barrington Moore, aber auch von europischen historischen Sozialwissen-schaftlern wie Stein Rokkan oder Peter Flora.10 Mit ihnen standen die frhen verglei-chenden Historiker oft in direktem persnlichen Kontakt. Gleichzeitig konnte der histo-rische Vergleich auch auf europische Wurzeln in der historischen Soziologie, dort vor

    allem auf Max Weber, aber auch auf Historiker wie Marc Bloch, Henri Pirenne, OttoHintze, teils auch auf Karl Lamprecht verweisen.11

    Die wichtigste theoretische Anbindung des historischen Vergleichs war dieModer-nisierungstheorie.Historisch zu vergleichen hie entweder, die verglichenen Flle inunterschiedliche Grade von Modernisierung einzuordnen, oder unterschiedliche We-ge der Modernisierung herauszuarbeiten oder Widersprche zwischen politischer undwirtschaftlicher Modernisierung aufzuzeigen. Der Reiz des historischen Vergleichs lagnicht einfach in dem Nachweis von Modernisierung, sondern auch in der Diskussionvon Sperrigkeiten der historischen Entwicklung gegenber den Modernisierungstheo-remen. In diesem Sinn wurden Industrialisierung, Unternehmen, Alphabetisierung, Fa-milie und demografische Transition, soziale Klassen und Minderheiten, soziale Konflik-

    te und Revolutionen, Bildungssysteme, Sozialstaaten, Stadtplanungen, Parteien und9 Vgl. Heinz-Gerhard Haupt/Jrgen Kocka (Hrsg.), Geschichte und Vergleich. Anstze und Ergebnisse

    international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt 1996; Haupt/Kocka (Hrsg.), Comparati-ve and Transnational History; Heinz-Gerhard Haupt, Comparative History, in: International Encyclo-pedia of the Social and Behavioral Sciences; Chris Lorenz, Comparative Historiography: Problems andPerspectives, in: History and Theory 38 (1999), S. 25-39; Hartmut Kaelble, Les mutations du compara-tisme international, in: Les cahiers Irice 2010, No 5, S. 9-20; deutsch: Der internationale Vergleich seitden 1970er Jahren, in: Thies Schulze (Hrsg.), Vergleich, Transfer, Histoire croise, vorauss. 2012.

    10 Vgl. Reinhard Bendix, Herrschaft und Industriearbeit, Untersuchungen ber Liberalismus und Auto-kratie in der Geschichte der Industrialisierung, Frankfurt a. M. 1960; Barrington Moore, Social Originsof Dictatorship and Democracy: Lord and Peasant in the Making of the Modern World, Boston 1966;Tilly, Big Structures, Large Processes, Huge Comparisons; Stein Rokkan, Vergleichende Sozialwissen-schaft: Die Entwicklung der inter-kulturellen, inter-gesellschaftlichen und inter-nationalen Forschung,Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1972; dazu auch: Peter Flora/Elisabeth Fix (Hrsg.), Stein Rokkan. Staat,Nation und Demokratie in Europa. Die Theorie Stein Rokkans aus seinen gesammelten Werken, Frank-furt a. M. 2000.

    11 Vgl. Bloch, Pour une histoire compare des socits europennes (1928); Otto Hintze, Soziologie undGeschichte. Gesammelte Abhandlungen zur Soziologie, Politik und Theorie der Geschichte, Bd. 2, 2.Aufl., Gttingen 1964, S. 251. Vgl. als Beispiel fr einen klassischen soziologischen Vergleich Max We-

    bers: Hinnerk Bruhns/Wilfried Nippel (Hrsg.), Max Weber und die Stadt im Kulturvergleich, Gttin-gen 2000.

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    Verfassungen verglichen.12

    Der Raum des historischen Vergleichs war Europa, manchmal unter Einschluss derUSA, als Mastab derModerne. In Europa konzentrierte sich der Vergleich weitge-hend auf Frankreich, Grobritannien und Deutschland mit gelegentlichen Blicken auf

    Schweden oder die Schweiz als besonders moderne Lnder oder auf Italien und dasstliche Europa als wenig moderne Teile des Kontinents. Vergleiche mit auereuropi-schen Lndern blieben selten. Thematisch hufte sich der Vergleich in einigen weni-gen Themenfeldern wie Wohlfahrtsstaat, Brgertum, Arbeiter und Mittelschicht, sozia-le Proteste und Revolutionen, Industrialisierung und Unternehmen.13

    Seit den 1990er-Jahren wandelte sich der Vergleich. Einerseits wuchs der Skeptizis-mus in der methodischen Debatte ber den Vergleich, auf die gleich zurckzukom-men sein wird. Die Historiker/innen wurden sich der Probleme des Vergleichs str-ker bewusst: der starken Bindung des Vergleichs an den Nationalstaat; der berscht-zung der Entwicklungen, die sich am Ende durchsetzten, und der Unterschtzung derschwach gebliebenen Alternativen; der Unterschtzung der inneren Diversitt der Ver-

    gleichsflle, die den Vergleich komplizierten; der Abhngigkeit der Auswahl der Ver-gleichsflle von Quellenlagen und Sprachkenntnissen des vergleichenden Historikers;die Befangenheit in nationalen Denkweisen und die bloe Selbstbesttigung durch denhistorischen Vergleich; die oft unausgesprochenen Annahmen ber Normalitt oder so-gar berlegenheit eines der Vergleichsflle, manchmal des eigenen Landes, manchmalanderer Lnder.

    Auf der anderen Seite normalisierte sich der Vergleich. Er verlor seinen Pioniercha-rakter, indem immer mehr Historiker/innen mit einer vergleichenden Perspektive ar-beiteten. Vergleichende Dissertationen und Habilitationen zu schreiben blieb kein Son-derfall mehr. Nicht nur Historiker/innen, die ber ihr eigenes Land forschten, brachenfters aus der Enge der eigenen nationalen Geschichte aus. Auch europische Exper-

    ten anderer europischer oder auereuropischer Lnder verglichen nun hufiger. Derhistorische Vergleich traf zudem auf gnstigere finanzielle Bedingungen, da er durchSFBs, Graduiertenkollegs, Auslandsinstitute, EU-Programme und internationale His-torikernetzwerke gefrdert wurde. Es begann sich auch die Erkenntnis durchzusetzen,dass eine Vergleichsebene die Karrierechancen verbesserte, da man Experte nicht nureines einzigen Landes blieb und sich damit auf unterschiedliche Lehrsthle bewerbenkonnte. Im historischen Vergleich spiegelten sich darber hinaus auch die Internatio-nalisierung des europischen Alltags durch Reisen, internationale Bildungs- und Ar-beitsaufenthalte und Migration, aber auch durch die dadurch entstandenen zahlreichenprivaten internationalen Verbindungen wider.

    Darber hinaus erweiterten sich allmhlich die Vergleichsrume, Vergleichszeitru-

    me und Vergleichsthemen. Die Zeit seit 1945 wurde ein neues Eldorado fr den his-torischen Vergleich. Die Eurozentrik des Vergleichs von europischen Historikern mil-derte sich etwas ab, whrend der Vergleich mit auereuropischen Lndern jenseitsder USA etwas zunahm. Die vernderte weltpolitische Situation, das Ende des Kalten

    12 Siehe dazu die angefhrte Literatur in Anm. 7.13 Wie Anm. 8.

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    Kriegs und die Entstehung einer Welt mit mehreren Machtzentren, begann sich auchauf den historischen Vergleich auszuwirken. Die europischen Experten auereuropi-scher Lnder spielten eine wichtige Rolle bei der stckweisen globalen ffnung deshistorischen Vergleichs. Neben dem Vergleich zwischen Nationen erhielten der lokale

    Vergleich und der globale Vergleich etwas mehr Gewicht. Freilich blieb und bleibt dereuropische historische Vergleich weiterhin zu europazentrisch. Vergleiche mit der be-nachbarten arabischen Welt sind ebenso viel zu selten wie mit anderen, entfernterenWeltregionen jenseits des nordatlantischen Raums.14

    Thematisch war der Vergleich nicht mehr erkennbar eingeschrnkt. Er wurde in denmeisten Themenfeldern der Geschichte gezogen, in der Strukturgeschichte ebenso wiein der Erfahrungs- und der Ideengeschichte, in der Kultur- und Politikgeschichte eben-so wie in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.

    Das Modernisierungsparadigma nichtmarxistischer und marxistischer Provenienzverlor einiges an Einfluss auf den historischen Vergleich. Der historische Vergleichdiente nicht mehr nur der Einordnung in modernisierende Entwicklungen, sondern

    auch dem besseren Verstndnis des Anderen und damit oft auch des Eigenen. Verglei-chen hie hufiger, den Anderen auch besser verstehen zu wollen und nicht mehr aus-schlielich die Durchsetzung der Moderne zu verfolgen. Als Folge davon ging der Ein-fluss der Sozialwissenschaften, vor allem der nordamerikanischen Soziologie und Poli-tikwissenschaften, auf den Vergleich zurck. Die Beziehungen mit den amerikanischenhistorischen Komparatisten blieben zwar eng, aber die amerikanische Forschung ver-lor ihren Modellcharakter fr den europischen historischen Vergleich nicht nur, weiler sich europaweit etabliert hatte, sondern auch, weil amerikanische Historiker/innennicht selten von anderen Prmissen bei der Wahl von Vergleichsfllen und Vergleichs-rumen, auch in der Bewertung des Vergleichs, ausgingen.15

    Debatten ber den historischen Vergleich

    Eine lebhafte Debatte ber den historischen Vergleich entwickelte sich seit den 1990er-Jahren vor allem unter franzsischen und deutschen Historikern und Literaturwissen-schaftlern. Diese Debatte folgte allerdings nicht einfach der Forschungspraxis, sondernging ihr teils voraus, teils hinkte sie hinterher. Eine ganze Reihe von Publikationen ver-suchte nach rund zwei Jahrzehnten der intensiveren Erfahrung, dem historischen Ver-gleich in der Geschichtswissenschaft einen anerkannten Platz zu verschaffen, ihn zuverfeinern, aus anderen Disziplinen Anregungen zu bernehmen, seine Strken undGrenzen auszuloten.16

    14 Vgl. als hervorragende jngere Gegenbeispiele Dominic Sachsenmaier, Global Perspectives on GlobalHistory. Theories and Approaches in a Connected World, Cambridge 2011; Osterhammel, Die Ver-wandlung der Welt; Bayly, Die Geburt der modernen Welt.

    15 Vgl. zuletzt Sachsenmaier, Global Perspectives on Global History, S. 59ff., 110ff., 122ff.16 Marcel Detienne, Comparer lincomparable, Paris 2000; Espagne, Les transferts culturels franco-

    allemands; Haupt/Kocka (Hrsg.), Geschichte und Vergleich; Kaelble, Der historische Vergleich; JrgenKocka, Comparison and Beyond, History and theory 42 (2003), S. 39-44; ders. Asymmetrical HistoricalComparison; Lorenz, Comparative Historiography; Middell, Kulturtransfer und Historische Kompa-ratistik; Jrgen Osterhammel, Sozialgeschichte im Zivilisationsvergleich. Zu knftigen Mglichkeiten

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    Seit Mitte der 1990er-Jahre geriet der historische Vergleich freilich auch in die Kri-tik. Der franzsische Literaturwissenschaftler Michel Espagne, ein Experte der deutsch-franzsischen Beziehungen, kritisierte den historischen Vergleich, weil er den Forscherzwinge, knstlich homogene nationale Einheiten zu konstruieren und daher in das

    Zeitalter der oft verhngnisvollen Bindung der Geschichtswissenschaften an nationa-le Identitten zurckfhre. Darber hinaus lasse sich, so Espagne, der historische Ver-gleich nur fr Strukturanalysen verwenden und blende die Erfahrungen und Handlun-gen des einzelnen Individuums aus. Er pldierte deshalb dafr, den historischen Ver-gleich durch die historische Transferuntersuchung, also die Untersuchung der bertra-gung von Ideen und Werten, des Austauschs von Waren, der Migration von Menschenvon einer Gesellschaft zur anderen zu ersetzen, die die Geschichtswissenschaft fr in-ternationale kulturelle Verflechtungen und fr die Kulturgeschichte von Erfahrungenund Handlungspraxen ffne. Espagne blieb keine Einzelstimme.17

    Ein weiterer Einwand gegen den historischen Vergleich kam von Globalhistorikern.Der historische Vergleich mit auereuropischen Lndern betone zu sehr, so ihr Argu-

    ment, die berlegenheit Europas, besonders die Europisierung der nichteuropischenWelt, und die Rckstndigkeit auereuropischer Regionen seit dem spten 18. Jahr-hundert. Er vernachlssige deshalb die shared history (geteilte Geschichte) oderentangled history, also den Einfluss der nichteuropischen Welt auf Europa nicht nurindirekt ber die auereuropischen Erfahrungen von Europern, sondern auch direktdurch Transfers auereuropischer Waren, Pflanzen, von Musik sowie von geisteswis-senschaftlichen und technologischen Wissensbestnden nach Europa. Einige Global-historiker/innen stellen daher ebenfalls solche Transfers in das Zentrum ihrer Unter-suchungen. Andere mchten sich ganz aufglobaleInstitutionen, Bewegungen, ffent-lichkeiten, Konflikte und Umbrche konzentrieren. Sie interessieren sich nicht mehrfr kleinere Einheiten unterhalb der Welt als Ganzes und damit auch nicht mehr fr

    historische Vergleiche.18

    Eine Synthese bietet das Konzept der histoire croise (berkreuzte Geschichte) vonMichael Werner und Bndicte Zimmermann. Sie anerkannten auf der einen Seite denhistorischen Vergleich als eine unverzichtbare Methode der Geschichtswissenschaft,forderten andererseits aber einen grundlegenden Wandel des historischen Vergleichsebenso wie der Transferuntersuchung durch den berkreuzten Blick: das fortwhrendeHineindenken und Hineinversetzen in die andere, verglichene Kultur und die fortwh-rende berprfung des Bildes von der eigenen Kultur schon bei der Formulierung von

    komparativer Geschichtswissenschaft, in Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), S. 143-164; Paulmann,Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer; Shalini Randeria, Geteilte Geschichte und ver-wobenen Moderne, in Jrn Rsen u.a. (Hrsg.), Zukunftsentwrfe. Ideen fr eine Kultur der Vernde-rung, Frankfurt a. M. 1999, S. 87-96.

    17 Espagne, Les transferts culturels franco-allemands; vgl. auch Middell, Kulturtransfer und HistorischeKomparatistik; Kaelble, Die Debatte ber Vergleich und Transfer und was jetzt?

    18 Sebastian Conrad/Shalini Randeria, Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in derGeschichte der Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2002; Randeria, Geteilte Ge-schichte und verwobene Moderne; breiter Ansatz unter Einschluss des Vergleichs: Dominic Sachsen-maier, Global History, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11. 2.2010,https://docupedia.de/zg/Global_History?oldid=75519.

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    https://docupedia.de/zg/Global_History?oldid=75519.https://docupedia.de/zg/Global_History?oldid=75519.https://docupedia.de/zg/Global_History?oldid=75519.https://docupedia.de/zg/Global_History?oldid=75519.
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    Fragestellung und Forschungsdesign.19

    Eine ganz andere Herausforderung fr den historischen Vergleich entstand durch dietransnationale Geschichte. Sie gewann in den letzten Jahren viel Dynamik und wirdvor allem als Abschied von der rein nationalen Geschichte und als Internationalisie-

    rung von Forschungsthemen verstanden, ohne dass dahinter ein ausgefeiltes Konzeptoder gar eine Theorie steht. Anste zur transnationalen Geschichte kamen aus ganzverschiedenen Richtungen: aus der Diplomatiegeschichte, die sich mehr fr den brei-ten sozialen und kulturellen Kontext der internationalen Beziehungen interessiert; vonden Historikern der europischen Integration, die die rein politische Entscheidungs-geschichte erweitern; von der auereuropischen Geschichte, die sich vom regional-wissenschaftlichen Konzept lste und strker mit den Historikern anderer Weltregio-nen zusammenarbeiten mchte; von derpostkolonialen Geschichte; von derGlobal-geschichte;von der Sozial- und Kulturgeschichte, die sich strker internationalisiert.Entscheidend fr den historischen Vergleich ist hierbei, dass in den neuen programma-tischen Texten zur transnationalen Geschichte der historische Vergleich nicht angegrif-

    fen wird, sondern im Gegenteil meist unbeachtet bleibt so wie bei Akira Iriye undPierre-Yves Saunier, die mit der transnationalen Geschichte vor allem Verflechtungenund Transfers von Ideen, Menschen und Waren ber nationale Grenzen hinweg mei-nen20 oder als selbstverstndlicher Bestandteil angesehen wird: Comparisons andconnections, schrieb der Wirtschaftshistoriker Patrick O'Brien, are the dominant sty-les of global history.21

    Insgesamt ist der historische Vergleich heute keine berwundene, frhere Stufe dertransnationalen Geschichte, die noch zu viel von Nationalgeschichte in sich trug unddie zuerst durch die Transferuntersuchung, spter durch die transnationale Geschich-te berwunden wurde, wie manchmal zugespitzt formuliert wird. Der historische Ver-gleich ist im Gegenteil ein fester, bis heute wichtiger Bestandteil der transnationalen Ge-

    schichte. Er verband sich, nachdem er als historische Methode etabliert war, in der jn-geren Zeit oft mit anderen Zugngen wie der Transferuntersuchung, der Verflechtungs-untersuchung oder der Untersuchung der historischen Reprsentationen des Eigenenund des Anderen, ging aber in diesen anderen Zugngen nicht einfach auf. Er verlorzwar seine Neuigkeitsaura, blieb aber wie das in jngster Zeit etwa Heinz-Gerhard

    19 Werner/Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung.20 Akira Iriye/Pierre-Yves Saunier (Hrsg.), The Palgrave Dictionary of Transnational History, Hound-

    mills/New York 2009, S. VIII; vgl. zudem Gunilla Budde/Sebastian Conrad/Oliver Janz (Hrsg.), Trans-nationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Gttingen 2006; Madeleine Herren/MartinResch/Christiane Sibille, Transcultural History. Theories, Methods, Sources, Heidelberg/Berlin 2011;Wolfram Kaiser, Integration als Europisierung. Transnationale Netzwerke und grenzberschreiten-de Interaktion, in: Arnd Bauerkmper/Hartmut Kaelble (Hrsg.), Europa als Gesellschaft, Wiesba-den 2012, S. 43-62; Wilfried Loth/Jrgen Osterhammel (Hrsg.), Internationale Geschichte. Themen Ergebnisse Aussichten, Mnchen 2000; Kiran Klaus Patel, Transnationale Geschichte, in: Europi-sche Geschichte Online (EGO), hg. vom Institut fr Europische Geschichte (IEG), Mainz 2010-12-03,http://www.ieg-ego.eu/patelk-2010-de;Albert Wirz, Fr eine transnationale Gesellschaftsgeschichte,in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 489-498.

    21 Patrick OBrien, Historiographical Traditions und modern Imperatives for the Restoration of GlobalHistory, in Journal of Global History, 1 (2006), S. 3-39.

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    http://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Transnationale_Geschichtehttp://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Neuere_Kolonialgeschichte_und_Postcolonial_Studieshttp://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Global_Historyhttp://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Global_Historyhttp://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Global_Historyhttp://www.ieg-ego.eu/patelk-2010-de;http://www.ieg-ego.eu/patelk-2010-de;http://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Global_Historyhttp://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Global_Historyhttp://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Neuere_Kolonialgeschichte_und_Postcolonial_Studieshttp://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Transnationale_Geschichte
  • 7/25/2019 Hartmut Kaelble_Historischer Vergleich

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    Hartmut Kaelble Historischer Vergleich

    Haupt, Jrgen Kocka und Thomas Welskopp herausstreichen22 aus vier Grnden einwichtiger Ansatz der transnationalen Geschichte:

    Erstens missversteht man den historischen Vergleich, wenn man ihn ausschlielichals rigide Konstruktion von nationalen Besonderheiten oder gar als Brutkasten natio-

    naler Vorurteile sieht. Es gab sicher historische Vergleiche dieser Art vor allem in in-ternationalen Spannungs- und Kriegszeiten, in denen Forschung ber andere Lnderals Feindwissenschaft betrieben wurde und oft eher aus historischer Spekulation alsaus ernsthafter Forschung bestand. Der eingehende historische Vergleich fhrt aber imNormalfall den Historiker zu einem intensiven Eindenken in das verglichene andereLand, in seine Geschichtsforschung, in seine Sprache und Denkweise, in seine Institu-tionen und Normen, in seine historischen Erinnerungen. Der Vergleich internationali-siert den Forscher daher fast unausweichlich.

    Zweitens bergen die erwhnten, unbestreitbaren, methodischen Probleme, mit denensich der historische Vergleich auseinandersetzen muss und die gegen ihn angefhrtwerden, oft auch Gefahren fr andere Zugnge der transnationalen Geschichte. Auch

    fr Transfer- und Verflechtungsuntersuchungen muss man sich die Einheiten, zwischendenen Transfers oder Verflechtungen bestehen, konstruieren oder nach Konstruktionender Zeitgenossen suchen und berschtzt sie dann vielleicht. Transferuntersuchungenkonnten durchaus auch Teil der Feindwissenschaften sein: etwa die Westforschungder NS-Zeit ber die angeblichen germanischen Transfers in den Norden Belgiens undFrankreichs, die These der europischen Kolonialwissenschaften von der segensreichenEuropisierung der Kolonialbevlkerungen oder manche im Kalten Krieg entwickeltenThesen von der vlligen Sowjetisierung Ostmitteleuropas.23

    Der Vergleich bleibt drittens auch deshalb eine wichtige Methode der Histori-ker/innen, weil die Gesellschaft, in der die heutigen Historiker/innen arbeiten, fort-whrend in Vergleichen denkt. In der intensiv gewordenen, persnlichen Begegnung

    und Erfahrung mit anderen europischen und auereuropischen Kulturen im eige-nen Land oder auf Auslandsreisen werden fortwhrend Vergleiche gezogen und Ur-teile gefllt. In dieser Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Anderen wird oftauch die Hilfe oder Kritik des vergleichenden Historikers gebraucht. Wenn sich die f-fentlichkeit fragt, welche anderen Werte und Alltagsnormen der Islam besitzt, warumJapaner auf Katastrophen anders reagieren als Europer, warum die Franzosen einenderart allmchtigen Prsidenten und weniger Vertrauen in unabhngige Verfassungs-gerichte, Zentralbanken oder Medien haben oder aus welchen Grnden sich die USAanders als Deutschland in globale Konflikte einmischt, dann ist auch die Antwort des

    22 Vgl. Haupt/Kocka (Hrsg.), Comparative and Transnational History; Haupt, Comparative History;Thomas Welskopp, ComparativeHhistory, in: Europische Geschichte Online (EGO), hg. vom Insti-tut fr Europische Geschichte (IEG), Mainz 2010-12-03,http://www.ieg-ego.eu/welskoppt-2010-en;Hartmut Kaelble, Les mutations du comparatisme.

    23 Vgl. Peter Schttler, Die historische Westforschung zwischen Abwehrkampf und territorialerOffensive, in: ders. (Hrsg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frank-furt a. M. 1997, S. 204-226; Karl Ditt, Die Kulturraumforschung zwischen Wissenschaft und Poli-tik. Das Beispiel Franz Petri (1903-1993), in: Westflische Forschungen 46 (1996), S. 73-176; Konrad

    Jarausch/Hannes Siegrist (Hrsg.), Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945-1970,Frankfurt a. M./New York 1997.

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    http://www.ieg-ego.eu/welskoppt-2010-en;http://www.ieg-ego.eu/welskoppt-2010-en;
  • 7/25/2019 Hartmut Kaelble_Historischer Vergleich

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    Hartmut Kaelble Historischer Vergleich

    vergleichenden Historikers gefragt. Historische Vergleiche aufgeben, hiee, sich einerwichtigen Verantwortung der Geschichtswissenschaft nicht mehr zu stellen.

    Viertens wurde der Wissenschaftskontext fr den historischen Vergleich in den letz-ten Jahren eher noch gnstiger. Die historische Forschung wurde stark internationali-

    siert. Es ist viel leichter geworden, historische Forschung in anderen Lndern zu betrei-ben. Die schon erwhnten internationalen Austauschprogramme, internationale Dok-torandenkollegs und Sonderforschungsbereiche, auch die Deutschen Historischen In-stitute in anderen Lndern ermutigen und untersttzen den historischen Vergleich. Derhistorische Vergleich wurde daher trotz der nicht immer ermutigenden Methodende-batte weiter praktiziert, nahm sogar im vergangenen Jahrzehnt eher noch zu. In einerfhrenden Zeitschrift wie Geschichte und Gesellschaft wurden jedenfalls im Jahr-zehnt nach 2000 mehr historische Vergleichsartikel publiziert als in den 1990er-Jahren.

    Zusammenfassung

    Der historische Vergleich hat sich in den vergangenen vierzig Jahren als eine regel-mig verwandte, ausgearbeitete Methode der Geschichtswissenschaften etabliert undkann auf bedeutende Vorlufer unter Historikern und Sozialwissenschaftlern der ers-ten Hlfte des 20. Jahrhunderts zurckblicken. Gleichzeitig hat sich der historische Ver-gleich in den vergangenen Jahrzehnten auch stark gewandelt: Er hat sich in der For-schungspraxis routinisiert und veralltglicht, hat seine Pionieraura verloren, ist selbst-kritischer und reflektierter geworden, hat seine Vergleichsrume etwas, freilich bei wei-tem nicht gengend, erweitert, sich auf viele Themen ausgedehnt, seine ursprnglichenge Bindung an die historischen Sozialwissenschaften und an Modernisierungstheo-rien gelockert, ist nicht mehr ausschlielich ein Instrument zur Einordnung in die Mo-

    derne, sondern daneben auch eine Methode zum Verstehen des Anderen geworden.Der historische Vergleich wurde vor allem seit den 1990er-Jahren intensiv diskutiertund kritisiert. Er ist heute Teil der transnationalen Geschichte und somit auch Teil derHerauslsung der Geschichtswissenschaft aus der ausschlielichen Nationalgeschich-te.

    Zitation

    Hartmut Kaelble, Historischer Vergleich, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 14.8.2012, URL:http://docupedia.de/zg/

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