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Ich habe in der Tat, teure Dame, die Denkwürdig- keiten meiner Zeit, insofern meine eigene Person damit als Zuschauer oder als Opfer in Berührung kam, so wahrhaft und getreu als möglich aufzuzeich- nen gesucht. Diese Aufzeichnungen, denen ich selbstgefällig den Titel »Memoiren« verlieh, habe ich jedoch schier zur Hälfte wieder vernichten müssen, teils aus leidigen Familienrücksichten, teils auch wegen religiöser Skrupeln. Ich habe mich seitdem bemüht, die entstandenen Lakunen notdürftig zu füllen, doch ich fürchte, postu- me Pflichten oder ein selbstquälerischer Überdruß zwingen mich, meine Memoiren vor meinem Tode einem neuen Autodafé zu überliefern, und was als- dann die Flammen verschonen, wird vielleicht nie- mals das Tageslicht der Öffentlichkeit erblicken. Ich nehme mich wohl in acht, die Freunde zu nen- nen, die ich mit der Hut meines Manuskriptes und der Vollstreckung meines Letzten Willens in bezug auf dasselbe betraue; ich will sie nicht nach meinem Ab- leben der Zudringlichkeit eines müßigen Publikums und dadurch einer Untreue an ihrem Mandat bloßstel- len. Eine solche Untreue habe ich nie entschuldigen können; es ist eine unerlaubte und unsittliche Handlung, auch nur eine Zeile von einem Schriftstel- ler zu veröffentlichen, die er nicht selber für das große Publikum bestimmt hat. Dieses gilt ganz besonders von Briefen, die an Privatpersonen gerichtet sind. Wer sie drucken läßt oder verlegt, macht sich einer Felonie schuldig, die Verachtung verdient. Nach diesen Bekenntnissen, teure Dame, werden Sie leicht zur Einsicht gelangen, daß ich Ihnen nicht, wie Sie wünschen, die Lektüre meiner Memoiren und Briefschaften gewähren kann. Jedoch, ein Höfling Ihrer Liebenswürdigkeit, wie ich es immer war, kann ich Ihnen kein Begehr unbe- dingt verweigern, und um meinen guten Willen zu be- kunden, will ich in anderer Weise die holde Neugier stillen, die aus einer liebenden Teilnahme an meinen Schicksalen hervorgeht.

Heine Autobiografia

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Christian Johann Heinrich Heine (Düsseldorf, 13 de diciembre de 1797 - París, 17 de febrero de 1856) fue uno de los más destacados poetas y ensayistas alemanes del siglo XIX.Heine es considerado el último poeta del romanticismo y al mismo tiempo su enterrador.1 Heine conjura el mundo romántico - y todas las figuras e imágenes de su repertorio - para destruirlo. Tras el enorme éxito cosechado por su temprano "Libro de Canciones" (1827), que conoció doce ediciones en vida del autor, da por agotada "la lírica sentimental y arcaizante, y se abre paso a un lenguaje más preciso y sencillo, más realista".2A partir de entonces consiguió dotar de lirismo al lenguaje cotidiano y elevar a la categoría literaria géneros en aquel momento considerados menores, como el artículo periodístico, el folletín o los relatos de viaje. Además concedió al idioma alemán una elegante sencillez que éste nunca antes había conocido. Heine fue tan amado como temido por su comprometida labor como periodista, crítico, político, ensayista, escritor satírico y polemista. Debido a su origen judío y a su postura política Heine fue constantemente excluido y hostigado. Su actitud solitaria impregnó su vida, su obra y su recepción de ideas extranjeras. Heine sigue siendo hoy en día uno de los poetas del idioma alemán más traducidos y citados.

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Ich habe in der Tat, teure Dame, die Denkwrdig-keiten meiner Zeit, insofern meine eigene Persondamit als Zuschauer oder als Opfer in Berhrungkam, so wahrhaft und getreu als mglich aufzuzeich-nen gesucht.Diese Aufzeichnungen, denen ich selbstgefllig denTitel Memoiren verlieh, habe ich jedoch schier zurHlfte wieder vernichten mssen, teils aus leidigenFamilienrcksichten, teils auch wegen religiserSkrupeln.Ich habe mich seitdem bemht, die entstandenenLakunen notdrftig zu fllen, doch ich frchte, postu-me Pflichten oder ein selbstqulerischer berdruzwingen mich, meine Memoiren vor meinem Todeeinem neuen Autodaf zu berliefern, und was als-dann die Flammen verschonen, wird vielleicht nie-mals das Tageslicht der ffentlichkeit erblicken.Ich nehme mich wohl in acht, die Freunde zu nen-nen, die ich mit der Hut meines Manuskriptes und derVollstreckung meines Letzten Willens in bezug aufdasselbe betraue; ich will sie nicht nach meinem Ab-leben der Zudringlichkeit eines migen Publikumsund dadurch einer Untreue an ihrem Mandat blostel-len.Eine solche Untreue habe ich nie entschuldigenknnen; es ist eine unerlaubte und unsittlicheHandlung, auch nur eine Zeile von einem Schriftstel-ler zu verffentlichen, die er nicht selber fr das groePublikum bestimmt hat. Dieses gilt ganz besondersvon Briefen, die an Privatpersonen gerichtet sind.Wer sie drucken lt oder verlegt, macht sich einerFelonie schuldig, die Verachtung verdient.Nach diesen Bekenntnissen, teure Dame, werdenSie leicht zur Einsicht gelangen, da ich Ihnen nicht,wie Sie wnschen, die Lektre meiner Memoiren undBriefschaften gewhren kann.Jedoch, ein Hfling Ihrer Liebenswrdigkeit, wieich es immer war, kann ich Ihnen kein Begehr unbe-dingt verweigern, und um meinen guten Willen zu be-kunden, will ich in anderer Weise die holde Neugierstillen, die aus einer liebenden Teilnahme an meinenSchicksalen hervorgeht.Ich habe die folgenden Bltter in dieser Absichtniedergeschrieben, und die biographischen Notizen,die fr Sie ein Interesse haben, finden Sie hier inreichlicher Flle. Alles Bedeutsame und Charakteri-stische ist hier treuherzig mitgeteilt, und die Wechsel-wirkung uerer Begebenheiten und innerer Seele-nereignisse offenbart Ihnen die Signatura meinesSeins und Wesens. Die Hlle fllt ab von der Seele,und du kannst sie betrachten in ihrer schnen Nackt-heit. Da sind keine Flecken, nur Wunden. Ach! undnur Wunden, welche die Hand der Freunde, nicht dieHandlung, auch nur eine Zeile von einem Schriftstel-ler zu verffentlichen, die er nicht selber fr das groePublikum bestimmt hat. Dieses gilt ganz besondersvon Briefen, die an Privatpersonen gerichtet sind.Wer sie drucken lt oder verlegt, macht sich einerFelonie schuldig, die Verachtung verdient.Nach diesen Bekenntnissen, teure Dame, werdenSie leicht zur Einsicht gelangen, da ich Ihnen nicht,wie Sie wnschen, die Lektre meiner Memoiren undBriefschaften gewhren kann.Jedoch, ein Hfling Ihrer Liebenswrdigkeit, wieich es immer war, kann ich Ihnen kein Begehr unbe-dingt verweigern, und um meinen guten Willen zu be-kunden, will ich in anderer Weise die holde Neugierstillen, die aus einer liebenden Teilnahme an meinenSchicksalen hervorgeht.Ich habe die folgenden Bltter in dieser Absichtniedergeschrieben, und die biographischen Notizen,die fr Sie ein Interesse haben, finden Sie hier inreichlicher Flle. Alles Bedeutsame und Charakteri-stische ist hier treuherzig mitgeteilt, und die Wechsel-wirkung uerer Begebenheiten und innerer Seele-nereignisse offenbart Ihnen die Signatura meinesSeins und Wesens. Die Hlle fllt ab von der Seele,und du kannst sie betrachten in ihrer schnen Nackt-heit. Da sind keine Flecken, nur Wunden. Ach! undnur Wunden, welche die Hand der Freunde, nicht dieder Feinde geschlagen hat!Die Nacht ist stumm. Nur drauen klatscht derRegen auf die Dcher und chzet wehmtig derHerbstwind.Das arme Krankenzimmer ist in diesem Augenblickfast wohllustig heimlich, und ich sitze schmerzlos imgroen Sessel.Da tritt dein holdes Bild herein, ohne da sich dieTrklinke bewegt, und du lagerst dich auf das Kissenzu meinen Fen. Lege dein schnes Haupt auf meineKnie und horche, ohne aufzublicken.Ich will dir das Mrchen meines Lebens erzhlen.Wenn manchmal dicke Tropfen auf dein Locken-haupt fallen, so bleibe dennoch ruhig; es ist nicht derRegen, welcher durch das Dach sickert. Weine nichtund drcke mir nur schweigend die Hand.*Welch ein erhabenes Gefhl mu einen solchenKirchenfrsten beseelen, wenn er hinabblickt auf denwimmelnden Marktplatz, wo Tausende entbltenHauptes mit Andacht vor ihm niederkniend seinenSegen erwarten!In der italienischen Reisebeschreibung des HofratsMoritz las ich einst eine Beschreibung jener Szene,wo ein Umstand vorkam, der mir ebenfalls jetzt inden Sinn kommt.Unter dem Landvolk, erzhlt Moritz, das er dortauf den Knien liegen sah, erregte seine besondereAufmerksamkeit einer jener wandernden Rosenkranz-hndler des Gebirges, die aus einer braunen Holzgat-tung die schnsten Rosenkrnze schnitzen und sie inder ganzen Romagna um so teurer verkaufen, da siedenselben an obenerwhntem Feiertage vom Papsteselbst die Weihe zu verschaffen wissen.Mit der grten Andacht lag der Mann auf denKnien, doch den breitkrempigen Filzhut, worin seineWare, die Rosenkrnze, befindlich, hielt er in dieHhe, und whrend der Papst mit ausgestrecktenHnden den Segen sprach, rttelte jener seinen Hutund rhrte darin herum, wie Kastanienverkufer zutun pflegen, wenn sie ihre Kastanien auf dem Rostbraten; gewissenhaft schien er dafr zu sorgen, dadie Rosenkrnze, die unten im Hut lagen, auch etwasvon dem ppstlichen Segen abbekmen und allegleichmig geweiht wrden.Ich konnte nicht umhin, diesen rhrenden Zug vonfrommer Naivett hier einzuflechten, und ergreife wie-der den Faden meiner Gestndnisse, die alle auf dengeistigen Proze Bezug haben, den ich spter durch-machen mute.Aus den frhesten Anfngen erklren sich die sp-testen Erscheinungen. Es ist gewi bedeutsam, damir bereits in meinem dreizehnten Lebensjahr alle Sy-steme der freien Denker vorgetragen wurden, undzwar durch einen ehrwrdigen Geistlichen, der seinesazerdotalen Amtspflichten nicht im geringsten ver-nachlssigte, so da ich hier frhe sah, wie ohne Heu-chelei Religion und Zweifel ruhig nebeneinandergin-gen, woraus nicht blo in mir der Unglauben, sondernauch die toleranteste Gleichgltigkeit entstand.Ort und Zeit sind auch wichtige Momente: ich bingeboren zu Ende des skeptischen achtzehnten Jahr-hunderts und in einer Stadt, wo zur Zeit meiner Kind-heit nicht blo die Franzosen, sondern auch der fran-zsische Geist herrschte.Die Franzosen, die ich kennenlernte, machten mich,ich mu es gestehen, mit Bchern bekannt, die sehrunsauber und mir ein Vorurteil gegen die ganze fran-zsische Literatur einflten.Ich habe sie auch spter nie so sehr geliebt, wie siees verdient, und am ungerechtesten blieb ich gegendie franzsische Poesie, die mir von Jugend an fatalwar.Daran ist wohl zunchst der vermaledeite Abbd'Aulnoi schuld, der im Lyzeum zu Dsseldorf diefranzsische Sprache dozierte und mich durchauszwingen wollte, franzsische Verse zu machen.Wenig fehlte, und er htte mir nicht blo die franzsi-sche, sondern die Poesie berhaupt verleidet.Der Abb d'Aulnoi, ein emigrierter Priester, warein ltliches Mnnchen mit den beweglichsten Ge-sichtsmuskeln und mit einer braunen Percke, die,sooft er in Zorn geriet, eine sehr schiefe Stellung an-nahm.Er hatte mehrere franzsische Grammatiken sowieauch Chrestomathien, worin Auszge deutscher undfranzsischer Klassiker, zum bersetzen fr seineverschiedenen Klassen geschrieben; fr die obersteverffentlichte er auch eine Art oratoire und eineArt potique, zwei Bchlein, wovon das erstere Be-redsamkeitsrezepte aus Quintilian enthielt, angewen-det auf Beispiele von Predigten Flchiers, Massillons,Bourdaloues und Bossuets, welche mich nicht allzu-sehr langweilten. -Aber gar das andere Buch, das die Definitionenvon der Poesie: l'art de peindre par les images, denfaden Abhub der alten Schule von Batteux, auch diefranzsische Prosodie und berhaupt die ganze Me-trik der Franzosen enthielt, welch ein schrecklicherAlp!Ich kenne auch jetzt nichts Abgeschmackteres alsdas metrische System der franzsischen Poesie, dieserart de peindre par les images, wie die Franzosen die-selbe definieren, welcher verkehrte Begriff vielleichtdazu beitrgt, da sie immer in die malerische Para-phrase geraten.Ihre Metrik hat gewi Prokrustes erfunden; sie isteine wahre Zwangsjacke fr Gedanken, die bei ihrerZahmheit gewi nicht einer solchen bedrfen. Da dieSchnheit eines Gedichtes in der berwindung dermetrischen Schwierigkeiten bestehe, ist ein lcherli-cher Grundsatz, derselben nrrischen Quelle entsprun-gen. Der franzsische Hexameter, dieses gereimteRlpsen, ist mir wahrhaft ein Abscheu. Die Franzo-sen haben diese widrige Unnatur, die weit sndhafterals die Greuel von Sodom und Gomorrha, immerselbst gefhlt, und ihre guten Schauspieler sind daraufangewiesen, die Verse so sakkadiert zu sprechen, alswren sie Prosa - warum aber alsdann die berflssi-ge Mhe der Versifikation?So denk ich jetzt, und so fhlt ich schon als Knabe,und man kann sich leicht vorstellen, da es zwischenmir und der alten braunen Percke zu offnen Feindse-ligkeiten kommen mute, als ich ihm erklrte, wie esmir rein unmglich sei, franzsische Verse zu ma-chen. Er sprach mir allen Sinn fr Poesie ab undnannte mich einen Barbaren des Teutoburger Waldes.Ich denke noch mit Entsetzen daran, da ich ausder Chrestomathie des Professors die Anrede des Kai-phas an den Sanhedrin aus den Hexametern der Klop-stockschen Messiade in franzsische Alexandrinerbersetzen sollte! Es war ein Raffinement von Grau-samkeit, die alle Passionsqualen des Messias selbstbersteigt und die selbst dieser nicht ruhig erduldethtte. Gott verzeih, ich verwnschte die Welt und diefremden Unterdrcker, die uns ihre Metrik aufbrdenwollten, und ich war nahe dran, ein Franzosenfresserzu werden.Ich htte fr Frankreich sterben knnen, aber fran-zsische Verse machen - nimmermehr!Durch den Rektor und meine Mutter wurde derZwist beigelegt. Letztere war berhaupt nicht damitzufrieden, da ich Verse machen lernte, und seien esauch nur franzsische. Sie hatte nmlich damals diegrte Angst, da ich ein Dichter werden mchte; daswre das Schlimmste, sagte sie immer, was mir pas-sieren knne.Die Begriffe, die man damals mit dem NamenDichter verknpfte, waren nmlich nicht sehr ehren-haft, und ein Poet war ein zerlumpter, armer Teufel,der fr ein paar Taler ein Gelegenheitsgedicht verfer-tigt und am Ende im Hospital stirbt.Meine Mutter aber hatte groe, hochfliegendeDinge mit mir im Sinn, und alle Erziehungsplne ziel-ten darauf hin. Sie spielte die Hauptrolle in meinerEntwickelungsgeschichte, sie machte die Programmealler meiner Studien, und schon vor meiner Geburtbegannen ihre Erziehungsplne. Ich folgte gehorsamihren ausgesprochenen Wnschen, jedoch gestehe ich,da sie schuld war an der Unfruchtbarkeit meinermeisten Versuche und Bestrebungen in brgerlichenStellen, da dieselben niemals meinem Naturell ent-sprachen, Letzteres, weit mehr als die Weltbegeben-heiten, bestimmte meine Zukunft.In uns selbst liegen die Sterne unseres Glcks.Zuerst war es die Pracht des Kaiserreichs, diemeine Mutter blendete, und da die Tochter eines Ei-senfabrikanten unserer Gegend, die mit meiner Muttersehr befreundet war, eine Herzogin geworden und ihrgemeldet hatte, da ihr Mann sehr viele Schlachtengewonnen und bald auch zum Knig avancierenwrde - ach, da trumte meine Mutter fr mich diegoldensten Epauletten oder die brodiertesten Ehren-chargen am Hofe des Kaisers, dessen Dienst sie michganz zu widmen beabsichtigte.Deshalb mute ich jetzt vorzugsweise diejenigenStudien betreiben, die einer solchen Laufbahn frder-lich, und obgleich im Lyzeum schon hinlnglich frmathematische Wissenschaften gesorgt war und ichbei dem liebenswrdigen Professor Brewer vollaufmit Geometrie, Statik, Hydrostatik, Hydraulik und soweiter gefttert ward und in Logarithmen und Algebraschwamm, so mute ich doch noch Privatunterricht indergleichen Disziplinen nehmen, die mich instand set-zen sollten, ein groer Strategiker oder ntigenfallsder Administrator von eroberten Provinzen zu wer-den.Mit dem Fall des Kaiserreichs mute auch meineMutter der prachtvollen Laufbahn, die sie fr michgetrumt, entsagen; die dahin zielenden Studien nah-men ein Ende, und sonderbar! sie lieben auch keineSpur in meinem Geiste zurck, so sehr waren siedemselben fremd. Es war nur eine mechanische Er-rungenschaft, die ich von mir warf als unntzen Plun-der.Meine Mutter begann jetzt in anderer Richtung eineglnzende Zukunft fr mich zu trumen.Das Rothschildsche Haus, mit dessen Chef meinVater vertraut war, hatte zu jener Zeit seinen fabelhaf-ten Flor bereits begonnen; auch andere Frsten derBank und der Industrie hatten in unserer Nhe sicherhoben, und meine Mutter behauptete, es habe jetztdie Stunde geschlagen, wo ein bedeutender Kopf immerkantilischen Fache das Ungeheuerlichste erreichenund sich zum hchsten Gipfel der weltlichen Machtemporschwingen knne. Sie beschlo daher jetzt, daich eine Geldmacht werden sollte, und jetzt mute ichfremde Sprachen, besonders Englisch, Geographie,Buchhalten, kurz, alle auf den Land- und Seehandelund Gewerbskunde bezglichen Wissenschaften stu-dieren.Um etwas vom Wechselgeschft und von Kolonial-waren kennenzulernen, mute ich spter das Comp-toir eines Bankiers meines Vaters und die Gewlbeeines groen Spezereihndlers besuchen; erstere Be-suche dauerten hchstens drei Wochen, letztere vierWochen, doch ich lernte bei dieser Gelegenheit, wieman einen Wechsel ausstellt und wie Muskatnsseaussehen.Ein berhmter Kaufmann, bei welchem ich einapprenti millionaire werden wollte, meinte, ich httekein Talent zum Erwerb, und lachend gestand ichihm, da er wohl recht haben mchte.Da bald darauf eine groe Handelskrisis entstandund wie viele unserer Freunde auch mein Vater seinVermgen verlor, da platzte die merkantilische Sei-fenblase noch schneller und klglicher als die impe-riale, und meine Mutter mute nun wohl eine andereLaufhahn fr mich trumen.Sie meinte jetzt, ich msse durchaus Jurisprudenzstudieren.Sie hatte nmlich bemerkt, wie lngst in England,aber auch in Frankreich und im konstitutionellenDeutschland der Juristenstand allmchtig sei und be-sonders die Advokaten durch die Gewohnheit des f-fentlichen Vortrags die schwatzenden Hauptrollenspielen und dadurch zu den hchsten Staatsmtern ge-langen. Meine Mutter hatte ganz richtig beobachtet.Da eben die neue Universitt Bonn errichtet wor-den, wo die Juristische Fakultt von den berhmtestenProfessoren besetzt war, schickte mich meine Mutterunverzglich nach Bonn, wo ich bald zu den FenMackeldeys und Welckers sa und die Manna ihresWissens einschlrfte.Von den sieben Jahren, die ich auf deutschen Uni-versitten zubrachte, vergeudete ich drei schne bl-hende Lebensjahre durch das Studium der rmischenKasuistik, der Jurisprudenz, dieser illiberalsten Wis-senschaft.Welch ein frchterliches Buch ist das Corpus juris,die Bibel des Egoismus!Wie die Rmer selbst blieb mir immer verhat ihrRechtskodex. Diese Ruber wollten ihren Raub si-cherstellen, und was sie mit dem Schwerte erbeutet,suchten sie durch Gesetze zu schtzen; deshalb warder Rmer zu gleicher Zeit Soldat und Advokat, undes entstand eine Mischung der widerwrtigsten Art.Wahrhaftig, jenen rmischen Dieben verdanken wirdie Theorie des Eigentums, das vorher nur als Tatsa-che bestand, und die Ausbildung dieser Lehre in ihrenschndesten Konsequenzen ist jenes gepriesene rmi-sche Recht, das allen unseren heutigen Legislationen,ja allen modernen Staatsinstituten zugrunde liegt, ob-gleich es im grellsten Widerspruch mit der Religion,der Moral, dem Menschengefhl und der Vernunftsteht.Ich brachte jenes gottverfluchte Studium zu Ende,aber ich konnte mich nimmer entschlieen, vonsolcher Errungenschaft Gebrauch zu machen, undvielleicht auch weil ich fhlte, da andere mich in derAdvokasserie und Rabulisterei leicht berflgelnwrden, hing ich meinen juristischen Doktorhut anden Nagel.Meine Mutter machte eine noch ernstere Miene alsgewhnlich. Aber ich war ein sehr erwachsenerMensch geworden, der in dem Alter stand, wo er dermtterlichen Obhut entbehren mu.Die gute Frau war ebenfalls lter geworden, undindem sie nach so manchem Fiasko die Oberleitungmeines Lebens aufgab, bereute sie, wie wir oben ge-sehen, da sie mich nicht dem geistlichen Stande ge-widmet.Sie ist jetzt eine Matrone von siebenundachtzigJahren, und ihr Geist hat durch das Alter nicht gelit-ten. ber meine wirkliche Denkart hat sie sich nieeine Herrschaft angemat und war fr mich immer dieSchonung und Liebe selbst.Ihr Glauben war ein strenger Deismus, der ihrervorwaltenden Vernunftrichtung ganz angemessen. Siewar eine Schlerin Rousseaus, hatte dessen milegelesen, sugte selbst ihre Kinder, und Erziehungswe-sen war ihr Steckenpferd. Sie selbst hatte eine gelehr-te Erziehung genossen und war die Studiengefhrtineines Bruders gewesen, der ein ausgezeichneter Arztward, aber frh starb. Schon als ganz junges Mdchenmute sie ihrem Vater die lateinischen Dissertationenund sonstige gelehrte Schriften vorlesen, wobei sie oftden Alten durch ihre Fragen in Erstaunen setzte.Ihre Vernunft und ihre Empfindung war die Ge-sundheit selbst, und nicht von ihr erbte ich den Sinnfr das Phantastische und die Romantik. Sie hatte,wie ich schon erwhnt, eine Angst vor Poesie, entrimir jeden Roman, den sie in meinen Hnden fand, er-laubte mir keinen Besuch des Schauspiels, versagtemir alle Teilnahme an Volksspielen, berwachte mei-nen Umgang, schalt die Mgde, welche in meiner Ge-genwart Gespenstergeschichten erzhlten, kurz, sie tatalles Mgliche, um Aberglauben und Poesie von mirzu entfernen.Sie war sparsam, aber nur in bezug auf ihre eigenePerson; fr das Vergngen andrer konnte sie ver-schwenderisch sein, und da sie das Geld nicht liebte,sondern nur schtzte, schenkte sie mit leichter Handund setzte mich oft durch ihre Wohlttigkeit und Frei-gebigkeit in Erstaunen.Welche Aufopferung bewies sie dem Sohne, demsie in schwieriger Zeit nicht blo das Programm sei-ner Studien, sondern auch die Mittel dazu lieferte! Alsich die Universitt bezog, waren die Geschfte meinesVaters in sehr traurigem Zustand, und meine Mutterverkaufte ihren Schmuck, Halsband und Ohrringe vongroem Werte, um mir das Auskommen fr die vierersten Universittsjahre zu sichern.Ich war brigens nicht der erste in unserer Familie,der auf der Universitt Edelsteine aufgegessen undPerlen verschluckt hatte. Der Vater meiner Mutter,wie diese mir einst erzhlte, erprobte dasselbe Kunst-stck. Die Juwelen, welche das Gebetbuch seiner ver-storbenen Mutter verzierten, muten die Kosten sei-nes Aufenthalts auf der Universitt bestreiten, als seinVater, der alte Lazarus de Geldern, durch einen Suk-zessionsproze mit einer verheirateten Schwester ingroe Armut geraten war, er, der von seinem Vaterein Vermgen geerbt hatte, von dessen Gre mireine alte Gromuhme soviel Wunderdinge erzhlte.Das klang dem Knaben immer wie Mrchen vonTausendundeiner Nacht, wenn die Alte von dengroen Palsten und den persischen Tapeten und demmassiven Gold- und Silbergeschirr erzhlte, die dergute Mann, der am Hofe des Kurfrsten und der Kur-frstin soviel Ehren geno, so klglich einbte. SeinHaus in der Stadt war das groe Hotel in derRheinstrae; das jetzige Krankenhaus in der Neustadtgehrte ihm ebenfalls sowie ein Schlo bei Graven-berg, und am Ende hatte er kaum, wo er sein Haupthinlegen konnte.Eine Geschichte, die ein Seitenstock zu der obigenbildet, will ich hier einweben, da sie die verunglimpf-te Mutter eines meiner Kollegen in der ffentlichenMeinung rehabilitieren drfte. Ich las nmlich einmalin der Biographie des armen Dietrich Grabbe, dadas Laster des Trunks, woran derselbe zugrunde ge-gangen, ihm durch seine eigene Mutter frhe einge-pflanzt worden sei, indem sie dem Knaben, ja demKinde Branntewein zu trinken gegeben habe. DieseAnklage, die der Herausgeber der Biographie aus demMunde feindseliger Verwandter erfahren, scheintgrundfalsch, wenn ich mich der Worte erinnere,womit der selige Grabbe mehrmals von seiner Muttersprach, die ihn oft gegen dat Suppen mit den nach-drcklichsten Worten verwarnte.Sie war eine rohe Dame, die Frau eines Gefngnis-wrters, und wenn sie ihren jungen Wolf-Dietrich ka-ressierte, mag sie ihn wohl manchmal mit den Tatzeneiner Wlfin auch ein bichen gekratzt haben. Abersie hatte doch ein echtes Mutterherz und bewhrtesolches, als ihr Sohn nach Berlin reiste, um dort zustudieren.Beim Abschied, erzhlte mir Grabbe, drckte sieihm ein Paket in die Hand, worin, weich umwickeltmit Baumwolle, sich ein halb Dutzend silberne Lffelnebst sechs dito kleinen Kaffeelffeln und ein groerdito Potagelffel befand, ein stolzer Hausschatz, des-sen die Frauen aus dem Volke sich nie ohne Herzblu-ten entuern, da sie gleichsam eine silberne Dekora-tion sind, wodurch sie sich von dem gewhnlichenzinnernen Pbel zu unterscheiden glauben. Als ichGrabbe kennenlernte, hatte er bereits den Potagelf-fel, den Goliath, wie er ihn nannte, aufgezehrt. Be-fragte ich ihn manchmal, wie es ihm gehe, antworteteer mit bewlkter Stirn lakonisch: Ich bin an meinemdritten Lffel, oder: Ich bin an meinem vierten Lf-fel. - Die groen gehen dahin, seufzte er einst,und es wird sehr schmale Bissen geben, wenn diekleinen, die Kaffeelffelchen, an die Reihe kommen,und wenn diese dahin sind, gibt's gar keine Bissenmehr.Leider hatte er recht, und je weniger er zu essenhatte, desto mehr legte er sich aufs Trinken und wardein Trunkenbold. Anfangs Elend und spter husli-cher Gram trieben den Unglcklichen, im Rausche Er-heiterung oder Vergessenheit zu suchen, und zuletztmochte er wohl zur Flasche gegriffen haben, wie an-dere zur Pistole, um dem Jammertum ein Ende zu ma-chen. Glauben Sie mir, sagte mir einst ein naiverwestflischer Landsmann Grabbes, der konnte vielvertragen und wre nicht gestorben, weil er trank,sondern er trank, weil er sterben wollte; er starb durchSelbsttrunk.Obige Ehrenrettung einer Mutter ist gewi nie amunrechten Platz; ich versumte bis jetzt, sie zur Spra-che zu sie in einer Charakteristik Grabbes aufzeich-nen wollte, diese kam nie zustande, und auch inmeinem Buche De l'Allemagne konnte ich Grabbesnur flchtig erwhnen.Obige Notiz ist mehr an den deutschen als an denfranzsischen Leser gerichtet, und fr letzteren willich hier nur bemerken, da besagter Dietrich Grabbeeiner der grten deutschen Dichter war und von allenunseren dramatischen Dichtern wohl als derjenige ge-nannt werden darf, der die meiste Verwandtschaft mitShakespeare hat. Er mag weniger Saiten auf seinerLeier haben als andre, die dadurch ihn vielleicht ber-ragen, aber die Saiten, die er besitzt, haben einenKlang, der nur bei dem groen Briten gefunden wird.Er hat dieselben Pltzlichkeiten, dieselben Naturlaute,womit uns Shakespeare erschreckt, erschttert, ent-zckt.Aber alle seine Vorzge sind verdunkelt durch eineGeschmacklosigkeit, einen Zynismus und eine Ausge-lassenheit, die das Tollste und Abscheulichste ber-bieten, das je ein Gehirn zutage gefrdert. Es ist abernicht Krankheit, etwa Fieber oder Bldsinn, was der-gleichen hervorbrachte, sondern eine geistige Intoxi-kation des Genies. Wie Plato den Diogenes sehr tref-fend einen wahnsinnigen Sokrates nannte, so knnteman unsern Grabbe leider mit doppeltem Rechteeinen betrunkenen Shakespeare nennen.In seinen gedruckten Dramen sind jene Monstruosi-tten sehr gemildert, sie befanden sich aber grauenhaftgrell in dem Manuskript seines Gothland, einerTragdie, die er einst, als er mir noch ganz unbekanntwar, berreichte oder vielmehr vor die Fe schmimit den Worten: Ich wollte wissen, was an mir sei,und da habe ich dieses Manuskript dem Professor Gu-bitz gebracht, der darber den Kopf geschttelt und,um meiner loszuwerden, mich an Sie verwies, derebenso tolle Grillen im Kopfe trge wie ich und michdaher weit besser verstnde - hier ist nun der Bulk!Nach diesen Worten, ohne Antwort zu erwarten,troddelte der nrrische Kauz wieder fort, und da icheben zu Frau von Varnhagen ging, nahm ich das Ma-nuskript mit, um ihr die Primeur eines Dichters zuverschaffen; denn ich hatte an den wenigen Stellen,die ich las, schon gemerkt, da hier ein Dichter war.Wir erkennen das poetische Wild schon am Ge-ruch. Aber der Geruch war diesmal zu stark fr weib-liche Nerven, und spt, schon gegen Mitternacht, liemich Frau von Varnhagen rufen und beschwor michum Gottes willen, das entsetzliche Manuskript wiederzurckzunehmen, da sie nicht schlafen knne, solangesich dasselbe noch im Hause befnde. Einen solchenEindruck machten Grabbes Produktionen in ihrer ur-sprnglichen Gestalt.Obige Abschweifung mag ihr Gegenstand selbstrechtfertigen.Die Ehrenrettung einer Mutter ist berall an ihremPlatze, und der fhlende Leser wird die oben mitge-teilten uerungen Grabbes ber die arme verun-glimpfte Frau, die ihn zur Welt gebracht, nicht aberals eine mige Abschweifung betrachten.Jetzt aber, nachdem ich mich einer Pflicht der Pie-tt gegen einen unglcklichen Dichter erledigt habe,will ich wieder zu meiner eigenen Mutter und ihrerSippschaft zurckkehren, in weiterer Besprechung desEinflusses, der von dieser Seite auf meine geistigeBildung ausgebt wurde.Nach meiner Mutter beschftigte sich mit letztererganz besonders ihr Bruder, mein Oheim Simon deGeldern. Er ist tot seit zwanzig Jahren. Er war einSonderling von unscheinbarem, ja sogar nrrischemueren. Eine kleine, gehbige Figur, mit einembllichen, strengen Gesichte, dessen Nase zwar grie-chisch gradlinicht, aber gewi um ein Drittel lngerwar, als die Griechen ihre Nasen zu tragen pflegten.In seiner Jugend, sagte man, sei diese Nase von ge-whnlicher Gre gewesen, und nur durch die bleGewohnheit, da er sich bestndig daran zupfte, sollsie sich so bergebhrlich in die Lnge gezogenhaben. Fragten wir Kinder den Ohm, ob das wahr sei,so verwies er uns solche respektwidrige Rede mit gro-em Eifer und zupfte sich dann wieder an der Nase.Er ging ganz altfrnkisch gekleidet, trug kurzeBeinkleider, weiseidene Strmpfe, Schnallenschuheund nach der alten Mode einen ziemlich langen Zopf,der, wenn das kleine Mnnchen durch die Straentrippelte, von einer Schulter zur andern flog, allerleiKapriolen schnitt und sich ber seinen eigenen Herrnhinter seinem Rcken zu mokieren schien.Oft, wenn der gute Onkel in Gedanken vertieft saoder die Zeitung las, berschlich mich das frevle Ge-lste, heimlich sein Zpfchen zu ergreifen und daranzu ziehen, als wre es eine Hausklingel, worberebenfalls der Ohm sich sehr erboste, indem er jam-mernd die Hnde rang ber die junge Brut, die vornichts mehr Respekt hat, weder durch menschlichenoch durch gttliche Autoritt mehr in Schranken zuhalten und sich endlich an dem Heiligsten vergreifenwerde.War aber das uere des Mannes nicht geeignet,Respekt einzuflen, so war sein Inneres, sein Herzdesto respektabler, und es war das bravste und edel-mtigste Herz, das ich hier auf Erden kennenlernte.Es war eine Ehrenhaftigkeit in dem Manne, die an denRigorismus der Ehre in altspanischen Dramen erin-nerte, und auch in der Treue glich er den Heldenderselben. Er hatte nie Gelegenheit, der Arzt seinerEhre zu werden, doch ein Standhafter Prinz war erin ebenso ritterlicher Gre, obgleich er nicht in vier-figen Trochen deklamierte, gar nicht nach To-despalmen lechzte und statt des glnzendenRittermantels ein scheinloses Rckchen mit Bachstel-zenschwanz trug.Er war durchaus kein sinnenfeindlicher Askete, erliebte Kirmesfeste, die Weinstube des GastwirtsRasia, wo er besonders gern Krammetsvgel a mitWacholderbeeren - aber alle Krammetsvgel dieserWelt und alle ihre Lebensgensse opferte er mit stol-zer Entschiedenheit, wenn es die Idee galt, die er frwahr und gut erkannt. Und er tat dieses mit solcherAnspruchlosigkeit, ja Verschmtheit, da niemandmerkte, wie eigentlich ein heimlicher Mrtyrer in die-ser spahaften Hlle steckte.Nach weltlichen Begriffen war sein Leben ein ver-fehltes. Simon de Geldern hatte im Kollegium der Je-suiten seine sogenannten humanistischen Studien, Hu-maniora, gemacht, doch als der Tod seiner Eltern ihmdie vllig freie Wahl einer Lebenslaufbahn lie, whl-te er gar keine, verzichtete auf jedes sogenannte Brot-studium der auslndischen Universitten und blieblieber daheim zu Dsseldorf in der Arche No, wiedas kleine Haus hie, welches ihm sein Vater hinter-lie und ber dessen Tre das Bild der Arche Norecht hbsch ausgemeielt und bunt koloriert zuschauen war.Von rastlosem Fleie, berlie er sich hier allenseinen gelehrten Liebhabereien und Schnurrpfeiferei-en, seiner Bibliomanie und besonders seiner Wut desSchriftstellerns, die er besonders in politischen Tages-blttern und obskuren Zeitschriften auslie.Nebenbei gesagt, kostete ihm nicht blo dasSchreiben, sondern auch das Denken die grte An-strengung.Entstand diese Schreibwut vielleicht durch denDrang, gemeinntzig zu wirken? Er nahm teil an allenTagesfragen, und das Lesen von Zeitungen und Bro-schren trieb er bis zur Manie. Die Nachbarn nanntenihn den Doktor, aber nicht eigentlich wegen seinerGelahrtheit, sondern weil sein Vater und sein BruderDoktoren der Medizin gewesen. Und die alten Weiberlieen es sich nicht ausreden, da der Sohn des altenDoktors, der sie so oft kuriert, nicht auch die Heilmit-tel seines Vaters geerbt haben msse, und wenn sieerkrankten, kamen sie zu ihm gelaufen mit ihren Urin-flaschen, mit Weinen und Bitten, da er dieselbendoch besehen mchte, ihnen zu sagen, was ihnenfehle. Wenn der arme Oheim solcherweise in seinenStudien gestrt wurde, konnte er in Zorn geraten unddie alten Trullen mit ihren Urinflaschen zum Teufelwnschen und davonjagen.Dieser Oheim war es nun, der auf meine geistigeBildung groen Einflu gebt und dem ich in solcherBeziehung unendlich viel zu verdanken habe. Wiesehr auch unsere Ansichten verschieden und so km-merlich auch seine literrischen Bestrebungen waren,so regten sie doch vielleicht in mir die Lust zu schrift-lichen Versuchen.Der Ohm schrieb einen alten steifen Kanzleistil,wie er in den Jesuitenschulen, wo Latein die Hauptsa-che, gelehrt wird, und konnte sich nicht leicht be-freunden mit meiner Ausdrucksweise, die ihm zuleicht, zu spielend, zu irreverenzis vorkam. Abersein Eifer, womit er mir die Hlfsmittel des geistigenFortschritts zuwies, war fr mich von grtem Nut-zen.Er beschenkte schon den Knaben mit den schn-sten, kost barsten Werken; er stellte zu meiner Verf-gung seine eigene Bibliothek, die an klassischen B-chern und wichtigen Tagesbroschren so reich war,und er erlaubte mir sogar, auf dem Sller der ArcheNo in den Kisten herumzukramen, worin sich diealten Bcher und Skripturen des seligen Grovatersbefanden.Welche geheimnisvolle Wonne jauchzte im Herzendes Knaben, wenn er auf jenem Sller, der eigentlicheine groe Dachstube war, ganze Tage verbringenkonnte.Es war nicht eben ein schner Aufenthalt, und dieeinzige Bewohnerin desselben, eine dicke Angorakat-ze, hielt nicht sonderlich auf Sauberkeit, und nur sel-ten fegte sie mit ihrem Schweife ein bichen denStaub und das Spinnweb fort von dem altenGermpel, das dort aufgestapelt lag.Aber mein Herz war so blhend jung, und dieSonne schien so heiter durch die kleine Lukarne, damir alles von einem phantastischen Lichte bergossenschien und die alte Katze selbst mir wie eine ver-wnschte Prinzessin vorkam, die wohl pltzlich, ausihrer tierischen Gestalt wieder befreit, sich in der vori-gen Schne und Herrlichkeit zeigen drfte, whrenddie Dachkammer sich in einen prachtvollen Palastverwandeln wrde, wie es in allen Zaubergeschichtenzu geschehen pflegt.Doch die alte gute Mrchenzeit ist verschwunden,die Katzen bleiben Katzen, und die Dachstube derArche No blieb eine staubige Rumpelkammer, einHospital fr inkurablen Hausrat, eine Salptrire fralte Mbel, die den uersten Grad der Dekrepitdeerlangt und die man doch nicht vor die Tre schmei-en darf, aus sentimentaler Anhnglichkeit und Be-rcksichtigung der frommen Erinnerung, die sichdamit verknpften.Da stand eine morsch zerbrochene Wiege, worineinst meine Mutter gewiegt worden; jetzt lag darin dieStaatspercke meines Grovaters, die ganz vermodertwar und vor Alter kindisch geworden zu sein schien.Der verrostete Galanteriedegen des Grovaters undeine Feuerzange, die nur einen Arm hatte, und anderesinvalides Eisengeschirr hing an der Wand. Danebenauf einem wackligen Brette stand der ausgestopfte Pa-pagei der seligen Gromutter, der jetzt ganz entfiedertund nicht mehr grn, sondern aschgrau war und mitdem einzigen Glasauge, das ihm geblieben, sehr un-heimlich aussah.Hier stand auch ein groer, grner Mops von Por-zellan, welcher inwendig hohl war; ein Stck des Hin-terteils war abgebrochen, und die Katze schien frdieses chinesische oder japanische Kunstbild einengroen Respekt zu hegen; sie machte vor demselbenallerlei devote Katzenbuckel und hielt es vielleicht frein gttliches Wesen; die Katzen sind so aberglu-bisch.In einem Winkel lag eine alte Flte, welche einstmeiner Mutter gehrt; sie spielte darauf, als sie nochein junges Mdchen war, und ebenjene Dachkammerwhlte sie zu ihrem Konzertsaale, damit der alte Herr,ihr Vater, nicht von der Musik in seiner Arbeit gestrtoder auch ob dem sentimentalen Zeitverlust, dessensich seine Tochter schuldig machte, unwirsch wrde.Die Katze hatte jetzt diese Flte zu ihrem liebstenSpielzeug erwhlt, indem sie an dem verblichenenRosaband, das an der Flte befestigt war, dieselbe hinund her auf dem Boden rollte.Zu den Antiquitten der Dachkammer gehrtenauch Weltkugeln, die wunderlichsten Planetenbilderund Kolben und Retorten, erinnernd an astrologischeund alchimistische Studien.In den Kisten, unter den Bchern des Grovaters,befanden sich auch viele Schriften, die auf solche Ge-heimwissenschaften Bezug hatten. Die meisten B-cher waren freilich medizinische Scharteken. An phi-losophischen war kein Mangel, doch neben dem erz-vernnftigen Cartesius befanden sich auch Phantastenwie Paracelsus, van Helmont und gar Agrippa vonNettesheim, dessen Philosophia occulta ich hierzum erstenmal zu Gesicht bekam. Schon den Knabenamsierte die Dedikationsepistel an den Abt Trithem,dessen Antwortschreiben beigedruckt, wo diesercompre dem andern Scharlatan seine bombastischenKomplimente mit Zinsen zurckerstattet.Der beste und kostbarste Fund jedoch, den ich inden bestubten Kisten machte, war ein Notizenbuchvon der Hand eines Bruders meines Grovaters, denman den Chevalier oder den Morgenlnder nannte undvon welchem die alten Muhmen immer soviel zu sin-gen und zu sagen wuten.Dieser Grooheim, welcher ebenfalls Simon deGeldern hie, mu ein sonderbarer Heiliger gewesensein. Den Zunamen der Morgenlnder empfing er,weil er groe Reisen im Oriente gemacht und sich beiseiner Rckkehr immer in orientalische Tracht kleide-te.Am lngsten scheint er in den KstenstdtenNordafrikas, namentlich in den marokkanischen Staa-ten, verweilt zu haben, wo er von einem Portugiesendas Handwerk eines Waffenschmieds erlernte unddasselbe mit Glck betrieb.Er wallfahrtete nach Jerusalem, wo er in der Ver-zckung des Gebetes, auf dem Berge Moria, ein Ge-sicht hatte. Was sah er? Er offenbarte es nie.Ein unabhngiger Beduinenstamm, der sich nichtzum Islam, sondern zu einer Art Mosaismus bekannteund in einer der unbekannten Oasen der nordafrikani-schen Sandwste gleichsam sein Absteigequartierhatte, whlte ihn zu seinem Anfhrer oder Scheik.Dieses kriegerische Vlkchen lebte in Fehde mit allenNachbarstmmen und war der Schrecken der Karawa-nen. Europisch zu reden: mein seliger Grooheim,der fromme Visionr vom heiligen Berge Moria, wardRuberhauptmann. In dieser schnen Gegend erwarber auch jene Kenntnisse von Pferdezucht und jeneReiterknste, womit er nach seiner Heimkehr insAbendland so viele Bewunderung erregte.An den verschiedenen Hfen, wo er sich lange auf-hielt, glnzte er auch durch seine persnliche Schn-heit und Stattlichkeit sowie auch durch die Pracht derorientalischen Kleidung, welche besonders auf dieFrauen ihren Zauber bte. Er imponierte wohl nocham meisten durch sein vorgebliches Geheimwissen,und niemand wagte es, den allmchtigenNekromanten bei seinen hohen Gnnern herabzuset-zen. Der Geist der Intrige frchtete die Geister derKabbala.Nur sein eigener bermut konnte ihn ins Verder-ben strzen, und sonderbar geheimnisvoll schtteltendie alten Muhmen ihre greisen Kpflein, wenn sieetwas von dem galanten Verhltnis munkelten, worinder Morgenlnder mit einer sehr erlauchten Damestand und dessen Entdeckung ihn ntigte, aufs schleu-nigste den Hof und das Land zu verlassen. Nur durchdie Flucht mit Hinterlassung aller seiner Habseligkei-ten konnte er dem sichern Tode entgehen, und ebenseiner erprobten Reiterkunst verdankte er seine Ret-tung.Nach diesem Abenteuer scheint er in England einensichern, aber kmmerlichen Zufluchtsort gefunden zuhaben. Ich schliee solches aus einer zu London ge-druckten Broschre des Grooheims, welche icheinst, als ich in der Dsseldorfer Bibliothek bis zuden hchsten Bcherbrettern kletterte, zufllig ent-deckte. Es war ein Oratorium in franzsischen Ver-sen, betitelt Moses auf dem Horeb, hatte vielleichtBezug auf die erwhnte Vision, die Vorrede war aberin englischer Sprache geschrieben und von Londondatiert; die Verse, wie alle franzsische Verse, ge-reimtes lauwarmes Wasser, aber in der englischenProsa der Vorrede verriet sich der Unmut einesstolzen Mannes, der sich in einer drftigen Lage be-findet.Aus dem Notizenbuch des Grooheims konnte ichnicht viel Sicheres ermitteln; es war, vielleicht ausVorsicht, meistens mit arabischen, syrischen undkoptischen Buchstaben geschrieben, worin, sonderbargenug, franzsische Zitate vorkamen, z.B. sehr oft derVers:

O l'innocence prit c'est un crime de vivre.

Mich frappierten auch manche uerungen, dieebenfalls in franzsischer Sprache geschrieben; letzte-re scheint das gewhnliche Idiom des Schreibendengewesen zu sein.Eine rtselhafte Erscheinung, schwer zu begreifen,war dieser Grooheim. Er fhrte eine jener wunderli-chen Existenzen, die nur im Anfang und in der Mittedes achtzehnten Jahrhunderts mglich gewesen; erwar halb Schwrmer, der fr kosmopolitische, weltbe-glckende Utopien Propaganda machte, halb Glcks-ritter, der im Gefhl seiner individuellen Kraft diemorschen Schranken einer morschen Gesellschaftdurchbricht oder berspringt. Jedenfalls war er ganzein Mensch.Sein Scharlatanismus, den wir nicht in Abrede stel-len, war nicht von gemeiner Sorte. Er war keingewhnlicher Scharlatan, der den Bauern auf denMrkten die Zhne ausreit, sondern er drang mutigin die Palste der Groen, denen er den strkstenBackzahn ausri, wie weiland Ritter Hon von Bor-deaux dem Sultan von Babylon tat. Klappern gehrtzum Handwerk, sagt das Sprchwort, und das Lebenist ein Handwerk wie jedes andre.Und welcher bedeutende Mensch ist nicht ein bi-chen Scharlatan? Die Scharlatane der Bescheidenheitsind die schlimmsten mit ihrem demtig tuendenDnkel! Wer gar auf die Menge wirken will, bedarfeiner scharlatanischen Zutat.Der Zweck heiligt die Mittel. Hat doch der liebeGott selbst, als er auf dem Berg Sinai sein Gesetzpromulgierte, nicht verschmht, bei dieser Gelegen-heit tchtig zu blitzen und zu donnern, obgleich dasGesetz so vortrefflich, so gttlich gut war, da es fg-lich aller Zutat von leuchtendem Kolophonium unddonnernden Paukenschlgen entbehren konnte. Aberder Herr kannte sein Publikum, das mit seinen Ochsenund Schafen und aufgesperrten Mulern unten amBerge stand und welchem gewi ein physikalischesKunststck mehr Bewunderung einflen konnte alsalle Mirakel des ewigen Gedankens.Wie dem auch sei, dieser Groohm hat die Einbil-dungskraft des Knaben auerordentlich beschftigt.Alles, was man von ihm erzhlte, machte einenunauslschlichen Eindruck auf mein junges Gemt,und ich versenkte mich so tief in seine Irrfahrten undSchicksale, da mich manchmal am hellen, lichtenTage ein unheimliches Gefhl ergriff und es mir vor-kam, als sei ich selbst mein seliger Grooheim undals lebte ich nur eine Fortsetzung des Lebens jeneslngst Verstorbenen!In der Nacht spiegelte sich dasselbe retrospektivzurck in meine Trume. Mein Leben glich damalseinem groen Journal, wo die obere Abteilung die Ge-genwart, den Tag mit seinen Tagesberichten und Ta-gesdebatten, enthielt, whrend in der unteren Abtei-lung die poetische Vergangenheit in fortlaufendenNachttrumen wie eine Reihenfolge von Romanfeuil-letons sich phantastisch kundgab.In diesen Trumen identifizierte ich mich gnzlichmit meinem Groohm, und mit Grauen fhlte ich zu-gleich, da ich ein anderer war und einer anderen Zeitangehrte. Da gab es rtlichkeiten, die ich nie vorhergesehen, da gab es Verhltnisse, wovon ich frherkeine Ahnung hatte, und doch wandelte ich dort mitsicherem Fu und sicherem Verhalten.Da begegneten mir Menschen in brennend bunten,sonderbaren Trachten und mit abenteuerlich wstenPhysiognomien, denen ich dennoch wie alten Bekann-ten die Hnde drckte; ihre wildfremde, nie gehrteSprache verstand ich, zu meiner Verwunderungantwortete ich ihnen sogar in derselben Sprache, wh-rend ich mit einer Heftigkeit gestikulierte, die mir nieeigen war, und whrend ich sogar Dinge sagte, diemit meiner gewhnlichen Denkweise widerwrtigkontrastierten.Dieser wunderliche Zustand dauerte wohl ein Jahr,und obgleich ich wieder ganz zur Einheit des Selbst-bewutseins kam, blieben doch geheime Spuren inmeiner Seele. Manche Idiosynkrasie, manche fataleSympathien und Antipathien, die gar nicht zu meinemNaturell passen, ja sogar manche Handlungen, die imWiderspruch mit meiner Denkweise sind, erklre ichmir als Nachwirkungen aus jener Traumzeit, wo ichmein eigener Grooheim war.Wenn ich Fehler begehe, deren Entstehung mir un-begreiflich erscheint, schiebe ich sie gern auf Rech-nung meines morgenlndischen Doppelgngers. Alsich einst meinem Vater eine solche Hypothese mitteil-te, um ein kleines Versehen zu beschnigen, bemerkteer schalkhaft: er hoffe, da mein Grooheim keineWechsel unterschrieben habe, die mir einst zur Be-zahlung prsentiert werden knnten.Es sind mir keine solche orientalischen Wechselvorgezeigt worden, und ich habe genug Nte mit mei-nen eigenen okzidentalischen Wechseln gehabt.Aber es gibt gewi noch schlimmere Schulden alsGeldschulden, welche uns die Vorfahren zur Tilgunghinterlassen. Jede Generation ist eine Fortsetzung derandern und ist verantwortlich fr ihre Taten. DieSchrift sagt: die Vter haben Herlinge (unreife Trau-ben) gegessen, und die Enkel haben davon schmerz-haft taube Zhne bekommen.Es herrscht eine Solidaritt der Generationen, dieaufeinanderfolgen, ja die Vlker, die hintereinander indie Arena treten, bernehmen eine solche Solidaritt,und die ganze Menschheit liquidiert am Ende diegroe Hinterlassenschaft der Vergangenheit. Im TaleJosaphat wird das groe Schuldbuch vernichtet wer-den oder vielleicht vorher noch durch einen Universal-bankrott.Der Gesetzgeber der Juden hat diese Solidaritt tieferkannt und besonders in seinem Erbrecht sanktio-niert; fr ihn gab es vielleicht keine individuelle Fort-dauer nach dem Tode, und er glaubte nur an die Un-sterblichkeit der Familie; alle Gter waren Familien-eigentum, und niemand konnte sie so vollstndig alie-nieren, da sie nicht zu einer gewissen Zeit an die Fa-milienglieder zurckfielen.Einen schroffen Gegensatz zu jener menschen-freundlichen Idee des mosaischen Gesetzes bildet dasrmische, welches ebenfalls im Erbrechte den Egois-mus des rmischen Charakters bekundet.Ich will hierber keine Untersuchungen erffnen,und meine persnlichen Bekenntnisse verfolgend, willich vielmehr die Gelegenheit benutzen, die sich mirhier bietet, wieder durch ein Beispiel zu zeigen, wiedie harmlosesten Tatsachen zuweilen zu den bswil-ligsten Insinuationen von meinen Feinden benutztworden. Letztere wollen nmlich die Entdeckung ge-macht haben, da ich bei biographischen Mitteilun-gen sehr viel von meiner mtterlichen Familie, abergar nichts von meinen vterlichen Sippen und Magensprche, und sie bezeichneten solches als ein absicht-liches Hervorheben und Verschweigen und beschul-digten mich derselben eiteln Hintergedanken, die manauch meinem seligen Kollegen Wolfgang Goethe vor-warf.Es ist freilich wahr, da in dessen Memoiren sehroft von dem Grovater von vterlicher Seite, welcherals gestrenger Herr Schulthei auf dem Rmer zuFrankfurt prsidierte, mit besonderem Behagen dieRede ist, whrend der Grovater von mtterlicherSeite, der als ehrsames Flickschneiderlein auf derBockenheimer Gasse auf dem Werktische hockte unddie alten Hosen der Republik ausbesserte, mit keinemWorte erwhnt wird.Ich habe Goethen in betreff dieses Ignorierens nichtzu vertreten, doch was mich selbst betrifft, mchte ichjene bswilligen und oft ausgebeuteten Interpretatio-nen und Insinuationen dahin berichten, da es nichtmeine Schuld ist, wenn in meinen Schriften von einemvterlichen Grovater nie gesprochen ward. Die Ursa-che ist ganz einfach: ich habe nie viel von ihm zusagen gewut. Mein seliger Vater war als ganz frem-der Mann nach meiner Geburtsstadt Dsseldorf ge-kommen und besa hier keine Anverwandten, keinejener alten Muhmen und Basen, welche die weibli-chen Barden sind, die der jungen Brut tagtglich diealten Familienlegenden mit epischer Monotonie vor-singen, whrend sie die bei den schottischen Bardenobligate Dudelsackbegleitung durch das Schnarrenihrer Nasen ersetzen. Nur ber die groen Kmpendes mtterlichen Clans konnte von dieser Seite meinjunges Gemt frhe Eindrcke empfangen, und ichhorchte mit Andacht, wenn die alte Brunle oderBrunhildis erzhlte.Mein Vater selbst war sehr einsilbiger Natur,sprach nicht gern, und einst als kleines Bbchen, zurZeit, wo ich die Werkeltage in der den Franziskaner-Klosterschule, jedoch die Sonntage zu Hause zu-brachte, nahm ich hier eine Gelegenheit wahr, meinenVater zu befragen, wer mein Grovater gewesen sei.Auf diese Frage antwortete er halb lachend, halb un-wirsch: Dein Grovater war ein kleiner Jude undhatte einen groen Bart.Den andern Tag, als ich in den Schulsaal trat, woich bereits meine kleinen Kameraden versammeltfand, beeilte ich mich sogleich, ihnen die wichtigeNeuigkeit zu erzhlen: da mein Grovater ein klei-ner Jude war, welcher einen langen Bart hatte.Kaum hatte ich diese Mitteilung gemacht, als sievon Mund zu Mund flog, in allen Tonarten wiederholtward, mit Begleitung von nachgefften Tierstimmen.Die Kleinen sprangen ber Tische und Bnke, rissenvon den Wnden die Rechentafeln, welche auf denBoden purzelten nebst den Tintenfssern, und dabeiwurde gelacht, gemeckert, gegrunzt, gebellt, gekrht -ein Hllenspektakel, dessen Refrain immer der Gro-vater war, der ein kleiner Jude gewesen und einen gro-en Bart hatte.Der Lehrer, welchem die Klasse gehrte, vernahmden Lrm und trat mit zornglhendem Gesichte in denSaal und fragte gleich nach dem Urheber dieses Un-fugs. Wie immer in solchen Fllen geschieht: einjeder suchte kleinlaut sich zu diskulpieren, und amEnde der Untersuchung ergab es sich, da ich rm-ster berwiesen ward, durch meine Mitteilung bermeinen Grovater den ganzen Lrm veranlat zuhaben, und ich bte meine Schuld durch eine bedeu-tende Anzahl Prgel.Es waren die ersten Prgel, die ich auf dieser Erdeempfing, und ich machte bei dieser Gelegenheit schondie philosophische Betrachtung, da der liebe Gott,der die Prgel erschaffen, in seiner gtigen Weisheitauch dafr sorgte, da derjenige, welcher sie erteilt,am Ende mde wird, indem sonst am Ende die Prgelunertrglich wrden.Der Stock, womit ich geprgelt ward, war ein Rohrvon gelber Farbe, doch die Streifen, welche dasselbeauf meinem Rcken lie, waren dunkelblau. Ich habesie nicht vergessen.Auch den Namen des Lehrers, der mich so unbarm-herzig schlug, verga ich nicht: es war der PaterDickerscheit; er wurde bald von der Schule entfernt,aus Grnden, die ich ebenfalls nicht vergessen, abernicht mitteilen will.Der Liberalismus hat den Priesterstand oft genugmit Unrecht verunglimpft, und man knnte ihm wohljetzt einige Schonung angedeihen lassen, wenn einunwrdiges Mitglied Verbrechen begeht, die am Endedoch nur der menschlichen Natur oder vielmehr Unna-tur beizumessen sind.Wie der Name des Mannes, der mir die ersten Pr-gel erteilte, blieb mir auch der Anla im Gedchtnis,nmlich meine unglckliche genealogische Mittei-lung, und die Nachwirkung jener frhen Jugendein-drcke ist so gro, da jedesmal, wenn von kleinenJuden mit groen Brten die Rede war, mir eine un-heimliche Erinnerung grselnd ber den Rcken lief.Gesottene Katze scheut den kochenden Kessel, sagtdas Sprchwort, und jeder wird leicht begreifen, daich seitdem keine groe Neigung empfand, nhereAuskunft ber jenen bedenklichen Grovater und sei-nen Stammbaum zu erhalten oder gar dem groen Pu-blikum, wie einst dem kleinen, dahinbezgliche Mit-teilungen zu machen.Meine Gromutter vterlicherseits, von welcher ichebenfalls nur wenig zu sagen wei, will ich jedochnicht unerwhnt lassen. Sie war eine auerordentlichschne Frau und einzige Tochter eines Bankiers zuHamburg, der wegen seines Reichtums weit und breitberhmt war. Diese Umstnde lassen mich vermuten,da der kleine Jude, der die schne Person aus demHause ihrer hochbegterten Eltern nach seinemWohnorte Hannover heimfhrte, noch auer seinemgroen Barte sehr rhmliche Eigenschaften besessenund sehr respektabel gewesen sein mu.Er starb frhe, eine junge Witwe mit sechs Kin-dern, smtlich Knaben im zartesten Alter, zurcklas-send. Sie kehrte nach Hamburg zurck und starb dortebenfalls nicht sehr betagt.Im Schlafzimmer meines Oheims Salomon Heinezu Hamburg sah ich einst das Portrt der Gromutter.Der Maler, welcher in Rembrandtscher Manier nachLicht- und Schatteneffekten haschte, hatte dem Bildeeine schwarze klsterliche Kopfbedeckung, eine fastebenso strenge, dunkle Robe und den pechdunkelstenHintergrund erteilt, so da das vollwangichte, miteinem Doppelkinn versehene Gesicht wie einVollmond aus nchtlichem Gewlk hervorschimmer-te.Ihre Zge trugen noch die Spuren groer Schn-heit, sie waren zugleich milde und ernsthaft, und be-sonders die Morbidezza der Hautfarbe gab dem gan-zen Gesicht einen Ausdruck von Vornehmheit eigen-tmlicher Art; htte der Maler der Dame ein groesKreuz von Diamanten vor die Brust gemalt, so htteman sicher geglaubt, das Portrt irgendeiner gefrste-ten btissin eines protestantischen adligen Stiftes zusehen.Von den Kindern meiner Gromutter haben, sovielich wei, nur zwei ihre auerordentliche Schnheitgeerbt, nmlich mein Vater und mein Oheim SalomonHeine, der verstorbene Chef des hamburgischen Ban-kierhauses dieses Namens.Die Schnheit meines Vaters hatte etwas berwei-ches, Charakterloses, fast Weibliches. Sein Bruderbesa vielmehr eine mnnliche Schnheit, und er warberhaupt ein Mann, dessen Charakterstrke sichauch in seinen edelgemessenen, regelmigen Zgenimposant, ja manchmal sogar verblffend offenbarte.Seine Kinder waren alle ohne Ausnahme zur ent-zckendsten Schnheit emporgeblht, doch der Todraffte sie dahin in ihrer Blte, und von diesem sch-nen Menschenblumenstrau leben jetzt nur zwei, derjetzige Chef des Bankierhauses und seine Schwester,eine seltene Erscheinung mit ---Ich hatte alle diese Kinder so lieb, und ich liebteauch ihre Mutter, die ebenfalls so schn war und frhdahinschied, und alle haben mir viele Trnen geko-stet. Ich habe wahrhaftig in diesem Augenblickentig, meine Schellenkappe zu schtteln, um die wei-nerlichen Gedanken zu berklingeln.Ich habe oben gesagt, da die Schnheit meinesVaters etwas Weibliches hatte. Ich will hiermit kei-neswegs einen Mangel an Mnnlichkeit andeuten:letztere hat er zumal in seiner Jugend oft erprobt, undich selbst bin am Ende ein lebendes Zeugnis dersel-ben. Es sollte das keine unziemliche uerung sein;im Sinne hatte ich nur die Formen seiner krperlichenErscheinung, die nicht straff und drall, sondern viel-mehr weich und zrtlich gerndet waren. Den Kontu-ren seiner Zge fehlte das Markierte, und sie ver-schwammen ins Unbestimmte. In seinen spteren Jah-ren ward er fett, aber auch in seiner Jugend scheint ernicht eben mager gewesen zu sein.In dieser Vermutung besttigt mich ein Portrt,welches seitdem in einer Feuersbrunst bei meinerMutter verlorenging und meinen Vater als einen jun-gen Menschen von etwa achtzehn oder neunzehn Jah-ren, in roter Uniform, das Haupt gepudert und verse-hen mit einem Haarbeutel, darstellt.Dieses Portrt war gnstigerweise mit Pastellfarbegemalt. Ich sage gnstigerweise, da letztere weit bes-ser als die lfarbe mit dem hinzukommenden Glanz-leinenfirnis jenen Bltenstaub wiedergeben kann, denwir auf den Gesichtern der Leute, welche Puder tra-gen, bemerken, und die Unbestimmtheit der Zge vor-teilhaft verschleiert. Indem der Maler auf besagtemPortrt mit den kreidewei gepuderten Haaren und derebenso weien Halsbinde das rosichte Gesicht enka-drierte, verlieh er demselben durch den Kontrast einstrkeres Kolorit, und es tritt krftiger hervor.Auch die scharlachrote Farbe des Rocks, die auflgemlden so schauderhaft uns angrinst, macht hierim Gegenteil einen guten Effekt, indem dadurch dieRosenfarbe des Gesichtes angenehm gemildert wird.Der Typus von Schnheit, der sich in den Zgendesselben aussprach, erinnerte weder an die strengekeusche Idealitt der griechischen Kunstwerke nochan den spiritualistisch schwrmerischen, aber mitheidnischer Gesundheit geschwngerten Stil der Re-naissance; nein, besagtes Portrt trug vielmehr ganzden Charakter einer Zeit, die eben keinen Charakterbesa, die minder die Schnheit als das Hbsche, dasNiedliche, das Kokett-Zierliche liebte; einer Zeit, diees in der Fadheit bis zur Poesie brachte, jener sen,geschnrkelten Zeit des Rokoko, die man auch dieHaarbeutelzeit nannte und die wirklich als Wahrzei-chen, nicht an der Stirn, sondern am Hinterkopfe,einen Haarbeutel trug. Wre das Bild meines Vatersauf besagtem Portrte etwas mehr Miniatur gewesen,so htte man glauben knnen, der vortreffliche Wat-teau habe es gemalt, um, mit phantastischen Arabes-ken von bunten Edelsteinen und Goldflittern um-rahmt, auf einem Fcher der Frau von Pompadour zuparadieren.Bemerkenswert ist vielleicht der Umstand, damein Vater auch in seinen spteren Jahren der altfrn-kischen Mode des Puders treu blieb und bis an seinseliges Ende sich alle Tage pudern lie, obgleich erdas schnste Haar, das man sich denken kann, besa.Es war blond, fast golden, und von einer Weichheit,wie ich sie nur bei chinesischer Flockseide gefunden.Den Haarbeutel htte er gewi ebenfalls gern bei-behalten, jedoch der fortschreitende Zeitgeist war un-erbitterlich. In dieser Bedrngnis fand mein Vater einbeschwichtigendes Auskunftsmittel. Er opferte nur dieForm, das schwarze Sckchen, den Beutel; die langenHaarlocken jedoch selbst trug er seitdem wie einbreitgeflochtenes Chignon mit kleinen Kmmchen aufdem Haupte befestigt. Diese Haarflechte war bei derWeichheit der Haare und wegen des Puders fast garnicht bemerkbar, und so war mein Vater doch imGrunde kein Abtrnniger des alten Haarbeuteltums,und er hatte nur wie so mancher Kryptoorthodoxedem grausamen Zeitgeiste sich uerlich gefgt.Die rote Uniform, worin mein Vater auf dem er-whnten Portrte abkonterfeit ist, deutet auf hann-versche Dienstverhltnisse. Im Gefolge des PrinzenErnst von Cumberland befand sich mein Vater zu An-fang der franzsischen Revolution und machte denFeldzug in Flandern und Brabant mit in der Eigen-schaft eines Proviantmeisters oder Kommissariusoder, wie es die Franzosen nennen, eines officier debouche; die Preuen nennen es einen Mehlwurm.Das eigentliche Amt des blutjungen Menschen waraber das eines Gnstlings des Prinzen, eines Brum-mells au petit pied und ohne gesteifte Krawatte, under teilte auch am Ende das Schicksal solcher Spielzeu-ge der Frstengunst. Mein Vater blieb zwar zeitlebensfest berzeugt, da der Prinz, welcher spter Knigvon Hannover ward, ihn nie vergessen habe, dochwute er sich nie zu erklren, warum der Prinz nie-mals nach ihm schickte, niemals sich nach ihm erkun-digen lie, da er doch nicht wissen konnte, ob seinehemaliger Gnstling nicht in Verhltnissen lebte, woer etwa seiner bedrftig sein mchte.Aus jener Feldzugsperiode stammen manche be-denkliche Liebhabereien meines Vaters, die ihmmeine Mutter nur allmhlich abgewhnen konnte.Zum Beispiel er lie sich gern zu hohem Spiel verlei-ten, protegierte die dramatische Kunst oder vielmehrihre Priesterinnen, und gar Pferde und Hunde warenseine Passion. Bei seiner Ankunft in Dsseldorf, woer sich aus Liebe fr meine Mutter als Kaufmann eta-blierte, hatte er zwlf der schnsten Gule mitge-bracht. Er entuerte sich aber derselben auf aus-drcklichen Wunsch seiner jungen Gattin, die ihmvorstellte, da dieses vierfige Kapital zuviel Haferfresse und gar nichts eintrage.Schwerer ward es meiner Mutter, auch den Stall-meister zu entfernen, einen vierschrtigen Flegel, derbestndig mit irgendeinem aufgegabelten Lump imStalle lag und Karten spielte. Er ging endlich vonselbst in Begleitung einer goldenen Repetieruhr mei-nes Vaters und einiger anderer Kleinodien von Wert.Nachdem meine Mutter den Taugenichts los war,gab sie auch den Jagdhunden meines Vaters ihre Ent-lassung, mit Ausnahme eines einzigen, welcher Jolyhie, aber erzhlich war. Er fand Gnade in ihrenAugen, weil er eben gar nichts von einem Jagdhundan sich hatte und ein brgerlich treuer und tugendhaf-ter Haushund werden konnte. Er bewohnte im leerenStalle die alte Kalesche meines Vaters, und wenn die-ser hier mit ihm zusammentraf, warfen sie sich wech-selseitig bedeutende Blicke zu. Ja, Joly, seufztedann mein Vater, und Joly wedelte wehmtig mit demSchwanze.Ich glaube, der Hund war ein Heuchler, und einstin bler Laune, als sein Liebling ber einen Futrittallzu jmmerlich wimmerte, gestand mein Vater, dadie Kanaille sich verstelle. Am Ende ward Joly sehrrudig, und da er eine wandelnde Kaserne von Flhengeworden, mute er ersuft werden, was mein Vaterohne Einspruch geschehen lie. - Die Menschen sa-krifizieren ihre vierfigen Gnstlinge mit derselbenIndifferenz wie die Frsten die zweifigen.Aus der Feldlagerperiode meines Vaters stammteauch wohl seine grenzenlose Vorliebe fr den Solda-tenstand oder vielmehr fr das Soldatenspiel, die Lustan jenem lustigen, migen Leben, wo Goldflitter undScharlachlappen die innere Leere verhllen und dieberauschte Eitelkeit sich als Mut gebrden kann.In seiner junkerlichen Umgebung gab es weder mi-litrischen Ernst noch wahre Ruhmsucht; von Herois-mus konnte gar nicht die Rede sein. Als die Hauptsa-che erschien ihm die Wachtparade, das klirrendeWehrgehenke, die straffanliegende Uniform, so kleid-sam fr schne Mnner.Wie glcklich war daher mein Vater, als zu Ds-seldorf die Brgergarden errichtet wurden und er alsOffizier derselben die schne dunkelblaue, mit him-melblauen Sammetaufschlgen versehene Uniformtragen und an der Spitze seiner Kolonnen an unseremHause vorbeidefilieren konnte. Vor meiner Mutter,welche errtend am Fenster stand, salutierte er dannmit allerliebster Courtoisie; der Federbusch aufseinem dreieckigen Hute flatterte da so stolz, und imSonnenlicht blitzten freudig die Epauletten.Noch glcklicher war mein Vater in jener Zeit,wenn die Reihe an ihn kam, als kommandierender Of-fizier die Hauptwache zu beziehen und fr die Sicher-heit der Stadt zu sorgen. An solchen Tagen flo aufder Hauptwache eitel Rdesheimer und Amannshu-ser von den trefflichsten Jahrgngen, alles auf Rech-nung des kommandierenden Offiziers, dessen Freige-bigkeit seine Brgergardisten, seine Krethi und Ple-thi, nicht genug zu rhmen wuten.Auch geno mein Vater unter ihnen eine Populari-tt, die gewi ebenso gro war wie die Begeisterung,womit die alte Garde den Kaiser Napoleon umjubelte.Dieser freilich verstand seine Leute in anderer Weisezu berauschen. Den Garden meines Vaters fehlte esnicht an einer gewissen Tapferkeit, zumal wo es galt,eine Batterie von Weinflaschen, deren Schlnde vomgrten Kaliber, zu erstrmen. Aber ihr Heldenmutwar doch von einer andern Sorte als die, welche wirbei der alten Kaisergarde fanden. Letztere starb undbergab sich nicht, whrend die Gardisten meines Va-ters immer am Leben blieben und sich oft bergaben.Was die Sicherheit der Stadt Dsseldorf betrifft, somag es sehr bedenklich damit ausgesehen haben inden Nchten, wo mein Vater auf der Hauptwachekommandierte. Er trug zwar Sorge, Patrouillenauszuschicken, die singend und klirrend in verschie-denen Richtungen die Stadt durchstreiften. Es geschaheinst, da zwei solcher Patrouillen sich begegnetenund in der Dunkelheit die einen die andern als Trun-kenbolde und Ruhestrer arretieren wollten. ZumGlck sind meine Landsleute ein harmlos frhlichesVlkchen, sie sind im Rausche gutmtig, ils ont levin bon, und es geschah kein Malheur; sie berga-ben sich wechselseitig.Eine grenzenlose Lebenslust war ein Hauptzug imCharakter meines Vaters, er war genuschtig, froh-sinnig, rosenlaunig. In seinem Gemte war bestndigKirmes, und wenn auch manchmal die Tanzmusiknicht sehr rauschend, so wurden doch immer die Vio-linen gestimmt. Immer himmelblaue Heiterkeit undFanfaren des Leichtsinns. Eine Sorglosigkeit, die desvorigen Tages verga und nie an den kommendenMorgen denken wollte.Dieses Naturell stand im wunderlichsten Wider-spruch mit der Gravitt, die ber sein strengruhigesAntlitz verbreitet war und sich in der Haltung undjeder Bewegung des Krpers kundgab. Wer ihn nichtkannte und zum ersten Male diese ernsthafte, gepu-derte Gestalt und diese wichtige Miene sah, httegewi glauben knnen, einen von den Sieben WeisenGriechenlands zu erblicken. Aber bei nherer Be-kanntschaft merkte man wohl, da er weder einThales noch ein Lampsakus war, der ber kosmogoni-sche Probleme nachgrble. Jene Gravitt war zwarnicht erborgt, aber sie erinnerte doch an jene antikenBasreliefs, wo ein heiteres Kind sich eine groe tragi-sche Maske vor das Antlitz hlt.Er war wirklich ein groes Kind mit einer kindli-chen Naivett, die bei platten Verstandesvirtuosensehr leicht fr Einfalt gelten konnte, aber manchmaldurch irgendeinen tiefsinnigen Ausspruch das bedeu-tendste Anschauungsvermgen (Intuition) verriet.Er witterte mit seinen geistigen Fhlhrnern, wasdie Klugen erst langsam durch die Reflexion begrif-fen. Er dachte weniger mit dem Kopfe als mit demHerzen und hatte das liebenswrdigste Herz, das mansich denken kann. Das Lcheln, das manchmal umseine Lippen spielte und mit der obenerwhnten Gra-vitt gar drollig anmutig kontrastierte, war der seWiderschein seiner Seelengte.Auch seine Stimme, obgleich mnnlich, klangvoll,hatte etwas Kindliches, ich mchte fast sagen etwas,das an Waldtne, etwa an Rotkehlchenlaute, erinner-te; wenn er sprach, so drang seine Stimme so direktzu Herzen, als habe sie gar nicht ntig gehabt, denWeg durch die Ohren zu nehmen.Er redete den Dialekt Hannovers, wo, wie auch inder sdlichen Nachbarschaft dieser Stadt, das Deut-sche am besten ausgesprochen wird. Das war eingroer Vorteil fr mich, da solchermaen schon inder Kindheit durch meinen Vater mein Ohr an einegute Aussprache des Deutschen gewhnt wurde, wh-rend in unserer Stadt selbst jenes fatale Kauderwelschdes Niederrheins gesprochen wird, das zu Dsseldorfnoch einigermaen ertrglich, aber in dem nachbarli-chen Kln wahrhaft ekelhaft wird. Kln ist das Tos-kana einer klassisch schlechten Aussprache des Deut-schen, und Kobes klngelt mit Marizzebill in einerMundart, die wie faule Eier klingt, fast riecht.In der Sprache der Dsseldorfer merkt man schoneinen bergang in das Froschgequke der hollndi-schen Smpfe. Ich will der hollndischen Sprachebeileibe nicht ihre eigentmlichen Schnheiten ab-sprechen, nur gestehe ich, da ich kein Ohr dafrhabe. Es mag sogar wahr sein, da unsere eigenedeutsche Sprache, wie patriotische Linguisten in denNiederlanden behauptet haben, nur ein verdorbenesHollndisch sei. Es ist mglich.Dieses erinnert mich an die Behauptung eines kos-mopolitischen Zoologen, welcher den Affen fr denAhnherrn des Menschengeschlechts erklrt; die Men-schen sind nach seiner Meinung nur ausgebildete, jaberbildete Affen. Wenn die Affen sprechen knnten,sie wrden wahrscheinlich behaupten, da die Men-schen nur ausgeartete Affen seien, da die Menschheitein verdorbenes Affentum, wie nach der Meinung derHollnder die deutsche Sprache ein verdorbenes Hol-lndisch ist.Ich sage: wenn die Affen sprechen knnten, ob-gleich ich von solchem Unvermgen des Sprechensnicht berzeugt bin. Die Neger am Senegal versichernsteif und fest, die Affen seien Menschen ganz wie wir,jedoch klger, indem sie sich des Sprechens enthalten,um nicht als Menschen anerkannt und zum Arbeitengezwungen zu werden; ihre skurrile Affenspe seienlauter Pfiffigkeit, wodurch sie bei den Machthabernder Erde fr untauglich erscheinen mchten, wie wirandre ausgebeutet zu werden.Solche Entuerung aller Eitelkeit wrde mir vondiesen Menschen, die ein stummes Inkognito beibe-halten und sich vielleicht ber unsere Einfalt lustigmachen, eine sehr hohe Idee einflen. Sie bleibenfrei in ihren Wldern, dem Naturzustand nie entsa-gend. Sie knnten wahrlich mit Recht behaupten, dader Mensch ein ausgearteter Affe sei.Vielleicht haben unsere Vorfahren im achtzehntenJahrhundert dergleichen schon geahnt, und indem sieinstinktmig fhlten, wie unsere glatte berzivilisa-tion nur eine gefirnite Fulnis ist und wie es ntigsei, zur Natur zurckzukehren, suchten sie sich unse-rem Urtypus, dem natrlichen Affentum, wieder zunhern. Sie taten das Mgliche, und als ihnen endlich,um ganz Affe zu sein, nur noch der Schwanz fehlte,ersetzten sie diesen Mangel durch den Zopf. So ist dieZopfmode ein bedeutsames Symptom eines ernstenBedrfnisses und nicht ein Spiel der Frivolitt - -doch ich suche vergebens durch das Schellen meinerKappe die Wehmut zu berklingeln, die mich jedes-mal ergreift, wenn ich an meinen verstorbenen Vaterdenke.Er war von allen Menschen derjenige, den ich ammeisten auf dieser Erde geliebt. Er ist jetzt tot seitlnger als fnfundzwanzig Jahren. Ich dachte niedaran, da ich ihn einst verlieren wrde, und selbstjetzt kann ich es kaum glauben, da ich ihn wirklichverloren habe. Es ist so schwer, sich von dem Tod derMenschen zu berzeugen, die wir so innig liebten.Aber sie sind auch nicht tot, sie leben fort in uns undwohnen in unserer Seele.Es verging seitdem keine Nacht, wo ich nicht anmeinen seligen Vater denken mute, und wenn ich desMorgens erwache, glaube ich oft noch den Klang sei-ner Stimme zu hren wie das Echo eines Traumes.Alsdann ist mir zu Sinn, als mt ich mich geschwindankleiden und zu meinem Vater hinabeilen in diegroe Stube, wie ich als Knabe tat.Mein Vater pflegte immer sehr frhe aufzustehenund sich an seine Geschfte zu begeben, im Winterwie im Sommer, und ich fand ihn gewhnlich schonam Schreibtisch, wo er, ohne aufzublicken, mir dieHand hinreichte zum Kusse. Eine schne, feinge-schnittene, vornehme Hand, die er immer mit Mandel-klei wusch. Ich sehe sie noch vor mir, ich sehe nochjedes blaue derchen, das diese blendendweie Mar-morhand durchrieselte. Mir ist, als steige der Mandel-duft prickelnd in meine Nase, und das Auge wirdfeucht.Zuweilen blieb es nicht beim bloen Handku, undmein Vater nahm mich zwischen seine Knie undkte mich auf die Stirn. Eines Morgens umarmte ermich mit ganz besonderer Zrtlichkeit und sagte: Ichhabe diese Nacht etwas Schnes von dir getrumt undbin sehr zufrieden mit dir, mein lieber Harry. Wh-rend er diese naiven Worte sprach, zog ein Lchelnum seine Lippen, welches zu sagen schien: mag derHarry sich noch so unartig in der Wirklichkeit auffh-ren, ich werde dennoch, um ihn ungetrbt zu lieben,immer etwas Schnes von ihm trumen.Harry ist bei den Englndern der familire Namederjenigen, welche Henri heien, und er entsprichtganz meinem deutschen Taufnamen Heinrich. Diefamiliren Benennungen des letztern sind in dem Dia-lekte meiner Heimat uerst miklingend, ja fastskurril, z.B. Heinz, Heinzchen, Hinz. Heinzchen wer-den oft auch die kleinen Hauskobolde genannt, undder gestiefelte Kater im Puppenspiel und berhauptder Kater in der Volksfabel heit Hinze.Aber nicht um solcher Milichkeit abzuhelfen, son-dern um einen seiner besten Freunde in England zuehren, ward von meinem Vater mein Name anglisiert.Mr. Harry war meines Vaters Geschftsfhrer (Korre-spondent) in Liverpool; er kannte dort die besten Fa-briken, wo Velveteen fabriziert wurde, ein Handelsar-tikel, der meinem Vater sehr am Herzen lag, mehr ausAmbition als aus Eigennutz, denn obgleich er be-hauptete, da er viel Geld an jenem Artikel verdiene,so blieb solches doch sehr problematisch, und meinVater htte vielleicht noch Geld zugesetzt, wenn esdarauf ankam, den Velveteen in besserer Qualitt undin grerer Quantitt abzusetzen als seine Kompetito-ren. Wie denn berhaupt mein Vater eigentlich keinenberechnenden Kaufmannsgeist hatte, obgleich erimmer rechnete, und der Handel fr ihn vielmehr einSpiel war, wie die Kinder Soldaten oder Kochen spie-len.Seine Ttigkeit war eigentlich nur eine unaufhrli-che Geschftigkeit. Der Velveteen war ganz beson-ders seine Puppe, und er war glcklich, wenn die gro-en Frachtkarren abgeladen wurden und schon beimAbpacken alle Handelsjuden der benachbarten Ge-gend die Hausflur fllten; denn die letzteren warenseine besten Kunden, und bei ihnen fand sein Velve-teen nicht blo den grten Absatz, sondern auch eh-renhafte Anerkennung.Da du, teurer Leser, vielleicht nicht weit, wasVelveteen ist, so erlaube ich mir, dir zu erklren,da dieses ein englisches Wort ist, welches samtar-tig bedeutet, und man benennt damit eine Art Samtvon Baumwolle, woraus sehr schne Hosen, Westen,sogar Kamisle verfertigt werden. Es trgt dieserKleidungsstoff auch den Namen Manchester nachder gleichnamigen Fabrikstadt, wo derselbe zuerst fa-briziert wurde.Weil nun der Freund meines Vaters, der sich aufden Einkauf des Velveteens am besten verstand, denNamen Harry fhrte, erhielt auch ich diesen Namen,und Harry ward ich genannt in der Familie und beiHausfreunden und Nachbarn.Ich hre mich noch jetzt sehr gern bei diesemNamen nennen, obgleich ich demselben auch vielVerdru, vielleicht den empfindlichsten Verdru mei-ner Kindheit verdankte. Erst jetzt, wo ich nicht mehrunter den Lebenden lebe und folglich alle gesell-schaftliche Eitelkeit in meiner Seele erlischt, kann ichohne Befangenheit davon sprechen.Hier in Frankreich ist mir gleich nach meiner An-kunft in Paris mein deutscher Name Heinrich inHenri bersetzt worden, und ich mute mich darinschicken und auch endlich hierzulande selbst so nen-nen, da das Wort Heinrich dem franzsischen Ohrnicht zusagte und berhaupt die Franzosen sich alleDinge in der Welt recht bequem machen. Auch denNamen Henri Heine haben sie nie recht ausspre-chen knnen, und bei den meisten heie ich M. EnriEnn; von vielen wird dieses in ein Enrienne zusam-mengezogen, und einige nannten mich M. Un rien.Das schadet mir in mancherlei literrischer Bezie-hung, gewhrt aber auch wieder einigen Vorteil. ZumBeispiel unter meinen edlen Landsleuten, welche nachParis kommen, sind manche, die mich hier gern verl-stern machten, aber da sie immer meinen Namendeutsch aussprechen, so kommt es den Franzosennicht in den Sinn, da der Bsewicht und Unschuld-brunnenvergifter, ber den so schrecklich geschimpftward, kein anderer als ihr Freund Monsieur Enriennesei, und jene edlen Seelen haben vergebens ihrem Tu-gendeifer die Zgel schieen lassen; die Franzosenwissen nicht, da von mir die Rede ist, und die trans-rhenanische Tugend hat vergebens alle Bolzen derVerleumdung abgeschossen.Es hat aber, wie gesagt, etwas Miliches, wennman unsern Namen schlecht ausspricht. Es gibt Men-schen, die in solchen Fllen eine groe Empfindlich-keit an den Tag legen. Ich machte mir mal den Spa,den alten Cherubini zu befragen, ob es wahr sei, dader Kaiser Napoleon seinen Namen immer wie Sche-rubini und nicht wie Kerubini ausgesprochen, ob-gleich der Kaiser des Italienischen genugsam kundigwar, um zu wissen, wo das italienische ch wie ein queoder k ausgesprochen wird. Bei dieser Anfrage expek-torierte sich der alte Maestro mit hchst komischerWut.Ich habe dergleichen nie empfunden.Heinrich, Harry, Henri - alle diese Namen klingengut, wenn sie von schnen Lippen gleiten. Am bestenfreilich klingt Signor Enrico. So hie ich in jenenhellblauen, mit groen silbernen Sternen gesticktenSommernchten jenes edlen und unglcklichen Lan-des, das die Heimat der Schnheit ist und RaffaelSanzio von Urbino, Joachimo Rossini und die Princi-pessa Christina Belgiojoso hervorgebracht hat.Da mein krperlicher Zustand mir alle Hoffnungraubt, jemals wieder in der Gesellschaft zu leben, undletztere wirklich nicht mehr fr mich existiert, so habeich auch die Fessel jener persnlichen Eitelkeit abge-streift, die jeden behaftet, der unter den Menschen, inder sogenannten Welt, sich herumtreiben mu.Ich kann daher jetzt mit unbefangenem Sinn vondem Migeschick sprechen, das mit meinem NamenHarry verbunden war und mir die schnsten Frh-lingsjahre des Lebens vergllte und vergiftete.Es hatte damit folgende Bewandtnis. In meiner Va-terstadt wohnte ein Mann, welcher der Dreckmichelhie, weil er jeden Morgen mit einem Karren, woranein Esel gespannt war, die Straen der Stadt durchzogund vor jedem Hause stillhielt, um den Kehricht, wel-chen die Mdchen in zierlichen Haufen zusammenge-kehrt, aufzuladen und aus der Stadt nach dem Mistfel-de zu transportieren. Der Mann sah aus wie sein Ge-werbe, und der Esel, welcher seinerseits wie sein Herraussah, hielt still vor den Husern oder setzte sich inTrab, je nachdem die Modulation war, womit der Mi-chel ihm das Wort Haarh! zurief.War solches sein wirklicher Name oder nur einStichwort? Ich wei nicht, doch soviel ist gewi, daich durch die hnlichkeit jenes Wortes mit meinemNamen Harry auerordentlich viel Leid von Schulka-meraden und Nachbarskindern auszustehen hatte. Ummich zu nergeln, sprachen sie ihn ganz so aus, wie derDreckmichel seinen Esel rief, und ward ich darob er-bost, so nahmen die Schlke manchmal eine ganz un-schuldige Miene an und verlangten, um jede Ver-wechselung zu vermeiden, ich sollte sie lehren, wiemein Name und der des Esels ausgesprochen werdenmten, stellten sich aber dabei sehr ungelehrig,meinten, der Michel pflege die erste Silbe immer sehrlangsam anzuziehen, whrend er die zweite Silbeimmer sehr schnell abschnappen lasse; zu anderenZeiten geschhe das Gegenteil, wodurch der Ruf wie-der ganz meinem eigenen Namen gleichlaute, undindem die Buben in der unsinnigsten Weise alle Be-griffe und mich mit dem Esel und wieder diesen mitmir verwechselten, gab es tolle coq--l'ne, ber diejeder andere lachen, aber ich selbst weinen mute.Als ich mich bei meiner Mutter beklagte, meintesie, ich solle nur suchen, viel zu lernen und gescheitzu werden, und man werde mich dann nie mit einemEsel verwechseln.Aber meine Homonymitt mit dem schbigenLangohr blieb mein Alp. Die groen Buben gingenvorbei und grten: Haarh!, die kleineren riefenmir denselben Gru, aber in einiger Entfernung. Inder Schule ward dasselbe Thema mit raffinierterGrausamkeit ausgebeutet; wenn nur irgend von einemEsel die Rede war, schielte man nach mir, der ichimmer errtete, und es ist unglaublich, wie Schulkna-ben berall Anzglichkeiten hervorzuheben oder zuerfinden wissen.Zum Beispiel der eine frug den andern: Wie unter-scheidet sich das Zebra von dem Esel des Barlaam,Sohn Boers? Die Antwort lautete: Der eine sprichtzebrisch und der andere sprach hebrisch. - Dannkam die Frage: Wie unterscheidet sich aber der Eseldes Dreckmichels von seinem Namensvetter?, unddie impertinente Antwort war: Den Unterschied wis-sen wir nicht. Ich wollte dann zuschlagen, aber manbeschwichtigte mich, und mein Freund Dietrich, derauerordentlich schne Heiligenbildchen zu verferti-gen wute und auch spter ein berhmter Malerwurde, suchte mich einst bei einer solchen Gelegen-heit zu trsten, indem er mir ein Bild versprach. Ermalte fr mich einen heiligen Michael - aber der B-sewicht hatte mich schndlich verhhnt. Der Erzengelhatte die Zge des Dreckmichels, sein Ro sah ganzaus wie dessen Esel, und statt einen Drachen durch-stach die Lanze das Aas einer toten Katze.Sogar der blondlockichte, sanfte, mdchenhafteFranz, den ich so sehr liebte, verriet mich einst: erschlo mich in seine Arme, lehnte seine Wange zrt-lich an die meinige, blieb lange sentimental an meinerBrust und - rief mir pltzlich ins Ohr ein lachendesHaarh! - das schnde Wort im Davonlaufen be-stndig modulierend, da es weithin durch die Kreuz-gnge des Klosters widerhallte.Noch roher behandelten mich einige Nachbarskin-der, Gassenbuben jener niedrigsten Klasse, welchewir in Dsseldorf Haluten nannten, ein Wort, wel-ches Etymologienjger gewi von den Heloten derSpartaner ableiten wrden.Ein solcher Halut war der kleine Jupp, welches Jo-seph heit und den ich auch mit seinem VatersnamenFlader benennen will, damit er beileibe nicht mit demJupp Rrsch verwechselt werde, welcher ein ganz ar-tiges Nachbarskind war und, wie ich zufllig erfahren,jetzt als Postbeamter in Bonn lebt. Der Jupp Fladertrug immer einen langen Fischerstecken, womit ernach mir schlug, wenn er mir begegnete. Er pflegtemir auch gern Ropfel an den Kopf zu werfen, die erbrhwarm, wie sie aus dem Backofen der Naturkamen, von der Strae aufraffte. Aber nie unterlie erdann auch, das fatale Haarh! zu rufen, und zwar inallen Modulationen.Der bse Bub war der Enkel der alten Frau Flader,welche zu den Klientinnen meines Vaters gehrte. Sobse der Bub war, so gutmtig war die arme Gro-mutter, ein Bild der Armut und des Elends, aber nichtabstoend, sondern nur herzzerreiend. Sie war wohlber achtzig Jahre alt, eine groe Schlottergestalt, einweies Ledergesicht mit blassen Kummeraugen, eineweiche, rchelnde, wimmernde Stimme, und bettelndganz ohne Phrase, was immer furchtbar klingt.Mein Vater gab ihr immer einen Stuhl, wenn siekam, ihr Monatsgeld abzuholen an den Tagen, wo erals Armenpfleger seine Sitzungen hielt.Von diesen Sitzungen meines Vaters als Armen-pfleger blieben mir nur diejenigen im Gedchtnis,welche im Winter stattfanden, in der Frhe des Mor-gens, wenn's noch dunkel war. Mein Vater sa dannan einem groen Tische, der mit Geldtten jederGre bedeckt war; statt der silbernen Leuchter mitWachskerzen, deren sich mein Vater gewhnlich be-diente und womit er, dessen Herz soviel Takt besa,vor der Armut nicht prunken wollte, standen jetzt aufdem Tische zwei kupferne Leuchter mit Talglichtern,die mit der roten Flamme des dicken, schwarzge-brannten Dochtes gar traurig die anwesende Gesell-schaft beleuchteten.Das waren arme Leute jedes Alters, die bis in denVorsaal Queue machten. Einer nach dem andern kam,seine Tte in Empfang zu nehmen, und mancher er-hielt zwei; die groe Tte enthielt das Privatalmosenmeines Vaters, die kleine das Geld der Armenkasse.Ich sa auf einem hohen Stuhle neben meinemVater und reichte ihm die Tten. Mein Vater wolltenmlich, ich sollte lernen, wie man gibt, und in die-sem Fache konnte man bei meinem Vater etwas Tch-tiges lernen.Viele Menschen haben das Herz auf dem rechtenFleck, aber sie verstehen nicht zu geben, und es dau-ert lange, ehe der Wille des Herzens den Weg bis zurTasche macht; zwischen dem guten Vorsatz und derVollstreckung vergeht langsam die Zeit wie bei einerPostschnecke. Zwischen dem Herzen meines Vatersund seiner Tasche war gleichsam schon eine Eisen-bahn eingerichtet. Da er durch die Aktionen solcherEisenbahn nicht reich wurde, versteht sich von selbst.Bei der Nord- oder Lyonbahn ist mehr verdient wor-den.Die meisten Klienten meines Vaters waren Frauen,und zwar alte, und auch in spteren Zeiten, selbstdamals, als seine Umstnde sehr unglnzend zu seinbegannen, hatte er eine solche Klientel von bejahrtenWeibspersonen, denen er kleine Pensionen verab-reichte. Sie standen berall auf der Lauer, wo seinWeg ihn vorberfhren mute, und er hatte solcher-maen eine geheime Leibwache von alten Weibernwie einst der selige Robespierre.Unter dieser altergrauen Garde war manche Vettel,die durchaus nicht aus Drftigkeit ihm nachlief, son-dern aus wahrem Wohlgefallen an seiner Person, anseiner freundlichen und immer liebreichen Erschei-nung.Er war ja die Artigkeit in Person, nicht blo denjungen, sondern auch den lteren Frauen gegenber,und die alten Weiber, die so grausam sich zeigen,wenn sie verletzt werden, sind die dankbarste Nation,wenn man ihnen einige Aufmerksamkeit und Zuvor-kommenheit erwiesen, und wer in Schmeicheleien be-zahlt sein will, der findet in ihnen Personen, die nichtknickern, whrend die jungen schnippischen Dingeruns fr alle unsere Zuvorkommenheiten kaum einesKopfnickens wrdigen.Da nun fr schne Mnner, deren Spezialitt drinbesteht, da sie schne Mnner sind, die Schmeiche-lei ein groes Bedrfnis ist und es ihnen dabei gleich-gltig ist, ob der Weihrauch aus einem rosichten oderwelken Munde kommt, wenn er nur stark undreichlich hervorquillt, so begreift man, wie mein teu-rer Vater, ohne eben darauf spekuliert zu haben, den-noch in seinem Verkehr mit den alten Damen eingutes Geschft machte.Es ist unbegreiflich, wie gro oft die Dosis Weih-rauch war, mit welcher sie ihn eindampften, und wiegut er die strkste Portion vertragen konnte. Das warsein glckliches Temperament, durchaus nicht Einfalt.Er wute sehr wohl, da man ihm schmeichle, aber erwute auch, da Schmeichelei wie Zucker immer sist, und er war wie das Kind, welches zu der Muttersagt: Schmeichle mir ein bichen, sogar ein bichenzuviel.Das Verhltnis meines Vaters zu den besagtenFrauen hatte aber noch auerdem einen ernsterenGrund. Er war nmlich ihr Ratgeber, und es ist merk-wrdig, da dieser Mann, der sich selber so schlechtzu raten wute, dennoch die Lebensklugheit selbstwar, wenn es galt, anderen in milichen Vorfallenhei-ten einen guten Rat zu erteilen. Er durchschaute danngleich die Position, und wenn die betrbte Klientinihm auseinandergesetzt, wie es ihr in ihrem Gewerbeimmer schlimmer gehe, so tat er am Ende einen Aus-spruch, den ich so oft, wenn alles schlecht ging, ausseinem Munde hrte, nmlich: In diesem Falle muman ein neues Fchen anstechen. Er wollte damitanraten, da man nicht in einer verlorenen Sacheeigensinnig ferner beharren, sondern etwas Neues be-ginnen, eine neue Richtung einschlagen msse. Manmu dem alten Fa, woraus nur saurer Wein und nursparsam trpfelt, lieber gleich den Boden ausschlagenund ein neues Fchen anstechen! Aber statt dessenlegt man sich faul mit offenem Mund unter dastrockene Spundloch und hofft auf seres und reichli-cheres Rinnen.Als die alte Hanne meinem Vater klagte, da ihreKundschaft abgenommen und sie nichts mehr zubrocken und, was fr sie noch empfindlicher, nichtsmehr zu schlucken habe, gab er ihr erst einen Taler,und dann sann er nach. Die alte Hanne war frhereine der vornehmsten Hebammen, aber in spterenJahren ergab sie sich etwas dem Trinken und beson-ders dem Tabakschnupfen; da in ihrer roten Naseimmer Tauwetter war und der Tropfenfall die weienBettcher der Wchnerinnen sehr verbrunte, so warddie Frau berall abgeschafft.Nachdem mein Vater nun reiflich nachgedacht,sagte er endlich: Da mu man ein neues Fchen an-stechen, und diesmal mu es ein Branntweinfchensein; ich rate Euch, in einer etwas vornehmen, vonMatrosen besuchten Strae am Hafen einen kleinenLikrladen zu erffnen, ein Schnapsldchen.Die Ex-Hebamme folgte diesem Rat, sie etabliertesich mit einer Schnapsbutike am Hafen, machte guteGeschfte, und sie htte gewi ein Vermgen erwor-ben, wenn nicht unglcklicherweise sie selbst ihrebeste Kunde gewesen wre. Sie verkaufte auch Tabak,und ich sah sie oft vor ihrem Laden stehen mit ihrerrot aufgedunsenen Schnupftabaksnase, eine lebendeReklame, die manchen gefhlvollen Seemann anlock-te.Zu den schnen Eigenschaften meines Vaters ge-hrte vorzglich seine groe Hflichkeit, die er, alsein wahrhaft vornehmer Mann, ebensosehr gegenArme wie gegen Reiche ausbte. Ich bemerkte diesesbesonders in den oberwhnten Sitzungen, wo er, denarmen Leuten ihre Geldtte verabreichend, ihnenimmer einige hfliche Worte sagte.Ich konnte da etwas lernen, und in der Tat, man-cher berhmte Wohltter, der den armen Leutenimmer die Tte an den Kopf warf, da man mit jedemTaler auch ein Loch in den Kopf bekam, htte hier beimeinem hflichen Vater etwas lernen knnen. Er be-fragte die meisten armen Weiber nach ihrem Befin-den, und er war so gewohnt an die Redeformel Ichhabe die Ehre, da er sie auch anwandte, wenn ermancher Vettel, die etwa unzufrieden und patzig, dieTre zeigte.Gegen die alte Flader war er am hflichsten, und erbot ihr immer einen Stuhl. Sie war auch wirklich soschlecht auf den Beinen und konnte mit ihrerHandkrcke kaum forthumpeln.Als sie zum letztenmal zu meinem Vater kam, umihr Monatsgeld abzuholen, war sie so zusammenfal-lend, da ihr Enkel, der Jupp, sie fhren mute. Die-ser warf mir einen sonderbaren Blick zu, als er michan dem Tische neben meinem Vater sitzen sah. DieAlte erhielt auer der kleinen Tte auch noch eineganz groe Privattte von meinem Vater, und sieergo sich in einen Strom von Segenswnschen undTrnen.Es ist frchterlich, wenn eine alte Gromutter sostark weint. Ich htte selbst weinen knnen, und diealte Frau mochte es mir wohl anmerken. Sie konntenicht genug rhmen, welch ein hbsches Kind ich sei,und sie sagte, sie wollte die Muttergottes bitten, dafrzu sorgen, da ich niemals im Leben Hunger leidenund bei den Leuten betteln msse.Mein Vater ward ber diese Worte etwas verdrie-lich, aber die Alte meinte es ehrlich; es lag in ihremBlick etwas so Geisterhaftes, aber zugleich Frmmi-ges und Liebreiches, und sie sagte zuletzt zu ihremEnkel: Geh, Jupp, und ksse dem lieben Kinde dieHand. Der Jupp schnitt eine suerliche Grimasse,aber er gehorchte dem Befehl der Gromutter; ichfhlte auf meiner Hand seine brennenden Lippen wieden Stich einer Viper. Schwerlich konnte ich sagenwarum, aber ich zog aus der Tasche alle meineFettmnnchen und gab sie dem Jupp, der mit einemroh blden Gesicht sie Stck vor Stck zhlte undendlich ganz gelassen in die Tasche seiner Bux steck-te.Zur Belehrung des Lesers bemerke ich, da Fett-mnnchen der Name einer fettigdicken Kupfermnzeist, die ungefhr einen Sou wert ist.Die alte Flader ist bald darauf gestorben, aber derJupp ist gewi noch am Leben, wenn er nicht seitdemgehenkt worden ist. - Der bse Bube blieb unvern-dert. Schon den andern Tag nach unserm Zusammen-treffen bei meinem Vater begegnete ich ihm auf derStrae. Er ging mit seiner wohlbekannten langen Fi-scherrute. Er schlug mich wieder mit diesem Stecken,warf auch wieder nach mir mit einigen Ropfeln undschrie wieder das fatale Haarh!, und zwar so lautund die Stimme des Dreckmichels so treu nachah-mend, da der Esel desselben, der sich mit dem Kar-ren zufllig in einer Nebengasse befand, den Ruf sei-nes Herrn zu vernehmen glaubte und ein frhliches I-A erschallen lie.Wie gesagt, die Gromutter des Jupp ist bald dar-auf gestorben, und zwar in dem Ruf einer Hexe, wassie gewi nicht war, obgleich unsere Zippel steif undfest das Gegenteil behauptete.Zippel war der Name einer noch nicht sehr altenPerson, welche eigentlich Sibylle hie, meine ersteWrterin war und auch spter im Hause blieb. Sie be-fand sich zufllig im Zimmer am Morgen der erwhn-ten Szene, wo die alte Flader mir so viele Lobsprcheerteilte und die Schnheit des Kindes bewunderte. Alsdie Zippel diese Worte hrte, erwachte in ihr der alteVolkswahn, da es den Kindern schdlich sei, wennsie solchermaen gelobt werden, da sie dadurch er-kranken oder von einem bel befallen werden, undum das bel abzuwenden, womit sie mich bedrohtglaubte, nahm sie ihre Zuflucht zu dem vom Volks-glauben als probat empfohlene Mittel, welches darinbesteht, da man das gelobte Kind dreimal anspuckenmu. Sie kam auch gleich auf mich zugesprungen undspuckte mir hastig dreimal auf den Kopf.Doch dieses war erst ein provisorisches Bespeien,denn die Wissenden behaupten, wenn die bedenklicheLobspende von einer Hexe gemacht worden, so knneder bse Zauber nur durch eine Person gebrochenwerden, die ebenfalls eine Hexe, und so entschlosich die Zippel, noch denselben Tag zu einer Frau zugehen, die ihr als Hexe bekannt war und ihr auch, wieich spter erfahren, manche Dienste durch ihre ge-heimnisvolle und verbotene Kunst geleistet hatte. DieHexe bestrich mir mit ihrem Daumen, den sie mitSpeichel angefeuchtet, den Scheitel des Hauptes, wosie einige Haare abgeschnitten; auch andere Stellenbestrich sie solchermaen, whrend sie allerleiAbrakadabra-Unsinn dabei murmelte, und so ward ichvielleicht schon frhe zum Teufelspriester ordiniert.Jedenfalls hat diese Frau, deren Bekanntschaft mirseitdem verblieb, mich spterhin, als ich schon er-wachsen, in die geheime Kunst iniziert.Ich bin zwar selbst kein Hexenmeister geworden,aber ich wei, wie gehext wird, und besonders weiich, was keine Hexerei ist.Jene Frau nannte man die Meisterin oder auch dieGchin, weil sie aus Goch gebrtig war, wo auch ihrverstorbener Gatte, der das verrufene Gewerbe einesScharfrichters trieb, sein Domizil hatte und von nahund fern zu Amtsverrichtungen gerufen wurde. Manwute, da er seiner Witwe mancherlei Arkana hinter-lassen, und diese verstand es, diesen Ruf auszubeuten.Ihre besten Kunden waren Bierwirte, denen sie dieTotenfinger verkaufte, die sie noch aus der Verlassen-schaft ihres Mannes zu besitzen vorgab. Das sindFinger eines gehenkten Diebes, und sie dienen dazu,das Bier im Fasse wohlschmeckend zu machen und zuvermehren. Wenn man nmlich den Finger eines Ge-henkten, zumal eines unschuldig Gehenkten, an einemBindfaden befestigt im Fasse hinabhngen lt, sowird das Bier dadurch nicht blo wohlschmeckender,sondern man kann aus besagtem Fasse doppelt, javierfach soviel zapfen wie aus einem gewhnlichenFasse von gleicher Gre. Aufgeklrte Bierwirtepflegen ein rationaleres Mittel anzuwenden, um dasBier zu vermehren, aber es verliert dadurch an Strke.Auch von jungen Leuten zrtlichen Herzens hattedie Meisterin viel Zuspruch, und sie versah sie mitLiebestrnken, denen sie in ihrer scharlatanischen La-tinittswut, wo sie das Latein noch lateinischer klin-gen lassen wollte, den Namen eines Philtrariums er-teilte; den Mann, der den Trank seiner Schnen ein-gab, nannte sie den Philtrarius, und die Dame hiedann die Philtrariata.Es geschah zuweilen, da das Philtrarium seineWirkung verfehlte oder gar eine entgegengesetzte her-vorbrachte. So hatte z.B. ein ungeliebter Bursche, derseine sprde Schne beschwatzt hatte, mit ihm eineFlasche Wein zu trinken, ein Philtrarium unversehensin ihr Glas gegossen, und er bemerkte auch in demBenehmen seiner Philtrariata, sobald sie getrunkenhatte, eine seltsame Vernderung, eine gewisse Ben-autigkeit, die er fr den Durchbruch einer Liebes-brunst hielt! und glaubte sich dem groen Momentenahe. Aber ach! als er die Errtende jetzt gewaltsamin seine Arme schlo, drang ihm ein Duft in die Nase,der nicht zu den Parfmerien Amors gehrt, er merk-te, da das Philtrarium vielmehr als ein Laxariumagierte, und seine Leidenschaft ward dadurch gar wi-derwrtig abgekhlt.Die Meisterin rettete den Ruf ihrer Kunst, indemsie behauptete, den unglcklichen Philtrarius miver-standen und geglaubt zu