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1 Foto: S. F. Weber Zusammenfassung und Bewertung Siegfried F. Weber © by Siegfried F. Weber, (Selbstverlag), Großheide, 2013. Meine Manuskripte dürfen für den nichtgewerblichen Gebrauch kopiert und weiter ge- reicht werden. Historisch-kritische Methode in der Hermeneutik

Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

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Page 1: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

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Foto: S. F. Weber

Zusammenfassung und Bewertung

Siegfried F. Weber

© by Siegfried F. Weber, (Selbstverlag), Großheide, 2013. Meine Manuskripte dürfen für den nichtgewerblichen Gebrauch kopiert und weiter ge-

reicht werden.

Historisch-kritische Methode

in der Hermeneutik

Page 2: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

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Inhaltsverzeichnis

Kritische Ansätze in der Hermeneutik ___________________________________________ 3

1. Die historisch-kritische Methode (HKM) _______________________________ 3

2. Entmythologisierung - Rudolf Bultmann ______________________________ 21

3. Kontextuale Hermeneutik __________________________________________ 25

4. Ökumenische Hermeneutik _________________________________________ 26

5. Feministische Hermeneutik _________________________________________ 31

6. Tiefenpsychologische Hermeneutik __________________________________ 34

7. Der philosophische Ansatz von Hans-Georg Gadamer __________________ 36

7.1. Die persönliche Wirkungsgeschichte _______________________________ 38

Fachliches Abkürzungsverzeichnis von Nachschlagewerken ________________________ 39

L i t e r a t u r mit Anmerkungen ______________________________________________ 41

1. Literatur für praktische Anleitung einer bibeltreuen exegetischen Arbeit __ 41

2. Literatur zur Anleitung der historisch-kritischen Methode ______________ 41

3. Stellungnahmen zur historisch-kritischen Methode (HKM) ______________ 42

4. Zur Geschichte der Hermeneutik ____________________________________ 43

5. Hermeneutik im Lichte der Heilsgeschichte ___________________________ 43

6. Allgemeine Literatur der Hermeneutik _______________________________ 44

Hinweise __________________________________________________________________ 48

Page 3: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

3

Kritische Ansätze in der Hermeneutik

1. Die historisch-kritische Methode (HKM)

1) Definition

Die historisch-kritische Methode (HKM) betrachtet die Bibel primär wie ein ganz ge-

wöhnliches profanes, literarisches Werk, welches mit rein geschichtlich-literarischen

Methoden gelesen und unter kritischer Einstellung ausgelegt werden muss. Offenbarung

und Inspiration treten zurück oder werden sogar ganz aufgegeben.

Klaus Haacker konstatiert: „In diesem Bereich geht es um die Prüfung berichtender Texte

auf die Richtigkeit ihrer Angaben hin und somit auch um die ‚Kritik‘ = kritische Unter-

suchung der biblischen Geschichtsentwürfe im Großen und Ganzen.“1

Haacker weiß, dass genau an dieser Stelle die historisch-kritische Wissenschaft sich von

der dogmatischen Bibelwissenschaft trennt, die keine historischen Irrtümer in der Bibel

gelten lassen will und mit der Inspiration aller 66 kanonischen Bücher rechnet.2

2) Ziel

„Als Leitmethode wissenschaftlicher Bibelauslegung bemüht sich die historisch-kritische

Exegese zu ermitteln, welchen Sinn ein biblischer Text zur Zeit seiner Abfassung hatte.

Sie berücksichtigt dabei, dass sich dieser Sinn durch Erweiterungen und Veränderungen

gewandelt haben kann.“3 Die historisch-kritische Forschung rechnet mit langen mündli-

chen Überlieferungsprozessen, in denen Botschaften, Geschichten und Erzählungen oft

verändert, revidiert und ergänzt worden seien.

Der historisch-kritischen Methode geht es also vor allem darum, den Entstehungsprozess

der biblischen Texte nachzuzeichnen. Das ist ein äußerst schwieriges Unterfangen, da die

meisten Texte nichts über ihre Entstehung aussagen. Anscheinend war die Überliefe-

rungsgeschichte den Verfassern nicht so essentiell wichtig. Ihnen ging es wohl eher da-

rum, den Inhalt der Botschaft so zu vermitteln, dass jeder Leser Gottes Nachricht erhält.

Die nachgezeichneten Entstehungsprozesse der historisch-kritischen Forschung sind oft

sehr komplex, hypothetisch, literaturwissenschaftlich trocken und undurchsichtig und

vom Leser weder zu evaluieren noch zu verifizieren. Dazu kommen Forschungsergebnis-

se aus annähernd zwei Jahrhunderten mit einer unübersichtlichen Datenfülle von For-

schern, die sich zudem nicht zu wenig kontradiktorisch widersprechen.4

1 Klaus Haacker: Neutestamentliche Wissenschaft, Wuppertal, 21985, 20. 2 Ders., ebd. 3 Joachim Vette (Februar 2008) in WiBiLex, Artikel: „Bibelauslegung, historisch-kritisch“. Download vom

12.August 2010.

http://www.bibelwissenschaft.de/nc/wibilex/dasbibellexikon/details/quelle/WIBI/referenz/15249/cache/76c

035fac5ff416de91ae2a64b557d20/ 4 Das gesteht auch Joachim Vette ein: „Zu den Kritikpunkten gehört die Vernachlässigung des Textes in

seiner Jetztgestalt, mangelnde methodische Interaktion mit anderen theologischen Disziplinen jenseits des

eigenen Fachbereichs, eine schier unübersehbare Fülle unterschiedlicher Hypothesen zur Textentstehung

und die Spannung zwischen der Anwendung vermeintlich objektiver Methoden und dem subjektiven Urteil

des jeweiligen Auslegers.“ Quelle: WiBiLex: Art. „Bibelauslegung, historisch-kritisch“ (Februar 2008),

a.a.O. Vgl. dazu auch die unüberschaubaren Ergebnisse der Pentateuchforschung: Erich Zenger: „Die Bü-

Page 4: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

4

In diesem Sinne kommt schon Ulrich Körtner zu der Feststellung: „An den Universitäten

ist sie weiterhin unangefochten. In der kirchlichen und religionspädagogischen Praxis

aber wird ihr Nutzen durchaus in Frage gestellt. … Im Kern lautet die sich formierende

Kritik an der historisch-kritischen Exegese, dass sie dem Bedeutungsverlust der Bibel

Vorschub leistet.“5

3) Das Wesen der HKM

Sie stellt biblische Texte auf dieselbe Stufe wie die profanen Texte. Dadurch verliert

die Hl. Schrift ihre Autorität, ihren Offenbarungscharakter und ihre Inspiration.

Sie lehnt die Inspiration (Verbalinspiration) ab. Dadurch werden biblische Texte zu

literarischen Texten, von Menschen geschrieben, die nicht bei der Niederschrift durch

den Geist Gottes geleitet wurden.

Damit leugnet sie die Göttlichkeit des Wortes Gottes.

Sie stellt die zuverlässige Historizität der Bibel in Frage. Historizität muss wissen-

schaftlich verifizierbar sein. Wunder, Theophanien (Gotteserscheinungen), Engelser-

scheinungen und Prophetien werden in diesem Sinne angezweifelt.

4) Ausgangspunkt

Geburtsort der HKM ist die autonome Vernunft (Aufklärung). Alles, was der Ver-

nunft widerspricht, muss angezweifelt werden (Wunder, Theophanien, Engel, Pro-

phetie, Eschatologie).

Der Historismus im 19. Jahrhundert. Texte werden in ihrem historischen Kontext

untersucht. Die Botschaft des Textes tritt in den Hintergrund.

Die Bibel wird nicht pneumatisch (durch dem HI. Geist), sondern rationalistisch und

empirisch ausgelegt.6

5) Entstehung der HKM

Johann Salomo Semler

Vater der HKM ist Johann Salomo Semler7 (1725-1791). Er leugnet Inspiration und

trennt HI. Schrift vom Wort Gottes: Jesu Historizität wäre nicht zu leugnen. Er ist der

Retter der Sünder und Zöllner. Die Jungfrauengeburt aber wäre von der späteren Ge-

meinde erfunden worden, um die Göttlichkeit Jesu zu beweisen.

Semler kennt nur einen Zugang zur Bibel: Die Geschichte. Er vergleicht alle biblischen

Texte mit der damaligen Umwelt. Er leugnet den Zugang zur Schrift über den HI. Geist

und durch Gebet.

cher der Thora / des Pentateuch“, in: Erich Zenger, Hrsg., Einleitung in das Alte Testament, Kohlhammer,

Stuttgart, 62006, 60-187. 5 Ulrich Körtner: Einführung in die theologische Hermeneutik, 2006, 97. 6 Dabei bringt man der Bibel wenig Vertrauen entgegen. Ein kritischer Geist benebelt so manchen Ausleger

a priori. Dabei tritt selbst Klaus Haacker für mehr Objektivität ein: „Für den Profanhistoriker ist das Ver-

trauen in die Quellen so lange Arbeitshypothese, bis gegenteilige Beobachtungen eine Quelle als unzuver-

lässig erwiesen haben.“ Klaus Haacker: Neutestamentliche Wissenschaft, a.a.O., 78. 7 Armin Sierszyn: Die Bibel im Griff?, Brockhaus, Wuppertal, 1978, 15 ff

Page 5: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

5

Friedrich Schleiermacher

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834) hat als erster die Hermeneutik syste-

matisiert. Seine Hermeneutik könnte man als „Hermeneutik des Kompromisses“ be-

zeichnen, denn er versuchte Wissenschaft, Philosophie und die religiöse Gewissheit mit-

einander zu vereinigen. Es gibt also keine explizite Abgrenzung der Bibel als Wort Got-

tes gegenüber der Philosophie und der kritischen Wissenschaft. „Historische Kritik ist,

wie für das gesamte Gebiet der Geschichtskunde, so auch für die historische Theologie

das allgemeine und unentbehrliche Organon“, schreibt Schleiermacher in der zweiten

Auflage seiner „Kurze(n) Darstellung des theologischen Studiums…“ von 1830.8

Seine hermeneutischen Überlegungen hat Schleiermacher in dem Werk „Hermeneutik

und Kritik“ dargelegt, das nach seinem Tode von Fr. Lücke 1838 in Berlin herausgege-

ben wurde.

Zwei Grundsätze sind für die Hermeneutik Schleiermachers9 bindend:

1. Grundsatz: Hermeneutik als Kunstlehre

In der Hermeneutik geht es um die Kunstlehre des Verstehens, die explizit den

Grundsätzen der Sprache (Grammatik) und des logischen Denkens folgen muss. Da-

mit grenzt Schleiermacher sich von der „Hermeneutik der Wiedergeburt“ im Pietis-

mus ab. Die Bibel ist ein gewöhnliches Buch. Die Inspiration der neutestamentlichen

Verfasser lehnt Schleiermacher ab, weil sie Allgemeingut der Kirche ist, d. h. jeder

Christ ist inspiriert. Die Bibel ist so auszulegen wie jede andere christliche Ge-

schichtsquelle auch (§ 130,2 Glaubenslehre).

2. Grundsatz: psychologisches Verstehen

Biblische Texte müssen in ihrem historischen Kontext und im Blickfeld des Autors in-

terpretiert werden. Das Alte Testament spielt für Schleiermacher keine Rolle; er

möchte es lieber als Anhang zum Neuen Testament betrachten.

Ernst Troeltsch

Ernst Troeltsch10 (1865-1923) hat die historisch-kritische Methode weiter geformt. Drei

Grundansätze der HKM gibt er:

a) Kritik

Die Bibel muss kritisch gelesen werden, so Troeltsch. Die Kritik stellt die Bibel in Fra-

ge. In der „objektiven“ Kritik werden sowohl positive als auch negative Bewertungen

abgegeben. Die historisch-kritische Methode scheut sich nicht davor, das Wort Gottes

auch negativ zu beurteilen.

8 Zitat in: P. Stuhlmacher: Vom Verstehen, a.a.O., 146. 9 P. Stuhlmacher: Vom Verstehen, a.a.O., 147f. 10 A. Sierszyn: Die Bibel im Griff, a.a.O., 20 ff

Page 6: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

6

b) Analogie (= Ähnlichkeit)

Alles Geschehene in der Bibel muss dem heutigen Geschehen entsprechen (analog sein).

Gibt es heute keine Totenauferstehungen, so gab es sie damals auch nicht. Troeltsch

sprach von der „Allmacht der Analogie“11

c) Korrelation (Wechselwirkung)

Alles Geschehene in der Bibel muss eine Parallele zu der politischen, sozialen, kulturel-

len und religiösen Umwelt haben (Religionsgeschichtliche Methode). Israel stand in der

Korrelation zu seinen Nachbarn. Alles scheint Israel von den Nachbarreligionen über-

nommen zu haben, die Namen Gottes, die Opferhandlungen, die Schöpfungsgeschichte,

die Sintflutgeschichte.

Das Korrelationsprinzip basiert auf der Überzeugung der immanenten Kausalität aller

historischen Vorgänge12, d. h. alle Ereignisse müssen von der Vernunft her und auf natür-

licher Weise erklärbar sein, somit auch Wunder, Epiphanien usw.

Damit wird jegliche Offenbarung abgelehnt. Die HKM hat das Ziel, aus dem ewig geof-

fenbartem Wort Gottes ein menschlich-irdisches-geschichtliches Buch zu machen.

Erste Anfragen an die HKM:

1) Die HKM behandelt die Bibel als ein fremdes Objekt.

2) Die Ergebnisse führen den Leser in eine Unsicherheit und in Zweifel hinein.

3) Das angestrebte Ziel, den Leser in eine engere Beziehung zur Botschaft der Bibel zu

bringen, wird nicht erreicht.

4) Die Erträge der HKM sind häufig steril-akademisch und weder für Gottesdienst noch

für die persönliche Lebenspraxis brauchbar.13

„Die Inspiration der Bibel als Offenbarung Gottes des Schöpfers und Erlösers beinhaltet

die Erwartung, in den Worten der menschlichen Schreiber das Wort Gottes zu hören.“14

„Es gibt keine neutrale Beschäftigung mit dem Text der Bibel, wenn sie heilige Schrift

ist.“15

6) Die Methoden der HKM

Zu den methodischen Arbeitsschritten der HKM vergleiche Jürgen Roloff16, Heinrich

Zimmermann17 oder Conzelmann / Lindemann18.

11 H.-W. Neudorfer / E. J. Schnabel: Das Studium des NT, Bd. 1, Wuppertal, 1999, 24 f. 12 Neudorfer / Schnabel, a.a.O., 25. 13 Neudorfer / Schnabel, a.a.O., 27 14 Neudorfer / Schnabel, a.a.O., 31 15 Neudorfer / Schnabel, a.a.O., 36 16 Jürgen Roloff: Neues Testament, Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn, 21979 (71999), 4 – 45. 17 Heinrich Zimmermann: Neutestamentliche Methodenlehre. Darstellung der historisch-kritischen Metho-

de. Neubearbeitet von Klaus Kliesch, Stuttgart, 71982.

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6.1. Literarkritik (LK)

Die Literarkritik denkt in großen Bausteinen, aus denen ein Werk zusammengesetzt ist

und sie fragt nach der Baugeschichte bis hin zu seiner vorliegenden Endfassung.19 Fol-

gende Stichpunkte gehören zur Literarkritik: Quellen (Quellenscheidung), Komposition,

Teilungshypothesen, Spannungen.

Sie hat das Ziel, „etwaige Phasen in der literarischen Herstellung einer Schrift zu erken-

nen, sei es in Form von Quellenbenutzung oder in Form von nachträglicher Überarbei-

tung.“20

Dabei wird nicht bedacht, dass durch diese Arbeitsmethode die Einheitlichkeit des bibli-

schen Wortes zerstückelt wird und dadurch die Intention, die Botschaft verloren geht.

Das stellt auch Jürgen Roloff fest, wenn er schreibt: „Diese Zuversicht stand hinter der klassischen Literar-

kritik, deren Hauptexponenten Julius Wellhausen und Heinrich J. Holtzmann waren. Sie ging gleichsam

mit dem Seziermesser an die Texte heran, wobei jeder logische Widerspruch, jede fehlende Gedankenver-

bindung, jeder Unterschied im Sprachgebrauch aufgespürt und zum Indiz für das Vorliegen verschiedener

Quellen gemacht wurde. Ziel der Arbeit war nicht das Verständnis des vorliegenden Textes, sondern die

Rekonstruktion der Quelle, von der man sich jene exakte historische Information erhoffte, die der Text in

seiner vorliegenden Form schuldig blieb.“21

Der Philipperbrief sei eine Briefkomposition aus mehreren Briefen: Brief A (Phil. 4,10-

20); B (1,1-3,1; 4,4-7.21-23) C (3,2-4,3.8f.).22

Auch die Evangelien schöpften aus verschiedenen Quellen. An die Stelle des Hl. Geistes

als Hauptverfasser setzt man die Quellentheorie. Wer die Quellenscheidung nicht benut-

ze, sei nicht wert, ein Exeget zu heißen, meint Klaus Koch.23 Haacker dagegen gesteht

ein, dass die Quellenfrage der Synoptiker ein fast unlösbares Problem darstellt.24

Kritik an der Literarkritik:

a) Die Arbeiten beruhen hauptsächlich auf Hypothesen. Für die Quellen und Schichten

gibt es keine externen Hinweise.

b) Können „unterschiedliche Schichten“ nicht auch Ausdrucksformen damaliger Zeit

sein?

c) In den Einzelergebnissen der Historisch-kritischen Forschung gab es zunehmend

keinen Konsens.

d) Gegenstand jeder Exegese muss aber zuallererst der Text der Bibel in der Jetztgestalt

sein.

e) Die HKM nimmt die Verfasser und die Historizität zu wenig ernst.

18 Hans Conzelmann / Andreas Lindemann: Arbeitsbuch zum NT, Mohr Siebeck, Tübingen, 121998

(142004). Erster Teil: Methodenlehre, § 1 – 12. 19 Haacker: Neutestamentliche Wissenschaft, a.a.O., 40. 20 Ders., a.a.O., 41 21 Roloff: Neues Testament, 21979, 5. 22 Eduard Lohse: Die Entstehung des Neuen Testaments, Ev. Verlagsanstalt, Berlin, 1976, 51 23 K. Koch in J. Roloff, a.a.O., 5 24 Haacker: Neutestamentliche Wissenschaft, a.a.O., 44.

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6.2. Die Formgeschichte (FG)

Literatur: Klaus Koch: Was ist Formgeschichte? - Neukirchen-Vluyn, 51989 (Kritisches

Standardwerk).

Der Vater der alttestamentlichen Formgeschichte (FG) ist Hermann Gunkel (1862 –

1932), eingeführt wurde der Begriff aber von Martin Dibelius (1883-1947) im Jahre 1919

mit seinem Buch „die Formgeschichte des Evangeliums.“

Der Untersuchungsgegenstand der FG ist der „Sitz im Leben“ (Begriffseinführung er-

folgte durch Gunkel). Der „Sitz im Leben“ stellt die Relation dar zwischen dem Autor

(bzw. dem Text, der Gattung) und der gesellschaftlichen Situation der damaligen Zeit

(sozialer Kontext, kultureller Kontext, Gemeindesituation). Texte haben also eine soziale

Funktion.

Vor allem seien viele Formen und Traditionen von der Gemeinde Jesu geschaffen wor-

den. Man rechnet also mit langen mündlichen Überlieferungen. Viele Darstellungen in

den Evangelien sind also nicht auf Jesus und auf die damalige Situation von Jesus und

seinen Jüngern zurückzuführen, sondern entstammen der nachösterlichen Gemeindebil-

dung. Ort der Formung sei der Gottesdienst gewesen, wo in der Verkündigung Sprüche

Jesu durch Zusätze und „wunderliche“ Ausschmückungen erweitert und gestaltet worden

wären. Dadurch werden die Echtheit, die historische Zuverlässigkeit und die Wahrhaf-

tigkeit der Evangelientexte in Frage gestellt.

Die Frage der Historizität:

Gunkel stellt zu Beginn seines Genesiskommentars die provozierende These auf: „Die

Genesis ist eine Sammlung von Sagen“ (S. XXVI).

„Die Religion Abrahams ist in Wirklichkeit die Religion der Sagenerzähler, die sie Abra-

ham zuschrieben“ (S. LXXIX).

Die Pioniere der neutestamentlichen „Formgeschichte“ waren Karl Ludwig Schmidt

(1891-1956), Martin Dibelius (1883-1947) und Rudolf Bultmann (1884-1976).

Nach K. L. Schmidt seien die Evangelien Sammelwerke. Sie bestehen aus einer Anzahl

ursprünglich selbständiger Erzählungen (Traditionen). Von daher seien die zusammenge-

bastelten Evangelien für eine „Leben-Jesu-Forschung“ unbrauchbar.

Dibelius konzentriert sich auf die vorliegenden Formen in den Evangelien, als da sind:

a) Paradigmen (abgerundete Erzählungen),

b) Novellen (ausschmückende Erzählungen),

c) Legenden (Geschichten, die die Frömmigkeit, die Heiligkeit und Göttlichkeit des

Helden betonen),

d) Mythen (eine überirdische Person trete handelnd auf),

e) Passionsgeschichte und

f) Paränese (Weisheitssätze, Vergleichssätze, Bildworte, Gebote, ethische Ermahnun-

gen).

Page 9: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

9

Die k la ss i s che Fo rmgesch i ch t e i s t übe r zeug t , dass j ede Fo rm etwas

über d i e Herkun f t und übe r das A l t e r des Tex t es ver rä t !

Bultmann hat den Rede- und Erzählstoff der Evangelien in vier Rubriken eingeteilt:

1) Apophthegmata (Aussprüche Jesu, pointierte Worte, Streit- und Schulgespräche).

2) Herrenworte (Logien Jesu, prophetische, apokalyptische, Gesetzesworte, Gemeinde-

regeln, Gleichnisse).

3) Wundergeschichten (Heilungswunder, Naturwunder, usw.).

4) Geschichtserzählungen und Legenden (Täufergeschichte, Passionsgeschichte, Oster-

geschichten).

Das Beispiel vom Gichtbrüchigen (Mk. 2):

Die Formgeschichte untersucht die soziokulturelle Umwelt (Sitz im Leben) der Bibel.

Das sogenannte Herrenwort an den Gichtbrüchigen "dir sind deine Sünden vergeben", stamme wohl von

Jesus. Aber die Heilungsgeschichte vom Gichtbrüchigen sei eine spätere Erfindung der Gemeinde, um in

der Verkündigung den Christen sagen zu können, dass Jesus der Erretter ist und Sünden vergibt. „Sitz im

Leben“ wäre die Verkündigung innerhalb der Gemeinde. Wunder werden abgelehnt und man sucht das

Wort Gottes im Wort Gottes.

Kritik an der formgeschichtlichen Methode:

1) Die Historizität wird dabei oft in Frage gestellt.

2) Fast jede Form ist polyfunktional und kann von daher nicht (einem Sitz im Leben)

zugeordnet werden.

3) Die Klassifizierung von Gattungen und Formen geschieht nicht selten willkürlich.

4) Die schöpferische Produktivität der Urgemeinde ist problematisch, weil hypothe-

tisch.

5) Zudem rechnet man mit langen und sich verändernden mündlichen Überlieferungs-

strängen. Die jüdische mnemotechnische Schultradition wird ausgeklammert.

Die Kritik von Klaus Haacker an der der formgeschichtlichen Methode25:

Die Jesusüberlieferung als solche ist nicht von der Kirche für ihre Bedürfnisse geschaf-

fen, sondern besteht adäquat aus Erinnerungen an Jesus.

Die formgeschichtliche Methode kann wohl Gattungen und Formen bestimmen, sie kann

aber keine Auskunft über den geschichtlichen Werdegang dieser und jener Formen und

Gattungen geben. Haacker konstatiert: „Das Verhältnis eines konkreten Textes zu ‚sei-

ner‘ Gattung liefert keine Erkenntnisse über sein relatives Alter und erlaubt auch keine

Rückschlüsse auf seinen ‚Werdegang‘ hin zu der uns vorliegenden Form.“26

25 Haacker: Neutestamentliche Wissenschaft, 56-61. 26 Ders., a.a.O., 61.

Page 10: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

10

Haacker selbst spricht dann auch lieber von „F o r m k r i t i k “27, um sich von der her-

kömmlichen „Formgeschichte“ abzugrenzen. Die Formkritik hat nicht so sehr den Autor

des Textes im Visier, sondern konzentriert sich auf gesellschaftliche Vorgänge und Ver-

hältnisse des Autors, die ihn ja schließlich beeinflusst hätten. Der Ausleger hat also nach

der „Lebenssituation“ des Autors und nach dem ‚Leben in der Gemeinschaft‘ zu fragen.

Treten typische, wiederkehrende Lebenssituationen auf, so spricht man vom „Sitz im

Leben“.

Typische wiederkehrende Situationen haben in den Texten ihre besonderen Merkmale

von Einleitungs- oder Schlussformeln zum Beispiel. Stimmen mehrere Texte in ihrer

Konstruktion überein, kann man sie einer bestimmten Gattung zuordnen (Erzählung,

Brief, Gleichnis, Fabel, Sage, Mythen, Ätiologien, Apokalypsen).

Kritik an der Formkritik

Die bestimmende Lebenssituation des Verfassers entspräche der menschlichen Seite der

Inspiration, d. h. die Verfasser des Neuen Testaments unterscheiden sich in Sprache und

Stil. Auch verwenden sie verschiedene Gattungsformen, wobei mit der Echtheit und Zu-

verlässigkeit historischer Überlieferung im Rahmen der Offenbarungsgeschichte zu

rechnen ist. Aber auch die Autoren sind unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Lebens-

situation durch den Hl. Geist inspiriert. Und uns heute interessiert primär, was dieser Hl.

Geist den Verfassern eingegeben hat, welche Botschaft uns heute erreichen soll. Uns in-

teressiert also vielmehr die Intention des Textes als sein historischer Werdegang, den

man sowieso nur hypothetisch nachzeichnen kann, weil die Daten dafür fehlen.

6.3. Überlieferungsgeschichte (ÜG)

Defin i t ion : Die Überlieferungsgeschichte (ÜG) beschäftigt sich mit der mündlichen

Überlieferungsphase bis zur ersten Verschriftung.

Unterschied zwischen der Überlieferungsgeschichte und der Literarkritik (LK):

ÜG will die mündliche Überlieferungsphase herauskristallisieren.

LK will die schriftliche Überlieferungsphase herausarbeiten.

Prämisse: Die ÜG rechnet mit langen mündlichen Überlieferungen und damit mit Um-

formungs- und Erweiterungsprozessen! Es fanden Wandlungen am Überlieferungsgut

statt.

An die Stelle eines einzelnen Verfassers tritt nun das „Verfasser-Kollektiv“!

Zur Problematik der ÜG:

Die Prämissen beruhen auf Hypothesen!

Nicht zu übersehen ist der religionsgeschichtliche Aspekt: Das Besondere des israeliti-

schen Glaubens habe sich in einem langen Prozess entwickelt. Inspiration und Offenba-

27 Ders., a.a.O., 48-52.

Page 11: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

11

rung als ein direktes Eingreifen und Handeln Gottes werden in diesem Modell stark zu-

rückgedrängt. Es wird in einseitiger Weise nur die menschliche Seite bei der Entstehung

der Texte als Zeugnisse des Glaubens wahrgenommen.

6.4. Traditionsgeschichte (TG)

Die Traditionsgeschichte (im Wesen verwandt mit der Formgeschichte) untersucht die

Perikope auf „vorgeprägte inhaltl iche Stoffe “!

Tradierte Vorstellungen fanden vor der schriftlichen Fixierung ihren Niederschlag.

Beispiele für Traditionen im Alten Testament sind die Exodus-, Sinai28-, Landnahme-,

David- oder Zionstradition.

Diese „Traditionen“ wurden von Generation zu Generation den Kindern weitererzählt

und natürlich geformt, bis sie in der Exilszeit (609-539 v. Chr.) ihre schriftliche Fixie-

rung gefunden haben.

Eine Tradition zeigt sich in der Regel an einem „gemeinsamen Wortfeld“ sowie an

„übereinstimmenden charakteristischen Begriffen“ (Leit- und Zentralbegriffe). Außer-

dem liegt eine vergleichbare Formulierungsstruktur vor oder es findet sich der Hinweis

auf eine übernommene Rede- oder Denkweise.

Zu den im Neuen Testament aufgenommenen Traditionen gehören unter anderem alttes-

tamentliche Zitate und Anspielungen. Dazu zählen z. B. die christologischen Hoheitstitel

Jesu (Messias, Menschensohn, ...), ferner Begriffe wie „Weltgericht“ (Tag des HERRN),

die Erwählung, das endzeitliche Freudenmahl, der Weinberg usw.

Die Traditionsgeschichte ist eng mit der Überlieferungsgeschichte verbunden.

„Tradition“ meint sowohl den Vorgang des Überlieferns (traditio) als auch den überlie-

ferten Inhalt (traditum).

Die Überlieferungsgeschichte beschäftigt sich mit der „traditio“, also mit der (mündli-

chen) Überlieferung, mit dem Werdegang einer Sache.

Die Traditionsgeschichte bearbeitet den „Inhalt“, also das „traditum“.

Die traditionsgeschichtliche Methode setzt umfangreiches theologie-, religions- und geis-

tesgeschichtliches Wissen und exegetisches Fingerspitzengefühl voraus. Für Studierende

stellt sich diese exegetische Methode daher als schwierig dar.

28 In Bezug auf die Sinaitradition schreibt G. von Rad: „Ausschlaggebend für das Aneinander- und Inei-

nanderverwachsen der vielen Überlieferungen war vor allem die Gemeinsamkeit ihrer lokalen (Sinai) und

personalen (Mose) Bestimmtheit. So sind am Ende höchst verschiedene Stoffe zusammengekommen und z.

T. völlig asyndetisch aneinandergereiht worden, eben alles, was man in Israel irgendwo und irgendwann

einmal von der Sinaioffenbarung hergeleitet hat. So forderte es die Auffassung von den Überlieferungen

als von Dokumenten einer Gottesgeschichte“ (Theologie des Alten Testaments, Bd. 1, München, [1960], 91987, 201f.).

Page 12: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

12

Natürlich gibt es Linien, Verbindungen, Rückbezüge im Kontext des Alten Testaments.

Aber die Traditionsgeschichte (TG) innerhalb der historisch-kritischen Methode ist ve-

hement kritisch eingestellt. Mit Hilfe der TG werden Texte spätdatiert, verschiedene

Verfasser und Überlieferungsstränge angenommen, mit Legenden und Ätiologien ge-

rechnet und es werden Verbindungen zu den Religionen Kanaans als Ursprungsort israe-

lischer Theologie gezogen. Unter diesen Voraussetzungen können wir die Traditionsge-

schichte der HKM nicht in einer biblischen Offenbarungshermeneutik übernehmen.

Man sollte stattdessen lieber von „Traditionen und kulturellen Überlieferungen“ spre-

chen, die übernommen wurden. Es geht also um die Begriffsdefinition und um die Vo-

raussetzung einer Methode, ob sie unter kritischen Vorzeichen Verwendung findet oder

unter offenbarungstheologischen Vorzeichen.

Vergleicht man die Anwendung der traditionsgeschichtlichen Methode bei den Liberalen,

dann erkennt man nicht nur den kritischen Ansatz, sondern auch das kritische Ergebnis.

Bei der Untersuchung von Traditionen spielt eben nicht nur das Alte Testament eine Rol-

le, sondern auch außerbiblisches (apokryphisches, jüdisches, hellenistisches und pseu-

depigraphisches) Schrifttum, das den gleichen Wert hat wie das AT!!! Und das ist der

kritische Ansatz. Die Bibel wird auf die gleiche Stufe gestellt wie die außerkanonische

Literatur.

Hinzu kommt, dass die Offenbarung zurückgesetzt wird, denn in Mt. 24 (par.) finden wir

keine Rede Jesu mehr vor, sondern lange Überlieferungsstränge, die ihre Traditionen in

der jüdischen und hellenistischen Apokalyptik hätten.

Offb. 5 vergleicht Klaus Berger z. B. mit der „Pseudo-Johannes-Apokalypse“ und kommt

zu dem Ergebnis, dass in Offb. 5 „ältere, nicht christianisierte Form der Tradition vor-

liegt“.29

Ferner schreibt Berger: „Finden sich mehrere außerkanonische Parallelen, so können

deren gemeinsame Abweichungen vom kanonischen Text erkennen lassen, wo im kano-

nischen Text redaktionelle Zusätze liegen.“30

Dieses Zitat von Berger zeigt eindeutig, dass außerbiblische Texte einen höheren Stel-

lenwert haben als die kanonischen. Von den außerbiblischen Texten werden Rückschlüs-

se auf die Entstehung biblischer Texte gezogen.

An anderer Stelle vergleicht Berger das Gleichnis vom verlorenen Schaf (Mt. 18,12-14)

mit dem „Thomas-Evangelium“ und kommt wiederum zu der Konklusion, dass es sich

um gemeinsames Gleichnismaterial handelt.31

Die pseudepigraphischen Texte gehören nicht mehr zu den verführerischen Texten, die

kontradiktorisch zur Bibel stehen, sondern sie stehen in der historisch-kritischen For-

schung in einem verwandtschaftlichen Verhältnis, die gemeinsames Traditionsgut hät-

ten.

29 Klaus Berger: Exegese des Neuen Testaments, Wiesbaden, (1971), 31991, 173 30 Berger, a.a.O., 173 f. 31 Berger, a.a.O., 176

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Die kritische und unvoreingenommene Verwendung der traditionsgeschichtlichen Me-

thode führt den Exegeten von der Authentizität, Wahrhaftigkeit, Autorität und Zuverläs-

sigkeit biblischer Texte weg. In diesem Sinne streut sie mehr Zweifel als Glaubwürdig-

keit. Sie drängt den Offenbarungscharakter der Hl. Schrift zurück. „Tradition“ ersetzt die

„Offenbarung“. Die traditionsgeschichtliche Methode, so wie sie von der historisch-

kritischen Forschung verwendet wird, ist äußerst zweifelhaft.

6.5. Redaktionsgeschichte

D e f i n i t i o n : Die Redaktionsgeschichte (Red.G.) nimmt ihren Ausgangspunkt bei den

in der Literaturkritik (LK) bestimmten Textschichten und fragt nach deren Zusammen-

wachsen auf allen Bearbeitungsstufen von der ersten Verschriftung bis zur literarischen

Endform.

Voraussetzungen:

Ein bestimmtes religionsgeschichtliches Geschichtsbild wird zugrunde gelegt, mit dessen

Hilfe entschieden werden kann, welche Aussagen in welcher Zeit denkbar sind und wel-

che nicht.

Klaus Koch schreibt:

„Aber es gibt – außer einigen neutestamentlichen Briefen – kein biblisches Buch, das uns

noch in der Gestalt vorliegt, die ihm bei der ersten Verschriftung gegeben worden ist!“32

Durchbruch erlebte die Red.G. vor allem in den Pentateuchstudien, die das sogenannte

„Deuteronomistische Geschichtswerk“ hervorgebracht hat. Zum Deuterogeschichtlichen

Geschichtswerk gehören das Deuteronomium zusammen mit Josua, Richter, Samuel und

Könige. Das Werk sei erst im babylonischen Exil entstanden.

Ebenfalls seien die Schriftpropheten mehrfach redaktionell überarbeitet und erweitert

worden.

Als Begründer der neutestamentlichen redaktionsgeschichtlichen Methode gelten für

das Lukasevangelium Hans Conzelmann33, für das Markusevangelium Willi Marxen34

und für das Matthäusevangelium Günther Bornkamm35. Alle drei zusammen entstammen

32 Klaus Koch: Was ist Formgeschichte. Methoden der Bibelexegese, Neukirchen-Vluyn, (1964), 51989, S.

73. 33 H. Conzelmann: Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas, BHTh 17, Tübingen, 1954

(91993). 34 W. Marxsen: Der Evangelist Markus: Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums, FRLANT 67,

Göttingen, 1956 (21959). 35 G. Bornkamm, G. Barth, H. J. Held: Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium, WMANT 1,

Neukirchen, 21961.

Page 14: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

14

der Bultmannschule. Die redaktionskritische Arbeit36 sei eine Ergänzung zur formkriti-

schen Fragestellung.

Systematisch wird jetzt zwischen Formkritik und Redaktionskritik unterschieden:

Die Formkri t ik versucht, die ältesten Traditionsstücke der synoptischen Überliefe-

rungen zu rekonstruieren, die möglicherweise auf Jesus selbst zurückgeführt werden

können. Zugleich will sie zeigen, wie solche authentischen Elemente im Laufe ihrer im

wesentlichen mündlichen Überlieferung verändert und durch neue Stoffe ergänzt worden

sind.

Demgegenüber richtet die R ed ak t ion sk r i t ik (nach Conzelmann, Marxen und Born-

kamm) das Augenmerk auf die Verarbeitung des Traditionsgutes durch die Evangelisten

und fragt nach den Veränderungen, die der Traditionsstoff durch das Eingreifen der Re-

daktoren erfahren hat sowie nach den hinter dem Redaktionsvorgang stehenden theologi-

schen Motiven.37

Es geht bei der Redaktionskritik also um die E n d r e d a k t i o n ! Was veranlasste den End-

redaktor, seinen Stoff so auszuwählen, wie er jetzt im kanonischen Text vorliegt? Welche

M ot iv e , vor allem welche theologischen Motive leiteten ihn bei der Auswahl? An die-

ser Stelle kann man natürlich einige Vergleiche zwischen den Synoptikern ziehen, da sie

oftmals über dieselben Ereignisse berichten, aber unterschiedliche Schwerpunkte setzen.

Lukas z. B. ordnet den Inhalt vor allem heilsgeschichtlich an, Matthäus messianisch und

Markus pragmatisch.

Beurteilung

Natürlich haben die Synoptiker inhaltliche und theologische Schwerpunkte gesetzt. Das

wissen wir aus eigenen Studien heraus und das wissen wir auch schon seit den Kirchen-

vätern, die dies herauskristallisiert haben (Eus., h. e., III, 24,7-11; VI,14,7). Dazu brau-

chen wir die kritischen Ansätze der Redaktionskritik mit ihren Voraussetzungen der

Formkritik nicht. Denn die Redaktionskritik rechnet weder mit der Historizität der Evan-

gelien noch mit ihrer Wahrhaftigkeit und Zuverlässigkeit.

36 Zur neutestamentlichen Redaktionskritik außerhalb der Evangelien vgl. H. Zimmermann: Neutestament-

lichen Methodenlehre: Darstellung der historisch-kritischen Methode, Stuttgart, 1982 (1978). 37 Klaus Berger räumt allerdings ein, dass eine genaue Scheidung von traditionellen und redaktionellen

Stoffen häufig unmöglich ist (Exegese des NT, 206).

Page 15: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

15

Folglich lehnt R. L. Thomas38 die redaktionsgeschichtliche Arbeit kategorisch ab, weil

sie das Vertrauen in den historischen Wert der Evangelien zerstört. Thomas spricht lieber

von der grammatikalisch-historischen Arbeit an den Evangelien.

Es stellt sich vor allem die Frage, wem denn nun diese „redaktionsgeschichtlichen“ Un-

tersuchungen nützen? Wir können doch den Verfassern nicht mehr die Frage stellen,

weshalb sie diese Elemente in ihrem Evangelium aufgenommen haben und jene nicht!

Sie wurden doch bei der Stoffauswahl durch den Hl. Geist geleitet. Der Hl. Geist schreibt

Heilsgeschichte. Die theologischen Schwerpunkte bei den einzelnen Evangelisten sind in

den kanonischen Endtexten zu entdecken und nicht innerhalb von hypothetischen Quel-

len, die angeblich benutzt wurden und die überhaupt nicht mehr (oder nie) vorhanden

sind (waren).

Verwendung der Redakt ionskr i t ik in der L ibera len Theo log ie

Klaus Berger stellt die Redaktionskritik nach der Arbeitsweise der historisch-kritischen

Methode vor.39

„Kriterium für eine befriedigende redaktionsgeschichtliche Erklärung ist u. a. die mögli-

che theologiegeschichtliche und historische Einordnung in das Werden des frühen Chris-

tentums.“

Das bedeutet also wiederum, dass die Gemeindesituation während der Abfassung der

neutestamentlichen Schriften (vor allem der Evangelien und der Apostelgeschichte) eine

wichtige Rolle spielten und somit die Verfasser bei ihrer Niederschrift beeinflusst hätten.

Als Beispiel wird die Endzeitrede aus Mk. 13 vorgelegt.40 Mk. habe die ganze Tradition

der Eschatologie um stilisiert, und zwar auf die Zeit der Mission und der Gegenwart der

Gemeinde hin. Die Gemeinde ist von Leiden und Verfolgungen geprägt. Das apokalypti-

sche Schulmaterial hat Markus für die Gemeinde rezipiert und angeglichen. Man könnte

an dieser Stelle von einer markianischen Gemeindetheologie sprechen. Damit wird die

Endzeitrede nicht mehr Jesus selbst zugebilligt, sondern sie ist nunmehr sekundär, erwei-

tert, verändert, bei Markus auch gekürzt und durch die sogenannte „markianische Ge-

meindetheologie“ neu geschrieben.

In gleicher Weise geht Walter Grundmann41 anhand von Mt. 23 vor: Die Mahnrede (We-

he-Rufe) Jesu über die Pharisäer wurde von Matthäus für die Gemeinde umgeschrieben!

Zur Zeit der Abfassung des Evangeliums zwischen 70 und 100 n. Chr. steht die christli-

38 R. L. Thomas: Hermeneutics of Evangelical Redaction Criticism, JETS 29 (1986), 447-459. Thomas

setzt sich auch kritisch mit den Evangelienkommentaren von Robert H. Gundry, William L. Lane und I.

Howard Marshall auseinander. 39 Klaus Berger, a.a.O., 205-217 40 Vgl. dazu Berger, a.a.O., 210 41 Walter Grundmann: Das Evangelium nach Matthäus (ThHNT), Berlin, 61986 (1968), 481 – 483.

Page 16: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

16

che Gemeinde nämlich in der Auseinandersetzung mit dem sich in Jabne-Jamnia neu

konstituierenden Judenschaft. Die Weherufe gelten also der Judenschaft in Jabne-Jamnia.

Zwar hätte sich ja auch schon Jesus mit den Pharisäern auseinandergesetzt, aber so ve-

hement wie dies in Mt. 23 geschieht, kann diese scharfe Konfrontation erst im Gemein-

dezeitalter geschehen sein. Welche Worte aus Mt. 23 überhaupt noch auf Jesus selbst

zurückgehen, bleibt fraglich. Der Zweifel durch die redaktionskritische Arbeit ist beim

Leser gestreut und damit hat sie ihr Ziel erreicht.

Anhand dieser zwei Beispiele (Berger / Grundmann) erkennen wir, wie riskant die Re-

daktionskritik seitens der liberalen Theologie ist und wohin ihre wohlgemeinten wissen-

schaftlichen Studien führen und weshalb starke Grenzen zwischen der Redaktionskritik

und der eigentlichen Arbeit der neutestamentlichen Verfasser gezogen werden müssen.

Denn die neutestamentlichen Verfasser hatten das Bedürfnis, die Worte ihres HERRN

und Meisters, dem Messias und dem Sohn Gottes, dem Retter der Welt, so genau wie

möglich (Lk. 1,1-4) unter der Leitung des Hl. Geistes, der sie in alle Wahrheit leitet

(Jh. 14,26), aufzuschreiben, damit Leser und Leserinnen zum lebendigen Glauben an

JESUS kommen können (Jh. 20,31) und diese Berichte eben nicht zu verändern, zu er-

weitern, zu verkürzen oder der Gemeindetheologie anzupassen.

6.6. Die Religionsgeschichte

Die Religionsgeschichte sucht nach Parallelen in der Umwelt Israels oder auch der neu-

testamentlichen Gemeinde. Dabei wird vor allem die biblische Offenbarung zurückge-

drängt und es wird behauptet, dass das Volk Israel viele religiöse Elemente von den

Nachbarvölkern übernommen hätte.

Die Problematik besteht darin, dass die Texte aus der Umwelt zum religionsgeschichtli-

chen Vergleich herangezogen werden. Den Texten aus der Umwelt wird mehr Vertrauen

entgegengebracht als den biblischen Texten. Wenn die Texte aus der Umwelt etwas an-

deres sagen als die biblischen Texte, dann werden jene aus der oft Umwelt bevorzugt.

Das hat damit zu tun, dass sowohl die überlieferungsgeschichtliche als auch die redakti-

onsgeschichtliche Methode die biblischen Texte sehr spät datiert.

Die religionsgeschichtliche Methode geht davon aus, dass die israelitische Religion sich

durch einen langen Entwicklungsprozess aus der kanaanitischen Religion herauskristalli-

siert habe.

Viele Gesamtdarstellungen alttestamentlicher Forschung erscheinen nicht mehr unter

dem Titel „Theologie des Alten Testaments“, sondern unter dem Titel „Religionsge-

schichte Israels“.

Page 17: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

17

In den Evangelien wendet man das Abstraktionsverfahren an: Die Ausscheidung alles

Jüdischen und alles Christlichen aus der Jesusüberlieferung soll uns zu den echten Je-

susworten führen, konstatieren Bultmann42 und Käsemann43.

Das lehnt selbst Klaus Haacker ab: „Die Ausscheidung alles Jüdischen und alles Christli-

chen aus der Jesusüberlieferung führt also nicht zu einem historisch gesicherten, sondern

zu einem von vornherein mit Sicherheit unhistorischen Bild von Jesus.“44

Zur Begründung seiner Antithese wendet Haacker das Abstraktionsverfahren auf Martin

Luther an:

„Man stelle sich vergleichsweise vor, wir besäßen keine Schriften Martin Luthers und

müssten seine Gestalt und Theologie aus der Überlieferung seiner Schüler rekonstruieren

(etwa aus den am besten vergleichbaren Tischgesprächen). Es wäre geradezu lächerlich,

wenn man den ‚echten‘, den ‚historischen‘ Luther nach einem entsprechenden Subtrakti-

onsprinzip zu rekonstruieren suchte, indem man am überlieferten Lutherbild sowohl alles

Spätmittelalterliche, als auch alles Altprotestantische streichen würde. Es käme alles an-

dere heraus als der Luther, der im 16. Jahrhundert gelebt und die Reformation ausgelöst

hat.“45

42 R. Bultmann: Die Geschichte der synoptischen Tradition, Berlin, 11921, 5.Aufl., 222. Vgl. dazu Kl.

Haacker: Neutestamentliche Wissenschaft, a.a.O., 75. 43 Käsemann: Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. I, Göttingen, 1960, 205. Vgl. dazu Kl. Haacker:

Neutestamentliche Wissenschaft, a.a.O., 76. 44 Kl. Haacker: Neutestamentliche Wissenschaft, a.a.O., 76. 45 Ders., a.a.O., 76f.

Page 18: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

18

Struktur der HKM

Überlieferungsgeschichte (Suche nach mündlicher Überlieferung) → Traditionsge-

schichte (Inhalt und Geschichte der Überlieferung, innerbiblisch und außerkanonisch)

→ Literarkritik (schriftliche Fixierungen umlaufender tradierter Quellen / Formkri-

tik = formgeschichtliche Methode: Sitz im Leben) → Religionsgeschichte (Einfluss

durch die Umwelt) → Redaktionsgeschichte (Sammlung durch Schüler / Endverfas-

ser / kanonische Endgestalt).

Sind die historisch-kritische Methode und die biblische Offenbarungshermeneutik vereinbar?

Auch Ulrich Körtner stellt in seiner Hermeneutik fest, dass die historisch-kritische Exe-

gese auch innerhalb der wissenschaftlichen Theologie in Frage gestellt wird.46

46 Körtner: Einführung in die theologische Hermeneutik, 2006,78.

Die historisch-kritische Methode ist von ihrer rationalistischen Herkunft, ihrem me-

thodischen Ansatz (Gleichwertigkeit der Bibel mit außerbiblischen Quellen, bzw. deren

Bevorzugung) und vom kritischen Ergebnis her (streut mehr Zweifel als Glauben) nicht

mit einer biblisch-historischen Offenbarungshermeneutik vereinbar!

Hier treffen Rom und Jerusalem, Finsternis und Licht, Rationalismus und Glaube

aufeinander, die unvereinbar sind.

Page 19: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

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Das Ziel verfehlt

Durch die traditionsgeschichtlichen, überlieferungsgeschichtlichen, religionsgeschichtli-

chen, formgeschichtlichen und redaktionsgeschichtlichen Forschungsergebnisse verlieren

die Wunder, die Offenbarungen Gottes (Theophanien), die Engelserscheinungen, die

Prophetien, einschließlich der Eschatologie und die Heilsgeschichte ihre Authentizität,

ihre Glaubwürdigkeit, ihre Echtheit, ihren außerordentlichen Sonderstatus in der Weltli-

teratur und damit ihre eigentliche Intention, nämlich den Menschen zum Glauben an Gott

und sein Wort zu führen (Jh. 20,31).

Das hat bereits Rudolf Bultmann 1927 erkannt, wenn er schreibt:

„Wir mögen uns ja wundern, aber die konkrete Situation ist doch für den Verkündiger

einfach die, dass wenn er auf die Kanzel steigt, ein gedrucktes Buch vor ihm liegt, auf

Grund dessen er verkündigen soll; wie ‚vom Himmel gefallen‘, gewiss: denn seine histo-

risch-kritisch zu ergründende Entstehung geht ihn offenbar in diesem Momente nichts

an.“47

Metanoia der Hermeneutik

47 R. Bultmann: Glauben und Verstehen, Gesammelte Aufsätze, Tübingen, 1933, 100 (Darin der Abschnitt:

Zur Frage der Christologie, in: Zwischen den Zeiten, V, 1927, 41-69).

Eine Metanoia (Sinnesänderung) der Hermeneutik ist gefragt, das heißt eine völlige Sin-

nesänderung, ein neuer Denkansatz, eine neue hermeneutische, nämlich an der Bibel sich

orientierende Methode. Kein Synkretismus, sondern ein biblischer Neuansatz. Die bib-

lisch-historische Offenbarungshermeneutik geht von der Wiedergeburt des Auslegers aus,

sie rechnet mit der Inspiration und Autorität der Bibel als Wort Gottes, sie rechnet mit

Wundern, Offenbarungen und Prophetien, sie demütigt sich unter dem Wort des redenden

und handelnden Gottes. Sie lässt sich korrigieren. Sich sucht das Gespräch. Sie dient der

Gemeinde. Erst in diesem Licht der Offenbarung und unter der Autorität des Heiligen

Geistes kann der Ausleger Formen und Gattungen, literarische Besonderheiten, Verfasser-

schaftsfragen, Traditionen und kulturelle Besonderheiten untersuchen.

Page 20: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

20

Beurteilung

Die HKM ist eine rationalistische Arbeitsmethode, wobei die Vernunft und die Wissen-

schaft über die Inspiration gestellt werden. Zwar will sie historisch arbeiten, aber die Ge-

schichtsdarstellung der Bibel wird nur zum Teil ernst genommen.

Für die HKM ist die Bibel ein Arbeitsbuch, ein Quellenbuch, aber nicht autoritatives

Wort Gottes.48

Wer der HKM den Finger reicht, der reicht ihr die ganze Hand, sagt einer der Väter der

HKM.49

Auch der Apostel Paulus weiß um den geistlichen Kampf gegen die menschliche Ver-

nunft:

"Und mein Wort und meine Predigt war nicht in vernünftigen Reden menschlicher Weis-

heit, sondern in der Erweisung des Geistes und der Kraft, auf dass euer Glaube nicht auf

Menschenweisheit bestehe, sondern auf Gottes Kraft" (1.Kor. 2,4-5).

Wer sich auch nur ein wenig auf die rationalistische Arbeitsmethode der HKM einlässt,

der ist dem Spielball der menschlich-gefallenen Vernunft unterworfen. Nicht, dass wir

die Vernunft ganz und gar ausschließen, aber sie muss sich durch Jesus Christus erneuern

lassen durch den HI. Geist und sich ihm unterordnen.

48 Vgl. auch Körtner: Einführung, 2006, 103. 49 E. Troeltsch in A. Sierszyn, a.a.O., 22

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21

2. Entmythologisierung - Rudolf Bultmann

Rudolf Bultmann wurde am 20.08.1884 in Wiefelstede bei Oldenburg geboren. Der

evangelische Theologe starb am 30.07.1976 in Marburg. Er wurde bekannt durch sein

Programm der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung. Bultmann

war Professor für Neues Testament in Marburg. Sein Denken wurde durch den Philoso-

phen Martin Heidegger beeinflusst.

Was ist ein Mythos?

„Mythos ist der Bericht von einem Geschehen oder Ereignis, in dem übernatürliche,

übermenschliche Kräfte oder Personen wirksam sind (daher oft einfach als Götterge-

schichte definiert). Mythisches Denken ist der Gegenbegriff zum wissenschaftlichen

Denken. Das mythische Denken führt bestimmte Phänomene und Ereignisse auf überna-

türliche, auf ‚göttliche‘ Mächte zurück.“50

Demgegenüber steht das wissenschaftliche Denken, das an Raum und Zeit gebunden ist

und nach Ursache und Wirkung fragt. Das Weltbild der Naturwissenschaften ist ge-

schlossen, d. h. nicht offen für den Eingriff jenseitiger Mächte. Alle Begebenheiten führt

der moderne Mensch auf sich selbst zurück (S. 182). Er führt es nicht mehr wie der My-

thos auf den Eingriff dämonischer oder göttlicher Mächte zurück. Die Geschichtswissen-

schaft z. B. rechnet nicht mit dem Eingreifen Gottes oder des Teufels oder der Dämonen.

Auch wenn sie heute etwa von Dämonen redet, so ist das nur bildliche Redeweise (S.

182).

„Der Mythos redet von jenseitigen Mächten, von Dämonen und von Göttern als von

Mächten, von denen sich der Mensch abhängig weiß, über die er nicht verfügt, deren

Gunst er bedarf, deren Zorn er fürchtet“ (S. 183). Der Mensch ist nicht Herr über die

Welt und über sein Leben. Der Mythos bringt damit ein bestimmtes Verständnis der

menschlichen Existenz zum Ausdruck.

Erste Anfragen

Zwei Bereiche werden hier angesprochen: Auf der einen Seite steht die Religionswissen-

schaft, die um den Mythos in den Religionen weiß. Auf der anderen Seite steht die Ge-

schichtswissenschaft, die das Übernatürliche negiert. Redet Bultmann als Geschichtswis-

senschaftler oder als Religionswissenschaftler? Wie wiederum sollte ein Theologe reden?

Versucht Bultmann etwa alles miteinander in Einklang zu bringen? Darüber geben die

folgenden Zitate Aufschluss.

50 R. Bultmann: Zum Problem der Entmythologisierung, in: Hans Werner Bartsch: Kerygma und Mythos.

Diskussionen und Stimmen zum Problem der Entmythologisierung, Bd. 2, Hamburg, 1952, 180. Die im

Text angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf den Beitrag Bultmanns: „Zum Problem der Entmytholo-

gisierung.“

Zur weiteren Vertiefung: Rudolf Bultmann: Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze, Tübingen,

1933.

Page 22: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

22

Der biblische Bezug

Die Götter sind mit übermenschlicher Macht begabt. Der Mythos „macht die Götter (oder

Gott) zu überlegen-gewaltigen Menschen, und er tut das auch wenn er von Gottes All-

macht und Allwissenheit redet“ (S. 184). Bultmann überträgt nun das griechisch-

mythologische Denken auf die Bibel!

Was will nun die Entmythologisierung?

„Die Entmythologisierung will die eigentliche Intention des Mythos zur Geltung brin-

gen“ (S. 184). Mit der Intention meint Bultmann die Absicht der Erzählung. Was hat der

Mythos dem modernen Menschen in seiner Existenz zu sagen? Das ist die exegetische

Methode, mit der man den Text auslegt. Es geht nicht darum, ob sich das Wunder wirk-

lich so zugetragen hat, es geht darum, was es uns heute noch zu sagen hat. Damit will der

Marburger Exeget einen Gegenpol zur rationalistischen Hermeneutik des 19. Jahrhun-

derts setzen. Er will sagen, dass es den biblischen Texten gar nicht um echte Historizität

geht, sondern vielmehr um das Kerygma, um die Verkündigung der Botschaft an den

Menschen. Im Kerygma geht es um die Intention, um die Botschaft an sich, nicht so sehr

um historische Fakten.

„Negativ ist die Entmythologisierung daher Kritik am Weltbild des Mythos...“ (S. 184).

„Positiv ist die Entmythologisierung existentiale Interpretation, indem sie die Intention

des Mythos deutlich machen will, eben seine Absicht, von der Existenz des Menschen zu

reden“ (S. 184). Diesen Gedankengang hat Bultmann von Heidegger übernommen.

Die existentiale Interpretation nach Bultmann ist eine Methode der Auslegung (S. 184).

Tatsächlich wendet der Marburger Neutestamentler dieses Modell auf die Bibel an, in-

dem er sagt: „Die Entmythologisierung der biblischen Schriften ist folglich Kritik am

mythologischen Weltbild der Bibel“ (S. 184).

„Die entmythologisierende Interpretation will aber ja gerade durch die Kritik die eigent-

liche Intention der biblischen Schriften zur Geltung bringen“ (S. 184). Die Entmythologi-

sierung beseitigt durch ihre Kritik am Weltbild der Bibel den Anstoß, den dieses für den

modernen Menschen notwendig bietet (S. 188).

Beispiel: Mk. 2,1-12 (Heilung des Gichtbrüchigen)

Historisch echt ist die Diskussion Jesu mit den Pharisäern um die Sündenvergebung nach

Bultmann. Eingekleidet wird nun diese Begebenheit später durch eine mythologische

Erzählung der christlichen Urgemeinde.

Die Aufgabe des Exegeten besteht nun darin, die eigentliche Absicht der gesamten Er-

zählung herauszuschälen.

1) Zunächst muss festgestellt werden, was mythisch ist und was nicht. Zum Mythos

gehört die Heilung des Gichtbrüchigen. Damit hat man den Text zunächst einmal

„ent-mythologisiert“, der Mythos ist herausgeschält. Dieses Wunder von der Kran-

kenheilung passt nicht in unser modernes Weltbild hinein. Man kann es bei Seite las-

sen.

Page 23: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

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2) Der zweite Schritt besteht in der existentialen Interpretation. Worin besteht die ei-

gentliche Intention (Absicht) des Textes? Antwort: Jesus hat die Vollmacht, Sünden

zu vergeben. Damit spricht der Text direkt in unsere heutige Situation hinein, denn

Schuldkomplexe hat jeder.

3) Was hat der entmythologisierte Text uns noch zu sagen? Das ist die Aufgabe der

Verkündigung (Kerygma). Antwort: Gott rechnet uns unsere Schuld nicht zu.

Fazit

Rudolf Bultmann kommt zum folgenden Fazit: „Glaube ist die Antwort auf die Frage des

je mich anredenden Kerygmas“ (S. 188).

Erste Bewertung

Die Wunder der Bibel werden rigoros abgelehnt. Man meint damit der modernen Welt

etwas Gutes getan zu haben, erweist ihr aber einen Bärendienst. Der Glaube entstehe

doch durch die Verkündigung, aber gleichzeitig wird dem Glauben das Fundament ent-

zogen: die Zuverlässigkeit des Wortes Gottes. Denn auch die Auferstehung Jesu und da-

mit die ganze Eschatologie verliert ihre Wahrhaftigkeit. Wenn aber Christus nicht aufer-

standen ist, dann ist unser Glaube vergebens und dann geschieht auch die Verkündigung

umsonst (1.Kor. 15,14). Bei Bultmann wird der Glaube zu einem immanenten Objekt

profaner Religionsphilosophie. Deshalb kam es zu Aussagen wie: „Ich glaube an das

leere Grab“, d. h. ich glaube an das, was ich sehe. Aber: „Ich glaube nicht an die leibliche

Auferstehung Christi.“ So etwas darf es in der modernen naturwissenschaftlichen Welt

nicht geben. Das wäre mythologischer Glaube.

Die gemäßigte Kritik

Manche Theologen lehnen zwar den radikalen Ansatz Bultmanns ab, gebrauchen aber

dennoch sein Vokabular. Man versucht den goldenen Mittelweg zu gehen, den es gar

nicht gibt. Bultmann selbst enttarnt diese gemäßigt-kritischen Theologen, wenn er

schreibt:

„Eine Entmythologisierung ist es doch auch – wenngleich eine unklare – wenn Thielicke

die Jungfrauengeburt als ‚Bild der geschichtlichen Tatsache der Gottessohnschaft‘ be-

zeichnet (S. 186f.). Gemäßigte Kritik ist Akkomodationstheologie, eine Theologie der

Angleichung und Anpassung an die Historisch-Kritische Methode und an die Entmytho-

logisierung Bultmanns.

Beurteilung

Rudolf Bultmann versucht das biblische Weltbild mit dem modernen in Einklang zu

bringen.

Als Methode dient ihm dabei das Prinzip der Entmythologisierung.

Damit überträgt er das griechisch-mythologische Weltbild auf die Bibel, was ohnehin

nicht möglich ist, denn die Bibel beruht auf Offenbarung, die griechische Mythologie auf

Menschenillusionen.

Page 24: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

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Rudolf Bultmann will den Mythos in der Bibel erkennen und das eigentlich Gesagte (die

Intention) herausschälen, so dass die Botschaft im Kerygma für den modernen aufgeklär-

ten wissenschaftlichen Menschen wieder aktuell wird (existentiale Interpretation). Der

moderne Mensch glaubt nicht mehr an Wunder. Er vertraut einfach dem Verkündiger, der

ja Theologie studiert hat und wissen müsse, wie die Bibel in rechter Weise zu verstehen

sei!

Die Folge: Der Glaube wird Diesseitsglaube. Die biblischen Texte werden ihrer histori-

schen Offenbarungsaussage subtrahiert. Die Bibel wird nicht nur entmythologisiert, son-

dern letztendlich e n t t h e o l o g i s i e r t .51

Die neue Hermeneutik der Bultmannschüler Ebeling und Fuchs

Zu der historisch-kritischen Methode fügt Gerhard Ebeling (1912-2001, Tübingen,

Hamburg, Zürich) noch die „Intuition“ hinzu. Der Exeget ist ein Künstler und auf Ein-

gebung angewiesen. Seine hermeneutische Regel lautet:

„Glaubensaussagen müssen als Situationsaussagen interpretierbar sein.“52

Aussagen wie „Sein in Gott, in Christus, Christus eins mit dem Vater, Christus in uns, der

Hl. Geist nimmt Wohnung in uns“, müssen anhand von den Präpositionen erklärt werden.

Sicherlich spielen Präpositionen innerhalb der exegetischen Arbeit eine wichtige Rolle.

Leider sucht aber auch Ebeling den Zugang zur Bibel auf historisch-kritischem Wege zu

finden. Der Hl. Geist ist für ihn entbehrlich. Ebeling schreibt:

Die Hermeneutik „hat keine eigene ‚pneumatische‘ oder wie immer bezeichnete Me-

thode der Auslegung zur Verfügung, die sich als Methode von der Art unterschiede,

wie etwa ein Platotext zu interpretieren ist.“53

Nach Ernst Fuchs (1903-1983, Marburg) ist Exegese ein „Vorgang in uns selbst“.54 Ge-

rade die Texte von Paulus und Johannes treffen uns selbst. Das nennt Fuchs die ‚Exis-

tenzdialektik“. Der Anknüpfungspunkt sieht Fuchs in der Auslegung bei der Sprache. Im

Sprachgeschehen, d. h. wenn Jesus oder wenn Paulus reden, wirkt das Wort in meine

Existenz hinein. Dabei klammert auch Fuchs das Wirken des Hl. Geistes aus. Für ihn ist

Reden Jesu immer nur ein Reden in der Vergangenheit. Das Sprachprinzip ersetzt den Hl.

Geist. Für Fuchs ist das Neue Testament wohl Glaubenssprache, aber keine Offenba-

rungssprache. Existenzielle Interpretation aber ohne den Hl. Geist ist meines Erachtens

tote Interpretation (vgl. 1.Kor. 2,14).

51 Die Bultmannschülerin Eta Linnemann, die später eine geistliche Umkehr selber erfahren hat, hat von

dem Bultmannschüler Ernst Käsemann kurz vor seinem Sterben erfahren, dass Rudolf Bultmann sich auf

dem Sterbebett bekehrt und seine Studenten um Vergebung gebeten habe. Eta Linnemann: Was ist glaub-

würdig? Die Bibel oder die Bibelkritik?, VTR, Nürnberg, 2007, 13. 52 Gerhard Ebeling: Dogmatik und Exegese, ZThK 77/1, 1980, 271 ff., in: Cochlovius / Zimmerling: Evan-

gelische Schriftauslegung, Wuppertal, 1987, 222-226. 53 Ebeling, ebd. 54 Ernst Fuchs: Hermeneutik, Tübingen, 41970, 95f., in: Cochlovius / Zimmerling: Evangelische Schriftaus-

legung, Wuppertal, 1987, 235-241.

Page 25: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

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Die gegenwärtige theologische Situation

Zwar spricht man heute wieder von Wundern und vom Übernatürlichen. Aber dennoch

ist Bultmanns exegetischer Ansatz nicht überholt. Die historische Faktizität der Bibel

wird auch heute in der modernen Hermeneutik bei Seite gelassen, denn dann müsste man

ja der Bibel die Wahrheit zusprechen und Wahrheit ist heute relativ. Der Entmythologi-

sierungsansatz Bultmanns hat seinen Niederschlag in der ökumenischen, in der feministi-

schen und befreiungstheologischen Hermeneutik gefunden, eigentlich überall dort, wo

ebenfalls die historische Faktizität und der Offenbarungscharakter der Bibel aufgehoben

wird. Auch wenn der Begriff „Entmythologisierung“ nicht mehr in den Mund genommen

wird, so wird der hermeneutische Ansatz dennoch praktiziert.

3. Kontextuale Hermeneutik

Am Ende des 20. Jahrhunderts kamen weitere Auslegungsmethoden hinzu. Die eine ist

die kontextuale.

Kontextuale Bibelexegese besagt, dass man die sozialen, politischen und kulturellen

Fragen, die Menschen heute umtreiben, zur bestimmenden Perspektive der Herme-

neutik erklärt.55 Man sucht sogleich aus der Bibel die Antworten auf sozial-politische

Fragestellungen oder anders ausgedrückt: die Bibel muss dafür erhalten.

Die Befreiungstheologie nennt dies den „hermeneutischen Zirkel“: Wenn der Prophet

Amos die Reichen anklagt, weil sie die Armen unterdrücken (Amos 2,6; 4,1; 5,11.12), so

führt man den Zirkel weiter zu den Ureinwohnern Südamerikas, die ausgebeutet und un-

terdrückt werden. Die Sache ist zwar richtig, aber der Weg ist verkehrt. Denn die Bibel

wird zu einer politischen Charta. Die Bibelexegese wird dazu missbraucht, dass unter-

drückte Völker aufgefordert werden, das Schwert in die Hand zu nehmen – wozu der

Weltkirchenrat immer wieder insgeheim in Südafrika aufrief.

Kontextuale Bibelexegese gibt es auch in der ökumenischen und feministischen Her-

meneutik.

55 Peter Beyerhaus: Aufbruch der Armen, Bad Liebenzell, 1981, 41.

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4. Ökumenische Hermeneutik

Quellen:

1) Joachim Cochlovius / Peter Zimmerling, Hrsg.: Evangelische Schriftauslegung – ein

Quellen- und Arbeitsbuch für Studium und Gemeinde, Brockhaus, Wuppertal, 1987:

Beitrag von Reinhard Slencka: Schrift – Tradition, Kontext – die Krise des Schrift-

prinzips und das ökumenische Gespräch: S. 424 – 433.

2) Hans Steubing: Bekenntnisse der Kirche, Brockhaus, Wuppertal, 1985.

3) Karl Rahner u. Herbert Vorgrimler: Kleines Konzilskompendium – sämtliche Texte

des Zweiten Vatikanischen Konzils: Herder, Freiburg i. Br., 1991.

4) Ulrich H.J. Körtner: Einführung in die theologische Hermeneutik, WBG, Darmstadt,

2006. § VIII Ökumenische Hermeneutik.

Damit eine Verständigung der Kirchen erfolgen kann, braucht es eine gemeinsame

Grundlage.

Verschiedenheiten müssen aufgehoben werden, oder aber man lässt sie anstehen.

Die unterschiedlichen Konfessionen suchen auch nach einer gemeinsamen Hermeneutik.

Grundlage für die Hermeneutik ist die Bibel. Und damit fängt die Kontroverse schon an:

Was ist die Bibel? Welche Bedeutung hat sie? Über welche Autorität verfügt sie? Wie

steht es mit dem Umfang des Kanons? Ist sie Gottes Wort oder Menschenwort? Gilt sie

nur für das Leben oder auch für die Lehre?

Über alle diese Fragen wird es in der ökumenischen Diskussion nie einen gemeinsamen

Nenner geben.

Also muss man nach anderen Lösungen suchen. Die Bibel darf dabei nicht so eine große

Rolle spielen oder gar keine.

Wir sprechen von der Krise des Schriftprinzips.

Von daher versucht man den gemeinsamen Nenner nicht in der Bibel zu finden, sondern

in der Geschichte, denn in der langen Geschichte der Kirchen findet man immer Gemein-

samkeiten. Man will also die Gemeinsamkeiten finden und Unterschiede bei Seite lassen.

Die dogmatische Entscheidung weicht dem Prinzip der geschichtlichen Entwicklung!

Einfach gesagt: Einheit um jeden Preis, auch wenn biblische Wahrheiten dabei zu Grun-

de gehen und mit Füßen getreten werden. Auf der 9. Weltmissionskonferenz im Jahre

1980 in Melbourne (Australien) wurde in der Sektion III,22 aufgefordert:

„Wir könnten dabei vielleicht auch entdecken, dass Gott in den Erfahrungen anderer

Religionen frische Inspirationen für uns bereit hält.“56

56 Peter Beyerhaus: Aufbruch der Armen, Bad Liebenzell, 1981, 47.

Page 27: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

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Dabei müssen in der ökumenischen Bewegung die Kirchen nicht ihre Identität aufgeben.

Einheit kann es dennoch geben: „Es gibt viele Kirchen, die Kirchen bleiben und eine

Kirche werden“, sagte vor Jahren Kardinal Josef Ratzinger (Papst Benedikt XVI.).

Aber was müssen die einzelnen Kirchen nicht alles auf dem Weg zur Einheit verwerfen?

Und damit sind wir bei der Basis der Kirchen angelangt: Es geht um die Bibel.

Schrift und Tradition

In der röm.-kath. Kirche spielt die Tradition eine große Rolle.

Zur Tradition gehören die Kirchenväter, Augustin, Thomas von Aquin, die Bekenntnisse,

die Enzykliken.

Was sagt nun die röm.-kath. Kirche zur Tradition (heilige Überlieferung)?

Auf dem 2. Vatikanischen Konzil vom 18. 11. 1965 heißt es in der Konstitution „DEI

VERBUM“ (Gottes Wort):

„Die heilige Überlieferung und die Heilige Schrift sind eng miteinander ver-

bunden und haben aneinander Anteil. Demselben göttlichen Quell entsprin-

gend, fließen beide gewissermaßen in eins zusammen und streben demselben

Ziel zu. Die Heilige Schrift ist Gottes Rede, insofern sie unter dem Anhauch

des Heiligen Geistes schriftlich aufgezeichnet wurde. Die heilige Überliefe-

rung aber gibt das Wort Gottes, das von Christus dem Herrn und vom Heili-

gen Geist den Apostel anvertraut wurde, unversehrt an deren Nachfolger

weiter, damit sie es unter der erleuchtenden Führung des Geistes der Wahr-

heit in ihrer Verkündigung treu bewahren, erklären und ausbreiten. So ergibt

sich, dass die Kirche ihre Gewissheit über alles Geoffenbarte nicht aus der

Heiligen Schrift allein schöpft. Daher sollen beide mit gleicher Liebe und

Achtung angenommen und verehrt werden.“

Reaktion der protestantischen Kirchen

Man würde erwarten, dass die protestantischen Kirchen sich nun wieder an Luthers „sola

scriptura“ (allein die Schrift) erinnern und sich darauf berufen und dass sie neu die 66

Bücher der Bibel hoch halten gegen die Apokryphen, die in dem Kanon der röm. – kath.

Kirche aufgenommen wurden.

Aber da kann man lange warten. Im Gegenteil:

Die protestantischen Kirchen haben das „sola scriptura“ vergessen, bewusst vergessen, es

aufgehoben, zur Seite gedrängt, es in den tiefsten Ozean versenkt. Sie sind so sehr vom

Rausch der Einheit umnebelt, betäubt, befangen, dass sie bereit sind, alle Wahrheiten

aufzugeben, um nur dieses Ziel zu erreichen.

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Gerhard Ebeling spricht von der „Hermeneutik der Konfessionen“.57 Man will also

nur noch von einer Hermeneutik sprechen, der alle zustimmen können. Auch hier muss

man dann wieder Kompromisse eingehen.

Grundlage für eine gemeinsame Hermeneutik ist dann auch nicht mehr die Lutherbibel,

sondern die ökumenische Einheitsübersetzung.

Ebeling versucht den gemeinsamen Nenner wiederum in der Kirchengeschichte zu fin-

den. Und er konstatiert, dass die vielen Bekenner und Theologen der verschiedenen Kir-

chen und Konfessionen doch irgendwie immer wieder dieselben Wahrheiten erkannt ha-

ben. Gott hat sich doch auch in den verschiedenen Kirchen quer durch die Geschichte

immer wieder offenbart: „Insofern gehört die Kirchengeschichte mit zum Offenba-

rungsgeschehen.“

Ähnlich geht der Bultmannschüler Ernst Käsemann vor, wenn er sagt:

Die Schrift steht nicht mehr gleichzeitig der Kirche aller Zeiten gegenüber (!), sondern

sie entfaltet sich gewissermaßen in der Kirchengeschichte und in der Vielfalt von Kir-

chen und Konfessionen!58

Damit steht nicht mehr die Hl. Schrift über die Kirchen, sondern sie ist nur noch ein Teil

der Offenbarungen innerhalb der Kirchen!

Damit ist die Bibel nicht mehr „norma normens“, also alleinige Norm! Die Bibel hat ihre

Autorität verloren. Sie ist nicht mehr das Fundament.

Weltkonferenz für Glauben und Verfassung in Montreal 1963

Auf der 4. Weltkonferenz für Glauben und Verfassung in Montreal 1963 wird dann auch

gar nicht mehr von der Bibel als Gottes Wort gesprochen. Für das Wort „Bibel“ setzt

man das Wort „Tradition“ ein. Und man spricht auf der Konferenz von T r a d i t i o n

und T r a d i t i o n e n !

Unter Tradition versteht man die Bibel, aber auch die kirchliche Überlieferung.59

Damit sind die Kirchen der röm.- kath. Kirche entgegen gekommen!

Und wie ist die röm. –kath. Kirche den protestantischen Kirchen entgegen gekommen?

Im Jahre 1998 veröffentlichte die Ständige Kommission „Faith and Order“ des Weltrats

der Kirchen ihren Entwurf einer ökumenischen Hermeneutik mit dem Titel „A Treasure

in Earthen Vessels“ („ein Schatz in irdenen Gefäßen“, 2.Kor. 4,7).60 Die bisherige

57 Gerhard Ebeling: Wort Gottes und Tradition. Studien zu einer Hermeneutik der Konfessionen (Kirche

und Konfession, Bd. 7), Göttingen, 1964, 9-27 in: Evangelische Schriftauslegung, hrsg. v. Cochlovius u.

Zimmerling, 1987, 425f. 58 Zusammengefasstes Zitat in: Evangelische Schriftauslegung, hrsg. v. Cochlovius u. Zimmerling, a.a.O.,

426. 59 R. Slenczka: Schrift-Tradition-Kontext, in: Evangelische Schriftauslegung, a.a.O., 427. 60 U. Körtner: Einführung in die theologische Hermenutik,2006, 159-171. Körtner selbst versteht seine

theologische Hermeneutik als ein Beitrag zur ökumenischen Hermeneutik (Epilog, S. 172).

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Schrift- und Dogmenhermeneutik wurde um das Thema einer Hermeneutik der Symbole,

Riten und Bräuche erweitert. Neben den Begriff der Einheit tritt der Begriff der Kohärenz

(Zusammenhang): Differenzen und Gemeinsamkeiten der Konfessionen sollen kohärent

nebeneinander stehen und toleriert werden. Ferner spricht man von der „Hermeneutik im

Dienst der Einheit“. Dabei tritt die Wahrheitsfrage selbstverständlich in den Hintergrund,

denn niemand darf behaupten, dass er im Besitz der Wahrheit wäre. Hermeneutik im

Dienst der Einheit um den Preis der Wahrheit, so könnte das Fazit der neueren

ökumenischen Hermeneutik lauten.

Wechsel der Zeiten

Galt in der reformatorischen Zeit das „sola scriptura“ zeitlos und bedingungslos, so ist

dieses Bekenntnis heute verloren gegangen. Die Bibel war das geoffenbarte Wort Gottes.

Sie zeigt den Weg zum Leben, denn JESUS ist das Wort Gottes.

Der Mensch wird geboren aus dem Wort Gottes, sagt der Apostel Petrus.

Wie will der Mensch an JESUS glauben, wenn man die Bibel nicht mehr hat?

Was wir über JESUS wissen, ist uns in der Bibel bezeugt.

Wenn die Bibel nicht mehr „norma normens“ ist, dann schmelzen die Worte aus

Joh. 10,11; 11,25; 14, 6; Apg. 4,12 wie Eis dahin.

Wenn die Wahrheit nicht mehr in der Bibel zu finden ist, wo dann?

Wer ist dann der Weg?

Wenn die historisch – kritische Methode der Bibel das Vertrauen entzogen hat (und Tau-

sende haben dadurch ihr Vertrauen zur Bibel verloren), so hat die ökumenische Bewe-

gung das „sola scriptura“ aufgehoben. Damit ist die Autorität hinfällig.61

Wo aber gibt es dann Autoritäten?

Der postmoderne, postaufgeklärte Christ liest wohl noch die Bibel, aber er lebt nicht

mehr nach dieser göttlichen Autorität:

Die rationalistisch-emotionale, situationsbedingte Subjektivität wird zur „norma nor-

mens“, zur alleinigen Autorität.

Wenn der emanzipierte Mensch die Wegweisung nicht in der Schrift findet, dann in dem

Kollektiv.

Damit vergisst aber der moderne diesseitsorientierte Mensch, dass es nicht nur die göttli-

che Sphäre gibt. Wenn er die Bibel als Autorität verwirft, dann steht er in der Gefahr sich

anderen Autoritäten bewusst oder unbewusst hinzugeben.

61Die Herrnhuter Losungen stehen in der Gefahr, den Weg der liberalen Anpassung zu gehen: Für den 10.

Sonntag nach Trinitatis gab es zwei Predigtvorschläge, einmal aus Jes. 62, 6-12 und dann auch aus dem

Buch der Apokryphen Sirach 36, 13 – 19. Und das Losungswort für den Monat September 2006 stammte

aus Weisheit 15,1. Für die fortlaufende Bibellese kann der Leser sich dann für 1. Chronik oder für das

apokryphische Buch der Weisheit entscheiden.

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Wie aktuell klingt doch noch immer das Bekenntnis der Barmer Theologischen Erklä-

rung von 1934:

„Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Got-

tes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen

haben.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Ver-

kündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse

und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“

Fazit

„Wo das kritische Gegenüber von redender Schrift und Hören der Gemeinde fehlt, wird

zugleich das Gegenüber von HERR und Gemeinde aufgehoben“, konstatiert der Syste-

matiker Reinhard Slencka. Und weiter schreibt er:

„Die Kirche verselbstständigt sich in der Geschichtlichkeit ihrer Erscheinung: die christ-

liche Subjektivität wird zum Selbstzweck und ringt um ihre geschichtliche Selbstver-

wirklichung.“62

Die biblische Lehre hat damit ihren Auftrag verloren. Es gibt keine Dogmatik mehr. Und

wenn es eine Dogmatik gibt, dann als fließende, sich stets verändernde, sich anpassende

Lehre. Sie wird zur Situationsdogmatik.

Eine ökumenische Hermeneutik hat nicht mehr die Bibel als Grundlage der Auslegung.

Es gibt kein „sola scriptura“ mehr. Die Basis für eine ökumenische Hermeneutik bildet

dann das Konvergenzverfahren, d.h. man sucht zwischen den Konfessionen immer erst

den gemeinsamen Nenner. Welche heiligen Schriften haben die anderen? Somit wird der

K o n t e x t zwischen den Konfessionen zur „norma normens“ (zur neuen Norm der Exe-

gese).

Der Schritt zum Kontext der Religionen ist nicht mehr fern!

62 R. Slenczka: Schrift-Tradition-Kontext, in: Ev. Schriftauslegung, hrsg. v. Cochlovius u. Zimmerling,

a.a.O., 432.

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5. Feministische Hermeneutik

Die Bibel sei ein patriarchales Werk. Sie berücksichtige zu wenig das Wesen und das

Bild einer Frau. Deshalb sind alle Texte in der Bibel unter „Verdacht“ zu lesen, also mit

einem Vorurteil, eben kritisch. Elisabeth Schüssler Fiorenza spricht deshalb von der

„Hermeneutik des Verdachts“. Die Bibel muss neu interpretiert werden, nämlich unter

dem Gesichtspunkt femininer Aspekte. Feministinnen legen die Bibel feministisch aus, d.

h. sie ersetzen männliche Sprache durch feminine. Auch die feministische Theologie be-

dient sich der historisch-kritischen Schriftauslegung. Feministinnen ergreifen Partei für

die Frauen in der Bibel. Die Frauen in der Bibel werden gerne mit einem emanzipatori-

schen Mantel umhüllt. Es werden vor allem Frauen als Leitbild genommen, die selber

Leid erfahren haben, stark wurden und die aus eigenem Antrieb in Aktion getreten sind.

Gerne arbeiten feministische Auslegerinnen mit Symbolismen in der Bibel, d. h. die his-

torische Echtheit spielt keine Rolle, sondern die Intention und diese ließe sich leichter

durch Symbolismen herauskristallisieren.

Lutz von Padberg hat die Regeln einer feministischen Hermeneutik kurz zusammen ge-

fasst:

(1) Grundlage der feministischen Hermeneutik ist die historisch-kritische Methode.

(2) Die religionsgeschichtliche Methode muss dazu herhalten, dass ältere Gottesvor-

stellungen mütterlichen Charakter gehabt hätten. Es wird ein Bezug hergestellt zu

Naturreligionen.

(3) Die kontextuale Methode wird konsequent angewandt, d. h. zeitgenössische Texte

werden gleichberechtigt neben biblische Texte gestellt, und zwar solche zeitge-

nössischen Texte, in denen Frauen dieselben leidvollen Erlebnisse gehabt haben

wie zu biblischen Zeiten. Dabei werden einzelne biblische Aussagen, Begriffe

und Texte aus dem Zusammenhang gelöst und mit Ideen und der Praxis des säku-

laren Feminismus verknüpft.

(4) Der Kanon der Bibel wird durch die Frauenbewegung erweitert. Apokryphische

Texte und weitere außerbiblische Texte erhalten ihre Gleichberechtigung.

(5) Der Hl. Geist sei die Intuition der Frau.

(6) Bei der Bibelexegese spielen Gefühle und Erfahrungen eine große Rolle. Dabei

wird vor allem die Assoziationsbildung gefördert, die die Bibel nur noch als Auf-

hänger benutzt und ihr ganz andersartige Bedeutungen unterlegt.

(7) Das Schriftverständnis der feministischen Theologie erweist diese als Prozess-

und Erfahrungstheologie, der es vor allem auf Aktion, Erfahrung und Handlung

ankommt. So wird aus der Theologie unter Verwendung der Jungschen Psycholo-

gie die „Theo-Phantasie“, die die Bibel in den Befreiungsprozess der Frauen inte-

griert und die Offenbarung fortführt.63

63 Lutz von Padberg: Feminismus, Wuppertal, 1985, 144f.

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Ein Produkt der feministischen Exegese ist die „Bibel in gerechter Sprache“.64

Der „Bibel in gerechter Sprache“ liegt ein dreifaches Leitinteresse zugrunde: ein „ge-

schlechtergerechtes“, ein Interesse des gegenwärtigen christlich-jüdischen Dialogs

und ein Interesse an der Bedeutung der biblischen Texte für die gesellschaftliche Le-

benswirklichkeit.65 Es geht den Übersetzerinnen und Übersetzern primär um eine

„geschlechtergerechte Sprache“ und nicht um die Bewahrung des theologischen und

linguistischen Inhalts des griechischen Neuen Testaments. Es gelten nicht mehr die

Regeln der Übersetzung und der Grammatik, sondern da wird interpretiert, ergänzt

und verändert. Es ist von „Apostelinnen und Aposteln“ die Rede (Apg. 1,3-11), von

„Jüngerinnen und Jüngern“ (Mt. 10,24) sowie von „Pharisäerinnen und Pharisäern“.

Der Apostel Johannes hätte Jüngerinnen und Jünger gehabt, was historisch nie verifi-

zierbar sein wird. Bei den Ältesten wird hinzugefügt, dass es sich um Frauen und

Männer handelt (Offb. 5,11). Es heißt nicht mehr in Jh. 1,14 „das Wort ward

Fleisch“, sondern ganz unpersönlich und materialistisch „die Weisheit wurde Mate-

rie“. Damit wird die Inkarnation geleugnet. Die Ausdrücke „Vater“ und „Sohn“ in

Bezug auf Gott und JESUS werden häufig ersetzt, wodurch inhaltliche Veränderun-

gen hervorgerufen werden. Wenn JESUS von „meinem Vater“ spricht, wird dies

übersetzt durch „Gott, Vater und Mutter für mich“ (Mt. 7,21; 10,32.33; 12,50; 15,13;

16,17 u.a.). In den johanneischen Schriften wird „Vater“ überwiegend mit „Gott“

wiedergegeben (Jh. 2,16; 6,32; 8,49 u.a.). „Unsere Mutter und unser Vater“ steht in

Phil. 2,11; Kol. 3,17. Vielfach ist von Jesus statt von „Gottes Sohn“ von „Gottes

Kind“ die Rede (Mk. 1,2; Mt 8,29; 27,43.54; Lk. 8,38; Jh. 3,16.18 u.a.). Die Umdeu-

tung der Christologie in eine Anthropologie wird deutlich in Jh. 5,19: „Das Kind

kann nichts von sich aus tun, wenn es nicht die Eltern etwas tun sieht. Was nämlich

jene machen, das macht genauso auch das Kind.“ In den johanneischen Schriften

wird „Sohn Gottes“ am häufigsten mit „der Erwählte Gottes“ übersetzt (Jh. 1,49.51;

3,18; 5,25; 6,40; 11,4.27 u.a.). Auch der christologische Titel „Menschensohn“ wird

häufig mit „Mensch“ (Mt. 17,9.12; Mk. 10,45; Lk. 9,44 u.a.) umschrieben oder „der

erwählte Mensch“ (Jh. 1,51; 3,13f.; 5,27; 6,27 u.a.). Kyrios wird durch „die Ewige“

oder „die Lebendige“ vorwiegend ersetzt (im Lukasevangelium steht durchweg „die

Lebendige“: 1,6.8.11.15f.17.25.28.32.45. Im 1. Korintherbrief 4,4f.;

7,17.22.25.32.34f.39; 9,14; 10,9.21.26; 12,5; 16,7.10.21 herrscht „die Ewige“ vor).

Das geschieht in philologischer Willkür – an keiner einzigen dieser Stellen gibt es

auch nur ein sprachliches Anzeichen dafür, die Rede von Gott dem „Herrn“ sei weib-

lich zu verstehen. Im Magnificat ruft die Maria aus: „Großes hat die göttliche Macht

an mir getan und heilig ist ihr Name“ (Lk. 1,49). Das Gebet, das der HERR seinen

64 Ich beschränke mich an dieser Stelle auf das Neue Testament. 65 Ulrike Bail, Frank Crüsemann, Marlene Crüsemann, Erhard Domay, Jürgen Ebach, Claudia Janssen,

Hanne Köhler, Helga Kuhlmann, Martin Leutzsch und Luise Schottroff (Hrsg.): Bibel in gerechter Spra-

che, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006. - Das dreifache Leitinteresse findet sich im Vorwort (S. 5)

von dem Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Dr. Dr. h. c. Peter Steinacker

als auch in der Einleitung (S. 10f.).

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Jüngern lehrte beginnt mit den Worten: „Gott, für uns wie Vater und Mutter im Him-

mel, dein heiliger Name werde wirksam unter uns.“

Der emeritierte Professor für Neues Testament und ehemalige Bischof des Sprengels

Holstein-Lübeck Ulrich Wilckens (geb. 1928, Hamburg) und Verfasser der Theologie

des Neuen Testaments erstellte ein Theologisches Gutachten zur „Bibel in gerechter

Sprache“.66 Vor allem kritisiert er, dass die eigentlichen theologischen und christolo-

gischen Aussagen des Neuen Testaments so stark verändert werden, dass sie einen

anderen, meist abgeschwächten, anthropologischen Sinn bekommen. „Diese Überset-

zung beraubt das Neue Testament der Wahrheit der beiden Grundkenntnisse aller

christlichen Kirchen, die sie in ihrer Heiligen Schrift begründet wissen: Der Wahrheit

der Gottessohnschaft Jesu Christi und damit der Wahrheit des Drei-einen Gottes.“67

In Bezug auf die Abwertung der Christologie in der „Bibel in gerechter Sprache“ hält

Ulrich Wilckens fest: „Mit der weitgehenden Vermeidung des biblischen ‚Soh-

nes’prädikats wird Jesus Christus seiner völligen Einheit mit Gott und Gottes mit ihm

beraubt, kraft derer er allein unser Erlöser ist und sein kann. Statt dessen erscheint er

als vorbildlicher Mensch, der uns Menschen als seinen ‚Geschwistern‘ die weiblichen

Züge seiner Gotteserfahrung nahe bringen möchte, wozu ihm die Übersetzerinnen

endlich zur Sprache zu kommen helfen wollen.“68

Sein Schlussurteil lautet:

„Die ‚Bibel in gerechter Sprache‘ ist nicht nur für den Gebrauch in der Praxis der

Kirche nicht zu empfehlen, weder für den Gottesdienst, noch auch für den kirchlichen

Unterricht und nicht einmal für die persönliche Lektüre. Sie ist vielmehr für jeglichen

Gebrauch in der Kirche abzulehnen. Denn diese ‚Übersetzung‘ unterwirft den Text

der Bibel – jedenfalls des Neuen Testaments – sachfremden Interessen ideologischer

Art und verfälscht so in entscheidenden Grundaspekten ihren Sinn. Weil aber die Bi-

bel als Heilige Schrift die Wurzel und der Grund alles Glaubens und Lebens der Kir-

che und aller Christen ist, und weil deshalb das Bekenntnis der Kirche seine Wahrheit

in der Wahrheit der Heiligen Schrift hat, darum ist die ‚Bibel in gerechter Sprache‘

als bekenntniswidrig zu beurteilen und aus jeglichem Gebrauch des Lebens in der

Kirche auszuscheiden.“69

66 http://www.bigs-gutachten.de/bigs-theol-gutachten.pdf vom 15.02.2007. (Zugriff: 10.07.09). 67 U. Wilckens: Gutachten, a.a.O., S. 1 68 Ders., a.a.O., S. 6 69 Ders., a.a.O., S. 26.

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6. Tiefenpsychologische Hermeneutik

Bei manchen moderneren liberalen Theologen kommt die Hermeneutik aus tiefenpsycho-

logischer Sicht hinzu. So ist ihr Vorreiter der katholische Privatdozent und erfolgreiche

Schriftsteller, der Priester Eugen Drewermann, geb. 1940 in Bergkamen. Persönlich

habe ich ihn in einem Vortrag am 29. Okt. 1992 in Aurich gehört, wo er folgende Thesen

aufgestellte: „Das Gottesbild hätten die Kinder von den Eltern übernommen; eine Hölle

gäbe es nicht, da Gott Liebe ist; Ehebruch sei keine Sünde, sondern ein Unglücksfall; der

Begriff ‚Sünde‘ sei überholt – man sollte eher von ‚Schwäche‘ oder ‚Unfähigkeit‘ spre-

chen.“

Mit Hilfe der Psychoanalyse von Sigmund Freud und Carl Gustav Jung will Drewermann

die historisch-kritische Methode der Bibelexegese überwinden. In Wirklichkeit aber

überwindet er sie nicht, sondern wendet sie konsequent an.

Der katholische Priester übernimmt die Lehre der ‚Archetypen‘ von dem Psychoanalyti-

ker C. G. Jung. Das griechische Wort ‚Arche‘ bedeutet ‚Anfang / Ursprung‘. Archetypen

seinen Urbilder im menschlichen Unterbewusstsein, die auf den evolutionistischen Ur-

sprung es Menschen hinweisen. Diese Urbilder tauchen im Traum, in der Phantasie, im

Märchen70, in Mythen und in Formen von Symbolen71 wieder auf.

Wenn ein Kleinkind mit angewinkelten Beinen schläft, so erinnere es sich unbewusst an

die Zeit im Mutterleib. Dieser Schlafzustand drücke nach Jung dann die Geborgenheit

aus. Jung spricht von dem ‚kollektiv Unbewussten‘, weil die ganze Menschheit solche

Archetypen kenne.

Eugen Drewermann spricht nun von einer ‚archetypischen Hermeneutik‘.72 Die mosai-

sche Urgeschichte (Gen. 1-11) legt er tiefenpsychologisch-archetypisch aus. Schöpfung,

Sündenfall, Brudermord (Neid), Sintflut und Turmbau (Hochmut) spiegeln nur archetypi-

sche Bedürfnisse des Menschen wieder, um eine Antwort auf die Genese (Entstehung)

des Menschen und der Sünde (des Bösen in der Welt) zu bekommen. Es sind für Dre-

wermann keine historischen Fakten, sondern nur archetypische Denkmuster, die im Un-

terbewusstsein (Erbgedächtnis) als Mythen und Legenden gespeichert sind.

Der Schlüsselbegriff für Gen. 3-11 sei Angst. Der Mensch lebt seit dem Sündenfall au-

ßerhalb der Gemeinschaft mit Gott. Diese Angst wird anhand der Erzählungen von

Gen. 3-11 bewältigt. Sünde wird nur als Angst beschrieben, nicht als Trennung von Gott,

aus der Eigenverantwortung des Menschen heraus. Klaus Rudolf Berger, der sich kritisch

mit der archetypischen Hermeneutik Drewermanns auseinandergesetzt hat, schreibt:

„Sünde, die eigentliche Trennung des Menschen von Gott, wird bei Drewermann in

Angst umgedeutet und durch Selbsterkenntnis und Beobachtung schließlich integrierbar,

so dass wir Menschen mit ihr leben können. Echte Befreiung zeigt er nicht.“73

70 Dieser Ansatz erinnert an Bultmanns Entmythologisierung. 71 Es ist auf die semiotische Bibelauslegung zu verweisen. 72 Klaus R. Berger in: Factum 11/12, 1991, 16. Vgl. auch dazu E. Hahn in: Das Studium des NT, Wupper-

tal, 2000, Bd. 2, 19-24 73 Klaus R. Berger in: Factum 11/12, 1991, 18.

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Die Schlange in Gen. 3 wird zu einer weisen Therapeutin, die das Handeln gegen Gottes

Gebot als notwendig zur Erkenntnis von Gut und Böse werden lässt.

Der Glaube an Gott ist für Drewermann die Antwort des Menschen auf Angst. Wer aus

der Angst heraus an Gott glaubt, hat noch eine gebrochene Beziehung zu ihm.

Biblische Texte sollte man nach Drewermann durch Träume, durch Gefühle und

durch die Sprache der Sehnsucht auslegen.

Gott erkennen könne man besser durch die Natur als durch die Bibel. In seinem pantheis-

tischen Gottesansatz ist es für Drewermann kein Problem, alle Religionen synkretistisch

miteinander zu verknüpfen. Das Kreuz dürfe nicht länger dazu herhalten, die Natur des

Menschen sündig zu sprechen. Deshalb lehnt er auch den stellvertretenden Sühnetod

Christi radikal ab.74

74 Drewermann: Markusevangelium. Bilder von der Erlösung, Bd. 2: Mk 9,14-16,20, Olten / Freiburg i.

Br., 1988, 142-143

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7. Der philosophische Ansatz von Hans-Georg Gadamer

Die Philosophie gehört zu den Geisteswissenschaften und beschäftigt sich von daher ge-

sehen vor allem mit Texten. In der Mitte des 20. Jh. gab es durch Hans-Georg Gadamer

(1900 – 2002) einen neuen Durchbruch in der Hermeneutik, und zwar mit seinem inter-

national bekannt gewordenen Werk „Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philoso-

phischen Hermeneutik“, Tübingen, 1960.

Jeder Text ist in ein Geflecht von vor- und außertextlichen Voraussetzungen eingewoben

(Kontext / Intertextualität). Was dasteht, hat mit anderen Worten immer schon eine Art

Vorgeschichte. Texte sind als Teil der menschlichen Erfahrungswelt ausgewiesen.

Als zentralen Gedanken dieser Analyse formuliert Gadamer: „Wer einen Text verstehen

will, vollzieht immer ein Entwerfen. Er wirft sich einen Sinn des Ganzen voraus, sobald

sich ein erster Sinn im Text zeigt. Ein solcher zeigt sich wiederum nur, weil man den

Text schon mit gewissen Erwartungen auf einen bestimmten Sinn hin liest. Im Ausarbei-

ten eines solchen Vorentwurfs, der freilich beständig von dem her revidiert wird, was

sich bei weiterem Eindringen in den Sinn ergibt, besteht das Verstehen dessen, was da-

steht“(GW 1,271).75

Niemand geht ohne Vorurte i l e (persönliche, bewusste oder unbewusste) und V o rm -

e inu ng en an einen Text heran. Es gibt keine Neutralität und vollkommene Objektivität

seitens des Interpreten.

Von daher betrachtet braucht es beim Interpreten eine gewisse O f f enh e i t für die Mei-

nung des anderen bzw. des Textes.76

In einer Art von h erm en eu t i s ch em P os tu la t formuliert Gadamer:

„Wer einen Text verstehen will, ist [...] bereit, sich von ihm etwas sagen zu lassen. Daher

muss ein hermeneutisch geschultes Bewusstsein für die Andersheit des Textes von vorn-

herein empfänglich sein. Solche Empfänglichkeit setzt aber weder sachliche ‚Neutralität’

noch gar Selbstauslöschung voraus, sondern schließt die abhebende Aneignung der eige-

nen Vormeinung und Vorurteile ein“ (GW 1, 273 f.).

75 Hans-Helmuth Gander: Erhebung der Geschichtlichkeit des Verstehens zum hermeneutischen Prinzip

(Gadamer, Gesammelte Werke 1, 270-311) in: Wahrheit und Methode. Klassiker auslegen, hrsg. v. Gün-

ther Figal, Berlin, 2007, 105 – 125. 76 Gadamer bezog seine Hermeneutik nicht nur auf Texte, sondern auch auf die Kunst und auf das Ge-

spräch (auf die Kommunikation im Dialog).

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37

Es gilt „der eigenen Voreingenommenheit innezusein, damit sich der Text selbst in seiner

Andersheit darstellt und damit in die Möglichkeit kommt, seine sachliche Wahrheit ge-

gen die eigene Vormeinung auszuspielen“ (GW 1, 274).

In unserem O f f en s e in für die hermeneutische Reflexion sind unsere V o r m ei nu ng en

prinzipiell r ev id i e rb a r .

Dies ist aber nur möglich, wenn unser Vorwissen nicht bei uns und für sich bleibt, son-

dern sich flexibel neuen Erfahrungen stellt und d. h. sich für Erfahrungen und Andersheit

öffnet. Nach Gadamer wird „das eigene Vorurteil dadurch recht eigentlich ins Spiel ge-

bracht, dass es selber auf dem Spiele steht. Nur indem es sich ausspielt, vermag es den

Wahrheitsanspruch des andern [etwa des Textes] überhaupt zu erfahren und ermöglicht

ihm, dass er sich auch ausspielen kann“ (GW 1, 304).

Wenn in diesem Sinne Wahrheitsvermutung auf Seiten des Textes liegt und damit eine

Überlegenheit seines Wahrheitsanspruches suggeriert, so bedeutet die darin implizierte

Unterlegenheit des Interpreten aber keineswegs dessen grundsätzliche Unfähigkeit, die

sachlichen Wahrheitsansprüche zu erkennen. Denn erst aus dem Anerkennen und in die-

sem Sinne Erkennen des sachlichen Wahrheitsanspruches gewinnt die kritische Vernunft,

auf der Gadamer als Instanz der Vorurteilsprüfung besteht, die Möglichkeit, ihre Funkti-

on und Rolle im Verstehensprozess zu begreifen. Hier setzt erneut seine Kritik am Ver-

nunftsbegriff der Aufklärung an. Die Vernunft darf nicht Herr sein, sondern bleibt stets

auf Gegebenheiten angewiesen.

Mit anderen Worten sind wir dafür offen, „dass ein überlieferter Text es besser weiß, als

die eigene Vormeinung gelten lassen will“ (GW 1,299).

Die entsprechende hermeneutische Haltung ist der „Versuch, das Gesagte als wahr gelten

zu lassen“ (GW 1,299).

Natürlich rechnet Gadamer als Philosoph nicht damit, dass auch die menschliche Ver-

nunft dem Lapsus (dem Sündenfall) unterliegt (Eph. 4,18) und von daher begrenzt, be-

tört, irregeleitet, verwirrt, manipuliert ist und wird. Der biblische Exeget braucht von

daher die Erleuchtung (Eph. 5,8.14) seiner verdunkelten Vernunft (1.Kor. 2,14), damit er

überhaupt geistliche Zusammenhänge in der Hl. Schrift erkennen kann.

Page 38: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

38

7.1. Die persönliche Wirkungsgeschichte

Kernstück der Hermeneutik Hans Georg Gadamers ist die „Wirkungsgeschichte“.

Verstehen ist ein wirkungsgeschichtlicher Vorgang.

Wirkungsgeschichte ist das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart.

Der Autor eines Textes hat ein soziales Umfeld, eine Erziehung, vielleicht eine Religion.

Dieses Umfeld wirkt auf den Autor und auf den Text und der Text wirkt in die Gegen-

wart hinein. Er hat einen Einfluss auf den Interpreten der Gegenwart (Rezeptionsästhe-

tik).

Geschichte ist also überhaupt nichts Abgeschiedenes, sondern immer auch Wirkungsge-

schichte.

Der biblische Exeget kann seine persönliche Wirkungsgeschichte nicht ausklammern.

Seine persönliche Wirkungsgeschichte kann aus der Kultur bestehen, worin er aufge-

wachsen ist. Diese Kultur projiziert der Ausleger bewusst oder unbewusst auf den bibli-

schen Text und legt diesen so aus, dass seine Kultur Bestätigung findet. Die persönliche

Wirkungsgeschichte kann ferner aus der mitgebrachten Tradition bestehen, die der Aus-

leger durchlebt hat, entweder in der Familie oder in der Gemeinde. Schließlich kann die

Wirkungsgeschichte aus der Konfession (lutherisch, reformiert, freikirchlich etc.) beste-

hen oder auch aus einer mitgebrachten Dogmatik einer konfessionellen Richtung. Hierzu

gehört auch die theologische Ausbildungsstätte. Schließlich kann die persönliche Wir-

kungsgeschichte aus verschiedenen Kommentaren zur Bibel begleitet sein, die der Aus-

leger bereits studiert hat und nun unbewusst anwendet.

Natürlich kann niemand seine persönliche Wirkungsgeschichte völlig ausklammern und

abstreifen, aber er kann sie in Christus überwinden. Ich muss bereit sein, meine persönli-

che Wirkungsgeschichte zu erkennen, sie zugestehen und ein Stück weit zurückzustellen,

bevor ich den biblischen Text auszulegen versuche.

Damit wir unsere persönliche Wirkungsgeschichte erkennen können, ist es hilfreich, in

die Kirchengeschichte und Theologiegeschichte hineinzublicken, denn aus den Vorüber-

legungen zu bestimmten Sachthemen können wir lernen, eben auch aus ihren Fehlern.

Zurecht konstatiert Donald A. Carson:

„Wenn wir unsere Meinungen, Werte, und Denkweisen nicht an die Lehren der Bibel

knüpfen, wissen wir weder, was die Autorität der Bibel bedeutet, noch was Unterordnung

unter die Herrschaft Jesu Christi heißt. Es gibt viele verschiedene Meinungen darüber,

was die Bibel wirklich sagt – Meinungsunterschiede, die manchmal mit demütigem Aus-

tausch und viel Zeit überwunden werden können; doch für Christen ist es unverzeihlich,

wenn man mit der falschen Begründung, die Erkenntnis objektiver Wahrheit sei unmög-

lich, die Aussagen der Schrift ignoriert oder ihnen ausweicht.“77

77 Donald A. Carson: Stolpersteine der Schriftauslegung, 124f.

Page 39: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

39

Fachliches Abkürzungsverzeichnis von Nachschlagewerken

Siehe dazu: Siegfried Schwertner: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und

Grenzgebiete (IATG), Berlin / New York, 21992.

Balz, H. / Schneider, G., Hrsg.: Exegetisches Wörterbuch zum NT, 3 Bde., Kohlhammer, Stuttgart, 21992

EWNT

Bauer, Walter : Griechisch-Deutsches Wörterbuch zu den Schriften des NT’ s u. der übrigen ur-

christlichen Literatur, Walter de Gruyter, Berlin, 51971.

Neuausgabe: Walter Bauer und Kurt Aland u.a.: Griechisch-Deutsches Wörterbuch zu den Schrif-

ten des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlin, 61988.

WBNT

BA

Botterweck, G. J. und H. Ringgren, Hrsg.: Theologisches Wörterbuch zum AT, Kohlhammer,

Stuttgart, 1970 - 2000

ThWAT

Bühlmann, Walter / Scherer, Karl: Sprachliche Stilfiguren der Bibel. Von Assonanz bis Zahlen-

spruch. Ein Nachschlagewerk, Gießen, 21994

Das Große Bibellexikon, Bd. I - III, hrsg. v. H. Burkhardt, F. Grünzweig, F. Laubach, G. Maier,

Brockhaus und Brunnen, Wuppertal und Gießen, 1987

GBL

Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet der Deutschen Bibelgesellschaft Stuttgart.

www.wibilex.de WiBiLex

Duden-Etymologie, bearbeitet von G. Drosdowski, P. Grede, Duden Bd. 7, Dudenverlag, Mann-

heim, 1963.

Duden

Der Kleine Pauly – Lexikon der Antike in 5 Bde. – auf der Grundlage von Pauly’ s Realenzyklo-

pädie der klassischen Altertumswissenschaft in 80 Bde., hrsg. v. Konrat Ziegler u. Walther

Sontheimer, dtv, München, 1979

Der Kleine Pauly

Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Hrsg. v. H. Burkhardt u. U. Swarat, Bd. 1-

3 der Studienausgabe, Brockhaus, Wuppertal, 21998

ELThG

Evangelisches Kirchenlexikon (EKL), hrsg. v. Erwin Fahlbusch, Jan M. Lochman u. John S.

Mbiti, 5 Bde. (einschl. Register), 3. Aufl., V&R, Göttingen 1986-1997. Internationale theologische

Enzyklopädie, 3800 Seiten. Als CD-ROM sehr günstig erhältlich.

EKL

Harris, R. L. / Archer, Jr. G. L. / Waltke, B. K.: Theological Wordbook of the Old Testament,

Vol. 1-2, Moody Bible Institute of Chicago, 1980.

ThWBOT

Haubeck, Wilfrid, von Siebenthal, Heinrich, Neuer Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen

Neuen Testament, Bd. 1 - 2, TVG, Brunnen, Gießen, 1994/97

NSSNT

Jahrbuch für Evangelikale Theologie, hrsg. im Auftrag des Arbeitskreises für Evangelikale

Theologie von R. Hille, H. Stadelmann, B. Weber, J. Eber u. R. Gebauer, Brockhaus, Wuppertal.

JETh

Jenni, Ernst / Westermann, Claus, Theologisches Handwörterbuch zum AT, Kaiser Verlag, Mün-

chen, 1984

ThHWAT

Page 40: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

40

Kittel, Gerhard, Hrsg., Theologisches Wörterbuch zum NT, 11 Bde., Verlag Kohlhammer, Stutt-

gart, 1957-1979 (neu herausgegeben von Friedrich Gerhard, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart, 1990)

ThWNT

Koehler, Ludwig und Baumgartner, Walter: hebräisches und Aramäisches Lexikon zum AT, 2

Bde., E. J. Brill- Verlag, Köln, 31995

HAL

Neues Testament und Antike Kultur, hrsg. v. Kurt Erlemann, Karl Leo Loethlichs: 4 Bde., Neu-

kirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn, 2004 ff.

NTAK

Oehler, Gustav Fr., Theologie des Alten Testaments, Bd. 1: Einleitung und Mosaismus; Bd. 2:

Prophetismus und alttestamentliche Weisheit, Verlag von J. J. Heckenhauer, Tübingen 1873 u.

1874.

Oehler, ThAT

Passow, Franz: Handwörterbuch der Griechischen Sprache, neu bearbeitet von Val. Chr. Fr. Rost u.

Friedrich Palm, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 51983, I,1.2; II, 1.2

Passow

Real-Enzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, begründet v. J.J. Herzog, in 17 Bde.,

J. C. Hinrichsche Buchhandlung, Leipzig, 21877 - 1888.

RE

Theologische Realenzyklopädie, hrsg. in Gemeinschaft von Horst Robert Balz, Gerhard Müller

u.a., Studienausgabe I-III, Bd. 1-36, Verlag Walter de Gruyter, Berlin, 1977-2004

TRE

Religion in Geschichte und Gegenwart, hrsg. v. Kurt Galling, J. C. B. Mohr, Tübingen, 31986

(Studienausgabe in 7 Bde.).

Neuherausgabe in vierter Auflage von Hans Dieter Betz u.a., 8 Bde., Mohr Siebeck-Verlag, Tübin-

gen, 1998-2005.

RGG3

RGG4

Rienecker, Fritz / Maier, Gerhard: Lexikon zur Bibel, Brockhaus, Wuppertal,, 1994, 1998 (1.

Sonderausgabe)

Lex.z.B.

Steubing, H., Bekenntnisse der Kirche, Brockhaus, Wuppertal, 1985 Steubing, BKG

Strack, H. L., Billerbeck, P., Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud u. Midrasch, C. H.

Beck, München, Bd. I – IV.2, 91986.

ST-B

Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, begründet durch E. Beyreuther, H. Bie-

tenhard und L. Coenen; neu hrsg. v. Lothar Coenen und Klaus Haacker: Wuppertal, 1997, 1. Son-

derauflage 2005 in einem Band (mit CD-ROM).

ThBLNT

von Rad, Gerhard: Theologie des Alten Testaments, Bd. 1-2, Kaiser Verlag, 19879

v.Rad ThAT

Page 41: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

41

L i t e r a t u r mit Anmerkungen

Hinweise

➢ Wenn nicht anders erwähnt, wurde die Martin Luther Übersetzung von 1984, Deut-

sche Bibelgesellschaft, Stuttgart, verwendet.

➢ Die übrigen verwendeten Bibelausgaben, Übersetzungen sowie die Schriftfonds der

zitierten Verse entstammen „Bible Works 4.0“ (1999) bis 9.0 (2009), distributet by

Hermeneutika Bible Research Sotfware, Big Fork, Montana, USA.

➢ Der Text wurde mit Microsoft Word 2010 (Microsoft Corporation) erstellt und for-

matiert.

➢ Biblische ClipArts entstammen Masters Art Collection Nr. 7, ClipArts zur Bibel,

Agathos Verlag, Exxlesia Equipment, H. T. Mislisch, Sonthofen.

➢ Weitere ClipArts sind PrintMaster Gold Deluxe 4.0 entnommen, Mindscape Inter-

national, Mülheim a.d.R., 1997.

1. Literatur für praktische Anleitung einer bibeltreuen exegetischen Arbeit

1) Howard G. Hendricks / William G. Hendricks: Bibellesen mit Gewinn. Handbuch

für das persönliche Bibelstudium . Christliche Verlagsgesellschaft, Dillenburg 1995.

Das Handbuch ist didaktisch gut aufbereitet; hilft zu einer echten Beschäftigung mit dem Bibeltext.

2) R.C. Sproul: Bibelstudium für Einsteiger. Eine Einführung in das Verstehen der Heiligen

Schrift, Betanien Verlag, Oerlinghausen, 2009 (Erstausgabe 1977 „Knowing Scripture“).

Der reformierte Theologe R.C. Sproul ist einer der Väter der „Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit

der Bibel“ und Mitherausgeber der Genfer Studienbibel. In kurzer Form stellt er Anleitungen zur Aus-

legung der Bibel dar. Vor allem interessant ist das Kapitel „Bibel und Kultur“.

3) Helge Stadelmann / Thomas Richter: Bibelauslegung praktisch – in zehn Schrit-

ten den Text verstehen , Brockhaus Verlag, Wuppertal, 2006.

Sehr gute praktische Tipps zu einer bibeltreuen Exegese unter Berücksichtigung der Heilsgeschichte.

4) Armin Sierszyn: Christologische Hermeneutik. Eine Studie über Historisch-kritische, Kano-

nische und Biblische Theologie mit besonderer Berücksichtigung der philosophischen Her-

meneutik von Hans-Georg Gadamer. Studien zur Theologie und Bibel im Auftrag der

Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel, Berlin und Zürich, 2010.

5) Jacob Thiessen: Hermeneutik der Bibel. Grundsätze zur Auslegung und Anwendung bibli-

scher Texte – ein offenbarungstheologischer Standpunkt, Jota-Publikationen, Hammerbrü-

cke, 22009.

Biblische Darstellung der Inspiration, Irrtumslosigkeit und Autorität der Bibel. Bedeutung des bibli-

schen Kanons. Bibelübersetzung und Bibelauslegung. Berücksichtigung der Heilsgeschichte für die

Auslegung.

2. Literatur zur Anleitung der historisch-kritischen Methode

A l t e s T es t am en t

1) Uwe Becker: Exegese des Alten Testaments. Ein Methoden- und Arbeitsbuch. UTB 2664.

Mohr Siebeck, Tübingen 2005.

Page 42: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

42

Knappe Übersicht; ohne neuere Methoden; weiterführende Literaturangaben.

2) A.H.J. Gunneweg: Vom Verstehen des Alten Testaments. Eine Hermeneutik, Reihe: Grund-

risse zum Alten Testament, ATD Ergänzungsreihe Bd. 5, Göttingen, 1977.

3) Odil Hannes Steck: Exegese des Alten Testaments. Leitfaden der Methodik. Ein Arbeitsbuch

für Proseminare, Seminare und Vorlesungen. 14., durchgesehene und erweiterte Auflage,

Neukirchener-Verlag, Neukirchen-Vluyn 1999.

Immer noch das Standardwerk, ohne die neueren Ansätze.

4) Helmut Utzschneider / Stefan Ark Nitsche: Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibel-

auslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments. Kaiser/Gütersloher Ver-

lagshaus, Gütersloh 2001.

Berücksichtigt auch die neueren "synchronen" Methoden.

N eu es Tes t am en t

1) Hans Conzelmann / Andreas Lindemann: Arbeitsbuch zum Neuen Testament, UTB, Mohr

Siebeck, Tübingen, 199812, Erster Teil: Methodenlehre, § 6 die exegetischen Methoden.

2) Klaus Berger: Exegese des Neuen Testaments, UTB, Quelle und Meyer, Heidelberg und

Wiesbaden, 31991 (1977).

(Klaus Berger gehört zu den konservativen Theologen. In der Hermeneutik aber vertritt er die HKM).

3) Wilhelm Egger: Methodenlehre zum Neuen Testament. Einführung in linguistische und his-

torisch-kritische Methoden. Herder, Freiburg 1987.

Klassiker; bezieht linguistische Methoden mit ein.

4) Klaus Haacker: Neutestamentliche Wissenschaft. Eine Einführung in Fragestellungen und

Methoden, Wuppertal, 21985.

Kurze und gut verständliche Einführung in die methodischen Arbeitsschritte der historisch-kritischen

Methode. Haacker stellt auch kritische Rückfragen.

5) Jürgen Roloff: Neues Testament, Neukirchen-Vluyn, 71999.

Überblick über die historisch-kritischen Arbeitsmethoden mit konkreten Beispielen und Übungen.

6) Udo Schnelle: Einführung in die neutestamentliche Exegese. 6. neubearb. Aufl. UTB 1253.

Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005.

Knappe Übersicht; wird im ev. Theologiestudium häufig verwendet.

7) Heinrich Zimmermann: Neutestamentliche Methodenlehre. Darstellung der historisch-

kritischen Methode, 7. Aufl., neubearb. v. Klaus Kliesch, Kath. Bibelwerk, Stuttgart, 1982.

Das klassische Standardwerk.

3. Stellungnahmen zur historisch-kritischen Methode (HKM)

1) Eta Linnemann: Original oder Fälschung. Historisch-kritische Theologie im Licht der Bi-

bel, CLV, Bielefeld, 1994 (19992), ISBN 3-89397-754-6.

Prof. Eta Linnemann war früher eine Vertreterin der HKM. Einen Namen hatte sie sich in der Gleich-

nisforschung gemacht, wo sie in der Literatur zusammen mit Adolf Jülicher und Joachim Jeremias

auftauchte. Durch einen Studentinnen-Bibel-Kreis kam sie zum lebendigen Glauben an Jesus Christus.

Page 43: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

43

Daraufhin hat sie ihre kritischen Bücher vernichtet. Sie erkannte für sich die absolute Wahrheit und

Autorität der Bibel in allen ihren Aussagen an.

2) Eta Linnemann: Was ist glaubwürdig? Die Bibel oder die Bibelkritik?, VTR, Nürnberg,

2007.

3) Gerhard Maier: Das Ende der historisch-Kritischen Methode, Brockhaus, 1974 (51984).

4) Armin Sierszyn: Die Bibel im Griff? Historisch-kritische Denkweise und biblische Theolo-

gie, Brockhaus, Wuppertal, 1978.

Armin Sierszyn beugt sich unter die Autorität der ganzen Bibel als das geoffenbarte und normative

Wort Gottes. Der Schweizer Theologe hat an den deutschen Universitäten Theologie studiert und er

hat bei Walter Künneth promoviert. Seit den Anfängen der Staatsunabhängigen Theologischen Hoch-

schule Basel ist er dabei und seit vielen Jahren Prorektor. Er kennt sich mit den kritischen Denkansät-

zen gut aus. Die Lektüre fordert die volle Konzentration, aber sie zeigt deutlich auf, dass der Ausleger

seinen Verstand allein durch den Hl. Geist erleuchten lassen muss, und nicht durch ideologische

Denkrichtungen. Nur durch die Erfüllung mit dem Hl. Geist ist eine Konspiritualität mit dem Wort

Gottes möglich, eine zentrale Voraussetzung für die Bibelexegese. Der so vom hl. Geist erleuchtete

Verstand wiederum ist zusammen mit den objektiven Methoden der Wissenschaft auch in der herme-

neutischen und exegetischen Forschung von großem Nutzen.

4. Zur Geschichte der Hermeneutik

1) Graf Henning Reventlow: Epochen der Bibelauslegung, 4 Bde., München, 1990/94/97/2001.

2) Peter Stuhlmacher: Vom Verstehen des NT - Eine Hermeneutik, NTD, Ergänzungsreihe 6,

Vandenhoeck u. Ruprecht, Göttingen, 1986.

3) Bernhard Ramm: Biblische Hermeneutik, ICI, Asslar, 1991. Artikel 2: Historische Schulen.

5. Hermeneutik im Lichte der Heilsgeschichte

1) Arnd Brettschneider: Heilsgeschichtliche Schriftauslegung. Die Bibel heilsgeschichtlich

lesen, verstehen und anwenden, Dillenburg, 2006.

2) Rinaldo Diprose: Israel aus der Sicht der Gemeinde, Edition Wiedenest, Hammerbrücke,

2001.

Diprose beschäftigt sich hauptsächlich mit der Substitutionstheorie, die besagt, dass die Gemeinde für

immer Israel ersetzt hätte. Diprose bringt dagegen sehr gute Einwände aus der Hl. Schrift.

3) Martin Heide: Worauf noch warten? – Das Reich Gottes im Wandel der Zeiten, CLV, Biele-

feld, 1992.

In den Exkursen und Statements gibt Heide praktisch-exegetische Beispiele in Bezug auf das Millen-

nium und die Stellung Israels und der Gemeinde. Z. B. Amos 9, Römer 11; Mt. 24,30. Die Bedeutung

des Reiches Gottes. Die Prophetie Joels. Israels Verwerfung und das NT. Die Drangsal. Das gegen-

wärtige und zukünftige Zeitalter. Die Offenbarung als symbolisches Buch. Die erste Auferstehung.

Die Offenbarung im Zugriff der Philosophie. Geistliche und leibliche Auferstehung. Die Wiederkunft

Christi. Die Wolken des Himmels.

4) Cyrus Ingerson Scofield: Legen wir die Bibel richtig aus?, Verlag Hermann Schulte, Wetz-

lar, 1974 (Originalausgabe: „Rightly Dividing the Word of Truth“ im Verlag Zondervan,

Publishing House, Grand Rapids, Michigan, 1896).

Page 44: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

44

Scofield legt die Sicht des klassischen Dispensationalismus dar und vertritt die „Sieben-Zeitalter-

Lehre“. Im deutschsprachigen Raum wurde er durch die Scofield-Studienbibel (1909) bekannt.

5) Helge Stadelmann / Berthold Schwarz: Heilsgeschichte verstehen, CV, Dillenburg, 2008. Das Buch bietet einen optimalen Überblick über die heilsgeschichtlichen Zusammenhänge des Alten

und Neuen Testaments wie auch über die verschiedenen heilsgeschichtlichen Epochen, die der Ausle-

ger beim Studium des Alten und Neuen Testaments berücksichtigen sollte. Die fortschreitende Offen-

barung wird erklärt ebenso wie die Ökonomien und Dispensationen. Es gibt genügend Fallbeispiele.

Auch die verschiedenen Richtungslager in ihrer Wirkungsgeschichte mit ihren verschiedenen Vertre-

tern werden vorgestellt. Dabei wird davor gewarnt, dass der Ausleger nicht über das Ziel der

Schriftoffenbarung hinausschießen darf. Es gibt Tipps zum Verständnis der Evangelien, der Bergpre-

digt und des Reiches Gottes. Zum Schluss gibt es praktische Hinweise für eine heilsgeschichtliche

Schriftauslegung.

6) Helge Stadelmann: Grundlinien eines bibeltreuen Schriftverständnisses, Wuppertal, 31996

(1985).

Der Autor weist in diesem Buch vor allem auf die notwendige Beachtung der großen heilsgeschichtli-

chen Linien in der Exegese hin.

6. Allgemeine Literatur der Hermeneutik

Die wichtigste Literatur zum Studium der Hermeneutik und der Exegese mit kurzen Erläuterungen in Aus-

wahl.

1. Otto Betz: Wie verstehen wir die Bibel?, Aussat Verlag, Wuppertal,1981.

2. Claus von Bornmann: Hermeneutik I, TRE, 15, 108-137, hrsg. v. Gerhard Müller, deGruyter,

Berlin u. New York, 1986.

3. Jakob van Bruggen: Wie lesen wir die Bibel?, Hänssler, Neuhausen-Stuttgart, 1998

Bruggen bringt gute Beispielexegesen zu Ps. 69; 1.Kor. 15,29; Ps. 2 u. zu Melchisedek. Er stellt dem

Leser praktische Hausaufgaben und im Anhang des Buches hat er eine ausgezeichnete Literaturliste.

Kritik: Auf den Seiten 151 - 156 legt er Röm. 9 - 11 auf die Gemeinde hin aus. Das bedeutet: Israel hat

nach van Bruggen als Nation keine eschatologische Zukunft mehr. Für Israel gibt es keine nationale,

wirtschaftliche und geistliche Wiedergeburt. Und folglich gelten alle eschatologischen Verheißungen

im AT nicht Israel, sondern der Gemeinde. Diese antieschatologische Ansicht ist von der Exegese und

von der Heilsgeschichte her nicht haltbar, weil es noch unerfüllte alttestamentliche Prophezeiungen

gibt, die eindeutig Israel gelten. Und zuletzt: van Bruggen stülpt der Bibel seine calvinistische Ansicht

über. Der Calvinismus ist amillennialistisch eingestellt. Van Bruggen zieht die Dogmatik der Herme-

neutik vor. Umgekehrt soll es aber sein.

4. Donald A. Carson: Stolpersteine der Schriftauslegung, Betanien-Verlag, Oerlinghausen, 2007

(Original: „Exegetical Fallacies, Baker Academic, Grand Rapids, 1996).

Donald Arthur Carson lehrt an der Trinity Evangelical Divinity School (Deerfield) und ist zusammen

mit Douglas J. Moo der Verfasser einer „Einleitung in das Neue Testament“, Gießen, 2010 (925 S.). In

dem kleinen Büchlein „Stolpersteine der Schriftauslegung“ deckt er einige Fehler, bzw. Fehlermöglich-

keiten auf, die bei der Auslegung immer wieder gemacht werden (können). Dabei ist er in seinen Unter-

suchungen unabhängig von konfessionellen Bestimmungen. Das Büchlein ist sehr praktisch und ver-

ständlich, geht aber auch in die Tiefe der griechischen Grammatik hinein.

5. Joachim Cochlovius / Peter Zimmerling, (Hrsg.): Evangelische Schriftauslegung, Quellentex-

te, TVG, Brockhaus, Wuppertal, 1987 (Dieses Arbeitsbuch enthält Darstellungen mit Quellentexten

über die Auslegungsmethoden von den Reformatoren bis zur Gegenwart).

Page 45: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

45

6. Manfred Dreytza / Walter Hilbrands / Harmtut Schmid (Hrsg.): Das Studium des Alten

Testaments – Eine Einführung in die Methoden der Exegese , TVG, Brockhaus,

Wuppertal, Brunnen, Gießen.

Die drei Autoren beschäftigen sich eingehend mit der Auslegung des Alten Testaments. Aus vielen Bei-

trägen kann man einiges lernen. Sie selber titulieren ihren hermeneutischen Ansatz als eine „literarisch-

historisch-theologische Auslegung“ (S. 153-155); „literarisch“, weil die Bibel verschiedene Gattungen

aufweist (Bericht, Biographie, Erzählung, Poesie usf.); „historisch“, weil die Bibel einen historischen

Kontext und ein geschichtliches Umfeld hat und „theologisch“, weil die Bibel nicht nur ein Buch wie

jedes andere ist, sondern geoffenbartes Wort Gottes, wodurch Gott redet und seinen Heilsplan mitteilt.

Die Autoren scheuen sich aber auch nicht davor, die Arbeitsmethoden der historisch-kritischen For-

schung insoweit einzubeziehen, wenn sie der historisch-literarischen Arbeit dienlich sein können. Zwar

werden einige Methoden kritisch bewertet (wie die Formgeschichte und Literarkritik), andere aber wer-

den zu unkritisch übernommen (wie die Überlieferungsgeschichte, die Redaktionsgeschichte und die

Traditionsgeschiche).

7. Faszination Bibel. Das Buch der Bücher lieben lernen. Zeitschrift 4/2012, SCM-

Bundesverlag, Witten, 2012. Thema: Werkzeugkasten der Bibelauslegung.

8. Gordon Fee und Douglas Stuart: Effektives Bibelstudium, ICI, Asslar, 31996

Die Abschnitte über die Erzählungen des Alte Testament, über die Apostelgeschichte, über das Gesetz,

über die Psalmen und Weisheit sind sehr lehrreich; ansonsten leichte Ansätze einer zu einer offenen (li-

beralen) Hermeneutik und vorausgesetzte dogmatische Ansätze, welche der Hermeneutik vorgezogen

werden.

9. Günter Figal (Hrsg.): Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode, Berlin, 2007. (Philoso-

phische Hermeneutik).

10. Günter Figal (Hrsg.): Internationales Jahrbuch für Hermeneutik, Mohr / Siebeck, 2002 ff.

(philosophisch).

11. Helmuth Frey: Geistliche Schriftauslegung, Brunnen-Verlag, Gießen, 2002 (72 S.).

12. Klaus Haacker: Neutestamentliche Wissenschaft. Eine Einführung in Fragestellungen und

Methoden. (1981) 2. Aufl. R. Brockhaus, Wuppertal 1985 (eher knapp)

13. Heinzpeter Hempelmann: Nicht auf der Schrift, sondern unter ihr – Grundsätze und Grund-

züge einer Hermeneutik der Demut, VLM, 2000.

Der Titel klingt zwar gut und in vielen Ansätzen möchte der Autor eine bibeltreue Hermeneutik vertre-

ten, doch leider tut er das nicht konsequent. Er zeigt bibeltreue Ansätze auf, aber er kann genauso gut

Ansätze der historisch-kritischen Methode (HKM) übernehmen, da wo sie nützlich scheinen. Er mag

die HKM nicht grundsätzlich verwerfen. Außerdem kann er der Bibel nicht in allen ihren Aussagen fol-

gen (6-Tage-Schöpfung, Datierung von Jesaja u.a.m.).

14. Biblische Hermeneutik: Jahrbuch für Biblische Theologie (JBTh 12 / 1997), Neukirchen-

Vluyn, 1998.

Themen wie die Verbindlichkeit des Alten Testaments, christlicher Kanon, jüdische Hermeneutik,

Missbrauch der Bibel werden besprochen.

15. Ulrich H. J. Körtner: Einführung in die theologische Hermeneutik, WBG, Darmstadt, 2006.

Eine Darstellung verschiedener hermeneutischer Ansätze, auch der neueren, Einblicke in die Herme-

neutik innerhalb der systematischen Theologie. Der Autor selbst vertritt eine ökumenische Hermeneu-

tik.

Page 46: Hermeneutik der Gewissheit - Siegfried F. Weber

46

16. Mathias J. Kürschner: Martin Luther als Ausleger der Heiligen Schrift, Brunnen-Verlag,

Gießen, 2004 (64 S.).

17. Dieter Lührmann: Die Auslegung des Neuen Testaments. Zürcher Grundrisse zur Bibel.

(1984) 2. Aufl. Zürich 1987

18. Gerhard Maier: Biblische Hermeneutik , TVG, Brockhaus, Wuppertal, 1990

Eine Art Kompendium der Hermeneutik. Maier vertritt die Offenbarungs-Hermeneutik, denn ohne Of-

fenbarung Gottes gibt es keine Schrifterkenntnis.

19. Wolfgang Nethöfel: Theologische Hermeneutik. Vom Mythos zu den Medien (NBSTh 9),

Neukirchen-Vluyn, 1992.

20. Heinz-Werner Neudorfer / Eckhard J. Schnabel (Hrsg.): Das Studium des Neuen Tes-

taments , TVG, Brockhaus, Wuppertal, Brunnen, Gießen,

Bd. 1: Eine Einführung in die Methoden der Exegese (1999).

Bd. 2: Spezialprobleme (2000). Beide Bde. erschienen 2006 in einem Band.

Aufbau des ersten Bandes: 1) Skizze der geschichtlichen Entwicklung des jeweiligen Ansatzes, 2) Er-

gebnisse der Forschungsgeschichte, 3) Darstellung des methodischen Vorgehens, 4) Diskussion, 5) be-

wertende Darstellung der Relevanz für die praktische Auslegung des Neuen Testaments als Heilige

Schrift.

Folgende Methoden werden besprochen: Textkritik, Sprachwissenschaftliche Aspekte, die jüdische

Umwelt, die griechisch-römische Umwelt, Traditionsgeschichte, Literarische Analyse, der synoptische

Vergleich, Form- und Gattungsanalyse, Rhetorische Analyse, die redaktionsgeschichtliche Methode,

die Abfassung einer schriftlichen Exegese, die Predigtvorbereitung.

Bewertung: Wer Begrifflichkeiten der historisch-kritischen Methode übernimmt, sollte klipp und klar

deutlich machen, worin er sich von ihr unterscheidet. Weshalb werden die Arbeitsmethoden der histo-

risch-kritischen Methode dargestellt und später in Übungen verwendet?

Die Übungsbeispiele sollen zur eigenen exegetischen Arbeit anleiten, so heißt es im Vorwort. Am Ende

des Buches stelle ich mir die Frage, zu welcher exegetischen Arbeit denn nun angeleitet werden soll?

Zur Arbeit der historisch-kritischen Methode oder zur biblisch-historischen Offenbarungshermeneutik?

Die Antwort soll in einer evangelikalen Hermeneutik eigentlich klar auf der Hand liegen?!

Natürlich wird von der „schriftgewordenen Offenbarung Gottes in Jesus Christus“ gesprochen, aber

leider wird diese Offenbarung zu wenig betont und gegenüber der historischen Kritik zu wenig abge-

grenzt.

21. Manfred Oeming: Biblische Hermeneutik. Eine Einführung, Darmstadt, 11998, 32010.

Der Autor stellt die unterschiedlichen Lektüreweisen wie historisch-kritische Methode, sozialgeschicht-

liche Exegese, kanonische Schriftauslegung usw. nacheinander vor und benennt jeweils Vor- und Nach-

teile.

22. J. D. Pentecost: Bibel und Zukunft, CV, Dillenburg, 1993: Teil 1: Die Auslegung der Prophe-

tie: Kap. 1: Die Methoden der Auslegung; Kap. 2: Die Geschichte der Auslegung; Kap. 3:

Grundsätzliche Erwägungen zur Auslegung; Kap. 4: Die Auslegung von Prophetie. (S. 24 bis

88 der 1.Aufl.)

Wie legen wir Prophetie aus? Wie gehen wir mit eschatologischen Texten um? Wie sind Bilder und

Symbole in den apokalyptischen Texten auszulegen? Auf diese Fragen gibt der Verfasser Antworten,

vor allem aber aus der dispensationalistischen Sicht.

23. Bernhard Ramm: Biblische Hermeneutik , ICI, Asslar, 1991.

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Diese übersichtliche, leicht verständliche und bibeltreue Hermeneutik ist empfehlenswert. Die Anre-

gungen lassen sich leicht in die Praxis umsetzen.

24. Eckart Reinmuth: Hermeneutik des Neuen Testaments. Eine Einführung in die Lektüre des

Neuen Testaments (UTB 2310), Göttingen, 2002.

25. Ron Rhodes: Verstehst du, was du liest? Schwierige Bibelstellen leicht verständlich erklärt,

Brockhaus-SCM, Witten, 2009.

Im ersten Kapitel stellt der Autor elf Prinzipien der Schriftauslegung auf, wobei er sich an der reforma-

torischen Hermeneutik orientiert. In den folgenden Kapiteln versucht er schwierige Bibelverse auszule-

gen.

26. Thomas Schirrmacher (Hrsg.): Bibeltreue in der Offensive . Die drei Chicago -

Erklärungen zur

a) Irrtumslosigkeit

b) Hermeneutik

c) Anwendung

Verlag für Kultur und Wissenschaft, biblia et symbiotica, Bonn, 1993.

27. Armin Sierszyn: Christologische Hermeneutik. Eine Studie über Historisch-kritische, Ka-

nonische und Biblische Theologie mit besonderer Berücksichtigung der philosophischen

Hermeneutik von Hans-Georg Gadamer. Studien zur Theologie und Bibel im Auftrag der

Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel, Berlin und Zürich, 2010.

28. Helge Stadelmann: Grundlinien eines bibeltreuen Schriftverständnisses, Wuppertal, 31996

(1985).

29. Helge Stadelmann (Hrsg.): Den Sinn biblischer Texte verstehen. Eine Auseinandersetzung

mit neuzeitlichen hermeneutischen Ansätzen, TVG, Brunnen Verlag, Gießen, 2006.

Teil 1: Herausforderungen aus der Praxis:

Kontextualisation in der missionarischen Kommunikation (Peter Beyerhaus); Die Wende vom Text

zum Hörer: Der Paradigmenwechsel zur emanzipatorischen Hermeneutik in der Praktischen Theologie

(Helge Stadelmann); Der Texttod der Predigt und seine Überwindung: Wilfried Engemanns semiotisch-

homiletische Konzeption (Thomas Richter).

Teil 2: Der Sinn des Textes in den Bibelwissenschaften:

Zur Verbindlichkeit kanonischer Texte: Der „sensus literalis“ und hypothetische Sinnschichten über

bzw. unter dem Text in seiner kanonischen Gestalt (Herbert Klement); Der „sensus literalis“ neutesta-

mentlicher Texte angesichts der Herausforderung leseorientierter Ansätze in der Exegese (Roland Ge-

bauer); Was ist der Sinn des Textes? Anmerkungen zur neutestamentlichen Exegese aus sprachwissen-

schaftlicher Sicht (Heinrich von Siebenthal).

Teil 3: Theologisch-philosophische Hintergründe:

Literalsinn und Klarheit der Schrift im Schriftverständnis von Martin Luther (Jochen Eber); Reformato-

risches Schriftverständnis und neuzeitliche Hermeneutik: Die Bibel im Licht von Taufe und Abendmahl

lesen (Bernhard Rothen); „Der Wille zur Macht“: Grundsätzliche postmoderne nachmethaphysischer

Hermeneutik nach Friedrich Nietzsche (Heinzpeter Hempelmann).

30. Hans Steubing: Bekenntnisse der Kirche. Bekenntnistexte aus zwanzig Jahrhunderten, Wup-

pertal, 1985.

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31. Peter Stuhlmacher: Vom Verstehen des Neuen Testaments - Eine Hermeneutik, NTD, Ergän-

zungsreihe 6, Vandenhoeck u. Ruprecht, Göttingen, 1986

Diese Hermeneutik wird an den Universitäten verwendet. Es handelt sich um eine Hermeneutik des

Einverständnisses. So beschreibt der Autor selber seinen hermeneutischen Ansatz. Er möchte mit den

Texten der Bibel im Einverständnis sein. Gleichzeitig befindet sich der Autor aber auch im Einver-

ständnis mit der historisch-kritischen Methode.

32. John Wenham: Jesus und die Bibel , hänssler, Holzgerlingen, 2000.

Das Buch von Wenham gehört zur Bibliologie aber auch zum Fach Hermeneutik. Er durchsucht die

Evangelien und beleuchtet das Schriftverständnis von unserem HERRN JESUS Christus. Wie ging

JESUS mit dem AT um? Wie wandte ER das AT an? Und wie legte er es aus? Wir sollten von der

„Hermeneutik“ Jesu lernen.

33. Ulrich Wendel (Hrsg.): Dem Wort Gottes auf der Spur – 21 Methoden der Bibelauslegung,

SCM R. Brockhaus, Wuppertal, 2015.

34. Georg Wieland: Hermeneutik, in: Lexikon für Theologie und Kirche, hg. v. Walter Kasper,

Bd. V, Herder, Freiburg, 1996, Sp. 1-3.

35. Oda Wischmeyer: Hermeneutik des Neuen Testaments. Ein Lehrbuch. Neutestamentliche

Entwürfe zur Theologie 8. Francke, Tübingen/Basel 2004

Wischmeyer versucht eine Synthese verschiedener Zugangsweisen, indem sie historisches, rezeptions-

geschichtliches, sachliches und textuelles Verstehen unterscheidet.

36. Ruben Zimmermann: Hermeneutik der Gleichnisse Jesu, WUNT, Mohr Siebeck, 2008

(660 S.).

Hinweise

➢ Wenn nicht anders erwähnt, wurde die Martin Luther Übersetzung von 1984, Deutsche

Bibelgesellschaft, Stuttgart, verwendet.

➢ Die übrigen verwendeten Bibelausgaben, Übersetzungen sowie die Schriftfonds der zitier-

ten Verse entstammen „Bible Works 4.0“ (1999) bis 9.0 (2009), distributet by Hermeneuti-

ka Bible Research Sotfware, Big Fork, Montana, USA.

➢ Der Text wurde mit Microsoft Word 2010 (Microsoft Corporation) erstellt und formatiert.

➢ Biblische ClipArts entstammen Masters Art Collection Nr. 7, ClipAr ts zur Bibel, Agathos

Verlag, Exxlesia Equipment, H. T. Mislisch, Sonthofen.

➢ Weitere ClipArts sind PrintMaster Gold Deluxe 4.0 entnommen, Mindscape International,

Mülheim a.d.R., 1997.