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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau Sandvorstadt heutiger Stadtplan Sandvorstadt 1834 Gebäude des jüdischen Gemeindelebens historische Gebäude historische Anlagen Muldufer 1834 Leopold-Dank-Stift Askanisches Tor Leipziger Tor Altes Leipziger Tor Schloss Kirche St. Georg Herzoglicher Holzmarkt An der Mauer Hospital Straße Fürstenstraße Hospital Straße Schulstraße Steinstraße Steinstraße Leipziger Straße Leipziger Straße Backgasse Rennstraße Grüne Gasse Grüne Gasse Ziegelgasse Franz- Straße 1 7 4 5 2 20 21 6 8 10 15 11 12 23 16 18 27 22 24 25 17 26 9 14 13 3 19 31 29 30 1 alte Synagoge 2 Rabbinerhaus 3 neue Synagogoe 4 Israelitischer Friedhof 5 Franzschule 6 Geburtshaus Moses Mendelssohn 7 Geburtshaus Kurt Weill 8 Textilhandlung Neumann Lipsky (Kleiner Markt 3) 9 Textilhandlung Neumann Lipsky (Zerbster Straße 41) 10 Schuhwarenhaus Meyer Reich 11 Lederhandlung Adolf Goldmann Landgerichtsdirektor Martin Alterthum Zahnarzt Dr. Georg Michelsohn (Eli Elkana) 12 Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld Textilwarenhandlung Hermann Gutmann 13 Moses Benjamin Wulff Maudrys Weinhandel Hagelbergs Tuchgeschäft 14 Bankhaus Sonnenthal Kaufmann Salomon Königsberg 15 Kaufmann Salomon Königsberg 16 Kaufhaus Eduard Bochardt 17 Papier- und Geschenkwarenhandlung Josef Schuber 18 Restaurant „Zur Wolfsschlucht“ 19/20 Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim 21 Hermann Eiseck und die Dessauer Gewerbebank 22 Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld 23 Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn 24 Kaufhaus Joske 25 Kaufhaus Hugo Rosenthal 26 Schuhwarenhaus Markus Rosenkranz 27 Dr. Adolph Arnhold – Arzt und Politiker 28 Bankhaus I. H. Cohn 29 Palais Baronin Cohn-Oppheim (Messelhaus) 30/31 Rechtsanwalt und Staatsrat Dr. Hermann Cohn

Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau · Gebäude des jüdischen Gemeindelebens historische Gebäude historische Anlagen ... einer der führenden Persönlichkeiten des Reformjudentums

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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau

Sandvorstadt

heutiger StadtplanSandvorstadt 1834 Gebäude des jüdischen Gemeindelebenshistorische Gebäudehistorische AnlagenMuldufer 1834 Leopold-Dank-Stift

Askanisches Tor

Leipziger Tor

Altes Leipziger Tor

Schloss

Kirche St. Georg

Herzoglicher Holzmarkt

An der Mauer

Hospital Straße

Fürstenstraße

Hospital Straße

Schulstraße Stei

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1 alte Synagoge 2 Rabbinerhaus 3 neue Synagogoe 4 Israelitischer Friedhof 5 Franzschule 6 Geburtshaus Moses Mendelssohn 7 Geburtshaus Kurt Weill 8 Textilhandlung Neumann Lipsky (Kleiner Markt 3) 9 Textilhandlung Neumann Lipsky (Zerbster Straße 41) 10 Schuhwarenhaus Meyer Reich 11 Lederhandlung Adolf Goldmann Landgerichtsdirektor Martin Alterthum Zahnarzt Dr. Georg Michelsohn (Eli Elkana) 12 Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld Textilwarenhandlung Hermann Gutmann 13 Moses Benjamin Wul� Maudrys Weinhandel Hagelbergs Tuchgeschäft 14 Bankhaus Sonnenthal Kaufmann Salomon Königsberg 15 Kaufmann Salomon Königsberg 16 Kaufhaus Eduard Bochardt 17 Papier- und Geschenkwarenhandlung Josef Schuber 18 Restaurant „Zur Wolfsschlucht“ 19/20 Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim 21 Hermann Eiseck und die Dessauer Gewerbebank 22 Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld 23 Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn 24 Kaufhaus Joske 25 Kaufhaus Hugo Rosenthal 26 Schuhwarenhaus Markus Rosenkranz 27 Dr. Adolph Arnhold – Arzt und Politiker 28 Bankhaus I. H. Cohn 29 Palais Baronin Cohn-Oppheim (Messelhaus) 30/31 Rechtsanwalt und Staatsrat Dr. Hermann Cohn

Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau

1 alte Synagoge 2 Rabbinerhaus 3 neue Synagogoe 4 Israelitischer Friedhof 5 Franzschule 6 Geburtshaus Moses Mendelssohn 7 Geburtshaus Kurt Weill 8 Textilhandlung Neumann Lipsky (Kleiner Markt 3) 9 Textilhandlung Neumann Lipsky (Zerbster Straße 41) 10 Schuhwarenhaus Mayer Reich 11 Lederhandlung Adolf Goldmann Landgerichtsdirektor Martin Alterthum Zahnarzt Dr. Georg Michelsohn (Eli Elkana) 12 Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld Textilwarenhandlung Hermann Gutmann 13 Moses Benjamin Wulff Maudrys Weinhandel Hagelbergs Tuchgeschäft 14 Bankhaus Sonnenthal Kaufmann Salomon Königsberg 15 Kaufmann Salomon Königsberg 16 Kaufhaus Eduard Bochardt 17 Papier- und Geschenkwarenhandlung Josef Schuber 18 Restaurant „Zur Wolfsschlucht“ 19/20 Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim 21 Hermann Eiseck und die Dessauer Gewerbebank 22 Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld 23 Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn 24 Kaufhaus Joske 25 Kaufhaus Hugo Rosenthal 26 Schuhwarenhaus Markus Rosenkranz 27 Dr. Adolph Arnhold – Arzt und Politiker 28 Bankhaus I. H. Cohn 29 Palais Baronin Cohn-Oppheim (Messelhaus) 30/31 Rechtsanwalt und Staatsrat Dr. Hermann Cohn

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Die Sandvorstadt

Urkundlich ist der ständige Aufenthalt von Juden in einem der anhaltischen Teilfürstentümer ab dem Jahre 1671 in Dessau nachgewiesen, als Fürst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau die Ansiedlung von Juden genehmigte, beschränkt vorerst jedoch auf die Vorstadt auf dem Sande.Vom Leben in der Sandvorstadt: Nach 1500 entstand im Osten von Dessau die Muldvorstadt, die unter der Verwaltung des Rates stand. Mit fürstlicher Genehmigung entstand ab 1534 südlich der Altstadt, außerhalb der Ringmauer die „Sandvorstadt“, benannt nach der dortigen Bodenbeschaffenheit. Ihre Grenze wurde bestimmt durch den Verlauf der Fürsten- und der Askanischen Straße zwischen Kavalierstraße und Askanischem Platz. Sie unterstand nicht dem Rat, sondern dem fürstlichen Amt und hatte einen eigenen „Sandrichter“. Es waren hauptsäch-lich ärmere Leute, die sich hier ansiedelten. Bei Aufstellung des Landregisters von 1547/49 standen in der Sandvorstadt 15 Häuser. 1663 waren es schon 130.Jeder Hausbesitzer in der Sandvorstadt hatte dem fürstlichen Amt einen halben Gulden und der fürstlichen Hofküche ein Huhn zu entrichten. Später betrug der Geldzins 12 Groschen (1617) und fünf Eier zusätzlich. Zu den Abgaben kamen noch Dienstleistungen. Ursprünglich sollten die „Sänder“ acht Tage mehr als die Bewohner in der Ringmauer dienen. Die Arbeiten waren bei Damm- und Deichbauten zu verrichten. Später gesellte sich das Harkergeld hinzu, eine Steuer, die den Hausbesitzern anstelle einer zusätzlichen Fron zum Einbringen des Som-mergetreides und Heus auferlegt wurde und 9 Groschen pro Haus betrug. Dazu kamen noch andere Auflagen, wie Scheuern, Kehren sowie Waschen im Schloss, und die Bewohner wurden zu weiteren Hofdiensten verpflichtet. Der schwerste war der Jagddienst, zu dem eine regel-rechte Musterung auf Tauglichkeit vorgenommen wurde. Die dazu bestimmten Leute mussten die Hunde zu den Jagden führen. Die hiermit belasteten Häuser hießen Jagdhäuser. Die Stra-ßen und Gassen der Sandvorstadt erhielten im Jahre 1694 Namen.Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebten auch Juden in der Sandvorstadt und schlossen sich zu einer Gemeinde zusammen. Sie wählten aus ihren Reihen die Ältesten, die für Ordnung und Einigkeit sowie strenge Einhaltung ihres Ritus sorgten, stellten einen Kantor ein und gewannen als Berater in Glaubenssachen den Rabbiner zu Halberstadt. Sie zahlten wie die anderen Sandvorstädter ihren Erbzins und das Harkergeld an den Sandrichter, die übrigen Abgaben aufgrund ihrer Schutzbriefe aber direkt an das fürstliche Amt.Bei der Umsetzung der ihnen zugesprochenen Rechte kamen aber Juden des öfteren in Kon-flikt mit Dessauer Innungen, wie z. B. der Fleischer, wenn es sich um das Schächten handelte, oder der Kramer, die das Hausieren der Juden beanstandeten. Den Juden waren Handel und Geldverleih gestattet. Nicht koschere Fleischteile durften sie pfundweise verkaufen. Der Haus-kauf war ihnen erlaubt, jedoch nicht der Erwerb von Garten- oder Ackerland.Die Juden ihrerseits suchten keinen Kontakt zur Dessauer Einwohnerschaft und deren geisti-gen oder kulturellen Leben. Das Erlernen wie Benutzen der deutschen Sprache sowie das Le-sen deutscher Bücher war ihnen durch die jüdische Gemeinschaft bei Strafe untersagt, um die kulturelle Eigenständigkeit zu bewahren. Die Umgangssprache der Juden war das Jiddische, ihre Gelehrtensprache das Hebräische.

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Alte Synagoge

Alte Synagoge Blick von Nordwesten in den Hofbereich Schulstraße 10, um 1900

Alte Synagoge Blick in den Innenraum

© Museum für Stadtgeschichte Dessau

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Alte Synagoge

Bis 1908 Schulstraße 10, im dortigen Hofareal befindlich, dann abgerissen,heute: Kantorstraße 3

Die Synagoge erfüllt einen dreifachen Zweck: Erstens dient sie zu Gottesdiensten, zweitens ist sie Ort zum Studium der Thora bzw. der Diskussion um ihre Auslegung, und drittens ist sie Ver-sammlungsort der Gemeinde. Damit stellt eine Synagoge den wichtigsten Ort der Gestaltung des religiösen Lebens überhaupt dar.1686 gestattete Fürst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau den Bau der (ersten) Synagoge. Hierfür hatten Gemeindemitglieder bereits 1684 anlässlich der Aufteilung von Gärten des so genannten Mittelkreises ein Grundstück erworben.Mit dem Bau wurde alsbald begonnen. Damit zählt die Dessauer Synagoge zu einem der frü-hesten jüdischen Glaubenshäuser im mitteldeutschen Raum.Mit dem stetigen Anwachsen der jüdischen Gemeinde in der Dessauer Residenzstadt erwies sich der Bau bald als zu klein und wurde 1711 erweitert. Nach einem Brand wurde im Jahr 1729 – unter der Regierung des Fürsten Leopold I. von Anhalt-Dessau, dem „Alten Dessauer“ – die wiederaufgebaute Synagoge fertig gestellt.1858/59 wurde sie umgebaut und umgestaltet.Die Synagoge stand den Blicken der christlichen Nachbarschaft entzogen, hinter dem Vorder-haus in der Schul- (heute: Kantor-) straße und war von einem freien Gang umgeben.Auch diese Synagoge war ein bescheidener Raum, zu dessen Innenraum, der von Tageslicht nur schwach erhellt wurde, einige Stufen hinab führten.Im Zuge des Neubaus von Synagoge und Gemeindehaus von 1906–08 in der Steinstraße wur-de die alte Synagoge abgerissen.

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Rabbinerhaus

© oben: Museum für Stadtgeschichte Dessau; unten Stadtarchiv Dessau-Roßlau

Das Rabbinerhaus vor dem Neubau von 1889, in den das rechte Nachbarhaus einbezogen wurde (zeitgenössische Lithographie)

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Das 1889 erbaute ehemalige Rabbinerhaus (nach 1945)

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Rabbinerhaus

Schulstraße 10, nach 1933 Auf dem Sande 9/10, heute: Kantorstraße 3- Rabbinerhaus und Schulgebäude - seit 1994 Sitz der Jüdischen Gemeinde

Mitglieder der jüdischen Gemeinde erwarben im Jahre 1684 das Grundstück Nr. 164 (später Schulstraße 10, heute Kantorstraße 3). Auf dessen Hintergelände errichtete die Gemeinde in den folgenden Jahren – vor den Blicken der christlichen Nachbarschaft geschützt – ihre erste Synagoge. Im Vorderhaus lebte der Rabbiner, wohl nie – wie die lange verwendete Bezeichnung„Kantorhaus“ nahe legt – der Kantor, und hier befand sich die Schule. Später wurde das Rab-binerhaus unter Einbeziehung des südlichen Nachbarhauses erweitert: Hier hatte sich 1687 der Strumpfwirker Hans Gürge Beck ein Haus errichten lassen. Er verkaufte das Haus 1711 an den Schutzjuden Abraham Levi. Zuvor hatte er bereits 1699 einen Teil des Hofraumes an die jüdische Gemeinde veräußert. Nach weiteren jüdischen Besitzern kamen Haus und Grundstück 1781 in den Besitz der jüdischen Gemeinde, die es dem 1785 gegründeten jüdischen Gymnasi-um, der Talmudschule, zur Verfügung stellte. 1809 erwarb es deren Vorsteher Hirsch Benjamin. Nachdem die Talmudschule 1825 mit der Franzschule vereinigt worden war, kam das Haus wieder in den Besitz der jüdischen Gemeinde. Beide Häuser wurden 1889 unter Vereinigung der Grundstücke durch einen Neubau ersetzt. Dieser erhielt einen Dacherker mit seiner heute noch vorhandenen zwiebelförmigen Haube. Während die im Hintergelände stehende Synagoge 1908 nach Einweihung der neuen abgeris-sen und der Platz zu einer Gartenanlage umgestaltetet wurde, blieb das Wohnhaus des Rabbi-ners stehen. Das Haus überstand die Pogromnacht vom 9. November 1938, als aufgehetzte SA-Banden auch dieses Gebäude plünderten, und mit geringen Schäden auch den Feuersturm des 7. März 1945.Schon im Sommer 1945 zogen in das Gebäude städtische Verwaltungsstellen ein, und am 15. Juni 1951 wurde hier das Lehrlingswohnheim des VEB Reichsbahnausbesserungswerk „Otto Grotewohl“ eingerichtet. Von 1971 bis 1981 war es Gästeheim des RAW, dann ging es in den Besitz des Impfstoffinstituts über und wurde – unter maßgeblicher Beibehaltung der ursprüng-lichen Ansicht – zu einem Gäste- und Lehrlingswohnheim umgestaltet.

Mit Gründung der neuen Dessauer Jüdischen Gemeinde 1994 ist an diesergeschichtsträchtigen Stelle deren Sitz.

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Rabbinerhaus

Die Rabbiner in Dessau im 19. Jahrhundert bis 1938 waren:

Speyer, Michael Rabbiner ab etwa 1800 bis 1822,geb. um 1736 in Frankfurt am Main, gest. 27.5.1822 in Dessau. Er kam im Jahre 1798 aus Friedberg nach Dessau, der damaligen Residenzstadt des Fürsten-tums Anhalt-Dessau. – Seine Frau Marianne starb im Jahre 1811 im Alter von 36 Jahren im Kindbett, wenige Tage nach der Geburt des Sohnes Salomon.

Lippschütz, Israel Rabbiner in Dessau zwischen 1823 und 1828,geb. 1782 in Groß-Grogau, gest. 19.9.1860 in Danzig. Er entstammte einer orthodoxen Rabbinerfamilie und war Sohn des Rabbiners Gedalja ben Israel Lippschütz (1746–1826). Er war zunächst Rabbiner in Wronke bei Posen. Im Hebst 1823 wurde er in Dessau am jüdischen Gymnasio und zugleich in Nachfolge des verstorbenen Rabbiners Michael Speyer als „Vize-Rabbiner“ bei der Dessauer und sämtlichen Landgemein-den in Anhalt-Dessau angestellt. Sein Vertrag wurde wegen verschiedener Kritikpunkte nicht verlängert, und er verließ Dessau. Später wurde er Rabbiner in Danzig. Er verfasste mehrere religionsphilosophische Abhandlungen und Kommentare zur Mischna. – In Dessau wurde am 25.11.1825 Lippschütz und seiner Frau der Sohn Jacob Asniae geboren.

Dr. Hirsch, Samuel Rabbiner in Dessau zwischen 1839 und 1841,geb. 8.6.1815 in Thalfang, gest. 15.5.1889 in Chicago. Er wuchs in Thalfang in bescheidenen Verhältnissen auf. In seinem damals rein landwirtschaft-lich geprägtem Heimatdorf Thalfang lebten nach seinen eigenen Angaben - wohl zur Zeit seiner Kindheit - unter der überwiegend evangelischen Bevölkerung 18 jüdische Familien. Im Laufe seines Lebens wurde er zu einem bedeutenden jüdischen Religionsphilosophen und zu einer der führenden Persönlichkeiten des Reformjudentums. Zugleich gilt er als ein heute noch moderner Vertreter der jüdisch-christlichen Versöhnung. Er studierte an den Universitäten Bonn, Berlin und Leipzig, erhielt seine rabbinische Ausbil-dung in Metz und war ab 1838 Rabbiner in Dessau, bis er wegen der seinen Gegnern zu radikal erscheinenden reformerischen Ansätze 1841 aus dem Amt gedrängt wurde. Von 1843 bis 1866 war er im Großherzogtum Luxemburg als Großrabbiner tätig. Auf den deutschen Rabbiner-versammlungen der Jahre 1844/45 vertrat er eine radikale Reform des Judentums, womit er in Deutschland allerdings nicht durchdringen konnte. Er wanderte nach Amerika aus und grün-dete dort die Orphan’s Guardian Society und den ersten amerikanischen Zweig der Alliance Israélite Universelle, wurde als Nachfolger David Einhorns 1866 Rabbiner der Reformgemein-de in Philadelphia, Penn./USA, und Vorsitzender der ersten Konferenz der amerikanischen (de facto Reform-) Rabbiner (Philadelphia 1869). Als solcher hatte er großen Anteil an der Ausfor-mulierung der Grundsätze des Reformjudentums. Er blieb 22 Jahre Rabbiner in Philadelphia, retirierte 1888 und zog mit seinem Sohn, Emil Gustav Hirsch (ebenfalls Philosoph und Rabbi-ner), nach Chicago, wo er bald darauf verstarb. Samuel Hirsch unternahm den Versuch, zwi-schen einem bleibenden ideellen Kern und einem der Tagesnotwendigkeit unterliegenden bloß äußerlichen Ritus des Judentums zu unterscheiden (vgl. seinen Katechismus der israelitischen

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Rabbinerhaus

Religion) und nahm auf Basis dieser Lossprechungsformel radikalste Änderungen vor, z. B. die eifrig verfochtene Einführung des Sonntagsgottesdienstes.

Levy, Samuel Rabbiner zwischen ? und ?Lebensdaten unbekannt. Er muss entweder vor oder nach Samuel Hirsch Rabbiner in Dessau gewesen sein. Seine Witwe Veilchen Levy starb am 19.7.1854 im Alter von 83 Jahren.

Stadthagen, Vorname? Rabbiner in Dessau zwischen 1850 und 1851.

Philippson, Gustav Prediger zwischen 1859 und 1869,geb. 3.2.1817 Dessau, gest. 1880 Dessau, Lehrer in Dessau Gustav Philippson besuchte die Franzschule und das angeschlossene Lehrerseminar in Des-sau. Danach studierte er Philosophie und israelitische Theologie in Berlin. Später arbeitete er als Hauslehrer u. a. in Prag und Teplitz. Seit 1842 lebte er in Dessau und arbeitete als Lehrer an der Franzschule. In den politischen Auseinandersetzungen nach 1848 trat er als engagierter Demokrat auf und war u. a. zusammen mit dem Gesellen Achilles Vorsitzender des Dessauer Gesellenvereins. Er bewirkte, dass die Franzschule in eine staatliche Handelsschule umge-wandelt wurde und die Lehrer staatliche Beamte wurden. 1859 wurde er als Prediger an der Israelitischen Kultusgemeinde angestellt. Er trat am 6. April 1869 in den Ruhestand und ging am 12. Mai 1869 nach Berlin. Er war Abgeordneter der drei Dessauer Sonderlandtage und des 1. und 2. ordentlichen Gesamtlandtages von Anhalt-Dessau-Köthen. Er schrieb „Die Geschichte der herzoglichen Franzschule in Dessau 1799–1869“, erschienen 1869 in Dessau.

Dr. Saalfeld, Siegmund Rabbiner in Dessau zwischen 1870 und 1880,geb. 24.3.1843 in Stadthagen, Schaumburg-Lippe, gest. 1.5.1926 in Main. Er studierte in Berlin und promovierte hier 1870 zum Dr. phil. (?). Im selben Jahr kam er als Rabbiner nach Dessau. Nach 10-jähriger Tätigkeit in der anhaltischen Haupt- und Residenzstadt wurde er zum Rabbiner in Mainz gewählt. Er blieb in diesem Amt bis 1918 und war danach Privatgelehrter in Mainz. Er war auch publizistisch tätig und hier u. a. als Mitarbeiter an „Meyers Conversations-Lexikon“ und an der „Jüdischen Enzyklopädie“. Dazu kamen zahlreiche Veröffent-lichungen zur jüdischen Geschichte in Mainz.

Schönberger, Philipp Rabbiner in Dessau zwischen 1880 und 1884,Seine Lebensdaten sind unbekannt. Er muss nach dem Weggang Dr. Siegmund Saalfelds im Jahre 1880 bis 1884 Rabbiner in Dessau gewesen sein.

Dr. Weiße, Samson Rabbiner in Dessau zwischen 1884 und 1893,geb. 1857 in Waag-Neustadt, gest. 1946 in London.

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Rabbinerhaus

Er kam nach seinem Studium im Jahre 1884 nach Dessau, zunächst als Prediger und Leiter der Religionsschule, und wurde bald zum Landesrabbiner berufen. Er verließ Dessau im Jahre 1893 und wurde Rabbiner in Berlin. Dr. Weiße gehörte der konservativen Richtung an, war in Berlin Mitbegründer der Religiösen Mittelpartei und sehr aktiv auch im Schulwesen tätig. Seit 1926 gehörte er der Repräsentantenversammlung und dem Verbandstag des Preußischen Landes-verbandes jüdischer Gemeinden an. Im Jahre 1939 wanderte er nach England aus.

Dr. Freudenthal, Max Rabbiner zwischen 1893 und 1900,geb. 12. 6. 1868 in Neuhaus, gest. 11. 7. 1937 in Nürnberg. Als Sohn eines Volksschullehrers geboren, besuchte er zunächst die Volksschule in Grünbach (Pfalz), zuletzt das Gymnasium in Worms. 1886 begann er sein Studium an der Universität und am jüdisch-theologischen Seminar in Breslau. 1890 promovierte er zum Dr. phil. an der Univer-sität Greifswald mit dem Thema Die Erkenntnislehre Philos von Alexandria. 1891 wurde er Lehrer am Gymnasium und der Töchterschule in Breslau, wobei er seine Studien weitertrieb und seine Autorisation als Rabbiner erhielt. 1893 wurde er Rabbiner von Dessau und gleichzeitig auch Landesrabbiner von Anhalt. 1900 wurde er Rabbiner von Danzig und 1937 von Nürnberg. – Er war ein Vertreter der liberalen Richtung, so war er Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Vereinigung für das liberale Judentum in Deutschland. Daneben war er auch Ausschuss-mitglied des Allgemeinen Deutschen Rabbinerverbandes. Seit 1928 war er Mitherausgeber der Zeitschrift für Geschichte der Juden in Deutschland.

Dr. Walter, Isidor Ab 1900 bis 1938 letzter Rabbiner in Dessau,geb. 12.5.1872 in Neustettin im heutigen Polen, ermordet 2.4.1943 in Theresienstadt.Nach seinem Philosophiestudium arbeitete er als Rabbiner einige Jahre in Brandenburg. Im Jahr 1900 wurde er Rabbiner in Dessau, zugleich Landesrabbiner von Anhalt. Begünstigt durch die Industrialisierung, welche viele jüdische Bürger aus den ländlichen Gegenden als Geld-geber und Investoren in die Städte zog, blühte unter ihm die Israelitische Kultusgemeinde Dessau auf. Er kümmerte sich um Stiftungen für die Gemeinde, die zum Beispiel zwischen 1906 und 1908 den Bau einer neuen Synagoge ermöglichten. Mit diesem Neubau präsentierte sich die Gemeinde erstmals sichtbar als gleichberechtigtes Mitglied des Dessauer Stadtbürgertums. Obwohl Isidor Walter ein orthodoxer Jude war, akzeptierte er, dass die Dessauer Gemeinde eher aufklärerisch-liberal geprägt war. Den Ersten Weltkrieg erklärte er als Verteidigungskrieg und forderte junge jüdische Männer auf, sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden. Isidor Walter war mit Helene Stern, die am 11. Oktober 1882 in Königshütte geborenen wurde, ver-heiratet. Zusammen hatten sie zwei Kinder, Ernst und Edith, die später Deutschland verließen und nach Haifa in Palästina flüchten konnten. Am 4. April 1933 wurde er durch die National-sozialisten seines Amtes als Landesrabbiner enthoben. Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden Anhalts stellt ihn daraufhin am 13. Mai 1934 als Landesrabbiner ein. Im Novemberpogrom 1938 gehörte auch Dr. Isidor Walter zu den im Konzentrationslager Buchen-wald inhaftierten und gequälten Männern. Nach seiner Freilassung strebte das Ehepaar die Auswanderung an, was jedoch nicht gelang. Sie zogen nach Berlin, von wo sie am 27. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden. Dort starben Dr. Isidor Walter am 5. April 1943, Helene Walter am 9. März 1944.

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Synagoge

© oben: Museum für Stadtgeschichte Dessau; unten Mendelssohn-Gesellschaft Dessau

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Eckehaus Askanische Straße/Steinstraße vor dem Abriss 1905 (für den Neubau des Gemeindehauses)

Neue Synagoge mit Gemeindehaus an der Ecke Askanische Straße/Steinstraße, um 1909

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

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Synagoge

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Neue Synagoge Sandvorstadt mit Kuppel der Synagoge, nach 1910 (Kuppel neu gedeckt)

Steinstraße nach Süden, rechts mündet die Fürstenstraße in die Steinstraße

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Synagoge

© Museum für Stadtgeschichte Dessau

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Neue Synagoge Thoraschrein, Almemor, Kanzel und Orgel im Osten in der Apsis

Neue Synagoge

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Synagoge

© Museum für Stadtgeschichte Dessau

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Neue Synagoge nach dem Pogrom am 9. November 1938

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Synagoge und Gemeindehaus

31908 bis 1938 Steinstraße 11/14, heute: ca. Askanische Straße 5, in der Pogromnacht 1938 ausgebrannt, eine Woche später abgetragen.

Zwischen 1900 und 1905 erwarb die Israelitische Kultusgemeinde für den geplanten Neubau der Synagoge die Grundstücke Steinstraße 11 bis 14 und Askanische Straße 162/63.Die Synagoge an der Askanischen Straße/Steinstraße wurde zwischen 1906 und 1908 nach Plänen des Architekturbüros Cremer & Wolffenstein aus Berlin errichtet. Die Grundsteinlegung erfolgte am 14. Mai 1906. Am 18. Februar 1908 wurde die neue Synagoge in Anwesenheit des Herzogs Friedrich II. (regierte 1904–1918) und vieler Repräsentanten der Dessauer und Anhal-tischen Gesellschaft aus Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Kultur mit einem Festgottesdienst eingeweiht. Möglich wurde dieser imposante Neubau mit angrenzendem Gemeindezentrum durch das Erbe der Baronin Julie von Cohn-Oppenheim. Das Gebäude war in neoromanischen Formen gehalten, der Innenraum wurde nach gotischer Art gegliedert. Die hohe stattliche Kuppel mit goldenem Davidstern prägte fast 30 Jahre lang das Stadtbild Dessaus. Sie war die wichtigste Synagoge Anhalts.Bereits in den Nachmittagsstunden des 9. November 1938, der so genannten Reichs-Kristallnacht, wurde die Synagoge geplündert und in Brand gesetzt. Eine große Anzahl Thora-rollen und weitere Kultgeräte aus den gesamten jüdischen Gemeinden Anhalts, die hier zum Teil gelagert waren, wurden zerstört. Nur wenige Tage später wurde die Ruine abgetragen.Am 9. November 1988 wurde an der Askanischen Straße/Ecke Kantorstraße eine Gedenkstele errichtet.

Im Rahmen des Neubaus der Synagoge zwischen 1906 und 1907 wurde auch dasGemeindehaus der Israelitischen Kultusgemeinde errichtet. Im Erdgeschoss befand sich neben Verwaltungsräumen auch die Wohnung des Kantors. Bis 1919 war dies Albert Weill. Sein Sohn Kurt Weill, der später als Komponist in Berlin weltberühmt wurde, und nach seiner Emigration 1935 in den USA erfolgreich wirkte, verbrachte hier Kindheit und Jugend. Er lebte hier noch einmal von August bis Dezember 1918. Nach dem Wegzug Albert Weills 1919 lebten hier Wal-ter Heumann und zuletzt Ludwig Ickelheimer. Die Kantoren waren teilweise als Schächter bzw. Lehrer in der Gemeinde angestellt.Im ersten Stockwerk befanden sich Räume für das gesellige Leben der Gemeindemitglieder. Im zweiten Stockwerk versammelten sich die Brüder der Anhalt-Loge des Unabhängigen Ordens B’nai B’rith. Die Loge wirkte bildend, erzieherisch und philanthropisch in die öffentliche Gesell-schaft bis zur Auflösung und Enteignung durch den NS-Staat. Auch das Gemeindehaus wurde 1938 zerstört.

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Synagoge

3Kantoren in Dessau im 19. und 20. Jahrhundert waren:

Königsberg, Hirsch W.,geb. 1792, gest. 16.12.1862 in Dessau, beigesetzt auf dem Israelitischen Friedhof. Er war ein Sohn es beliebten Kantors Wolf Königsberg (um 1764 – 1848) und wirkte als Nach-folger seines Vaters 42 Jahre lang als Kantor der jüdischen Gemeinde in Dessau. Hirsch Königs-berg wurde als einer der besten Kantoren seiner Zeit bezeichnet. Anlässlich seines 40-jährigen Amtsjubiläums als Kantor erhielt er vom Gemeindevorstand einen Silberpokal überreicht. Er starb im Jahre 1862, seine Frau Friederike Im Jahre 1875. Die jüngste Tochter Fanny verlobte sich in Dessau am 18. Mai 1845 mit dem Kaufmann Moritz Sonnenthal.

Kornick, H. David,geb. 1784, gest. 10.7.1864 in Dessau. Der gegenüber H. W. Königsberger ältere Kantor und Gemeindediener H. David Kornick könnte bereits vor Königsberger als Kantor amtiert haben. Seine Frau Friederike (geb. 1799) starb am 15.9.1850.

Abel, Moritz,Geburtsdatum unbekannt, gest. um 1890 in Dessau. Er war als Nachfolger des 1864 verstorbenen Kantors David Kornick ab 1864 Kantor und Schächter, später auch Vorbeter und Elementarlehrer der Israelitischen Kultusgemeinde. Am 14. Dezember 1858 heiratete Moritz Abel Rosalie Cohn (geb. 25.4.1832, gest. 1.5.1880 in Dessau). Am 30.10.1859 wurde dem Ehepaar eine Tochter und am 1.10.1860 ein Sohn geboren.

Horwitz, Ludwig,geb. 8.2.1862, Todesdatum unbekannt. Er stammte nicht aus Dessau und kam als Nachfolger von Moritz Abel ab ca. 1888/89 als Kantor und Lehrer nach Dessau. Er verließ wohl 1898 Dessau und ging in gleicher Funktion nach Kas-sel. In Dessau schrieb er wichtige Arbeiten zur örtlichen Geschichte: „Geschichte der Herzog-lichen Franzschule in Dessau 1799–1849“ (1894), „Emanzipation der Juden in Anhalt-Dessau“ (1896). Auch später hat Ludwig Horwitz weitere Publikationen zur anhaltischen Geschichte ver-fasst. In Kassel beschäftigte er sich ebenfalls mit der jüdischen Geschichte. – Er war mit Paula geb. Rosenthal (geb. 5.5.1864) verheiratet.

Blitz, B.Lebensdaten unbekannt. Er war zwischen 1897 und 1911 als Beamter der Israelitischen Kultusgemeinde in verschiede-nen Funktionen angestellt, u. a. auch lange Jahre als Kantor (um 1897) – zusammen mit Ludwig Horwitz – danach als Schächter und Gemeindediener.

Weill, Albert,geb. 2.1. 1867 in Kippenheim, gest. 30.12.1950 in Nahariya/Israel. Der Sohn des Kaufmanns Nathan Weill absolvierte eine Ausbildung zum Kantor und Religions-lehrer und war zunächst in mehreren badischen Gemeinden tätig. Bekannt wurde er durch die im Jahre 1893 veröffentlichten „Synagogen-Gesänge“.

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Synagoge

31897 heiratete er Emma Ackermann. Vater Weill wurde frühzeitig Zionist und kam im Jahre 1898 als Kantor an die Israelitische Kultusgemeinde nach Dessau. Zum Höhepunkt seines Wirkens in Dessau wurde die Einweihung der neu errichteten großen Synagoge in der Stein-straße am 18. Februar 1908 in Anwesenheit des Herzogs und der gesamten herzoglichen Familie, der Spitzen des anhaltischen Staates sowie der Stadt Dessau mit einem Festgottes-dienst, den Albert Weill musikalisch begleitete. Nach den Veränderungen durch die Revolution 1918, die sich auch auf das Gemeindeleben auswirkten, verließen Albert und Emma Weill 1919 Dessau und gingen nach Leipzig. Albert Weill übernahm die Leitung eines Kinderheims und Waisenhauses der jüdischen Loge B‘nai B‘rith. Zusammen mit seiner Frau konnte Albert Weill 1935 nach Palästina emigrieren, wo Albert 1950 und Emma 1955 starben.

Heumann, David,geb. 8.11.1880 in Brühl, gest. 20.6.1929 in Dessau, beigesetzt auf dem Israelitischen Friedhof.Er kam im Jahre 1911 aus Pasewalk nach Dessau und wirkte hier als Kantor, Schächter und Religionslehrer – also noch zu Zeiten von Kantor Albert Weill – an der Israelitischen Kultus-gemeinde. 1914 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, von dem er erst 1918 nach Dessau zurückkehrte. Er war ein beliebtes Mitglied der Dessauer Israelitischen Gemeinde und wegen seiner hervorragenden Stimme und seiner rheinischen Frohnatur sehr geschätzt. Er starb 1929 nach schwerer Krankheit im 49. Lebensjahr. Er war mit Erna, geb. Lewin aus Pasewalk verheira-tet. Beider Töchter waren Anneliese, verh. Michaelis (geb. 1908), langjähriges Mitglied des Dessauer Friedrich-Theaters und Lotte Heumann (geb. 1912 in Dessau), die nach ihrem Abitur Rechtswissenschaft in Bonn studierte. Erna Heumann, beide Töchter und die Tochter von Anneliese Michaelis, Judith Michaelis, wurden im Holocaust ermordet. Der Sohn Werner Heumann (geb. 1910) hat als einziger der Familie die Schrecken des Nationalsozialismus überlebt. Er konnte 1939 nach London emigrieren.

Ickelheimer, Ludwig,geb. 21.11.1903 in Rieneck/Mainfranken, gest. 30.6.1963 in Israel. Ludwig Ickelheimer wurde zum 1. April 1930 als Kantor, Religionslehrer und Sekretär der Israe-litischen Kultusgemeinde als Nachfolger des 1929 verstorbenen Kantors David Heumann nach Dessau berufen. 1932 heiratete Ludwig Ickelheimer Lotte, Tochter des Lederfabrikanten Adolf Goldmann. 1936 emigrierte er mit seiner Frau nach Palästina.

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Israelitischer Friedhof

© Museum für Stadtgeschichte Dessau

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Die 1906 errichtete Kapelle auf dem Israelitischen Friedhof

Moses Mendelssohn-Denkmal auf dem Bahnhofsvorplatz, 1933 entfernt und auf dem Friedhof vor der Kapelle aufgestellt

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Israelitischer Friedhof

41687 gestattete Fürst Johann Georg II. die Anlegung eines Begräbnisplatzes vor dem Leipziger Tor, damals weit außerhalb der Stadt.Der Friedhof wurde in der folgenden Zeit mehrmals erweitert, so 1695 durch den Kauf eines Gartenplatzes „an der Kienheide“. 1715 erwarb die jüdische Gemeinde zwei Drescherhäuser „neben dem Juden-Kirchhof nebst dem dazu gehörigen Platz“ und 1718 einen Garten mit Wohnhaus neben der „Tanne“. In einem der Häuser wurde das Armen- und Krankenhaus (Hekdish) eingerichtet.1902 wurden das noch heute stehende Gärtnerhaus und die Wagenremise (heute Trauerhalle) gebaut.1906 wurde die Kapelle errichtet, wie die ab 1906–1908 erbaute Sanagoge nach Entwürfen des Berliner Architekturbüros Cremer und Wolffenstein.Das am 16. Juni 1890 in den Anlagen vor dem Bahnhof aufgestellte Denkmal für Moses Men-delssohn wurde 1933 von den Nationalsozialisten entfernt, auf dem Friedhof vor der Kapelle aufgestellt und am 10. November 1938 – wie große Teile des Friedhofes – zerstört.Nach 1945 stand der Friedhof unter Obhut der jüdischen Gemeinde in Magdeburg.Ab 1970 fanden durch Jugendliche im Rahmen der Aktion Sühnezeichen Aufräumarbeiten statt, und in den 1980er Jahren wurde der Friedhof mit kommunaler, kirchlicher und privater Hilfe rekonstruiert.Nachdem 1994 wieder eine jüdische Gemeinde in Dessau entstand, finden seit 1995 hier wieder Beisetzungen statt.

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Franzschule

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© oben: Stadtarchiv Dessau-Roßlau; unten: Museum für Stadtgeschichte Dessau

Franzschule, ab 1849 Handelsschule, zeitgenössische Lithographie

Die ehemalige Franzschule, vor 1945

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Franzschule

5Leipziger Straße 9

Im Jahre 1785 trat fast die gesamte jüdische Gemeinde an den Fürsten heran, ein Gymnasium errichten zu dürfen. Der Fürst bewilligte das Vorhaben und im Oktober 1785 – im selben Jahr wie die fürstliche Hauptschule – wurde die Schule gegründet. Es war eine Talmud-Hochschule rein religiösen Charakters, die der Vorbereitung auf das Lehrer- und Rabbiner-Amt diente. Durch Vermächtnisse erhielt sie nach und nach einen Fonds von etwa 3.000 Talern, ein eigenes Haus und eine Bibliothek. Sie verlor aber rasch an Bedeutung.1799 hatte sich ein Verein junger jüdischer Menschenfreunde zusammengefunden und regten, nach Mendelssohns Vorbild in Berlin, die Gründung einer weiteren Schule an, der „Frey-Schule“. Unter Leitung David Fränkels, einem Großneffen des gleichnamigen Rabbiners, entwickelte sie sich bald zu einer anerkannten Musterschule, die auch Lehrer ausbildete. Die Schule erhielt 1801 zwar die Sanktion des Fürsten, existierte jedoch bis 1815 ohne staatliche Zuschüsse. Sie finanzierte sich ausschließlich aus freiwilligen Beiträgen, Spenden und Schulgeldern. Schonbald erlangte die Schule einen hervorragenden Ruf in ganz Deutschland. 1815 bewilligte Her-zog Franz der Schule einen Zuschuss. Im Jahr darauf bestätigte die Regierung die von Direktor Fränkel verfasste neue Schulordnung und gab der Schule mit Zustimmung des Herzogs den Namen „Franzschule“. Während die Schülerzahl der Franzschule stetig anstieg, nahm die Anzahl der Lernenden des daneben bestehenden israelitischen Gymnasiums, der Talmudschule, ab. Deshalb vereinigte man 1825 beide Anstalten.Nach der Gleichstellung der Juden 1849 besuchten jüdische Schüler von nun an staatliche Schulen. Die Franzschule hörte auf, eine Einrichtung der Israelitischen Kultusgemeinde zu sein und wurde in eine staatliche Handelsschule umgewandelt.

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Franzschule

5Schüler, Gelehrte und Lehrer an der Franzschule:

Auerbach, Isaak (Isak)Prediger, Schriftsteller und Pädagoge,geb. 21.3.1791 in Inowraclaw/Posen, gest. 5.7.1853 in Dessau. Er gehört zu den Pionieren der religiösen Reform in Deutschland. Anfangs als Prediger am Beer-Jakobsonschen Tempel (Berliner Reform-Synagoge) tätig, wirkte er später längere Zeit als Lehrer an der Israelitischen Mädchenschule in Berlin und war mehrere Jahre lang Direktor des dortigen „Brüdervereins“. Über 25 Jahre war er dann Prediger in Leipzig. Zur Rechtfertigung des Gebrauchs der deutschen Sprache beim Gottesdienst veröffentlichte er anonym die Schrift: „Sind die Israeliten verpflichtet. Ihre Gebote durchaus in der hebräischen Sprache zu verrich-ten? Aus den Quellen des Talmuds und der späteren Gesetzlehrer erörtert“ (Berlin 1818). Der Idee der politischen und religiösen Toleranz gab er Ausdruck in seiner Schrift „Die Aufnahme Israels in die große Gemeinschaft der Nationen“ (Leipzig 1833). Über die Reformbewegung überhaupt äußerte er sich in der Predigt „Das Verständnis der Zeit“ (Leipzig 1845). Die Blut-beschuldigung und Judenverfolgung in Damaskus gab ihm Anlass zu einer kleinen Schrift: „Israels Heimsuchung im Morgenlande“ (Leipzig 1840). Neun seiner Predigten sind gesammelt erschienen u. d. T. „Die wichtigsten Angelegenheiten Israels“ (Berlin 1815).

Bacharach, BernhardLehrer,geb. 1806, gest. 15.9.1854 in Dessau. Es ist nicht bekannt, wann er nach Dessau kam. 1839 starb Therese Bacharach im Alter von 30 Jahren (seine erste Frau?). Er muss später Henriette geb. Munck geheiratet haben. Dem Paar wurde am 18.2.1848 ein Sohn geboren. Im Jahre 1850 erwarb Bernhard Bacharach, Lehrer und Leiter einer Pensionsanstalt für israelitische Schüler, das Haus Nr. 172 (später Schulstraße 2, das Grundstück gegenüber dem Rabbinerhaus). Seine Witwe heiratete 1856 den Lehrer Nathan Schlesinger. Von beiden kam das Haus 1861 an den Schuhmachermeister Eduard Mehnert.

Caspari, Carl PaulDr. phil. Theologe und Orientalist,geb. 8.2.1814 in Dessau, gest. 11.4.1891 in Christiania.Der Sohn jüdischer Eltern besuchte in seiner Geburtsstadt die jüdische Schule und das Gymna-sium. In Leipzig belegte er Vorlesungen über die orientalischen Sprachen Arabisch und Per-sisch. Durch seine Freunde und Studienkollegen Karl Graul und Franz Delitzsch wurde er mit dem Neuen Testament bekannt gemacht. An Pfingsten 1838 ließ er sich christlich taufen. In den Jahren 1839/1840 studierte er u. a. bei Ernst Wilhelm Hengstenberg Theologie. 1842 erwarb er in Leipzig den Titel eines Doktors für Philosophie. 1844 veröffentlichte er eine zweibändige ara-bische Grammatik. Eine Berufung als außerordentlicher Professor nach Königsberg in der Nach-folge des frühzeitig verstorbenen H. A. Chr. Hävernick zerschlug sich aufgrund seiner positiven Haltung gegenüber den separierten Lutheranern und den sich daraus ergebenden Konflikten mit dem preußischen Staat. 1847 ging er als Lektor an die Universität von Christiania, dem heu-tigen Oslo, wo er 1857 schließlich eine Professorenstelle erhielt. Rufe nach Deutschland lehnte er wiederholt ab, so auch 1867 nach Erlangen als Nachfolger seines Freundes Delitzsch, um weiter in Norwegen wirken zu können. Er engagierte sich besonders für die Widerlegung der

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Franzschule

5These des dänischen Pfarrers und Theologen Nikolai Frederik Severin Grundtvig, der in Christus die höchste Autorität sah und diese über die Bibel stellte und somit gegen den lutherischen Grundsatz sola scriptura („nur die Schrift allein“) verstieß. Daneben war er Präsident der Vereini-gung zur Bekehrung der norwegischen Juden und Mitglied der Bibelkommission. Bis 1891 war er mit der Erstellung einer neuen Übersetzung des Alten Testaments ins Norwegische beschäf-tigt. Der Tod ereilte ihn bei der Übersetzung des Neuen Testaments.

Cohn, FalkDr. phil. Rabbiner,geb. 18.9.1833 in Dessau, gest. 6.3.1901 in Bonn. Der Sohn des Rabbiners und Lehrers an der Herzoglichen Franzschule in Dessau Hermann Cohn (um 1798–1842) begann in jungen Jahren mit dem Studium des Talmud. Er studierte Philologie und Philosophie in Berlin und setzte seine Talmud-Studien fort. 1860 Promotion an der Universität von Leipzig über „Philosophisch-kritische Abhandlung über den Schlussvers des Zweiten Buchs der Psalmen“. Anschließend war er fünf Jahre Prediger und Religionslehrer in Wahren/ Mecklenburg. 1867 ging er nach Bielitz/Schlesien als Direktor der dortigen jüdischen Schule. 1872 wurde er Prediger in Oels. 1882 wurde er Rabbiner in Bonn, wo er bis zu seinem Tod blieb. Er verfasste zahlreiche Essays für Zeitschriften. Seine Hauptwerke sind: „Jüdische Re-ligionsschulen neben Höheren Lehranstalten“ (Breslau 1878), „Zur Frage über die Arbeitsüber-bürdung der Schüler und Schülerinnen Höherer Lehranstalten“ (1881) und „Disziplin in den Jüdischen Religionsschulen“ (Oels 1881). 1901 erschienen seine „Jugenderinnerungen eines ehemaligen Franzschülers“.

Cohn, Gerson B.Dr., Lebensdaten unbekannt, Sohn von Berend Isaac Cohn (um 1753–1832), des langjährigen Vorstehers und Rendanten der Franzschule und Amalie Cohn, geb. Levy (um 1781–1835).Gerson studierte in Halle Philosophie und jüdische Theologie und promovierte an der Universi-tät Rostock. Danach war er einige Zeit als Hauslehrer in Penzlin/ Mecklenburg tätig. Im Oktober 1835 wurde er als Lehrer an der Franzschule angestellt. Zugleich war er Aushilfsprediger an der Dessauer Synagoge. Wegen des zu geringen Einkommens verließ Dr. Gerson Cohn Dessau und nahm eine Hauslehrerstelle in Tessin/Mecklenburg an. 1838 bewarb er sich um diePredigerstelle in Dessau, die er jedoch nicht erhielt.

Coßmann, BernhardMusiker/Cellovirtuose,geb. 17.5.1822 in Dessau, gest. 7.5.1910 in Frankfurt am Main. Er besuchte die Franzschule, später die Herzogliche Hauptschule. Zugleich war er Schüler von Karl Drechsler in Dessau. In Dessau ausgebildet, saß er später u. a. im Orchester der Italieni-schen Oper in Paris, ferner in dem des Leipziger Gewandhauses, und spielte auch in Weimar unter Friedrich Liszt. 1866 wurde er Professor am Konservatorium in Moskau, 1870 bis 1878 lebte er privat in Baden-Baden, seither war er Professor am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main. Er trat nicht nur solistisch, sondern auch in Gruppierungen (Quartett) auf. Mit eigenen Kompositionen ist er außer einigen kleinen Cellostücken (3 Phantasien: Tell und Euryanthe, Etüden und Studien für Cello) und einigen Solowerken für andere Instrumente

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Franzschule

5nicht hervorgetreten, doch sind von ihm Klavierbearbeitungen von Philipp Emanuel Bach und dem polnischen Komponisten Moniuszko für Cello gesetzt worden. Im Jahre 1890 adaptierte Bernhard Cossmann den Erlkönig von Schubert für Cello-Solo eigens für seinen Schüler Hein-rich Kiefer.

Fränkel, David 5Rabbiner, geb. 1707 in Berlin, gest. 4. 4.1762 in Berlin. Er war Sohn des Naphtali Hirsch und Abkömmling einer bekannten Familie von Talmud-Gelehrten. David Fränkel war Rabbiner zu Dessau und dort der Lehrer des jungen Moses Mendelssohn. In Dessau veranlasste er u. a. die Drucklegung der Schriften des Maimonides wie „Mischneh Thora“ (4 Bände, Jeßnitz 1739–42) und ebenso „Moreh Nebuchim“ („Führer der Verirrten“, 1743), die das Denken des jungen Moses Mendelssohn anregten. 1743 ging er als Oberlandesrabbiner nach Berlin zurück, wo er Mendelssohn unterstützte, der ihm nachgefolgt war. David Fränkel machte den von den meisten damaligen Rabbinern wenig beachteten palästinensischen Talmud zum Hauptgegenstand seiner Studien.Literatur: Kayserling, M., Moses Mendelssohn. Sein Leben und Wirken, Leipzig 1888; Auerbach, Jakob, Lessing und

Mendelssohn, in: Einladungsschrift zu der öffentlichen Prüfung der Bürger- und Realschule der israelitischen Gemeinde,

Frankfurt/Main 1867; Brühl, N., David Fränkel, in: ADB 7, S. 269; Wininger, S., Große Jüdische Nationalbiographie, 2. Bd.,

Cernauti 1927, S. 286.

Fränkel, DavidDr., Lehrer, Mitbegründer der jüdischen Knabenschule,geb. 20.4.1779 in Berlin, gest. 18.5.1865 in Dessau. Als Zwanzigjähriger gründete er im Jahre 1799 zusammen in Dessau mit Gleichgesinnten die jüdische Knabenschule, die neben den in Berlin und Wolfenbüttel zu den ersten dieser Art in Deutschland zählte. Nur ein Jahr später wurde er deren Vorsteher. Bereits im Jahre 1806 grün-dete er auch eine jüdische Töchterschule. Im Jahre 1808 wurde er vom Herzog Franz zum Di-rektor der israelitischen Schulen bestellt, damit auch gleichzeitig zum Leiter sämtlicher Lehrer der israelitischen Schulen in den Landstädten des Herzogtums Anhalt-Dessau. David Fränkel leitete das israelitische Schulwesen über 50 Jahre lang. Im Jahre 1806 begründe-te David Fränkel zusammen mit Josef Wolf die Monatsschrift Sulamith, die erste jüdische Zeit-schrift in deutscher Sprache. Bis zum Jahre 1848 leitete er sie allein und verschaffte ihr schnell Ausbreitung in ganz Europa. In insgesamt 99 Heften informierte sie jahrzehntelang über die Lage der Juden in Europa. Gleichzeitig standen künstlerisch/kulturelle Fragen im Mittelpunkt. David Fränkel war Großneffe des Dessauer Rabbiners gleichen Namens (siehe oben), der 1737 nach Dessau kam und von hier aus 1743 wieder zurück nach Berlin ging,um dort Oberrabbiner zu werden.Verfasste: (zus. mit Bock:) Pentateuch. Die fünf Bücher Moses, nach der deutschen Übersetzung von Moses

Mendelssohn,Dessau 1815; Vorläufige Bemerkungen über die zweckmäßigen Mittel zur Beförderung der Kultur und

Humanität unter der jüdischen Nation, in: Sulamith 1 (1806), Nr. 1; Gallerie schädlicher Mißbräuche, unanständiger

Convenieny und absurder Ceremonien unter den Juden, in: ebd. 1 (1806), Nr. 2 ff.

Literatur: Brüll, N., David Fränkel, in: ADB 7 (1878), S. 269; Philippson, Ph(öbus), in: Biographische Skizzen 1. und 2. Heft

Leipzig 1864 und 3. Heft, Leipzig 1866; Philippson, Gustav, Geschichte der Herzoglichen Franzschule (Handelsschule) in

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Franzschule

5Dessau von ihrer Entstehung 1799 bis zu ihrer Auflösung 1869, Dessau 1869; Horwitz, Ludwig, Geschichte der Herzog-

lichen Franzschule in Dessau 1799–1849, in: Mitteilungen des Vereins f. Anhaltische Geschichte und Altertumskunde,

Dessau 6 (1893), S. 504–543; ders.: Die Emanzipation der Juden in Anhalt-Dessau, Dessau 1896.

Louis, IsaacSprachlehrer,geb. 4.2.1787 in Dessau, gest. 2.2.1858. Er besuchte die Israelitische Franzschule.Unter den Professoren Du Toit und Olivier und unter Dr. Ernst Tillich widmete er sich dem Stu-dium der französischen und englischen Sprache, deren Kenntnis er bei einem Engländer, dem Leipziger Lektor M. Young, vertiefte. Besonders Prof. Du Toit nahm sich seiner an und bildete ihn zum Sprachlehrer aus. Als solcher unterrichtete Louis anfangs am Tillich’schen Erziehungs-institut in Dessau, danach ab 1806 an der Franzschule. Außerdem veröffentlichte er eine Reine von Büchern für den französischen und englischen Sprachunterricht. Er wurde am 29. April 1856 als Lehrer an der Franzschule zum Professor ernannt. Er erwarb im Jahre 1821 das Haus Nr. 150 (später Steinstraße 16, seit 1960 Teil der Grünfläche zwischen Wohnblock Kantorstraße 7–11 und Hochhaus) für 2.100 Tlr. Prof. Louis starb 1858, seine Witwe 1879.

Marcus, LudwigGeograph. Semitologe.geb. 1898 in Dessau, gest. 15.7.1844 in Paris. Ludwig Marcus besuchte die Herzoglichen Franzschule und das Herzogliche Gymnasium und studierte anschließend an der Universität Berlin. 1825 ging er für weitere Studien nach Paris, hatte dort zeitweilig eine Stelle als Deutsch- und Englischlehrer in Dijon inne und lebte zuletzt als Privatgelehrter in Paris, wo er in geistiger Umnachtung jung starb. Er wurde auf dem Fried-hof Montmartre beigesetzt.Er hinterließ umfangreiche Studien zur Geschichte, Geographie, Linguistik, Astronomie und Botanik.

Philippson, GustavLehrer,geb. 3.2.1817 Dessau, gest. 1880 Dessau. Er besuchte die Franzschule und das angeschlossene Lehrerseminar in Dessau. Danach studierte er Philosophie und israelitische Theologie in Berlin. Später arbeitete er als Hauslehrer u. a. in Prag und Teplitz. Seit 1842 lebte er in Dessau und arbeitete als Lehrer an der Franz-schule. In den politischen Auseinandersetzungen nach 1848 trat er als engagierter Demokrat auf und war u. a. zusammen mit dem Gesellen Achilles Vorsitzender des Dessauer Gesellen-vereins. Er bewirkte, dass die Franzschule in eine staatliche Handelsschule umgewandelt wurde und die Lehrer staatliche Beamte wurden. 1859 wurde er als Prediger an der Israelitischen Kultusgemeinde angestellt. Er trat am 6. April 1869 in den Ruhestand und ging am 12. Mai des gleichen Jahres nach Berlin. Er war Abgeordneter der drei Dessauer Sonderlandtage und des 1. und 2. ordentlichen Gesamtlandtages von Anhalt-Dessau-Köthen. Er schrieb „Die Geschichte der herzoglichen Franzschule in Dessau 1799–1869“, erschienen 1869 in Dessau.

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Franzschule

5Verfasste: Die Judenfrage von Bruno Bauer näher beleuchtet, Dessau 1843; Jeremias oder die Zerstörung des ersten Tem-

pels. Ein Oratorium in drei Abteilungen, Anhang zu: Ernst: Zeitstimmen, Leipzig 1841; Der Golem und die Ehebrecherin.

Eine Prager Legende, in: Sulamith, 8 (1842), H. 10, Dessau, S. 254–57; Herzensergießungen eines Handlungslehrlings an

seinen jugendlichen Freund, in: Gehricke, Album Anhaltischer Schriftsteller, Oranienburg,1859, S. 873–90; Der jüdische

Hausierer. Eine kulturhistorische Skizze aus dem Anfange dieses Jahrhunderts, in: Gehricke, Album Anhaltischer Schrift-

steller, Dessau 1860, S. 83–90; Geschichte der Herzoglichen Franzschule in Dessau 1799–1869, Dessau 1869.

Literatur: Horwitz, Ludwig, Geschichte der Herzoglichen Franzschule in Dessau 1799–1849, in: Mitteilungen des Vereins f.

Anhaltische Geschichte und Altertumskunde, 6 (1893), S. 504–43; Brückner, Franz, Häuserbuch der Stadt Dessau,

S. 957, 1696.

Philippson, LudwigProf. Dr. phil.,geb. 28.12.1811 in Dessau als Bruder des vorigen, gest. 29.12.1889 in Bonn. Nach seinem Studium wurde er 1833 Prediger der israelitischen Gemeinde Magdeburg, gründete im gleichen Jahr eine Religionsschule und verfasste selbst deren Lehrbücher. 1837 gründete er die Allgemeine Zeitung des Judentums, deren Herausgeber er bis zu seinem Tode auch blieb. Er gab wegen Krankheit 1837 sein Rabbineramt ab, arbeitete seitdem ausschließ-lich wissenschaftlich und publizistisch für die Emanzipation des Judentums und war auch zwischen 1854 und 1866 Herausgeber des Jüdischen Volksblattes. 1862 verzog er nach Bonn. Für seine Bibelübersetzung, die in 16 Lieferungen erschien, erhielt er vom Zaren von Russland die Große Goldene Verdienstmedaille. - Sein Sohn Martin, geb. 27.6.1846 in Magdeburg, gest. 2.8.1916 in Berlin, war ein bekannter Historiker und Professor in Bonn und 1878–90 in Brüssel, zuletzt in Berlin. Dessen Bruder Alfred ( geb. 1.1.1864 in Bonn, gest. ?) war Geograph und Professor in Bern, später in Halle bzw. Bonn.Verfasste: Israelitisches Predigt- und Schulmagazin, Magdeburg 1834 ff.; Neueste Geschichte des jüdischen Volkes,

11 Bde. und Anhang, Berlin 1907 ff.

Philippson, MosesMitbegründer und erster Lehrer an der Franzschule, geb. 9.5.1775 in Sandersleben, gest. 20.4.1814 in Dessau. Er besuchte zunächst eine jüdische Winkelschule in Sandersleben und kam mit 12 Jahren an eine rabbinische Hochschule in Halberstadt, mit 14 Jahren nachBraunschweig und danach nach Frankfurt/Main. Er war zuerst als Hauslehrer in Bayreuth tätig, wurde im Jahre 1799 einer der Mitbegründer und ersten Lehrer der israelitischen Schule in Dessau und unterrichtete Hebräisch, Religion und Sittenlehre, verbunden mit biblischer Geschichte und Talmud, dann auch Arithmetik. Er richtete in Dessau eine hebräische Druckerei und Buchhandlung ein und vertrieb die Literatur u.a. auch auf der Leipziger Messe, weshalb er auch aus dem Schuldienst ausscheiden musste.Verfasste: Pentateuch. Kommentar zu den zwölf kleinen Propheten; Ein Lehr- und Lesebuch für die Jugend jüdischer Na-

tion und für jeden Liebhaber der hebräischen Sprache, 2 Teile, Dessau 1808; Buch Daniel, ins Deutsche übers. von J. Wolf

und erläutert von M. Ph., Dessau 1808; Herausgeber der Zeitschrift „Neuer Sammler“, Fortsetzung der ersten jüdischen

Zeitschrift „Der Sammler“ in deutscher Sprache und in hebräischen Lettern.

Literatur: Phöbus Philippson, Moses Philippson, in: Biographische Skizzen, Leipzig 1864; Salomon, Gustav,

Lebensgeschichte des Herrn M. Ph. Lehrer an der Israelitischen Haupt- und Freischule zu Dessau, Dessau 1814; Brückner,

Franz, Häuserbuch der Stadt, S. 1680, 1730.

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Franzschule

5Rubens, LevyPrivatlehrer, Anglist, Gymnasiallehrer in Dessau,geb. 1776 in Frankfurt (Oder), gest. 14.3.1855 in Dessau, beigesetzt auf dem Israelitischen Friedhof in Dessau. Er lebte ab 1800 in der anhalt-dessauischen Residenzstadt zunächst als Privatlehrer. Ab 1818 war er Lehrer für Englisch und Französisch an der Herzoglichen Hauptschule und wurde auch bald zum Professor ernannt.Ostern 1850 trat er in den Ruhestand, als der berühmte Anglist Karl Elze sein Nachfolger wurde.Rubens verfasste Lehrbücher der englischen Sprache und wirkte auch als Übersetzer aus dem Französischen. Er war Autor der von Fränckel begründeten Zeitschrift „Sulamith“.Er war mit Henriette geb. Meyer (um 1787–1850) verheiratet.

Steindorff, GeorgProf. Dr. phil., Ägyptologe,geb. 12.11.1861 in Dessau, gest. 28.8.1951 in North Hollywood/Cal./USA. Er entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Georg Steindorff war Absolvent des Ägyptologischen Seminars der Universität Göttingen. Er wurde 1884 bei de Lagarde mit der Dissertation „Prolegomena zu einer koptischen Nominalclasse” promoviert. 1893 berief ihn die Universität Leipzig. Den seit 1870 bestehenden Lehrstuhl für Ägyptologie hatte zuvor Georg Ebers (1837–1898) inne. Die von dem Archäologen Gustav Seyffarth (1792–1885) begründete ägyptische Sammlung erhielt durch Steindorff ihre wesentliche Prägung. Er baute die kleine Lehrsammlung zu einem Museum, dem Ägyptischen Museum der Universität Leipzig, aus. Auf seinen Forschungsreisen nach Ägypten erwarb er Gegenstände des Haus- und Grab-gebrauchs, aber auch Kunstwerke kleineren Formats. Auch die Funde von Ausgrabungen (z. B. den Kalksteinkopf der Königin Nofrete) brachte er mit Erlaubnis des damals von Franzosen verwalteten Antikendienstes nach Leipzig. Von besonderer Bedeutung sind Steindorffs Grabungstätigkeit in Giza, Qau el-Kebir und Aniba in den Jahren 1903–1931. Das Ägyptische Museum besitzt viele Objekte, die auf diesen Expeditionen entdeckt wurden. Nach seiner Emeritierung im Jahre 1934 lebte Steindorff noch vier Jahre in Leipzig. Da er wegen seiner jüdischen Herkunft unter der nationalsozialistischen Diktatur zu leiden hatte, wanderte er 1939 mit seiner Frau nach Los Angeles, USA, aus. Georg Steindorff war mit Elise Oppenheimer verheiratet, einer Schwester von Franz Oppenheimer.

Steinthal, WalterJournalist, Dozent für ägyptische Geschichte Basel,geb. 27.11.1887 in Dessau, gest. 27.3.1951 in San Francisco. Er war Schüler Jacobsohns und Hardens, zuerst Journalist in Berlin beim 12-Uhr-Blatt, emigrierte 1933 in die USA und war 1940 bis 1947 Professor für frühasiatischeKulturgeschichte an der Stanford University in Kalifornien. Er schrieb auch ein Buch über Dreyfus (Dreyfus, Berlin 1930).

Wolf, Abraham Nathan („Wolf Dessau“)Gelehrter,geb. 18.7.1751 in Dessau, gest. 6.9.1784 in Dessau, beigesetzt auf dem israelitischen Friedhof. Er entstammte einer seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in Dessau ansässigen Familie, erhielt

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Franzschule

5eine rabbinisch gelehrte Ausbildung und studierte anschließend an verschiedenen deutschen Universitäten. Nach deren Abschluss war er zunächst als Privatlehrer in Dessau tätig, mit dem Philanthropen Salzmann befreundet und vermittelte dessen Bekanntschaft mit Mendelssohn in Berlin.Verfasste: Kommentar zum Buche Hiob, Berlin 1777.

Literatur: Freudenthal, M., R. W. Dessau, in: Festschrift zum 70. Geburtstag Martin Philippsons, Breslau 1916, S. 184–212

(Schriften, hrsg. von der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums. Beiträge zur Geschichte der deut-

schen Juden).

Wolf, JosephPrediger und Lehrer,geb. 1762 in Dessau, gest. 17.3.1826 in Dessau.Seine erste Ausbildung erhielt er bei seinem Vater und Abraham Nathan Wolf (s.o.). 1773 sandte ihn sein Vater nach Sandersleben, um sich dort unter der Leitung seines Onkels, des Rabbiners Meinster, den talmudischen Wissenschaften zu widmen. Im Alter von 14 Jahren ging er nach Berlin, wo er in einem israelitischen Gymnasium als Freischüler eine vorzügliche Aus-bildung genoss. Hier verschaffte er sich bald Zutritt zu den besten Gelehrten. Danach war er einige Jahre als Hauslehrer tätig, zunächst in Freienwalde, dann in Treuenbrietzen. Nach sieben Jahren kehrte er in seine anhaltische Heimat zurück und ging nach Sandersleben. 1796 kam er nach Dessau, wo er Unterricht in der deutschen, hebräischen und französischen Spracheerteilte. 1799 wurde er Lehrer an der israelitischen Hauptschule, 1802 zugleich Gemeinde-schreiber und vereideter Translator, schließlich seit 1812 auch Prediger. Im Jahre 1808 hielt er anlässlich des 50jährigen Regierungsjubiläums die erste Predigt in deutscher Sprache, indem er eine Rede hielt und eine verfasste Hymne auf den Fürsten in dessen Anwesenheit vortrug. Er war neben Moses Philippson und Gotthold Salomon der gebildetste Lehrer an der israeliti-schen Schule.Zusammen mit David Fränkel (siehe dort) gab er seit 1806 bis 1815 die Sulamith heraus.Verfasste: zusammen mit Moritz Neumann, Moses Philippson und Gotthold Salomon: Übersetzung der 12 kleinen Pro-

pheten, Dessau 1805; mit denselben: Reines Speisopfer (Mal. 1,11), enthaltend die zwölfe, mit einer deutschen

Übersetzung und einem Kommentar von 4 Jugendgelehrten in Dessau, Dessau 1805; Übersetzung des Propheten Daniel,

Dessau 1811; Sechs deutsche Reden, gehalten in der Synagoge zu Dessau, Dessau 1812; Predigt bey der hohen Jubelfeier

Sr. Majestät des Königs von Sachsen, Friedrich August, am 20. September 1818, Dessau und Leipzig 1818; Predigt bei dem

israelitischen Gottesdienste nach dem gesegneten Einzuge Sr. Herzoglichen Durchlaucht Friedrich Ferdinand, Herzog

und Fürst zu Anhalt-Köthen am 16. Februar 1819.

Literatur: Leipziger Pol. Zeitung 1826, S. 855/56; Neuer Nekrolog der Deutschen 1826, II, S. 831–38; Meusel XXI; Schmidt,

S. 454–55.

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Moses Mendelssohns Geburtshaus

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© Museum für Stadtgeschichte Dessau; unten rechts: Stadtarvhiv Dessau-Rolau

Das Vorderhaus Askanische Str. 10 geschmückt anlässlich der Feier zum 150. Geburtstag von Moses Mendelssohn

Geburtshaus von Moses Mendelssohnim Hof Askanische Straße 10, um 1950

Neubau des Vorderhauses von 1880 mit der neuen Marmor-Gedenktafel, vor 1938

Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau

Moses Mendelssohns Geburtshaus

6Askanische Straße 10, heute: Askanische Straße 12

Die Stätte von Moses Mendelssohns Geburtshaus war in der alten Hauszählung die Nummer 337. Seitdem uns Hausbesitzer hier bekannt sind, wechselten diese häufiger, zuletzt war das Haus im Besitz der Familie Hentze. Der Erbe, Meister Johann Christoph Hentze, verkaufte 1708 das Nachbarhaus (338) an die Witwe des Seifensiedemeisters Dorothee Elisabeth Würdig und errichtete auf Nr. 337 ein neues Gebäude. Da er seine dafür aufgenommenen Schulden nicht begleichen konnte, überließ Hentze auch Nr. 337 den Erben der Witwe Würdig. Ihr Sohn Johann Gottlieb Würdig vermietete den Seitenflügel auf dem Hof dem jüdischen Lehrer und Thoraschreiber Mendel Moses und dessen Frau Sara Wahl. In diesem Haus wurde am 6. Sep-tember 1729 deren Sohn Moses geboren, später als Moses Mendelssohn bekannt.Würdig gab das Haus 1741 seiner Tochter Johanna Sophie in die Ehe mit dem Futtermarschall Friedrich Wilhelm Woche. Als Woche 1758 als Bürgermeister nach Spandau ging, verkauften die Eheleute das Haus ihrem Bruder, dem Seifensiedemeister Johann Georg Gottfried Würdig. Von Würdigs Erben erwarb das Haus 1799 der Stadtchirurg Ernst Friedrich Christian Fleischer.Nach weiteren Besitzerwechseln erwarb das Haus schließlich im Jahre 1863 der Bankier Moritz von Cohn, um das Geburtshaus Mendelssohns der Nachwelt zu erhalten. Im Rahmen der Feier-lichkeiten zum 150. Geburtstag des großen Philosophen in dessen Vaterstadt erwarb nunmehr der Israelitische Gemeindebund Leipzig das Haus. In die Feierlichkeiten wurde auch das Grundstück einbezogen und zu diesem Anlass die Fassade festlich geschmückt und in dem eigentlichen Geburtshaus eine Ausstellung eingerichtet. Danach wurde an Stelle desaltersschwachen Fachwerkbaus ein einstöckiges massives Wohnhaus mit Klinkerfassade aus den Greppiner Ziegelwerken errichtet. Das Geld dafür kam von der am 26. November 1879 gegründeten (ersten) Moses Mendelssohn-Stiftung, die von einem Enkel Mendelssohns, dem Berliner Bankier Franz v. Mendelssohn (sen.) gegründet worden war. Das neu errichtete Haus diente nun einer kleinen Anzahl jüdischer Gemeindemitglieder als Altersheim.Im Jahre 1880 wurde am Vorderhaus in der Askanischen Straße eine Gedenktafel aus weißem Marmor und mit goldener Inschrift angebracht. Sie ersetzte eine gusseiserne, die auf Veran-lassung der Familie Cohn bereits 1833 hier am Vorgängerbau angebracht worden war.Die Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag Moses Mendelssohns vom 5. bis 8. September 1929 gestalteten sich noch einmal zu einem bedeutenden, Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens in Dessau mit überregionaler Ausstrahlung, der letzte vor der Machübernahme der NSDAP, die das Andenken an Moses Mendelssohn auszulöschen versuchte. So wurde u. a. die (zweite) Moses Mendelssohn-Stiftung mit dem Zusatz „zur Förderung der Geisteswissenschaf-ten“ gegründet. Der Seitenflügel als eigentliches Geburtshaus, zweigeschossig, lang gestreckt, mit Stuben im Obergeschoss, die von einer hölzernen Galerie aus zugänglich waren, wurde neu aufgezogen. Ein Zimmer im Erdgeschoss richtete man als Gedenkstätte ein.Nach 1933 konnte die Gedenktafel am Vordergebäude des Geburtshauses Mendelssohns gerettet werden, indem eine Lage Tapetenpapier darüber geklebt und sie unter Putz gelegt wurde. 1952 kam es zum Abriss des Hauses, und die Tafel gelangt in das benachbarte Museum. Die Gedenktafel wurde zusammen mit einem Zusatz „Wieder angebracht zum 250. Geburtstag im Jahre 1979“ in der neu erstandenen Askanischen Straße 12 an einem Wohnblock enthüllt.

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Moses Mendelssohns Geburtshaus

6Moses MendelssohnUnternehmer, Schriftsteller und Philosoph,geb. 17.8.1728/6.9.1729 in Dessau, gest. 4.1.1786 in Berlin. Er wurde als Sohn armer jüdischer Eltern geboren. Sein Vater Mendel war bei derjüdischen Gemeinde in Dessau als Schreiber und Lehrer an der Primärschule angestellt. Seine Mutter stammte aus der Familie Wahl, die sich rühmte, von dem berühmten Moses Isserles aus Krakau abzustammen, nach welchem der kleine Moses seinen Namen bekam. Er erhielt seine erste Ausbildung in der jüdischen Gemeinde u. a. bei seinem Vater in Dessau. Er kam anschlie-ßend zur weiteren Ausbildung zu Rabbi Hirsch in Halberstadt, später bei dem Dessauer Rabbi-ner David Fränkel. Als dieser im Jahre 1743 eine Berufung nach Berlin erhielt, folgte er diesem nach. Trotz bitterster Armut studierte er mit Unterstützung ihm verbundener Gönnereifrig Sprachen, Philosophie und Mathematik bei Oberrabbiner David Fränkel. 1750 wurde er Hauslehrer bei dem Seidenfabrikanten Isaak Bernhard und 1754 dessen Buchhalter. Es begann auch seine enge Freundschaft mit Lessing, der 1755 Mendelssohns Philosophische Gespräche herausgab, zu Nicolai, Euler und Sulzer. Seit 1758 gab er die hebräische Wochenschrift Kohelet Mussar heraus. Nach dem Tod Bernhards war er alleiniger Geschäftsführer.1771 wurde Moses Mendelssohn zum Mitglied der Berliner Akademie gewählt, wobei jedoch König Friedrich II. die Bestätigung verweigerte. In der jüdischen Gemeinde Berlin wurde er 1780 zu deren Schatzmeister gewählt und 1784 zu einem ihrer Repräsentanten. In klarer und eingängiger Sprache hat Mendelssohn für die Verbreitung der Gedanken der Aufklärung (Deismus, Toleranz, Gleichberechtigung der Konfessionen, Emanzipation der Juden, Gewissens-freiheit usw.) gewirkt. Dabei verband er seine ästhetischen Auffassungen eng mit der Aufklä-rungsmoral. Seine Abhandlung über die Evidenz in methaphysischen Wissenschaften (1763) erhielt den ersten Preis der Berliner Akademie. Die bekannteste religionswissenschaftliche Schrift Mendelssohns war Phädon oder Über die Unsterblichkeit der Seele (1767) sowie Jerusalem oder Über die religiöse Macht des Judentums (1783), in der er, die Rechte der Juden verteidigend, die allgemeinen Rechte der Menschen vertrat. Im Urteil der Zeitgenossen wurde immer die schar-fe Intelligenz und menschliche Güte des Philosophen gerühmt.Literatur: (Auswahl): Meyer, Hermann, Moses-Mendelssohn-Bibliographie. Mit einigen Ergänzungen zur Geistesge-

schichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Berlin 1965 (Veröffentlichungen der Hiko Berlin; 26); Altmann, Alexander, A

biographical Study, Alabama 1973; Wahl, Peter, M.M., in: Mitteldeutsche Lebensbilder 3 (1928), S. 64-85; Kayserling. M.,

M.M. Sein Leben und seine Werke, Leipzig 1888 (2), (Neuherausgabe Hildesheim 1972); Freudenthal, M., Aus der Heimat

Mendelssohns, Berlin 1910; Kornfeld, Heinrich, M.M. und die Aufgabe der Philosophie, Berlin 1896; Goldstein, Ludwig,

Die Bedeutung M.M.s für die Entwicklung der ästhetischen Kritik und Theorie in Deutschland, Diss. Königsberg, 1897;

Knobloch, Heinz, Herr Moses in Berlin, Berlin (Ost) 1979, 1993 (6); Hensel, S., Die Familie M. 1729-1847, nach Briefen und

Tagebüchern, 2 Bde., Leipzig 1924 (18); Kupferberg, Herbert, Die Mendelssohns, Tübingen; Stuttgart (1972); Schoeps,

Juliens H., Moses Mendelssohn, Königstein 1979;Altmann, Alexander, Moses Mendelssohn, London 1998 (Erstausgabe

1969); Kupferberg, Herbert, Die Mendelssohns. Aus dem Amerikanischen von Klaus Leonhardt. Reiner Wunderlich Verlag

Hermann Leins, Tübingen und Stuttgart 1982; Albrecht, Michael Albrecht: Moses Mendelssohn: 1729–1786, das Lebens-

werk eines jüdischen Denkers der deutschen Aufklärung. Ausstellung in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Acta

Humaniora, Weinheim 1986; Lohmann, Ingrid Lohmann: Über die Anfänge der Gesprächskultur – Moses Mendelssohn

(1729-1786) und die Berliner Aufklärung, in: Pädagogische Rundschau 46 (1992) 1, 35-49; Berghahn, Cord-Friedrich,

Moses Mendelssohns „Jerusalem“. Ein Beitrag zur Geschichte der Menschenrechte und der pluralistischen Gesellschaft

in der Aufklärung. Tübingen: Niemeyer, 2001; Behm, Britta L., Moses Mendelssohn und die Transformation der jüdischen

Erziehung in Berlin. Eine bildungsgeschichtliche Analyse zur jüdischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. Jüdische Bildungs-

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Moses Mendelssohns Geburtshaus

6geschichte in Deutschland, Band 4. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann Verlag 2002; Schulte, Christoph, Die

jüdische Aufklärung. München 2002; Bourel, Dominique, Moses Mendelssohn. Begründer des modernen Judentums. Eine

Biographie. Aus dem Französischen von Horst Brühmann, Ammann Verlag, Zürich 2007; Tree, Stephen, Moses Mendels-

sohn. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007; Meier, Brigitte Meier, Jüdische Seidenunternehmer und die soziale Ordnung zur Zeit

Friedrichs II. Moses Mendelssohn und Isaak Bernhard. Interaktion und Kommunikation als Basis einer erfolgreichen Unter-

nehmensentwicklung. Berlin 2007; Feiner, Shmuel, Moses Mendelssohn. Ein jüdischer Denker in der Zeit der Aufklärung.

Aus dem Hebräischen von Inge Yassur, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009; Simon, Hermann, Moses Mendelssohn.

Gesetzestreuer Jude und deutscher Aufklärer, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin 2003; Scheer, Regina, Mausche mi-Dessau.

Moses Mendelssohn. Sein Weg nach Berlin, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin 2006.

Werke: (Auswahl) Gesammelte Schriften, hrsg. von Georg Benjamin Mendelssohn, 7 Bd.e, Leipzig 1843-45 (Nachdr. Hildes-

heim 1976); Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften, Jubiläumsausgabe. In Gemeinschaft mit Fritz Bamberger, Haim

Borodianski, Simon Rawidowicz ..., Berlin 1929-32, Breslau 1938, Stuttgart-Bad Cannstadt 1974 ff.; Moses Mendelssohn:

Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe; hrsg. von Alexander Altmann s. A., Eva J. Engel, Brocke, Michael und Kroch-

malnik, frommann-holzboog Verlag, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972 ff.

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Kurt Weills Geburtshaus; weitere Wohnhäuser der Familie Weill

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© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

Leipziger Straße kurz nach 1945, das zweite Haus ist das Geburtshaus von Kurt Weill

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Kurt Weills Geburtshaus; weitere Wohnhäuser der Familie Weill

7Leipziger Straße 59, heute: Freifläche

Als Kantor der Israelitischen Kultusgemeinde kam Albert Weill mit seiner Frau Emma geb. Ackermann (1872–1955), und dem noch in Kippenheim 1898 geborenen ältesten Sohn Nathan (1898–1957) nach Dessau. Die bescheidenen finanziellen Mittel ermöglichten den Einzug in die erste Etage eines Mietshauses in der Leipziger Straße 59. Dabei handelte es sich um ein mehrgeschossiges Wohnhaus, das dem ehemaligen Bäckermeister Wilhelm Martini gehörte. Hier wurden in den kommenden Jahren drei weitere Kinder geboren: Hanns Jakob (1899–1947), Kurt Julian (1900–1950) sowie die Schwester Ruth (1901–1975?). Das Gebäude selbstüberstand stark beschädigt die Bombenangriffe auf Dessau und blieb nach dem Zweiten Welt-krieg weiterhin bewohnt. Später musste es einem Neubau weichen und wurde daher 1967 abgerissen.Für die wachsende Familie wurde die Wohnung in der Leipziger Straße bald zu klein. Sie zog deshalb in eine Parterrewohnung in dem Haus Franzstraße 45.An dieser Stelle stand vorher ein Fachwerkhaus, in dem bis zu seinem Tode der ehemalige Hofmaler Johann Heinrich Beck (1788–1875) lebte. Seine Tochter Therese, die im Jahre 1842 den späteren Historienmaler Franz August Schubert geheiratet hatte, erbte das Gebäude von ihren Geschwistern. 1901 kam es in den Besitz des Töpfermeisters Karl Dreßler. Er setzte noch im selben Jahr an die Stelle des alten Gebäudes einen zweigeschossigen Neubau und betrieb im Erdgeschoss ein gut gehendes Geschäft mit Ofensetzerei und Fliesenlegerei. In dieses neuerrichtete Haus zog nun die Familie Weill und wohnte hier bis zum Jahre 1903. Das Gebäude wurde in der Bombennacht des 7. März kaum beschädigt und nimmt heute noch die Ecke zur (heutigen) Kantorstraße ein.Aber auch hier scheint der Platz für die inzwischen sechsköpfige Familie zu eng geworden zu sein, weshalb der Vater sich erneut um eine größere Wohnung umsah, die er in der Muldstraße 20 fand. Hier zog die Familie in die erste Etage. Das Haus wurde im Jahre 1888 durch die Geschäftsleute Gebr. Plenz neu erbaut und befand sich – im Gegensatz zu den anderen beiden Wohnungen der Familie Weill – nun nicht mehr in der Sandvorstadt, sondern unmittelbar in der Altstadt von Dessau, in direkter Nachbarschaft zum Rathaus. Das Haus wur-de am Ende des 2. Weltkrieges zerstört.Noch einmal wechselte die Familie Weill innerhalb der Stadt Dessau ihren Wohnsitz, als näm-lich mit dem Neubau der Synagoge auch das dazu gehörende Gemeindehaus an der Ecke Stein-/Askanische Straße – im Adressbuch Steinstraße 11/14 – am 1. April 1907 fertig gestellt wurde. Im Erdgeschoss befand sich nun die Wohnung des Kantors und seiner Familie. Hier ver-brachte Kurt Weill Kindheit und Jugend. 1918 ging er zum Studium der Musik nach Berlin. Von Juli bis Dezember 1918 lebte er nach Abbruch des Studiums noch einmal hier.

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Kurt Weill

7Kurt Weill wurde am 2.3.1900 in Dessau geboren, als Sohn des Kantors an der Dessauer Syna-goge Albert Weill (1867–1955) und dessen Frau Emma geb. Ackermann (1872–1957). Er starb am 3.4.1950 in New York, und wurde auf dem Mount Repose Friedhof in Haverstraw beigesetzt. 1906 begann seine Schulzeit in Dessau an der Herzoglichen Vorschule. Er besuchte ab 1909 das Friedrichs-Oberrealgymnasium. Hier legte er Ostern 1918 die Reifeprüfung ab. Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er bei seinem Vater und ab 1915 Unterricht in Klavier, Komposi-tion, Theorie und Dirigieren bei Albert Bing, Kapellmeister am Herzoglichen Hoftheater Dessau. Er schuf im Jahre 1916 wichtige frühe Kompositionen nach Texten von Arno Holz, Joseph von Eichendorff und Anna Ritter. Im Jahre 1917 wurde Kurt Weill durch Vermittlung von Albert Bing freier Mit arbeiter für Korrepitition am Herzoglichen Hoftheater in Dessau. Im April 1918 bestand er die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik in Berlin u. a. bei Engelbert Humperdinck in Komposition und Rudolf Krasselt in Dirigieren. Im Juli 1919 brach er das Studium ab und kehrte nach Dessau zurück, wo noch immer seine Eltern lebten. Er nahm erneut die Tätigkeit als Korrepetitor am Friedrich-Theater unter Generalmusikdirektor Hans Knappertsbusch an. Ende des Jahres 1919 verließ er Dessau, seine Eltern zogen nach Leipzig. Kurt Weill war von Januar bis Mai 1920 Kapellmeister am Stadttheater Lüdenscheid. Ab Januar 1921 studierte er in der Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste zu Berlin unter Feruccio Busoni. Im Frühjahr 1922 wurde er Mitglied der Musikabtei-lung in der Berliner Novembergruppe. 1923 kam es zu ersten viel beachteten Uraufführungen seiner Orchesterstücke op. 6 unter Alexander Selo und 5 unter Heinz Unger. Im Dezember 1923 endete das Studium in Berlin. Im Februar 1924 lernte er Georg Kayser kennen, mit dem er 1926 den Operneinakter „Der Protagonist” zur Uraufführung brachte. Im Januar 1925 arbeitete er alsTheaterkritiker bei der Wochenschrift „Der deutsche Rundfunk“. Am 26. Januar 1926 heiratete er Lotte Lenya. Am 2. März 1927 erfolgte die Uraufführung der Werke „Der neue Orpheus“ und „Royal Palace“ an der Berliner Staatsoper. 1927 begann die Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht u. a. am „Mahagonny-Songspiel“ für Baden-Baden. Die Zusammenarbeit mit Kayser ergab am 18. Februar 1928 die Uraufführung von „Der Zar lässt sich photographieren“ im Neuen Theater in Leipzig. Am 31. August 1928 erfolgte die Uraufführung der „Dreigroschenoper“ am Theater am Schiffbauerdamm Berlin. Später arbeitete er zusammen mit Brecht u. a. an „Berliner Requi-em“, „Lindberghflug“, „Happy End“ und schließlich der zweiten großen Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ (Uraufführung am 9. März 1930 im Neuen Theater in Leipzig), zuletzt der Schuloper „Der Jasager“. Zusammen mit Caspar Neher arbeitete er an der Oper „Die Bürg-schaft“ (Uraufführung am 10. März 1932 an der Städtischen Oper in Berlin). Seine letzte Arbeit in Deutschland war „Der Silbersee“; die Ringuraufführung fand am 18. Februar 1933 an den Theatern in Leipzig, Magdeburg und Erfurt statt. Aufgrund scharfer Angriffe über die national-sozialistische Presse und drohender Verhaftung verließ Kurt Weill am 21. März 1933 Deutsch-land. Zunächst war er in Paris (bis 1934) und London (Januar bis Juni 1935), ab Juli 1935 wieder in Paris, ab September 1935 in den USA tätig. Er beeinflusste das amerikanische Musikleben beträchtlich und schuf 1947 mit „Street Scene“ seine erste amerikanische Oper. In den USA arbeitete er mit den bedeutendsten amerikanischen Dramatikern zusammen wie Maxwell Anderson, Hofmann R. Hayes, Elmer Rice u. a. Zu seinen erfolgreichen Broadwayproduktionen zählen „Johnny Johnson“ (1936), „Knickerbocker Holiday“ (1938), „Lady in the Dark“ (1941), „One Touch of Venus“ (1943), „The Firebrand of Florence“ (1945, mit nur 43 Aufführungen sein einziger Misserfolg am Broadway) und „Lost in the Stars“ (1949). Seit 1993 findet in Dessau alljährlich das Kurt-Weill-Fest statt.

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Textilhandlung Neumann Lipsky

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Blick auf den Kleinen Markt zum Rathaus. Im Hintergrund die Marienkirche. In dem Haus Klei-ner Markt 3 befand sich von 1883 bis 1898 die Textilhandlung von Neumann Lipsky.

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

Werbeanzeige für das Wäschegeschäft von Neumann Lipsky, Kleiner Markt 3

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Textilhandlung Neumann Lipsky

8Kleiner Markt 3, heute: Rathaus, etwa die Stelle des Hauptportals Neumann Lipsky zählte in Dessau mit seiner Textilhandlung über Jahrzehnte zu denerfolgreichen jüdischen Kaufleuten. Er stammte nicht aus Dessau: Er wurde am 31. Mai 1857 in Lyck/Ostpreußen (heute Polen) geboren. Im Alter von 24 Jahren kam Neumann Lipsky nach Dessau. Am 8. April 1881 eröffnete D. V. N. Lipsky eine Filiale mit „Weißwaren, Strumpf-, Trikota-gen- und Wollwaren“ am Kleinen Markt 3 und hatte drei Hauptgeschäfte in Berlin.Er scheint sich dann fest in Dessau niedergelassen zu haben. 1883 erschien er erstmalig im Dessauer Adressbuch mit „Wäschefabrik, Manufakturwaren, Konfektion (N. Lipsky)“ und verkauf-te in den Läden des Erdgeschosses im Haus Kleiner Markt 3, direkt neben dem alten Rathaus, sein reichhaltiges Sortiment an Textilwaren.Er wohnte mit seiner Familie in dem Wohnhaus Zerbster Straße 51 b. Um das Jahr 1885 zog er in das Haus Zerbster Straße 30. Ein weiterer Wechsel seines privaten Wohnsitzes erfolgte 1887 in die Rathausstraße 10, 2. Etage. Dort wohnte er bis zum Jahre 1895. Ab dem Jahr 1898 war sein Wohnsitz in dem Wohnhaus Muldstraße 4 (2. Etage).Das Wohn- und Geschäftshaus am Kleinen Markt 3 befand sich auf der Südostecke des Kleines Marktes und war über einige Generationen im Besitz der Familie Kaulitz. Das Haus befand sich in unmittelbarer Nähe zum Rathaus. Das alte Rathaus stammte aus dem Jahre 1563, wurde 1789 erweitert, und 1827/28 erhielt der Giebel zum Markt hin einen neugotischen Aufbau. Durch die grundlegenden Veränderungen und damit verbundenen Erweiterungen bei den Aufgaben in der städtischen Verwaltung reichte der Platz in dem alten Rathaus am Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr aus. 1882/83 erhielt daher das gesamte Rathaus eine Aufstockungin Renaissanceformen durch den Dessauer Architekten Paul Rathke. Bereits nach kurzer Zeit war klar, dass der Platzgewinn durch diese Erweiterung noch nicht ausreichend ist. Daher entschied man sich 1898 für einen Neubau, der sich auf einige Grundstücke rund um das alte Rathaus auf dem Kleinen Markt und in der Schloßstraße erstrecken sollte. In den folgenden Monaten erwarb daher die Stadt die umliegenden Grundstücke, so auch das von der Familie Kaulitz zum Abriss vorgesehene Haus. Die Stadt richtete hier zum Übergang zunächst Verwal-tungsräume ein. Diese riss sie 1899 ab und errichtete hier das neue Rathaus, dessen heutiges Hauptportal etwa die Stelle des alten Hauses Kleiner Markt Nr. 3 einnimmt.Neumann Lipsky verlegte noch im Jahre 1898 seine Geschäftsadresse schräg gegenüber nach Zerbster Straße 50.

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Textilhandlung Neumann Lipsky

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1898 bis 1918/19 befand sich die Textilhandlung Neumann Lipsky im Eckhaus Kleiner Markt/Muldstraße (Hotel „Zum Goldenen Schiff“)

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

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Textilhandlung Neumann Lipsky

9Zerbster Straße 50/Ecke Kleiner Markt/Muldstraße , heute: Zerbster Straße 6Das 1887 erbaute Haus war das „Hotel zum Goldenen Schiff“. Der Name stammte von einer Gaststätte in dem vorher hier stehenden Haus. Dieses hatte 1749 Johann Andreas Mente gekauft – er hatte Anfang des Jahres die Witwe des Schwanenwirtes Schander geheiratet. Er war Schiffsherr und Holzhändler in Magdeburg. Ohne seinen bisherigen Erwerb aufzugeben, wollte er in seinem neu erworbenen Haus eine Gastwirtschaft betreiben, die er „Zum Goldenen Schiff“ nannte. Die Gaststätte „segelte“ in den folgenden Jahrzehnten erfolgreich unter ver-schiedenen Betreibern.1887 erfolgte der Abbruch des alten Hauses und mit einer gleichzeitigen Verbreiterung der Muldstraße wurde ein Neubau ausgeführt. Mit Jahresende 1888 erwarb das nunmehrige Hotel Johann Saupe, Pächter des „Goldenen Hirsch“ in der Steinstraße. 1925 richtete Saupe hier ein Schnell-Büfett und Café ein. Nach seinem Tod heiratete seine Witwe den Hotelier Paul Maronde, letzter Besitzer des „Schiffchens“, das bei dem großen Fliegerangriff am 28. Mai 1944 zerstört wurde.Aus seinem Geschäftslokal Kleiner Markt 3 zog Neumann Lipsky im Jahre 1898 in das Haus Zerbster Straße 50, das bis weit in die Muldstraße hinein reichte, um. Auch hier waren Manufaktur-, Modewaren, Wäsche und Damenkonfektion sein breites Geschäftsspektrum. Im Jahre 1919 gab er sein Geschäft auf, er war zu diesem Zeitpunkt 62 Jahre alt. Danach verlebte Neumann Lipsky seinen wohlverdienten Ruhestand im Haus Körnerstraße 8 (1. Etage), wohin er mit seiner Familie 1905 gezogen war.Auf dem Israelitischen Friedhof in Dessau befinden sich Gräber zahlreicher Träger des Namens Lipsky: Aurelia geb. Salinger, die am 19.1.1935 im Alter von 72 Jahren starb. Die 1863 Geborene war wahrscheinlich die Frau von Neumann Lipsky.Der Medizinstudent Walter Lipsky (1886–1907) wurde nur 18 Jahre alt, er war wohl ein Sohn des Ehepaares. Ein weiterer Sohn war vermutlich Felix Lipsky, geb. am 27. September 1883 in Dessau. Er lebte 1939 in Mainz, als er am 25. März 1942 mit einem Transport nach Piaski depor-tiert wurde und wahrscheinlich in dem Vernichtungslager Belzec ermordet wurde.Mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten sollte sich auch das Leben des inzwischen 76-jährigen Neumann Lipsky schlagartig ändern. Die Lebensumstände verschlechterten sich von Jahr zu Jahr. Neumann Lipsky, der letzte Vertreter seiner Familie, gehörte mit weiteren älteren Dessauer Juden zu einem Sammeltransport, der am 18. November 1942 von Magde-burg nach Theresienstadt fuhr. Nach elf Tagen starb er am 29. November 1942 im Alter von 85 Jahren im Lager Theresienstadt.

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Schuhwarenhaus Mayer Reich

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Plünderung des Schuhgeschäfts Mayer Reich am Nachmittag des 9. November 1938

Das Schuhwarenhaus Mayer Reich, vor dem Umbau Ender der 1920er Jahre

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

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Schuhwarenhaus Mayer Reich

10Zerbster Str. 41, der ehemalige „Goldene Ring“, heute: etwa Schloßplatz 2Dieses Gebäude zählte einst zu den bedeutendsten Häusern der Stadt. Es ging aus einem freien Sattelhof hervor. 1611 errichtete Ernst von Kötzschau hier den prächtigen Neubau eines Giebelhauses. Im Dreißigjährigen Krieg kam das Haus in fürstliches Eigentum, als es von Fürstin Sophie Margarethe erworben wurde. Sie vereinigte es mit dem Nachbarhaus (später Nr. 42 „Drei Kronen“) und hinterließ beide Grundstücke ihrem Sohn Fürst Johann Georg II. Dieser verlegte die fürstliche Münze hierher und ließ einige Jahre größere Gepräge schlagen. Johann Georg vererbte das Haus seinem Sohn Leopold, dem „Alten Dessauer“, der die Häuserseparierte und auf Nr. 41 im Jahre 1712 das Gasthofsprivileg „Zum Goldenen Ring“ verlieh. In der Nacht vom 2. zum 3. Mai 1809 übernachtete hier Major von Schill. Im Jahre 1875 endete der traditionsreiche Gasthof.Mayer Reich betrieb hier spätestens seit 1904 über drei Jahrzehnte lang ein anerkanntes und beliebtes Schuhwarengeschäft. Seine Kundschaft kam aus allen Schichten der Bevölkerung von Dessau und Umgebung..Mayer Reich wurde am 15. Oktober 1877 in Kolomea (Polen) geboren. Im Alter von 22 Jahren zog er 1899 in die anhaltische Haupt- und Residenzstadt Dessau. Hier lebte er zunächst im Haus Wallstraße 32. Erstmals ist sein Schuhwarengeschäft im Dessauer Adressbuch von 1904 unter der Adresse Zerbster Straße 41 verzeichnet. Das Gebäude befand sich zu diesem Zeit-punkt noch im Besitz des Hofjuweliers Wilhelm Krüger. 1907 erwarb Mayer Reich das Haus und ließ das Erdgeschoss zu Geschäftsräumen ausbauen.Mayer Reich zählte bald zu den angesehenen Bürgern der Stadt. Nach Krieg und Inflation zu Beginn der 1920er Jahre florierte auch sein Schuhwarengeschäft bald wieder. Ende der Deka-de baute er das Erdgeschoss modern um; das Spiel von alter Fassade und moderner Innen-einrichtung harmonierten hervorragend miteinander.Auch Mayer Reich und seine Familie waren von den Ausschreitungen des Antisemitismus mit dem Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 betroffen. In den folgenden Jahren verschlechterte sich die Lage der in Dessau verbliebenen Juden erheblich. Am 9. November 1938 wurde das Geschäft geplündert und zerstört, Mayer Reich kam in das Konzentrationslager Buchenwald. Seine Frau und seine verwitwete Schwägerin Bella Adler verblieben im Haus.Mayer Reich und seine Frau Selma – sie stammte aus Forchheim in Bayern – verloren als „Volljuden“ die deutsche Staatsbürgerschaft. Schließlich gelangten die Eheleute als staatenlose Flüchtlinge nach Paris. Hier lebten sie bei ihrer Tochter Irma Starer geb. Reich (1908–1987). Der Sohn Walter (1914–1999) war 1934 nach Palästina emigriert. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris im Juni 1940 sowie der Besetzung des von der Vichy-Regierung verwalteten unbesetzten Südfrankreichs begann auch in Frankreich die Verfolgung und Ver-nichtung der Juden. Mayer und Selma Reich kamen nach Drancy, einem Vorstadtbahnhof in Paris, der zu einem Durchgangslager umfunktioniert wurde. Die versammelten Juden wurden nach Osten transportiert. Von dort wurden sie schließlich nach Auschwitz deportiert, wo sich die Namen der Eheleute Selma und Mayer Reich auf der Transportliste Nr. 49 vom 2. März 1943 befinden. Sie starben im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau oder – vermutlich – während des Transports.

Mit dieser Anzeige warb Adolf Goldmann über Jahre hinweg in den Theaterprogram-men des Friedrich-Theaters.

Geschäftsbriefbogen der Lederhandlung Adolf Goldmann, kurz vom dem 9. Novem-ber 1938

Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau

Lederhandlung Adolf Goldmann

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Die Gartenseite des Wohn- und Geschäfts-hauses Kavalierstraße 23. Hierin befand sich die Lederhandlung Adolf Goldmann, hier wohnten auch die Familien Alterthum und Dr. Michelsohn.

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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau

Lederhandlung Adolf Goldmann

11Kavalierstraße 23, heute: etwa Kavalierstraße 67Das Wohn- und Geschäftshaus befand sich ab 1883 im Besitz der Familie desHandschuhfabrikanten August Ohle und wurde 1906 durch das Familienmitglied, denRegierungsbauführer Max Ohle, durch einen 5-geschossigen Neubau ersetzt. Im Jahre 1919 erwarb der Kaufmann Adolf Goldmann, Kurz-, Galanterie- und Lederwaren, das Wohn- und Geschäftshaus.Adolf Goldmann wurde am 27.1.1880 in Pysznica (heute Polen) geboren. Er heiratete 1904 Hinde Klipstein. 1905 zogen die Eheleute nach Dessau. 1906 richteten sie in der Mittelstraße 8 ein Geschäft für Haushaltsbedarf, Lederwaren u. a. ein. Bald zählte der Kaufmann Adolf Gold-mann zu den erfolgreichsten Kaufleuten der Stadt.Adolf und Hinde Goldmann hatten fünf Kinder: Lotte (1905–1978, verheiratete Ickelheimer), Sally (1906–1925), Jenny (1908-2003, verheiratete Wahl), Martin (1913–1968), Malli (1918–1990).Im Jahre 1934 wurde Adolf Goldmann in den Landesverband der Israelitischen Gemeinden An-halts gewählt. Er stand als „Abraham Goldmann“ zusammen mit seiner Frau und Tochter Malli auf der berüchtigten Liste jüdischer Bürger, veröffentlicht am 8. November 1938 in Dessau, die als Aufruf zum Pogrom gemeint war. Nach der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 und der „Arisierung“ des Familienunternehmens 1938 emigrierte die Familie zwischen 1939 und 1940 nach Palästina. Tochter Lotte hatte bereits 1936 Deutschland verlassen. 1960 beging Adolf Goldmann seinen 80. Geburtstag, und das Paar feierte 1964 seine GoldeneHochzeit. In dem Haus Kavalierstraße 23 wohnten u. a. einige Zeit auch die jüdischen Familien Martin Alterthum und Dr. Georg Michelsohn (Eli Elkana).Das Haus wurde am 7. März 1945 durch Bomben zerstört, danach provisorischwiederhergestellt. 1960 wurde die Stelle in den Wohnblock Wilhelm-Pieck-Straße 67 (heute wieder Kavalierstraße 67) einbezogen.Seit 2008 erinnert eine Gedenktafel an die hier ehemals lebenden Familien am HausKavalierstraße 67 (etwa der Standort des früheren Wohnhauses). Am 3.4.2008, dem 100.Ge-burtstag von Jenny Goldmann-Wahl, wurde die Tafel von ihrem Sohn Chanania Wahl (der hier seinen 70. Geburtstag beging) enthüllt.Martin Althertum und Jenny Goldmann-Wahl ist es zu verdanken, dass 1971 eine Gedenktafel für die zerstörten jüdischen Gemeinden Dessau, Köthen, Bernburg und Zerbst auf dem Zions-berg in Jerusalem eingeweiht wurde. Der spätere Landgerichtsdirektor Martin Alterthum wurde am 31.8.1887 in Staßfurt als ältester von fünf Söhnen des Kaufmanns Adolf Alterthum geboren. Er wuchs in Bernburg auf, studierte Rechtswissenschaften und war als Freiwilliger im 1. Weltkrieg. 1920 trat er als Regie-rungsrat in den anhaltischen Staatsdienst ein. Zu diesem Zeitpunkt lebte er mit seiner Familie im Haus Lange Gasse 16. Später wechselte er in den juristischen Dienst und wurde Landge-richtsrat, 1929 Landgerichtsdirektor. 1924/25 war er in die Wohnung in der 2. Etage des Hauses Kavalierstraße 23 gezogen. Bereits zum 1. April 1933 wurde Martin Alterthum durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen. Als Nachfolger von Dr. Hermann Cohn wurde er 1933 zum Vorsteher der Israelitischen Kultusgemeinde gewählt. 1934 schied er aus, als er Dessau verließ und nach Leipzig verzog. 1939 emigrierte er mit seiner Frau Toni geb. Maschke nach Palästina. Er starb im Jahre 1976 in Israel.Der Zahnarzt und Schriftsteller Georg Michelsohn wurde am 11.12.1876 in Königsberg als Sohn des Kaufmanns Moritz Michelsohn geboren. Er besuchte das Kneiphöfische Gymnasium

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Lederhandlung Adolf Goldmann

11in Königsberg. Als die Eltern nach Berlin verzogen, ging er auf das Friedrichwerder’sche Gym-nasium. Nach dem Schulbesuch studierte er an der Friedrich-Wilhelm-Universität Zahnheil-kunde. 1911 ließ er sich in Dessau als Zahnarzt nieder; seine Praxis befand sich zunächst in der Fürstenstraße 8 (2. Etage). 1914–18 war er im Kriegsdienst. Später verlegte er seine Wohnung und Praxis in das Haus Kavalierstraße 23. Er emigrierte in den 1930er Jahren nach Israel. Er trat bereits in Dessau als Lyriker unter dem Pseudonym Eli Elkana hervor.Er starb am 5.12.1968 in Ramath Gan bei Tel Aviv.

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Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld/Textilwarenhandlung Hermann Gutmann

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Das Wohn- und Geschäftshaus Kavalierstraße 11. Hierin befand sich von 1873 bis 1900 die Zahnarztpraxis von Dr. Georg Hirschfeld und von 1904 bis 1933 die Textilwarenhandlung Her-mann Gutmann

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

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Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld/Textilwarenhandlung Hermann Gutmann

12Kavalierstraße 11, ab 1954 Wilhelm Pieck-Straße 66, heute: Kavalierstraße 66Der damalige Hof- und Geheime Archivrat Siebigk erwarb 1864 das Haus und ließ hier einen Neubau ausführen, der 1873 an den Kaufmann Paul Schwarzlose in Potsdam ging. Nur ein Jahr später ging es an den Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld (vorher siehe unter Hospitalstraße Nr. 163). Im Jahre 1904 erwarb Hermann Gutmann Haus und Grundstück Kavalierstraße11. Hermann Gutmann wurde 1857 in Jastrow in Westpreußen geboren. Er kam zusammen mit seiner Frau Emma geb. Simon (geb. 1863) im Jahre 1900 nach Dessau, wo er ein Textilgeschäft eröffnete. Die Familie wohnte im Haus Antoinettenstraße 38 (1. Etage) und betrieb sein „Geschäftslokal“ zunächst in der Kavalierstraße 36. Noch im Jahre 1904 ließ Hermann Gutmann das Haus niederreißen und an seiner Stelle ein großzügiges Wohn- und Geschäftshaus errich-ten, das Erdgeschoss für die Auslagen seines reichhaltigen Textilwarenangebotes. Es war eines der ersten Häuser der Stadt, das über eine moderne Zentralheizung und elektrisches Licht verfügte. In den oberen Etagen befanden sich die Wohnräume für die Familie.Haus und Geschäft übernahm im Jahre 1933 der Kaufmann Otto Nähser.Die Familie Gutmann blieb vorerst im Haus wohnen, ab 1934 ist Hermann Gutmann im Adress-buch als „Privatmann“ geführt. Hermann Gutmann war Mitglied der Repräsentantenversamm-lung der Israelitischen Kultusgemeinde. 1937 konnte das Ehepaar im Kreise seiner Kinder und Enkel die Goldene Hochzeit begehen.Gutmanns hatten fünf Kinder: Ernst, Hertha (geb.1886), Meta (geb. 1887), Else (geb. 1895) und Gertrud. Ernst starb 1916, Gertrud 1924. Hertha heiratete den Textilfabrikanten Max Braunsberg. Sie lebte mit ihren Kindern Hugo und Rosi in Berlin-Grunewald. Auch Else, verheiratete Jacobowitz, zog nach ihrer Hochzeit nach Berlin.Noch 1939 wurde das Ehepaar Gutmann mit ihrer Tochter Meta (sie blieb unverheiratet) unter der Adresse Kavalierstraße 11 registriert.Alle Drei wurden später Opfer des Holocaust, jedoch sind die genauen Umstände ihres Todes nicht bekannt. Die Töchter Herta und Else wurden 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.Das Gebäude überstand die Bombennacht vom 7. März 1945. Kaufmann Otto Nähser stellte das nur wenig beschädigte ehemalige Gutmann’sche Haus in einfachen Formen wieder her und eröffnet am 1. Dezember 1951 hier ein Textilhaus. Die Firma Otto Nähser KG, der auch ein Kaufhaus in Köthen gehörte, hörte 1974 auf zu bestehen. Das Gebäude wurde von der Verwal-tung des HO-Kaufhauses „Magnet“ übernommen.

Werbeanzeige für Dr. Georg Hirschfeld, Kavalierstraße 11.

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Moses Benjamin Wulff/Maudrys Weinhandel/Hagelsbergs Tuchgeschäft

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Blick in die Steinstraße nach Süden mit dem Neubau des „Goldenen Beutels“, neben dem die Fürstenstraße in die Steinstraße mündet. An der südlichen Ecke Fürstenstraße/Steinstraße befanden sich die Grundstücke von Moses Benjamin Wulff. Das Eckhaus ist Nr. 5, zuerst Maudrys Weinhandel und später Hagelsbergs Tuchgeschäft

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

Werbeanzeige L. Hagelberg

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Moses Benjamin Wulff, Maudrys Weinhandel, Hagelsbergs Tuchgeschäft

13Steinstraße 5, heute: etwa Steinstraße 2Eine wichtige Rolle in der Entwicklung und frühen Geschichte der jüdischen Gemeinde und des Fürstentums Anhalt-Dessau spielte der spätere Hoffaktor Moses Benjamin Wulff. Er errichtete sich an exponierter Stelle der Stadt, im Süden der Altstadt - auf der Stätte des alten „Jägerhauses“ -, unweit des fürstlichen Schlosses, ein „steinernes Haus“. Betreffs der Stätte des alten Jägerhauses heißt es bei Würdig (Chronik): „Die Häuser des Herrn Kaufmann Hagelberg (Nr. 351=5), des Juweliers Saran (Nr. 350=6) und Bankiers Sonnenthal (Nr. 348/49=7) sind als ein Haus vom Hofagenten des Fürsten Johann Georg II., Moses Benjamin Wulff, 1695 … erbaut worden, bald aber getrennt.“Der Hoffaktor Moses Benjamin wurde um 1661 geboren und starb am 29. 8. 1729 in Dessau und wurde auf dem israelitischen Friedhof beigesetzt. Er kam 1686 nach Dessau und wurde - mit der fürstlichen Familie eng vertraut - bald Hoffaktor Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau und blieb es bis zu seinem eigenen Tode auch unter Leopold I. Durch ihn erhielt Anhalt-Dessau eine regelmäßige Postverbindung nach Berlin, er richtete die „Fürstlich-Anhaltische Land- und Postkutsche“ ein, betreute das Münzwesen, pachtete das Elbzollhaus. Er finanzierte alle Trans-aktionen des Fürsten Leopold, nicht zuletzt auch die Standeserhebung Anna Louises in den Reichsfürstenstand durch Kaiser Leopold. Hervorzuheben ist sein Verdienst um dieErrichtung der ersten Druckerei in Dessau.Wulff war ein Nachkomme des gelehrten Rabbiners Moses Isserles in Krakau – auf den auch Moses Mendelssohn seine Familie mütterlicherseits zurückführte. Moses Benjamin hatte 1670 Zippora, Tochter des Berliner Hofjuden Berend Wulff geheiratet. Anfang der 1680er Jahre war er wegen seines Juwelenhandels in Differenzen mit dem dortigen Hofjuden Jost Liebmann geraten, vor Gericht gestellt und eine Zeit lang ins Spandauer Gefängnis gesperrt. 1686 wurde er von dem Liebmann und dessen Frau „vermittels allerhand jüdischer Praktiken und Beibrin-gung falscher, wenigstens ganz unordentlicher Zeugnisse in große Ungnade gebracht“. Am 15. November erhielt er deshalb den kurfürstlichen Befehl, binnen 24 Stunden mit all den Seinen Berlin zu verlassen, und bat am 17. November den Fürsten Johann Georg II. um Schutz und Aufnahme in Dessau.Das erste Haus (später Nr. 5) blieb nach Moses Benjamins Tod in der Hand seines Sohnes Elias Moses Wulff, auch nachdem dieser 1727 Konkurs gemacht hatte. Sein Hauptgläubiger Salo-mon Nathan Gans aus Hannover hielt sich am Gasthof „Zum Grauen Wolf“ und dem Gehöft in der Leipziger Straße Nr. 65 schadlos. Große Finanzoperationen wie sein Vater hat Elias Moses Wulff nicht getätigt, konnte es finanziell auch nicht. Die Pachtung des Elbzolls und der Akzise gab er ebenfalls auf. Die ererbten Häuser Nr. 341 und 342 verkaufte er 1730.Das Haus blieb mehrere Jahre unbewohnt, bis es 1761 der Bernburger Hofagent Moses Isaac erwarb und es noch im selben Jahr mit einem Aufschlag dem Schutzjuden Herz Jacob über-eignete, der mit Juwelen handelte. 1779 erbte es dessen Sohn Elkan Herz. Diesem zahlte dafür 1784 der jüdische Kaufmann Bernhard Maudry aus Genf 2.300 Taler.Maudrys WeinhandelBernhard Maudry ließ das Haus abreißen und einen Neubau an seine Stelle setzen. Das er-forderliche Baumaterial durfte er akzisefrei einführen und erhielt sogar aus dem Vorrat seines Landesherrn Fürst Franz 2 Schock pirnaische Grundsteine. Nach Dessau gezogen war Maudry bereits 1782. Sein Hauptgeschäft war der Handel mit Wein und Champagner neben einem Kleinverkauf von Messing-, Stahl- und Eisenwaren sowie Gelegenheitsgeschäfte mit Kupfersti-chen u. ä. Im Jahre 1784 gewährte ihm der Fürst auf die Weineinfuhr einen Akzise-Erlass von

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Moses Benjamin Wulff, Maudrys Weinhandel, Hagelsbergs Tuchgeschäft

1350 Talern. Drei Jahre später verbuchte das Akziseamt von Maudeys Weinhandel eine Einnahme von über 600 Talern, und dieser behauptete, der Handel könne noch besser sein, wenn die Akzise auf das Niederlagegeld für Wein und Champagner ermäßigt würden. Doch war der Amtskammerrat von Raumer (der spätere Kammerpräsident) dagegen.Ab 1804 brauchte Maudry nur noch 25 Taler Fixakzise jährlich zu entrichten und 1807 wurde diese auf 15 Taler herabgesetzt, „… da der Handel mit englischen Waren ungünstig war und sein Kleinhandel deshalb sehr nachgelassen hatte…“. Der Sieg Napoleons über Preußen 1806 und die Absperrung des europäischen Kontinents gegen England bedingten diesen Geschäfts-rückgang. 1806 musste Maudry das Grundstück mit 3.000 Talern Hypothek belasten; 1821 starb er. Bei der Erbteilung kam das mit 5.000 Talern angesetzte Haus, auf dem 8 Taler Erbzins lagen, an den Sohn Carl Marcus Maudry. Dieser führte den Weinhandel und das Metallwarengeschäft weiter, bis er 1830 das Haus für 7.175 Taler dem Kaufmann Louis Hagelberg abtrat.Hagelbergs TuchhandelKaufmann Louis Hagelberg gründete einen Tuchhandel, verbunden mit dem Verkauf von fertiger Garderobe. Er war seit den 1820er Jahren einer der Gemeindeältesten der Israelitischen Gemeinde. Obwohl die Schneiderinnung 1848 dagegen protestierte, durfte er sein Geschäft weiter betreiben. Er starb am 1.3.1863 in Dessau und wurde auf dem Israelitischen Friedhof bei-gesetzt. Seine älteste Tochter Mathilde heiratete 1846 M. Levinson aus Breslau, Sidonie heirate-te 1850 Georg Cohn aus Falkenberg (Schlesien), Ida heiratete 1854 Ferdinand Levy aus Bres-lau und die jüngste Tochter heiratete am 29.3.1862 den Gutsbesitzer Moritz Schlesinger aus Gaudau. Haus und Geschäft fielen an seinen einzigen Sohn Bernhard. Er wurde am 5.6.1825 in Dessau geboren. Am 25. März 1863 übernahm er die väterliche Firma L. Hagelberg in Dessau, und am 1. April 1864 erfolgte die Eintragung als „Louis Hagelberg“ im Handelsregister. Bernhard Hagelberg war von 1874 bis 1876 und erneut 1876 bis zu seinem Tod im Jahre 1882 Mitglied des Anhaltischen Landtages. Er starb am 11.7.1882 bei einem Kuraufenthalt in Marienbad und wurde auf dem Israelitischen Friedhof beigesetzt.Nach seinem Tod hinterließ er die „Hagelberg-Stiftung“, die alljährlich am Todestag des Stifters für vier würdige und bedürftige Einwohner der Stadt Dessau, die in Ausübung ihres Berufes in Unglück geraten sind, genutzt werden sollte. Seine Frau Marie geb. Groß (1830–1880) - die Heirat war 1858 - ist ebenfalls auf dem Israelitischen Friedhof beigesetzt. Dann kam das Geschäft in die Hände der Prokuristen Moritz Probst und Albert Steinthal, wäh-rend das Haus der Prokurist Eduard Ackermann erwarb. Die Erben Ackermanns verkauften es 1939 der Stadt Dessau. Von ihr tauschte es die Witwe des Buchdruckereibesitzers Walter Kniestedt gegen ihr bisheriges Grundstück Zerbster Straße 35 ein, das die Stadt zur Anlage ei-ner neuen Straße zur Muldbrücke verwenden wollte, ein Plan, der infolge des Krieges nicht zur Ausführung kam. Das vormals Ackermann’sche Haus wurde in der Bombennacht am 7. März 1945 zerstört. Die Stelle ist seit 1956/57 Teil des Wohnblocks Steinstraße 2–8.

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Bankhaus Sonnenthal

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Blick in die Steinstraße nach Süden, Nr. 6 am südlichen Ende rechts das ehemaligen Bankhaus Sonnenthal und dem Kaufmann Salomon Königsberg

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

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Bankhaus Sonnenthal

14Steinstraße 6, heute: etwa Steinstraße 6Dieses Haus war einige Zeit im Wulff’schen Familienbesitz (s. Nr.13: Moses Benjamin Wulff ). 1815 wechselte der Besitz an den Weinhändler Martin Lilia aus Wittenberg. Das abgabenfreie Haus kam nach Lilias Tod im Jahre 1831 für 4.000 Taler in die Hände seiner Tochter Marianne. Ihr zahlte der Bankier Bernhard Meyer 1837 dafür 3.300 Taler. Dessen Nachfolger wurden 1849 mit 3.500 Talern der Geheime Kabinettsrat und Theaterintendant Johann Georg von Berenhorst und 1852 dessen Witwe Oda geb. von Saldern. Auf sie folgte 1855 der Bankier August Sonnen-thal und nach dessen Tod 1864 Hugo Sonnenthal.Gegründet wurde das fast 100 Jahre lang in Dessau erfolgreich wirkende Bankhaus Sonnenthal von Samuel Sonnenthal (gest. 1855). Das Bankgeschäft betrieben hier zunächst die Geschwis-ter Sonnenthal gemeinsam: Samuel, Friederike, Jacob, Jermer (gest. 1865), Moritz und August (gest. 1867), danach wurde es unter Bankier August Sonnenthal fortgeführt.Nach August Sonnenthals Tod 1867 führte sein Sohn Hugo Sonnenthal (geb. 1845) das Bank-geschäft mit seinem Bruder Eugen bis 1870 weiter. Die Erben verlegten das Bankgeschäft in das Gebäude Kavalierstraße 26.Das Haus Steinstraße 6 kam in die Hände des Gymnasialprofessors Dr. Carl Böttger.Die Stätte des am 7. März 1945 zerstörten Gebäudes ist seit 1957/58 Teil des in Großblockbau-weise errichteten Wohnblocks Steinstraße 2–8.Kommerzienrat Hugo Sonnenthal wurde 1906 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt und war ab 1911 auch Königlich-Preußischer Lotterie-Einnehmer. Sein Sohn Richard, der bis 1913 in Dessau blieb, war wohl auch bis dahin am Bankgeschäft beteiligt. 1914 wurde das Bank-geschäft in die Mitteldeutsche Privatbank überführt. Hugo Sonnenthal gehörte fast vier Jahr-zehnte dem Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde an, die letzten 22 Jahre seines Lebens als dessen Vorsitzender. Er starb am 24.4.1921 im Alter von 76 Jahren in Dessau. Seine Witwe Adele geb. Lipmann (1853–1929) verzog nach Berlin, wo sie 1929 verstarb. Ihr Leichnam wurde nach Dessau überführt und an der Seite ihres Mannes auf dem Israelitischen Friedhof beigesetzt.

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Kaufmann Salomon Königsberg

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Blick in die ehem. Fürstenstraße nach Osten, rechts geht die Bürstenbindergasse ab. Das zweite Haus ist Fürstenstraße 1. Hier befand sich von 1864 bis ca. 1888 das Geschäftshaus von Salomon Königsberg

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

Der Ziergiebel am Haus des Kaufmanns Salomon Königsberg in Fürstenstraße 1 von Hofbildhauer Friedemann Hunold.

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Kaufmann Salomon Königsberg

151864 Fürstenstraße 1, heute: Wallstraße 25Das Haus ging 1782 an Simon Isaak Joel, genannt Schimme, über. Er kaufte 1804 das kleine Nebenhaus des Schneidermeisters Johann Georg Leopold Matthias hinzu, vereinigte es mit seinem Haus. Joels Grundstück kam 1829 an seinen Schwiegersohn, den Kaufmann Adolph Betzold und 1842 an dessen Sohn, Adolph Betzold jun. Den Frontgiebel zierte ein Relief des Hofbildhauers Hunold.Von Betzold erwarb es 1864 die Witwe Fanny Königsberg geb. Sonnenthal. Ihr Sohn Kaufmann Salomon Königsberg richtete hier sein Geschäft ein, und es erfolgte die Umbenennung in Fa. Sonnenthal & Königsberg OHG.1873 erbte Salomon Königsberg das Haus von seiner Mutter und blieb alleiniger Inhaber. Er starb wohl im Jahre 1886. Salomon Königsberg wurde am 30.4. 1877 zum Hoflieferanten ernannt. Womit er handelte, ist nicht bekannt.1886 kaufte das Haus der Korbmachermeister August Schurig, der es 1919 demKorbmachermeister Wilhelm Boas abtrat, von dem es im Jahre 1933 die Stadt übernahm. Das Haus fiel dem Großangriff vom 7. März 1945 zum Opfer. An seiner Stelle wurde 1957/58, in Zusammenhang mit dem Aufbau des Viertels Marktstraße/Steinstraße/östliche Askanische Straße, das Haus Wallstraße 25 in Großblockbauweise errichtet.

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Kaufhaus Eduard Borchardt

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Blick auf das Kaufhaus Eduard Borchardt, Kavalierstraße 18a und 18, der ehemalige Gasthof „Zum Wilden Mann“ und Restaurant „Askania“ gegenüber dem Museum für Naturkunde und Vorgeschichte

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

Verkaufsanzeige für das Kaufhaus Eduard Borchardt

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Kaufhaus Eduard Borchardt

16Kavalierstraße 18a und 18 (ehem. Gasthof „Zum Wilden Mann“, 18 und „Askania“, 18a), heute Freifläche vor dem Wohnblock Kavalierstraße 74–78

Der „Wilde Mann“ war um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert auch Herberge der Schuhmachergesellen. 1864 erbte ihn die Witwe Luise Diener, die 1867 eine zweite Ehe mit dem Gastwirt Gustav Rödiger einging. Als sie 1879 starb, fiel das Haus an ihre Tochter Caroline Diener, seit 1870 Ehefrau des Hoboisten Wilhelm Schulze. 1886 brannte der „Wilde Mann“ aus, und damit endete die Zeit der Gastwirtschaft. Schulzes setzten auf die Brandstätte einen zwei-stöckigen großen Neubau mit Geschäftsräumen im Erdgeschoss und Mietwohnungen in den beiden Obergeschossen. Das Haus gehörte ab 1908 der Witwe Schulze. Ihre Erbenverkauften es 1930 der Firma Eduard Borchardt. Ihm gehörte schon das Nachbarhaus Nr. 18. Bereits ab 1900/01 hatte der jüdische Kaufmann Eduard Borchardt im Erdgeschoss zusammen mit Martin Borchardt (sein Bruder?) das „Geschäftslokal“ für „Putz-, Mode- und Manufakturwa-ren, Geschäft für Herren- und Damenkonfektion“ geführt. Ende des Ersten Weltkrieges erwarb er vom Betreiber des Restaurants „Askania“ Franz Große das benachbarte Haus 18 a hinzu und hatte dadurch Gelegenheit, die Ladenfront mit großen Schaufenstern im Erdgeschoss zu ver-längern. Die Firma Eduard Borchardt, Putz- und Modewaren, Kleiderstoffe wurde ab 1919 von den Erben (Martin und Georg Borchardt in Schievelbein) fortgeführt. Sie mieteten außer dem Erdgeschoss auch die erste Etage und richteten ein Kaufhaus ein, 1930 wurden sie auch Haus-eigentümer. Im Oktober 1933 wechselte das Kaufhaus an „arische“ Betreiber: an die Kaufleute Stolze und Nähser, während der Kaufmann Borchardt nach Berlin ging. Ab 1935 war Otto Nähser alleiniger Eigentümer, der 1938 auch Besitzer des Hauses 18a wurde.Im Haus Kavalierstraße 18 befand sich das ehem. Restaurant „Askania“ von Gustav Diener. Es genoss einen guten Ruf, es blieb auch unter seinem Nachfolger Franz Große ab 1891 ein viel besuchtes Lokal. Die Gaststätte schloss im März 1920 ihre Pforten. Schon vorher hatte Franz Große das Haus dem Geschäftsmann Eduard Borchardt verkauft, der das Erdgeschoss zu Ladenräumen mit großen Schaufenstern umbaute. 1925 fiel es an seine Erben. 1938 wurde Kaufmann Otto Näser Besitzer auch dieses Hauses.Beide Gebäude brannten 1945 aus. Die Ruine wurde 1956 beräumt und 1957 die Stelle Stand-ort einer Kiosk-Gruppe und ist seit 1969 Vorplatz vor dem Wohn- und Geschäftsblock Kavalier-straße 74–84.

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Wäschegeschäft Josef Schuber

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Das Wohn- und Geschäftshaus Askanische Straße 39 a, in dem sich von 1922 bis 1938 das Wä-schegeschäft von Josef Schuber befand

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

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Wäschegeschäft Josef Schuber

17Askanische Straße 39 a, heute: Askanische Straße 54

Im Jahre 1891 wurde der westliche Teil des Grundstücks in der Askanischen Straße abgetrennt und mit dem neuen Haus Nr. 39 a besetzt. Dieses erwarb 1892 Klempnermeister Fritz Koch, dann wechselte es an den Kürschnermeister Julius Boege und von dessen Erben 1922 an den Kaufmann Josef Schuber (1881–1952), der hier ein Wäschegeschäft eröffnete.Ab dem Jahre 1909 lebte der aus Kulaskowce bei Kolomea in Österreich-Ungarn stammende Josef Schuber (1881–1952) mit seiner Frau Sophie in der damaligen Haupt- und Residenzstadt Dessau. Im Ersten Weltkrieg war er Feldsanitäter in der österreichischen Armee. Nach Ende des Krieges kehrte er nach Dessau zurück. Im Jahre 1929 erwarb er mit seiner Familie die anhalti-sche Staatsbürgerschaft, die ihnen 1935 aberkannt wurde.Mit seiner aus Przemysl stammenden Frau Sophie geb. Brecher-Wagenberg (1886–1949) führte er zunächst im Haus Askanische Straße 134, später in seinem Haus Askanische Straße 39a ein „Weiß-, Woll- und Kurzwarengeschäft“. Bald nach der Machtübernahme durch die National-sozialisten zog Paul Mayling mit einer Papier- und Geschenkwarenhandlung hier ein. Josef Schuber wurde am 10. November 1938 misshandelt und musste wegen eines dadurch ausgelösten Herzinfarktes ins Krankenhaus eingeliefert werden.Haus und Grundstück wurden im Dezember 1938 „arisiert“. Im Juli 1939 gelang den Eltern die Emigration nach Palästina; ihre zwei Söhne Alfred (Pinchas, geb. 1914) und Max (Mosche, geb. 1920) konnten 1933 und 1937 auswandern. Die Tochter Dora (geb. 1911) heiratete 1938 in Dessau Isidor (Issy) Feder (geb. 1913). Während Isidor die Flucht vor der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie gelingen konnte, wurde Dora 1942 in das Warschauer Ghetto depor-tiert und von dort 1943 in das Vernichtungslager Majdanek.Das Haus Askanische Straße 39 a wurde am Ende des 2. Weltkrieges zerstört. Die Ruine wurde beseitigt. Die Stelle ist seit 1968 Teil des Wohnblocks August-Bebel-Straße 58–54. Persönliche Erinnerungen der Familie Schuber vermittelt die Rede von Dan Schuber anlässlich der Verlegung von Stolpersteinen am 28.10.2010 an dieser Adresse.

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Restaurant „Zur Wolfsschlucht“

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Das Restaurant „Zur Wolfsschlucht“, Askanische Straße 35. Es gehörte ab 1825 Marum Wolf und wurde bald eine der besten Gasthäuser der Stadt. Nach seinem Tod betrieb die „Wolfsschlucht“ zunächst seine Witwe, dann bis 1868 seine Töchter.

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

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Restaurant „Zur Wolfsschlucht“

18Askanische Straße 35, heute: Askanische Straße 44In das Haus zog im Jahre 1772 die 1752 von Fürst Dietrich gegründete Freischule ein. 1786 wurde das Haus verkauft. 1825 kaufte es Marum Wolff. Er bekam eine Schankkonzession und machte aus der Schnapsstube eine Gaststube. Sie erhielt den Namen „Zur Wolfsschlucht“, weil in dem Dachstübchen des Hauses eine Zeit lang der Opernsänger Friedrich Kuhn (?–1867) ge-wohnt hatte, der den Dessauern als Kaspar im „Freischütz“ bekannt war. Der später berühmte Bass wurde 1838 an das Hoftheater als Herzoglicher Hofopernsänger engagiert.Wahrscheinlich hat aber auch der Name des Besitzers zum Namen beigetragen.Die „Wolfsschlucht“ war während der Revolution von 1848 das Lokal der Liberalen um die bei-den Minister Habicht und Köppe, während sich die kleinbürgerlichen Demokraten im „Adler“ versammelten.Wolff starb 1851, seine Witwe Emma 1855, seine Töchter Johanna und Lina bewirtschafteten die „Wolfsschlucht“ bis 1868 und verkauften dann Haus und Gaststätte dem Gastwirt Friedrich Reif.Im Jahr 1875 berichtete ein Korrespondent des „Berliner Tageblatts“: „Dessau ist unzweifelhaft eine der langweiligsten kleinen Städte, die man kennen lernen kann. … Die kleinen Kinder, die das Unglück haben, in der Kavalierstraße geboren zu werden, sterben gewiss zu allermeist bald wieder an Gähnkrampf. … Wie es scheint, gibt es in der Stadt nur einen einzigen Garten, in dem sich die gute Gesellschaft zusammenzufinden pflegt. Es heiß die ‚Wolfsschlucht’ …“.Im Jahre 1879 kam das Haus in den Besitz der Waldschlösschen-Brauerei, und es folgten ver-schiedene Pächter. 1901 erwarb es der Restaurateur Krauthause, unter dem die „Wolfsschlucht“ wegen des gepflegten Bieres und einer vorzüglichen Küche ein gut besuchtes Lokal wurde. Nach seinem Tod blieb das Restaurant im Besitz seiner Witwe Emma, die es verpachtete. Das Haus brannte am 7. März 1945 aus und wurde vom Goldschmied und Uhrmacher Bruno Wieckenberg wieder instand gesetzt (ab 1947 August-Bebel-Straße 44). In dem großen Laden, der früheren Wolfsschlucht, richtete die HO eine Fleischerei ein.

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Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim

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Die Häuser Steinstraße 56 bis 59 (von rechts nach links) nach dem Neubau des „Schwarzen Adler“. In Haus Nr. 57 befand sich von 1867 bis 1876 der Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

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Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim

19Steinstraße 57, heute: Teil der Grünfläche vor Askanische Straße 5Das Haus gehörte bis 1860 dem Schönfärber Friedrich Leopold Robitzsch, der hier seinem Gewerbe nachging. Von Robitzschs Erben kaufte das Haus der Handschuhfabrikant Karl Lange, der an die Stelle des baufälligen Fachwerkhauses einen massiven Neubau setzte. Im Jahre 1867 verlegten die Gebrüder Reichenheim ihren Tuch- und Manufakturwarenhandel sowie Engros-handel in den Neubau. Nach dem Tod des erfolgreichen Kaufmanns David Reichenheim hatten seine Erben das väterliche Geschäft übernommen. 1864 firmierten Kaufmann Hirsch Ruben Reichenheim, Witwe Johanne Reichenheim geb. Meyer, Robert Reichenheim, Thekla Reichen-heim, Mathilde Reichenheim, Hugo Reichenheim, Hedwig Reichenheim, Feodore Reichenheim in Firma Gebrüder Reichenheim. Prokurist wurde Julius Reichenheim, später Isidor Reichen-heim. Die Firma erlosch am 22. April 1876.Im Jahre 1885 übernahm Grundstück und Haus der Kaufmann Eduard Bloßfeld, dem 1901 der Bürstenfabrikant Wilhelm Greis und 1921 dessen Sohn Otto Greis folgten. Er war der letzte Besitzer des Hauses und Inhaber der Firma bis zur Zerstörung am 7. März 1957 im Zuge der Neugestaltung der Stadt. Seit 1962 ist der ehemalige Standort des Gebäudes Teil der Grün-fläche zwischen Kantorstraße und Ludwigshafener Straße.

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Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim

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Im Vordergrund die Häuser der alten Nummerierung 156 (Eckhaus) bis 158. In Nr. 158 (ab 1856 Hospitalstraße 77, ab 1887 Askanische Straße 161) befand sich von 1852 bis 1867 der Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim, heute: Teil der Fahrbahn und Fußgängerweg Kantorstraße

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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau

Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim

20Askanische Straße 161, heute: Teil der Fahrbahn und Fußgängerweg Kantorstraße Das Haus befand sich viele Jahre lang in jüdischem Besitz: 1811 kam es an den Schutzjuden Seelig Juda, der 1821 den Familiennamen Calmann annahm. Sein Nachfolger wurde 1841 der Schutzjude Seelig Isaak Cahn, von dem es 1847 der Mützenmacher Gustav Mayländer kaufte. Er ließ das „… gewiss unansehnlichste und baufälligste Haus der ganzen Stadt…“ niederreißen und an dessen Stelle „… ein massives dreigeschossiges Gebäude mit Souterrainwohnung…“ aufführen. Dadurch geriet er in finanzielle Schwierigkeiten, erhielt aus der Staatskasse eine zweite Hypothek von 1.000 Talern, obwohl gegen ihn seit 1848 ein Konkursverfahrenschwebte.Im Jahre 1852 wurde der Kaufmann David Reichenheim Eigentümer des Hauses und nach seinem Tod am 9. Februar 1862 seine Witwe Johanne, geb. Meyer.David Reichenheim betrieb hier ein Tuch- und Manufakturwarenhandel. Das Paar hinterließ eine große Kinderzahl: Hirsch Ruben, wohl sein ältester Sohn, gest. 4.9.1865, Hermine R., die den Architekten Lehmannbeer in Berlin heiratete, Julius R., der 1862 Flora Bertram aus Berlin heiratete, Kora, verheiratet mit Kaufmann S. Heinemann aus Büren, Robert, Thekla, Mathilde, Hugo, Hedwig und Feodore.Das Geschäft führten zunächst seine Erben weiter, Prokurist war der Sohn Julius Reichenheim. 1867 verlegten sie das Geschäft nach Steinstraße 57 (siehe Nr. 19).Das Haus Askanische Straße 161 ging 1867 in den Besitz des Lederwarenhändlers Friedrich Hesse über. Hier befand sich später die Zigarettenhandlung Busch. Das Haus wurde 1945 zer-stört. 1973 entstand hier die neu geschaffene Einmündung des Straße des NAW (heute Kantor-straße).

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Hermann Eiseck und die Dessauer Gewerbebank

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Das Wohnhaus des Kaufmanns Hermann Eiseck, Mitbegründer der Gewerbebank, in der Hospi-talstraße 73, das zweite Haus von rechts

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Hermann Eiseck und die Dessauer Gewerbebank

21Hospitalstraße 73, ab 1887 Askanische Straße 158, heute: Grünfläche, etwa auf Höhe der Gedenkstele Askanische Straße/Kantorstraße

Diese Baustelle bekam 1684 der Schutzjude Bernd David. Nachdem der Erbauer das Haus 1687 und 1689 mit 150 Talern verpfändet hatte, verkaufte er es 1689 für 225 Taler seinem Glaubens-bruder Philipp Moses, dem um 1726 der Jude Friebel und 1742 der Schutzjude Kauffmann Jacob folgten. Von ihm kauften es 1780 der Schutzjude Abraham Kauffmann, und nach dessen Tod 1816 waren die Besitzer die Gebrüder Moritz und Abraham Kauffmann. Sie waren in Kassel beheimatet und gaben es deshalb sofort für 2.200 Taler weiter an den Schutzjuden Isaac Hirsch, der sich 1821 den Familiennamen Eiseck zulegte. Er vermachte es 1850 seinem Sohn, dem Kaufmann Hermann Eiseck. Hermann Eiseck war bei der Gründung der Dessauer Gewerbebank im Jahre 1858 beteiligt. Infolge der damals einsetzenden Wirtschaftskrise war die Zahl der Genossenschaftler anfangs gering. Nachdem dann später das Unternehmen erfolgreicher wurde, stieg die Beteiligung auf über 400Dessauer Handwerker und Gewerbe-treibende. Hermann Eiseck wurde 1864 zum Vorsitzenden des Kuratoriums gewählt, und unter ihm begann die Bank, mit den Geldern zu spekulieren. Das ging bis zu den Gründerjahren gut, doch kamen nach 1872 große Rückschläge, die 1877 schließlich zum Zusammenbruch der Bank führten. Eiseck wurde steckbrieflich gesucht und setzte sich nach Amerika ab. Sein Haus kam unter den Hammer. Nach einem Brand des Nachbarhauses im Jahre 1868 hatte Eiseck – offenbar mit seinem Nachbarn – einen Neubau errichten lassen. Das Haus kam in den Besitz des Bäckermeisters Wilhelm Zickert. In dessen Familie blieb es bis zur Zerstörung am 7. März 1945. Die Ruine wurde nach 1945 abgetragen und an ihrer Stelle eine Grünfläche angelegt.

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Der erste Zahnarzt – Dr. Georg Hirschfeld

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Das Eckhaus Hospitalstraße 72 (später Askanische Straße 156). Dr. Georg Hirschfeld, der erste ständige Zahnarzt.

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Der erste Zahnarzt – Dr. Georg Hirschfeld

22Hospitalstraße 72 (später Askanische Straße 156), heute: Grünfläche Ecke Kantorstraße

Eigentümer des Hauses war im Jahre 1808 der Schutzjude und Pfandleiher David Mendel Salomon, nach dessen Tod 1844 Seilermeister Johann Friedrich Anton aus Wörlitz. In diesem Haus bezog 1860 der jüdische Barbier-Chirurg Georg Hirschfeld eine Mietwohnung und befasste sich vornehmlich mit der Zahnbehandlung. Schon 1861 bezeichnete er sich als Zahntechniker, empfahl Pariser Emaillezähne, das Stück 1½ bis 5 Taler, und setzte Transparent-zähne zum Preis von 1 bis 3 Talern je Stück „…ohne Schmerzen…“ ein. Im Jahre 1862 war er als Zahntechniker zugelassen und offerierte Kautschukgebisse für Ober- und Unterkiefer zum Preis von 50 bis 80 Taler. 1864 nannte er sich Dentist, 1866 erhielt er die Approbation als Zahnarzt und wurde Hofzahnarzt. Einige Jahre später promovierte er. Seine Praxis und Wohnung sind 1874 in seinem eben erworbenes Haus Kavalierstraße 11.Hirschfeld war offenbar der erste Zahnarzt, der ab 1860 ständig in unserer Stadt ansässig war. Das Haus Askanische Straße 156, das 1868 wie das Nachbarhaus abgebrannt war, baute Seiler-meister Anton neu auf. 1881 gab er Werkstatt und Geschäft an seinen Sohn Ernst Anton, der 1887 auch in den Besitz des Hauses kam, weiter. Ihm folgte 1893 Kaufmann Salomon Schwarz, nach dessen Tod 1910 seine Witwe Johanna, 1913 der Privatmann Friedrich Rose.Das Gebäude wurde am Ende des Zweiten Weltkrieges beschädigt und wieder bewohnbar gemacht. Das Erdgeschoss diente jahrelang dem Fotografen Erich Metzger als Atelier. Im Jahre 1960 wurde es zur Verbreiterung der August-Bebel-Straße abgetragen. Die Stelle ist seit 1973 Teil der Straße bzw. Grünfläche.

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Rechtsanwalt Dr. jur. Hermann Cohn

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Kavalierstraße 8. Hier wohnte von 1900 bis 1908 Dr. jur. Hermann Cohn und betrieb hier auch seine Kanzlei als Rechtsanwalt und Notar

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Rechtsanwalt Dr. jur. Hermann Cohn

23Kavalierstraße 8, heute: Teil des Stadtparks in der Nähe des Denkmals für die Opfer des FaschismusDer in Dessau geborene Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn zog im Jahre 1903 mit seiner Kanzlei sowie seiner Wohnung in die zweite Etage des Wohn- und Geschäftshauses Kavalierstraße 8. Dieses Haus war viele Jahre im Eigentum des Konditormeisters Franz Voigt, der hier ein gut gehendes Café betrieb. Das Haus stammte noch aus der Zeit der Erstbebauung der Kavalier-straße des frühen 18. Jahrhunderts. Im Erdgeschoss links vom Eingang befand sich von 1865 bis 1898 die Geschäftsstelle des Dessauer Sparvereins, eine Kombination von Wohltätigkeits-verein und Sparkasse. Einmal sammelte man freiwillige Beiträge bei den gut situierten Bürgern, um sofort helfend eingreifen zu können, zum anderen forderte man die unbemittelten Ein-wohner zur Selbsthilfe auf. Der Sparverein erwarb 1908 das Haus Fürstenstraße 8 und endete in den Zeiten der Inflation.Konditor Voigt schloss im Jahre 1897 sein gut besuchtes Café und veräußerte das Grund-stück an den Schneidermeister Bebber, dessen Kundschaft aus dem gehobenen Bürgertum und dem Offizierscorps kam. Das alte Haus ließ er abreißen und an seiner Stelle ein vier-geschossiges Gebäude errichten. Es verfügte im Erdgeschoss über Geschäftsräume mit großen Schaufenstern und in den Etagen komfortable Wohnungen, für die Bebber aber nur schwer zahlungskräftige Mieter fand. Den Laden rechterhand übernahm das Maßatelier der Firma Bebber mit einem großen Tuchlager. Um seine Schuldenlast abtragen zu können, richtete er im Laden linkerhand – nach dem Vorbild von Aschinger in Berlin – ein Selbstbedienungs-restaurant als „Bebbers Automat“ ein (eröffnet am 8. April 1911). Dennoch wurde die Schulden-last Bebbers nicht geringer, und er musste 1919 sein Haus seinen Gläubigern überlassen.Bis 1905 blieb Dr. Hermann Cohn in der Kavalierstraße wohnen, verlegte seine Kanzlei kurz-zeitig nach Zerbster Straße 51b. Schon nach einem Jahr kehrte er in das Haus Kavalierstraße 8 zurück und mietete sich diesmal in der ersten Etage mit Wohnung und Kanzlei ein.Hermann Cohn trat neben seiner rechtsanwaltlichen Tätigkeit auch bald politisch in Erschei-nung, zunächst in der Fortschrittspartei, später in der Deutschen Demokratischen Partei. Er war von 1900 bis 1918 als Stadtverordneter Mitglied des Dessauer Gemeinderates und von 1902 bis 1918 des Anhaltischen Landtages. Vor allem in der Zeit der Weimarer Republik wurde er zu einem der wichtigsten anhaltischen Landespolitiker. Er war als Staatsrat auch Mitglied aller anhaltischen revolutionären Nachkriegsregierungen und 1918-24 Mitglied des anhaltischen Landtages.Das Gebäude wurde am 7. März 1945 zerstört und später abgetragen.

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Kaufhaus Joske

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Das Kaufhaus Joske, Askanische Straße 138 (Ecke Neue Reihe)

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Kaufhaus Joske

24Askanische Straße 138, ab 1910 Neue Reihe 1 vereinigt, heute: Askanische Straße 45

Im Jahre 1900 kaufte der Kaufmann Emil Joske das Eckhaus Askanische Straße / Neue Reihe für 54.000 Mk., der hier mit seinem Compagnon Siegfried Meyerstein ein Kaufhaus mit „Putz- und Manufakturwaren“ eröffnete. Das Kaufhaus wurde im Jahre 1910 – unter Einbezierung der Häuser auf den Grundstücken Neue Reihe 1/2 – im späten Jugendstil neu erbaut. Die großen Schaufenster gingen wie beim gegenüberliegenden Eckfenster von Allner/Ziegenhorn eben-falls über zwei Etagen.Emil Joske scheint nie in Dessau gelebt zu haben, denn er wird als in Weißenfels lebend in den Adressbüchern geführt. Auch in Leipzig gab es ein erfolgreiches Kaufhaus Joske, als 1904 der Kaufmann Michael Max Joske im westlichen Stadtteil Plagwitz ein Unternehmen als M. Joske & Co. firmierte. Es war das erste Kaufhaus in Plagwitz. Ob es sich dabei um einen Verwandten von Emil Joske handelt, ist nicht bekannt. Emil Joskes Kompagnon Siegfried Meyerstein wurde1870 in Leipzig geboren. Er führte das Geschäft unter dem Namen Firma Joske & Co. ab 1925 fort. Siegfried Meyerstein war ein aktives Mitglied der Israelitischen Gemeinde Dessau, hier vor allem als Vorsitzender der Chewra Kadischa.Das Unternehmen wurde 1936 an Kurt Engelbrecht abgegeben, womit auch dieses ehemalige jüdische Kaufhaus arisiert wurde. 1940 waren „Joskes Erben“ Eigentümer von Grundstück und Gebäude, 1944 das „Deutsche Reich“.Das Gebäude ist am 7. März 1945 ausgebrannt und wurde provisorisch wiederhergestellt. Im Jahre 1968 wurde es im Rahmen der „sozialistischen Rekonstruktion“ des Stadtzentrums gesprengt. Die Stelle ist seit 1970 in die Verbreiterung der August-Bebel-Straße bzw. den Block August Bebel-Straße 45–49 einbezogen (= 45).

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Das Kaufhaus Hugo Rosenthal

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Das Kaufhaus Hugo Rosenthal, Askanische Straße 137

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Das Kaufhaus Hugo Rosenthal

25Askanische Straße 137, 1910 mit dem Nachbarhaus Nr. 136 vereinigt, heute: Askanische Straße 47

Grundstück und Haus waren lange Jahre im Eigentum des einzigen Dessauer Gelbgießers Nathanael Abraham Jollage, der 1768 aus Berlin in die Stadt Dessau gekommen war und 1814 verstarb. Haus und Grundstück blieben in Familienbesitz, bis sie 1887 der Zigarrenfabrikant Friedrich Thomas und 1909 der Fleischermeister Richard Limmer erwarben. Limmer ließ hier 1910, wie sein Nachbar zur Linken Joske, und unter Einbeziehung des rechten Nachbarhauses Askanische Straße 136, einen Neubau aufführen. Dieser gehörte ab 1934 Limmers Erben. Die Geschäftsräume im Erdgeschoss mietete ab dem Jahre 1919 Kaufmann Hugo Rosenthal, dessen Kaufhaus bis 1930 bestand.Hugo Rosenthal ist ab 1909 in Dessau als Kaufmann, und zwar damals im Wohn- und Ge-schäftshaus Askanische Straße 36, das sich im Besitz des Gastwirts Dose befand, nachzuweisen. Das Kaufhaus Rosenthal scheint bis 1930 existiert zu haben, danach wurden die Räume von Otto Günther betrieben. Außerdem verkaufte der Italiener Toscani hier ab 1938 in den Sommermonaten echt italienisches Speiseeis.Das Gebäude ist am 7. März 1945 ausgebrannt, wurde danach teilweise provisorischwiederhergestellt, in dem Paul Kurth Ende April 1954 eine Eisdiele – die erste in Dessau nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – eröffnete. Das Gebäude wurde 1968 abgerissen. Die Stelle ist seit 1970 in den Block August-Bebel-Straße 45–49 einbezogen (= 47).

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Das Schuhwarenhaus Markus Rosenkranz

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In dem Wohn- und Geschäftshaus Askanische Straße 135 befand sich von1920 bis ca. 1930 das Schuhwarenhaus Markus Rosenkranz

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Das Schuhwarenhaus Markus Rosenkranz

26Askanische Straße 135, heute: Askanische Straße 49In diesem Haus (ab 1893 Eigentum des Kaufmanns Hermann Lüdicke, 1926 nach dessen Tod seiner Witwe Martha, geb. Weertz) befand sich im Erdgeschoss ab dem Jahr 1920 das Schuh-warenhaus Markus Rosenkranz.Markus Rosenkranz hat wohl darauf das Haus gekauft, starb aber bereits ein Jahr später. Erbin wurde seine Witwe Jente geb. Mautner, die einige Jahre auch das Geschäft weiterführte. Die Verkaufsräume übernahm im Jahre 1935 der Klavierstimmer Fritz Erber mit einer Musik-instrumentenhandlung. Das Gebäude Askanische Straße 135 wurde am 7. März 1945 zerstört. Die Stelle ist seit 1970 in dem Wohnblock Askanische Straße 45–59 einbezogen (= 49).

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Dr. Adolph Arnhold – Arzt und Politiker

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Kreuzung Kavalierstraße/Franzstraße, Blick in Franzstraße nach Süden, links die Adler-Apotheke, rechts das Restaurant „Stadt Rom“. Das Haus Franzstraße 9 (später 8), Wohnhaus von Dr. Adolph Arnhold, befand sich weiter südlich auf der rechten Seite,

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Dr. Adolph Arnhold – Arzt und Politiker

27Franzstraße Nr. 9, ab 1901 Nr. 8, heute: Vorplatz vor dem Neubaublock Franzstraße Der Augenarzt und Politiker Dr. Adolph Arnhold entstammte einer seit Mitte des 18. Jahrhun-derts in Dessau ansässigen jüdischen Familie. Er wurde am 17.12.1810 als Sohn des Händlers Abraham Meyer (gest. 1808) geboren. Nach seinem Besuch der Franzschule und des Gymnasi-ums in Dessau (1826 nach Prima) folgte ein Studium zunächst der klassischen Sprachen, dann der Medizin in Halle und Berlin. 1832 promovierte er in Halle, und 1833 ließ er sich in Dessau als Armen- und Gemeindearzt nieder.Im Jahre 1843 heiratete er Mathilde Cohn aus Berlin. In Dessau wurde er in der Revolutionszeit 1848/49 politisch aktiv und war u. a. am 29. April 1849 zum Stadtverordneten gewählt. Die Abgeordneten des Vereinigten Landtages von Anhalt-Dessau-Köthen übertrugen ihm das Amt des stellvertretenden Schriftführers. 1849 wurde er Mitglied der Herzoglichen Medizinal-Deputation, und in der sich neu konstituierenden Israelitischen Kultusgemeinde gehörte er dem Vorstand an. Im Jahre 1852 trat er von allen Ämtern zurück und zog sich enttäuscht vom politischen Leben zurück. Im Jahre 1866 verzog er mit seiner Frau nach Berlin, wo er denArztberuf aufgab und eine Buchhandlung mit Leihbibliothek betrieb.1858 erwarb er das Haus Nr. 227, später Franzstraße 9, später Nr. 8. Im Jahre 1866 verließ die Familie Dessau. Ihre Kinder waren: Max, Eduard und Georg.Sein Sohn, der spätere bedeutende Unternehmer und Kunstmäzen Eduard Arnhold, wurde am 10.6.1849 in Dessau geboren. Nach dem Besuch der Dessauer Franzschule war er ab 1863 Lehrling und ab 1871 Prokurist und schließlich ab 1882 Firmenchef bei einem Berliner Kohlen-händler. Führend beteiligte er sich an der Entwicklung des oberschlesischen Kohlenbergbaus sowie auch der chemischen und Gasindustrie. Er wurde im Jahre 1900 Aufsichtsratsvorsitzen-der der Berlin-Anhaltischen Maschinenbau AG (BAMAG) und 1903 in den Zentralausschuss der Reichsbank berufen. Ab 1913 war er Mitglied des Preußischen Herrenhausessowie Mitglied der deutschen Delegation bei den Konferenzen von Versailles (1919), Spa (1920) und London (1921). Er erwarb sich Verdienste bei der Förderung der Naturwissenschaften (als Senator der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft) sowie als Kunstsammler und Mäzen für die Berliner Museen. Als Kunstsammler war er als so sachverständig anerkannt, dass er 1911 als einziger Fachfremder in die Ankaufskommission der Nationalgalerie berufen wurde. Er stiftete 1910in Verbindung mit dem preußischen Fiskus die Stiftung Deutsche Akademie Villa Massimo in Rom, deren Vorsitzende seine Urenkelin Elisabeth Wolkelm heute ist. Er war Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften. Er starb am 10.8.1925 in Neuhaus am Schliersee.Das Wohnhaus Arnhold in der Franzstraße wurde in den 1950er Jahren abgetragen und ist seit 1973 Teil der Museumskreuzung.

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Das Bankhaus I. H. Cohn

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Das Stammhaus des Bankhauses I. H. Cohn, Kavalierstraße 32 (rechts)

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Das Bankhaus I. H. Cohn

28Kavalierstraße 32, heute Vorplatz vor der „Scheibe Nord“

Das Grundstück erwarb im Jahre 1817 die herzogliche Regierung für 1.025 Taler, die im darauf folgenden Jahr einen Neubau errichten ließ. Da bei dem öffentlichen Verkaufstermin 1819 für das neue Haus nur ein Höchstgebot von 3.200 Talern abgegeben wurde, was keineswegs den Baukosten entsprach, wurde das Haus nicht verkauft, sondern das Erdgeschoss an die Medizi-nal- und Armenkommission und die obere Etage für 120 Taler an den Bankier Itzig Hirsch Cohn aus Wörlitz vermietet.Er wurde am 21.10.1777 in Wörlitz als Sohn eines Wörlitzer Schutzjuden geboren. Cohn hatte für sich und seine Familie das Schutzrecht in Dessau erworben und betrieb ab 1817 in der Kavalierstraße 26 ein Leihhaus – er durfte sich damit als erster Jude außerhalb der Sandvorstadt niederlassen.Dieser verlegte nun sein Leihhaus von Kavalierstraße 26 nach Nr. 32. Im Jahre 1830 erwarb er das gesamte Haus für 4.600 Taler mit der Auflage, es im Fall der Weiterveräußerung nicht an einen Juden zu verkaufen. 1833 erhielt Itzig Hirsch Cohn die Konzession zur Errichtung der ersten Sparkasse, die er bis 1849 innehatte. Itzig Hirsch Cohn wurde 1861 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt und starb am 1. November 1863 im gesegneten Alter von 86 Jahren.Er war mit Marianne C. (1787–1879) verheiratet. Sein Sohn Moritz, führte das Bankhaus nun allein weiter. Das Cohn’sche Leihhaus war 1853 aufgelöst worden.Moritz Cohn wurde am 19.9.1812 in Wörlitz als Sohn des Schutzjuden Itzig Hirsch Cohn ge-boren. Moritz trat im Jahre 1839 als Kompagnon in das väterliche Unternehmen ein, weitete das Familienhaus und baute es zur Anhalt-Dessauischen Landesbank aus. Herzog Leopold IV. Friedrich ernannte ihn 1850 als Kommerzienrat zum Herzoglich-Anhaltischen Hofbankier und verlieh ihm - als erstem Juden - den anhaltischen Hausorden Albrechts des Bären. 1854 zum Geheimen Kommerzienrat und 1866 zum Geheimen Finanzrat ernannt, wurde er 1880 Gehei-mer Oberfinanzrat und schließlich 1881 Wirklicher Geheimer Rat. In der Revolutionszeit lernte Moritz Cohn in Berlin den damaligen Prinzen (späteren Kronprinzen und König von Preußen sowie ersten deutschen Kaiser) Wilhelm kennen, dessen Flucht nach England Moritz Cohn finanzierte. Wilhelm I. machte Moritz Cohn im Jahre 1859 zum Hofbankier. 1869 wurde er durch den Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha in den erblichen Freiherrenstand erhoben. Die Stadt Dessau ernannte Baron Moritz von Cohn im Jahre 1892 zu ihrem Ehrenbürger. 1863 förderte er den Ankauf des Geburtshauses von Moses Mendelssohn durch den Leipziger Jüdischen Verein, um das Haus als Gedenkstätte zu erhalten. Aus seinem hinterlassenen um-fangreichen Vermögen stiftete Moritz von Cohn der Stadt Dessau u. a. das Denkmal für Kaiser Wilhelm, das bis 1942 in der Kaiserstraße (heute Fritz-Hesse-Platz) stand. Baron Moritz von Cohn starb am 30.4.1900 im Alter von 88 Jahren in Dessau und wurde auf dem israelitischen Friedhof beigesetzt. Er war mit Charlotte Wolff, Tochter des Bankiers Wolff aus Bonn, verheiratet. Charlotte Cohn ließ sich später von ihrem Mann scheiden und heiratete einen Pariser Zeitungs-verleger. Die einzige Tochter war die Baronin Julie Cohn-Oppenheim, später bedeutende Mäzenin der Stadt Dessau und der Israelitischen Kultusgemeinde Dessau.Das ehem. Bankhaus wurde nun Sitz des Bankhauses Maerker, langjähriger Prokurist. Das Bankhaus wurde 1935 arisiert und das Gebäude Sitz der I. H. Cohn-Stiftung (bis 1938). Diese wurde enteignet und zum Haus des SS-Abschnitts 16 (Schutzstaffel der NSDAP).Am 7. März 1945 fiel das Haus den Bomben zum Opfer, die Ruine wurde bereits Mitte der 1950er Jahre abgetragen.

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Palais der Baronin Julie von Cohn-Oppenheim (Messelhaus)

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Das zwischen 1901 und 1902 neu errichtete Palais der Baronin von Julie von Cohn-Oppenheim (Messelhaus), Kavalierstraße 33 (Fotografie nach 1933)

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Blick von Osten in den Garten des Messelhauses mit dem Turm des Hauptpostgebäudes.

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Palais der Baronin Julie von Cohn-Oppenheim (Messelhaus)

29Kavalierstraße 33, heute Westgiebel der „Scheibe Nord“

Haus und Grundstück kamen im Jahre 1782 in den Besitz von Marius Heinrich Wilhelm Sie-bigk, in dessen Familie sie bis 1846 verblieben. Nach Wilhelm Siebigks Tod fiel das Haus an den Sohn Leopold Wilhelm Ludwig Siebigk, fürstlicher bzw. herzoglicher Kammersekretär, später Kammerdirektor. Er ließ 1840 das Haus in spätklassizistischen Formen durch einen einstöckigen Neubau von neun Achsen mit einem Mittelrisalit und Toreinfahrt rechterhand ersetzen.1846 kaufte es von Siebigks Erben der Bankier Itzig Hirsch Cohn, der im Nachbarhaus (Nr. 33) wohnen blieb und nur den großen Garten nutzte. Ihm folgte im Besitz des Hauses 1852 sein Sohn Moritz Cohn und nach dessen Tod im Jahre 1900 seine Enkelin, die Baronin Julie von Cohn-Oppenheim. Auf der Stelle des klassizistischen Palais ließ Julie von Cohn-Oppenheim 1901 ein modernes Palais errichten. Der Entwurf stammte von Alfred Messel. Julie wurde am 5.11.1839 in Berlin geboren. Sie heiratete 1858 den Bankier Ferdinand Oppenheim aus Breslau und lebte mit ihm abwechselnd in Breslau und Wiesbaden. Die Ehe war unglücklich, und ihr waren keine Kinder beschieden. Schon früh entfaltete sie ein reges Kunst- und Bildungsinteres-se und trat als segensreiche Wohltäterin auf. Nachdem ihr Vater 1900 gestorben war, erbte Julie ein großes Vermögen. In Tradition ihres Vaters tat auch sie in Dessau viel für das Allgemeinwohl und stiftete bzw. förderte u. a. die Alexandraschule und deren Kindergarten sowie die spätere städtische Handelsrealschule. Handwerkerlehrlinge und Studenten erhielten aus Stiftungs-mitteln weitgehende Förderung. Am 30. April1901, dem ersten Todestag ihres Vaters, wurde ihr als erster (und bisher einziger Frau) die Ehrenbürgerschaft verliehen, „in Anerkennung ihrer in wahrhaft großherziger Weise durch Schenkungen und Stiftungen für die Stadt Dessau betä-tigten Liebe zu ihrer Vaterstadt“. Am gleichen Tag wurde der Grundstein für ein vornehmlich von ihr finanziertes Armenstift gelegt. Die Straße, an der es errichtet wurde, erhielt den Namen „Cohn-Oppenheim-Straße“, die durch die Nationalsozialisten 1935 in „Fröbelstraße“ umbenannt wurde.Mit dem von ihr neu errichteten Palais in der Kavalierstraße, neben dem Bankhaus Cohn, verband sie die Vorstellung, in Dessau ihren Lebensabend zu verbringen und ihr Haus zu einer Stätte der Geselligkeit und zur Pflege der Kunst, besonders der Musik, zu machen. Aber es war ihr nur vergönnt, einen Tag und eine Nacht darin zu verbringen. Baronin von Cohn-Oppen-heim starb am 5.1.1903 in Berlin. Ihr Leichnam wurde in Gotha eingeäschert und im Grab ihrer Eltern auf dem Israelitischen Friedhof in Dessau beigesetzt. In ihrem Testament vermachte sie der Stadt sowie der Israelitischen Kultusgemeinde je 5 Millionen Mark. Die Cohn-Oppenheim-Stiftung wurde ins Leben gerufen und damit der Stadt neue Möglichkeiten zu einer kulturellen Entwicklung gegeben. Sie finanzierte daraus die Volks-bibliothek und Lesehalle, gab Zuschüsse zum Bau der Städtischen Schwimmhalle und von Schulen, verteilte Präbenden an alte und hilfebedürftige Bürger sowie Ausbildungsbeihilfen für Jugendliche. Ihr Palais in der Kavalierstraße fiel an den Herzog. Der 1904 auf den Thron gelangte Herzog Friedrich II. wusste mit dem Haus nichts anzufangen und überließ es 1910 leihweise der Stadt Dessau zur Einrichtung des Landesmuseums. Daneben diente das prächtige Haus ab dem Jahre 1920 zu repräsentativen Zwecken und lud im Namen des Ober-bürgermeisters zu geselligen Abenden.Das Messelhaus wurde 1922 durch die Stadt angekauft und beherbergte bis 1933 die Dienst-wohnung des Oberbürgermeisters. 1933 wurde das von einer Jüdin errichtete repräsentative Haus Amtssitz des „Reichstatthalters in Braunschweig und Anhalt“.

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Palais der Baronin Julie von Cohn-Oppenheim (Messelhaus)

29Beim Angriff vom 28.5.1944 wurde das Haus zur Hälfte zerstört, nach dem 7.3.1945 standen noch erhebliche Teile. Ab Sommer 1946 wurden Wiederaufbauarbeiten begonnen, 1947 abgebrochen und die Reste der Ruine Ende der1950er Jahre abgetragen.Auf der Stätte des Messelhauses und seines großen Gartens wurde 1964–66 der erste moderne Wohnblock neuerer Zeit, die „Scheibe Nord“ errichtet.

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Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn

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Blick auf den Kleinen Markt (Marktplatz). In dem viergeschossigen Eckhaus zur Böhmischen Straße lebte und arbeitete zwischen 1897 und 1900 der Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn

© Stadtarchiv Dessau

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Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn

30Zerbster Straße 56, heute Zerbster Straße 18Das Wohn- und Geschäftshaus Zerbster Straße 56 war zwischen 1897 und 1903 die zweite Ge-schäftsadresse Dr. Cohns in seiner Rechtsanwaltstätigkeit. Der Vater, Kaufmann Heymann Cohn, heiratete am 13. Oktober 1868 in Dessau Sidonie Dahlheim. Sie lebten zu dieser Zeit im Haus Schulstraße 9, das 1889 in die Erweiterung des Rabbiner- und Schulhauses einbezogen wurde. Am 28.10.1869 wurde dem jungen Paar der Sohn Hermann, am 21.11.1871 die Tochter Sidonie, die am 11.9.1871 starb, und am 23.5.1879 eine weitere Tochter geboren.Hermann Cohn besuchte in Dessau das Gymnasium und wurde 1887 nach Prima versetzt. 1889 erwarb sein Vater das Haus Fürstenstraße 6. Er wurde Lotterie-Kontrolleur, erhielt den Titel Hofagent verliehen und war auch gerichtlich vereidigter Taxator. Ab 1888 studierte Hermann Cohn Rechtswissenschaften. Nach dem zweiten Staatsexamen kehrte er als promovierter Refe-rendar 1895 in seine Vaterstadt zurück und ließ sich im väterlichen Haus Fürstenstraße 6 nieder. 1897 gründete er seine eigene Kanzlei, die er in dem Haus Zerbster Straße 56 einrichtete.Dieses Haus spielte in der Dessauer Geschichte mehrfach eine Rolle: Hier befand sich, in einem barocken Gebäude, die Föhse’sche Apotheke und war damit das Elternhaus der späteren Fürstin Anna Louise. Im 19. Jahrhundert gehörte es dem Stadtphysikus Dr. med. Kretzschmar, Reformator des Gesundheits- und Armenwesens im Herzogtum Anhalt-Dessau. Daneben kümmerte er sich auch um das Entstehen eines Theaterlebens und war zwischen 1771 und 1793 Kopf des „gesellschaftlichen Theaters“ und ließ durch Erdmannsdorff im nicht genutzten Brauhaus einen ordentlichen Theaterraum einrichten. Nach den Befreiungskriegen erwarb das Haus der Kaufmann Johann Friedrich David Fiedler, der seit 1810 bereits das Nachbarhaus be-saß. Sein Sohn spielte als Demokrat und Stadtrat in den Märztagen 1848 eine Rolle. Er trat 1852 enttäuscht von allen seinen Ämtern zurück.1905 wurde der Architekt Wilhelm Stieler Eigentümer des Hauses, der sogleich den Neubau eines großen Eckhauses aufführte. Um das Jahr 1918 erwarb Dr. Hermann Cohn das Haus Antoinettenstraße 8, in dem er dann bis zu seinem Tode im Jahre 1933 arbeitete und lebte.

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Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn

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Blick in die Antoinettenstraße nach Norden. Auf der rechten Straßenseite befindet sich das Haus Nr. 8. Es erwarb um 1918 Rechtsanwalt und Notar Dr. Hermann Cohn.

© Stadtarchiv Dessau-Roßlau

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31. Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn

31Antoinettenstraße 8, heute etwa Antoinettenstraße 8?

Um das Jahre 1918 erwarb Dr. Hermann Cohn das stattliche Wohnhaus Antoinettenstraße 8. Die Antoninettenstraße war eine zentrale Achse des „neuen Stadtviertels“ zwischen Kavalier-straße und Bahnhof und mit repräsentativen Häusern und öffentlichen Gebäuden der wilhel-minischen Zeit bebaut. Er zog in das Erdgeschoss mit der Kanzlei ein und mit seiner Familie in die erste (= belle) Etage. In seine Kanzlei trat zunächst Dr. Riemeyer und später Dr. Sonder ein. Auch nach seinem Aus-scheiden aus der aktiven Politik zum Ende der 1920er Jahre behielt er maßgeblichen Einfluss auf die Politik der Regierung wie auch der liberalen Deutschen Demokratischen Partei in An-halt. Er starb am 24. Januar 1933, eine Woche vor der „Machtergreifung“ Hitlers und wurde auf dem Israeltischen Friedhof von Dessau beigesetzt.Von seinem Haus in der Antoinettenstraße aus sollte er bis zu seinem Tod im Jahre 1933 zu den bedeutendsten Dessauer bzw. Anhaltischen Persönlichkeiten jüdischen Glaubens zählen, der mit seinem öffentlichen Wirken an vorderster Stelle des gesellschaftlichen Lebens der Haupt- und Residenzstadt auch in republikanischer Zeit stand.