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HISTORISCHES JAHRBUCH IM AUFTRAGE DER GÖRRES.GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON JOHANNES SPöRL 74.JAHRGANG t 955 VERLAG KARL ALBER MONCHEN-FREIBURG

HISTORISCHES JAHRBUCH - Informationssystem der MGH … › dokumente › z › zsn2a031930.pdfschnitt aus Forschungen präsentiere, die ich einmal zu einer "Geschichte Spaniens

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  • HISTORISCHESJAHRBUCH

    IM AUFTRAGE DER GÖRRES.GESELLSCHAFT

    HERAUSGEGEBEN VON

    JOHANNES SPöRL

    74.JAHRGANG

    t 955

    VERLAG KARL ALBER MONCHEN-FREIBURG

  • Der König von AragonSeine Stellung im Staatsrecht (1276 - 1410)

    von PERCY ERNST SCHRAMM·

    Das Mittelalter hat eine ganze Reihe von Verkoppelungen ver-schiedenartiger Reiche erlebt. Polen und Litauen sind zusammen ge-blieben; die Kalmarer Union zwischen Schweden, Norwegen undDänemark ist zerbrochen; England und Schottland haben sich zu-nächst wieder getrennt und, wenn Ungarn und Böhmen nicht gleich-zeitig habsburgisch geworden wären, so wären auch ihre Wege sicher-lich wieder auseinandergelaufen. Das komplizierteste Gebilde wardas Heilige Römische Reich, das nur noch zu regieren war, wenn seinOberhaupt eine starke Hausmacht - Böhmen, Österreich, Bayernoder Ungarn - besaß; es sah daher einen Grenzbereich nach demanderen seiner Machtsphäre entgleiten. Die Nachkommen der Gra-fen von Barcelona, die im 12. Jahrhundert Könige von Aragon ge-worden waren, haben dagegen ihre beiden Stammländernicht nurnach Süden und auf die See hinaus zu erweitern verstanden, sondernsich auch als befähigt erwiesen, das so entstandene Reich trotz seinerzentrifugalen Kräfte zusammenzuhalten. Wieso war das möglich?Die Frage hier im vollen Umfang zu beantworten, ist nicht angängig.Wir wollen nur versuchen, einen Beitrag zur Antwort zu liefern, in-dem wir uns klarmachen, welche Stellung der König in seinem Reicheeinnahm, und zwar in der Zeit vom Tode des Königs Jaime I. e1 C0n,-quistador (1276) bis zum Tode Martins I. (1410), mit dem die alteDynastie e_rlosch 1.. .. .

    Wesentliches läßt bereits der Königstitel erkennen. BISzum Be-ginn des 13.Jahrhunderts nannte sich der König: De~ gra_tia rex Ara-gonum et comes Barcbinone; dazu kamen, wenn die wiederholt an

    '" Fr a nz Schnabels "Geschichte des 19. Jahrhunderts" habe ich, wenn ichmich in diese Zeit vorgewagt habe, wieder und wieder befragt, und seine - in der"Frankfurter Zeitung" erschienenen, leider noch nicht gesammelten - Porträtsvan Männern, die zur Gestaltung dieser - unter der Oberfläche so vieles um-kehrenden - drei Me~schenalter ~eitrugc:n, haben mir durch die Art der Frage-stellung und des Zugriffs als Vorbild gedient. Deshalb scheue ich mich aber nundem Jubilar auf seinem ureigenen Gebiet entgegenzutreten. Da ich unter der Zahider Gratulanten nicht fehlen möchte, erlaube er mir, daß ich ihm einen Ab-schnitt aus Forschungen präsentiere, die ich einmal zu einer "Geschichte Spaniensim Lichte des Königtums" zusammenzufassen hoffe. Ich wähle ein Problem ausdas - wie mir scheint - über Spanien hinaus Interesse verdient. '1Der O.rientierung des Lesers diet?-e die folgende Stammtafel (in Klammern

    die katalamsche Namensform und Bezifferung):

  • 100 Percy Ernst Schramm

    jüngere Sprossen ausgeteilten südfranzösischen Nebenländer wiederan die Hauptlinie zurückgefallen waren, auch noch diese Titel, also

    Jaime Gaume) I.1213-76

    Pedro m. (Pere 11.)1276-85

    (Mallorca bis 1343)

    Alfonso m.(Alfons n.)1285-91

    Jaime Gaume) 11.1291-1327

    (Sizilien 1285-95)

    IAlfonso IV. (Alfons m.)

    1327 -36

    Pedro IV. el Ceremonioso(pere m. el Ceremonios)

    1336-87

    Friedrich Ill.(Federigo, Fadrique)König von Sizilien

    1296-1337

    (Sizilien bis 1377)

    _I_--------------_.E1eanor 00

    König Juan I.von Kastilien

    (Haus Trastamara)

    Juan Goan) I.1387 -95

    Fernando (Ferran I.)1412-16

    Martin (Marcl) I.1395-1410

    (Sizilien 1409-1 0)

    Alfonso V. (Alfons IV.)1416-58

    Juan (joan) II., 1458-79(seit 1425 auch König von Navarra)

    IFemando (Ferran) II. el Cat6lico, 1479 -1516

    00 Isabella, Königin von Kastilien(Sizilien und Neapel)

    1------_---Da ich mich im folgenden auf meine weiteren Studien beziehen muß, sei mir er-

    laubt zusammenzustellen, was bisher im Druck erschienen ist: Allgemein: Spanien:Bastion Europas - Brücke nach Afrika und Amerika, in: Die Welt als Ge-schichte 1953, S. 12-28. Kastilien: 11. Jahrhundert bis 1252, in der Festschrift fürG. Ritter, Tübingen 1950, S.87-139, 1252-1284 in der Festschrift für E. E.Stengel, Weimar 1952, S.305-413, 1350-1390 in der Gedächtnisschrift fürA. Hämel, Würzburg 1953. Navarra: 11.-16. Jahrhundert in der Zeitsehr. fürRechtsgesch. 68, Germ.Abt .1951, S. 110-210. Aragon: Geschichte der Krönung,in: Homenatje a A. Rubiö y Lluch Ill, Barcelona 1936, S. 577-598.

  • Der König von Aragon 101

    Provence, Montpellier usw.t Gemessen am Titel des kastilischenKönigs, klang das bescheiden; dieser fügte seinem Namen alle mau-rischen Königtümer an, die er nach und nach eroberte s. Das war einPrunken mit Macht, denn alle diese Reiche führten nur eine Schein-existenz. In Wirklichkeit war Kastilien eine einheitliche Monarchie,

    Jaime 1. hatte seinen Titel entsprechend den von ihm gemachtenEroberungen und Erbschaften mehrfach abgewandelt. Pedro Ill. be-gnügte sich anfangs mit dem eines D'3i gratia rex Aragonis. Warumließ er den Markgrafentitel fahren? Und warum erwähnte er Valen-cia nicht? Die Antwort wird wohl lauten müssen: er nannte sich nurnach dem Stammlande, weil sonst vor aller Welt herausgetreten wäre,daß Mallorca als selbständiges Reich abgetrennt war. Dadurch, daßer es mit dessen Nebenländern 1279 zur Lehnsnahme zwang, war die-ser durch das Testament des Vaters verursachte Schaden ja nur zurHälfte beseitigt. Im Jahre 1282 kam noch der sizilische Königs-titel hinzu, der 1285 bei der Verselbständigung der Insel wieder fort-fiel>.

    Alfonso Ill. entschied sich für das entgegengesetzte Vorgehen und führtenicht nur die drei Länder an, die er tatsächlich beherrschte, sondern auch nochdas Lehnsreich Mallorca: er bezeichnete sich als Dei gratia rex Aragonum, Ma;o-ricarum et Va/ende ac comes Barchinone. Er hätte sich gern auch noch den Titeleines Königs von Murcia zugelegt. Denn sein Großvater und Vater waren es jagewesen, die auf Bitten Alfonsos X. von Kastilien in den sechziger Jahren dieEroberung dieses Moslimreiches durchgeführt hatten. Daß auf Grund der frühe-ren Abmachungen, in denen die Grenzlinie beim Vorrücken der Reconquista fest-gelegt worden war, nicht Aragon, sondern Kastilien der Gewinner geworden war,stach wie ein Dorn in das Selbstbewußtsein der Dynastie. Alfonso benutzte des-halb die Schwäche des Titularkönigs von Kastilien, Don Alfonso de la Cerda, dergegen seinen Oheim Sancho IV. Schutz bei den Nachbarn suchen mußte, und ließsich 1289 von ihm das Königreich Murcia mit allem Zubehör für immer schen-ken. Aber aus dieser - praktisch wirkungslosen - Verleihung zogen weder AI-fonso Ill. noch seine Nachfolger eine Folgerung für ihren Titel, und 1304 wurdedie Grenze vereinbart, wie sie von da an verlief; das heißt: mit Murcia auf derkastilisehen Seite".

    Jaime lI., der Sizilien an die Krone zurückbrachte, führte bis zu seinem Ver-zicht auf dieses Nebenland noch den sizilischen Königstitel. Nachdem ihn der Papst1296 zur Entschädigung als Bannerträger der Kirche bestallt hatte, heißt es stattdessen: s. Romane Ecclesie oexillariws, ammiratus et capitaneus. Solange JaimeMurcia in Händen hielt, wurde vorübergehend dieses Königreich aufgeführt.Nachdem er mit Sardinien und Corsica belehnt worden war (1304), gehören dieseInseln gleichfalls zum Titel.! Vgl. zum folgenden die Nachweise bei J.Delaville le Roul x in den Nou-

    velles Archives des missions scient. et litt. IV, 1913, S.259££.8 Schramm in Festschrift Stengel S.402., F. Soldevila, Pere el Gran, I, 1, Barcelona 1950, S.120ff.6 A. Gimenez Soler, Don Juan Manuei, Zaragoza 1932, S.221£.

  • 102. Percy Ernst Schramm

    Alfonso IV. und Pedro IV. hielten sich an die von Jaime II. zuletzt geführteForm, also: Rex Aragonum, Valencie, Sardinie et Corsice comesque Barchinonedoch begegnen auch die Abarten: Aragonie und Aragonis, die eine Angleichungan die übrigen Ländernamen bedeuten. Doch setzte sich auf die Dauer die FormAragonuni durch, die einen Anachronismus darstellte; denn auf der IberischenHalbinsel hatte sich noch früher als im übrigen Abendland die Vorstellung durch-gesetzt, daß der König über ein Land, nicht ein Volk regiere.

    Vorweggenommen sei, daß Pedro IV. nach der Rückeroberung der BalearenMallorca wieder in den Titel aufnahm, außerdem Roussillon und Cerdan a, diegleichfalls dem entthronten Verwandten gehört hatten. Die nächste Erweiterungfand erst ein halbes Jahrhundert später statt. Es handelte sich dabei um den sizi-lischen Titel, der durch Erbgang an die Hauptlinie zurückfiel und zuerst vonMartin I. getragen wurde, sowie um den durch die Katalanische Kompanie andie sizilischen Aragonesen gebrachten Titel: Dux Attenarum ac N eop atrii, den be-reits Pedro IV. beansprucht, aber nicht geführt hatte.

    Bei dem Grafentitel von Urgel, den Jaime I. sich eine Zeitlang beigelegt hatteund den Jaime II. an die Dynastie zurückholte, handelte es sich um eine Würde,die ursprünglich von Barcelona unabhängig gewesen wars. Aber dann waren dieGrafen lehnsabhängig geworden und hatten auch Lehen im aragonesisch-katalani_sehen Bereich erlangt. So waren sie unter den König getreten, standen aber ander Spitze der großen Vasallen. Als nun der letzte Graf, der dem Hause Cabreraentstammte, sein Ende kommen sah, überließ er 1314 seinen riesigen Besitz demKönig, der seinen zweiten Sohn, Don Alfonso, mit der Erbnichte verheiratete. Dadieser wider Erwarten die Krone erhielt, wurde der Grafentitel an den jüngerenSohn Alfonso weitergegeben, der eine Nebenlinie begründete. Aus ihr stammtejener Graf von Urgel, der sich - als das Haupthaus 1410 ausstarb - um dieKrone bemühte und sich 1413 Fernando I. ergeben mußte t. Im Gegensatz zu demVorgehen der Kastilier, die auf ähnliche Weise die Titel Molina und Viscaya andie Dynastie brachten, ist Urgel nie in die aragenesisehe Königsformel aufge-nommen worden.

    Mit der Entwicklung des aragonesischen Titels korrespondiertedie des sizilischen e. Friedrich Ill. legte ihn sich in der herkömm-lichen Form bei: Dei gratia rex Sicilie, ducatus Apulie et principatusCapue. Ihn verwandte im diplomatischen Verkehr mit Sizilien auchdie aragonesische Kanzlei. Nur die Königinmutter war so kirchlicheingestellt, daß sie ihrem Sohne den vom Papst bestrittenen Königs-titel vorenthielt. Sie ging so weit, daß sie Friedrich nur ein ganz ge_ringes Erbteil aussetzte 9.

    Natürlich bestritten sowohl der Papst als auch die Angiovinen die

    6 Col. de doe. ined. VI, Barcelona 1850, S. 198 ff.7 Col. de doe. ined, VII, Barcelona 1851, App. S. 50f" 57f£.8 L. Klüpfel, VerwaItungsgeschichte des Königreichs Aragon zu Ende des

    13. Jahrhunderts, Berlin 1915, S.160ff.: Exkurs II.9 M. van Heuekelum, Spirituelle Strömungen an den Höfen von Aragon

    und Anjou, Berlin-Leipzig 1912 (Abhandlungen zur mittleren und neueren Ge-schichte 38), S. 12.

  • Der König von Aragon 1°3

    Rechtmäßigkeit des Titels. Da sie Friedrich nicht zu vertreiben ver-mochten, wurde 1302 im Frieden von Caltabellota von ihnen durch-gesetzt, daß dieser wenigstens auf das Wort "Sizilien" verzichtete.Priedrich gestand zu, daß er sich fortan Rex Trinacrie nannte.Man sieht, daß es Zu allen Zeiten gute Diplomaten mit der Fähigkeitgegeben hat, auch noch anscheinend hoffnungslose Gegensätzlich-keiten durch einen Kompromißvorschlag zu überbrücken. In diesemFalle war es ein Mann mit Bildung, denn Trinakrien heißt Sizilienbei Ovid und Vergil. Friedrich Ill. bequemte sich zu diesem Titel je-doch nur in seinen an den Papst und andere Fürsten gerichteten Brie-fen. In Sizilien selbst führte er den Königstitel ohne jeden Zusatz.

    Ein Intermezzo bewirkte Arnald von Villanova 1309 durch seinen Vorschlag,der König Robert von Neapel solle auf den von ihm geführten Nebentitel "Königvon Jerusalem" zugunsten Priedrichs verzichten, auf den sich dieser durch einenKreuzzug ein Anrecht erwerben könne. Dafür sollte dann in Friedrichs TitelSizilien nicht mehr erwähnt werden. Robert war erst empört, formulierte dannaber Gegenforderungen. Diese waren jedoch so hoch, daß Friedrich sie ablehnte.

    Nachdem es wieder zum offenen Bruch gekommen war (1314),nahm Friedrich Ill. in aller Form von neuern den Titel Dei gratiarex Sicilie an. Man muß dabei beachten, daß er die früher üblichenNebentitel mit ihrem Anspruch auf den ihm nicht gehörenden fest-ländischen Besitz stillschweigend fallen ließ. Dabei blieb es, wennauch zeitweise wieder auf die älteren Formeln zurückgegriffenwurde, und in dieser kurzen Fassung wurde der sizilische Titel inder Zeit Fernandos I. ein Bestandteil des aragonesischen.

    Wer sich in der - im spätmittelalterlichen Spanien mindestens 510ernst wie im übrigen Abendlande genommenen - Heraldik auskennt,vermag das Hinzukommen und Wegfallen der verschiedenen Neben-länder auch an dem Wandel des aragonesischen W a p pe n s abzulesen.

    Das goldene Feld mit dem senkrechten roten Balken wurde quadriert und dannnoch weiter unterteilt, um die übrigen Wappenfiguren unterzubringen, so daß sichmit der Zeit ein aus vielen Feldern und Felderchen und aufgelegten Schildchenzusammengesetztes Wappen ergab. Das gleiche war in Kastilien der Fall. Da derKönig von Frankreich bei seinem blauen, mit goldenen Lilien besäten Felde blieb,ergibt sich hier ein Unterschied, dessen noch heute jeder Reisende gewahr wird.Denn auf der ganzen Halbinsel bediente sich die Kunst gern des Wappens alszierenden Ornaments.

    Die Könige von Sizilien vereinigten die Balken ihres Stammwappens mit demStaufischen Adler. Der Rückfall der Insel an die Hauptlinie sicherte diesem seitdem 15. Jahrhundert einen Platz im Wappen der Hauptlinie. Ja, da die Katholi-schen Könige für Spanien kein neues Wappen annahmen, sondern einfach dieWappen von Kastilien und Aragon ineinander schoben findet sich der ghibellini-sehe Adler auch noch im Wappen Karls V.IO '

    10 Aufsätze über die Aragonesischen Siegel im 14. Jahrhundert verzeichnet

  • 1°4 Percy Ernst Schramm

    Solche Titelfragen dünken dem modernen Menschen unwesentlich.Für den mittelalterlichen hatten sie ein großes Gewicht, weil sich imNamen das Wesen der Dinge verkörperte und hinter den Erscheinun-gen sich die Welt des wahren Seins spüren ließ. War der Name nichtrichtig, war die Rechtsordnung angetastet.

    Daher hat der Titel des aragonesischen Königs auch in diplomati-sehen Auseinandersetzungen mit der Kurie und mit Frankreich eineRolle gespielt und zu kritischen Lagen geführt. .pie Frage, ob den Köni~n. von Aragon ~er von ihnen geführte

    Titel noch gebühre, wurde Ineinem Augenblick aufgewor£e:n! als derPapst den König Pedro lI.I. w~gen des. Vorgehens gegen Sizilien fürabgesetzt erklärte und mit seinem Reich Karl von Valcis belehnte.Die Kurie hielt an der Fiktion, daß die alte Dynastie nicht mehrherrsche, auch noch fest, als Alfonso Ill. seinem Vater gefolgt war,und verlangte vom Klerus, daß er sich entsprechend verhalte. Diearagonesieche Geistlichkeit hütete sich jedoch wohlweislich, aus derAbsetzurig irgendwelche Folgerungen zu ziehen. Der Erzbischof vonTarragona erbat sich beim Papste ausdrücklich die Erlaubnis, AI-fonso als König ansprechen und behandeln zu dürfen, da sonst seineKirche den Schaden davon haben würde. Der Papst sah dies ein undgab sein Placet12. Auf die Dauer konnte auch er seinen Standpunktnicht behaupten, da er Aragon brauchte. So titulierte er denn den Kö-nig wie bisher.

    Dem Könige von Frankreich gegenüber, ohne dessen Hilfe die Kan-didatur des Valois ja unmöglich gewesen wäre, mußte der König vonAragon auf der Hut bleiben, da seinNachbar auch nach Wiederherstel-lung normaler Beziehungen dazu neigte, sich einen höheren Rang zu-sprechen. Denn die Franzosen schrieben ihre Scheinrechte auf Ara-gon nicht ab, obwohl sie auf diese im Vertrag von Corbeil (1258) ver-zichtet hatten. In einer Denkschrift, die Pierre Dubois im Jahre 1300für Philipp IV. verfaßte, führteer aus, der König dürfe seine Rechte aufSpanien nicht vernachlässigen, die einerseits durch Kar! den Großenals den Gründer der Mark Barcelona, anderseits durch Ludwig denHeiligen als Erben der Kastilischen Könige begründet seienl3. WiePhilipp selbst gegen Aragon eingestellt war, läßt die Anschrift einesBriefes durchschimmern, den er 1299 an Jaime richtete: er ließ sei-A. Ballesteros y Beretta, Bist. de Espafia Ill, Barcelona 1922, S. 302 An-merkungen 189, 215-216.

    12 Kl ü p f e l S.143.is H. Kämpf, P.D. und die geistigen Grundlagen des französischen National-

    bewußtseins um 1300, Leipzig-Berlin 1935 (Beiträge zur Kulturgesch, des Mittel-alters lind der Renaissance 54), S. 50, 52; vgl. dessen Ausgabe: Petrus de Boseo,Summaria brevis etc., Leipzig-Berlin 1936 (Quellen zur Geistesgesch. des Mittel-alters und der Renaissance IV), S. 17f.

  • Der König von Aragon 1°5

    nen eigenen Namen dem des Nachbarn voransetzen. Der aragone-sische König beanstandete das in seiner Antwort; nach alter Gewohn-heit sei es bei Briefen von Königen an Könige üblich, daß der Absen-der seinen Namen nachfolgen lasse. Jaime .baute jedoch Philipp einegoldene Brücke, indem er vorgab, daß es sich wohl um einen Irrtumder französischen Kanzlei handle. Doch ließ er keinen Zweifel dar-über, worauf es ihm letztlich ankam: es sei Philipps Ehre und curia-Was, das heißt Courtoisie, angemessener, wenn er seinem Namen dendes Adressaten vorangehen lasse, precipue regis, qui scribentis di-done nom subestt», Die Selbständigkeit, die Aragon mit soviel Nach-druck gegenüber der Römischen Kirche verfocht, sollte natürlicherst recht nicht von einem weltlichen Herrscher angetastet werden.

    Jaime hatte die Genugtuung, auch Schreiben von ausgesprochenercurialitas aus Frankreich zu erhalten. Als Philipps IV. Kampf gegenden Papst Bonifaz VIII. sich dem Höhepunkt näherte, appellierte erbeim König von Aragon an die Solidarität der weltlichen Herrschergegenüber den Ansprüchen der Kurie: Jaime möge doch erwägen -so ließ er ihm 1302 übermitteln -, daß der Papst gegen ihn und an-dere weltliche Fürsten ähnliches wie gegen Frankreich versuchenkönne, zurnal wenn Bonifaz sich Philipp in weltlichen Dingen bot-mäßig gemacht haben würde t+. Kaiser Friedrich H. hatte in ähn-licher Lage ähnliche Schreiben versandt.

    Wenden wir den Blick von außen nach innen, dann stehen wir vorder Frage, wie weit es den Königen von Aragon gelang, aus ihrer ge-bündelten Macht eine einheitliche zu schaffen, oder - umgekehrt -wie weit sie dem Regionalismus, der in jedem ihrer Teilreiche le-bendig war, Rechnung tragen mußten. .

    Um die Herrschergewalt in allen ihren Ländern zu bezeichnen,spricht der König im 14. Jahrhundert gelegentlich vom nostre ceptreReyal, Dieser Begriff ist dann durch die gleichaltrige Formel Reyaloorona in den Schatten gedrängt worden, wie das auch in andern Län-dern - vornehmlich in England und Ungarn - der Fall war16. DerUnterschied zu ihnen bestand nur darin, daß die "Krone Aragon"alle Autorität umfaßte, die dem König sowohl im Stammkönigreichals auch in allen Nebenländern zukam.

    U H. Finke, Acta Aragonensia Ill, Berlin-Leipzig 1923, S.86f.: Jaime II.(4. XI. 1299). .

    15 Vgl. den Bericht über die Rede von Philipps Gesandten bei H. Finke,a.a.O. I, ebd. 1908, S.19 (18..Sept.1302); dazu Helene Wieruszowski, VomImperium zum nationalen Königtum, München-Berlin 1933 (Beiheft 30 der Hist.Zeitschr.), S. 154.

    18 F. Hartung, Die Krone als Symbol der monarchischen Herrschaft in denAbhandlungen der Preuß. Akad., Phil.-Hist.Kl. 1940Nr. 13, 1941.

  • 106 Percy Ernst Schramm

    Innerhalb des Stammbereichs war die rechtliche Lage, die ja be-reits durch die Verkoppelung des Königreiches Ar.agon mit der Graf-schaft Barcelona schwierig war, durch die Angliederung Valenciasin Formeines eigenen Königreichs noch schwieriger geworden. AberJaime I. hatte gewußt, was er tat. Denn im Neuland war seine Stel-lung wesentlich stärker als in dem traditionsgesättigten Aragon.

    Das Stammland sah die Entstehung dieses Nebenlandes natürlichmit scheelen Augen an. Zum Ausbruch kam diese Stimmung, als sichder aragonesische Adel im Jahre 12?4 zu seiner ers;en. Un~on zu-sammenschloß t". Er verlangte, daß ID dem neuen Königreich dasaragonesische Recht ge~ten sollte un.? ~ie dortig~n Lehen a.usschließ-lieh ihm vorbehalten blieben; der König habe sem Recht ffilßbrauchtals er Valencia ein eigenes Recht verliehen habe. Dagegen machtaJaime geltend, er habe es Valencia mit dem Willen von dessen Be-wohnern gegeben. Der Streit, ob dort nicht doch noch das aragone-sische Recht eingeführt werden sollte, dauerte bis in das 14. Jahr-hundert. Dafür traten außer den Aragonesen auch die valenciani-sehen Adligen aragonesischer Herkunft ein; aber sie kamen nichtzum Ziel, da die übrigen Schichten der Bevölkerung meist katalani-scher Abkunft waren und in ihrem Streben nach einer Sonderexistenzweiter von dem Könige unterstützt wurden. Und nachdem sich dasKönigreich Valencia einmal darangewöhnt hatte, daß es etwas fürsich war, entwickelte sich ein provinzielles Selbstbewußtsein, ein _wenn man hier einmal den an sich zu grobkörnigen Ausdruck geltenlassen will - "valencianisches Nationalgefühl". Man empfand sichals etwas Drittes, weder Aragonesisches noch Katalanisches18• Suchtman nach einer Parallele in der Geschichte, so stößt man auf das mo-derne Belgien, dieses halb französisch-wallonische, halb flämisch-niederländische Land, dessen Bevölkerung heute unzweifelhaft zueiner Nation zusammengewachsen ist.

    Trotz der im Titel zum Ausdruck kommenden Gleichordnung derTeilreiche behielt Aragon einen Vorrang - man möchte sagen: dieStellung einer "prima natio inter pares". In dem 1247 auf den Cortesvon Huesca verkündigten Gesetzbuch hatte Jaime I. das so ausdrückenlassen, das Königreich Aragon sei das caput nos/re oelsitudinis princi-pale19, und es war nur im Zorn geschehen, daß Jaime 1264 den Cor-tes in Zaragoza vorrechnete, weshalb Katalonien das angesehensteund edelste Reich in Spanien sei 20. Dort hatte er nämlich soeben die

    17 Ch. de Tourtoulon, Jaime Ier, II, Montpellier 1857, S. 340f.IS Pedros Ill. Urkunden für Valencia gab in Regestenform heraus J. E. Ma.r-

    tinez Ferrando (Madrid 1934).19 Tourtoulon, a. a. 0.11, S. 561: Prolog des C6digo.20 Ebd. S.337.

  • Der König von Aragon

    geforderten Bewilligungen erhalten, während er in Zaragoza auf dasNein der Stände gestoßen war.

    Ähnliche Worte sind im weiteren Verlauf der Geschichte noch öf-ters von Jaimes Nachfolgern ausgestoßen worden, und im Grundeihrer Seele werden sie sich immer als Katalanen empfunden haben.Aber der Ehrenvorrang Aragons blieb doch bestehen.

    Wie in allen andern Ländern verstrich auch in Aragon geraumeZeit zwischen dem Tode eines Königs und der lange Vorbereitungenerfordernden Krönung seines Nachfolgers. Von wann an war die-ser berechtigt, den Königstitel zu führen? Nach kirchlicher Auffas-sung natürlich erst von seiner Weihe an; aber das bedeutete, daßbei jedem Regierungswechsel ein Interregnum eintrat. War derErbe der Krone befugt, bereits in dieser Zwischenzeit vollgültigeEntscheidungen zu fällen? Im 13. Jahrhundert ging in Westeuropadie Tendenz dahin, die neue Regierung unmittelbar nach der ab-gelaufenen beginnen zu lassen.

    Als Ludwig der Heilige von Frankreich 1270 auf dem Kreuzzug in Tunisstarb, legte sich sein gleichfalls im Heerlager weilender Erbe sofort den Königstitelbei. Seine Weihe erfolgte erst Monate später nach der Rückkehr in die Heimat.1272 wurde diese Frage auch in England akut: als Heinrich Ill. starb, befandsich sein Erbe auf dem Kreuzzug. Es mußten also gleichfalls Monate vergehen, eheer gekrönt werden konnte. Deshalb traten die Barone vier Tage nach dem Todedes Königs zusammen und erklärten Edward I. zum König. Dieser konnte sichdaher Zeit lassen. Seine Weihe fand erst 1274 statt. In der Folgezeit ging das Be-mühen sowohl in England als auch in Frankreich dahin, das Interregnum überhauptzum Verschwinden zu bringen. Daraus entwickelte sich der Grundsatz, daß derErbe in dem Augenblick König werde, in dem sein Vorgänger die Augen schloß.Das drückte der Heroldsruf an der Bahre des Toten knapp und prägnant so aus:Le roi est mort / Vive le roi /21 In Kas t il ie n konnte die Frage eines Interregnumsgar nicht auftauchen, da hier gleich nach dem Tode eines Königs das Königs-banner aufgerichtet und mit dem Rufe: "Real I'" der neue König proklamiertwurde. Daran änderte sich nichts, als Kastilien am Ende des 13. Jahrhundertszum Krönungsbrauch zurückkehrte.

    Und nun Aragon22• Es ging seinen eigenen Weg. Als nämlichPedro Ill. 1276 seinem Vater folgte, verfuhr er gerade entgegen-gesetzt wie wenif?C Jahre vorher die Könige von Frankreich und Eng-land. Er nannte Steh zunächst nur Infans Petrus illustris regis Arago-

    21 Vgl. Schramm, Der Kg. von Frankreich I, Weimar 1939, S.226f. undDe r s., Engl. Königtum, ebd. 1937, S.66f., dazu jetzt H. G. Richardson imHandbook of British Chronology, London 1939 CR. Histor. Society), S. 3.

    22 Vgl. zum folgenden Geronymo Zurita, Anales de la Corona de Aragon I,Zaragoza 1610, S. 228 ff., dazu J. de Blancas, Coronaciones de los Sero Reyesde Aragön, Zaragoza 1651, S. 16£. und A. de Bofarull i Broca, Hist. critica deCataluiia HI, Barcelona 1876, S. 313 f., dessen Deutung unbefriedigend bleibt.

  • 108 Percy Ernst Schramm

    nis filius, wozu gelegentlich noch heres, successor oder beide Aus-drücke Zusammen kamen. Die Königswürde nahm Pedro erst bei sei-ner Krönung an, das heißt viereinhalb Monate nach dem Regierungs-antritt. Das "Interregnum" hatte der Infant benutzt, um die Grenzezu sichern und in Valencia, wo sich die Mauren erhoben hatten, nachdem Rechten zu sehen.

    Hieraus ergibt sich, daß Pedro von vornherein entschlossen war,sich krönen zu lassen. Bisher war aus der 1134 zur Herrschaft ge_langten Dynastie nur einmal ein arag~nesischer König, Pedros Groß-vater, geweiht worden (1204), und die vom Papste daran geknüpf-ten Bedingungen hatten es Jaime I. unmöglich gemacht, sich krönenzu lassen. Noch in seinen alten Tagen hatte dieser einen Vorstoßbeim Papste unternommen, um zu erlangen, was damals für einenabendländischen Herrscher selbstverständlich war; aber er hatte aufdie Krönung verzichten müssen, weil die Kurie auf ihrem Schein-recht bestand. Pedro Ill. ging bei seiner Krönung über die Ansprüchedes Papstes mit schriftlichem Protest hinweg. Nimmt man diese Fak-ten zusammen, so kommt man zu der Vermutung, daß Pedro seinVorgehen noch mit seinem Vater verabredet hatte, der Tote alsonoch nachträglich der Kurie heimzahlte, daß sie ihn 1274 hatte ab-fahren lassen, obwohl er sich mit Recht auf große Verdienste umdie Verbreitung des Glaubens berufen konnte.Da fortan die Krönung beibehalten wurde, stellte sich die - vor-

    her nicht aktuelle - Frage, von wann an der Erbe den Königstitelführen dürfe, bei jedem Regierungswechsel von neuern.

    Alfonso Ill. folgte dem Beispiel seines Vaters nicht. Als er PedrosTod erfuhr, weilte er gerade in Mallorca. Von dort schrieb er an denihm feindlich gesinnten Adelsbund, die Union, und nannte sich dabeibereits König. Als er in Alicante gelandet war, wurde er im König-reich Valencia von allen als König behandelt und tituliert. Dann abersuchten ihn Vertreter der Union auf und überbrachten ihm mit derBitte, sich recht bald krönen zu lassen, die Forderung, sich bis dahindes Königstitels zu enthalten und keine Schenkungen vorzunehmen,also vorläufig auf eine der wesentlichen Prärogativen des Königs ZUverzichten. Sie beriefen sich auf das Verhalten Pedros Ill. und stell-ten es so dar, als wenn der Vater die Annahme seines Titels wegender Rechte seines Volkes herausgezögert habe. Al£onso ließ sich je-doch weder drängen noch Zum Verzicht auf seinen Titel bewegen.Er kümmerte sich zunächst wie sein Vater um die Sicherung derGrenzen, nahm in Barcelona einen festlichen Empfang entgegen undfand sich schließlich - mehr als fünf Monate nach dem Tode desVaters - Zur Krönung ein23•

    23 Vgl. Zu r it a, Anales I, f.302, danach Klüpfel 8.122£., der irreführend

  • Der König von Aragon 1°9

    Jaime n., der besorgen mußte, als bisheriger Herrscher von Sizi-li.en von ma~chen 3lls halbe~ Ausl~der angese~en zu werden, umgingeinen Konflikt mit den Standen, indem er bis Zur Krönung seinensizilischen Königstitel weiterführte 24. Der Zeitpunkt bleibt noch Zubestimmen, von dem an Jaimes Nachfolger das Vorbild, das ihnenEngland, Frankreich und Kastilien gaben, befolgten und sich gleichnach dem Tode des Vaters den Königstitel beilegten. Pedro IV. tutes jedenfalls bereits (1336) 25.

    Die diplomatische Etikette erforderte, daß sowohl der Trauerfall als auchdie Krönung dem Papst und den befreundeten Fürsten in aller Form mitgeteiltwurden; zwei Beispiele, welche die Thronbesteigung Alfonsos IV. betreffen, habensich erhalten.

    Die Frage, mit welchem Rechte ein König auf seinen Vorgänger folgte, beant-worten die Ordines verschieden 26. Der Pedros Ill. schrieb im wörtlichen An-schluß an seine Vorlage, einen aus Reichsburgund stammenden Ordo, vor, daß derleitende Geistliche sich zu Beginn der kirchlichen Feier an die übrigen Bischöfewenden und sie befragen solle, ob der zu krönende König zu seinem Amte ge.-eignet sei. Dieser Rest des alten Idoneitätsgedankens paßte gar nicht zu Aragon,wo sich das Prinzip der uneingeschränkten Vererbung durchgesetzt hatte. Daherhat denn auch der Ordo Pedros IV. jene Frage dahin abgeändert, daß nur nochfestgestellt wurde, ob der neue König der legitime Herrscher sei.

    Der volle Sieg des Erbrechts über das Wahlprinzip einerseits, denGedanken der Eignung anderseits schloß natürlich nicht aus, daß dieKönige bestrebt waren, schon zu ihren Lebzeiten den krisenlosenObergang der Herrschaft auf ihre Nachfolger vorzubereiten.

    Das einfachste Mittel war, daß dem Erben möglichst bald gehul-digt würde. Es wurde in Kastilien und in Aragon angewandt-". AlsPedro Ill. als Thronfolger sich 1275 an einem Zug gegen die Maurenbeteiligte, ließ Jaime I. vorsorglich "die Grafen, Vizeg~afen, Barone,Ritter, Bürger und das Volk" seinem Enkel Alfonso Eid und Homa-gium leisten28, Als Pedro im folgenden Jahre gekrönt wurde, wurdeAlfonso als nunmehrigem nächsten Thronanwärter gehuldigtw, Ahn-

    von einer Krönung Alfonsos in Valencia spricht. Blancas, a.a.O, S.19ff. vertratdie Ansicht, daß Alfonso sich des Königstitels zunächst enthielt.

    U Anzeige an den Papst, daß Jaime H. gestorben sei, in dem von M. U sony Sese abgedruckten aragonesischen Formelbuch des 14. Jahrhunderts, s. Anuariode la hist. del derecho esp. IX, 1932, S. 362f.; Anzeige seiner Krönung an einenverwandten Fürsten ebd. VI, 1929, S. 390 ~daß es sich um ihn handelt, ergibt sichaus den Daten des Todesfalls und der Weihe). Vgl. dazu das Glückwunschschrei-ben eines Kardina~s ZU~ erfolgten. Krönung von 1329 bei J. Vincke, Doe. selecta,Barcelona 1936 (BibI. bist. de la BibI. Balmes 11, 15), S. 351 Nr.481.

    26 Zurita, Anales H, f.114b.26 über sie Schramm in Homenatje A. Rubiö y Lluch.21 Zum folgenden vg1. Blancas, a.a.O. Ill. Buch, S,189ff.2S Col. de doe. ined. VI, Barcelona 1850, 5.192£.29 Zurita, Anales I, f.229.

  • 110 Percy Ernst Schramm

    lich gingen auch die Nachfolger vor, und unter Jaime n.wiederholtesich, was sich 1275 ereignet hatt~: vorsorglich. veranla~te dieser, daßauch schon seinem Enkel Pedro Eid und Homagtum geleistet wurden 30.

    Diese Sicherung genügte den Königen noch nicht: sie ma.chten ihreErben bei ihren Lebzeiten zu Generalprokuratoren ihres Rei-ches. Dies Amt geht bereits in die Zeiten Jaimes 1. zurück, der sichbei der Größe seines Reiches veranlaßt gesehen hatte, für die Teiledesselben, um die er sich nicht selbst kümmern konnte, General-prokuratoren zu bestellen 31 und in diesen Dienst auch seine Söhneeinzuspannen. Als er sich 1269 zu seinem ~reuzzug ~oschickte, hatteer Pedro bereits zum Generalprokurator In allen semen Landen ge-macht, das heißt zu seinem Stellvertreter V.

    Der Ausbau dieser Regelung machte während der nächsten beidenRegierung~n keine Fortschritte. Alfonso Ill. ,":a:, als sein yater starb,erst zwanzig Jahre alt und hatte daher erst einigen Anteil an diplo-matisch~n Geschäften er~alten. Er tat seinerseits n.ich~sGrundlegen-des, well er noch auf Leibeserben hoffte. Da zwei seiner Brüder inSizilien weilten, war es der vierte, der die Prokuration von Aragonerhielt. Daher 1ebte das Amt des Procurador general für alle Lan-deerst unter jaime n. wieder auf33• Sein Bruder, der König Fried-rich :.rn. von Sizilien, gin~ e'?-ts{>rechendvor. Doch ~ab er seinem Er-ben im Anschluß an den italienischen Brauch den Titel : Generalvicar(1316). Praktisch lief beides auf das gleiche hinaus: die Söhne ~e-langten so in eine Stellung, wie sie früher durch die Erhebung zumMitkönig bewirkt wurde.

    Um das noch deutlicher auszudrücken, wurde fortan dem Namenund Prokuratorentitel des Thronfolgers auch noch primogenito eberedero beigesetzt.

    Welche Rechte durch diese Stellung dem Thronfolger übertragen wurden, läßtdie Urkunde erkennen, mit der Alfonso IV. seinen Erben zum Generalprokuratorin seinen Landen einsetzte 54. Sie bezieht sich auf das Gerichts- sowie auf das

    so Ebd. lI, f.66. Vgl. dazu das Homagium primogenito regio prestiturn in derobengenannten Formelsammlung des 14. Jahrhunderts (Anuario de la hist. delderecho esp. VII, 1930, S.460ff. Nr. CXXXVIIl). Da sich aus dem Text ergibtdaß der Infant noch seinen Großvater erlebt hatte, kann es sich nur um den -1319geborenen Pedro handeln.

    Si Soldevila, a.a.O. I, 1950, S. 35ff., 139f.S2 Tourtoulon, a.a.O. I, 1950, S. 466££. und A. Garcia Gallo im Anuario

    de hist. del derecho esp. XV, 1944, S. 56 £f.33 Zurita, Anales Il, f.34. Da der Erbe 1319 auf seine Rechte verzichtete,

    bestellte Jaime nun den späteren Alfonso IV.; ebd, f.43£.a, Enthalten in der genannten Formelsammlung (Anuario de la hist. del de-

    recho esp. VI, 1929, S. 375ff.; es folgen eine Anzeige dieses Vorgangs an einenErzbischof - wohl in Toledo - und die Bestallung des Bruders als Spezial-prokurators für Corsica und Sardinien). Dazu Blancas, a.a.O. S.205, der ein-schlägige Stellen aus den Cortes-Protokollen (1364, 1367) nachweist.

  • Der König von Aragon III

    Kriegswesen und erlaubte ihm Eingriffe in die Verwaltung und die feudalenRechte. Don Pedro war n~ch gar nicht volljährig, konnte sein Amt also noch garnicht wahrnehmen. Man sieht daran, daß es dem König vor allem darauf ankamden Sohn möglichst bald in eine Regulus-artige Stellung ,einrücken zu lassen. Denndarauf laufen die ihm eingeräumten Befugnisse ja hinaus.

    In der Generation vorher war dieser Bestallung ein seltsamer Akt vorauf-gegangen, der auf deren Umkehrung hinauslief. Denn zunächst war ja Alfonsos Ill.älterer Bruder Juan der Nächste am Thron gewesen. Doch hatte sich dieser In-fant, der nicht im Gleichgewicht des Geistes war, 1319 im Alter von drei-undzwanzig Jahren entschlossen, der Krone zu entsagen und in den Orden derHospitalritter einzutreten-". Er mußte also Stück für Stück der ihm bereits ein-geräumten Rechte entkleidet werden. In einer urkundlichen Renunciatio verzich-tete Juan auf seine Rechte als Primogenito und auf die ihm geleistete Huldigung;auch sprach er alle von ihren bereits geleisteten Eiden los. In einer Gegenurkundeentließ der Vater den Sohn aus seiner Munt, so daß er fortan nach eigenem Wil-len zu handeln befugt war. Durch Juans Verzicht war Jaime zuerst bestürzt undempört worden. Dann aber fügte er sich in das Schicksal und hielt auch an dergetroffenen Regelung fest, als der Infant sich noch eines anderen besinnenwollte36•

    An dieser altbewährten Einrichtung hat Pedro IV. noch einmal ge-rüttelt. Denn als in seinem hohen Alter der Thronfolger sich mit ihmüberwarf, gab er Anweisung, daß Don Juan nicht mehr als Primo-genito angesehen werden sollte. Der Sohn wandte sich daraufhin anden Justicia mayor, und dieser nahm auf Grund der eindeutigenRechtslage die Partei des Thronfolgers. Sein Entscheid wurde imganzen Lande bekannt gemacht, und die Autorität des Justicia mayorwar in dieser Zeit so groß, daß selbst der König sich ihr fügte. DonJuan erhielt auf diese Weise auch die Stellung des Gobernador gene-ral zurücks".

    Der Thronfolger wurde unter Jaime n. nicht nur staatsrechtlichherausgehoben, sondern auch im Zeremoniellen. Daran mußten sichdie Verwandten erst gewöhnen. Als seine nach Österreich verheirateteTochter um den Besuch ihres Bruders gebeten hatte, wies der Vater

    S5 Vg!. die Urkunden im Anuario VI, 1929, S. 373-375; ebd. IX, 1932, S. 349ein Brief Jaimes II. an .den ~e~ster der Hospitalritter in dieser Angelegenheit,vor- und nachstehend die Mitteilung an den Papst und dessen Gegenschreiben.Vgl. dazu Zurita, Anales Il, f. 3vff. - J. E. Martinez Ferrando hat in denEstudios dedicados a Menendez Pidal I, Madrid 1950, S.477-488 einen Briefdieses Prinzen an Robert von Neapel gedruckt, der den Wunsch beleuchtet wie-der in die Welt zurückzukehren; weitere in seinem großen Werke: La vida 'fami-liar de Jaime 11, 11, Barcelona 1948, Nr.327 und in den Acta Aragonensia ed.H. Pinke Ill, Berlin-Leipzig 1923, S. 374ff. '

    86 H. Pinke, Acta Aragonensia I, Leipzig 1908, S. CLXXXVIff. und im Ar-chiv für Kulturgesch. VIII, 1910, S.24£. Nicht gesehen habe ich die Ausführun-gen über den Infanten Juan von Cubas i Oliver in den Mise. Pinke, Barcelona1935 (Analecta Sacra Tarrac. XI), S.395-412.

    87 Zurita, Anales 11, f.385££.

  • IU Percy Ernst Schramm

    sie darauf hin, es sei gegen die Sitte des Königreichs, daß der "Primo-genito, der einmal herrschen wird, irgendwohin aus dem Königreichsich entfernt"38. In einem anderen Schreiben tadelte er die Tochter,weil sie in einem Briefe an den Bruder diesen geduzt und ihren Na-men dem seinen vorausgestellt hatte39• Das möge ein Irrtum desSchreibers und Gewohnheit an ihrem Hofe sein: "Was aber unsre Artbetrifft, so tut man derartiges schicklicherweise nicht, um so mehrals der genannte Infant Alfonso unsere Erstgeburt hat. " Und wis-set, daß man in diesem Lande nicht Du zu einem sagt, der eine sogroße Persönlichkeit ist. IX:nn es g.efäl.lt n.iemand:~, daß man ihnduze." Man bedenke, daß die Schreiberin erne Königin war!

    Also Sicherung der ungestörten Thronfolge durch Huldigung undErnennung des Erben zum Gobernador general. Zu diesen beidenMitteln kam als drittes noch das Testament des Königs. Das warin der Grafschaft Barcelona und im Königreich Aragon bereits vorihrer Vereinigung (1134) der Brauch gewesen, und er blieb es auchnachher. Die kastilischen Könige verfuhren ebenso-v.

    Von Jaime I. sind mehrere Testamente erhalten, da er seine Entschlüsse überdie Teilung des Reiches mehrmals umwarf. Pedro tat, als er sich 1282 zur Fahrtnach Sizilien anschickte, noch einen weiteren Schritt. Er setzte nicht nur ein Te-stament auf, durch das er seinen ältesten Sohn, Don Alfonso, Zum Universal.,erben einsetzte, sondern im geheimen schenkte er ihm bereits jetzt alle seine Län-der. Er muß also bereits in Rechnung gestellt haben, daß der Papst ihn absetzenkönnte O, Nachdem ihm die Krone von Sizilien zugefallen war, ergänzte er seinTestament dahin, daß sein zweiter Sohn das neu erworbene Reich erhielt.

    Alfonso Ill. vermachte in seinem Testament seine Länder sowie die Oberherr-schaft über das Königreich Mallorca mit dessen Nebenländern seinem BruderJaime unter der Bedingung, daß dieser Sizilien dem dritten Bruder, Fadrique(Friedrich IlL), überließ. Für den Fall, daß Jaime Sizilien vorzog, bestimmte erFriedrich zum Erben des Stammlandesü• Dieses sollte Friedrich auch dann zu-fallen, falls Jaime ohne Erben starb. In diesem Falle bekam Sizilien der vierteBruder, Don Pedro, der als weiterer Eventualerbe für Aragon vorgesehen wurde.Gegen dieses Testament legte Jaime n. bei seiner Krönung Protest ein: er sei Al-fonso auf Grund der nach dessen Tod ihm zugefallenen Erstgeburt und kraft desväterlichen Testaments gefolgt'S. Der Grund war, daß ihm Alfonsos Bestimmun-gen, die Friedrich Ill. betrafen, nicht paßten.

    Die Testamente aus dem 14. Jahrhundert können nicht mehr dasgleiche Interesse beansJ?r~chen. Sie brauchen einzeln nicht mehr an-geführt zu werden, well sich für unsere Fragestellung aus ihren pri-vatrechtlichen Teilen trotz deren Ausführlichkeit nicht viel ergibt

    S8 Vgl. Jaimes Briefe an seine Tochter, hrsg. von H. v. Zeißberg in denSitzungsberichten der Wiener Akad., Phil.-Hist. Kl. 140, 1899, S. 60 Nr.53.

    89 Ebd. S.64 Nr.64. 40 Vg!. Schramm in Ritter-Festschrift S. 117ftH Klüpfel 5.13. 42 Zurita, Anales I, f.347v• " Ebd. f.348v•

  • Der König von Aragon 113

    und die Thronfolge keine Schwierigkeiten machte; denn jedesmalwartete ein männlicher Erbe.

    Die Unteilbarkeit der Stammlande stand seit Jaime 1. fest. ZumGesetz hat dieses Prinzip erst Jaime II. erhoben. Er ließ die 1309 inTarragona tagenden Cortes ein Privilegio de Union beschließen, indem festgelegt wurde, daß Aragon, Barcelona und Valencia nie von-einander getrennt werden dürften: .qutcumque sit rex Aragonum,inde etiam sit rex regni Valentie et comes Barcbinone", Dieser Be-stimmung versuchte der König dadurch besondere Festigkeit zu ge-ben, daß allen das Recht zum Widerstand für den Fall zugestandenwurde, daß ein König gegen das Privilegium verstieße. Ähnliche -aus dem germanischen Recht stammende - Sicherungen begegnenuns auf spanischem Boden vorher und nachher, und es berührt indiesem Zusammenhang seltsam, daß Jaime II. im Jahre 1318 dieHand zur Erhebung des Bistums Zaragoza zum Erzbistum bot. Denndadurch wurde ja die bisher das ganze Reich umfassende ErzdiözeseTarragona in eine vorwiegend katalanische und eine vorwiegend ara-gonesische Hälfte aufgespalten, also ein Vorteil aufgegeben, dessenGewinnung einmal als Fortschritt angesehen worden war. Daß Jaimeseine Zustimmung zu der Abänderung gab, die vom Papste ausgegan-gen und mit dem riesigen Umfange des Metropolitanbereichs vonTarragona triftig begründet worden war, wird sich dadurch erklä-ren, daß die Aussicht, die jüngeren Infanten Erzbischöfe werden zulassen, sich fortan verdoppelte. Auch mochte dem König ratsamscheinen, dem aragonesischen Klerus, der in den Cortes erst von 1301ab einen festen Platz hatte, ein Oberhaupt Zu geben; denn die Geist-lichen pflegten im Sinne der Krone zu stimmen 44.

    In der Geschichte der Krönung spiegelte sich diese Union insofern,als die Königsweihe von 1328 an auf alle Länder der Krone, ruchtwie bisher allein auf Aragon bezogen wurde.

    Praktische Bedeutung hat jene Gewährung des Widerstandsrechtsnie gewonnen: kein König hat je daran gedacht, an der Unteilbarkeitzu rütteln. Was man dagegen 1309 nicht voraussehen konnte, war,daß eins der Länder versuchte, sich selbständig zu machen und des-halb einen fremden Fürsten herbeirief. Es waren die Katalanen, diediesen Weg im 15. Jahrhundert und dann noch einmal im 17. J ahr-hundert beschritten.

    Trotz aller Sicherungen sind in Aragon doch zweimal Krisen we-gen der Nachfolge entstanden.

    Zu diesen Krisen kam es, obwohl das L~nd gegenüber Navarra dadurch begün-stigt war, daß vom 12. Jahrhundert an Immer männliche Nachkommen bereit

    " J. Vincke, Die Erri~htung des .Erzbistums Saragossa, in den GesammeltenAufsätzen zur Kulturgeschichte Spaniens n, Münster 1930, S. 114-132.8 Hirt. Jahrbudt, Bd.74

  • Percy Ernst Schramm

    standen, um die Nachfolge anzutreten. Auch gegenüber Kastilien blieb Aragonim Vorteil; denn dort brachte Alfonso X. eine lange fortwirkende Unsicherheitin die Thronfolge hinein, indem er erst den Enkel zugunsren des zweiten über-lebenden Sohnes enterbte und schließlich diese Regelung zugunsren des Enkelswieder umstieß.

    Maßgebend für Aragon wurden die Testamente Jaimes 1.45 In demvon 1262 hatte er bestimmt, daß die beiden Söhne - falls einer keinemännlichen Nachkommen hinterließ - sich wechselseitig beerbtenund daß nur in dem Falle, daß keinem von ihnen Söhne geschenktwürden seine an den König von Kastilien verheiratete Tochter mitderen SÖhnen erbberechtigt sein sollte+''.

    Im Testament von 1272 schob er den Anspruch der Infantin hinterden der von ihm inzwischen legitimierten Söhne zurück, und hi:nterden sonstigen oognatischen Verwandten, ~ie e~ als erbberechtigt nach-trug, führte er für den Fall, daß auch SIe keine Nachkommenschafthinterließen, den nächsten männlichen Sprossen aus seinem eigenenGeschlecht an. Ausdrücklich schloß er die Frauen von der Krone aus;es waren immer nur ihre Söhne, welche für die Krone in Betrachtkommen sollten 47.

    Diese Regelung stellte ein Gemisch von agnatischen und cognati-sehen Prinzipien dar, gab aber doch der männlichen Erbfolge dasübergewicht: auch die Töchter seiner Söhne und Enkel blieben aus-geschlossen. Frankreich entschied sich inder ersten Hälfte des 14. J ahr-hunderts für eine rein agnatische, angeblich bereits "Salische" Erb-folge: die Töchter hatten nicht nur kein Recht auf die Nachfolge,sondern vererbten auch keines auf ihre Söhne. Starb der Haupt-stamm aus, dann folgte der nächste Verwandte aus dem Haus derKapetinger+e, Ganz im Gegensatz dazu siegte in Navarra die reincognatische Erbfolge: die Tochter hatte das Vorrecht vor dem Bru-der des Vaters+", Dem Grundsatz nach setzte sich dieses Prinzip auchin Kastilien durch; doch brauchte er nicht angewandt zu werden, dabis zur Königin Isabella immer Söhne den Thron besteigen konnten.Der Fall Pedros I. des Grausamen stellt eine mit Gewalt gelöste Aus-nahme dar5o• Die in Aragon durchgesetzte Lösung hatte also wederin Frankreich noch in Spanien eine Parallele - auch nicht in Eng-land, wo die Weiberfolge sich durchsetzte.

    45 Das zweite Testament von 1241 bei Tourtoulon, a.a.O. H, S. 556ff. undA. Huici, Col. diplomatica de Jaime I el Conquistador I, Valencia 1916, S.345bis 349, zum Datum vgl. Soldevila, a.a.O. 1,1, S.8f.

    46 Tourtoulon S.329; Bofarull, Doe. ineditos 29, S. 8f. und Hu ic i Ill,1920, S. 164£. 47 Tourtoulon S.48 und Ruid.

    '8 Schramm, König von Frankreich I, S.230ff.'9 Vgl. Schramm, Navarra, in Zeitsehr. für Rechtsgesch., passim.60 Vgl. Schramm in Rämel-Gedächtnisschrift S.257ff.

  • Der König von Aragon

    Die Regelung Jaimes I. blieb zunächst ohne praktische Bedeutung,da der Übergang der Krone von Pedro Ill. auf Al£onso Ill. und vondiesem, de: keine .Kinde~ hinterließ, a~f Jaime 11. keine Streitfrageaufwarf. Eine Unsicherheit taucht erst lJtl dessen späteren Jahren auf.Denn sein jüngerer Sohn, der Infant Pedro, machte geltend, daß _falls Alfonso (IV.), der Primogenito, vor dem Vater stürbe - ihmals nächstem am Thron die Krone gebühre und nicht Alfonsos SohnPedro (IV.). Das würde darauf hinausgelaufen sein, daß Aragon demBeispiel gefolgt wäre, das Kastilien gegeben hatte, als Sancho IV. anStelle seines Neffen den Thron bestieg. jaime schwankte einige Zeit,da der Infant Pedro Anhang besaß, entschied sich dann aber dochfür die Primogenitur. Das war der tiefere Grund, warum er - wieschon bemerkt-bereits zu seinen Lebzeiten seinem Enkel Pedro(IV.)huldigen ließ (1325) 51.

    Die Frage, ob die Töchter nicht doch erbberechtigt seien, wurdezwei Jahrzehnte später aufgerührt+s. Damals besaß Pedro IV. ersteine Tochter, und dieser wollte er die Nachfolge sichern, obwohler drei Brüder hatte. Denn er stand sich schlecht mit ihnen und machtedaher auch Don Jaime nicht zum Gobernador general, obwohl er alsnächster am Thron darauf Anspruch hatte. Pedro vertrat die Auf-fassung, daß nach gemeinem Recht die Töchter erbberechtigt seienund berief 22 Letrados und Geistliche nach Valencia zusammen,welche die genauere Begründung dafür liefern sollten, daß die In-fantin Constanza einen besseren Anspruch besitze als ihr Oheim.

    Der jetzt anhebende Juristenstreit ist in mancher Hinsicht aufschlußreich. Ge-nau so wie der im 13. Jahrhundert durchgeführte Disput über die Nachfolge inSchottland läßt er erkennen, daß Staats- und Privatrecht noch nicht gesondertsind und daher nicht nur Grundsätze des Feudalrechts, sondern sogar des fürjeden Erblasser geltenden Rechts auf den Thron bezogen werden können. Einberühmter italienischer Rechtsgelehrter, ]acobus de Butrigariis, verfaßte darübereinen eigenen Traktat. Seine Gegner machten ihm den Einwand, daß in früherenEpochen der aragonesischen Geschichte die Frauen ausgeschlossen gewesen seienund daß dies auch in anderen Ländern als Rechtssatz anerkannt werde. WichtigeBelegstücke für diese Auffassung bildeten die Testamente ]aimes I., der ja überseine Töchter hinweggegangen war. Auch wurde angeführt, daß Jaime Ir. nieversucht hatte, seiner ältesten Tochter, die vor dem ältesten Sohn geboren wor-den war, die Nachfolge zuzuschanzen. Das Gegenargument, die Königin Petro-nilla ct 1172) habe Aragon an die Markgrafen von Barcelona gebracht, wurdenicht gelten gelassen - mit Recht, denn sie war ja die letzte ihres Stammes ge-wesen. Eindruck machte der Hinweis, der König dürfe sich in einer so wichtigenFrage nicht über die Entscheidungen seiner Vorfahren hinwegsetzen. Der Hin-

    61 Zurita, Anales II, f.66v•62 Vgl. zum folgenden Zurita, Anales Ir, f. 187vff., der sich hier auf die

    Chronik Pedros stützt.

  • 116 Percy Ernst Schramm

    weis, der Papst könne ja die Streitfrage entscheiden, stieß auf die Gegenthese,so weit reiche dessen Kompetenz in weltlichen Dingen nicht. Dem Argument desKönigs, daß er entscheiden dürfe, da er von seinen Untertanen anerkannt wor-den sei, wurde entgegengehalten: wenn Pedros Vater vorzeitig gestorben wäre,hätte der Großvater nicht das Recht gehabt, die Krone den nachgeborenen Söhnenzuzuwenden, da er an das Recht der Erstgeburt, also an Pedros Nachfolge, ge-bunden gewesen sei. Diese überlegung stieß wieder auf den Einwand, das Prinzipder Primogenitur müsse eben folgerichtig angewandt werden, wie das auch in denanderen spanischen Reichen sowie in Sizilien der Fall sei, Dann ergebe sich, daßauch den Töchtern die Nachfolge zukomme.

    So wogte die Erörterung hin und her, ohne daß die eine Partei dieandere zu überzeugen vermochte. Es handelte sich eben um eineFrage, die sich weder mit rechtlichen noc.h mit historischen Gründenentscheiden ließ, der gegenüber auch die Ethik oder der gesundeMenschenverstand versagten, da sie Argumente sowohl für als auchgegen das cognatische Prinzip boten. Es war eine Frage der Oppor-tunität, wenn nicht der Macht.

    Am 23. März 1347 gab Pedro bekannt, daß seine Tochter ihm fol-gen solle und daß er gedenke, sie mit einem der vielen Seite.nver-wandten seines Geschlechtes zu vermählen, so daß seine Untertanenkeine Sorge zu tragen brauchten, die Krone falle eines Tages aneinen Ausländer. Einen Augenblick schien es so, als wenn die ganzeErregung unnötig gewesen sei; denn die Königin schenkte einemKnaben das Leben - aber er starb gleich nach der Taufe und nahmseine Mutter mit ins Grab. Daher blieb es dabei, d;~Bder Infantin alsPrimogenita gehuldigt ward. Das aber nahm Don Jaime nicht hin.Er nutzte den Unwillen aus, der sich im Lande gegen seinen Bruderangesammelt hatte, und machte sich zum Haupt einer Union, derenSchwerpunkt wieder in Zaragoza lag. Sie fand so starken Zulauf,daß der König in die schwierigste Lage kam und versuchen mußte,das aufgeflammte Feuer durch Zugeständnisse aller Art zu beschwich-tigen. Wurde ihm doch die Möglichkeit vor Augen gehalten, es könneja auch ein anderer König gewählt werden! Pedro bequemte sich da-her dazu, die seiner Tochter dargebrachte Huldigung für ungültigzu erklären; doch hielt er für den Fall, daß er keine Söhne mehr be-kam, ihr Recht auf den Thron aufrecht.

    Von seinem gefährlichsten Gegner befreite den König der Tod:unerwartet starb der Infant Don Jaime; sogleich hieß es, Pedro habeihn vergiften lassen. Aber nun trat der nächste Bruder, Don Fer-nando, der ältere der beiden Stiefbrüder, der Rückhalt an seinen ka-stilisehen Verwandten hatte, an die Spitze der Königsgegner, derenZentrum jetzt in Valencia lag. Pedro wurde gezwungen, abermalsalles zu widerrufen, was er für seine Tochter getan hatte, und Fer-nando als Thronerben und Gobem.ador general anzuerkennen. Sicher-

  • Der König von Aragon

    lieh war es ~hm nie ernst mit diese~ Zusage, und als die um sich grei-fende Pest ihm Gelegenheit bot, sich aus den Fängen seiner Feindenach Barcelona zu retten, hatte er gewonnenes Spiel: 1348 schlug erdie Union von Aragon nieder, und bald darauf wurde er auch mitden Gegnern in Valencia fertig. Fortuna stand dem König noch wei-ter bei. Er hatte sich inzwischen wieder verheiratet, und seine neueGemahlin schenkte ihm den seit langem erhofften Sohn. Daher hatteer es nicht mehr nötig, für die Tochterfolge einzutreten. Der alteGrundsatz, die Krone Aragons könne nur von einem Manne getra-gen werden, trat wieder in Kraft.

    In seinem Testament rückte Pedro eindeutig von dem Standpunktab, den er zu Anfang seiner Regierung eingenommen hatte: er kehrtezu den Prinzipien Jaimes I. zurück und schloß die Frauen von derErbfolge aus. Daher erbte nach Juans 1. Tod nicht dessen Tochter,sondern sein jüngerer Bruder Martin I.

    Diese Regelung warf erst das Aussterben der Hauptlinie des Ge-schlechts über den Haufen (1412). In Navarra und Kastilien hättediese Tatsache keine rechtlichen Schwierigkeiten gemacht, da nachden Regeln der cognatischen Erbfolge leicht auszumachen gewesenwäre, wer der nächste Erbe war. In Aragon bedurfte es eines "Kom-promisses", des compromis de Casp, um einen neuen König zu be-stimmen.Mit der Einstellung Pedros IV. zu seiner Tochter wird zusammen-

    hängen, daß er auch die Stellung der Königin stärkte. Bisher wares nur einmal zur Krönung der Herrscherin gekommen: Pedro Ill.hatte sich 1276 zusammen mit seiner Gemahlin weihen lassen; aberdarauf war in seinem Ordo keine Rücksicht genommen worden. Al-fonso Ill. war bei seinem Tode noch unvermählt. Jaimes 11. Krö-nung hatte vor seiner Vermählung stattgefunden, die Alfonsos IV.vor seiner zweiten Ehe. Die vorhandene Lücke schloß erst der imAuftrage Pedros IV. 1353 aufgesetzte Ordo, indem er an die denKönig betreffenden Abschnitte einen Ordo für die Weihe der Köni-gin anschloß.

    Der Redaktor ging dabei so vor, daß er den Königsordo sinngemäß abänderteund außerdem noch den Ordo für die Kaiserin heranzog. In konsequenter Fort-bildung des Prinzips, das den Königsbrauch beherrschte, ist es der König selbst,der seiner Gemahlin die Krone aufsetzt. So hat Pedro noch seine vierte Gemahlinim Jahre 1380 erhöht - bezeichnenderweise erst drei Jahre nach der Ehe-schließung5s• Ein dem Ordo vorausgeschickter Prolog gibt für die Weihe der Kö-nigin folgende Begründung: die Königin sei wie Eva die Gefährtin ihres Mannesund müsse deshalb Teil an den geistlichen Gaben, Ehren und Vorrechten erhaltenwelche die heilige Mutter Kirche den Königen von Aragon verliehen habe. Die

    61 Blancas, a.a.O. S.153ff. nach der Cronica Pedros (lib. VI, Schlußkapitel).

  • 118 Percy Ernst Schramm

    Königin hält daher ihre Nachtwache, wobei jedoch deren ritterlicher Charakterausgemerzt ist, und sie legt auch "geistliche" Gewänder an. Sie wird genau sogesalbt wie der König und erhält als Herrschaftszeichen Krone, Szepter, Reichs-apfel und Ring. Eine so weitgehende Angleichung der Königin an den Königkannte man in anderen Ländern nicht.

    Nicht vergessen werden darf, daß der aragonesische Herrscherauch Ritter war und daß darauf bis in das späte Mittelalter Wertgelegt wurde. Ähnlich war es auch in Frankreich, in England underst recht in Kastilien; und ebenso wie in diesen Ländern räumen dieOrdines und die Beschreibungen der Krönung der ihr voraufgehen-den Ritterweihe des Königs und der an sie anschließenden Austei-lung der Ritterwürde an den zus:1:mmengestr?mten Adel beträcht-lichen Platz ein. Wir kennen also die Zeremonien der Gürtung bis inalle Einzelheiten, brauchen aus ihnen aber nur die Tatsache, daß derKönig sich das We~rgehenk s:e1bst um~egt, festzuhalten. da allesübrige mehr oder minder ähnlich auch 111 den andern Ländern üb-lich war.

    Welche Bedeutung die Könige dem Akte beimaßen, ersieht man aus einemBriefe Alfonsos IV., in dem er einem anderen Fürsten in einem Atemzuge mit-teilt, er sei mit dem cingulum müitare gegürtet und mit den königlichen In-signien, Szepter, Reichsapfel und Krone, geziert worden 04. Auch der Adel nahmdie Gürtung nicht minder wichtig. Unter den Forderungen, die er 1264 Jaime I.präsentierte, findet sich auch die, daß er die Söhne der Ricos Hombres erziehen,verheiraten und zu Rittern machen müsse, und je länger mit der Zeit die Berichteüber die Krönung werden, um so ausführlicher wird auch die Schilderung, wieder König die Vornehmsten zu Rittern macht und wie diese dann die soeben er-worbene Würde wiederum an andere austeilen. Während in der Kirche durchHandauflegung die apostolische Nachfolge gewährleistet wird, erneuert und ver-mehrt sich bei jeder Krönung das aragonische Rittertum durch Weitergabe derGürtung, In den Beschreibungen fehlen auch die Namen derer nicht, die der Kö-nig selbst ausgezeichnet hat. Da mögen stets - ähnlich wie vor den Ordensver-leihungen der Neuzeit - lange Erwägungen voraufgegangen sein, wer würdig undpolitisch genehm sei und wer nicht. Wie ernst das genommen wurde, zeigt eineder Bestimmungen der Cortes von Exea (1265): derjenige Ritter, der die Ritter-würde an Unwürdige verliehen habe, solle seine Lehen verlieren. Es war der Adel,der dies verlangt hatte.

    Die Erstarrung des Rittertums, die das ganze späte Mittelalterkennzeichnet, hat auch Aragon gekannt, und in Katalonien mit seinemaufstrebenden Bürgertum ist das erst recht spürbar gewesen. Aber wieselbst im König der Gedanke der Ritter-ehre viel stärker sein konnteals jede realpolitische Überlegung, zeigt eine von Muntarier unge-mein anschaulich geschilderte Episode im Leben Pedros Ill. Auf dieEroberung Siziliens hin hatte ihn Kar! von Anjou zum Zweikampfgefordert. Man kam überein. daß der König von England das Schieds-

    Mo Ch. de Tourtoulon, Jaime Ier, II, Montpellier 1857, S.34O.

  • Der König von Aragon II9

    richteramt übernehmen und der Kampf vor den Toren des damalsenglischen Bordeaux ausgetragen werden sollte. Erst wurde darüberverhandelt, daß jede Partei vierzig Kämpfer zu stellen hatte55• Aberin Aragon glaubte man, daß Kar! falsches Spiel treibe und die An-marschwege überwache. Daher machte sich Pedro, verkleidet als Ge-hilfe eines Pferdehändlers. ohne Gefolge auf den Weg. Er fand sichzur verabredeten Zeit an dem festgesetzten Platz ein, auf dem dieGegenpartei sich natürlich noch nicht eingefunden hatte, da sie Pe-dros Kommen für unmöglich hielt. Der König ließ, nachdem seineAufforderung, Kar! solle sich zum Kampfe stellen, ungehört verhalltwar, darüber ein Protokoll aufnehmen und es dem Gegner zustellen.Bevor dieser es erhielt, war er selbst schon über alle Berge, das heißt:über die Pyrenäen. Dieses Abenteuer erweckte, sobald es bekanntwurde, großes Aufsehen und trug dem König das Ansehen eines un-tadeligen Ritters ein. Und in der Tat: es war ein echtes Ritterstück,gewagt auf Kosten des Königtums. Aber S'O haben ja auch viele an-dere Herrscher des Mittelalters, selbst Kar! V., noch gedacht. Es warenim Grunde der alte Gedanke, daß es sich bei einem solchen Kampfeum ein Gottesgericht handle, und der weitere, mindestens ebenso alte,daß der König sich für sein Volk 'Opfern müsse, wenn die Not esfordere, Eine spätere Zeit würde den Zweikampf für unvereinbar mitder "Staatsräson" gehalten haben. In der Pedros Ill. trug die Bereit-schaft, ihn durchzufechten, nicht nur zu seinem Ruhme bei, sondernauch zu dem seines Landes 56.

    Das zeigt sich auch sonst: die Ehre des Königs, die Ehre sei-nes Hauses und die Ehre Aragons- Kataloniens, sie fallen zu-sammen. Daher vergleicht man das, was man im eigenen Lande sieht,mit dem, was man bei den Nachbarn gewahrt, und erregt sich, wennman dessen fine wird, daß einer von ihnen in irgendeiner Weise etwasvor der Krone Aragon vorauszuhaben glaubt. Deshalb blickt manaber auch in die Vergangenheit zurück, vergleicht die eigene Ge-schichte mit der der anderen Staaten und verlängert sie nach rück-wärts.

    Peinlich war es da, daß die aragonischen Daten nicht so weit hinaufreichtenwie die kastilische Geschichtslegende, die durch den König Pelayo, den ehemali-gen Waffenträger des Königs, den Anschluß an die westgotische Geschichte ge-funden hatte. Das führte im 13. Jahrhundert zu einer gewaltsamen Geschichts-konstruktion, derzufolge es auch im Reiche Sobrarbe am Pyrenäenhang nach er-folgreicher Bekämpfung der Mauren zu der Erhebung eines Königs gekommen sei.Dieser hatte angeblich eine mehrere Generationen hindurch an der Herrschaft ge-

    6. Unter den Kämpfern. Pedros befand sich auch ein Sohn des Königs vonMarokko, der erklärte, Christ ,!erden zu wollen, wenn dessen Partei siegte.

    66 Vg!. die (angedruckte) DiSS. von Kurr-Geerg Cram, Judicium belli. ZumAmtscharakter des Krieges im deutschen Mittelalter, Göttingen, Dezember 1952.

  • IZO Percy Ernst Schramm

    bliebene Dynastie begründet. Für den einen oder anderen Namen der Legendegab es in der überlieferung vage Anhalte; im Gesamt jedoch war das ganze Kö-nigreich Sobrarbe ein Hirngespinst. Es taucht wohl zuerst in der Cronica de SanJuan de la Peiia auf und wird vom 14. Jahrhundert an aUgemein als feststehendeTatsache hingenommen. Pedro IV. beschenkte das Kloster, in dem angeblich einerder erfundenen Könige begraben lag, mit einem wertvollen Stoff, um damit des-sen Grab zu schmücken. Auch die Neuzeit blieb bei diesem Glauben. J. de Blancasct 1590) zählte nicht nur alle Könige von Sobrarbe auf, sondern setzte auch nochihre angeblichen Wappenschilde dazu. Nur Zurita erweist sich auch hier als Mei-ster der Kritik. Er nahm nur vorsichtig Notiz von diesem Geschichtsphantom.Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist diese Erfindung endgültig alsLegende erkannt worden. - Die erfundene Urgeschichte Aragons ließ wieder dieKatalanen nicht ruhen: sie erfanden sich einen Otger Catalo, der schon vor Karldem Großen den Kampf gegen die Mauren aufgenommen haben sollte, also einwürdiger Zeitgenosse des Pelayo und des ersten Königs von Sobrarbe war57•

    Ein SO zähes Leben hätten die beiden Geschichtserfindungen nichthaben können, wenn sie nicht einem Bedürfnis des aragonesisch;katalanischen Nationalstolzes entsprochen hätten. Wenn man sichin diese Gesinnung hineindenkt, versteht man noch besser, weshalbPedro Ill. gegen die "Staatsräson" verstieß.

    Die Ehre des Königs und die Ehre des Landes verlangten einenHofstaat, der sich neben dem Gepränge an den anderen Höfen Eu-ropas sehen lassen konnte und jedem Besucher vor Augen führte, wiegroß die Macht und das Ansehen des Königs so vieler Reiche war.

    Die Geschichte des Hofstaats und die Entwicklung der Etiketteläßt sich in Aragon besser als in jedem anderen Lande verfolgen.Denn es liegen außer den Ordines noch mehrere Hofordnungen vor.

    Wenn man von der ganz für sich stehenden Karolingischen Schrift de ordmepalatti absieht, beginnt diese Gattung von Aufzeichnungen erst im 12. Jahrhun-dert. England machte den Anfang, Frankreich folgte im 13. Jahrhundert. An derSpitze der aragonesischen Aufzeichnungen stehen die 1276/77 niedergeschriebenenOrdenaments del senyor rey en Pere, an die 1277 noch ein Nachtrag anschloß. Inder Zeit Alfonsos Ill. folgten 1286, 1288 und 1291 drei weitere Ordenaments, diemit der Notwendigkeit zusammenhängen werden, die königliche Hofhaltung ratio-nell zu gestalten, um der Union des Adels den Wind aus den Segeln zu nehmen.Daß sie dem Interesse des Königs förderlich waren, zeigt sich daran, daß Jaime II.sie 1308 ergänzen ließ. Den Anstoß zur Niederschrift aller dieser Texte gab im-mer wieder das Bedürfnis, die Bezüge der Hofbeamten festzulegen. Zu diesemZwecke werden sie alle aufgezählt, so daß sich genau verfolgen läßt, wie die Hof-haltung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt umfangreicher wird58•

    67 Vgl, F. Valls Taberner, El sentit alemany de la llegenda d'Otger Catal6,in den Gesammelten Aufsätzen zur Kulturgesch. Spaniens n, Münster 1930(Span. Forschungen der Görresgesellschaft 1,2), S.397-399.

    68 L. Klüpfel, VerwaItungsgeschichte des Königreichs Aragon zu Ende des13. Jahrhundert, 1915; R. Schwarz, Aragon. Hofordnungen im 13. und 14. Jahr-hundert, 1914; C.A. Willemsen, Zur Genesis der mittelalterlichenHofordnungen

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    In Pedros Ordenaments findet sich jenes Durcheinander von feu-dalen ~hrenämt~rn und tatsächlich~n Verwa~tungsstel1ungen, das denspätmittelalterlichen Staat allgernein kennzeichnet, Wir begegnen alsonoch den alten, aus dem germanischen Bereich stammenden Hof-beamten, die bereits im 11. Jahrhundert an dem damals noch soschlichten Hofe Aragons anzutreffen sind. Aber genau so wie in denandem Ländern sind es jetzt große Herren, die sich mit den altenTiteln schmücken und bei feierlichen Gelegenheiten auch noch die Zuihren Ämtern gehörenden Obliegenheiten versehen, deren Wahrneh-mung im Alltag jedoch längst anderen überlassen haben 59. War beider Krönung eines Königs ein Infant zur Stelle, dann erachtete er esnicht als unter seiner Würde, die Funktion des Majordomus zu über-nehmen 60. Unter ihm amtierten: der Oberkoch (Sobracocb )61, derVerwalter der königlichen Vorrats- und Schatzkammerj Repostero )62,der Truchseß (T'allar], der Mundschenk (Copero )63, der Oberkeller-meister (Bobillero mayor)64 und der Gläsermeister (T/elltallo).

    Der entscheidende Schritt, daß eine Hofordnung sich nicht mit derAufzeichnung der Bezüge begnügte, sondern vermerkte, welche Ver-pflichtungen und Aufgaben jedem einzelnen Beamten oblagen, dieserSchritt, durch den sich nüchterne Verwaltungsnotizen in ein ethi-sches Handbuch verwandelten, wurde nicht in Aragon, sondern indem kleinen Nebenkönigreich Mallorca getan: 1327 entstand die so-genat1lIlte "Hofordnung des Königreichs Mallorca" (Leges Palatinae),ein umfangreicher, für den König bestimmter Text, an dessen Abfas-sung der König dieses Inselreiches, jaime II .,offensich dich s~arkenAn-teil nahm 65. Auf Jaime selbst geht zurück, was diese AnweIsun.~en-der Ausdruck Leges führt in die Irre -über den Käl?-igsagen. Außer-lieh laufen sie darauf hinaus daß der Herrscher Distanz halten sollund alles sich nach wohlabgestufter Etikette vollzieht. Da es sich

    mit besonderer Berücksichtigungder Leges Palatinae Jakob~H. von Mallorca, imPersonal- und Vorlesungsverzeichnis der Staatl. Akademie m Braunsberg, 2. Tri-mester 1940 (385.). Nach den Rechnungsbüchern hat den Hofstaat Pedros Ill.als Thronfolger und den seiner Gemahlin dargestellt Soldevila, a.u.O. 1,1,S.45ff. und 1,2 S.143 H. In Kastilien fehlen entsprechende Aufzeichnungen. Man-ches läßt sich jedoch aus den Siete Portidas und aus den Schriften des InfantenJuan Manuel entnehme.n..

    69 Schramm, König m England S.62ff.; Ders., König von Frankreich I,S.164ff. 60 Über dies Amt s. Schwarz S. 5££., 44ff. 61 Vg!. ebd. S.l1f£., 55££

    61 Ebd. S.7ff., 81f£. 6S Ebd. S. 51H. 6' Ebd. S. 51ff.65 Gedruckt in den Acta Sanctorum, Juni V, Venedig 1743, S. Iff. = IV, 1867,

    dazu Schwarz, a.a.O. S..122-141 ~d jetzt grundlegend Willemsen, a.a.O.Eine von ihm für da_sInstlt~t d'Estudis Catalans ins Auge gefaßte neue Ausgabewurde durch den Krieg verhindert. Daß entgegen anderer Auffassung RaimundusLullus mit den L. P. nichts zu tun hat, stellte E. Wohlhaupter, R.L. und dieRechtswissenschaft, in der Festgabe E. Mayer, Weimar 1932,5.174 fest.

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    nicht schicke, daß jeder ohne weiteres an ihn he.rantrete, sollen ihn,wo er auch geht und steht, vier Wächter beglelte_n. ~n d~n hohenFesttagen hält der König seine Tafel so, daß alle ihn rn seiner hila-ritas sehen können. Doch darf er dem Volke sein Wohlwollen nichtdauernd zeigen, damit es die Furcht des Ge~o~sams nicht verliereund keine Anmaßung wach we.rde. Aber der ~ontg stellt a~ch A~for-derungen an sich selbst: in Jedem Augenblick hat er SIch sernemStande gemäß und ausgewogen honesie et temperate, gratus et ho-neste aufzuführen. Die Begründung seiner Ansprüche ergibt sich ausdem Gottesgnadentum, die an die Hofbeamten gestellte Forderungaus der alten Lehre, der Staat sei ein Organismus, in dem jedes Glieddie ihm entsprechenden Funktionen im Dienst des Ganzen zu voll-ziehen hat.

    Kaum je ist vom Ordo-Gedanken bei der Regelung des praktischenLebens ein so intensiver Gebrauch gemacht worden wie in diesenLeges Palatinae. Ein jeder hat seinen Platz, seine Pflichten, seine An-rechte; ~chts soll ver~engt oder durcheinander gebracht werden. Jenäher einer dem Kömg steht, um so mehr Anspruch auf Würdekommt ihm zu. Um so sorgfältiger muß aber auch die Auswahl ge-troffen werden. Bis in die untersten Ränge, die gleichfalls mit einerpedantisch anmutenden Genauigkeit aufgeführt werden} muß alleswohl geordnet sein. Was aber ein jeder auch im Dienste des Königszu tun hat, er hat es als Ehre, als Auszeichnung aufzufassen.

    Handelt es sich um Gedankenspielerei ernes Duodez-Königs, dender Mangel an größeren Aufgaben dazu trieb, den Geist von Ver-sailles vorwegzunehmen? Diese Auslegung ist falsch, wie das wei-tere Schicksal der Leges Palatinae zeigt. Die mit schönen Miniaturenverzierte Originalhandschrift fiel Pedro IV. von Aragon in die Hände,als er 1343 der Selbständigkeit des Nachbarkönigreichs ein Endemachte. Der Inhalt muß ihn tief beeindruckt und seine volle Billigungerfahren haben. Denn er veranlaßte, daß eine Übersetzung des latei-nisch abgefaßten Textes in das Katalanische in Angriff genommenwurde. Bei deren Länge erwies sich das als eine so umfangreiche Ar-beit, daß sie liegen blieb. Pedro gab daher die lateinische Fassung am17. Oktober 1344, anderthalb Jahre nach der Eroberung der Insel, alsOrdenacions fetes per lo molt alt senyor an Pere terc rey Daragasobra lo regiment de tots los ofieials de la sua cort heraus 66. Einerder merkwürdigsten Belege für "geistigen Diebstahl", an denen dasMittelalter ja sehr reich ist. Denn durch ihn wird alles das, was inder Ruhe des abgelegenen Königreichs ausgetiftelt worden war, nun

    66 Gedruckt in der Colecci6n de doe. ineditos V, Barcelona 1850. Die vonSchwarz, a.a.O. S.123£. nachgewiesene Übereinstimmung mit den Leges Pala-tinae hat Willemsen, a.a.O. genau belegt.

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    für Pedros soviel größeres Reich annektiert -~genau so wie es Mal-lorca selbst gegangen war. Daran ist zu erkennen, daß das was derInselkönig hatte aufzeichnen lassen, voll und ganz dem Geist derZeit entsprach, insbesondere der Einstellung Pedros IV., dem dieNachwelt ja den Beinamen "eI Cerernonioso" verliehen hat. DieserKönig hätte sich wohl nicht mehr als Pferdeknecht verkleidet auf-gemacht, um als Ritter für die Ehre seines Landes einzustehen. Denner war mehr als Ritter. Von seiner Zeit an begegnet die Anrede:Vostra gran Senyoria.

    Rex Aragonum, Valencia, Sardinie et Corsice comesque Barchi-none: dieser Titel konnte - wie der Leser jetzt gewahr gewordenist - nicht kürzer sein. Ihn bestimmte nicht das Prunken mit mög-lichst vielen Ländernamen, um große Macht anzudeuten; er war viel-mehr bedingt durch die Struktur des aragonesischen Reiches, das nurdadurch zusammengehalten werden konnte, daß alle seine Einzel-reiche in ihrer Sonderart respektiert wurden. Das taten die Könige,und indem sie sich einmal mehr auf das eine ihrer Länder und dannwieder auf das andere stützten, haben sie die Krisen überwunden, dieentstanden, wenn eines ihrer Länder ihnen den Gehorsam versagte.Die Nachfolge hatten sie nicht nur genau geregelt, sondern sie sicher-ten sie auch noch vorbeugend. Sie haben sich - wie alle anderenHerrscher dieser Zeit - mit ihren Ständen gestritten, aber König undUntertanen erkannten - wie die einzigartige Institution des gegebe-nenfalls auch gegen den König entscheidenden [usticia mayor be-weist - einen und denselben Rechtsboden an. Wirft man die Frageauf, welche der mittelalterlichen Fürsten dem neuzeitlichen Idealdes Konstitutionalismus am nächsten gekommen sind, dann wird dieAntwort lauten müssen: jene Könige, die - genau genommen -falsch bezeichnet sind, wenn man sie "Könige von Aragon" nennt.

    Damit ist gesagt, in welcher Richtung die Antwort auf die eingangsaufgeworfene Frage zu suchen ist, wieso das Vielländerreich an derWestküste des Mittelmeeres die Zeiten überdauerte, während andereStaatsunionen wieder zerbrachen.

    Korrektur-Nachtrag: In den Spanischen Forschungen der Görresgesell-schaft, 1.Reihe: Gesammelte Aufsätze ZUr Kulturgeschichte Spaniens IX, 1954 istinzwischen ein Aufsatz von F. Mateu y Llopis über den Titel der Könige vonAragon erschienen. i