Upload
others
View
2
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
' INFO-PARTNER
l1111111lllllllllllllllllllllllllllllIII hl J
006863 Perspektiven der Schweiz
Referat von Daniel Thürer, Professor für Völkerrecht, Europarecht, Staats- und
Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, an einer öffentlichen Veranstaltung der
Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Demokratie am 1. November 1999
I. Einführung: Probleme
Für die Einladung, heute abend zusammen mit Ihnen einige Gedanken und Ideen
zum Thema ,,Perspektiven der Schweiz" teilen zu dürfen, danke ich Ihnen sehr
herzlich. Es freut mich natürlich, dass mir mit der ,,Arbeitsgemeinschaft für
Demokratie" ein so würdiges Forum zur Verfügung gestellt wurde.
Auch der Name des Ortes unserer Zusammenkunft, ,,Weisser Wind", gefällt mir. Ich
weiss nicht, woher die Bezeichnung kommt. Ich assoziiere den W irtshausnamen
,,Weisser Wind", natürlich völlig unzutreffend, mit einem Mythos aus Westkanada,
den ich bei Claude Lévi-Strauss' gelesen hatte. Er handelt vom Rochen, der es vor
urdenklicher Zeit unternommen hatte, den Südwind zu besiegen oder sich untertan
zu machen. Die Bewohner der Küste wurden damals in extremem Masse von den
Winden geplagt: Die Winde, besonders die bösen Winde, wehten nämlich immerzu
und machten ihnen das Fischen und das Muschelsammeln am Strand unmöglich, bis
es dem Rochen gelang, den Südwind gefangen zu nehmen. Der Südwind wurde erst
wieder freigelassen, nachdem er versprochen hatte, nicht mehr wie bisher ohne
Unterlass, sondern nur noch ab und zu und zu besonderen Jahreszeiten zu wehen.
Seither weht der Südwind nur noch zu bestimmten Jahreszeiten oder nur noch an
jedem zweiten Tag; während der übrigen Zeit können die Menschen ihrer Tätigkeit
nachgehen.
Können wir heute abend - eine Woche nach den eidgenössischen
Parlamentswahlen - diese Geschichte als ein Symbol anrufen für den Versuch der
rechtsstaatlichen Verfassung, die politischen Energien dadurch zu mässigen und in
einen Rahmen und Rhythmus zu zwingen, dass die Volkssouveränität nur unter
bestimmten rechtlich festgesetzten Voraussetzungen, z.B. bei Wahlen, unmittelbar
2
zum Ausdruck gelangt,
wahrnehmen können?
während im übrigen die Bürger ihre alltäglichen Aufgaben
Mit diesen Anspielungen auf den Ort unserer Zusammenkunft stehen wir, meine
Damen und Herren, bereits mitten im Thema. Ich soll also einige Gedanken äussern
über ,,Perspektiven der Schweiz".
Sie haben vielleicht angenommen, dass ich nun die öffentlichen
Auseinandersetzungen der letzten Monate und die eidgenössischen
Parlamentswahlen kommentiere. Gestatten Sie mir, hiervon abzusehen! Denn
hierüber sind Sie alle zur Genüge informiert worden. Zudem glaube ich: Die Themen,
welche die Medien beschäftigt haben - von der Bellasi-Affäre bis zu allen
Wechselfällen rund um die Expo 2000/01 - sind es nicht wert, so viel politische
Energien der Bürger zu absorbieren, wie es der Fall war. Und was die nun
abgeschlossenen Parlamentswahlen betrim, halte ich sie - wie übrigens auch
jüngste Wahlen im Ausland - für so wenig attraktiv und so ideenschwach, so
inhaltsleer, dass es mich nicht reizt, sie näher zu analysieren.
Gestatten Sie mir daher, meine Damen und Herren, einen alternativen -
distanzierteren, nicht so pessimistischen und vielleicht etwas spekulativen -
Approach.
Ich gehe davon aus, dass in unserer Gesellschaft ein viel höheres Potential an
Gectaltungskraft angelegt ist, als es zurzeit an der Oberfläche der Medien mit all
ihren Konjunkturen und Aufgeregtheiten zum Ausdruck kommt. Wir müssen diese
Energien aber produktiv nutzen. Wir kennen die biblische Geschichte vom Weinberg,
dessen Bestellung an drei Arbeiter vergeben wurde. Der Dritte, der am kürzesten
arbeitete, erhielt den gleichen Lohn wie die beiden anderen, da er die grösste
Leistung erbrachte: weil er das ihm anvertraute Gut optimal genutzt und das in ihm
enthaltene Potential nutzbar gemacht hat.2
' - Matthaus 29, Verse 5-16
CLAUDE LEVI-STRAUSS, Mythos und Bedeutung, Bibliothek Suhrkarnp, Frankfurt a.M. 1995, S . 34 ff.
3
Wo liegt das Potential? In einer Studie eines Stanford Research Institute wurden vor
einigen Jahren drei psychologische Entwicklungsstufen von Personen und
Gesellschaften unterschieden:
- die erste wird als ,,Sustenance Driven" bezeichnet; sie ist gekennzeichnet durch
eine Priorität, die der finanziellen und sozialen Sicherheit gegeben wird, und sie
ist geprägt vom Widerstand gegen den Wandel;
der zweite Typus ist ,,Outer Directed", angetrieben durch Prestige, Ruhm, Erfolg
und äussere Geltung;
-
- der dritte Typus der ,,Inner Directedness'' stellt Talentverwirklichung,
Glaubensüberzeugung, ethische Qualitäten, innere Erfüllung und Wachstum in
der Vordergrund .
Ich glaube - dies ist mein Ansatzpunkt -,
- dass wir als Gesellschaft noch stark vom Sicherheitsdenken - finanzielle
Sicherheit bis zur Sicherheit des Landes durch eine überzogene Neutralitäts- und
Verteidigungsdoktrin - beherrscht sind;
dass nun in unserer hektischen, globalisierten Gesellschaft das äussere, letztlich
den gesellschaftlichen Zusammenhalt erodierende Erfolgsdenken einen grossen
Raum einzunehmen beginnt;
-
- dass aber für die Zukunft der Besinnung auf und der Aktualisierung von
inhärenten Werten etwa der Kultur im weitesten Sinne eine besondere Priorität
zukommen soll; dabei wird die Verwirklichung des eigenen inneren Selbst
automatisch auch zu einem richtigen Verhalten nach aussen führen.3
Was ist hiermit gemeint? Lassen Sie mich versuchen, mein Anliegen anhand von
drei Problem kom pl exen zu veranschaulichen.
Es geht mir darum, zwei Schnittstellen in unserer Gesellschaft aufzuzeigen und
schliesslich ein Projekt für die Zukunft zu entwerfen. Die erste Schnittstelle betrifft
das Verhältnis der sog. ,,privaten" zur sog. ,,öffentlichen" Sphäre und insbesondere
die mich als Verfassungsrechtler interessierende Frage, ob es in der Tat richtig ist,
3 Vgl. C.F. Ramuz, La pensée remonte les fleuves, Paris, S. 10 : ,,Je suis peut-être patriote, je ne SUIS
pas nationaliste. Patrie, nation. Qu'est-ce que ces deux mots signifient? On sent bien qu'ils ne sont pas synonyms, s'ils ne s'opposent pas absolument."
4
unser Augenmerk wie gebannt auf Vorgänge der Deregulierung und Privatisierung zu
lenken, oder ob es nicht vielmehr geboten wäre, offensiv Werte unserer
verfassungsrechtlich geprägten öffentlichen Kultur auch auf die Welt des sog.
privaten Geschäftslebens zu ü bertragen. Bei der zweiten Schnittstelle
,,national/international" geht es um unser Verhältnis zu Europa und zur
internationalen Gemeinschaft schlechthin; ich versuche hier, ein Vakuum zu
betreten, das uns die Parteien im vergangenen Wahlkampf unbegreiflicher- und
unverzeihlicherweise hinterlassen haben. Und beim dritten, viel konkreteren Punkt,
den ich gerne als Staatsbürger mit Ihnen besprechen und austesten möchte, geht es
um ein mögliches Projekt, nämlich in dem meiner Meinung nach hierzu besonders
prädestinierten Kanton Graubünden eine Begegnungsstätte, bzw. ein Institut für
Minderheitenfragen zu kreiren.
I I . Drei Problemfelder
1 . Schnittstelle von ,,privater" und ,,öffentlicher" Welt
,,Dort bleiben die Götter klein, während die Menschen wachsen. Wenn sie so gross geworden sind, dass sie die Götter nicht mehr sehen, müssen sie einander erwürgen.
Gestatten Sie mir zunächst einige Überlegungen aus verfassungsrechtlicher Sicht
zum Verhältnis ,,öffentliche" und ,,private" Welt. Unser Denken steht weltweit - wohl
seit 1989 - im Banne der Oekonomie. ,,Markt" und ,,Geld" sind zum Ziele, ja sogar
zum ,,Credo" oder sogar zur ,,Religion" für viele geworden (,,ein Volk - ein Markt - ein
Geist"), während sie doch blosses Mittel zur Ermöglichung und Erleichterung einer
sinnvollen Lebensgestaltung sein sollten.
Der Kapitalismus, dessen Gier und Grenzenlosigkeit etwa Gottfried Keller schon im
letzten Jahrhundert in seinem Roman ,,Martin Salander" mit scharfen Worten
gegeisselt hatte, scheint eine Renaissance zu erleben. Alles ist, vor allem in
Eliac Canetti, Aufzeichnungen 1942 - 1972, Frankfurt a. M., 1979, S. 181. 4
5
Amerika, in steigendem Masse aber auch bei uns, im Begriff, zum ,,Business" zu
werden. Unternehmungen werden vor allem nach Massgabe ihrer Effizienz und der
Gewinne bewertet, die sie für die ,,share holders" abwerfen. In der Betriebswirtschaft
und weit darüber hinaus hat sich ein Sprachgebrauch etabliert, der dem Vokabular
des Sachenrechts, der Ingenieure oder des Computerwesens verwandt ist. Man
spricht von den Aktionären als den Eigentümern des Unternehmens, den
Mitarbeitern als ,,human resources" - dies neben den Sachmitteln als ,,financial
resources" - und von ,,input", ,,output" und vom ,,planning", ,,management" und
,,controlling", während es bei diesen Wirtschaftsträgern doch nicht nur um ,,Apparate",
sondern um komplexe Formen der Zusammenarbeit von Menschen (Organen,
Angestellten, Lieferanten, Abnehmern usw.) geht und die Unternehmung doch auch
unter dem Gesichtswinkel der Wertverwirklichung in der Gesellschaft gesehen
werden müsste.
Auch wir Öffentlichrechtier sind zusehends in den Sog des rein wirtschaftlichen
Denkens gezogen worden. Slogans wie ,,Deregulierung" und ,,Privatisierung" haben
auch in unserer Wissenschaft - zum Teil freilich zu Recht - Konjunktur erlangt.
Insgesamt frage ich mich aber, ob nicht gerade die Verfassungswissenschaft in die
Gegenoffensive gehen oder zumindest ,,Gegenbilder" entwickeln sollte. Ist es nicht
so, dass die Geschichte und die ,,raison d'être" der Staatsrechtsentwicklung gerade
darin bestand, der Willkür von Machthabern Schranken zu setzen, indem ihnen -
Königen, Fürsten, Kirchenherren usw. - Grund- und Freiheitsrechte abgerungen
wurden, die Macht Schritt für Schritt geteilt, ausbalanciert und transparenter gemacht
wurde, Legitimation am Massstab des Gemeinwohls und Verfahren der
Verantwortlichkeit vor der Offentlichkeit gefordert wurden. Ist es nicht so, dass in
Form des modernen Verfassungsstaates zwar Verfahren der Machtlegitimierung, - begrenzung und -kontrolle geschaffen wurden, die eine Glanzleistung unserer
Zivilisation darstellen, diese in ihrer Relevanz und Reichweite aber in dem Masse
abgeschwächt werden, als Machtballungen im ausserstaatlichen Bereich entstanden
sind, die anderen Gesetzen gehorchen: nämlich der engen wirtschaftlichen
Zwecksetzung statt dem Gemeinwohl, der Geheimhaltung statt der Transparenz, der
Macht konzen trat ion statt der Mach tauftei I u ng .
6
Es fragt sich, ob Unternehmungen nicht - wie in der angelsächsischen Literatur etwa
diskutiert wird - ähnlich wie Städte und Dörfer und nicht mehr als blosse Apparate
gesehen werden müssten, die vielleicht auf einer Art eigener Verfassung beruhten:
einer Verfassung, welche die Mitarbeiter als eine Art Bürger mit ihren Rechten und
Pflichten verstünde, Transparenz und eine Art öffentliche Rechenschaft statuierte,
gewaltenteilige, ja vielleicht sogar föderative Strukturen vorsähe, ja sogar Standards
zur Wahrung elementarer sozialer und ökologischer Interessen der jetzigen
Generation wie auch künftiger Generationen enthielte.
Ja, eine Unternehmung würde nicht bloss ,,Bürgerrechte" vorsehen, sondern sich
selbst sogar irn Rahmen des freien marktwirtschaftlichen Systems, als eine Art
Bürger konstituieren und in Pflicht genommen. Sie würde etwa darauf verzichten,
bestimmte, in menschenrechtswidrigen Verfahren hergestellte Güter zu ü bernehmen
und damit, wie schon Präsident Roosevelt gefordert hatte, dazu beitragen, die
Kanäle des Welthandels von schmutzigen Produkten wie von Konterbande
reinzu halten.
Sie sehen, meine Damen und Herren, was ich im Auge habe: Die Orientierung auch
des Wirtschaftssystems an Werten wie sie sich im Rahmen des modernen
Verfassungsstaates herausgebildet haben. Natürlich fragen Sie sich, ob dies nicht
eine Utopie sei, und: wie gelangen wir vom heutigen status quo zu einem derartigen
Ziel?
Ich habe hierfür keine Rezepte, wenn auch einige Gesichtspunkte, die hier
darzulegen allerdings zu weit führte. Nur zweierlei möchte ich festhaken: Alle
Prinzipien und Institutionen, die unser heutiges soziales Leben gleichsam
selbstverständlich prägen, waren vorher einmal Utopie und Theorie und wurden als
solche belächelt. Und: Die Schweiz mit ihrer besonders ausgeprägten Öffentlichkeits-
und Miliztradition und ihren vielen mittleren und kleinen Unternehmer scheint mir ein
optimaler Boden zu sein, die Idee des Bürgerunternehmens - so konturlos und
verschwommen sie Ihnen noch erscheinen mag - voranzutreiben.
An der Universität Zürich wurde letzte Woche ein Flugblatt der UBS mit der Inschrift
herumgereicht ,,Wissen ist Vermögen". Jawohl: Wissen ist Vermögen. Dabei hat
7
,,Vermögen" aber auch eine immaterielle, ideelle, werthafte Seite, meint nicht bloss
Geld, sondern auch Geltung. Und steckt im Wort ,,Ver-mögen'' nicht auch der
dynamische Gedanke der Macht zur ,,Ver-änderung"? Und dahinter die
Grundaufgabe des demokratischen Rechtsstaates, den (politischen) Willen der
Entscheidungsträger in die Bahnen eines fairen Verfahrens zu lenken?
Soviel also zum ersten meiner Gedanken, den ich - wenn Sie so wollen, aus dem
Elfenbeinturm heraus - mit all seiner dogmatischen und praktischen Unbestimmtheit
für eine künftige Schweiz im Auge habe.
2. Schnittstellen von ,,nationaler" und ,,internationaler" Sphäre
Und nun, neben den sich überschneidenden Problemflächen von ,,öffentlich" und
,,privat" einige Worte zu denjenigen zwischen ,,national" und ,,international" bzw.
,,supranational". Es gehört zu den grossen Paradoxien des zurückliegenden
Wahlkampfes, dass der Frage der internationalen und europäischen Einbettung der
Schweiz geflissentlich, ja beinahe systematisch aus dem Wege gegangen wurde.
Natürlich bestreite ich nicht, dass ein gesunder Finanzhaushalt der öffentlichen
Hand, die soziale Sicherheit, der öffentliche Verkehr, das Asylwesen usw. zentrale
Themen der Auseinandersetzungen sein mussten. Es war für mich aber doch nicht
verständlich, wie die politischen Wortführer wie paralysiert der Europa- und der UNO-
Frage aus dem Wege gegangen sind. Dabei ist sie für das Wohlergehen und die
Würde unseres Landes doch existenziell.
Sie werden sich vielleicht sagen, hier gehe es um mein Fachgebiet, daher nähme ich
es so wichtig, es handle sich hier bei mir um eine gewisse ,,déformation
professionelle". Ein englisches Sprichwort oder ,,bon mot" besagt: ,,he who is good in
hammering sees nails everywhere". ,,Weil der Thürer sich aufs Völkerrecht
spezialisiert hat" - werden einige von Ihnen denken - ,,stellt er das Völkerrecht
überall in den Vordergrund."
Dem ist nicht so. Europa und die internationale Gemeinschaft befinden sich in
fundamentaler Umgestaltung. Wir sind mitten in die modernen Prozesse der
8
wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und kulturellen Interdependenz
hineingestellt. Es wäre dabei dumm und widerspräche unseren wohlverstandenen,
langfristigen Eigeninteressen, unsere politischen Energien allein auf die staatliche
Innenordnung zu konzentrieren und uns den Geschehnissen im Aussenbereich nicht
mit Initiative und Tatkraft zu stellen. Auch aus Selbstrespekt sind wir gehalten, für die
Fortgestaltung Europas und der internationalen Ordnung Mitverantwortung zu
übernehmen. Ich plädiere damit, meine Damen und Herren, nicht für einen
unverzüglichen Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union, obwohl mir ein solcher
Schritt mittel- und langfristig vernünftig erschiene. Ich sage nur, dass wir die
verfassungsbildenden Prozesse in Europa und in der Welt zentral in unser Weltbild
aufnehmen m ü ~ s e n . ~ Wir müssen auch hier von einem rein bilateralen zu einem
übergreifenden, verfassungsmässigen neuen Denken oder Paradigma übergehen.
Dabei brauchen wir uns nicht unbedingt auf das EU-Europa zu fixieren.
Fritz Stern schrieb etwa kritisch:
,,Als das Europa von Brüssel über seine ursprünglichen sechs Mitglieder hinauswuchs und dem Begriff ,,Gemeinschaft" eine grössere Bedeutung zu geben versuchte, fing es an, sich seibst ais Europa schlechthin zu betrachten, überheblich in seiner Selbsteinschätzung, geruhsam provinziell, und in gewissem Masse ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es nur ein Teil Europas war."6
Milan Kundera etwa sagte zur Identität Europas:
,,lm Mittelalter beruhte die europäische Einheit auf der gemeinsamen Religion. Diese trat in der Neuzeit ihren Platz an die Kultur (an die kulturelle Schöpfung) ab, die zu einer Verwirklichung der höchsten Werte führte, kraft derer die Europäer sich erkannten, definierten, mit der sie sich identifizierten. Heute tritt die Kultur ihrerseits ihren Platz ab. Aber was und wer tritt an ihre Stelle? In welchem Bereich werden sich die höchsten Werte, die Europa vereinen könnten, verwirklichen? Der Markt? Die Politik mit ihrem demokratischen Ideal, dem Prinzip der Toleranz? Aber wird diese Toleranz, wenn sie der fruchtbaren Schöpfung und intelligentem Denken keinen Schutz mehr gewährt, nicht leer und unnütz? Oder ist die Abdankung der Kultur als eine Art Befreiung zu verstehen, der man sich euphorisch überlassen sollte? Ich weiss es nicht. Mir scheint nur, dass die Kultur ihren Platz schon
Vgl. DIETRICH SCHINDLER, Das Schweizerische Staatsverständnis an der Wende zum 21. Jahrhundert, Zollikon (Kranich-Verlag) 1998, insbes. S. 12 f . FRITZ STERN, Die erzwungene Verlogenheit, in: Ders., Das feine Schweigen - Historische Essays, München 1999, S . 148.
5
8
9
abgetreten hat. Damit rückt das Bild einer europäischen Identität in die Vergangenheit. Ein Europäer: wer nach Europa Heimweh hat."7
Wie immer wir also die Vorgänge im EU-Europa einschätzen - skeptisch wie in
diesen Zitaten, als ,,Friedenswerk" wie zu Beginn des europäischen
Integrationsprozesses oder als unentbehrlicher Ordnungs - und Steuerungsfaktor im
Prozess der Globalisierung der Wirtschaft -. Wir müssen sie zentral in unser
Selbstverständnis integrieren.
Die europäische Bewegung war von Anfang an vielfältig und hat sich verstanden als
ein Prozess. Europa ist pluralistisch konzipiert und bedeutet EU, aber auch
Europarat, OSZE und NATO. Das Europa der EU wird sich in absehbarer Zeit wohl
erheblich nach Mitteleuropa ausdehnen und vielleicht bald einmal - so jedenfalls
Lord David Owen in einem Vortrag im Zunfthaus ,,Meisen" - mehr als 40
Mitgliedstaaten umfassen. Wird und soll es dabei vermehrt konföderative Formen
annehmen? Soll und in welchem Masse soll das Subsidiaritätsprinzip in der
europäischen Union gestärkt und institutionell wirksamer garantiert werden? Soll ins
Verfassungsrecht der EU eine Grundrechtscharta aufgenommen werden, wie dies
vor allem von deutscher Seite postuliert wird? Wie ist das Recht der Europäischen
Union mit demjenigen etwa der UNO, der WTO usw. zu verknüpfen, um eine
Abschottung oder Provinzialisierung der EU zu vermeiden?
Das sind alles Fragen, die zentral in unser verfassungsrechtliches Denken eingehen
müssen, wie immer wir dann auch konkret entscheiden werden. Ich glaube, dass
Antworten sich aus unserer eigenen föderalistischen Tradition ohne weiteres
ergeben, denn wiederum führt - entsprechend unserem Ausgangspunkt - ein
Besinnen auf uns selbst ohne weiteres zum Interesse an einer mitverantwortlichen,
schöpferischen Gestaltung der Verhältnisse um uns herum, dies eben im Lichte von
Prinzipien, mit denen wir selbst unseren Staat gestaltet haben.
Und ich glaube, dass eine zu einseitige Befassung mit unserer eigenen Ordnung und
eine Ignorierung der Aussenwelt verheerende Folgen für unseren Staat in Zukunft
haben könnte. Es war Bismarck - wenn ich mich nicht irre - der die
MILAN KUNDERA, Die Kunst des Romans, Frankfurt a. M. 1989, S. 134/135 7
10
Staatengemeinschaft einmal mit einer sich auf einem grossen Strom bewegenden
Flotte verglich. Würde der Kapitän des Schweizer Schiffs nicht seine volle
Aufmerksamkeit darauf verwenden, in Kontakt mit den anderen zu bleiben, sondern
sich vor allem um die Kajüten, die Küche, die Sofas usw. irn Innern kümmern, so
würde er einen gefährlichen Fehler begehen, das Schiff in die Irre, Isolation, ja
vielleicht in den Abgrund treiben lassen.
3. Proiekt ,,Zentrum für Minderheiten"
Und nun, mein dritter konkreter Vorschlag zum Thema ,,Perspektiven der Schweiz".
Es geht um einen möglichen Beitrag der Schweiz zum internationalen
Minderheitenschutz. Der Gedanke knüpft völkerrechtlich an den
Menschenrechtsschutz im Rahmen der UNO an, dessen Entwicklung der
amerikanische Völkerrechtler Thomas Buergenthal in folgenden vier Etappen
skizzierte: Einer ersten Stufe der normativen Fundierung der Menschenrechte z.5. in
der Satzung der UNO folgte jene des ,,institution building", also der Schaffung
internationaler Mechanismen zur Garantie und Umsetzung der Menschenrechte; eine
dritte Phase zeichnete sich nach Buergenthal in der Aera nach dem Kalten Krieg ab,
vor allem angesichts eines stärkeren Aktivwerdens des Sicherheitsrates; die
Herausforderung unserer heutigen, vierten Phase in den Entwicklungen des
Menschenrechtsschutzes schliesslich seien ,,individual criminal responsibility,
minority rights and collective humanitarian intervention".8
Internationaler Minderheitenschutz ist also ein besonders aktuelles Aufgabenfeld der
internationalen Gemeinschaft, und hierzu möchte ich Ihnen nun eine konkrete Idee
vorlegen - konkret insofern, weil sie unmittelbar auf eine Erfahrung zurückgeht, die
ich unlängst selber gemacht habe.
Es geht um folgendes. Ich reiste im letzten März im Auftrag der OSZE nach
Moldavien. Moldavien ist eine Nachfolgerepublik der früheren Sowjetunion. Ihr
westlicher, grösserer Teil ist mehrheitlich rumänisch-stämmig, der östliche, jenseits
des Dnjeper gelegene Teil ist auf die Ukraine hin orientiert. Der östliche Teil,
Transdniestrien, hat sich in den letzten Jahren vom Westteil abgesetzt und ein
11
eigenes Parlament, eine eigene Regierung und eigene Gerichte gewählt. Beide Teile
der Republik Moldau sind nun physisch voneinander abgeriegelt. Ideologische und
rassistische Vorurteile treiben sich auf beiden Seiten spiralartig in die Höhe.
Wirtschaftliche, kulturelle und politische Entwicklung nehmen unvorstellbaren
Schaden. Beide Teile leben isoliert vor sich hin. Sie hatten zwar beide
Verhandlungsdelegationen bestellt, doch sind diese miteinander noch nicht in
effektive Gespräche ei ngetreten .
Meine Aufgabe war es nun, als Staatsrechtsexperte zusammen mit dem OSZE-
Missionschef in Krischina, einem erstklassigen Botschafter aus den USA, mit
Regierungs- und Parlamentsvertretern Moldaviens und des trans-dniestrischen ,,de
facto Regimes" Kontakte aufzunehmen und Modelle für eine mögliche Konfliktlösung
zu erörtern.
Wir pendelten während mehrerer Tage von der einen Seite des Dnjepr auf die
andere. Dabei versuchten wir absichtlich, in den Gesprächen bereits bestehende
Staatsformen wie den Bundesstaat (USA, Bundesrepublik Deutschland, die Schweiz
usw.) oder bestimmte konkrete Autonomieregime (2.B. Südtirol, Aalandinseln,
Grönland, Baskenland) nicht in den Vordergrund zu stellen. Wir waren vielmehr
bestrebt, mit Hilfe eines politisch und ideologisch noch nicht besetzten Begriffs,
desjenigen eines ,,common state", institutionelle Lösungen aus der konkreten
Sachlage heraus zu entwickeln. Unsere Gespräche verliefen zunächst erfolgreich.
Dabei war ich insbesondere erstaunt, wie viel die Vertreter beider Seiten über das
verfassungsrechtliche und politische System der Schweiz wussten, wie interessiert
sie an der Schweiz waren und welch grossen Respekt sie unserem Land
entgegenbrachten.
Vor allem interessierte sie zu erfahren, dass Prosperität sich in der Schweiz erst als
Folge und auf der Grundlage des politischen Friedens entíaltete, und dass
gegenseitiges Einvernehmen keine Selbstverständlichkeit war, sondern sich erst
nach einem Bürgerkrieg einstellte.
THOMAS BUERGENTHAL, The Normative and Institutional Evolution of International Human Rights, Human Rights Quarterly 1997, S. 703 ff., 71 7.
a
12
Unsere Mission hätte in einer gemeinsamen Konferenz von Delegationen beider
Seiten gipfeln sollen; doch an dem für das Zusammentreffen geplanten Tag fielen die
ersten Nato-Bomben auf Belgrad und in der Folge platzten auch die Verhandlungen
zwischen der mit dem Westen sympathisierenden Regierungspartei und den für
Belgrad Partei nehmenden Transdniestriern.
In meinem Missionsbericht warf ich dann - und das ist der in unserem
Zusammenhang entscheidenden Punkt - die Frage auf, ob nicht etwa die Schweiz
insofern einen Beitrag zum Minderheitenschutz in Europa, aber vielleicht auch über
Europa hinaus dadurch leisten könnte, dass in unserem Land ein Zentrum für
Minderheitenfragen errichtet würde. Ein solches Zentrum könnte zunächst als blosse
Begegnunsstätte konzipiert werden. Repräsentanten von Volksgruppen könnten so
miteinander in Kontakt gebracht werden, die sich zu Hause systematisch meiden
oder voneinander und den jeweiligen Problemen und Problemlösungen keine
Kenntnis hätten. Die blosse Begegnung von aktuellen oder potentiellen
Konfliktparteien an Vorträgen, Seminaren, kulturellen Darbietungen, Exkursionen
z.B. zum kantonalen Parlament, zu einem Gericht oder Amt oder in eine schöne
Landschaft könnte möglicherweise dazu beitragen, Vorurteile abzubauen, und damit
Horizonte zu erweitern, politisch, moralisch und wirtschaftlich aufreibende
Auseinandersetzungen in der Zukunft zu vermeiden oder zu entschärfen, und somit
einen Beitrag zum Schutze von Frieden und Menschenrechten zu erbringen.
In einer zweiten Stufe könnte dann allenfalls ein aus einigen Wissenschaftern
transdisziplinär aufgebautes Institut errichtet werden, das sich mit Fragen von
Minderheitenschutzverträgen oder -arrangements, Mediation und Arbitrage und
anderen Instrumenten zum Schutze von Minderheiten befassen würde. Die
Begegnungsstätte und auch das hier anvisierte Institut kämen - gemessen an dem
mutmasslichen, freilich finanziell nicht kalkulierbaren und bezifferbaren politischen
Nutzen - billig zu stehen; die Infrastrukturen würden sich in Grenzen halten.
Wo sollte ein solches Zentrum entstehen? Ich dachte - nicht weil ich zufällig Bürger
dieses Kantons bin - an Graubünden. Dies aus drei Gründen:
- Das Bündnerland ist ein - auf der Welt vielleicht einmaliger Mikrokosmos für das
friedliche Zusammeleben von Minderheiten: protestantischen und katholischen
13
Konfessionsgruppen, der deutschen, italienischen und von fünf romanischen
Sprachgruppen. Dabei ist das friedliche Einvernehmen keine
Selbstverständlichkeit. Noch im Dreissigjährigen Krieg herrschten in Graubünden
Verhältnisse, die vielleicht mit denjenigen in Jugoslawien oder in Somalia der
90er Jahre verglichen werden könnten, weshalb Friedrich Schiller Graubünden
als das ,,Land der Räuber" bezeichnete.
Erst durch die allmähliche Entfaltung von komplexen bündischen Strukturen, von
Freiheiten und Autonomiestatuten und von allmählichen kulturellen
Wachstumsprozessen ist es gelungen, die Rechte und den gegenseitigen
Respekt der so vielfältigen Volksgruppen im Lande der 150 Täler sicherzustellen.
Wäre Graubünden daher nicht ein einzigartiger Standort und Hintergrund zur
Veranschaulichung, ein Experimentierfeld zur Erprobung von Regimen zum
Schutze von Minderheiten?
- Ein zweiter Grund: Graubünden ist, wie ich meine, vom Bund aus
regionalpolitisch benachteiligt; es droht wie andere Teile der Ostschweiz auch in
zunehmendem Masse marginalisiert zu werden.
- Grund drei: Der erste Bündner Bundesrat, Felix Calonder aus Trins, hatte sich zur
Zeit des Völkerbundes, als der Minderheitenschutz im Völkerrecht seinen
bisherigen Höhepunkt erreichte, als Verhandlungsführer und Vermittler einen
guten Namen gemacht. Es wäre somit also auch ein historisch-diplomatischer
Traditionsanschluss gegeben.
Ich habe bisher die Idee ,,Minderheitenzentrum in Graubünden" nicht weiter
propagiert oder gar forciert und möchte vielmehr die Gelegenheit unserer
Zusammenkunft benutzen, Ihnen die Frage zu unterbreiten, ob Sie ein solches
Projekt als illusionär oder allenfalls und in welchem Ausmasse als nützlich
betrachten.
111. Abschluss: Einige Utopien
Ich fragte mich, als ich mir die drei eben dargelegten Problemkomplexe zurecht
legte, ob diese Darlegungen nicht für den heutigen Abend zu spekulativ, zu
14
abgehoben seien. Ich stiess auf Sätze von Max Frisch, wonach sich die Schweiz
nicht als Nation erlebe durch ein Projekt, durch Engagement an eine Zukunft. Er
schrieb:
,,Die Eidgenossenschaft ist eine Hausordnung, als solche vortrefflich ... Jede blosse Hausordnung ist defensiv, nicht ein Projekt. Hervorgegangen aus einem Bauernaufstand - Rebellion, nicht Revolution - verdankt die Eidgenossenschaft ihre siebenhundertjährige Existenz ... nicht zuletzt ihrer Immunität gegenüber Ideen. Die Reformation war infolgedessen ihre schwerste innere Gefährdung. Utopie ist in allen Gesprächen hier ein negativer Begriff. Politik ist Real-Politik, pragmatisch, Politik als Arrangement mit dem Derzeit-Möglichen, im Grunde bäuerlich; man wartet die Zukunft ab wie das Wetter ... Ihr Selbstverständnis findet die Schweiz in einer politischen Moral, die jeweils den status quo zu sanktionieren hat. Die Schweiz als solche ist reaktionär."'
Nun sind diese Sätze gewiss zu apodiktisch, sie passen wie Frisch selber einräumt,
etwa nicht auf die Staatsgründung von 1848, aber auch nicht auf die wirtschaftlichen
Gründerjahre und die von der Schweiz ebenfalls im 19. Jahrhundert ausgehenden
Initiativen auf politischen, sozialen, humanitären und kulturellen Gebieten.
Vielleicht passt dieses Urteil aber auch nicht, zumindest nicht in seiner vollen
Schärfe, auf unsere welschen Mitbürger. Ich las vor wenigen Tagen in der deutschen
Wochenzeitung ,,Die Zeit" eine Gedankenskizze mit dem Titel ,,Ich habe einen
Traum" des Genfer Jean Pictet, eines hervorragenden Juristen und des geistigen
Vaters der Genfer Rot-Kreuz-Konventionen von 1949. Pictet stellt sich ein ,,Goldenes
Zeitalter" vor, in dem er sich in die Stadt Genf begibt und an der Stelle des alten
Gefängnisses eine florierende Schule vorfindet, statt ernster Geschäftsleute Bürger,
die einen grossen Teil ihrer Zeit der Musik widmen und dem Gedichteschreiben. Er
vergleicht die Bilder mit der ernüchternden Realität, kommt aber zum Schluss:
,,... wir Menschen brauchen eine Idealvorstellung; den Stern, an den wir noch nicht heranreichen."
Und:
,,Ein Goldenes Zeitalter werden wir nie erreichen; aber wir können uns ihm annähern, Schritt für Schritt. So wie es Präsident Kennedy einmal gesagt hat: Die Utopie - ist das nicht die Wahrheit von morgen?"1o
Es handelt sich hier um einen nicht veröffentlichten Text fur das ,,Tagebuch"; vgl. Der Briefwechsel Max Frisch/Uwe Johnson, hrg. von Eberhard Fehlke, Frankfurt a.M 1999, S . 257158. JEAN PICTET, Ich habe einen Traum, in: Die Zeit, Nr. 41 vom 7 . Oktober 1999, Teil ,,Leben", S. 20.
9
10
15
Was wären solche Utopien von heute?
- Vielleicht ein Bundesrat, der am Neujahrstag geschlossen vors Volk träte (oder
besser schon vor Jahren vors Volk getreten wäre) und erklärte: ,,Wir wollen, dass
die Schweiz Mitglied der UNO wird."
- Vielleicht ein Bundeshaus, in dem die grossen Intellektuellen der Welt ein- und
ausgehen. (Präsident Abraham Lincoln verstand sich als ein ,,retailer of ideas")
- Vielleicht ein Verteidigungsminister, der sagt, dass Schweizer Wehrmänner
gerade wegen der (aktiv zu verstehenden) Neutralität, nicht trotz ihr sich
bewaffnet an internationalen Friedensaktionen beteiligen müssen.
- Vielleicht ein Bundespräsident, der der Bundesversammlung jährlich einen
Bericht über den Zustand der Welt vorlegt und damit eine Debatte über Fragen
zur Armut in der Welt, Bevölkerungswachstum (bereits ist die Zahl von sechs
Milliarden Erdbewohnern überschritten), Waffenhandel usw. einleitet.
- Eine Zeitung, die bereits vor Jahren über Massaker und andere massive,
systeniaiische Menschenrechisverletzungen ¡ri Ositimo; berichtet hatte.
- Vielleicht eine Schweiz, deren Diplomatie den Menschenrechten eine besonders
hohe Priorität einräumt. (Die Schweiz gehörte mit ihren Protesten gegen
Hugenottenverfolgungen in Savojen in der Völkerrechtsgeschichte zu den
Bahnbrechern der heute etablierten Rechtsauffassung, wonach die Kritik an der
Missachtung von Menschenrechten keine unzulässige Intervention in die inneren
Angelegenheiten eines Staates bedeutet.)"
- Vielleicht ein Kompaniekommandant, der bei seinen Soldaten nicht allein die
technische Handhabung der Waffen drillt, sondern ebenso Kenntnisse über den
legalen Waffeneinsatz nach Massgabe des humanitären Völlkerrechts.
- Vielleicht eine Universität Zürich, an der in vielen Sprachen unterrichtet wird und
der Ethik ein zentraler, ü bergeordneter Stellenwert für alle Disziplinen eingeräumt
wird.
MAX HUBER, Das Völkerrecht und der Mensch, in: Ders, Rückblick und Ausblick, Gesammelte Schriften Band IV, Zürich 1957, S. 317 ff.
I l
16
- Vielleicht eine Schule, in der die indianische Weisheit diskutiert wird, wonach man
einen ,,Berg" nicht besitzen könne; er gehöre der ,,Erde" und denen, die auf ihr
Leben; und er sei ihnen anvertraut als ,,Gut" für die Zukunft.
- Vielleicht eine Schweiz, in der gemeinnützige Stiftungen wie Pilze aus dem
Boden schiessen."
- Vielleicht eine Schweiz, in der - im ,,Weissen Wind" oder anderswo - die Statuten
für ein Minderheitenzentrum in Graubünden verabschiedet werden
usw.
Ich schliesse ab. Die Liste, die ich eben vorgelegt habe, ist Ihnen vielleicht zu lang
und zu ungeordnet. Wenn dies zutrifft, mögen Sie sich, mutatis mutandis, an den
Ausspruch halten, wonach seinerzeit - in der Aera Adenauer - kritische
Äusserungen der Intellektuellen über die Politik und Kultur nicht mehr gewesen seien
als ein ,,misstönendes Möwenkrächzen", das die ,,Fahrt eines grossen Schiffes"
begleitet habe.13 Oder Sie mögen sich an Edmund Burke halten, der schrieb, dass
wenn auch ein halbes Dutzend Heuschrecken ein Feld zum Erklingen bringen könne,
während Tausende prächtiger Kühe im Schatten alter britischer Eichen ruhten, man
nicht vergessen dürfe, dass die, die den Lärm verursachten, nicht die einzigen
Bewohner des Feldes seien, sondern eben nur einige wenige, kleine, hüpfende,
laute, garstige ,,insects of the hour".14
'' Vgi. die interessanten Überlegungen von HANS VONTOBEUEVELINE OECHSLIN und PETER REETZ, Reformbedürftiges Stiftungsrecht - Ein neuer Weg zur Entlastung des offentlichen Haushalts, NZZ Nr. 38 vom 16. Februar 1999, S. 15. Vgl PETRA WEBER, Carlo Schmid (1896-1979) - Eine Biographie, Frankfurt a.M. 1998, S. 589. CHARLES HANDY, The hungry spirit: beyond capitalism - a quest for purpose in the modern world, London 1997, S. 130.
13
14