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I Einführung in die Personalentwicklung 1. Begriff Der kontinuierliche Wandel der Unternehmen führt zu einem Bedeutungszuwachs anwendungsorientierter Personalentwicklung, deren Ziel es ist, die theoretischen Kenntnisse und das relevante Praxiswissen zu verbessern und zu erweitern. Der Perso- nalentwicklungsbegriff ist dabei nach wie vor durch Heterogenität und Unschärfe ge- kennzeichnet. Ursächlich dafür ist zum einen die Beteiligung verschiedener Fachwis- senschaften, wie Wirtschaftswissenschaften, Pädagogik, Psychologie oder Soziologie, bei der wissenschaftlichen Erforschung der Personalentwicklung. „Viele Köche verderben den Brei“, viele Sichtweisen auf das Erkenntnisgebiet der Per- sonalentwicklung weiten aber auch den Horizont und festigen die Grundlagen des Fachgebietes Personalentwicklung. Zum anderen ist und bleibt Personalentwicklung ein Praxisfeld mit zunehmender Be- deutung in allen Branchen und Unternehmen. Weil Personalentwicklung zur Errei- chung ganz spezifischer betrieblicher und auch individueller Ziele eingesetzt wird, zeigt auch die Praxis der Personalentwicklung ein überaus buntes Bild. Und trotzdem, obwohl die Personalentwicklung ein interdisziplinär beforschtes Fachgebiet ist, ob- wohl die Praxis bunt und vielfältig ist, hat sich das Themengebiet Personalentwicklung zu einem eigenständigen Aufgabenfeld entwickelt. Die Professionalisierung ist weit fortgeschritten. Dieses Lexikon trägt dem Reifegrad des Aufgabenfeldes der Personal- entwicklung Rechnung und vereint mit über 500 Stichworten die Begrifflichkeit und Inhaltlichkeit der Personalentwicklung in einem kompakten Überblick. Die den Stichworten hier vorangestellte Einführung in die Personalentwicklung soll dem Leser die Teilgebiete der Personalentwicklung aufzeigen, den Zusammenhang der Ziele, Inhalte, Methoden und Verantwortlichkeiten darlegen und soll so die Lektüre der Stichworte in den Gesamtzusammenhang der Personalentwicklung stellen. Im Folgenden wird eine sowohl inhaltliche als auch personenbezogene weite Begriffs- fassung verwendet. Als Personalentwicklung werden alle geplanten Maßnahmen der Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung verstanden, die von einer Orga- nisation oder Person zielorientiert geplant, realisiert und evaluiert werden. 1 9 1 Vgl. Becker, M. (2005a), S. 3.

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I Einführung in die Personalentwicklung

1. Begriff

Der kontinuierliche Wandel der Unternehmen führt zu einem Bedeutungszuwachsanwendungsorientierter Personalentwicklung, deren Ziel es ist, die theoretischenKenntnisse und das relevante Praxiswissen zu verbessern und zu erweitern. Der Perso-nalentwicklungsbegriff ist dabei nach wie vor durch Heterogenität und Unschärfe ge-kennzeichnet. Ursächlich dafür ist zum einen die Beteiligung verschiedener Fachwis-senschaften, wie Wirtschaftswissenschaften, Pädagogik, Psychologie oder Soziologie,bei der wissenschaftlichen Erforschung der Personalentwicklung.„Viele Köche verderben den Brei“, viele Sichtweisen auf das Erkenntnisgebiet der Per-sonalentwicklung weiten aber auch den Horizont und festigen die Grundlagen desFachgebietes Personalentwicklung.Zum anderen ist und bleibt Personalentwicklung ein Praxisfeld mit zunehmender Be-deutung in allen Branchen und Unternehmen. Weil Personalentwicklung zur Errei-chung ganz spezifischer betrieblicher und auch individueller Ziele eingesetzt wird,zeigt auch die Praxis der Personalentwicklung ein überaus buntes Bild. Und trotzdem,obwohl die Personalentwicklung ein interdisziplinär beforschtes Fachgebiet ist, ob-wohl die Praxis bunt und vielfältig ist, hat sich das Themengebiet Personalentwicklungzu einem eigenständigen Aufgabenfeld entwickelt. Die → Professionalisierung ist weitfortgeschritten. Dieses Lexikon trägt dem Reifegrad des Aufgabenfeldes der Personal-entwicklung Rechnung und vereint mit über 500 Stichworten die Begrifflichkeit undInhaltlichkeit der Personalentwicklung in einem kompakten Überblick. Die den Stichworten hier vorangestellte Einführung in die Personalentwicklung solldem Leser die Teilgebiete der Personalentwicklung aufzeigen, den Zusammenhang derZiele, Inhalte, Methoden und Verantwortlichkeiten darlegen und soll so die Lektüreder Stichworte in den Gesamtzusammenhang der Personalentwicklung stellen.Im Folgenden wird eine sowohl inhaltliche als auch personenbezogene weite Begriffs-fassung verwendet. Als Personalentwicklung werden alle geplanten Maßnahmen der →Bildung, → Förderung und → Organisationsentwicklung verstanden, die von einer Orga-nisation oder Person zielorientiert geplant, realisiert und evaluiert werden.1

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1 Vgl. Becker, M. (2005a), S. 3.

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2. Wissenschaftliche und praktische Zugängezur Personalentwicklung

Zur Systematisierung der Personalentwicklung ist nach konkreten Forschungszugän-gen und praktischen Gestaltungsanliegen zu unterteilen. Dabei lassen sich folgendeZugänge zur Personalentwicklung unterscheiden (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Forschungs- und Gestaltungszugänge

2.1 Kontextorientierte Personalentwicklung

Der kontextorientierte Zugang klärt die unternehmensexternen und –internen Rah-menbedingungen, die die Ausgestaltung der Personalentwicklung hinsichtlich ihrerZiele, Inhalte, Methoden und Akteure beeinflussen. Die kontextorientierte Gestaltunglotet somit den normativen Handlungsrahmen aus, der die Personalentwicklung vor-bestimmt, ermöglicht und begrenzt. Die Unternehmenspolitik bestimmt als Zweck-Mittel-Beziehung Richtung und Inhalte der Personalentwicklung, so dass sie zur Errei-chung der Unternehmensziele beiträgt. Zusätzlich sind externe Kontextfaktoren zu be-rücksichtigen, die z.B. als Angebot an Arbeitskräften die Menge und die Güte derAdressaten der Personalentwicklung bestimmt.

2.1.1 Personalentwicklung als Beitrag zur Unternehmensentwicklung(interne Rahmenbedingungen der Personalentwicklung)

Der Beitrag der Personalentwicklung zur Unternehmensentwicklung kann anhandidealtypischer Entwicklungsstufen (Generationen) aufgezeigt werden (vgl. Abbil-dung 2). Die Personalentwicklung und die Unternehmensentwicklung sind gegensei-tig so anschlussfähig zu gestalten, dass die Personalentwicklung proaktiv die Unter-nehmensentwicklung positiv beeinflusst.2

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2 Vgl. Rother, G. (1996), S. 120 ff.

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OO Personalentwicklung in der 1. Generation der UnternehmensführungReaktive Unternehmensführung ist Ausdruck geringer Dynamik, gleich bleibenderAnforderungen und Tätigkeiten und unterstellt die langfristige Nutzung erworbener→ Qualifikationen.Die Personalentwicklung der 1. Generation folgt als → Institutionalisierungsphase demreaktiven Paradigma der Unternehmensführung. Reaktiv auf die Behebung festgestell-ter Qualifikationsdefizite angelegt, führen die Unternehmen Bildungsmaßnahmen erstdurch, wenn keine andere Wahl mehr bleibt. Die „Reparaturen“ von Qualifikations-und Motivationsdefiziten, nicht die proaktive Vermeidung zukünftiger Mängel imWollen und Können, stehen im Vordergrund reaktiver Personalentwicklung. Typischsind das Fehlen einer systematischen → Bedarfsanalyse, mangelnde → Erfolgskontrol-le und der Verzicht auf → Transfersicherung. Arbeits- und Lernfeld stehen unverbun-den nebeneinander. Normative Grundlagen, z.B. → Führungsgrundsätze oder → Per-sonalentwicklungsgrundsätze bzw. -konzepte (→ Personalentwicklungskonzeption)fehlen oder werden unsystematisch und unverbindlich und allenfalls als impliziteHandlungsmaxime gelebt.

OO Personalentwicklung in der 2. Generation der UnternehmensführungDie 2. Generation der Unternehmensführung ist als Management des Übergangs aufdie Bewältigung zunehmender Dynamik ausgerichtet. Die strategische Fokussierungder Gesamtorganisation verpflichtet alle Funktionsbereiche, zur Erreichung derUnternehmensziele beizutragen. Auch die Personalentwicklung muss ihren Beitrag zurErreichung der Unternehmensziele erbringen und nachweisen, dass die Maßnahmender Personalentwicklung einen signifikanten Beitrag zur Bewältigung von Dynamikund Komplexität liefern.

Wissenschaftliche und praktische Zugänge

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Abbildung 2: Reifegrad-Konstrukt der Unternehmensführung und der Personalentwicklung

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Die Personalentwicklung der 2. Generation ist als → Differenzierungsphase auf Be-darfsermittlung, systematische Planung, Durchführung und Erfolgskrontrolle ausge-richtet. Verpflichtende Grundsätze stecken als normativer Handlungsrahmen die In-halte, die Reichweite, die Rechte und Pflichten der Akteure, den organisatorischenRahmen und die Ressourcen der Personalentwicklung ab. Die Verpflichtung der →Führungskräfte, die Personalentwicklung als nicht delegierbare Führungsaufgabe an-und wahrzunehmen, gilt als zentraler Grundsatz der Personalentwicklung in der Dif-ferenzierungsphase. Kernelement systematischer und anforderungsbezogener Perso-nalentwicklung ist die methodische Absicherung im → Funktionszyklus der Personal-entwicklung (vgl. Kapitel 2.5). Personalentwicklung in der 2. Generation ersetzt denZufall durch System.

OO Personalentwicklung der 3. Generation der UnternehmensführungDie 3. Generation der Unternehmensführung konzentriert Planung, Steuerung undKontrolle auf die anforderungsgerechte Entwicklung unternehmensinterner → Poten-ziale.3

Personalentwicklung in der → Integrationsphase zielt auf die Förderung der organisa-tionalen Lernkultur zur Stärkung der Leistungsfähigkeit und zur Erhöhung der An-schlussfähigkeit der Organisation an Veränderungen. Strukturale, personale und pro-zessuale Aspekte der Verbesserung des → organisationalen Lernens ergänzen Bildungund Förderung potenzialorientiert und integriert als Organisationsentwicklung. Leis-tungsorientierte Organisationen entwickeln sich im Integrationsverbund von Lernenund Arbeiten. Charakteristisch für die 3. Generation der Personalentwicklung ist die→ Prozessberatung vor Ort. In der Integrationsphase wird Personalentwicklung alsHilfe zur Selbsthilfe bei der Lösung technischer, sozialer und organisatorischer Pro-blemstellungen praktiziert.

2.1.2 Personalentwicklung als Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung(externe Rahmenbedingungen der Personalentwicklung)

Die externen Rahmenbedingungen der Personalentwicklung werden durch Berufsbil-dungspolitik, die bildungspolitischen und tarifvertraglichen Vorstellungen der Ge-werkschaften und der Arbeitgeber bestimmt. Die → Berufsausbildung und die →Weiterbildung stehen unter starkem Anpassungsdruck, insbesondere die Reform des→ Dualen Systems der Berufsausbildung ist voranzutreiben.4 Das Niveau der kompen-satorischen Weiterbildung wird bestimmt durch das Bildungsniveau der Absolventender allgemeinbildenden Schulen, das erforderliche Niveau der Dualen Berufsausbil-dung und die Qualität der Ausbildung an Fachhochschulen und Universitäten. Darü-ber hinaus beeinflussen Globalisierung, die Dynamik der Technikentwicklung und dieallgemeine Struktur- und Konjunkturlage die Ziele, Inhalte und Qualität der Personal-entwicklung. Eine wichtige Herausforderung der Personalentwicklung ist in der Be-wältigung der Umstellung der Fachhochschul- und Universitätsausbildung auf das ge-stufte System von Bachelor- und Master-Studiengängen zu sehen.

Einführung in die Personalentwicklung

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3 Vgl. Selznick, P. (1957); vgl. Penrose, E. T. (1959).4 Vgl. Becker, M. (2005a), S. 174 ff.

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2.2 Akteursorientierte Personalentwicklung

Akteure der Personalentwicklung sind die unmittelbar von der Personalentwicklungbetroffenen Mitarbeiter, die für die Konzeption und Durchführung der Personalent-wicklung verantwortlichen Personalentwickler und die für die Genehmigung von Per-sonalentwicklung zuständigen Entscheidungsträger.5 Zusätzlich nehmen die Betriebs-bzw. Personalräte (→ Betriebsrat; → Personalrat), die Gleichstellungsbeauftragtenund die Schwerbehindertenvertreter im Rahmen ihrer gesetzlichen Mitbestimmungs-rechte Einfluss auf die Personalentwicklung. Zunehmend ist auch jeder Mitarbeiter fürdie rechtzeitige und ausreichende Personalentwicklung verantwortlich. Personalent-wicklung wird zur Holschuld eines jeden Mitarbeiters. Akteursorientiert ist zu unter-suchen und zu beachten, wie biographie- und kontextbestimmte Lernimpulse und -barrieren die Teilnahme und den Erfolg von Personalentwicklungsmaßnahmen be-einflussen. Die Interessen der Akteure sind herauszuarbeiten und klientelbezogen istfestzulegen, ob und wie diese Interessen durch Personalentwicklung befriedigt werdenkönnen. Grundsätzlich werden Personalentwicklungsentscheidungen bestimmt durch:OO die individuelle Persönlichkeit des Lernenden, OO die Erfahrungen, Ziele und Befürchtungen der Adressaten der Personalentwick-

lung,OO das soziale, politische und konjunkturelle Umfeld, z.B. die spezifische Arbeits-

marktsituation, die Ausgestaltung staatlicher und betrieblicher Fördermaßnahmenoder den Wettbewerbsdruck auf → Berufe und Berufsgruppen, und

OO die Persönlichkeit und Professionalität des verantwortlichen Personalentwicklers.

Unternehmen müssen Entwicklungsmöglichkeiten offerieren und ein lernförderndesArbeitsklima schaffen. Die Bereitschaft zur Weiterentwicklung ist zu erwarten, wenndie Ziele der Personalentwicklung den Akteuren attraktiv und erreichbar erscheinenund die positiven Auswirkungen der Teilnahme, z.B. Karrierechancen, hoch einge-schätzt werden. Die Rolle und das Selbstverständnis des Personalentwicklers bestim-men die Art und die Ausgestaltung der Personalentwicklung wesentlich mit.Die Tätigkeit der hauptberuflichen Personalentwickler als Lehrer der Erwachsenen-bildung (1. Generation; Institutionalisierungsphase) nimmt in dynamischen Unter-nehmen der 2. und 3. Generation (Differenzierungsphase und Integrationsphase) zuGunsten konzeptioneller und beratender Tätigkeiten ab. Das traditionelle Personal-entwicklungsverständnis (Rollen: Trainer, → Ausbilder, Koordinator von Lernprozes-sen) wird durch ein innovatives Rollenmuster (Rollen: Stratege, Konzeptentwickler,Berater, Beziehungsmanager) ersetzt. Die Professionalisierung der Personalentwicklerrückt in den Vordergrund.6

2.3 Zielorientierte Personalentwicklung

Die Ziele legen das Anspruchsniveau und die Reichweite der Personalentwicklung fest.Als Ergebnis der Personalentwicklung erwartet der Mitarbeiter die Erhaltung und Ver-

Wissenschaftliche und praktische Zugänge

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5 Vgl. Becker, M./Schwarz, V. (2001), S. 13.6 Vgl. Reinhardt, R. (2000), S. 235; Becker, M. (2005a), S. 504 ff.

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besserung der persönlichen Beschäftigungsfähigkeit (→ Employability), die Füh-rungskräfte erwarten leistungsstarke und motivierte Mitarbeiter und die Unterneh-mensleitung fordert signifikante Beiträge zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.In dynamischen Unternehmen steht die kompetente Verwertung erworbener Qualifi-kationen im Arbeitsprozess im Vordergrund. → Kompetenz ist dabei als Kombinationvon → Kenntnissen, → Fertigkeiten, → Erfahrungen und Verhaltensweisen zu verste-hen, die in einer konkreten Arbeitssituation von einer Person zur Lösung ganz konkre-ter Arbeitsprobleme eingesetzt werden.7 Der Erfolg der Personalentwicklung zeigt sicherst im Arbeitsergebnis, dem gelungenen Werk, nicht schon im Erwerb von → Qualifi-kationen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wird der Verwendungsaspekt der Personalentwick-lung i.S. von Kompetenzverbesserung und → Performanz besonders hervorgehoben.Folgt man dieser Sichtweise, dann hat Personalentwicklung die situativ-individuelle→ Handlungsfähigkeit (Können), die Handlungsbereitschaft (Wollen) und die kon-krete Zuständigkeit für eine Aufgabe (Dürfen) zu fördern.8

2.4 Inhaltsorientierte Personalentwicklung

Entsprechend der hier verwendeten weiten Definition umfasst Personalentwicklungdie Inhaltsbereiche Bildung (Personalentwicklung im engen Sinne), Förderung (Perso-nalentwicklung im erweiterten Sinne) und Organisationsentwicklung (Personalent-wicklung im weiten Sinne) (vgl. Abbildung 3).

2.4.1 Bildung

Bildung ist der traditionelle Bereich der Personalentwicklung. Kernbereiche sind dieBerufsausbildung, die fachliche und allgemeine Weiterbildung, die → Führungsbil-dung, das systematische Anlernen (→ Anlernen, systematisches) und die → Umschu-lung. Die Inhalte der Aus- und Weiterbildung wechseln mit der Dynamik der Anforde-rungen. Insbesondere Weiterbildung und Führungsbildung verändern sich mit derVirtualisierung der Unternehmen und der Globalisierung der Wirtschaft. Die Füh-rungsbildung bereitet auf effizientes Führungshandeln multifunktionaler Teams vor.Interkulturelle Kompetenz, Umgang mit → Diversity und der Zuwachs an Autonomieverändern das Führungshandeln und damit die Führungsbildung.

2.4.2 Förderung

Die Förderung ist der Boombereich der Personalentwicklung. Zur Förderung gehörenTätigkeits- und Anforderungsprofile (→ Tätigkeitsprofil; → Anforderungsprofil),Auswahl- und Einarbeitungsverfahren (→ Personalauswahl; → Personaleinführung),→ Strukturierte Mitarbeitergespräche, → Potenzialanalysen, Karriere- und Nachfolge-planung (→ Karriereplanung; → Nachfolgeplanung), → Coaching, → Mentoring und→ Zielvereinbarungen. Die Förderung folgt den Prinzipien der Individualisierung,

Einführung in die Personalentwicklung

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7 Vgl. Becker, M. (2005a), S. 520 ff.8 Vgl. Becker, M./Schwarz, V. (2001), S. 20.

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Generalisierung und Elementarisierung und zielt auf die anforderungsadäquate Ent-wicklung von Individuen und Gruppen.Insbesondere die Elementarisierung verlangt die Ablösung von flächendeckenden →Stellenbeschreibungen durch die Zusammenfassung der Tätigkeiten und Anforderun-gen auf Stellenbündelniveau (→ Stellenbündel).9 Die Förderung nimmt im Vergleichzur Bildung deshalb an Bedeutung zu, weil der Erfolg dynamischer Unternehmen instarkem Maße von der Leistung und dem Verhalten der Leistungsträger abhängt.

Wissenschaftliche und praktische Zugänge

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9 Vgl. Becker, M. (2005a), S. 297 ff.

Abbildung 3: Inhalte der Personalentwicklung

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2.4.3 Organisationsentwicklung

Organisationsentwicklung fokussiert auf die integrierte und zielorientierte Gestaltungund Entwicklung von Organisationen. Personale, strukturale und prozessuale Aspektesollen den jeweiligen Anforderungen der Unternehmenstransformation entsprechen.Teamkonzepte, Projektarbeit und sozio-technische Systemgestaltung sind prominenteAnsatzpunkte der Organisationsentwicklung. Organisationsentwicklung ist stets ma-nagementgeleitet und ergebnisorientiert zu gestalten.10

Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung klären den Inhalt, das „Was“ derPersonalentwicklung.

2.5 Methodenorientierte Personalentwicklung

Die methodische Absicherung der Personalentwicklung ist Voraussetzung zur Errei-chung und Überprüfung von Effektivität (→ Effektivität der Personalentwicklung)und Effizienz (→ Effizienz der Personalentwicklung). Die methodische Absicherungverschafft der Personalentwicklung Akzeptanz und Argumentationshilfen bei der Ak-quisition der erforderlichen Ressourcen.Bedarfsanalyse, Ziele setzen, kreatives Gestalten, Durchführung, Erfolgskontrolle undTransfersicherung sind die Teilschritte systematischer Personalentwicklung.11 DerFunktionszyklus ist ein abgestimmtes Verfahren zur Planung, Steuerung und Kontrol-le konkreter Personalentwicklungsmaßnahmen (vgl. Abbildung 4).

2.5.1 Bedarfsanalyse

Die → Bedarfsanalyse umfasst die Aspekte → Anforderungs-, Adressaten- und → Ur-sachenanalyse. Die Anforderungsanalyse ermittelt die gegenwärtigen und zukünftigenTätigkeiten und Anforderungen. Tätigkeits- und Anforderungsanalysen werden in derPraxis zunehmend auf Stellenbündelniveau erhoben. Gleiche und gleichartige → Stel-len werden auf einem für Planungszwecke ausreichenden, mittleren Abstraktionsnive-au gebündelt. Aufgenommen werden nur leistungskritische und damit wertschöp-fungsrelevante, relativ dauerhafte Tätigkeits- und Anforderungselemente gleicher odervergleichbarer Funktionen.12

Die Adressatenanalyse untersucht die Ist-Befähigung (Qualifikation und → Motiva-tion) und das Potenzial der Mitarbeiter. Die Gegenüberstellung der Ergebnisse vonAnforderungs- und Adressatenanalyse zeigt, ob der Mitarbeiter motiviert und anfor-derungsgerecht, über- oder unterqualifiziert ist.Die → Potenzialanalyse prognostiziert, inwieweit ein Mitarbeiter aus gegenwärti-ger Sicht wahrscheinlich in der Lage wäre, eine andersartige oder höherwertige Tä-tigkeit wahrzunehmen. Die Ursachenanalyse soll zeigen, ob die Mängel im Wollen(Motivation), im Können (Qualifikation) oder im Dürfen (Ordination) begründetsind.

Einführung in die Personalentwicklung

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10 Vgl. Becker, M. (2005a), S. 432 ff.; vgl. Trebesch, K. (2000).11 Vgl. Becker, M. (2005b), S. 31 ff.12 Vgl. Becker, M (2005a), S. 297 ff.; vgl. Becker, M. (2005b), S. 31 ff.

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Die individuelle Bedarfsanalyse ist um die strategische Bildungsbedarfsanalyse zu er-weitern. Die strategische Bildungsbedarfsanalyse definiert Suchfelder zur Bestimmungkritischer zukünftiger Tätigkeiten und Anforderungen auf Unternehmens- bzw. Ge-schäftsfeldniveau. Trends werden ermittelt, wahrscheinliche Entwicklungspfade abge-leitet, die strategische Bedeutung für das Unternehmen oder das Geschäftsfeld abge-schätzt. Darauf aufbauend werden kritische Themenfelder der Personalentwicklungaufgelistet und nach Bedeutung, Wirtschaftlichkeit und Durchführbarkeit priorisiert.Die strategische Bildungsbedarfsanalyse mündet in einem Durchführungsauftrag andie Personalentwicklung zur Bewältigung von Veränderungen.

2.5.2 Ziele setzen

Die → Zielsetzung legt als Reichweitenplanung den Horizont der Personalentwicklungfest. Als Interessenplanung bestimmt sie die betrieblichen und die persönlichen Ab-sichten, die mit der Personalentwicklung erreicht werden sollen. Bei der Zielformulie-rung sind der → Zielbereich (kognitiv, affektiv, psychomotorisch) und die → Zielebe-ne (taxonomischer Anspruch) zu bestimmen.13 Die Lern- und Entwicklungsziele soll-ten SMART (→ SMART-Zielsystem) formuliert sein.

Wissenschaftliche und praktische Zugänge

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13 Vgl. Becker, M. (2005b), S. 82 ff.

Abbildung 4: Funktionszyklus der Personalentwicklung

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2.5.3 Kreatives Gestalten

Das → kreative Gestalten der Personalentwicklungsmaßnahmen legt inhaltlich, me-thodisch, zeitlich, sachlich und personell die Infrastruktur der Personalentwicklungs-maßnahmen fest.14

Inhaltlich: Auswahl geeigneter Lerngegenstände.Methodisch: Wahl der geeigneten Lehr- und Lernformen, Lernarrangements und So-

zialformen.Zeitlich: Festlegung des Zeitpunktes, der Zeitdauer und der zeitlichen Abfolge der

Personalentwicklungsmaßnahme.Sachlich: Sicherstellung der erforderlichen finanziellen, organisatorischen und

personellen Ressourcen.Personell: Briefing und Auswahl der Lehrenden und Lernenden, Übertragung der

Durchführungsverantwortung und Sicherstellung der Mitverantwor-tung bspw. von Führungskräften und des Betriebsrates.

2.5.4 Durchführung

Die → Durchführung bzw. Realisierung von Personalentwicklungsmaßnahmen bein-haltet die zielbezogene Anwendung von Lehr- und → Lernmethoden.15 Sie kann in-tern, extern, als offene oder geschlossene Veranstaltung erfolgen. In dieser Phase desFunktionszyklus zeigt sich, ob die Planung realistisch, die Ziele SMART und die in derPhase des kreativen Gestaltens festgesetzten Lehr- und Lernvoraussetzungen praktika-bel sind. Willkürliche Korrekturen und Veränderungen sind ebenso wenig sinnvoll,wie das sture Festhalten an nicht (mehr) realisierbaren bzw. zweckmäßigen Plänen. Esist demnach Aufgabe der Personalentwicklungsverantwortlichen festzustellen, ob dieDurchführung planmäßig und situationsgerecht verläuft und ob Ziel-, Inhalts- oderVerfahrenskorrekturen notwendig sind.

2.5.5 Erfolgskontrolle

Die → Erfolgskontrolle misst und bewertet die Effektivität und Effizienz erfolgter Per-sonalentwicklungsmaßnahmen.16 Eine unsystematische Bedarfsanalyse, unklar for-mulierte Lernziele, unprofessionelles kreatives Gestalten, ungeeignete Evaluationsme-thoden und die mangelnde Akzeptanz der an der Personalentwicklung Beteiligten be-hindern die Erfolgskontrolle. Auch bestehen in Theorie und Praxis noch Defizite beider Entwicklung geeigneter Messkriterien zur Erfassung des Wissenskapitals (→ intel-lektuelles Kapital) in Unternehmen.17

Einführung in die Personalentwicklung

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14 Vgl. Becker, M. (2005b), S. 110 ff.15 Vgl. Ebenda, S. 163 ff.16 Vgl. Ebenda, S. 195 ff.17 Vgl. Thierau-Brunner, H./Stangel-Meseke, M./Wottawa, H. (1999), S. 279;

vgl. Becker, M./ Schwertner, A. (2002), S. 189.

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2.5.6 Transfersicherung

Die → Transfersicherung ist die sechste Phase des Funktionszyklus, erfolgt im Arbeits-feld und stellt fest, ob Probleme, die vor der Durchführung einer Personalentwick-lungsmaßnahme bestanden, dauerhaft behoben sind.18 Die Transfersicherung muss inenger Kooperation der Führungskräfte und der Mitarbeiter erfolgen. Die Führungs-kräfte leisten insbesondere dadurch Unterstützung, dass sie die Mitarbeiter ermun-tern, die erworbenen Kenntnisse in ihre Arbeit einzubringen. Erfolgt Personalentwick-lung am Arbeitsplatz und am konkreten Lernobjekt, dann ist die Transferproblematiküberwunden, weil Lern- und Arbeitsfeld zusammenfallen. Auch die Transfersicherungzeigt noch Realisierungsmängel. Zumeist beschränkt sich die Transfersicherung auf ei-ne aufwandsminimale, seminaristische Erfolgskontrolle in Form einer Zufriedenheits-kontrolle.19

Die methodische Absicherung der Personalentwicklung im Funktionszyklus klärt das„Wie“ der Personalentwicklung.

3. Zusammenfassung und zukünftigeForschungsfragen

Die Personalentwicklung unterliegt starker Dynamik. Ausgelöst durch Globalisierung,Individualisierung und Informations- und Kommunikationstechnologien verändernsich Ziele, Inhalte, Methoden und Medien der Personalentwicklung.Heterogene Teams und virtuell organisierte Kern- und Peripheriebelegschaften (→ Kernbelegschaft; → Peripheriebelegschaft) sind mit Bildung, Förderung undOrganisationsentwicklung gezielt auf die kompetente Erledigung ihrer Aufgabenvorzubereiten. Maßgeschneiderte Personalentwicklung setzt differenzierte Kenntnisder Adressaten und der Aufgaben voraus. Analyseaufgaben und konzeptionelle Gestal-tungsaufgaben nehmen zu. Die Forschung muss sich mit den Phänomenen → lebens-langes Lernen und Diversity ebenso beschäftigen wie mit der Virtualisierung und fort-schreitenden Auflösung der Unternehmen als rechtliche, wirtschaftliche, soziale undlokale Einheit. Kompetenzbasiertes Arbeiten und Lernen und die verbindende Syste-matik integrierter Personal- und Organisationsentwicklung sind ebenso wie Aufbau,Erhaltung, Messung, Bewertung und Verwertung von → Humanvermögen aus be-triebswirtschaftlicher und interdisziplinärer Sicht zu erforschen.

Personalentwicklung ist vor allem eine nicht delegierbare Führungsaufgabe, die dieVorgesetzten in Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen für die ihnen direktunterstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu leisten haben. Personalentwicklungwird in Zukunft aber noch stärker als bisher auch zur Holschuld der Beschäftigten.Jeder muss mit der entsprechenden Personalentwicklung seine Beschäftigungsfähig-keit aktiv und eigenverantwortlich selbst in die Hand nehmen. Personalentwicklung

Zusammenfassung und zukünftige Forschungsfragen

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18 Vgl. Becker, M. (2005b), S. 240 ff.19 Vgl. Bergmann, B./Sonntag, K. (1999), S. 288.

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ist und bleibt Kooperationsaufgabe, die von der Personalabteilung als Kernaufgabemitgestaltet wird. Konzepte und Instrumente, Maßnahmen und Methoden sind stetsso aktuell zu entwickeln und einzusetzen, dass es der Personalentwicklung gelingt, alsBusiness Partner der Unternehmensleitung und der Führungskräfte die Personalent-wicklung sicherzustellen, die die Betriebsbereiche benötigen. Die Menschen erwartenvon den Verantwortlichen der Personalentwicklung aktive Unterstützung bei der an-forderungsgerechten Qualifizierung für eine turbulente Zukunft. Eine professionell ar-beitende Personalentwicklung ist stets Motor des Fortschritts der Unternehmen undGarant für die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen.

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