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In memoriam Prof. Dr. phil. Dr. h.c. mult. Hans Nachtsheim Am 24.November 1979 starb in BoppardIRhein Prof. Dr. phil. Dr. h. c. mult. Hans Nachtsheim, der als Nestor der Saugetiergenetik dieser Zeitschrift und der Tierzucht in Deutschland uber Jahrzehnte eng verbunden gewesen ist. Nachtsheim, am 13. Juni 1890 in Koblenz geboren, studierte Zoologie und vergleichende Anatomie in Freiburg und wurde dort 1914 Assistent am zoologischen Institut. Als Schuler von Doflein und Hertwig habilitierte er sich 1919 in Munchen als Dozent fur vergleichende Anatomie und ubernahm 1921 die Leitung einer Abteilung fur Vererbungsforschung der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin. Dort hat er sich in einer Reihe von Arbeiten mit der Genetik zuerst der Drosophila, spater zunehmend der Sauger und speziell der landwirtschaftlichen Nutztiere befafit. Im Vordergrund stand die Frage der Vererbung von Leistungseigenschaften. Dabei wurde das Kaninchen bald zu seinem bevorzugten Versuchs- tier, an dem er zahlreiche Erbgange analysiert und sehr fruhzeitig crkannt hat, dafi Erbfehler, wie das von ihm entdeckte Pelger-Syndrorn, wertvolle Modelle auch fur nienschliche Erbkrankheiten dar- stellen, ein Gedankengang, der gerade in den letz- ten Jahren im Zusammenhang mit Fortschritten der biochemischen und molekularen Genetik wie- der sehr aktuell geworden ist. Die Beschaftigung rnit Kaninchen, also einer Gruppe mit vielfach historisch belegter Rassebil- dung, ermoglichte es aber auch, Schlusse hinsichr- lich der Bildung und Entwicklung von Haustier- rasscn zu ziehen. Das hat 1938 zur Veroffentli- chung des gerade auch fur Tierzuchtwisscnschaft- ler interessanten Werkes uber Domestikation und Rassebildung unter dem Titel ,,Vom Mildtier zum Haustier" gefuhrt. Die zweite, verbesserte und vermehrte Auflage erschien 1949 und die dritte, zusammen mit seinem Schiiler Stengel neu bearbei- tet, 1977. Nachtsheim hat sich schon in den fruhen 20er Jahren urn die breite Vermittlung der Fortschritte der Genetik bcmuht und damals Morgans Buch ,,Die Stofflichen Grundlagen der Genetik" ins Deutsche ubersetzt. Wegen seiner Beschaftigung mit Fragen der vcrgleichenden Erbpathologie wechselte Nachtsheim 1941 als Leiter an die neugegrundete Abteilung fur experimentelle Erbpatholo- gie am Kaiser-Wilhelm-Institut fur Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlern uber und wurde Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. 1945 ubertrug man ihm die kommissarische Leitung des ganzen Institutes. 1946 wurde er Direktor des Institutes fur Genetik an der Humboldt-Universitat in Berlin-Ost und ubernahm ein Jahr spater die Leitung des Institutes fur vergleichende Erbbiologie und -pathologie der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin-Ost. Der Dogniatismus des kommuni- stischen Systems liefi sich jedoch mit der objektiven Erbforschung nicht vereinbaren, so daR

In memoriam Prof. Dr. phil. Dr. h.c. mult. Hans Nachtsheim

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In memoriam Prof. Dr. phil. Dr. h.c. mult. Hans Nachtsheim

Am 24.November 1979 starb in BoppardIRhein Prof. Dr. phil. Dr. h. c. mult. Hans Nachtsheim, der als Nestor der Saugetiergenetik dieser Zeitschrift und der Tierzucht in Deutschland uber Jahrzehnte eng verbunden gewesen ist.

Nachtsheim, am 13. Juni 1890 in Koblenz geboren, studierte Zoologie und vergleichende Anatomie in Freiburg und wurde dort 1914 Assistent am zoologischen Institut. Als Schuler von Doflein und Hertwig habilitierte er sich 1919 in Munchen als Dozent fur vergleichende Anatomie und ubernahm 1921 die Leitung einer Abteilung fur Vererbungsforschung der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin. Dort hat er sich in einer Reihe von Arbeiten mit der Genetik zuerst der Drosophila, spater zunehmend der Sauger und speziell der landwirtschaftlichen Nutztiere befafit. Im Vordergrund stand die Frage der Vererbung von Leistungseigenschaften. Dabei wurde das Kaninchen bald zu seinem bevorzugten Versuchs-

tier, an dem er zahlreiche Erbgange analysiert und sehr fruhzeitig crkannt hat, dafi Erbfehler, wie das von ihm entdeckte Pelger-Syndrorn, wertvolle Modelle auch fur nienschliche Erbkrankheiten dar- stellen, ein Gedankengang, der gerade in den letz- ten Jahren im Zusammenhang mit Fortschritten der biochemischen und molekularen Genetik wie- der sehr aktuell geworden ist.

Die Beschaftigung rnit Kaninchen, also einer Gruppe mit vielfach historisch belegter Rassebil- dung, ermoglichte es aber auch, Schlusse hinsichr- lich der Bildung und Entwicklung von Haustier- rasscn zu ziehen. Das hat 1938 zur Veroffentli- chung des gerade auch fur Tierzuchtwisscnschaft- ler interessanten Werkes uber Domestikation und Rassebildung unter dem Titel ,,Vom Mildtier zum Haustier" gefuhrt. Die zweite, verbesserte und vermehrte Auflage erschien 1949 und die dritte, zusammen mit seinem Schiiler Stengel neu bearbei- tet, 1977.

Nachtsheim hat sich schon in den fruhen 20er Jahren urn die breite Vermittlung der Fortschritte

der Genetik bcmuht und damals Morgans Buch ,,Die Stofflichen Grundlagen der Genetik" ins Deutsche ubersetzt.

Wegen seiner Beschaftigung mit Fragen der vcrgleichenden Erbpathologie wechselte Nachtsheim 1941 als Leiter an die neugegrundete Abteilung fur experimentelle Erbpatholo- gie am Kaiser-Wilhelm-Institut fur Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlern uber und wurde Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. 1945 ubertrug man ihm die kommissarische Leitung des ganzen Institutes. 1946 wurde er Direktor des Institutes fur Genetik an der Humboldt-Universitat in Berlin-Ost und ubernahm ein Jahr spater die Leitung des Institutes fur vergleichende Erbbiologie und -pathologie der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin-Ost. Der Dogniatismus des kommuni- stischen Systems liefi sich jedoch mit der objektiven Erbforschung nicht vereinbaren, so daR

In memoriam Prof. Dr. phil. Dr. h. c. mult. Hans Nachtsheim 251

Nachtsheini die Konscqucnzen zog und zu den Grundungsprofessoren der Freien Universi- t i t Berlin-West gehorte. Dort war er von 1949 bis 1956 ordentlicher Professor fur allgemeine Biologic und Genetik. Von 1953 bis 1960 war er Direktor des Max-Planck-Institutes fur vergleichendc Erbbiologie und Erbpathologie in Berlin-Dahlem und auch danach wissen- schaftliches Mitglied des neuen Max-Planck-Institutes fur molekulare Genetik in Bcrlin- Dahlem.

Nachtsheim hat von 1924, dem Grundungsjahr der ,,Zeitschrift fur Tierzuchtung und Ziichtungsbiologie", bis 1937 vicrzehn Jahre lang dem Kreis der bei der Herausgabe mitwirkenden Personlichkeiten angchort und ist den Herausgebern, zu denen er von I958 bis 1970 selber zahlte, immer wieder mit Rat und Tat behilflich gewesen. Daruber hinaus war Nachtsheirn seit 1956 Mithcrausgcber der ,,Zcitschrift fur Saugetierkunde".

Die wissenschaftliche Tierziichtung dankt Nachtsheim vor allem die frulie Umsetzung dcr genetischen Merhoden und die Demonstration ihrer Anwendbarkeit bei einer Reihe von I'elztieren und 1andn;irtschaftlichcn Nutztieren. Sein besonderes Verdienst ist cs, dafl er die Eignung des Tieres als Mqdell fur menschliche .Krankheiten an zahlreichen Beispielen eindringlich zeigen kgnnte, und zwar zu einer Zeit, als dieser Gedankengang noch weitgehcnd neu war.

Neben den zahlreichcn Auszeichnungcn, die Nachtsheim in1 Laufc seiner langen Forscherlaufbahn entgegennehnien konnte, wurde ihm 1979 eine besondere Ehrung dadurch zuteil, dafl die Gesellschaft fur Anthropologie und Humangenetik / Universitat Heidclbcrg den ,,Hans-Nachtsheini-Prcis" fur hervorragende Leistungen auf dcm Gcbiet der wissenschaftlichen und klinischen Humangenetik begrundete. Die erste Verleihung ,seines' Preises konnte Nachtsheim noch acht Wochen vor seinem Tode mit dankbarer Freude zur Kenntnis nehmen.

Herausgeber und Verlag sind Professor Nachtsheim fur seine Verdienste um die Genetik der landwirtschaftlichen Nutztiere und um die Verbreitung genetischen Wissens sowie fur seine Mitarbeit an dieser Zeitschrift zu tiefem Dank verpflichtet und werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.

Herausgeber und Verlag