INDES 4-2013: Verlorene Generationen

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    INDESZEITSCHRIFT FR POLITIK UN D GESELLSCHAFT

    Vandenhoeck & Ruprecht He 4 | 2013 | ISSN 2191-995X

    VERLORENE GENERATIONENLoc WacquantSymbolische Verunglimpfung im Hypergetto InspektionenVerlorene Generationen in Frankreich, Grobritannien, Italien, Griechenland,

    Schweden, den USA und im Iran Katharina RahlfDie Lost Generation im

    Paris der zwanziger Jahre Jrgen SchmidtKarl Marx und die verlorenen 1848er

    Hannah Bethke / Eckhard JesseKontroverse Theodor Eschenburg und die deut-

    sche Vergangenheit David BebnowskiDie Expertokraten der AfD

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    Kriminalisierung von Armut

    Loc Wacquant

    Bestrafen der Armen

    Zur neoliberalen Regierung dersozialen Unsicherheit

    Aus dem Franzsichen vonHella Beister

    2., durchgesehene Auflage 2013.359 Seiten. Kart.36,00 (D), 37,10 (A)ISBN 978-3-8474-0121-6

    Loc Wacquant analysiert die ffentliche Mobilmachung zumThema Sicherheit und die Verschrfung von Strafpraxen alsManahmen zur Marginalisierung und Normalisierung untererKlassen sowie Ablenkungsmanver in Bezug auf die soziale

    Frage. Der Autor macht einen Trend, Armut, gesellschaftlichePrekarisierung zu kriminalisieren, aus: Gesellschaftliche Prob-lemgruppen werden kriminalisiert und weggesperrt.

    Verlag Barbara Budrich Barbara Budrich Publishers

    Stauffenbergstr. 7. D-51379 Leverkusen OpladenTel +49 (0)2171.344.594 Fax +49 (0)2171.344.693 [email protected]

    www.budrich-verlag.de

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    INDES, 2013-4, S. 13, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gttingen, 2013, ISSN 2191-995X 1

    EDITORIAL

    David Bebnowski / Katharina Rahlf

    Generationen verbinden: Wenn man von einer Generation spricht, bedeutet

    dies stets, dass man zumindest eine vage Vorstellung von den Gemeinsam-

    keiten einer bestimmten Gruppe von Menschen hat und diese artikulieren

    mchte. So konstruiert man gemeinsame Berhrungspunkte und einende

    Verbindungen, um daraus ein Identifikationsangebot fr sich oder andere

    Menschen bereitzustellen. Dem Mensch als sozialem Wesen ist schlielichnur wenig wichtiger als der Bezug auf eine Gemeinschaft, und sei sie nur

    imaginiert. In jedem Bezug auf Generationen kann somit stets der Versuch

    gesehen werden, sich aktiv des eigenen Ortes im gesellschaft lichen Gefge

    zu versichern. Die Suche nach Gemeinsamkeiten schweit allerdings hu-

    fig erst dann zusammen, wenn sie nicht nur der positiven Selbstverortung

    dient, sondern auch als Abgrenzung zu anderen Gruppen herangezogen

    werden kann. Aus diesem Zusammenspiel von Selbstverortung und Abgren-

    zung drf te sich ein guter Teil der Popularitt der Generation in der Sozial-wissenschaft und dem Alltag erklren. In unsicheren Zeiten, berwlbt von

    massenmedialer Berichterstattung, also dient die Generationsbeschreibung

    immer auch der Suche nach Orientierung, so Ulrike Jureitim einfhrenden

    Interview dieser Ausgabe.

    Daneben besitzen Generationen aber immer auch ein gewissermaen

    reales, von den Individuen nicht kontrollierbares Gravitationszentrum

    aus historischen Begebenheiten. Mit Karl Mannheim knnen wir annehmen,

    dass Generationen keinesfalls nur auf Grundlage bewusster Selbst- und

    Fremdverortungen entstehen. Im Gegenteil, es sei das Schicksal,das die Mit-

    glieder einer Generationslagerung schlielich zum Generationszusammen-

    hang und damit zu einem wahrnehmbaren Zusammenschluss verbinde.

    Dort also klingt es zumindest ganz anders: Menschen werden geprgt und

    knnen sich diesen Einflssen kaum widersetzen. Sich bewusst entscheiden

    jedenfalls, ob man dieser oder jener Generation angehrt, das funktioniert

    nach diesem Verstndnis so leicht nicht.

    Nun kann es das Schicksal jedoch gut oder schlecht mit einer Generation

    meinen. Gerade aus der Dynamik des Fortschritts drngt die Mglichkeit,die Umgestaltung der Gesellschaft zum Generationenprojekt werden zu las-

    sen. Folgt man etwa Albert Hirschman oder auch Karl Marx, dann gehen

    gesellschaftliche Fliehkrfte vor allem aus Fortschritt, Prosperitt, raschem

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    2 EDITORIAL

    wirtschaftlichen Wachstum hervor. Auf einem Hhepunkt solch goldener

    Zeiten prangt die Zif fer 1968 und mit ihr die letzte als heroisch titulierte

    Generation der Bundesrepublik.

    Heute wissen wir, dass mit dieser symbolischen Jahreszahl gewissermaen

    eine Klimax erreicht wurde, und durchleben vielerorts ein Kontrastprogramm.

    Aufstiegswege sind blockiert, Rezessionen verstetigen sich in schnellen Zy-

    klen. Das verbindende Gefhl ist die Erfahrung der Blockade, der Aussichts-

    und Hoffnungslosigkeit. Es bilden sich somit, in starkem Kontrast zu den

    hoffnungsvollen Jahren der Trentes Glorieuses,in einem wirtschaftlich und

    psychologisch depressiven Umfeld verlorene Generationen.

    Diese trben Erfahrungen sind es, denen wir in der vorliegenden Aus-

    gabe der INDESnachspren. Begonnen wird dabei mit Inspektionen aus

    verschiedenen Lndern. Einleitend gewhrt Loc Wacquantaus stadtsozio-

    logischer Sicht Einblick in die Dynamiken, die zum Entstehen verlorener

    Generationen beitragen. Ferdinand SutterltyundJens Gmeinerzeichnen in

    ihren Portraits nach, warum junge Menschen in konomisch und rumlich

    segregierten Stadtteilen der Grostdte Grobritanniens, Frankreichs und

    Schwedens randalieren, die sprichwrtlichen Riotsveranstalten. Diese eher

    dsteren Schilderungen werden inMargarita TsomousPortrait junger Men-schen in Griechenland besttigt und um eine zumindest klein wenig opti-

    mistischere Perspektive ergnzt. Neben Griechenland ist auch Italien im Ver-

    lauf der wirtschaftlichen und sozialen Krise im Euroraum zum Brennpunkt

    geworden. Besonders betroffen scheint hier, so Romina Spina in ihrer Dar-

    stellung, die Generation der 30- bis 40-jhrigen Italiener. ber Europa hi-

    naus blicken die Darstellung der jungen Protestgeneration im Iran von Said

    Boluriund Nils C. KumkarsInspektion der gebeutelten transnationalen Ge-

    neration in den Protesten um Occupy Wall Street.

    Wenngleich wir es hier mit aktuellen Phnomenen zu tun haben, ist es

    doch nicht so, dass diese verlorenen Generationen ohne historische Vorlufer

    wren. Erfahrungen der Blockade, der Ernchterung, des Verlierens entste-

    hen und entstanden in vielen Bereichen des sozialen Miteinanders und nicht

    zuletzt auch im intellektuellen und wissenschaftlichen Leben. So zeigt Oliver

    Neun in seinem Portrait der New York Intellectuals um Daniel Bell, wie

    sehr Erfolg und Niederlage intellektueller Generationen an bestimmte histo-

    rische Umstnde gebunden sind. Katharina Rahlffragt in ihrer Darstellung

    der sprichwrtlichen Lost Generation um Hemingway und Fitzgerald, obbzw. wie dieses Label zur Beschreibung solch einflussreicher Literaten passt.

    Dem gegenwrtigen oftmals blockierten und perspektivlosen wissenschaft-

    lichen Nachwuchs in der Bundesrepublik widmen sich demgegenberAndrea

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    3EDITORIAL

    Lange-Vesterund Christel Teiwes-Kgler.Gerade wenn es um die Arbeits- und

    Lebensbedingungen junger Wissenschaftler oder Entrepreneure der Kreativ-

    branche geht, wird man unweigerlich an die Diskussionen um die Genera-

    tion Praktikum erinnert.Martin Glogeranalysiert in seinem Portrait deren

    realen Gehalt. International ergnzt wird sein Portrait durch den Beitrag

    von Birte Schohaus,die die Lebenswirklichkeit niederlndischer Altergenos-

    sen zwischen zwanzig und dreiig Jahren illustriert.

    Auch wenn Kreativitt, Bildung und Geist als wesentliche Ressourcen der

    Wissensgesellschaft gelten eine erfolgreiche akademische Karriere garan-

    tierten sie weder frher noch tun sie dies heute. Zumal nicht bei politischen

    Aktivisten in turbulenten Zeiten. Jrgen Schmidtzeigt all dies am Beispiel

    einer Ikone: Karl Marx.

    Sptestens mit dem Begrnder des wissenschaft lichen Sozialismus befin-

    den wir uns auf dem Feld des Politischen. Aus der gegenteiligen Perspektive

    derer, denen eine Generation verlustig geht, beleuchtet Michael Lhmann,

    wie die FDPin jngster Zeit mit den Brsenboomern eine sichergeglaubte

    Generation an Whlern verlor. Die Erfahrungen des Verlorenseins und Ver-

    lierens, des Ausgebremst- und Blockiertseins schlielich zeitigen charakterli-

    che Folgen, verleihen manch skurriler Person Gehr. Dies verdeutlicht FranzWalteran tusk, dem Charismatiker der Bndischen Jugend.

    In den Perspektiven diskutieren Hannah Bethkeund Eckhard Jessein der

    Kontroverse den Eklat um die nationalsozialistische Vergangenheit des Poli-

    tikwissenschaftlers Theodor Eschenburg und die erhitzten Debatten ber Bei-

    behaltung oder Abschaffung des nach ihm benannten Eschenburg-Preises

    der DVPW. Die Rubrik Konzept greif t eine aktuelle Methodendiskussion

    aus der US-amerikanischen Sozialwissenschaft auf. Richard Biernackipl-

    diert in seinem Beitrag scharf fr eine Strkung hermeneutischer Interpre-

    tationen und grenzt sie von quantitativen Kodierungsverfahren ab, die echte

    sozialwissenschaftliche Erkenntnis zu ersticken drohten. David Bebnowski

    schlielich widmet sich mit der Alternative fr Deutschland politischen

    Newcomern und analysiert die speziellen Formen ihres expertokratischen

    Populismus. Die knstlerische Gestaltung dieses Hefts lag in den Hnden

    von Fabian Hilbich.Seine Fotos und Illustrationen zwischen Streetart und

    Konzeptkunst stehen fr den Versuch, auf morschem Boden und plastischem

    Verfall mit den Techniken des Samplings Neues und hufig genug Buntes zu

    schpfen. Gerade die dunklen Szenarien, das verloren Geglaubte, so knnteman seine Werke mitsamt ihrer ironischen Brche interpretieren, stehen so-

    mit nicht nur als Symbole des Verlusts und Niedergangs, sondern werden

    mitunter auch zum Sinnbild fr Chancen.

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    INDES, 2013-4, S. 45, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gttingen, 2013, ISSN 2191-995X4

    1 Editorial David Bebnowski / Katharina Rahlf

    VERLORENE GENERATIONEN

    >>INTERVIEW 8 Eigentlich geht es um Strahlkraft Ein Gesprch mit Ulrike Jureit ber Generationen

    >>INSPEKTION 19 Regio non grata Stdtische Verwstung und symbolische Verunglimpfung im Hypergetto Loc Wacquant

    29 Aufstand der Gleichen?

    Riotsin Frankreich und England Ferdinand Sutterlty

    34 Die vergessene Generation Wie Italiens 30- bis 40-Jhrige verloren gingen Romina Spina

    38 Ich aber werde bleiben! Krisen-Perspektiven aus griechischer Sicht Margarita Tsomou

    44 Brandflecken in Bullerb ber den Aufruhr in Schwedens Vorstdten Jens Gmeiner

    49 Die Kinder der Revolution Verlorene Generationen im Iran Said Boluri

    54 Explodiertes Unbehagen Die Generation Occupy Wall Street Nils C. Kumkar

    >>ANALYSE 59 Die letzten Intellektuellen Generationsverortung und Generationen-

    konflikte der New York Intellectuals Oliver Neun

    INHALT

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    5INHALT

    67 Generation Lost? Die Pariser Exilliteratenbohme der zwanziger Jahre

    Katharina Rahlf 73 Als Generationenprojekt nachhaltig gescheitert Wie FDP und Brsenboomer sich aus den Augen verloren Michael Lhmann

    83 Trumende Fantasten oder knallharte Pragmatiker? Eine junge Generation zwischen Erwartungen und Realitt Birte Schohaus

    93 Generation P Jung, gut ausgebildet, unterbezahlt

    Martin Gloger

    >>STUDIE 101 Die prekre Welt der Wissenschaft Verlorene Generation oder verlorene Milieus? Andrea Lange-Vester / Christel Teiwes-Kgler

    >>PORTRAIT 109 Frhes Scheitern, spter Ruhm Karl Marx und die verlorene Generation

    der Junghegelianer und 1848er Jrgen Schmidt

    117 Tusk, der Jugendfhrer Tragisches Idol des Heroismus der Verlorenen Franz Walter

    PERSPEKTIVEN

    >>KONTROVERSE 130 Theodor Eschenburg und diedeutsche Vergangenheit

    Die Abschaffung des Theodor-Eschenburg-Preisesist ein Armutszeugnis Eckhard Jesse

    Hellhrig bleiben gegenber dem Verschweigender NS-Vergangenheit!

    Hannah Bethke

    >>KONZEPT 141 Konstruieren statt Kodieren Die Przision humanistischer Methodik Richard Biernacki

    >>ANALYSE 151 Populismus der Expertokraten Eine Auseinandersetzung mit der Alternative fr Deutschland David Bebnowski

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    INDES, 2013-4, S. 109116, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gttingen, 2013, ISSN 2191-995X 109

    FRHES SCHEITERN,SPTER RUHMKARL MARX UND DIE VERLORENE GENERATION

    DER JUNGHEGELIANER UND 1848ER

    Jrgen Schmidt

    Karl Marx, der bervater der Arbeiterbewegung, der Begrnder einer welt-umspannenden politischen Idee, der in den Wirtschaftskrisen der jngsten

    Zeit revitalisierte Kritiker des Kapitalismus als Vertreter einer verlorenen

    Generation? Lsst sich ein solcher Zugang zur Person Marx vertreten? Wie

    PORTRAIT

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    sehr es auf den Blickwinkel ankommt, zeigt ein Beispiel. Die Philosophen

    haben die Welt nur verschieden interpretiert,es kmmt darauf an, sie zu ver-

    ndern, lautet die 11. These von Karl Marx in seiner Auseinandersetzung

    mit Ludwig Feuerbachs Arbeiten zur Religionskritik.1Diese einprgsame

    Behauptung ist nicht nur Marx-Experten bekannt, sondern in einer breiteren

    ffentlichkeit im Bewusstsein verankert, von vielen sogar Marx zuorden-

    bar. In der Humboldt-Universitt zu Berlin findet sich die These nach lan-

    gen Diskussionen immer noch an zentraler Stelle im Hauptgebude Unter

    den Linden. Sie hat berlebt, ist lebendig geblieben, hat zu Kontroversen

    angeregt. Doch im Jahr 1845, als Karl Marx diesen Satz niederschrieb, war

    er Teil eines umfangreichen Konvoluts von Notizen, Entwrfen und Exzerp-ten, die nie das Licht der ffentlichkeit sehen sollten frs Erste vergessen

    und verloren. Nun ist das Vergessen und die Bedeutungslosigkeit nieder-

    geschriebener eklektizistischer berlegungen eher ein generelles Problem

    von Intellektuellen denn eine auf eine bestimmte Generation einzuengende

    Erfahrung. Deutlich wird an diesem Beispiel allerdings, dass die Charakte-

    risierung von Generationen und ihren geistigen Erzeugnissen situativ und

    vom Standpunkt des Betrachters aus wahrgenommen wird. Verlorenen

    Generationen knnen zu verschiedenen Zeitpunkten ganz unterschiedlicheAttribute zugeschrieben werden.

    Karl Mannheim hat mit seinem Aufsatz Das Problem der Generationen

    versucht, dem fluiden Begriff der Generation klarere Konturen zu geben.

    Nach seiner Meinung konstituiert sich ein Generationenzusammenhang

    durch eine Partizipation der derselben Generationslagerung angehrenden

    Individuen am gemeinsamen Schicksal und an den dazugehrenden, irgend-

    wie zusammenhngenden Gehalten. Innerhalb dieser Schicksalsgemein-

    schaft knnen dann die besonderen Generationseinheitenentstehen.2Eine

    prgende Rolle kommt dabei nach Meinung Mannheims jedoch keines-

    wegs nur auf diese Phase im Lebenslauf beschrnkt den Lebensjahren im

    bergang zum Erwachsenenstatus zu, werden hier doch Weichen fr das

    sptere Leben gestellt.

    Marx Jugend verlief zunchst in den bildungsbrgerlichen Bahnen einer

    angesehenen Rechtsanwaltsfamilie in Trier. Er besuchte das Gymnasium,

    schloss es mit der Reifeprfung ab und begann 1835 in Bonn ein Jurastudium.

    Marx besuchte regelmig Seminare und Vorlesungen, hatte aber genauso viel

    Zeit fr Trinkgelage, Raufereien und Kneipengesprche mit seinen Kommilito-

    nen. Diese Freizeitvergngen eines unpolitischen Sptadoleszenten3stellten

    gngige Sozialisationsmuster und gemeinsame Erfahrungen unter den Erst-

    semestern dar, die der knft igen Karriere keineswegs schaden mussten die

    1 Karl Marx u. Fried-

    rich Engels, Werke, Berlin/

    DDR 1958, Bd. 3, S. 7 (im

    Folgenden zit. als MEW).

    2 Karl Mannheim, DasProblem der Generationen,

    in: Klner Vierteljahreshefte

    fr Soziologie, Jg. 7 7 (1928)

    H. 2, S. 157185, 309330,

    2. Teil, S. 313.

    3 Jonathan Sperber, Karl

    Marx. Sein Leben und sein

    Jahrhundert, Mnchen 2013,

    S. 50. Smtliche im Folgenden

    erwhnten biografischen Details

    und Lebensstationen von Marxberuhen auf den beiden jngsten

    Biografien von Jonathan Sperber

    und Rolf Hosfeld (Die Geister, die

    er rief. Eine neue Karl-Marx-

    Biografie, Mnchen 2009).

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    Mitgliedschaft in der richtigen Burschenschaft oder einer anderen studenti-

    schen Vereinigung konnte sogar von Vorteil sein. Eine zwingende generatio-

    nelle Prgung lie sich daraus jedenfalls nicht ableiten, wenn auch wie im

    Fall von Karl Marx das sorglose Studentenleben vom Elternhaus mitunter

    scharf kritisiert wurde. In einem Brief von Ende Februar/Anfang Mrz 1836

    betonte Heinrich Marx seinem Sohn gegenber, er habe gehofft, da Du

    einst Deinen Geschwistern eine Sttze seyn knntest. Dessen war sich der

    Vater angesichts Karls Lebenswandels aber nicht mehr sicher.4

    Im Vergleich zu solch individuellem Tadel erwiesen sich die Studienbedin-

    gungen fr Marx und seine Alterskohorten als prgender. Ein Studium der

    Rechtswissenschaften ffnete zwar zahlreiche Berufsmglichkeiten, anderer-seits bot der ffentliche Dienst den Absolventen nicht gengend Stellen. Ein

    klarer Karriereweg war nicht vorgezeichnet. Wer in den Staatsdienst eintrat,

    musste mit einem unbezahlten Referendariat beginnen und die bernahme

    in eine besoldete Anstellung war danach alles andere als sicher. Die jungen

    Mnner blieben ber Jahre von ihren Familien abhngig.5Hinzu kam, dass

    Marx und seine Altersgenossen ihr Studium begannen, als ein erster Stti-

    gungsgrad an akademischen und staatlichen Stellen bereits erreicht wor-

    den war. Zwischen 1819 und 1830 waren die Studentenzahlen an deutschenUniversitten von rund 8.300 auf 16.000 rasant angestiegen, da nach den

    Befreiungskriegen und den staatlich-gesellschaftlichen Reformen akademi-

    scher Nachwuchs bentigt wurde.6Dieser Arbeitsmarkt war nun seit Mitte

    der 1830er Jahre weitgehend geschlossen. Karl Marx hatte sein Studium also

    zu einem ungnstigen Zeitpunkt begonnen.

    Als sich Marx 1836 entschloss, seine akademische Ausbildung in Berlin

    fortzusetzen, verband sich damit beim Vater die Hoffnung, dass sich der Sohn

    fern der Heimat und seiner Saufkumpanen mehr auf sein Studium konzen-

    trieren wrde. In gewisser Weise trat diese Konzentration auch ein, doch nicht

    in dem von Heinrich Marx gewnschten Sinn. Statt fr die Rechtswissen-

    schaften begeisterte sich Karl Marx immer mehr fr die Philosophie, speziell

    fr die von Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Ein Vorhang war gefallen, mein

    Allerheiligstes zerrissen und es muten neue Gtter hineingesetzt werden,

    schrieb Karl Marx enthusiastisch seinem Vater im November 1837 ber sein

    philosophisches Erweckungserlebnis.7Die vterliche Fundamentalkritik folgte

    kurze Zeit spter. Der Sohn verschwende sein Talent beim nutzlosen Philo-

    sophieren, lege keine Prfungen ab, in seiner beruflichen Laufbahn seienweder Ordnung noch Fortschritt zu erkennen: Und hier in dieser Werksttte

    unsinniger und unzweckmiger Gelehrsamkeit sollen die Frchte reifen,

    die Dich und Deine Geliebten erquicken, die Erndte gesammelt werden, die

    4 Heinrich und Henriette Marx

    an Karl Marx, Februar/Mrz

    1836, in: Karl Marx u. Friedrich

    Engels, Gesamtausgabe, Berlin/

    DDR 1975, Abt. III, Bd. 1, S. 294

    (im Folgenden zit. als MEGA).

    5 Sperber, S. 48 f.

    6 Hans-Ulrich Wehler,

    Deutsche Gesellschafts-

    geschichte. Bd. 2. Von der

    Reformra bis zur industriellen

    und politischen Deutschen

    Doppelrevolution 18151845/49,

    Mnchen 1987, S. 511 f.

    7 K. Marx an H. Marx,

    10./11. November 1837,

    in: MEGA III /1, S. 15.

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    113Jrgen Schmidt Frhes Scheitern, spter Ruhm

    in einer Sackgasse. Hegel und eine Auseinandersetzung mit seinem Werk

    waren an den auf restaurativen Kurs gebrachten Universitten nicht mehr

    gefragt und mit ihrer radikalen Religionskritik eckten ihre Vertreter in der

    Bildungs- und Kultusverwaltung eher an, als dass sie sich damit fr Stellen

    an der Berliner Universitt profilieren konnten.

    Kurz vor seinem Tod hatte Karl vom Stein den Linkshegelianer Bruno

    Bauer noch als Privatdozent an der Bonner Universitt untergebracht. Bauer

    und Marx kannten sich schon aus Berliner Zeiten. Bei Bauer hatte Marx seine

    Hegelstudien vertieft, stand mit dem knapp zehn Jahre lteren auch in per-

    snlichem Kontakt. Noch einmal ffnete sich fr einen Moment die Tr zu

    einer akademischen Karriere. Nach Abschluss von Marx Dissertation berdie Naturphilosophie bei Demokrit und Epikur, die er angesichts der anti-

    hegelianischen Stimmung nicht mehr in Berlin verteidigen konnte, sondern

    nach Jena ausweichen musste, holte Bauer Marx nach Bonn und stellte ihm

    einen Lehrauftrag in Aussicht. Doch statt sich fr seinen Schtzling einset-

    zen zu knnen, geriet Bauer selbst mehr und mehr ins Abseits. Er vertrat

    eine atheistische Anschauung und pochte darauf, an der Universitt Bonn

    eine Professur fr protestantische Theologie zu besetzen. Weitere Invektiven

    machten Bauer untragbar und 1842 verlor er seine Privatdozentur.Marx Akademikerlaufbahn war damit ebenfalls zu Ende; zu eng waren

    seine Berufsaussichten in Bonn mit Bauer verbunden gewesen. Zahlreichen

    anderen Jung- und Linkshegelianern ging es nicht anders. Auch Arnold Ruge

    (18021880), Adolf Rutenberg (18081869) und weitere Vertreter dieser philo-

    sophischen Richtung mussten mit diesem Bruch zurechtkommen.12Vermut-

    lich wollte ein Teil von ihnen auch gar nicht unbedingt eine Lauf bahn an der

    Universitt anstreben. Dennoch trif ft fr diese von dem Bedeutungsverlust

    der Hegelschen Philosophie betroffenen, im Vormrz politisch, gesellschaft-

    lich und intellektuell sozial isierten Akademikern die Beschreibung einer ver-

    lorenen Generation durchaus zu.13Das parallele Erleben von Geschichte

    verdichtete sich zu einer kontingenten Erfahrung.14Unter diesem Aspekt des

    persnlich erlebten Scheiterns gehrte Marx einer verlorenen Philosophen-

    generation an. Marx stand zu diesem Zeitpunkt mit 23 Jahren am Ende der

    nach Karl Mannheim prgenden Jugendphase zwischen 17 und 25 und be-

    ntigte einen beruflichen Neuanfang.15

    Zum Glck funktionierte das Netzwerk der Junghegelianer und Marx ge-

    lang der bergang in den Journalismus. Er schrieb fr Arnold Ruges Deut-sche Jahrbcher und verdiente durch die Mitarbeit fr die Rheinische Zeitung

    sein erstes eigenes Geld. Dieses Journal war ein spannendes, hchst wider-

    sprchliches Experimentierfeld: Liberal-fortschrittliche Klner Aufsteiger

    12 Michael Kuur Srensen,

    Young Hegelians before and

    after 1848, Frankfurt a. M. 2011,

    S. 4347; Ebach, S. 6678.

    13 Sperber, S. 77.

    14 Ulrike Jureit, Generationen-

    forschung, Gttingen 2006, S. 7.

    15 Zur Diskussion der Jugend-

    phase fr das Generationen-

    konzept siehe Oliver Neun, Zur

    Kritik am Generationenbegriffvon Karl Mannheim, in: Andreas

    Kraft/Mark Weihaupt (Hg.),

    Generationen: Erfahrung Er-

    zhlung Identitt, Konstanz

    2009, S. 217242, hier S. 225 f.

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    114 VERLORENE GENERATIONEN PORTRAIT

    aus dem Wirtschaftsbrgertum, die sich vom alten Klner Klngel rund um

    die Klner Zeitungabsetzten, finanzierten sich ein Presseorgan; der Frh-

    sozialist Moses He, der sich fr die Abschaffung des Privateigentums ein-

    setzte, engagierte sich fr die Zeitung und mehr und mehr Junghegelianer

    drngten als Autoren in das Blatt. Fr einen Moment bestand die Mglich-

    keit, dass innerhalb eines kurzen Zeitraums aus der verlorenen Generation

    junghegelianischer Akademiker eine hoffnungsvolle Generation junghege-

    lianischer Journalisten werden knnte. Und Marx stieg gar zum Chefredak-

    teur der Rheinischen Zeitungauf. Er beschftigte sich in seinen Artikeln mit

    klassisch liberalen Themen wie der Pressefreiheit, versuchte als Chefredak-

    teur das Blatt nicht zu sehr in ein links-kritisches Fahrwasser gleiten zu las-sen, um die Klner Finanzgeber nicht zu verschrecken und sich die staatliche

    Zensur vom Leib zu halten. Gleichzeitig entdeckte Marx die soziale Frage

    als zentrales Thema und beschftigte sich mit der sozialen Lage der Win-

    zer und Bauern an der Mosel. Erneut stieen Marx und seine Mitstreiter an

    Grenzen. Trotz politischer Migung wurde die Rheinische Zeitungbereits

    zum 1. April 1843 verboten.16

    Marx und die Junghegelianer standen erneut als verlorene Generation da.

    Hatte der Bruch in der Bildungspolitik 1840/42 ihnen die akademische Kar-riere gekostet, fgte die politische Zensur ihnen nun einen weiteren Schlag

    zu. Erst verlieen sie die deutschen Universitten, nun verlieen sie den Bo-

    den des Deutschen Bundes und gingen ins Exil: In Deutschland kann ich

    nichts mehr beginnen. Man verflscht sich hier selbst, schrieb Marx an Ar-

    nold Ruge im Januar 1843.17Die Erfahrungen im Ausland waren alles an-

    dere als motivierend. Der Enthusiasmus einer deutsch-franzsischen Ver-

    stndigung unter linken Intellektuellen zerstob schneller als gedacht. Die

    von Arnold Ruge und Karl Marx initi ierten Deutsch-franzsischen Jahrb-

    cher kamen ber eine Doppelnummer nicht hinaus, die angeschriebenen

    franzsischen Schriftsteller, Journalisten und Intellektuellen verschlossen

    sich der Zusammenarbeit. Die finanzielle Misere, die dem Aus der Jahrb-

    cher folgte, zerstrte die Freundschaft zwischen Ruge und Marx. Auch die

    schriftstellerisch-akademische Arbeit von Marx verschwand in den Jahren

    des Exils ungedruckt in der Schublade. Die konomisch-philosophischen

    Manuskripte brach der Autor ab, weil er sich mit journalistischen Arbeiten

    ber Wasser halten musste, die ihm aber auch keineswegs so flott aus der

    Feder flossen, wie es seine Ehefrau Jenny wnschte, die er 1843 endlich ge-heiratet hatte: Bitte, lieb Herz, la die Feder mal bers Papier laufen, und

    wenn sie auch mal strzen und stolpern sollte und ein Satz mit ihr deine

    Gedanke stehn ja doch da wie Grenadiere der alten Garde, so ehrenfest und

    16 Hosfeld, S. 29 ff.

    17 K. Marx an Arnold

    Ruge, 25. Januar 1843, in:

    MEGA III/1, S. 43.

  • 8/13/2019 INDES 4-2013: Verlorene Generationen

    15/16

    115Jrgen Schmidt Frhes Scheitern, spter Ruhm

    tapfer, schrieb Jenny 1844 ihrem Mann. Auch das umfangreiche Manu-

    skript Die deutsche Ideologie blieb zum grten Teil unverffentlicht. Du

    siehst, allseitige Misre!, schrieb Marx an Joseph Weydemeyer Mitte Mai

    1846 ber seine finanzielle Lage.18

    Aus dem ersten Trauma des Exils (Hosfeld) im Vormrz befreiten die

    Ereignisse von 1847/48. Das Kommunistische Manifest zwar kein Best-

    seller weckte dennoch Zukunftserwartungen und wirkte mobilisierend.

    Die revolutionren Erhebungen im Februar und Mrz 1848 in Frankreich

    und Deutschland schlielich erffneten den Exilanten neue Mglichkeiten.

    Marx trat in der Revolution kaum als politischer Aktivist , sondern vor allem

    als Publizist auf. Es gelang ihm, mit der Neuen Rheinischen Zeitung aus derRckschau von heute das bei Weitem beste politische Blatt der Revolu-

    tion herauszugeben; doch blieb der Einfluss der Zeitung damals weitgehend

    auf das Rheinland beschrnkt.19berhaupt dominierte auf Seiten der Arbei-

    terschaft nicht der Bund der Kommunisten das organisatorische Gesche-

    hen, sondern die von dem Buchdrucker Stephan Born geleitete Allgemeine

    Deutsche Arbeiterverbrderung. Und die Revolution 1848/49 selbst endete

    mit der sogenannten Reichsverfassungskampagne in den Worten Friedrich

    Engels in einer blutigen Posse: Die ganze

    Revolution

    lste sich in einewahre Komdie auf, und es war nur der Trost dabei, da der sechsmal str-

    kere Gegner selbst noch sechsmal weniger Mut hatte.20

    Es folgten fr Marx und viele andere 1848er-Kmpfer Jahre, in denen

    das Trauma der verlorenen Revolution und des Exils vorherrschte.21Bei

    Marx kamen zahlreiche weitere Ernchterungen und Erniedrigungen hinzu.

    Das teure Londoner Exil machte der Familie zu schaffen, zwei Kinder star-

    ben; sechs Jahre lebte die Familie in den Elendsquartieren Sohos. An Engels

    schrieb Marx im September 1852: Seit 810 Tagen habe ich die family mit

    Brot und Kartoffeln durchgefttert. Marx verstand es, seine Situation in ds-

    tersten Farben darzustellen, um seine Gnner und Geldgeber freigiebig zu

    stimmen. Wie als Student war er auch jetzt auf finanzielle Untersttzung

    mittlerweile durch Friedrich Engels angewiesen, weil ihm das journalisti-

    sche Tagesgeschft nicht genug einbrachte. 1859 hatte er endlich im Berliner

    Verlag von Duncker seine Schrift Zur Kritik der politischen konomie ver-

    ffentlichen knnen. Doch durch seinen fragmentarischen Charakter waren

    selbst Freunde und Anhnger wie Wilhelm Liebknecht enttuscht. In der aka-

    demischen, geschweige denn in einer breiten ffentlichkeit in Deutschlandwurde das Buch kaum wahrgenommen.22Marx drohte im Londoner Exil in

    Vergessenheit zu geraten. Erst die in Deutschland entstehende Arbeiterbe-

    wegung entdeckte ihn in den 1860er Jahren wieder und sorgte dafr, dass

    18 Hosfeld, S. 50 ff.;

    Sperber, S. 130 ff.; Jenny Marx

    an Karl Marx, 1844, zit. n.Teusch, S. 96; K. Marx an

    J. Weydemeyer, 15./16. Mai

    1846, in: MEGA III/2, S. 11.

    19 Hosfeld, S. 99 f.

    20 Friedrich Engels, Die

    deutsche Reichsverfassungskam-

    pagne (1849/59), in: MEW, Bd. 7,

    S. 197; allgemein zur Desillusio-

    nierung Srensen, S. 189199.

    21 Hosfeld, S. 118.

    22 Teusch, S. 81 ff., 103 ff. (Zi-

    tat: ebd., S. 85); Hosfeld, S. 124 ff.

  • 8/13/2019 INDES 4-2013: Verlorene Generationen

    16/16

    116 VERLORENE GENERATIONEN PORTRAIT

    aus einem Mitglied einer verlorenen Generation ein Solitr wurde, der bis in

    die Gegenwart prsent blieb.

    Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht

    aus freien Stcken unter selbstgewhlten, sondern unter unmittelbar vorhan-

    denen, gegebenen und berlieferten Umstnden.23Diese berhmte Sentenz

    aus Marx 18. Brumaire steht letztlich auch paradigmatisch fr die Frage

    nach der verlorenen Generation, der Marx und die Junghegelianer und die

    Revolutionre von 1848 angehrten. Marx entschied selbststndig und selbst-

    bewusst ber seinen Lebensweg, traf dabei aber auf objektive Faktoren, die

    nach Karl Mannheim Generationen schaffen. Individuell bestanden und

    bestehen immer Mglichkeiten der Neujustierung und Neuausrichtung, diejedoch in bestimmten historischen Kontexten an Grenzen stoen, welche da-

    her generationell prgend werden (knnen). Generationen sind so gesehen

    mehr als etwas durch Selbst- oder Fremdperspektive Imaginiertes, sondern

    Gruppen, die im historischen Kontext gemeinsame Erfahrungen teilen.24

    Eine Generation lsst sich damit nie auf bestimmte Alterskohorten festlegen,

    sondern kann in denselben Altersgruppen zahlreiche unterschiedliche Aus-

    prgungen aufweisen.25

    Die Enttuschungen, die Traumata und die Hoffnungslosigkeit der ver-lorenen Generation der Junghegelianer und 1848er wirkten daher auch auf

    einen Teil ihrer Mitglieder alles andere als demotivierend: Sie engagierten

    sich weiter intellektuell und politisch fr ihre Ideale, sei es im Fall der 1848er

    Revolutionre Wilhelm Liebknecht (18261900) in der deutschen Arbeiter-

    bewegung oder bei Carl Schurz (18291906) im Kampf gegen die Sklaverei.

    Die Erfahrungen konnten aber eben auch zu Anpassung, Rckzug ins aka-

    demische Idyll in der Schweiz oder zu einer konservativen, antisemitischen

    Lebenshaltung wie bei Arnold Ruge, Stephan Born oder Bruno Bauer fhren.

    Etwas zu apodiktisch formulierte Karl Mannheim in seinem Generationen-

    Aufsatz: Ob eine bestimmte Jugend konservativ, reaktionr oder progres-

    siv ist, entscheidet sich (wenn auch nicht ausschlielich, aber doch in erster

    Reihe) dadurch, ob sie am vorgefundenen Status der Gesellschaft von ihrem

    sozialen Ort aus Chancen der eigenen sozialen und geistigen Frderung er-

    wartet.26Dennoch ist es ein Gedankenexperiment wert: Vielleicht wre ein

    preuischer Philosophie-Professor Karl Marx nie zum Marxisten geworden.

    23 Karl Marx, Der acht-

    zehnte Brumaire des Louis

    Bonaparte. Kommentar von

    Hauke Brunkhorst, Frank-

    furt a. M. 2007 [1852], S. 9.

    24 Zum Verhltnis von objek-

    tiven Faktoren und der Konst-

    ruktion von Generationen siehe

    zusammenfassend Neun, 218 f.

    25 Zur Wechselwirkung

    zwischen gesellschaftlichen

    Einflssen und der wirksamen

    Gestalt von Generationen

    siehe Andreas Kraft u. Mark

    Weihaupt, Erfahrung Erzh-

    lung Identitt und die Grenzen

    des Verstehens: berlegungen

    zum Generationenbegriff, in:

    Dies. (Hg.), S. 1747, hier S. 21;

    Jrgen Reulecke, Kriegskinder-

    generationen im 20. Jahrhundert:

    zwei Vter- und Shnegenera-

    tionen im Vergleich, in: ebd.,

    S. 243260, hier S. 244; Ulrike

    Jureit u. Michael Wildt (Hg.),

    Generationen. Zur Relevanz

    eines wissenschaftlichen Grund-

    begriffs, Hamburg 2005, S. 11 ff.

    26 Mannheim, S. 180, Anm. 2.

    Dr. Jrgen Schmidt,Historiker, arbeitet am Internationalen

    Geisteswissenschaftlichen Kolleg Arbeit und Lebenslauf

    in globalgeschichtlicher Perspektive der Humboldt-Uni-

    versitt zu Berlin. Zuletzt erschien von ihm die Biografie:

    August Bebel Kaiser der Arbeiter (Zrich 2013).