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Individuelle Rezeption eines Kinderbuches durch Kinder im Vorschulalter -Zwei qualitativ-empirische Fallstudien Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Grundschulen/Hauptschulen und Realschulen dem Staatlichen Prüfungsamt für Erste Staatsprüfungen für Lehrämter an Schulen Essen vorgelegt von: Tanja Hoff Dunantstr. 127d 47906 Kempen Tel: 02152/ 557965 Essen, Oktober 2007 Themensteller: Prof. Dr. Georg Peez Universität Duisburg - Essen Campus Essen Fachbereich Kunstpädagogik

Individuelle Rezeption eines Kinderbuches durch Kinder im ... · Die Analyse fällt in den Bereich der Kinderzeichnungsforschung, was eine der grundlegenden Fragen aufwirft. Was genau

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Individuelle Rezeption eines Kinderbuches

durch Kinder im Vorschulalter

-Zwei qualitativ-empirische Fallstudien

Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für

das Lehramt an Grundschulen/Hauptschulen und Realschulen

dem Staatlichen Prüfungsamt für Erste Staatsprüfungen für

Lehrämter an Schulen Essen

vorgelegt von: Tanja Hoff

Dunantstr. 127d

47906 Kempen

Tel: 02152/ 557965

Essen, Oktober 2007

Themensteller: Prof. Dr. Georg Peez

Universität Duisburg - Essen

Campus Essen

Fachbereich Kunstpädagogik

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Inhaltsverzeichnis

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1

INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG....................................................................................................3

1.1 HINFÜHRUNG ZUM THEMA .............................................................................3

1.2 ZIELE DER KINDERZEICHNUNGSFORSCHUNG ..................................................3

1.3 DIE BEDEUTUNG VON BILDERBÜCHERN IM KUNST- UND

DEUTSCHUNTERRICHT ..........................................................................................4

1.4 PERSÖNLICHE MOTIVATION............................................................................6

1. 5 BEGRÜNDUNG FÜR DEN GEGENSTAND 'BILDERBUCH' UNTER

BERÜCKSICHTIGUNG DES LEHRPLANS ..................................................................8

2. DARSTELLUNG DES FORSCHUNGSFELDES........................................11

2.1 AUFGABENSTELLUNG ...................................................................................11

2.2 EINGRENZUNG DES FORSCHUNGSINTERESSES...............................................11

3. METHODISCHE GRUNDLAGEN...............................................................14

3.1 MATERIALSAMMLUNG..................................................................................14

3.2 UNTERSUCHUNGSVERLAUF ..........................................................................15

3.2.1 Ort und Personen.................................................................................15

3.3 FORSCHUNGSMETHODEN ..............................................................................17

3.3.1 Qualitative empirische Forschungsmethode ........................................17

3.3.2 Einzelfallanalyse...................................................................................18

3.3.3 Narratives Interview .............................................................................19

4. ANGABEN ZUM BUCH ................................................................................23

4.1 KURZE ZUSAMMENFASSUNG DES BUCHINHALTES ........................................23

4.2 AUFBAU DES BUCHES ...................................................................................23

4.3 VORLESEAKT ................................................................................................24

5.INTERPRETATION........................................................................................25

5. 1 KINDERZEICHNUNGSFORSCHUNG ................................................................25

5.1.1 Aktualität der Entwicklungsmodelle .....................................................26

5.1.2 Dreiteiliges Entwicklungsmodell nach Peez.........................................27

5.2 SCHEMA........................................................................................................28

5.3 FIGURENDARSTELLUNG ................................................................................35

5.3.1 Allgemeine Auffälligkeiten und Parallelen zum Buch ..........................35

5.3.2 Aufbau der Figuren...............................................................................41

5.3.3 Anthropomorphes Denken ....................................................................46

5.4 DAS PRÄGNANZPRINZIP ................................................................................50

5.5 DIE BEDEUTUNGSGRÖßE...............................................................................53

5.6 DAS PRINZIP DER RECHTWINKLIGKEIT .........................................................55

5.7 DAS TRANSPARENZPRINZIP ..........................................................................57

5.8 DIE RÄUMLICHKEIT ......................................................................................60

5.9 DIE FARBE ....................................................................................................67

6. ERGEBNISSE..................................................................................................72

7. DIDAKTISCHE CHANCEN UND AUSSICHTEN.....................................75

7.1 ZUR ERHEBUNGSMETHODE...........................................................................75

7.2 INDIVIDUELLE REZEPTION IM UNTERRICHT ..................................................75

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Inhaltsverzeichnis

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2

LITERATURVERZEICHNIS ...........................................................................78

ANHANGSVERZEICHNIS ...............................................................................80

A 1 BILDERVERZEICHNIS...............................................................................80

A 2 TRANSKRIPTIONEN .................................................................................80

A 1. 1 LARAS ZEICHNUNGEN IM ÜBERBLICK .....................................................81

A 1. 2 ANNES ZEICHNUNGEN IM ÜBERBLICK .....................................................83

A 2. 1TRANSKRIPTION LARA..............................................................................85

A 2. 2 TRANSKRIPTION ANNE.............................................................................88

A 2. 3 FELDNOTIZEN WÄHREND DES ZEICHNENS................................................91

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Einleitung

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1. Einleitung

1.1 Hinführung zum Thema

Vor dem Hintergrund der Kinderzeichnungsforschung wird mit

Hilfe qualitativ empirischer Forschungsmethoden eine Analyse von sieben

Kinderzeichnungen zweier Vorschulkinder zu einem Bilderbuch

durchgeführt. Kommunikative Mittel der Erhebung sollen zu einem tieferen

Verständnis der kindlichen Bildsprache führen bzw. die unterschiedlichen

Rezeptionen des Bilderbuches untersuchen. Forschungsmaterial hierfür

sind Zeichnungen, Fotografien und Interviewaussagen, die aus narrativen

Einzelinterviews mit den Kindern hervorgehen.

1.2 Ziele der Kinderzeichnungsforschung

Die Analyse fällt in den Bereich der Kinderzeichnungsforschung, was eine

der grundlegenden Fragen aufwirft. Was genau wird im Rahmen der

Kinderzeichnungsforschung untersucht? Neuß erinnert an die wesentliche

Funktion von Zeichnungen, die im Bereich der Kommunikation verwurzelt

ist. „Das Zeichnen gehört neben der sprachlichen Verständigung zu den

wichtigsten Aneignungs-, Ausdrucks- und Kommunikationsformen in der

Kindheit.“ (Neuß 1999, S.49) Nicht umsonst wird in diesem

Zusammenhang häufig von Bildsprache gesprochen. Die Verbindung

zwischen dem Zeichenprodukt und der Lebenswirklichkeit des Kindes ist

für Neuß Zeichen von Kommunikation. „In Bildern stellen Kinder ihre

Wirklichkeit dar und die unterschiedlichen Formen der

Auseinandersetzung mit ihr.“ (Neuß 1999, S.49) Die Intention der

Mitteilung ordnet auch Peez den Kinderzeichnungen zu und sieht darin

einen zu untersuchenden Forschungsgegenstand: „Für die

Kinderzeichnungsforschung gilt es, die subjektiven Faktoren und

biographischen Bezüge in der bildnerischen Handlung des Kindes aus

Sicht des Erwachsenen zu rekonstruieren, d.h. Beweggründe, Ideen und

Interessen im Vollzug des Zeichnens und deren kommunikative

Beziehungsaspekte zu thematisieren.“ (Peez 2005, S. 142) Der

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Lebensbereich des Kindes spiegelt sich zu einem großen Teil in der

Bildaussage des Kindes wider. Peez spricht von der Kinderzeichnung als

ein Interaktionsmedium zwischen dem Kind und seiner Umwelt. (vgl. Peez

2005, S.142)

Die nachfolgende Untersuchung fragt nicht nach den Beweggründen für

die Motivwahl, da das Bilderbuch 'Der Grüffelo' als medialer Anlass für das

Zeichnen dient. Allerdings gilt es zu klären, welche Intentionen sich hinter

den unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in der Zeichnung verbergen

und welche Bezüge zur kindlichen Lebenswelt zu ergründen sind.

Das Zeichnen zu einem Bilderbuch entstand aus der Idee, den Kindern

eine mediale Grundlage zur Auseinandersetzung zu bieten, die sowohl

aus ihrer derzeitigen Lebenswelt gegriffen ist, gleichzeitig aber auch

Relevanz für den schulischen Alltag trägt. Welche Bedeutung der

Thematik im schulischen Kontext zukommt, soll im folgenden Abschnitt

diskutiert werden.

1.3 Die Bedeutung von Bilderbüchern im Kunst- und

Deutschunterricht

Bilderbücher stellen für die Mehrheit der Kinder ein vertrautes Medium

dar, mit dem bereits Erfahrungen innerhalb der Familie oder im

Kindergarten gesammelt wurde. Das Bilderbuch kann als ein signifikanter

Gegenstand der kindlichen Lebenswelt gesehen werden, wobei darauf zu

verweisen ist, dass sich der Erfahrungswert sehr differenziert äußert. Für

einige Kinder wird das Vorlesen nahezu rituell betrieben, andere haben

wenige bis gar keine Möglichkeiten vor der Kindergartenzeit oder sogar

dem Schuleintritt Erfahrungen mit dem Vorleseakt zu sammeln. Für Lehrer

bietet das Arbeiten mit Bilderbüchern eine Möglichkeit eine Brücke

zwischen den Fächern Deutsch und Kunst zu schlagen. Kretschmer sieht

ebenfalls die Notwendigkeit für ein fächerübergreifendes Handeln.

„Das Bilderbuch bietet sich hier als Ausgangspunkt an. In ihm verschmelzen

textliche und bildhafte Elemente auf vielfältige Weise: erst in ihrem

Zusammenspiel ergibt sich ein ästhetisches Ganzes. Deshalb reicht es nicht aus,

Bilderbücher in den traditionellen Fächergrenzen zu reflektieren. Die

Literaturdidaktik ist ebenso gefragt

wie die Kunstdidaktik.“ (Kretschmer 2003, S.22)

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Bilderbücher zum Gegenstand des Deutsch- und Kunstunterrichts in der

Grundschule zu machen, kann aus diversen didaktischen Implikationen

geschehen. Kritisierend führt Kretschmer auf, dass allein dem

Kunstunterricht die Arbeit mit Bildern diktiert wird:

„Bislang ist der Kunstunterricht das einzige Fach, dass sich explizit mit der

Wirkung und der Herstellung von Bildern befasst und zu einer Bildkompetenz

qualifizieren kann. Aus einer Kunst und Sprache integrierten Perspektive muss es

darum gehen, den Textbegriff zu erweitern auf die ästhetisch verfasste

Wirklichkeit, die "lesbar" zu machen ist.“ (Kretschmer 2003, S. 22)

Durch das mindestens ausgewogene Verhältnis von Schrift und Text

bietet das Lesen und Betrachten von Bilderbüchern eine gelungene

Motivationsmöglichkeit, besonders für leseschwache Schüler.

Die Verbindung von Schrift und Sprache macht den Reiz des Buches aus.

„Bilderbücher erzählen in Wort und Bild, darin sind sie dem Theater oder dem

Film ähnlich. Gegenüber den komplexen bewegten Film- und Computerbildern

mit ihren oft umstrittenen Themen beansprucht das Bilderbuch eine ästhetische

und pädagogische Sonderrolle, weil es seine Aufgabe ist, Kindern einen

Ausschnitt der Welt zu vermitteln.“ (Kretschmer 2003, S. 14)

Die Illustrationen tragen zur Erschließung der Geschichte bei. Sie besitzen

eine Art Standbildcharakter. Gegenüber den zunehmend bewegten und

animierten Bildern in diversen anderen Medien, können sich die statischen

Bilder besser in der Erinnerung des Kindes verankern und erhalten

dadurch einen gewissen Symbolgehalt.

„Anders als bei den flüchtigen Bildern des Fernsehens kann das Kind die

Dauer des Betrachtens selbst bestimmen.“ (Kretschmer 2003, S. 14)

Bilderbücher zeichnen sich besonders durch ihren illustrativen

Detailreichtum aus, welcher zur Fantasieförderung beiträgt und eine

genaue Betrachtung von den Rezipienten verlangt. „Es vermittelt etwas

über die Welt und ist geeignet innere Vorstellungsbilder zu aktivieren.“

(Kretschmer 2003, S.14)

Aus diesen Fantasien kann der Unterricht sein Potential schöpfen. Die

Vorstellungen der Kinder können zur kreativen Arbeit beitragen, sei es

zum kreativen Schreiben oder zu künstlerischen Gestaltungen.

Aus Bilderbüchern ergeben sich vielzählige Gesprächsanlässe und

Anregungen zum eigenen Gestalten. Didaktische Maßnahmen zur

Anregung und Entwicklung von Fähigkeiten bestehen im sprachlichen

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Bereich besonders in der Förderung der Kompetenzen Hören, Lesen und

Schreiben. Parallel wird das visuelle Ausdrucksvermögen der Kinder

durch Betrachten, Malen, Zeichnen, Bauen, szenisches Spiel etc.

erweitert. (vgl. Kretschmer 2003, S. 23) Das Spektrum an Möglichkeiten

gestaltet sich breit. Die Lehrperson ist gefordert, möglichst viele Impulse

zu geben, die Anstöße zur Förderung dieser Kompetenzen bewirken.

1.4 Persönliche Motivation

Anstoß für die Arbeit waren letztlich meine Studienfächer. Die

Beschäftigung mit Bilderbüchern als auch mit Kinderzeichnungen im

Studium ergab sich mehrfach durch meine Schwerpunktfächer

Germanistik und Kunst. Die Arbeit mit Vorschulkindern entstand durch

meine Spezifizierung auf den Primarstufenbereich, der die Vorschulkinder

mit der Einschulung empfängt. Mein besonderes Interesse im Bereich

Germanistik galt der Leseförderung. Dem Vorlesen von Bilderbüchern

kommt ein hoher didaktischer Wert innerhalb der Unterrichtspraxis in der

Grundschule zu. Vorleserituale durch die Lehrperson werden oft

vernachlässigt, obwohl sie als eine Bereicherung für die Förderung der

Lesemotivation zu sehen sind. Auf den Stellenwert von Bilderbüchern geht

das nachfolgende Kapitel mit der Absicherung durch den Lehrplan ein.

Motivierender Aspekt war außerdem die Praxisnähe, die das empirische

Arbeiten versprach. Das wissenschaftliche Vorgehen im Rahmen des

Studiums reduziert sich häufig auf die Auswertung bereits vorhandener

wissenschaftlicher Erhebungen. In der Regel dienen nicht eigens

durchgeführte Studien als Grundlagen zur Auseinandersetzung mit einer

Thematik. Informationen werden aus der Literatur entnommen ohne sie in

Verbindung mit persönlichen Erfahrungen aus der eigenen Praxis setzen

zu können. Der Reiz für die Arbeit ergab sich besonders aus der

Möglichkeit eine eigen erprobte Erhebung durchzuführen. Die empirische

Untersuchung im Kindergarten bildet ein Bindeglied zwischen dem

theoretischen Anteil des Hochschulstudiums und der praktischen

Anwendung. So stützt sich meine Untersuchung nicht alleine auf

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Analysen, wie bereits oben erwähnt, die aus der Fachliteratur

hervorgehen, sondern ebenso auf eigene Forschungsgrundlagen.

Innerhalb der Hochschullehre im Fachbereich Kunst wurde die Methode

der Interviewführung zu Analysezwecken häufig diskutiert. Im schulischen

Bereich wird diese Arbeitsweise überwiegend gemieden. Warum diese

Technik nicht als geläufige Unterrichtsmethode zu sehen ist, aber welche

Vorteile sie birgt, soll im Text beiläufig Erwähnung finden. Ist der Grund in

der Unwissenheit der Lehrer zu sehen? Liegt es an einer kritischen

Haltung gegenüber dem Erfolg der Methode? Oder lassen die zeitlichen

Bedingungen im Unterricht eine Vorgehensweise, die sich mit dem

Schüler als Individuum auseinandersetzt, nicht zu?

Eine Verknüpfung didaktischer Implikationen zu möglichen

Unterrichtsmethoden als auch die Berücksichtigung der Lehrpläne

innerhalb der vorliegenden Arbeit bereitet auf den zweiten Teil des

Studiums, das Referendariat, vor.

Aus der Aufmerksamkeit für die aktuellen öffentlichen Diskussionen geht

mein Interesse für den sich im schulischen System abzeichnenden

Umbruch hervor. Durch diverse Studien, wie Pisa, Iglu, JiM u. ä. wird der

Wissensstand der Kinder mit der schulischen Bildung in Verbindung

gesetzt und in Frage gestellt. Die daraus resultierenden Anreize zur

Umstrukturierung sind in der Praxis zu erkennen. In der Schulpraxis wird

der Unterricht verstärkt auf eine Öffnung ausgerichtet. Innere Öffnungen

durch Unterrichtsformen wie Freiarbeit, Projektarbeit, Stationenlernen usw.

finden immer mehr Zustimmung. Zwischen Themen unterschiedlicher

Fächer Verbindungen herzustellen, ist ein signifikantes Ziel der

Unterrichtspraxis. Aber auch eine Öffnung nach Außen ist zentrales Ziel

der Debatte. Die Kommunikation zwischen den Bildungsinstanzen

Grundschule und Vorschule wird zunehmend erforderlich, wodurch die

Erhebung mit Vorschulkindern als Interesse einer Verbindung beider

Instanzen zu sehen ist.

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1. 5 Begründung für den Gegenstand 'Bilderbuch' unter

Berücksichtigung des Lehrplans

In diesem Kapitel werden Verbindungen zwischen den Anforderungen des

Lehrplans und meiner Erhebung hergestellt. Die Erhebung kann in der

Form, wie sie im vorschulischen Bereich durchgeführt wurde, nicht als

Unterrichtsstunde durchgeführt werden. Je nach Klassenstärke kann keine

Zuwendung und individuelle Beobachtung in der notwendigen Intensität

stattfinden. Dennoch ist es denkbar, aus der Erhebung Möglichkeiten zur

Unterrichtsgestaltung abzuleiten. Aus diesem Grunde ist eine nähere

Betrachtung des Lehrplans sinnvoll, um zu untersuchen, welche Lernziele

durch die kreative Rezeption eines Bilderbuches erreicht werden können.

Nehme ich im Folgenden Bezug auf den Lehrplan, sind meine

Informationen den „Richtlinien und Lehrplänen zur Erprobung für die

Grundschule in Nordrhein-Westfalen“ (Grundschule, Richtlinien und

Lehrpläne zur Erprobung, 2003) entnommen.

Das Vorlesen eines Bilderbuches mit einer gestalterischen Tätigkeit zu

verbinden, ist im Sinne eines fächerübergreifenden Agierens. Gerade im

Primarstufenbereich werden häufig Inhalte unterschiedlicher Fächer

miteinander verknüpft. Die Thematik birgt besondere Relevanz für die

Fächer Kunst und Deutsch. Im Lehrplan Deutsch ist der „Umgang mit

Texten und Medien“ (Grundschule, Richtlinien und Lehrpläne zur

Erprobung 2003, S. 31) als zentrale Forderung genannt. Im Schulalltag

finden Bücher bevorzugt Verwendung. Gerade für die ersten Schuljahre,

in denen wichtige Grundsteine für die spätere Lesemotivation gesetzt

werden, können Bilderbücher einen Beitrag zur Lesefreude leisten und die

„Entwicklung des mündlichen Sprachhandelns“ (Grundschule, Richtlinien

und Lehrpläne zur Erprobung 2003, S.31), welches der Lehrplan als

zentrale Vermittlungsaufgabe sieht, unterstützen. Durch den Vorleseakt

wird nicht nur Spaß am Lesen geweckt, sondern ebenso verstehendes

Zuhören gefördert. In dem zweiten Teil der Erhebung kommen die Kinder

zu Wort indem sie eigenständig Ergebnisse verbalisieren. Die

zeichnerische Produktion kann dem Kind als Stütze bei der Erklärung zur

Wiedergabe des Inhaltes dienen. Versucht das Kind die Geschichte mit

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den Zeichenergebnissen zu verbinden, so kann es auf sein

Zeichenmaterial zurückgreifen und die Inhalte besser in Erinnerung rufen.

Dadurch präsentiert das Kind der Lehrperson sowohl sein Verständnis des

Buches als auch persönliche Zugänge zu seiner Lebenswelt. Seine

Rezeption vermittelt dem Lehrer die Ergebnisse auf zwei Arten: zum einen

durch das zeichnerische Ergebnis und zum anderen durch eine verbale

Darbietung. In Klasse 1 und 2 wird nach Lehrplan das Anleiten zum

„Erzählen von Geschichten“ und zum „Erklären“ als Lehrziel angesetzt.

Durch die Verbalisierung des Ergebnisses lassen sich Fördermaßnahmen

in dem genannten Bereich einleiten.

Offen steht die Frage, warum sich das Vorlesen als Anregung zum

Zeichnen eignet? Unter den verbindlichen Anforderungen im Bereich

„Umgang mit Texten und Medien“ wird der Anspruch, Medien zu nutzen,

um Anreize zum Schreiben, Lesen und Gestalten zu gewinnen, aufgeführt.

Das Lesen der Geschichte bietet Anlass zur Gestaltung. Den Kindern

dient die Geschichte als Anregung zur zeichnerischen Tätigkeit. Der

Lehrperson bleibt es überlassen, ob sie die Aufgabe zum Zeichenanlass

offen formuliert oder gezielte Bearbeitungsziele nennt. Vom Zeichnen der

Lieblingsfigur, der Gestaltung der Lieblingsszene bis hin zum Zeichnen

eines eigenen Bilderbuches. Letztlich sind viele Möglichkeiten zur

Unterrichtsgestaltung denkbar.

Nachdem eine Übertragung der Anforderungen des Lehrplans Deutsch

stattfand, wird nach Verbindungen im Lehrplan Kunst geforscht. Im

Lehrplan Kunst erscheint der Appell an die Lehrperson, den Kindern die

Möglichkeit einzuräumen, „ihre sinnlichen Erfahrungen, ihre Wünsche,

Vorstellungen, Einstellungen, Fantasien und Gefühle produktiv zum

Ausdruck zu bringen.“ (Grundschule, Richtlinien und Lehrpläne zur

Erprobung 2003, S.113) Das Hören einer Geschichte verbinden die Kinder

mit eigenen Erfahrungen und Emotionen. In der folgenden Analyse wird

an diversen Stellen deutlich, dass persönliche Gedanken und Erfahrungen

aus der Lebenswelt der Kinder mit in ihre Zeichnungen einfließen und die

Rezeptionen einen starken subjektiven Charakter aufzeigen. Aspekte der

Identifikation mit einer bestimmten Figur des Buches sowie Abweichungen

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und Ausschmückungen der Geschichte geben Hinweise auf Verbindungen

zur individuellen Lebenswelt des Kindes.

Zusammenfassend kristallisiert sich heraus, dass die Thematik des

Bilderbuches einem Repertoire an Anforderungen des Lehrplans

entsprechen kann.

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Darstellung des Forschungsfeldes

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2. Darstellung des Forschungsfeldes

Nachdem die Beweggründe und die Relevanz der Erhebung

weitestgehend geklärt wurden, gilt es nun, die Forschungsarbeit zu

erläutern und zentrale Forschungsfragen zu formulieren, die im

nachfolgenden Text Beantwortung finden.

2.1 Aufgabenstellung

Die Kinderliteratur 'der Grüffelo' sollte als Anregungsgegenstand zur

zeichnerischen Produktion dienen. Das Buch wurde beiden

Vorschulkindern im Rahmen der Kindergarten-Gruppe und kurz vor der

Erhebung vorgelesen. Es entfachte rege Begeisterung auf Seiten der

Kinder. Die grundlegende Aufgabe dieser Erhebung besteht in der

auditiven Rezeption, sprich dem Zuhör-Akt des Bilderbuches. Im zweiten

Teil der Erhebung werden die zunächst passiven Kinder zum produktiv-

handelnden Rezipienten. Im Anschluss an den zeichnerischen Prozess

der Mädchen wurden Einzelinterviews durchgeführt. Das den Kindern zur

Verfügung stehende Material bestand aus einer Auswahl an Buntstiften

und weißen DinA 4 Blättern. Auf Wunsch der Kinder durften sie mit Hilfe

von Kleber die Bilder zu einem Buch zusammenbinden. Das Material ist

als gewohntes Arbeitsmittel der Kinder zu sehen, mit dem sie im täglichen

Umgang im Kindergarten konfrontiert werden. Zeitliche Vorgaben sollten

den ungezwungenen Zeichenprozess der Kinder nicht beeinflussen und

so wurde auf eine Einschränkung verzichtet. Die Individualität der

kindlichen Produktionen stand im Vordergrund und sollte durch eine

offene Aufgabenstellung gewährleistet werden. Die Motivwahl bzw. die

Themenwahl war ihnen freigestellt.

2.2 Eingrenzung des Forschungsinteresses

Die Thematik lässt viele Richtungen an Forschungsmöglichkeiten zu. Der

Schwerpunkt der Analyse liegt auf der individuellen Rezeption eines

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Darstellung des Forschungsfeldes

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Medienangebotes. Im Folgenden gilt es offen zu legen, welches

Forschungsinteresse in der vorliegenden Arbeit primär verfolgt wird.

Die Analyse unterliegt einer sehr komplexen Betrachtungsweise der

Zeichenserie, in der sich letztlich eine dreigliedrige Zugangsmöglichkeit

herauskristallisiert. Es gilt zum einen, die Zeichnungen nach Kriterien, die

in der Kinderzeichnungsforschung deklariert werden, zu untersuchen. Zum

anderen werden weniger eigene Interpretationen zu der Bildproduktion

aufgeführt, vielmehr gilt es, die Zusammenhänge zwischen Zeichnung und

Sprache der Kinder zu deuten, wobei ebenfalls der Entstehungsprozess

berücksichtigt wird.

Die Transkriptionen sind als vollständiges Dokument im Anhang zu finden.

Im fortlaufenden Text werden einzelne Passagen zitiert und Ausschnitte

von Bildern eingefügt, um die jeweilige Stelle für den Leser zu

veranschaulichen. Ebenso verhält es sich mit den Feldnotizen.

Als letzte Zugangsmöglichkeit sollen Parallelen zwischen Zeichnung und

Bilderbuch aufgedeckt werden.

Fokussiert wird nicht immer die gesamte Zeichnung, eher wende ich den

Blick auf ausgewählte Details, die mir zur Interpretation wichtig erschienen

oder die durch die Interviewerhebung von dem Kind selbst priorisiert

wurden.

Durch den aufgeführten Klärungsbedarf ergeben sich für mich folgende

Fragen, die es im nachfolgenden Textverlauf zu klären gilt: Welche

typischen Merkmale wie Transparenzprinzip, anthropomorphes Denken

und ähnlichen typischen Kennzeichen aus der Kinderzeichnungsforschung

sind in den Bildern zu erkennen?

Es wird eine Einschätzung der individuellen zeichnerischen Fähigkeiten

unter Berücksichtigung fachwissenschaftlicher Gesichtpunkte der

Kunstdidaktik vorgenommen. Damit wird der Frage nachgegangen, in wie

weit durch Zeichnungen nachvollzogen werden kann, welches

zeichnerische Entwicklungsstadium die Kinder erreicht haben.

Das Bilderbuch als Anlass zum Zeichnen zu nehmen, weckt die

Befürchtung, wenig Individualität zuzulassen. Wie sehr dient das

Bilderbuch als Orientierung? Schränkt es das kreative Handeln der Kinder

insofern ein, dass es nur eine einfache Wiedergabe des Inhaltes zulässt?

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Darstellung des Forschungsfeldes

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In wiefern können sich die Kinder an den Inhalt und die Figuren überhaupt

erinnern? Resümierend werden eigene Ideen zur didaktischen Umsetzung

und Weiterarbeit an der Thematik hinterfragt.

Nachfolgend werden die grundlegenden methodischen Mittel erläutert, die

den Rahmen für die Arbeit setzen. Der Vorteil der Interviewmethode wird

darin gesehen, dass die Interpretationen nicht willkürlich vom

zeichnerischen Endprodukt des Kindes abgeleitet werden. Zugänge zum

Verständnis der Produktion ergeben sich aus Erklärungen des Kindes.

Von der Methode verspricht man sich gehaltvollere Einblicke in die

kindliche Bildsprache. Genau diese Tatsache gilt es in der vorliegenden

Arbeit zu erproben. Aus der Erhebung durch eine Interviewmethode ergibt

sich eine weitere Forschungsfrage: Wie häufig greife ich auf die

erklärenden Äußerungen der Kinder zurück, um eigene Annahmen zu

belegen oder möglicherweise auf neue Denkansätze zu stoßen?

In Kapitel 3 wird die Vorgehensweise zur Materialerhebung für den Leser

transparent aufgeführt, um die nachfolgende Analyse in ihren Details zu

verstehen.

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Methodische Grundlage

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3. Methodische Grundlagen

Im Forschungsbereich gilt es, sich aus einem breiten Band existierender

Methoden eine dem Gegenstand entsprechend adäquate Erhebung

auszuwählen.

3.1 Materialsammlung

Um das methodische Verfahren zu erläutern, gilt es zunächst zu klären,

welches Material zusammengetragen wurde. Aus der Erhebung mit zwei

Mädchen im Vorschulalter ergab sich folgende Materialsammlung:

à Insgesamt wurden von den Vorschulkindern 7

Buntstiftzeichnungen entwickelt. Anne zeichnete 3 und Lara 4

Zeichnungen, die sie am Ende des Zeichenaktes

zusammenklebten.

à Feldnotizen dokumentieren Äußerungen der Kinder während des

Zeichenprozesses.

à In Einzelinterviews erläuterten zunächst die Zeichnerinnen in

narrativer Form ihre Produkte. Im Anschluss führten Nachfragen zu

weiteren Informationen.

à Fotos waren von den Kindern nicht erwünscht. Anne stimmte zu

lediglich einer Fotographie zu.

Nachdem eine Auflistung der Materialgrundlagen erfolgte, wird im

nächsten Kapitel aufgeführt durch welche Forschungsmethoden die

Sammlung zu Stande kam.

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Methodische Grundlage

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3.2 Untersuchungsverlauf

3.2.1 Ort und Personen

Ort der Erhebung war ein Kindergarten in Niedersachsen. Die Institution

ist mir seit langem durch diverse freiwillige Praktika vertraut.

Die Erhebung wurde im Gruppenraum vorgenommen. Eine gewohnte

Atmosphäre sollte bei der Arbeit für die Kinder im Vordergrund stehen. Die

Interviews wurden mit den Kindern einzeln vorgenommen, während die

anderen Kinder der Gruppe draußen spielten. Nach dem narrativen Anteil

des Interviews stellte ich einige Verständnisfragen. Während der

gesamten Interviewperiode wurden die Aussagen auf Tonband

festgehalten. Unterhaltungen unter den Kindern während des

Zeichenprozesses wurden von mir unter dem Kapitel Feldnotizen

zusammengefasst. Es handelt sich um spontane Äußerungen der Kinder

zu ihren Bildern, die teilweise von mir hinterfragt wurden. Der Wert dieser

Notizen besteht besonders im Erfassen einer ‚offenen, realen Situation’,

die anders als bei den Interviews, nicht durch Fragen meinerseits

ausgelöst wurde.

Um eine gewisse Vergleichbarkeit zu erreichen, sollten Kinder gleichen

Alters und Geschlechts an der Erhebung teilnehmen. Die beobachteten

Mädchen waren im Alter von sechs Jahren und standen wenige Monate

vor ihrer Einschulung. Das Vorschulalter der Kinder erschien mir

besonders interessant, um mir den Entwicklungsstand von Kindern

bewusst zu machen, welchen sie bei Schuleintritt in die Primarstufe

erreicht haben. An dieser Stelle wird darauf verwiesen, dass zum Schutz

der Persönlichkeitsrechte die Namen der Kinder verändert wurden.

3.2.2 Atmosphäre

Zum Erhalt einer gewohnten Atmosphäre habe ich, in Absprache mit der

Kindergartenleitung, die Entscheidung getroffen, mich den Kindern am

Vortag der Erhebung vorzustellen, um bereits erste Kontakte herzustellen.

Eine Erzieherin bot mir an, die Erhebungen in ihrer Gruppe vorzunehmen.

Sie empfahl mir zwei Mädchen zu beobachten, die bevorzugt der

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Methodische Grundlage

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Zeichentätigkeit nachgingen. Die Empfehlung erfolgte nicht aus dem

Grund, das ihnen ein besonderes Leistungsniveau zugesprochen wird,

vielmehr um mich an Kinder zu vermitteln, die bereitwillig über ihre

Zeichenprozesse plaudern. Schnell zeichnete sich ab, dass beide Kinder

wenig Hemmungen hatten, mit mir in Kommunikation zu treten und über

ihre Bilder zu sprechen.

Am Tag der Erprobung stellte ich mich noch einmal im Morgenkreis vor,

um meine Intentionen vor den Kindern transparent, im Sinne einer offenen

Beobachtung, darzulegen. Abseits vom Spiel der anderen Kinder konnte

der Zeichenprozess, sowie die Interviews an einem großen Maltisch

durchgeführt werden. Wie erwähnt stellte ich als Arbeitsmaterial weiße

Blätter und farbige Buntstifte bereit. Der zeitliche Umfang des

Zeichenprozesses passte sich individuell dem Kind an.

Anne beim Zeichnen ihres ersten Bildes

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Methodische Grundlage

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3.3 Forschungsmethoden

Im folgenden Kapitel findet eine Darstellung der von mir gewählten

qualitativen Forschungsmethode statt. Welche Vorteile ergeben sich aus

einer qualitativen Erhebung? Bevor ich auf die Analyse der Zeichnungen

eingehe, werde ich die Technik der qualitativen Forschungsmethode

näher erläutern.

3.3.1 Qualitative empirische Forschungsmethode

Einen Zugang zur Wissenschaft ermöglicht die Erhebung durch

Einzelfallanalysen. Sie ist Bestandteil der qualitativen Forschung. Intention

ist es die Gesamtzusammenhänge des zu untersuchenden Gegenstandes

in ihrer Komplexität zu erfassen.

In der qualitativen Forschung steht, anders als in der quantitativen

Forschung, der Einzelfall im Fokus der Analyse. Die qualitative Empirie

leitet ihre Ergebnisse nicht aus großen repräsentativen Gruppen ab,

sondern möchte durch die Untersuchung einzelner Fälle einen tieferen

Einblick durch „großer Nähe zum Menschen und dessen Handlungen und

Einstellungen“ (Peez 2006, S.9) erzielen.

Von wenigen Fällen allgemeine Ergebnisse abzuleiten, ist nicht zentrales

Ziel der Einzelfallanalyse. Verallgemeinerungen in der qualitativen

Forschung zu treffen, stellt sich als prekär heraus. Denn von lediglich zwei

Fallbeispielen, die der vorliegenden Forschung zu Grunde liegen, können

nur Annahmen geäußert werden. Etwas als Absolut zu sehen ist nicht im

Sinne der qualitativen Forschung.

Wird im vorliegenden Text etwas generalisiert, ist dies also nicht als

generelle Folge der Erhebung zu verstehen. Vielmehr werden, vorwiegend

im abschließenden Kapitel, Ideen und Forderungen aufgeführt, die aus

dem Gesamtkontext über den Gegenstand zu Stande kommen. Wenn

verallgemeinerte Forschungsergebnisse nicht Ziel der Erhebungsmethode

sind, wo sind dann die Vorteile der qualitativen Forschung zu sehen?

Nach Mayring setzt sich das qualitative Denken seit den 70er Jahren

wieder verstärkt in Deutschland durch. (vgl. Mayring 2002, S. 9) Die

Forschungsmethode orientiert sich an der amerikanischen Feldforschung.

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Methodische Grundlage

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Innerhalb möglichst natürlicher Kontexte möchte man die soziale Realität

erschließen. (vgl. Mayring 2002, S. 10)

Die qualitative Forschung zeichnet sich besonders durch ihre Offenheit

innerhalb des Forschungsprozesses aus. Dabei sind die

Forschungsfragen zwar leitend für die Analyse, allerdings sind diese nicht

streng und verbindlich zu behandeln. Schließlich ist gerade durch

Erhebungsmethoden, wie der hier genutzten narrativen Interviewform,

nicht von bestimmten Ergebnissen auszugehen. Öffnung in der

qualitativen Forschung sollte auch sich ergebende neue Probleme

berücksichtigen dürfen, die sich unerwartet während des

Forschungsprozesses auftun.

3.3.2 Einzelfallanalyse

Einzelfallanalysen zeichnen sich u.a. durch ihre Materialvielfalt aus.

Hintergrundinformationen, Angaben zur Person und eine möglichst

umfangreiche Materialsammlung sind dienlich, um den Fall in seiner

Vollständigkeit zu begreifen. Mayring definiert die Funktion wie folgt:

„Die Einzelfallanalyse will sich während des gesamten Analyseprozesses den

Rückgriff auf den Fall in seiner Ganzheit und Komplexität erhalten, um so zu

genaueren und tief greifenderen Ergebnissen zu gelangen.“(Mayring 2002, S. 42)

Die Erhebung wird mit nur wenigen Probanden durchgeführt, um eine

intensivere Auseinandersetzung mit den Ergebnissen zu ermöglichen.

Ähnlich wie in der Begründung für die qualitative Forschung, ist zu der

Anzahl der teilnehmenden Personen, auf die Erklärung Mayrings zu

verweisen: „Je weniger Versuchspersonen analysiert werden, desto eher

kann man auf die Besonderheit des Falles eingehen, desto genauer kann

die Analyse sein.“(Mayring 2002, S.42) Genau diese Intention war leitend

bei der Idee für die Erhebung mit den zwei Vorschulkindern. Obwohl die

Analyse mit nur zwei Kindern stattfand, gestaltet sich das Material aus

Bildmaterial und Transkriptionen als enorm umfangreich und bietet

komplexe Zugangsmöglichkeiten, welches die Auswahl der

Untersuchungsmethode unterstützt. Diese Komplexität verlangt entgegen

meiner Erwartungen sogar bei der Analyse eine präzise Auswahl der zu

untersuchenden Elemente, da sie sonst den Rahmen der Arbeit sprengen

würde. Die Erhebung erforderte Konzentration. Während des

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Methodische Grundlage

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Zeichenprozesses sprachen die Kinder mit mir und zeigten mir immer

wieder ihre Produkte, parallel notierte ich die Vorgehensweise der Kinder.

Die Tonbandaufnahme ermöglichten eine Rekonstruktion des

Gesprochenen und eine genaue Übertragung in die Transkriptionsform. Im

Anschluss an meine Feldnotizen, erfolgten die Einzelinterviews mit den

Kindern. Anne wollte unbedingt zur Erklärung auf meinem Schoß Platz

nehmen, wodurch eine vertraute Atmosphäre entstand und ich den Vorteil

sah, aus ihrer Perspektive auf das Bild sehen zu können.

3.3.3 Narratives Interview

Durch narrative Interviewsituationen sollen Bezüge zwischen dem

Gegenstand und der Lebenswelt der Kinder gewonnen werden.

In der Form des Interviews sehe ich Vorteile für die Durchführung mit

jüngeren Kindern. Für Kindergartenkinder, anders als Schulkinder, ist die

Konfrontation mit einem Fragenkatalog als ein ungewohnter Zustand

anzusehen, mit dem sie sich leicht überfordert fühlen. Oft sind sie

eingeschüchtert und stagnieren verbal. Die Kinder sollten nicht das Gefühl

erhalten 'ausgefragt' zu werden. Die Situation soll nicht als unangenehm

wahrgenommen werden. Vielmehr sollte sich ihnen die Gelegenheit

bieten, frei über ihre Bildnisse zu sprechen. Die Durchführung des

narrativen Interviews gliedert sich in zwei Bereiche. Einleitend wird eine

offene Frage gestellt, um einen Gesprächsanlass zu bewirken. Gerade im

Ermutigen des Kindes zum freien Sprechen und dem daran

anschließenden großen Redeanteil der zu interviewenden Person liegt der

„narrative“ Sinn. Auch Mayring sieht den Grundgedanken im freien

Erzählenlassen, um von Geschichten zu subjektiven

Bedeutungsstrukturen zu gelangen, „die sich einem systematischen

Abfragen versperren würden.“(Mayring 2002; S. 73) Ähnliche Postulate

sind für Gerhard Riemann leitend. Laut Riemann erreicht man durch die

systematische Fokussierung auf das Wie ein vertieftes Verständnis des

Was. (vgl. Riemann 2003, S.120) Im Fokus des Interesses steht die

Prämisse bei der Einleitung des Interviews den Erzähler zum freien Reden

zu animieren. Aus dem Grund ist eine offene Eingangsfrage entscheidend,

die Anreiz gibt, über die zeichnerische Produktion zu sprechen. Für

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Methodische Grundlage

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Mayring eignet sich die Methode besonders für das Erfragen von

Tätigkeiten: „Narrative Interviews eignen sich für Thematiken mit starkem

Handlungsbezug.“ (vgl. Mayring 2002, S. 74) Sehen wir den

Zeichenprozess als eine solche Handlung, so eignet sich die Form des

narrativen Interviews zum Verstehen und Nachvollziehen des Prozesses,

aber auch zur Erklärung von Gedanken, bzw. zur Aufschlüsselung von

subjektiven Empfindungen während des Entstehungsprozesses. „Sie sind

für mehr explorative Fragestellungen einsetzbar, vor allem wenn es um

schwer abfragbare subjektive Sinnstrukturen geht.“(Mayring 2002, S. 74)

Grundlegend für das Gelingen des Interviewverfahrens ist nach Riemann

die Entwicklung einer „ausreichenden Vertrauensgrundlage“. (vgl.

Riemann 2003, S.120) Diesem Anspruch wollte ich durch mein Vorstellen

im Stuhlkreis, ein gemeinsames Bekanntmachen während des Frühstücks

und die transparente Darlegung meiner Arbeit gerecht werden. Bestätigt

sah ich die Vertrauensbasis in dem Wunsch Annes auf meinem Schoß

sitzen zu wollen.

Eine narrative Interviewstruktur setzt, nach Riemann, die Unbekanntheit

des Interviewinhaltes voraus: „Es ist wichtig, dass der Erzähler

unterstellen kann, dass dem Zuhörer die Inhalte der Darstellung, um die

es geht, noch nicht bekannt sind, und dass sich das Thema für eine

narrative Stegreifdarstellung eignet und hinreichend eingegrenzt ist.“

(Riemann 2003, S.122) Riemann sieht Anweisungen zu einer klaren

Vorgehensweise während des narrativen Interviews vor:

„Die Erzählung entfaltet sich bis zur Erzählkoda, die als Abschlussformulierung

für den Zuhörer klar erkennbar ist. Der Verzicht auf Unterbrechungen ist

notwendig, um den Erzählfluss nicht zu zerhacken und Schwierigkeiten für die

spätere sequentielle Textanalyse zu vermeiden.“(Riemann 2003, S.122)

Der Verzicht auf Unterbrechungen ist im narrativen Interview

entscheidend. Allerdings erachtete ich es als sinnvoll, die Kinder während

des Interviews mit einem Kopfnicken, einem zustimmenden Lächeln oder

einem kurzen “Ja“ zum weiteren Sprechen zu ermutigen und ihnen mein

Interesse zu signalisieren. Darin sehe ich weniger eine Unterbrechung als

vielmehr eine Unterstützung des Redeflusses.

Während sich der Ablauf eines narrativen Interviews sehr wohl gliedern

lässt, weist Mayring darauf hin, dass die Strukturierung während des

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Methodische Grundlage

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freien Redens nicht vom Interviewer vorgenommen wird, sondern in der

Sprachform der Erzählung festgelegt ist. (vgl. Mayring 2002, S. 73)

Beide Kinder bestimmen das Ende des Interviews. Anne signalisiert nach

einiger Zeit mit dem Ausruf „Fertig!“ (Interv. Anne, S.1, Z.23) sehr deutlich

das Ende ihrer Erzählung. Lara macht durch eine lange Pause darauf

aufmerksam, dass der narrative Teil des Interviews als beendet zu

betrachten ist. Auf meine Nachfrage hin bestätigt sie das:

„I: Möchtest du noch etwas erzählen?

L: Mir fällt nichts mehr ein.“ (Interv. Lara, S. 1, Z. 20-21)

Nach den freien Äußerungen der Erzählerinnen ist nun Raum für den

zweiten Abschnitt der Interviews. Zur Klärung missverständlicher

Elemente des Inhaltes fragt der Interviewer explizit nach. „Der auf die

Erzählkoda folgende Nachfrageteil besteht aus den narrativen Nachfragen

und anschließend den beschreibenden und den theoretisch-

argumentativen Fragen, die auf die Eigentheorie des Erzählens zielen.“

(Riemann 2003, S. 122)

Nur wenige Erfahrungen mit dieser Methode lassen mich selbstkritisch

feststellen, dass an einigen Stellen weitere Fragen zu gehaltvolleren

Ergebnissen für die spätere Interpretation geführt hätten. Die

Interviewführung verlangte eine hohes Maß an Konzentration, um

ungeklärte Einzelheiten zu identifizieren und gezielt nachzufragen.

Das Ende dieses zweiten Teils des Interviews, durften die Kinder ebenfalls

selbst bestimmen. Der Raum, in dem das Interview stattfand, wurde mir

von der Kindergartenleitung zugewiesen und strahlte aufgrund der

Einrichtung und der großen Fenster eine wohlige Atmosphäre aus.

Allerdings wurde weniger bedacht, dass die Kinder Blick auf die draußen

spielenden Kinder hatten. So ist die Begründung für das Beenden des

Interviews kaum verwunderlich.

„So jetzt will ich nicht mehr reden. Ich geh spielen, ja?“(Interv. Anne, S. 3,

Z.6) „Darf ich auch spielen jetzt?“ (Interv. Lara, S. 2, Z.33)

In einem Raumwechsel sah ich allerdings auch wenig Sinn, da die Kinder

erst ab der Mitte des Interviews draußen zu spielen begannen und ich die

Situation hätte unterbrechen müssen.

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Methodische Grundlage

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Nachdem die methodische Vorgehensweise dargelegt wurde, erfolgt der

Hauptteil meiner Arbeit. Die Interpretation setzt das aus den

Beobachtungen gewonne Material miteinander in Beziehung. Vergleiche

zwischen beiden Erhebungen werden angestrebt und unter dem Aspekt

wissenschaftlicher Forschungen zu den Themenbereichen aus

unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.

Bevor die analytische Auseinandersetzung mit den Zeichnungen erfolgt,

ist für den Leser die Kenntnis des Inhalts des Bilderbuches eine

grundlegende Voraussetzung für das Verständnis der Untersuchung.

Immer wieder werden Vergleiche zwischen Buchinhalt und Zeichnungen

hergestellt. Aus genanntem Grund wird nachfolgend kurz eine

Inhaltsangabe des Bilderbuches aufgeführt.

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Angaben zum Buch

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4. Angaben zum Buch

4.1 Kurze Zusammenfassung des Buchinhaltes

Für ein besseres Verständnis der Zeichnungen ist es erforderlich, den

Inhalt des Buches zu kennen. 'Der Grüffelo' ist ein Bilderbuch, welches im

Beltz Verlag 1999 erschienen ist und von Scheffler und Donaldson

verfasst wurde. Die grundlegende Thematik des Buches ist die

Angstbewältigung. Hauptfigur des Buches ist eine kleine Maus, die sich im

Wald ihren „Feinden“ und somit auch ihren Ängste stellt. Sie begegnet

dem Fuchs, der Eule und der Schlange und erzählt ihnen von ihrem

imaginären, gefährlichen Freund, dem Grüffelo, der sie stets beschützt

und vor dem sie sich in Acht zu nehmen haben. Durch ihre fantasievolle

Beschreibung der gefürchteten Kreatur, schrecken die Tiere vor ihrem Mut

zurück und ergreifen die Flucht. Höhepunkt der Geschichte ist die

tatsächliche Begegnung der Maus mit einem Grüffelo. Selbst diese

prekäre Situation bewältigt die Maus. Sie nutzt nun die Angst der Tiere,

um dem Grüffelo zu beweisen, dass sie von jedem Tier im Wald gefürchtet

ist. Letztlich gelingt es ihr, auch den Grüffelo in die Flucht zu schlagen. In

der letzten Szene sitzt sie glücklich alleine im Wald und isst genüsslich

eine Nuss.

4.2 Aufbau des Buches

Der Text zeichnet sich durch einen spielerischen Umgang mit der Sprache

aus. Die Geschichte liest sich durch ihr Reimmuster in einer

harmonischen Rhythmik. Einzelne Passagen treten wiederholt auf, wie

beispielsweise die Einleitung zur detaillierten Beschreibung des Grüffelos:

„Sag was ist das für ein Tier?“ – „Den kennst du nicht? Dann beschreib ich

ihn dir:[…].“ Die Wiederholungen der Textstellen und deren Rhythmik

motivieren die Kinder zum Mitsprechen und erfüllen zugleich den Zweck,

die auditiv erfassten Worte im Gedächtnis abzuspeichern.

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Angaben zum Buch

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4.3 Vorleseakt

Durch die Erzieherin erfuhr ich, dass das Buch im Morgenkreis

gemeinsam mit der Gruppe vorgelesen und diskutiert wurde. Zu einem

späteren Zeitpunkt wurde es wiederholt gelesen. Die Kinder hatten

allerdings im Kindergarten immer Zugriff auf die Bücher, die so zur

visuellen Rezeption stets bereit lagen. Auf meine Frage, wie oft das Buch

gehört wurde, erklärte Lara: „Also einmal bei Frau Voß und einmal in der

Gruppe, nee und bei Frau Winkels. Das wars.“ (Feldnotizen, S.2, Z.30-31)

Während des Zeichenprozesses hatten die Kinder dagegen keinen

Einblick in das Bilderbuch. Die Zeichnungen wurden aus der Erinnerung

heraus erstellt.

Entgegen meiner Erwartungen entstand eine Serie an Zeichnungen zu

dem Buch. Die Kinder hatten nicht, wie von mir angenommen, eine Figur

ausgewählt und zum Bildgegenstand gemacht. Mit Ausnahme der letzten

Zeichnung Annes erinnern die Bilder an Szenen, wie sie in einem Buch

vorkommen könnten. In einigen Bildern sind starke Parallelen zum Buch

zu sehen, in anderen werden viele eigene Fantasien ergänzt. In der

folgenden Analyse werden solche Parallelen, aber auch

Ungleichartigkeiten aufgedeckt.

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Interpretation

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5.Interpretation

5. 1 Kinderzeichnungsforschung

Die Kinderzeichnungsforschung zielt darauf ab, die kindliche Bildsprache

in all ihren Strukturen zu entschlüsseln, wobei der Terminus ‚Sprache’

sehr treffend zum Ausdruck bringt, dass sich hinter den zeichnerischen

Produkten ein Kommunikationsangebot für den Betrachter verbirgt. Die

wesentliche Funktion der Zeichnungen ist nach Neuß im Bereich der

Kommunikation verwurzelt: „Das Zeichnen gehört neben der sprachlichen

Verständigung zu den wichtigsten Aneignungs-, Ausdrucks und

Kommunikationsformen in der Kindheit.“ (Neuß 1999, S.49) Die

gestalterischere Ausdrucksform bietet dem Erwachsenen die Möglichkeit,

etwas über das Verständnis des Kindes von seiner Welt zu erfahren: „In

Bildern stellen Kinder ihre Wirklichkeit dar und die unterschiedlichen

Formen der Auseinandersetzung mit ihr.“ (Neuß 1999, S.49) Auch

Kirchner sieht die Einflüsse von eigenen Erlebnissen auf die Bildsprache:

„Im Zeichnen ist den Kindern eine Möglichkeit gegeben, ihre Erfahrungen

zu verarbeiten.“(Kirchner 2003, S. 103) Die einfachste

Zugangsmöglichkeit ist die Intention bzw. den Antrieb für die Zeichnung

zurückzuverfolgen. In der Erhebung kann von einem Motiv des Kindes

nicht ausgegangen werden, da der Impuls durch eine Instruktion

meinerseits erfolgte und eine Aufgabenstellung ausgesprochen wurde.

Trotz der vorstrukturierten Aufforderung, zum Buch zu zeichnen, wird bei

Betrachtung der Bilder deutlich, dass die Kinder dennoch ihre eigene

Person in die Zeichnung integrieren, wie die Bezüge zur Lebenswelt in der

späteren Analyse deutlich machen. Entgegen meiner Erwartungen griffen

sie nicht eine Figur aus der literarischen Vorgabe heraus und setzten sie

groß in Szene, sondern viel mehr wurde der Fokus auf alle Figuren

gesetzt, wodurch die Bildfläche zu einer Art Handlungsfeld wird. Nicht eine

Zeichnung fertigten die Kinder an, eine ganze Serie an Zeichnungen

entstand. Um eine gehaltvolle Analyse anzustreben, erscheint es

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Interpretation

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notwendig, vorerst einen groben Einblick zu dem aktuellen

Forschungsstand der Kinderzeichnungsforschung transparent darzulegen.

5.1.1 Aktualität der Entwicklungsmodelle

Versucht man künstlerische Fähigkeiten von Kindern einzuschätzen,

nimmt man als zentrale Beurteilungskriterien häufig kognitive und

motorische Voraussetzungen. Die älteren Stufen- und Phasenlehren

richten sich in ihrer Kategorisierung der zeichnerischen Entwicklung

überwiegend nach dem Attribut Alter. In Verruf ist besonders das

absolutistische, strikte Orientieren an einem Entwicklungsmodell geraten.

Das Kinder in eine Phase Zwängen, die vom Kinde möglicherweise gar

nicht erlebt wird oder eventuell zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt

durchlaufen wird, geht mit der Gefahr einher, die Individualität des Kindes

außer Acht zu lassen. Entsprechend erklärt Wichelhaus, dass der

Terminus „Stufe“ von dem Begriff „Phase“ abgelöst wurde, um auf die

fließenden Übergänge aufmerksam zu machen. (Wichelhaus 2003, S. 79)

Schuster führt die konventionellen Entwicklungsphasen in seiner Literatur

auf, warnt aber zugleich, genau wie Wichelhaus, vor einer strikten

Klassifizierung in Stufen. „Es ist nämlich schwierig, aussagefähige

Altersangaben zu machen.“ (Schuster 2001, S.53) Die zeichnerische

Entwicklung von Kindern ist individuell zu betrachten und vollzieht sich von

Kind zu Kind unterschiedlich. Schuster verweist auf die Einflüsse äußerer

Faktoren, die das gradlinige Durchlaufen der zeichnerischen Entwicklung

stören können: “Einige Kinder verwirklichen ein typisches Merkmal der

Kinderzeichnung (z.B. den Kopffüßler), andere überspringen diese

Darstellungsform.“(Schuster 2001 S. 53) Grünewald geht ebenfalls nicht

von einem konformen Durchlaufen eines Stufenmodells aus, sondern von

„einer tendenzhaften Phasenentwicklung“, in der „die Phasen nicht immer

stringend linear durchschritten werden, dass es partiell <<Vor->> und

<<Rückgriffe>> gibt, dass Kinder zwischen Phasen <<surfen>>.“

(Grünewald 2003, S. 47) Besonders aufschlussreich ist es demnach, den

Entwicklungsprozess als Ganzes zu beobachten. Gelehrt hat uns die

neuere Auffassung der Forschung, die einzelnen bildnerischen Ergebnisse

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nicht über zu bewerten, sondern besser sie möglichst in den Kontext der

gesamten Entwicklung einzuordnen.

Deutlich skizziert sich die Schwierigkeit, ein Urteil über den

Entwicklungsstand, aufgrund der auseinanderklaffenden Meinungsbilder,

vorzunehmen. Die Aktualität des Themas liegt in der noch immer

bestehenden Uneinigkeit im Forschungsbereich begründet.

5.1.2 Dreiteiliges Entwicklungsmodell nach Peez

Die neueren Forschungen erkennen das Problem des Verallgemeinerns

und sehen in der Einteilung vielmehr eine Orientierung, als dass sie als

Absolut gilt. Auf der Suche nach einem Modell, welches eine solch knappe

und prägnante Orientierung bietet, wurde ich in Peez ‚Einführung in die

Kunstpädagogik’ fündig. (vgl. Peez 2005, S.140)

Nachfolgend formuliere ich die aufgeführten Phasen an der Dreiteilung

Peezs. Die unterschiedlichen Ideen wurden im Laufe der Zeit

zusammengetragen und sind somit als ein Zusammenspiel verschiedener

Lehre zu sehen.

(1) Die erste Phase beschreibt den Zeitraum, in dem das Kleinkind

Bewegungsspuren hinterlässt, passend nennt sie sich Kritzelphase

bzw. sensomotorische Phase.

(2) Nachfolgend zeigt die Schemaphase unterschiedliche Stufen und

Komplexitätsgrade bei der Gestaltung bildnerischer Symbole. In

dieser Phase befinden sich Kind im späten Kindergarten- und

Grundschulalter.

(3) Abgelöst wird die Schemaphase von der sogenannten

pseudonaturalistischen Phase. Die äußere Erscheinung des

Dargestellten steht im Vordergrund, wenn sich das Kind ab ca. dem

11. Lebensjahr am Sichtbaren orientiert.

Vor dem Hintergrund der soeben aufgeführten Entwicklungslinie kann nun

eine Einschätzung der Vorschulkinder zu dem betreffenden

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Entwicklungsstand ausgesprochen werden. Die Kinder befinden sich,

genau wie es bei Peez genannt wird, in der Phase des Schuleintrittes,

sprich in der Schemaphase. Dem für diese Phase typischen

Formenrepertoire wird direkt im ersten Kapitel der Analyse nachgegangen.

5.2 Schema

Der Schemabegriff in der Literatur weist Differenzen in seiner Definition

auf und ist so zwingend aus unterschiedlichen Perspektiven zu erläutern.

Wie oben bereits erwähnt, sind die Kinder aufgrund ihres Alters der

Schemaphase zuzuordnen. In diesem Kapitel wird das signifikante

Formenrepertoire, welches kennzeichnend für die Schemaphase steht,

angesprochen. Zwischen Schuster und Richter herrscht Einigkeit über das

Schema, welches ein vom Kinde selbst entwickeltes Muster für eine

Vereinfachung einer Darstellung definiert. Die Bildung von Schemata

findet zu einem Zeitpunkt verstärkt statt, sodass wir von der Schemaphase

sprechen. Schuster erkennt die wenigen, von dem Kinde in den

Vordergrund gestellten Merkmale eines Gegenstandes. Eine

naturalistische Wiedergabe ist für das Kind noch belanglos: „In der

Schemaphase findet das Kind für Sachverhalte der visuellen Welt eine

Zeichenform, die nur in wenigen Aspekten eine visuelle Ähnlichkeit mit der

abgebildeten Sache verweist.“ (Schuster 2000, S. 53) Die Schemata setzt

das Kind aus dem bestehenden Formenrepertoire zusammen. Schuster

spricht von graphischen Elementen wie Kreis, Oval, Zickzack usw., welche

sich während der Phase ausbilden. (vgl. Schuster 2001, S. 57) Als

Beispiel für ein simples Schema gibt er den Strich an, der beispielsweise

bei der Figurdarstellung für Beine und Arme eingesetzt wird. (vgl. Schuster

2001, S.57)

Das 'Strichschema' findet auch Verwendung in den Zeichnungen der

Mädchen. Das Schema, Gliedmaßen durch Striche darzustellen, spiegelt

sich in Annes Figuren und zum Teil in denen Laras wieder.

Während Lara die Arme partiell voluminös zeichnet, ausgenommen ist die

seitlich abgebildete, fliehende Maus, ist bei den Beinen die

Strichzeichnung dominanter. Lediglich die Beine der Figuren sind

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vorwiegend nach dem Strichschema abgebildet, allerdings sind die des

Grüffelos in ihrer Abbildung voluminös. Sie löst das Problem der Plastizität

der Extremitäten durch Formen wie Ovale und Rechtecke, welche sie dem

Körper anfügt. Es treten demnach unterschiedliche Darstellungsweisen für

das Objekt ‚Bein’ nebeneinander in einer Zeichnung auf. Hier wird das

surfen zwischen Phasen und Entwicklungsniveaus deutlich. Die Schemata

werden vom Kinde stetig überarbeitet. Sie lösen sich nicht direkt ab. In

dem genannten Beispiel wird das Bein zum einen als Strich, zum anderen

als Rechteck abgebildet.

Anne verfährt ähnlich wie Lara mit den Extremitäten ihrer Tierfiguren.

Auch sie zeichnet lediglich dem Grüffelo voluminöse Arme und Beine. Um

der Schwierigkeit der plastischen Umsetzung zu entgehen, wird die Fläche

der Arme farblich ausgefüllt. So wirken diese voluminös ohne auf eine

spezielle Form angewiesen zu sein. Hier stellt sich die Frage: Warum

nimmt sie den Versuch lediglich bei den Gliedmaßen des Grüffelos vor?

Die Gliedmaßen des Grüffelo heben sich von den Armen und Beinen der

anderen Figuren nicht nur in der Darstellung ab, sondern ebenso in der

Funktion. Anne erklärt der Grüffelo benötige seine Arme und Hände zum

Klettern: „Der will über die Mauer. Da! Die kommt jetzt. (Zeichnet die

Mauer) Da muss der nämlich rüber. (Zeichnet die Hand) Der zieht sich da

so hoch. Der will auf die andere Seite zu seiner Frau.“ (Feldnotizen, S.2,

Z. 6-8) Aufgrund der Notwendigkeit werden die Arme und Hände

bildnerisch gesondert ausgearbeitet. Wie die funktionale Bedeutung mit

der Ausarbeitung der Bildinhalte zusammenhängt, findet in dem Kapitel

Bedeutungsgröße eine explizitere Erläuterung.

Für Egger gibt es den Schemabegriff in diesem Sinne nicht, allerdings

bestehen gewisse Schnittmengen zu dem von ihr gewählten Begriff

„Urform“ mit dem Schemabegriff von Richter und Schuster. Egger listet

eine Reihe von Urformen auf, darunter auch Tastfiguren, die dem Prinzip

des Schemas nahe kommen. Die Hand des Grüffelos in Annes Zeichnung

bietet ein Beispiel für eine solche Tastfigur. Genau wie die Schemata

treten die Urformen wiederholt auf. Leider zeigt uns Anne keine weitere

Wiederholung. Für Egger ist allerdings in der Urform keine Vereinfachung

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des Objektes zu sehen, eher begründet sie das Entstehen durch einen

Ausdruck des inneren Körperempfindens.

Egger verwendet einen dem Schema ähnlichen Begriff in einem anderen

Zusammenhang. Sie spricht von „schematischen Zeichnungen“ (vgl.

Egger 2001, S. 91ff.), sofern ein Erwachsener einem Kind Anleitung zum

Zeichnen gibt, indem er ihm eine „ideale Musterform“ vorführt. Die

„schematische Zeichnung“ wird in dem Fall aber nicht vom Kinde selbst,

wie es Schuster und Richter annehmen, sondern von einem Erwachsenen

entwickelt. Der Erwachsene möchte dem Heranwachsenden mit einer

‚typischen’, in seiner Form reduzierten Darstellung eines Objekts

Hilfestellung bieten. Egger sieht eher gegenläufige Ergebnisse in der

Qualität der Unterstützung. Auf Grund der leichten Möglichkeit für die

Kinder, diese vorgegebenen Hilfsschemata zu kopieren, sei ein Verlust

der Beziehung zu ihren eigenen Bildern zu befürchten.

Gehen wir von dem Schema als Vereinfachung aus, entwirft Anne ein

solches Sinnzeichen für das Grüffelo Haus, welches von dem Betrachter,

ohne ihre Erklärung, kaum als solches zu identifizieren ist. Den Aufbau

erklärt sie folgendermaßen: „I: Uhh na das klingt gut, Eis ist ja lecker.

(…)Das ist sein Haus?

A: Hier ist die Tür, also das hier (Pause) Das Loch. (Pause) Wie bei der

Eule. Und hier sind so Bretter halt.“ (Interv. Anne Z. 25-27) Sie zeichnet

einen Kreis und gibt diesen als Tür aus. Die Bretter zeichnet sie durch

einfache senkrechte Striche, welche sie nicht durch eine horizontale Linie

räumlich begrenzt. Zwischen der Bedeutung der gezeichneten Bretter und

ihrer Lebenswelt bestehen Zusammenhänge: „Ja, so Bretter, die außen

am Haus sind, wie bei uns am Stall, da sind auch so Bretter.

I: Am Stall bei euch zu Hause? Ach ja, lebst du nicht auf nem Bauernhof?

A: Ja, Oma und Opa.“(Interv. Anne, S. 2, Z.31-34)

Annes Vorstellung von der Wohnlage des Grüffelos haben Bezug zu ihrer

eigenen Umwelt. Ihre Erfahrungen sind geprägt von einem engen

Zusammenleben mit ihren Großeltern, die im Besitz eines Bauernhofes

sind. Für Anne ist ein Stall mit Tieren Bestandteil ihres alltäglichen

Umfeldes. Die Eindrücke der eigenen Lebenswelt scheinen sich mit den

Informationen des Buches zu vermischen. Das Elemente aus der

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kindlichen Lebenswelt Einfluss auf die „Schematisierende Darstellung“

haben können, erwähnt auch Fleck-Bangert: „Das Kind übersetzt die

Wirklichkeit, es kopiert sie nicht.“ (Fleck-Bangert 1994, S.54) Dabei bildet

das Kind einen individuellen Schwerpunkt: „ Es zeichnet, was ihm

wesentlich erscheint, und versucht, sein Umweltverständnis mit Hilfe

seiner Sinnzeichen bildhaft zu machen.“ (Fleck-Bangert 1994, S.54)

Wesentlich erschienen Anne in diesem Fall die Bretter, die typisch für

einen Stall sind.

Lara: Haus des Grüffelos

Anne zeichnet ein Haus für den Grüffelo, obwohl in dem Bilderbuch kein

„Wohnort“ für den Grüffelo erwähnt wird. In den Illustrationen werden

lediglich für Fuchs und Eule Nischen gezeichnet. Anne spricht bei dem

Haus des Grüffelos, wie auch bei der Wohnung der Eule, von einem

„Loch“ als Eingang: „Zuerst hab ich die Bäume da gemalt. Mit so Zweigen

und dem Loch für die Eule.“ (Interv. Anne, S.1, Z.3-4) Vermutlich hat Anne

das „Loch“ in den Illustrationen des Bilderbuches gesehen und als

Schema die geometrische Figur des Kreises für einen Eingang einer

Tierhöhle gewählt.

Besonders häufig werden für Gesichter Schemata entwickelt. Meist

werden die Schemata sogar, unabhängig um welche Art von Figur es sich

handelt, konstant angewandt. Dabei kommt es häufig zu

anthropomorphen Abbildungen, sprich menschliche Gesichtszüge

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verwendet der Zeichner ebenfalls für Tierfiguren. Diese menschlichen

Muster sind in Annes Tierfiguren zu erkennen. Der Schnabel der Eule

beispielsweise ähnelt den Nasen der anderen Tiere.

Laras Figuren haben sehr unterschiedliche Nasen. Anzunehmen ist, dass

sie eine Form wählt, die für das jeweilige Tier signifikant ist. Kurz: Zeichnet

sie eine Eule, zeichnet sie den Schnabel eher eckig. Zeichnet sie eine

Maus, versieht sie das Tier mit signifikanten Merkmalen wie einer runden

Nase und Schnurrbarthaaren. Dies ist allerdings nicht der Fall. In Abb. 4

wird der Maus ein Strich als Nase gezeichnet, wie es häufig bei

Menschendarstellungen vollzogen wird. Das Phänomen des

anthropomorphen Denkens findet in Kapitel 5.3.3 gesondert Erwähnung.

Auffällig ist, wird eine Nase gezeichnet, so haben beide Tiere auf dem

gleichen Blatt die selbe Form. Schlange und Maus erhalten als Nase

einen Strich. (vgl. Abb.4) Auf die Nasenlöcher wird bei der Maus jedoch

verzichtet. In Abb. 1 verwendet sie für den Eulenschnabel und die

Mäusenase ebenfalls das gleiche Schema. In diesem Fall ist denkbar,

dass die Analogie mit der Veränderung der Eule in Zusammenhang steht.

Lara setzte in Abb. 1 als erstes eine Maus in die Mitte der Bildfläche.

Nachdem die erste Figur auf das Blatt gezeichnet wurde, erkundigt sie

sich bei Anne womit sie begonnen habe:

„L: Anne, was malst du jetzt grade?

A: Die Eule mal ich. Und dann ihr Haus.

L: Den Baum?

A: Ja.

Lara denkt nach und unterbricht den Zeichenprozess.

L: Ach ja die sitzt ja auf dem Baum.

Auf den Ast ihres Baumes setzt sie nun eine Eule. Nach einigen Minuten

richtet sie sich an mich und äußert sich zu ihrer ersten Zeichnung.

L: Die Maus fliegt. Lustig! (Lacht und zeigt auf die Maus.) Die sollte ja

auch erst die Eule werden.“ (Feldnotizen, S.1, Z.1-10)

Lara setzt die Eule nachträglich auf den Baum. Das Gespräch mit Anne

löste in ihr Unzufriedenheit über ihre fliegende Eule aus, welche ihren

Platz ursprünglich in der Bildmitte hatte. Daraufhin nahm sie eine

Veränderung vor und zeichnete sie sitzend auf einen Ast, während sie die

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fliegende Eule kurzerhand zu einer Maus umwandelte. Signifikant für eine

Maus, wurden Ohren angefügt. Das die Maus noch Flügel hatte, entging

ihrer Aufmerksamkeit. Durch diese Korrektur könnte die Analogie der

Nasen ebenfalls zu erklären sein. Gehen wir aber von einem Schema für

„Nase“ aus, wird deutlich, dass innerhalb einer Zeichenserie ebenfalls

unterschiedliche Schemata für ein Objekt nebeneinander bestehen

können.

Eine Antwort auf die Frage, warum ein Schema überarbeitet wird, sieht

Schuster in dem Antrieb zu einer Weiterentwicklung, die von dem Willen

begleitet ist, mehrere Gegenstände abzubilden und das Problem der

Unterscheidbarkeit zu lösen. Als Bespiel führt Schuster den Wunsch des

Kindes an, Hund und Katze zeichnerisch von einander zu unterscheiden.

(vgl. Schuster 2000, S. 53)

Für den Wunsch die Gesichtsschemata zu überarbeiten und einen

emotionalen Ausdruck in sie zu projizieren, führt Anne ein Beispiel vor.

Anne wollte den bösen Charakter des Grüffelo durch eine ausdrucksstarke

Mimik gegenüber den anderen Figuren hervorheben. Vermutlich merkte

sie beim Zeichnen, wie schwer ein Überwinden des Schemas ist und

brachte ihr Vorhaben verbal zum Ausdruck: „Guck mal jetzt. (Zieht an

meinem Ärmel) Der guckt dann nämlich so, guck!

Der guckt ja böse, der Grüffelo. Und mit den Zähnen dann so. (Pause,

zeichnet eine Grimasse) Guck so.“(Feldnotizen, S. 1, Z.34 ff.)

Als sie das Gesicht des Grüffelo zeichnete, diente der eigene

Gesichtsausdruck als Vorlage. Sie verzog ihr Gesicht und imitierte die

böse Mimik des Grüffelo. Ungeklärt bleibt, ob sie den Blick des Grüffelo

aus dem Bilderbuch nachahmen wollte oder sich selbstständig überlegt

hat, wie ein böser Grüffelo aussehen mag und daraufhin einen grimmigen

Gesichtsausdruck imitierte. Aus der Sicht Eggers ließe sich die

Vorgehensweise als Transfer der eigenen Gefühle auf die Zeichnung

erklären. Egger würde vermutlich davon ausgehen, Anne würde die Art,

wie sich ihre eigenen Emotionen ausdrücken würden, nachahmen und

projiziert diese Empfindungen in die Figur des Grüffelo.

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Das Beispiel ist stellvertretend für den Wunsch des Kindes, die eigenen

Schemata zu erweitern, um sie den eigenen Vorstellungen,

beziehungsweise der Realität anzupassen.

Eine Überarbeitung eines Schemas lässt Annes Baumabbildung

vermuten. Anne entwirft zwei Bäume nach dem gleichen Muster. Die

Krone in Form einer Wolke, den Stamm in Form zweier Striche, sodass

man in diesem Fall von einem Baumschema sprechen könnte. Die

wolkenförmige Baumkrone ist eine für Kinder sehr charakteristische

Darstellungsmöglichkeit. Den linken Baum zeichnete Anne zuerst. Um der

Eule einen Zugang zu ihrem Nest zu verschaffen, wurde ein Ast nach dem

Prinzip der Rechtwinkligkeit an den Baumstamm gesetzt. Anne entwarf

neben dem Schema der Baumkrone und des Stammes ein weiteres für

den Ast. Der Wissensstand des Kindes sagt ihm, dass eine Baumkrone

nicht ausreicht, da einen Baum mehrere Äste auszeichnen. Das Schema

für die Baumkrone muss entsprechend überarbeitet werden, um dem

Wissen des Kindes gegenüber dem Gegenstand Baum gerecht zu

werden. Für mich als Betrachter waren die horizontalen Äste, die nicht

innerhalb der Baumkrone angebracht, sondern vielmehr auf sie „gestellt“

wurden, nicht als solche erkennbar:

„I: Was ist denn das da oben? (Zeigt auf den rechter Baum oben in

Abb.1.)

A: Na das sind doch die Äste und darunter sind doch die Blätter. Weißte

nicht das n Baum Äste hat?“(Interv. Anne, S.3 Z.3-5)

Wie selbstverständlich Anne ihre Vorgehensweise sieht, äußert sie durch

ihr Lachen, indem sie mir 'Unwissenheit' über den Aufbau eines Baumes

nachsagt. Eine mögliche Erklärung für die Annahme einer Überarbeitung

sehe ich in einem Appell durch äußere Einflusse. Denkbar ist, Anne habe

eine gewisse Zeitspanne über das Schema der Baumkrone internalisiert,

wurde aber möglicherweise durch einen Außenstehenden belehrt, so wie

sie mich „zurechtweißt“, ein Baum müsse Äste haben.

Diese Kette an Beispielen für Schemabildungen ließe sich um Dutzende

erweitern. Im nächsten Textabschnitt werden die Figuren nach

unterschiedlichen Aspekten untersucht. Die Handlungs- und Erzählstruktur

in Kinderzeichnungen ist besonders in der Darstellung der Figuren zu

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erkennen. Dabei stellen sich bei der Betrachtung der Figuren neben

formalen Fragen, wie beispielsweise nach dem Aufbau des Wesens.

Neben den formalen Untersuchungsaspekten gilt es besonders die

Beziehungsstruktur der Figuren zu verstehen.

5.3 Figurendarstellung

In dem Kapitel der Figurendarstellung werden zunächst allgemeine

Auffälligkeiten zu den Figuren aufgeführt. Nach der Untersuchung ihres

Aufbau, werden Hinweise auf anthropomorphes Denken aufgedeckt.

5.3.1 Allgemeine Auffälligkeiten und Parallelen zum Buch

Das Bilderbuch präsentiert eine Auswahl an Tierfiguren. Die Maus und ihr

zunächst imaginärer Begleiter, der Grüffelo, stehen dabei als Hauptfiguren

im Vordergrund. Den anderen Waldbewohnern Angst einjagend, wird der

Grüffelo detailliert von der Maus beschrieben. Die Intention der Maus liegt

darin, die feindlichen Waldbewohner durch ihre Aussagen abzuschrecken

und in die Flucht zu schlagen. Dementsprechend gefährlich charakterisiert

sie den Grüffelo. Die Formulierungen wiederholen sich dabei in Syntax

und Metrik. Wie gut sich Reime im Gedächtnis verankern lassen,

demonstriert Lara. Begegnet die Maus dem ersten Tier, dem Fuchs, klingt

die dreigliedrige Beschreibung wie folgt: „Er hat schreckliche Hauer und

schreckliche Klauen und schreckliche Zähne um Tiere zu kauen.“

(Donaldson/ Scheffler 1999, S. 3) Der Eule jagt die Maus durch folgenden

Wortlaut Angst ein: „Er hat knotige Knie, eine grässliche Tatze und vorn im

Gesicht eine giftige Warze.“ (Donaldson/ Scheffler 1999, S. 7) Der

Schlange, als letztem Waldbewohner, erklärt die Maus den Grüffelo durch

diese Worte: „Er hat feurige Augen, eine Zunge so lang und Stacheln am

Rücken, da wird’s einem bang.“(Donaldson/ Scheffler 1999, S.11) Der mit

dem Buch identische Wortlaut der Grüffelo-Beschreibung wird an dieser

Stelle noch einmal aufgeführt, um Übereinstimmungen mit den

zeichnerischen Produkten abgleichen zu können. Der Grüffelo-Figur

kommt durch ihre Fiktivität, ebenso wie durch ihre Hauptrolle in der

Geschichte, besondere Aufmerksamkeit der Kinder zu und findet sich

dementsprechend häufig und ausgearbeitet in den Zeichnungen wieder.

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Um einen Überblick zu verschaffen, ziehe ich einen Vergleich zwischen

der von Lara gezeichneten Grüffelo-Figur und der Buchfigur. Während des

Zeichnens erinnert sich Lara an die Beschreibung des Buches und gibt

diese fast identisch mit der Formulierung der Literatur wieder. Einzelne

Worte lässt sie aus. An Stelle der ‚knotigen Knie’ spricht sie von

‚knorpeligen Knien’: „Der ist ja ein Monster und der hat schreckliche

Zähne. (Pause) Wie hier auf dem Bild. Knorpelige Knie. (Zeigt auf den

Grüffelo Abb. 2) Und auch die großen Arme mit Klauen, wo der die Maus

ja mit fangen will (Pause). Mit schrecklichen Klauen dran.“(Interv. Lara

S.1, Z.14-17) Leise flüstert sie die Merkmale vor sich hin, welche leitend

für ihre nächsten Zeichenschritte sind: „L: (Flüsternd vor sich her.) Der

Grüffelo hat knorpelige Knie, (4 Sek. Pause) eine grässliche Tatze,

(Pause) vorn im Gesicht ne giftige Warze.

I: Ach, das hast du dir gemerkt?

L: Ja klar. Der erste Spruch von der Maus, der is doch ganz einfach. Da

sagt die der Grüffelo hat schreckliche Hauer und schreckliche (Pause)

Klauen und schreckliche Zähne um Tiere zu kauen.“ (Feldnotizen, S.1, Z.

24-29) Die behaltenen Reime erleichtern ihr die Grüffelo-Figur in ihrer

Vollständigkeit zu entwerfen. Fast alle der charakteristischen Merkmale

bezieht sie in ihrer Darstellung ein. Die Hauer und die Warze bleiben

unberücksichtigt, wie die folgende Abbildung präsentiert.

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Laras Grüffelo aus Abb. 2 im Vergleich zu den im Buch aufgeführten Merkmalen

Als Lara den Grüffelo beim Fangen der Maus (Abb. 3) zeichnet, wird er

sehr wohl mit „Hauern“ ausgestattet. Vorherrschend sollen die

Eigenschaften der Gefahr und der Bedrohung in dem Grüffelo, der die

Maus jagt, verkörpert werden. Die Skizze erinnert an den Wendepunkt der

Geschichte. Diese Buchszene, indem die Maus dem bisweilen fiktiv

geglaubten Wesen zum ersten Mal begegnet, leitete den Höhepunkt der

Erzählung ein. Die Maus trifft tatsächlich auf den Grüffelo und muss sich

nicht nur ihrer Angst den Tieren gegenüber stellen, sondern der größten

Befürchtung in die Augen schauen. Anne hat dieser Szene, im Gegenteil

zu Lara, keine Aufmerksamkeit geschenkt und sie möglicherweise nicht in

ihrer Bedeutung für die Geschichte begriffen.

Laras Grüffelos im Vergleich zum Buch: links Abb. 3, Mitte Abb.2

Lara beschreibt den Grüffelo, indem sie immer wieder die Abbildungen 2

und 3 wendet und auf Details beider Grüffelo-Figuren zeigt: „Auf dem

nächsten Blatt ist der Grüffelo. Alle haben nämlich Angst vor dem. Der

sieht so böse aus. (Pause) Der ist ja ein Monster und der hat schreckliche

Zähne. (Pause) Wie hier auf dem Bild. Knorpelige Knie. (Zeigt auf den

Grüffelo Abb. 2) Und auch die großen Arme mit Klauen wo der die Maus ja

mit fangen will (Pause). Mit schrecklichen Klauen dran." (Interv. Lara, S. 1,

Z. 13-17) Die Arme des Grüffelo, auf die Lara in Abb. 2 gänzlich

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verzichtet, sind kennzeichnend für die bedrohliche Situation in Abb. 3 und

werden dementsprechend groß ausgearbeitet und mit ebenso lange

Klauen verziert. Durch die Arme des Grüffelo ließe sich eine leichte

Diagonale ziehen, wodurch der Eindruck entsteht, der Grüffelo würde

schräg stehen. Die seitliche Körperhaltung richtet sich zu der Maus. Es

erscheint als würde die Maus, deren Profil gezeigt wird, ihrer Bedrohung,

dem Grüffelo direkt in die Arme laufen. Durch die nach hinten fliehenden

Gliedmaßen der Maus wird schnell klar, dass es sich nicht um eine

freundschaftliche Geste handelt, sondern um eine brenzlige Situation. Die

Bildausnutzung liegt bei ca. 30 Prozent. Keine Gegenstände die von der

Handlung ablenken könnten, nur die beiden Figuren, setzt Lara auf ihr

Papier.

Abbildung 2 erinnert an eine Szene aus dem zweiten Teil des Buches,

indem die Maus den Grüffelo mit zu den Tieren nimmt, in dem Falle zum

Fuchs. Lara scheint also die Reihenfolge vertauscht zu haben. Während in

Abbildung 3 die Maus schockiert ist dem Grüffelo zu begegnen, scheint

sie in Abbildung 3 weniger Angst vor dem Grüffelo zu haben. Eng steht sie

neben ihm. Wie eine Einheit treten sie dem Fuchs entgegen. Der Fuchs ist

auf der rechten Blatthälfte angeordnet und distanziert sich ebenso durch

die braun-graue Farbgebung von beiden. In der passenden Buchstelle

liegt die Aufmerksamkeit eher auf der Angst des Fuchses, da die Maus

den Grüffelo vorstellt. Grüffelo und Maus, beide in grüner Farbe

gezeichnet und frontal nach vorne gerichtet, sind eng neben einander

gesetzt. Sinnbildlich führt die Farbigkeit die Differenz der Stimmungen

beider Bilder vor Augen. Die grüne Farbe in Abb. 2, des noch harmlosen,

neben der Maus stehenden Grüffelo, steht in unmittelbarem Kontrast zu

dem dramatischen Rotton, der das Fangen des Grüffelo untermauert.

Die Maus ist Held und somit Sympathieträger der Geschichte. Empfindet

sie Angst, so identifiziert sich der Leser mit der Angst und empfindet die

Situation als gefährlich. Lara hat sich beim Zuhören vermutlich ebenfalls in

die Rolle der Maus eingefühlt, weshalb sie den Wendepunkt in einem

dramatischen Rotton zeichnet.

Wie demonstriert Anne die Begegnungen der Waldbewohner in ihren

Abbildungen? Die Besuche der Maus präsentiert Anne bereits alle in ihrer

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ersten Zeichnung. Alle Tiere werden, wie bei einem Theaterstück, in

Annes erster Abbildung vorgeführt. Anne betont im Interview die Angst der

Tiere, als sie der Maus begegnen. „Dann hab ich die Maus da gemalt. Die

zu der Eule geht, aber die hat ja Angst.“ (Interv. Anne, Z.6-7) Die

Schlange fürchtet sich nach Anne ebenso vor der Maus: „Und dann die

Schlange, die die Maus besucht. Aber die hat ja auch Angst.“(Interv.

Anne, S.1, Z.7) Der Blick auf die Zeichnung würde die scheinbar wichtige

Rolle der Maus, die Anne ihr im Gespräch beimisst, allerdings nicht

vermuten lassen. Vielmehr fallen Grüffelo-Frau und Eule in das

Aufmerksamkeitsfeld des Betrachters. Die Maus wird, lediglich wie

Schlange und Fuchs, auf die Standbodenlinie gestellt. Auf die Frage nach

der Ursache für die Angst der Tiere vor der kleinen Maus, hat Anne keine

plausible Antwort. Dass die Maus Geschichten von dem gefährlichen

imaginären Begleiter erzählt, scheint ihr nicht präsent zu sein. „I: Du hast

erzählt, die Eule und die Schlange haben Angst. Warum haben die denn

Angst?

A: Vor der Maus. Und die hat nämlich gar keine Angst, obwohl die ja so

klein ist.

I: Warum haben die Angst vor der Maus?

A: Keine Ahnung, echt dumm, die wissen das wohl einfach nicht, dass die

nix tut.“(Interv. Anne, S.1, Z.25-29) Nicht durch den Inhalt der Geschichte

versucht sie eine Erklärung zu finden, vielmehr begründet sie ihr

Erstaunen über die Angst vor der Maus durch ihre Anatomie. Die Maus ist

den anderen Tieren körperlich unterlegen. Die Angst der Tiere vor dem

Grüffelo wird von ihr in einem Nebensatz erwähnt, als sie die Flucht des

Fuchses erläutert: „Ah nee, der Fuchs is ja noch da. Die Maus geht

zum Fuchs. Aber der hat ja auch Angst und läuft dann ganz schnell in

seine Höhle. (Mit ihrem Finger fährt sie den Weg nach, den der Fuchs

läuft.) Zischhhh, ganz schnell flitzt der da rein. (4 Sek.) Da kommt der

Grüffelo nich ran, wenn er will.“ (Interv. Anne, S.1, Z.13-16) Der

gefährliche Grüffelo wird von ihr allerdings auf ein separates Blatt gesetzt,

bzw. auf die Rückseite und stellt somit keine direkte Bedrohung für die

Tiere dar, wie es in der Geschichte der Fall ist. “Aber der is ja eh nich da.“

(Interv. Anne, S.1, Z. 16) Die Grüffelo-Frau befindet sich dagegen inmitten

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der Tiere, allerdings gibt Anne die Entwarnung: „Nur seine Frau. Und die

tut ja auch nichts. (4.Sek.)“ (Interv. Anne, S.1, Z. 16-19)

Die bisherige Untersuchung der Figuren zeigt bereits Laras starke

Parallelen zum Buchinhalt. Annes Rezeption des Buches besteht vielmehr

in einer Anregung durch den Lesestoff. Assoziativ erfand sie ein

zusätzliches, nicht auf der Erzählung basierendes fantasievolles

Geschöpf, das sie Grüffelo-Frau (siehe Abb. 1) betitelt. Obwohl diese

Figur kein Bestandteil der Geschichte ist, scheint sie dennoch eine

tragende Rolle für Annes Produktion zu haben. Durch ihre Größe, ihre fast

mittige Anordnung im Bild und besonders durch die detaillierte

Ausarbeitung tritt sie stark, gegenüber den anderen Figuren, in den

Vordergrund des Bildes. Nur sie und die Eule sind frontal abgebildet.

Die Grüffelo-Frau wirkt fröhlich und positiv durch ihre geöffneten Arme und

ihre Mimik. Die großen Augen mit langen Wimpern und dem rosa

lächelnden Mundzug unterstützen die Ausstrahlung. In der ersten

Zeichnung Annes wird die Bildfläche großzügig ausgeschöpft. Alle Figuren

des Buches, ausgenommen der Grüffelo selbst, werden in der Zeichnung

berücksichtigt. Durch beide Bäume und die fliegende Eule ist selbst der

obere Bildraum weitestgehend ausgefüllt. Beim Zeichnen der Grüffelo-

Frau hat Anne ihre Lust am kreativen Ausstatten entdeckt. Die Freude zur

detailreichen Ausschmückung ist bei Mädchen besonders früh

ausgeprägt. Laut Schuster beginnt in der Schemaphase ca. ab dem 5.-8.

Lebensjahr das Interesse Details zunehmend einzubeziehen. (vgl.

Schuster 2001, S.57) Ausgestattet mit Ohrringen, Wimpern, sogar mit

Lippenstift verziert Anne die Figur mit typischen Attributen einer Frau. „Ja.

Die hat doch auch so Lippenstift und ist @geschminkt@. (Pause) Wie so

eine richtige Frau.“ (Interv. Anne, S. 2 Z. 4-5) . Der Lippenstift, bzw. der

Schminkakt an sich, gilt für Anne als signifikanter Faktor für das

Erwachsensein. Die Detailfreude leitet sich aus der Faszination an einer

erwachsenen Frau ab. Viele Kinder verbinden mit Erwachsenen-Sein

Positives, was zu dem Wunsch führt, den Prozess ihres Heranwachsens

beschleunigen zu wollen. Neben der detailreichen Ausarbeitung fällt die

Grüffelo-Frau durch diverse ausgemalte Flächen auf. Bauch, Ohrringe

und die Verwendung unterschiedlicher Farben verstärkt die Betonung. Die

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Zacken bzw. das Fell der Frau werden additiv rund um den Körper

angefügt. Eine Zickzacklinie legt sich quasi rings um die Form der

Grüffelo-Frau. Die nahe liegenste Erklärung für die Zacken ist in der

Symbolisierung als Fell zu sehen. Allerdings trägt neben der Grüffelo-Frau

lediglich die Eule Zacken auf ihrem Kopf und diese hat kein Fell, sondern

Gefieder. Behaarten Tieren, wie Fuchs und Maus, würde demnach kein

Fell verliehen. So ist entweder die Unwissenheit Annes gegenüber der

Befiederung zu vermuten oder in dem Zackenmuster ein Repräsentant für

beispielsweise die Eigenschaft „flauschig“ zu sehen. Vorausschauend ist

anzunehmen, dass die sich hier bereits dürftig äußernden Strukturen für

Annes Liebe zum Detail sich zunehmend steigern, wie es in vielen

Zeichnungen von sich in der Schemaphase befindenden Mädchen, zu

beobachten ist.

Nachdem einige Figuren in Auseinandersetzung mit dem Buchinhalt

abgehandelt wurden, wird nun der Fokus auf weitere formale

Eigenschaften der Tiere, wie beispielsweise den Aufbau gerichtet.

5.3.2 Aufbau der Figuren

Annes Figuren lassen sich zwei Kategorien zuordnen. Eule, Grüffelo und

Grüffelo-Frau zeichnen sich durch einen additiv zusammengesetzten

Körper aus. Bezeichnend für das Additionsprinzip ist das Aneinanderfügen

einzelner Körperteile. Kopf und Rumpf werden in Form von Kreisen

abgebildet. Diese geometrischen Formen setzt Anne aufeinander. Das

Gegenstück zu dem additiven Aufbau liefern die Körper der Maus und des

Fuchses, die durch ihre organische Verbindung auffallen. Dabei gehen

Kopf und Rumpf ineinander über und erinnern an eine Umrisszeichnung.

Lediglich Beine und Fuchsschwanz fügt sie den Formen spät an. Die

organischen Körper können als Ablösung von den additiven Darstellungen

verstanden werden. Sie zeigen ein tieferes Verständnis von Körperteilen

als zusammenhängende, organische Verbindung. Allerdings ist die

organische Verbindung nur bei der Seitenansicht der Figuren zu

beobachten. Frontal abgebildete Figuren unterliegen der additiven

Darstellungsweise. Besonders deutlich ist das Additionsprinzip an der

Mausdarstellung von Lara zu erkennen. Geometrische Formen wie ein

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Kreis für Kopf, Bauch, Ohren und Arme und ein Rechteck für den Hals

werden aneinander gesetzt.

Bezüge zu Eggers Figurdarstellungen

Egger würde die Tierfiguren den Körper-Ego-Bildern zuordnen.

Die Tierdarstellungen können genau wie die Menschdarstellungen nach

Egger in zwei Ausdrucksweisen unterschieden werden. Differenziert wird

zwischen Körper-Ego-Bildern und Geist-Ego-Bildern. Ist eine

Tierdarstellung in Form eines Körper-Ego-Bildes gezeichnet, wie

beispielsweise die fliegende Eule von Anne, projiziert das Kind während

des Zeichnens seine eigenen Empfindungen, seinen „Sein-Zustand“(vgl.

Egger 2001, S. 73) in die Darstellungsweise. Eggers Theorien stützen sich

auf die Annahme des Projizierens von eigenen Gefühlen in ein Bild. Das

Kind projiziert sein eigenes Empfinden, sein persönliches Körperbild auf

die Figuren. Es versucht Eigenschaften zwischen sich und dem

Gegenstand bzw. der Figur zu unterscheiden. (vgl. Egger 2001, S.73)

Nicht nur in dem Bildinhalt sucht Egger nach Interpretationsansätzen die

auf die Lebenswelt des Kindes anspielen, sondern ebenso betrachtet sie

den Aufbau einzelner Bildelemente als Quelle, um sich den Gefühlen der

Kinder zu nähern.

Eggers Differenzierung in unterschiedliche Menschdarstellungen unterliegt

einem komplexen System, wodurch sich eine Zuordnung als schwierig

erweist. Die Figurdarstellung entspringt aus den Grundformen des

Zentrums, der Achse und des Urkreuzes. Eine genaue Zuordnung der

Figuren in ihre Kategorien, so betont Egger, sei nur möglich, falls ein

Gesamtüberblick über den Prozess des Zeichnens besteht. Die

Zeichenentwicklung über mehrere Jahre muss ersichtlich sein, um ein

Urteil über den Entwicklungsverlauf fällen und somit auch eine korrekte

Zuordnung vornehmen zu können. Um eine Einschätzung nach Eggers

Erkenntnissen treffen zu können, ist ein Blick auf die Extremitäten

aufschlussreich. Wo sind Beine und Arme angesetzt? In welchem Winkel

werden sie an den Körper gefügt? Die Grüffelo-Darstellungen Annes sind

nach Egger, sofern man eine Zuordnung treffen darf, dem Fischmenschen

zuzuschreiben. „Der Fischmensch ist daran zu erkennen, dass die Beine

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beim nun oft nicht mehr sichtbaren Stab aufeinander treffen, dem

Fischschwanz vergleichbar.“ (Egger 2001, S. 135)

Annes Grüffelo-Frau

Wie der Vergleich der Abbildungen deutlich hervorhebt, werden die Arme

der Grüffelo-Frau, beginnend in der Mitte des Bauches, an den Körper

gefügt. Diagonal spreizen sie nach oben ab. Konträr zu dem voluminösen

Bauch sind sie nicht plastisch, sondern lediglich als Strich gezeichnet. Die

Arme des Grüffelo-Mannes unterliegen einer ähnlichen Spreizung,

allerdings sind diese voluminös ausgearbeitet. Nicht nur die

abspreizenden Arme, sondern auch die runde Bauchform erinnern an

Eggers Fischmenschen, wie die Gegenüberstellung der Abbildung

aufzeigt.

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Annes Grüffelo aus Abbildung 3

Schräge Beinstellung als Indikator für Bewegung

Die Zuordnung der Tierdarstellungen von Anne und Lara gestaltet sich als

schwierig. Nicht immer ist die Beinstellung und die Gesichtdarstellung der

gleichen Kategorie zuzuordnen. Der Fuchs Annes in Abb.1 würde

aufgrund seiner schräg abgespreizten Beine für eine Zuordnung in die

Kategorie „Körper-Ego-Bild“ sprechen, allerdings ist das Gesicht des

Tieres von der Seite zu sehen, welches eher für ein Geist-Ego-Bild spricht.

Die Beine stehen häufig stabil, senkrecht in den Boden, was für ein Geist-

Ego-Bild kennzeichnend ist. Das Gesicht ist aber von der Seite zu sehen

und spricht für ein Körper-Ego-Bild.

Die Figuren Annes zeichnen sich eher durch ihre schräge Beinstellung

aus. Diese Schrägstellung behält sie unabhängig von der Perspektive, in

der sie die Tiere abbildet, bei. Selbst bei der Seitenansicht zeichnet sie die

Beine schräg gespreizt. Für Anne scheint darin jedoch keine

zufriedenstellende Lösung verankert zu sein, woraufhin sie nachträglich

eine Verbesserung vornimmt. Assoziierend mit einem Rock koloriert sie

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den Innenraum, der sich zwischen den Beinen ergibt. „Die Maus hat jetzt

einen Rock an. (Lacht) Die hatte die Beine so schräg, dann hab ich das da

so ausgemalt.“(Interv. Anne, S.1, Z.8-9) In dem Einfärben der Fläche

findet sie eine Lösung für ihre Problematik.

Annes Maus mit Rock

Philipps deutet die Schrägstellung der Beine als Bemühung zur

Darstellung von Bewegung. “Auch die Schrägstellung und/oder

Vervielfältigung von Körperteilen [...] kann Bewegung sichtbar machen.“

(Vgl. Philipps 2004, S. 68) Von der Theorie Philipps geleitet erklärt sich,

warum Anne die Schrägstellung der Beine des Fuchses weniger stören.

Sie beschreibt im Interview den Fuchs als sich auf der Flucht befindend:

„Die Maus geht zum Fuchs. Aber der hat ja auch Angst und läuft dann

ganz schnell in seine Höhle. (Mit ihrem Finger fährt sie den Weg nach,

den der Fuchs läuft.) Zischhhh, ganz schnell flitzt der da rein.“ (Interv.

Anne, S.1, Z. 3-6) Analog präsentiert Lara ihren Fuchs seitlich abgebildet

und erklärt genau wie Anne, er könne in seinen Bau laufen:“ Der Fuchs

hat aber eine Wohnung in dem Baum und rennt rein wenn der Grüffelo

kommt.“ (Interv. Lara, Z. 25-26) Die Beine sind, wie Philipps es

beschreibt, Indikator zur Absicht der Bewegungsdarstellung. Für Schuster

ist bereits die seitliche Position als Merkmal eines Bewegungsschemas zu

deuten. „Soll sich eine Figur bewegen, so ist die Darstellung von Bein- und

Armstellung in einer seitlichen Position leichter.“(Schuster 2000, S. 34)

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Verhältnis und Anordnung der Figuren

Obwohl Laras Figuren nicht immer durch Blickkontakt verbunden sind,

erhält man dennoch den Eindruck einer Verbindung. Beispielsweise ist in

Abbildung 2 der Grüffelo frontal abgebildet und richtet seinen Blick nach

vorne. Die Verbindung zu dem links angeordneten Fuchs entsteht durch

seinen Blick auf den Grüffelo. Ähnlich verhält es sich bei Abbildung 4. Die

Maus blickt nach vorne und wird von der Schlange beobachtet. Diese

Interaktionen zwischen allen, auf einer Zeichnung vorkommenden Tiere ist

in Annes ersten Zeichnung nicht zu erkennen. Alle im Profil abgebildeten

Figuren schauen nach rechts, wodurch sie sich den Rücken zukehren.

Das sich anschließende Kapitel behandelt die Anthropomorphisierung. Die

Vermenschlichung von Tierfiguren wurde bereits angesprochen, nun gilt

es die Zeichnungen daraufhin zu untersuchen.

5.3.3 Anthropomorphes Denken

Nach Meinung vieler Autoren ist davon auszugehen, dass Kinder während

der Schemaphase eigene Empfindungen in ihre Zeichnungen projizieren.

Ausgehend von dieser Annahme lassen sich anthropomorphe Bildinhalte

erklären. In Kinderzeichnungen zeigen Tierdarstellungen häufig

menschliche Eigenschaften auf. Bei der Tierdarstellung greifen Kinder auf

menschliche Erkennungsmerkmale zurück. Für dieses Kennzeichen der

Kinderzeichnung hat sich in der Fachliteratur der Terminus

„Anthropomorphisierung“ etabliert.

Basierend auf zwei unterschiedlichen Ausgangspunkten entstanden

unterschiedliche Ansätze zur Erklärung des anthropomorphen Denkens.

Das Eine der beiden Meinungsbilder erklärt das Vermenschlichen mit den

Kognitionen des Kindes, während die zweite Forschungsrichtung von der

Übertragung eigener Gefühle ausgeht. Fleck-Bangert als Vertreterin der

Projektion des eigenen, menschlichen Empfindens auf die Tierdarstellung

erklärt ihren Standpunkt wie folgt: „Das Kind neigt dazu, sich mit allem

Lebendigen zu identifizieren. Deshalb werden die Tiere anthropomorph

gezeichnet, das heißt menschenartig dargestellt.“ ( Fleck – Bangert 2001,

S. 48) Handelt es sich um Theorien, die eng mit den subjektiven

Empfindungen des Zeichners einhergehen, sind die Theorien häufig durch

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die Forschungsergebnisse Eggers gestützt. Egger verwendet den

Terminus ‚Anthropomorphisierung’ nicht, untermauert die Theorie aber

durch die im vorangehenden Kapitel beschriebenen Körper-Ego-Bilder. Im

Körper-Ego-Bild projiziert das zeichnende Kind seine Wahrnehmung des

eigenen Körperempfindens, die Empfindung als menschliches Wesen und

somit auch die Identifikation mit Eigenschaften, wie dem aufrechten Gang

und dem Beherrschen motorischer Fähigkeiten, wie Greifen mit den

Händen usw. auf die darzustellende Figur und vermenschlicht sie.

Entgegen dem Handeln aus dem Körper-Empfinden heraus, sieht der

andere Forschungszweig den Ursprung für Anthropomorphisierung in der

kognitiven Entwicklung des Zeichners. Laut Richter werden „[…]die ersten

Tierdarstellungen aus demselben figurativen Material entwickelt wie die

ersten Menschdarstellungen[…]“(Richter 1987, S. 41ff.) Das Kind integriert

und kombiniert selbst entwickelte Schemata in alle neuen Gestalten. Nach

Richter kann eine Übernahme bzw. eine Weiterentwicklung bereits

vorhandener Elemente erkannt werden. (vgl. Richter 1987, S. 41ff.)

Zeichnet das Kind neben Menschen nun auch Tiere, übernimmt es

bestehende Konzepte aus der Menschdarstellung um das Tier zu

entwickeln. Das Kind entwickelt ein einheitliches Schema für alle

Lebewesen, woraus das ‚vermenschlichte Tier’ resultiert.

Egger geht zwar analog von der Integration gewisser „Urformen“ aus,

allerdings sieht sie in den Urformen ebenso den Ausdruck der eigenen

Empfindung, womit sich wieder das grundsätzliche

Unterscheidungskriterium herauskristallisiert. Kurz: „Die Urformen sind

Ausdruck des Körperempfindens.“(Egger 2001, S. 38) Eine gewisse

Schnittmenge zwischen dem Ansatz der Kognition besteht jedoch zu

Eggers Annahme. Nach Egger kann das Kind in Abhängigkeit zum

zunehmenden Lernstand, immer besser zwischen Ich-Bild und

Gegenstand unterscheiden. (vgl. Egger S.73) Bei zunehmender Intelligenz

würde sich, genau wie in Richters Theorie, die Anthropomorphisierung

auflösen.

Laras Mäuse weisen beispielsweise durch ihre Mimik Parallelen zu

Menschdarstellungen auf. Die Nase als Strich zu zeichnen ist ein häufig

verwendetes Schema für das Gesicht einer menschlichen Figur.

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Laras Maus mit Strich als Nase

Gerade auf signifikante Attribute die eine Maus auszeichnen und durch die

das Kind dem Betrachter prägnant verdeutlichen könnte, um welches Tier

es sich handelt, wird verzichtet. Zu erwarten wäre eine Maus mit einer

runden Nase, Schnurrbarthaaren und einem langen Schwanz. Lediglich

die großen, runden Ohren sind kennzeichnend für eine Maus. Ihr

aufrechter Gang ist als anthropomorpher Aspekt zu werten. Bei der Frage

nach Gründen für die menschenähnliche Darstellungsweise ist ein

Vergleich zu den Buchillustrationen aufschlussreich. Die Illustrationen der

Maus ähneln Laras Abbildung. Sie zeigen eine, ausschließlich im Profil

präsentierte, aufrecht stehende Maus mit großen Ohren und langem

Schwanz.

Buchillustration

Zwar wird in diesem Fall die Nase ebenfalls als Strich gezeichnet,

allerdings entbehrt die Darstellung durch die seitliche Sicht auf die Maus

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jegliche Ähnlichkeit zur menschlichen Nase. Zeichnet Lara ihre Maus von

der Seite, wird auf eine Nase verzichtet. Die Strichnase von Lara lässt

eher annehmen, dass sie als typisches Schema für einen Menschen in die

Mausdarstellung übernommen wurde. Möglich ist auch das Zeichnen des

Striches aus der eigenen Körperwahrnehmung heraus. Die Parallelen zum

Buch lassen allerdings ebenso die Vermutung zu, die Darstellungen seien

eine Entlehnung der Bilderbuchvorlage. Kretschmer wirft den Gedanken

auf, dass sich Tierdarstellungen in Bilderbüchern stark an menschlichen

Charakteristiken orientieren, da die „gegenwärtige

Bilderbuchproduktion[…]Themen, Motive und Handlungsorte in einer

vermenschlichten Tierwelt an[siedelt].“ (Kretschmer 2005, S. 27)

Unschlüssig bin ich, die Grüffelo-Frau Annes, dem anthropomorphen

Denken zuzuordnen, da sie nicht eindeutig als Tier zu werten ist. Die

Grüffelo-Frau ist zwar ein fiktives Geschöpf, allerdings wird die Grüffelo-

Figur (der Mann, die Frau ist von Anne frei erfunden) im Bilderbuch mit

den Tieren des Waldes auf einer Stufe angesiedelt. Ausgehend von einer

‚Tierdarstellung’ wird die Grüffelo-Frau von Anne sehr bewusst mit

menschlichen Charakteristikern ausgestattet. Wimpern, Ohrringe, der

Lippenstift verweist auf einen ‚menschlichen Mund’. Steigernd zu der

bildnerischen ‚Anthropomorphisierung’ werden Grüffelo und Grüffelo- Frau

im Interview durch Handlungen, die ihnen Anne zuschreibt,

vermenschlicht. Über das Telefon kommunizieren beide wie Menschen:

„Ja. Guck (Pause) und da steht sein Telefon. Da kann der jetzt anrufen.

@„Hallo Schatz, ich komm gleich.“@ Sagt der zu ihr. @Die sind verliebt.

@“ (Interv. Anne, S.2, Z. 9-10) Neben dem Telefonieren der Tiere, haben

sich beide Figuren auf einer Party kennen gelernt: „Die haben sich auf ner

Party kennen gelernt.“ (Interv. Anne, S.2, Z.12) Genau wie in

Bilderbüchern verhalten sich die Tiere wie es Menschen tun.

Ein gewisser Einfluss durch die Präsentation von ‚vermenschlichten’

Tierfiguren im medialen Bereich auf die anthropomorphen Darstellungen

in Kinderzeichnungen ist ebenso wenig auszuschließen. Letztlich kann nur

der Zeichner selbst Aufschluss geben, aus welchen Beweggründen

heraus, das Tier menschähnlich gezeichnet wurde. Ein explizites

Nachfragen habe ich im Interview versäumt.

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5.4 Das Prägnanzprinzip

Das Prägnanzprinzip wird in der Struktur der Arbeit bewusst vor dem

Kapitel Räumlichkeit angesprochen. Immer wieder wird in der Fachliteratur

die Prägnanz in Verbindung zur Räumlichkeit gesetzt und ihre Prinzipien

hauptsächlich an Hand perspektivischer Beispiele erklärt. Umklappungen

und Simultanperspektiven gelten als repräsentative Beispiele für den

Ausdruck von Prägnanz. Der Terminus „Prägnanz“ definiert die

Genauigkeit und Klarheit einer Abbildung. Nach Fleck-Bangert werden

nach dem Prägnanzprinzip gekennzeichnete Gegenstände, in möglichst

charakteristischer und klarer Ansicht dargestellt, gezeichnet. (vgl. Fleck-

Bangert 1994, S. 47) Fraglich ist jedoch, ob sich diese Genauigkeit

ausschließlich in räumlichen Darstellungen finden lässt. Auch Fleck-

Bangert führt eine perspektivische Darstellung als Beispiel für die

Prägnanz an: “So finden wir auf derselben Zeichnung Tiere zum Beispiel

von der Seite, Straßen und Gartenbeete dagegen aus der

Vogelperspektive.”(Fleck-Bangert 1994, S. 47) Analog verbindet Richter

die Simultanperspektive mit Prägnanz. Die Prägnanztendenz, wie er sie

nennt, “bezeichnet die Zunahme an gestalthaften Qualitäten bei

bestimmten optischen Konfigurationen.” (Richter 1987, S. 18) Richter

spricht von auffallenden Erscheinungen des Schemabildes, die häufig als

Umklappungen bezeichnet werden. (vgl. Richter 1987, S 18)

Eine Simultanperspektive, die sich im Sinne der Prägnanz ergibt, wird in

Annes Zeichnung nur durch ihre verbale Erläuterung aufgedeckt. Anne hat

ein Telefon in das Haus des Grüffelos gezeichnet. Aufgrund der Aufsicht

ist anzunehmen, es würde hängen, beispielsweise an einer Wand.

Allerdings wird durch die Transkription deutlich, dass das Telefon “stehen”

soll. „P: Ja. Guck (Pause) und da steht sein Telefon.“ (Interv. Anne, S.2,

Z.9 ) Warum zeichnet Anne das Telefon nicht von der Seite? Durch das

Prägnanzprinzip lässt sich diese Frage beantworten. Anne möchte dem

Betrachter die charakteristischsten Merkmale des Gegenstandes

möglichst deutlich aufzeigen. Bei der von ihr präsentierten Seite des

Apparates kann sie Wählscheibe als auch Hörer berücksichtigen. Würde

es „stehen“, wie sie sagt, wäre es vermutlich als solches für den

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Betrachter nicht erkennbar. Die umgeklappte Darstellung des Telefons

kann als Wunsch nach Prägnanz verstanden werden. Später habe ich der

Erzieherin gegenüber mein Erstaunen geäußert, dass sie eine

Wählscheibe zeichnete. Sind Kinder dieser Generation doch mit

Tastentelefonen aufgewachsen. Erklärend erwähnte die Erzieherin, Anne

besuche häufig ihre Großeltern auf einem Bauernhof, welche noch über

ein solch überholtes Modell eines Telefons verfügen. Das Objekt ‚Telefon’

als Gegenstand der kindlichen Lebenswelt integriert Anne in ihrer

Zeichnung.

Entsprechend findet sich in Laras erster Zeichnung ein Beispiel für

Prägnanz. Für Lara ergaben sich Schwierigkeiten beim Zeichnen einer

über einen Steg gehenden Maus. Im Interview erklärt sie: „Die geht über

den Steg da. (Zeigt auf den Steg.) Da is ja der Fluss und die muss

darüber, weil die ja zur Eule geht. Dann balanciert sie. Sie will ja nicht,

dass es platsch macht.“ (Interv. Lara, S.1, Z.10-12) Verfolgt man ihre

Vorgehensweise ist die Entstehung des Problems nachzuempfinden:

Nachdem sie die Maus auf das Papier setzt, zeichnet sie die

Wasserfläche in Form horizontaler Striche. Zwischen Maus und Wasser

ergibt sich ein Zwischenraum. Neben der Entfernung von Maus und

Wasser entsteht für Lara ein Problem bei der Farbwahl des Steges. Die

braune Farbe lässt sich nur schwer über die blaue auftragen. Laras

Überdeckungsversuch ist in der Zeichnung gut zu erkennen. Allerdings

konnte das Problem selbst durch das kräftige Aufragen der braunen Farbe

nicht als gelöst erachtet werden, da sich für Lara ein perspektivisches

Problem ergab. Laras Unzufriedenheit bestand solange, bis sie eine

Verbindung des Holzsteges mit der Maus erreichte, die schließlich über

die Brücke gehen sollte. Die Maus “schwebte” gewissermaßen über dem

Steg. Eine Lösung fand Lara, indem sie einen senkrechten braunen Strich

zeichnet der einerseits über das Wasser reichte und andererseits die

Füße der Maus berührte: die erforderliche Verknüpfung war entstanden.

Die Umklappung des Steges erbrachte für Lara die nötige Prägnanz für

den Betrachter, um die vorherrschende Situation zu erfassen.

Dem Prägnanzprinzip ebenfalls zuzuordnen ist Laras Brücke in Abb. 4.

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Aufsicht auf Laras Brücke

Während die Maus frontal zu betrachten ist, die Schlange durch eine

leichte Aufsicht dargestellt wird, ist die Brücke Laras völlig aus der

Vogelperspektive zu sehen. Drei Arten von Perspektive treten parallel

innerhalb einer Zeichnung auf. Vor dem Hintergrund des Prägnanzprinzips

ist die Intention Laras dem Betrachter den Gegenstand durch die jeweilige

Perspektivwahl möglichst genau zu präsentieren.

Alle aufgeführten Beispiele der Kinderzeichnungen sind, wie es auch in

der Literatur charakteristisch ist, Ausdruck der Simultanperspektive.

Fraglich ist, ob der Terminus Prägnanz nicht auf wesentlich mehr

Elemente der Kinderzeichnung, als lediglich auf Perspektivisches, zu

beziehen ist. Ist nicht ebenso die Entstehung eines Schemas Ausdruck für

das Bestreben dem Betrachter den Gegenstand prägnant vorzuführen?

Die zu hohe Anzahl an Fingern bei Annes Grüffelo-Figur beispielsweise,

zielt darauf ab, das charakteristische Merkmal des Körperteils

herauszustellen. Die Hand zeichnet sich durch die Fähigkeit des Greifens

aus. Anne hebt durch die übertriebene Anzahl an Fingern die Tätigkeit

besonders hervor. Welche entscheidende Rolle der Hand als Greifelement

zukommt, belegt die Transkription: „Der will über die Mauer klettern und zu

seiner Frau.“(Interv. Anne, S.1, Z.19) Deutlich wird die Notwendigkeit der

Hand zum Klettern. Ist die Übertriebene Anzahl an Fingern nicht auch

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Mittel zu einer prägnanten Kennzeichnung? Könnte das Merkmal

Bedeutungsgröße dem Prägnanzprinzip zugeordnet werden? In Philipps

„Warum das Huhn vier Beine hat“ konnte ich einen Hinweis finden, der

meine Annahmen untermauert. Die Termini unterscheiden sich wesentlich.

So lässt Philipps Begriffswahl „Prägnanzdenken“ bereits ein weites Feld

an Anwendungsmöglichkeiten zu. Der Begriff „Denken“ weißt bereits

daraufhin, dass das Kind permanent von dem Bestreben, dem Denken

nach Genauigkeit, während des Zeichenprozesses geleitet wird und

dieses Denken beim Zeichnen jeglichen Objekte präsent ist. Philipps

ordnet dem Prägnanzdenken beispielsweise auch das Prinzip der

Rechtwinkligkeit zu. (vgl. Philipps 2004, S. 53 ff.) Resümierend ist

festzuhalten, dass das Kind mit dem Betrachter durch seine bildnerische

Produktion in Kommunikation tritt und immerzu möglichst genau sein

Verständnis der Dinge präsentieren möchte. Ob die Fachliteratur in all

diesen Fällen von einem Prägnanzprinzip sprechen würde, bleibt bislang

unbeantwortet.

Die Struktur meiner Arbeit ist nach der Unterordnung Philipps

ausgerichtet. Nachdem die Prägnanz erklärt wird, wende ich mich der

Bedeutungsgröße und der Rechtwinkligkeit zu.

Im folgenden Kapitel über die Bedeutungsgröße komme ich noch einmal

auf die Hand des Grüffelo zu sprechen.

5.5 Die Bedeutungsgröße

Betrachtet man die Größenverhältnisse in Zeichnungen von Kindern,

heben sich einzelne Objekte oft gegenüber anderen in ihrer Größe ab.

Nicht die mangelnde kognitive Entwicklung kann als Begründung für die

Größenunterschiede herangezogen werden, sondern die Bedeutung des

Gegenstandes für das Kind ist als Ursache für das Format zu sehen.

Nach Richter wird das Merkmal der besonderen Größe aus vorherigen

Entwicklungsphasen übernommen. Allerdings ergaben sich die

Größenunterschiede in früheren Stufen durch unkontrolliertes Zeichnen.

„Im Bild der Schemaphase dagegen soll dieses Motiv/Motivelement […]

hervorgehoben werden, weil es dem Zeichner besonders bedeutungsvoll,

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bedeutungstragend erscheint. (Richter 1987, S.53) Richter zufolge hat die

Größe einen übergeordneten Wert, der über die funktionale Darstellung

hinaus auf der inhaltlichen Ebene anzusiedeln ist. (vgl. Richter 1987,

S.53ff.) Das vergrößerte Element trägt für den Bildinhalt einen

hervorgehobenen Wert.

Dass bestimmten Elementen eines Gegenstandes durch ihre Größe eine

besondere Funktion beigemessen werden, kann in Annes Grüffelo-

Darbietung kenntlich gemacht werden. Auf die Ausarbeitung der Beine

und der Hand ist vor dem Hintergrund der Größenverhältnisse besonders

zu achten. Beiden Objekten kommt durch ihre Größe eine besondere

Bedeutung zu. Durch mein Beisein am Zeichenprozess ergab sich für

mich die Möglichkeit, neben der Zeichenreihenfolge auch teilweise die

Handlungsmotive der Kinder nachzuvollziehen. Da Anne während ihres

Malaktes gerne spricht, stellt sich das Phänomen der Bedeutungsgröße

für den Betrachter sehr transparent dar. Als mir Anne während ihres

Zeichenprozesses von ihrer Grüffelo-Darstellung (Abb. 2) berichtet, fällt ihr

auf, dass die Figur außergewöhnlich lange Beine kennzeichnen:

„Der hat jetzt ganz lange Beine.“(Feldnotizen, S.2, Z.5)

Die überdimensionalen Extremitäten erklärt sie mit der Neugierde des

Grüffelo, der sich auf die Zehenspitzen stelle, um über die Mauer zu

schauen. „Der steht nämlich auf Zehenspitzen. (Pause) Der will über die

Mauer. Da! Die kommt jetzt.“(Feldnotizen, S.2, Z. 5-6) Die

Bedeutungsgröße der Beine unterlegt sie mit einem tieferen Sinn durch

das Zeichnen einer Mauer, die es für den Grüffelo nun zu überwinden gilt.

„Da muss der nämlich rüber.“(Feldnotizen, S.2, Z.7) Anne zeichnet eine

Hand an den Arm des Grüffelo. Sie beschreibt sein Vorhaben auf die

andere Seite zu seiner Frau zu gelangen: „Der zieht sich da so hoch. Der

will auf die andere Seite zu seiner Frau. Die hatten telefoniert und die

wartet nun auf den.“(Feldnotizen, S. 2, Z.8-9) Die Hand steht signifikant für

ihre Funktion zum Überwinden des Hindernisses. Sowohl die langen

Beine als auch die vergrößerte Hand sind dem Kind für die

Handlungsebene der Zeichnung entscheidend und so der

Bedeutungsgröße zuzuordnen.

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Lara verdeutlicht durch die Bedeutungsgröße die Tätigkeit der Eule in

Abb.1.. Zuvor beschrieb ich, dass Lara in Abb. 1 aus der Eule eine Maus

erstellte und eine ‚neue Eule’ auf den Baum setzte. Die Krallen der

mittlerweile auf dem Baum sitzenden Eule sind dabei auffällig groß

geraten. Warum gerade die Fänge der Eule durch das Prinzip der

Bedeutungsgröße geprägt sind, lässt sich durch die veränderte Tätigkeit

erklären. Anne macht aus der aktiven, gerade noch fliegenden Eule, einen

passiven, sitzenden Vogel. So wie sie die Flügel weit aufgespannt

darstellte, stellt sie nun durch die großen Krallen die Notwendigkeit der

Eule heraus, sich auf dem Ast halten zu können. Veranschaulichend

stehen die Beispiele für das Verwenden der Größe, um Bildelementen

unterschiedliche Priorität zukommen zu lassen. Überspitzt könnte man

sagen, der kindliche Zeichner lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters

auf bedeutsame Inhalte seines Bildes. Die so gelieferten Hinweise bieten

dem Bertachter Interpretationsansätze, die Inhaltsebene des Bildes zu

erschließen.

Das im nächsten Absatz angesprochene Prinzip der Rechtwinkligkeit ist

ein weiteres Merkmal, welches sich der kindliche Zeichner bedient, um

seine Bildaussage präzise darzulegen. Wie zuvor erwähnt, sieht Philipps

die Rechtwinkligkeit als Unterpunkt der Prägnanz.

5.6 Das Prinzip der Rechtwinkligkeit

Um Gegenstände in ihrer Form möglichst klar darzustellen, setzten Kinder

Bildelemente häufig im rechten Winkel aneinander. Zeichnen Anne und

Lara Äste an ihre Bäume, werden sie im rechten Winkel angefügt, um

einen größtmöglichen Richtungsunterschied herzustellen. Zeigt Lara ihre

Figuren in frontaler Position, setzt sie die Arme im rechten Winkel an den

Körper. Gerade Gliedmaßen werden von Kindern häufig im rechten Winkel

zueinander gesetzt.

Eine fliegende Eule, deren Flügel weit aufgespannt und deren lange Beine

im rechten Winkel an dem runden Körper angesetzt sind, wird von Anne

zentral in die Bildmitte ihrer ersten Zeichnung platziert.

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Annes Eule mit rechwinkliger Beinstellung

Die charakteristische Tätigkeit des Fliegens galt es für Anne klar in den

Vordergrund zu stellen. Das Interview gibt Aufschluss zu den von Anne

gesetzten Akzenten. „Da kann die Eule landen, wenn die nach Hause

kommt. Aber jetzt fliegt die ja erst mal.“ (Interv. Anne, S.1, Z. 4-5) Der

großzügige Farbauftrag der Flügel untermauert die Wichtigkeit des

Fliegens zusätzlich. Es stellt sich die Frage für den Betrachter warum das

Kind neben den Flügeln die Beine der Eule betont, die für den Akrt des

Fliegens wenig Relevanz aufweisen. Die Antwort auf die Frage scheint

dennoch in der Betonung der Aktivität zu liegen. Anne stattet die Eule mit

langen Beinen aus, wobei eines nach unten zeigt und das andere im

rechten Winkel zur Seite absteht. Ähnlich wie es Philipps durch den Begriff

„Richtungsstriche“ beschreibt, ist anzunehmen, die Stellung der Beine

drückt Bewegung aus. (vgl. Philipps 2004, S. 62) Da nicht beide dem

Boden zugerichtet sind, sondern eines senkrecht zur Seite spreizt,

untermauert Anne die Tätigkeit des Fliegens.

Paradoxerweise scheint gegen die Intention der Kinder oft das Prinzip der

Rechtwinkligkeit eher zu missverständlichen Darstellungsweisen zu

führen. Lara beispielsweise zeichnet einen Steg, der senkrecht auf die

Flusslinie gesetzt wird und für mich als solcher nicht erkennbar war.

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Maus mit Steg

Vielmehr wirkt es wie ein verlängertes Bein der Maus. Nur durch ihre

Erklärung im Interview und das zeigen mit dem Finger auf den Steg,

wurde das Bildelement als solches für mich deutlich. Ebenso lösen die

Äste, die Anne senkrecht auf ihre Baumkrone stellt, Verwirrung auf Seiten

des Betrachters aus. Wie im Kapitel der Prägnanz bereits erwähnt,

zeichnet Anne außerhalb auf die begrenzte Baumkrone Äste, von denen

keine Zweige abspreizen. Der größtmögliche Richtungsunterschied führt

in dem Falle nicht zum größtmöglichen Verständnis.

5.7 Das Transparenzprinzip

Bilden Kinder Objekte ab, die durch ein „Innenleben“ gekennzeichnet sind,

wird häufig das Transparenzprinzip angewandt. Philipps beschreibt das

'Röntgenbild' als das Darstellen von eigentlich undurchsichtigen Objekten,

welche gezeigt werden als wären sie transparent. (vgl. Philipps 2004, S.

99) Mit der Innensicht des Hauses (Abb.3) bietet uns Anne ein sehr

typisches Motiv für ein Transparentbild, wie es in der Literatur häufig als

Fallbeispiel zur Repräsentation genutzt wird. Exemplarisch erklärt

Schuster das Phänomen an Hand eines Hauses: „Häufig sieht man in

Kinderzeichnungen das Innere mitgezeichnet: z.B. das Innere des

Hauses, das eigentlich durch die Hauswand verdeckt sein müsste[…]“

(Schuster 2001, S. 69) Gründe für die Transparenz sind auf der Ebene

des Inhaltes angesiedelt. Das Abbilden der Objekte scheint dem Kind so

wichtig für die Handlungsebene zu sein, dass ein Verzicht der Darstellung

möglicherweise die Handlungsstrukturen stören könnte. Philipps

untermauert den Wunsch nach Ganzheit: „Die Undurchsichtigkeit ist dem

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Kind bewusst, es geht ihm aber in seiner Zeichnung um

Vollständigkeit.“(Philipps 2004, S. 99)

Annes Haus mit Eingang und Telefon

In Annes Haus ist allerdings nur ein Gegenstand zu sehen, das Telefon.

Bei der Darstellung des Telefons (siehe Abb. 2) handelt es sich um eine

gewollte Innendarstellung. Das Telefon befindet sich im Haus, ist aber für

den Betrachter durch die Hauswand sichtbar, sprich es unterliegt der

'Röntgentechnik'. Schuster beschreibt den Einblick in das Innere eines

Hauses als ein Transparentbild im Sinne eines Raumschnittes. (vgl.

Schuster 2001, S. 71) Dahinter steht die Intention des Kindes, auf etwas

zu verweisen, was sich im Raum befindet. Der Grüffelo möchte sich, da er

sich auf der Rückseite des Blattes befindet, mit seiner Frau in Verbindung

setzen. Neben der Möglichkeit, durch das Klettern über die Mauer seine

Frau zu erreichen, räumte Anne dem Grüffelo eine weitere Möglichkeit ein,

eine Verbindung zu seiner Frau herzustellen. Das Haus des Grüffelo

wurde mit einem Telefon ausgestattet „Ja. Guck (Pause) und da steht

sein Telefon. Da kann der jetzt anrufen. @„Hallo Schatz, ich komm

gleich.“@ Sagt der zu ihr. @“(Interv. Anne, S.2 Z.10) Analog wurde an den

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Baum auf der anderen Blattseite ein Telefon für die Grüffelo-Frau

angebracht. Das Telefon steht für das Verbindungsstück zwischen der

Hauptfigur des Buches und seiner dazu erfundenen Frau. An dieser Stelle

des Interviews nehmen fiktive Element, wie ein Liebesverhältnis beider

Grüffelo-Figuren immer mehr Raum ein. „Die sind verliebt. @“(Interv.

Anne, S.2, Z.10) Anne beschreibt das Warten der Grüffelo-Frau auf den

Anruf ihres Mannes: „Aber die will ja auch telefonieren. Und da is ja auch

das Telefon. (3Sek) Die wartet ja bis ihr Mann anruft, aber macht der

gleich.“ (Interv. Anne, S2., Z.6-7) Die Figur des Grüffelos ist in Annes

Geschichte, konträr zu der Grüffelo-Frau, aktiv. Er klettert über die Mauer

und ruft seine Frau an, während die Grüffelo-Frau zwar gerne telefonieren

möchte, sich aber passiv verhält und geduldig auf den Anruf des Mannes

wartet. Das Verhalten der beiden Figuren erinnert an ein traditionelles

Beziehungsmuster, indem die Frau sich für ihren Mann schön macht: „Die

hat sich ja ganz schick gemacht.“ (Interv. Anne, S.2, Z. 19) und der Mann

vorherrschend die Entscheidungen trifft. Um den Fantasien auf den Grund

zu gehen, müssen Bezüge zur Lebenswelt hergestellt werden. Gegen

meine Vermutung, dass eine Verbindung zu dem Verhalten der Eltern

besteht, kristallisiert sich eher eine Inspiration durch den Fernseher

heraus, wie durch die Transkription deutlich wird: „I: Haben sich deine

Eltern auch auf einer Party kennen gelernt?

A: (Denkt nach.) Weiß ich gar nicht. War ich ja auch nicht da.“(Interv.

Anne, S.2, Z.15-16) Auf meine Nachfrage, ob ein Zusammenhang

zwischen dem Kennenlernen ihrer Eltern und der Idee für das erste

Treffen der Grüffelo- Figuren besteht, reagiert Anne eher verwirrt als

zustimmend. Im Verlauf des Interviews zeigt sich eher eine Verbindung

zwischen den Einfällen ihrer Geschichte zu Fernsehsendungen. Auf meine

Frage nach dem Grund für das Zurechtmachen der Grüffelo-Frau,

antwortet Anne: „Ja, so wie im Fernsehen, wenn die weggehen.“ (Interv.

Anne, S.2, Z.22) Nicht selten implizieren Kinderzeichnungen Anregungen

aus Fernsehserien. Um welche Fernsehfiguren es sich speziell handelt

eröffnet Anne mir im Interview nicht. An dieser Stelle wären weitere

Fragen auch über die Dauer und Regelmäßigkeit ihres Fernsehkonsums

interessant gewesen, die ich bedauerlicherweise versäumt habe.

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Das Telefon veranschaulicht, welche Kette an komplexen Erklärungen an

einem Bildelement hängen, die zu der Erschließung des Bildinhaltes

beitragen können. Nachfolgend wird, passend zu dem durch das Telefon

gefallenen Aspekt der Umklappung, die Thematik der Räumlichkeit

behandelt.

5.8 Die Räumlichkeit

Das Kriterium Räumlichkeit lässt besonders schnell Rückschlüsse auf den

Entwicklungsstand des Zeichners zu. Die Wahrnehmung von Vor- und

Grundschulkindern unterscheidet sich von den Erwachsener. Durch die

bereits erwähnte Simultanperspektive zeigt das Kind dem Betrachter

seinen wechselnden Standpunkt. Nicht eine Perspektive nimmt es

durchgehend während des Zeichnens ein, sondern entscheidet zu

Gunsten der Prägnanz. Die Umklappungen veranschaulichen die

‚Andersartigkeit’ der Denkoperationen des Kindes, welche Reiß als

konkret-anschaulich einstuft. (vgl Reiß 2003, S. 70) Besonders folgende

Fragen treten auf, möchte man die Wahrnehmung des Kindes verstehen:

Wie gehen Kinder damit um, drei-dimensionale Gegenstände aus ihrer

Wirklichkeit auf eine zweidimensionale Fläche zu projizieren? Welche Art

Raumkonzepte tauchen in den Bildern auf? Welche

Unterscheidungskriterien lassen die Konzepte erkennen?

Betrachtet man die Zeichnungen der Mädchen, so fällt das Orientieren an

einem orthogonalen System auf. Ihre Objekte ordnen sie in der

Horizontalen und Senkrechten an. Kennzeichnend sind die aufrecht

stehenden Bildobjekte. In dem Zusammenhang spricht Reiß genau von

der Übergangszeit, in der sich beide Kinder zum Zeitpunkt der Erhebung

befinden. Beim Verlassen der Vorschule und bei Eintritt in die

Grundschule verfügen die Kinder über ein sicheres Raumsystem. (vgl.

Reiß 2003, S. 69) Es ist von dem Erleben eines veränderten

Raumgefühls der Kinder auszugehen. Reiß sieht in ihrem Verständnis von

Räumlichkeit eine Verbindung zu eigenem Empfinden des Kindes: „So wie

sich das Kind auf dem Boden stehend empfindet, so stellt es die

Bildgegenstände aufrecht dar und verwendet ein Konzept, das gleichsam

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einen <<Durchschnitt>> der horizontalen Raumschichtung wiedergibt.“

(Reiß 2003, S.69)

Sehr typisch für Kinder diesen Alters ist das Nutzen der unteren Blattkante

als Standlinie. Wird diese nicht gebraucht, zeichnet das Kind eine

separate Basis durch eine horizontale Linie. Richter erkennt in dem

Einbezug der Blattkante eine Reihenfolge: Erst nutzt das Kind die

Blattkante als Standlinie. Später wird parallel zur Blattkante eine

Bodenlinie gezogen, die die Blattkante ablöst. (vgl. Richter 1987, S. 81)

Nach Richter halten die Kinder noch den ersten Aspekt ein: Auf das

Zeichnen einer Standlinie verzichten Anne und Lara, vielmehr nutzen sie

die Blattkante um Gegenstände zu positionieren. Als Ausnahme ist Laras

erste Zeichnung hervorzuheben, in der sie zwar keine Linie abbildet,

allerdings eine Art Bodenfläche erstellt, um den Fluss deutlich zu

kennzeichnen. Sie zeichnet einen separaten Waldboden durch eine gelbe

Fläche, die sich allerdings nicht komplett horizontal über die Zeichnung

zieht. Lara schafft einen farbigen Kontrast zu dem Blau des Wassers. In

dieser Zeichnung Laras geht es weniger darum eine Linie zu schaffen, um

die Figuren darauf aufrecht zu stellen, vielmehr steht hier der Boden durch

seine inhaltliche Bedeutung im Vordergrund. Der gelbe Farbauftrag lehnt

an die Farbwahl des Buches an. Lara imitiert den Waldboden in seiner

Farbigkeit wie er im Buch vorzufinden ist und ruft zudem noch die

Bildaufteilung des Buches in ihr Gedächtnis.

Laras Abb.1 im Vergleich zum Buch

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Während Anne durchgehend die untere Blattkante gebraucht, um ihre

Figuren zu platzieren, schweben Laras Figuren häufig ein bis zwei

Zentimeter über der Blattkante. Auffällig ist die Distanz zwischen Figuren

und Linie besonders in Abb. 3.

Annes Abb. 3 zur Demonstration von Distanz

Die Entfernung der Figuren könnte durch den Inhalt zu erklären sein. Die

sehr bewegte Szene zeigt den Versuch des Grüffelo, die Maus zu fangen.

Die Bewegung des Fangens und Weglaufens der Figuren könnten die

Anordnung beeinflusst haben. Durch das Schweben der Figuren auf dem

Blatt, besitzt das Bild überspitzt gesehen noch einen Rest an

Streubildcharakter. Wobei das Streubild am Anfang aller Raumkonzepte

steht und häufig durch das Wenden des Blattes zustande kommt. „Die

Bildgegenstände werden gruppiert und erhalten einen festen Standort.“

(Reiß 2003, S.69) Durch die ‚verstreute Anordnung’ ist der Bildraum nicht

in ein Unten und Oben strukturiert. Das lediglich die schwebenden Figuren

in Bild 3 an die vorangehende Phase erinnern und Lara längst das

Streubild überwunden hat, steht außer Frage und zeigt sich in ihren

anderen Zeichnungen deutlich.

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Interpretation

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Vielmehr wenden beide Kinder das Raumkonzept des Standlinienbildes

an. Philipps charakterisiert das Standlinienbild durch eine dreigliedrige

Aufteilung in Boden, Luft und Himmel. (vgl. Philipps 2004, S.89) Reiß

spricht bei der dreifachen Untergliederung von einem Streifen- oder

Linienbild. (vgl. Reiß 2003, S. 69) Analog zu Philipps Beschreibung

werden die Gegenstände im rechten Winkel meist ohne

Überschneidungen auf die Blattkante gestellt. Wie bereits obengenannt,

verweißt er auf das vorherrschend orthogonale System. Der

Zwischenraum, sprich die „Luft“, wird für Fliegendes genutzt, wie

beispielsweise die Eule Annes. Eine dritte Ebene, eine Himmelslinie, bleibt

von beiden Kindern unberücksichtigt. Stellt man einen Vergleich zum Buch

nimmt auch da der Himmel wenig Raum ein. Eher die Bäume des Waldes

nehmen vordergründig den Platz, den die Luftlinie bietet, ein. Anstelle

eines Himmels entwickelt Anne in Abb. 3 eine Mauer, die parallel zu der

oberen Blattkante eine horizontale Linie spannt. Von einer Dreiteilung

nach Philipps kann in diesem Fall nicht ausgegangen werden. Der

gesamte Bildraum stellt eine Bodenfläche dar. Bei einer Schichtung dieser

Art ist nicht von einem Streifen- oder Linienbild zu sprechen. Reiß erkennt

eine weitere Dimension und benennt das Raumkonzept wie folgt: „Nun

gibt es darüber hinaus noch eine weitere, eine vierte Variante, das so

genannte Steilbild. Hierbei verzichten die Kinder auf den <<Luftraum>>

und verwenden die gesamte Zeichenebene als Bodenfläche.“ (Reiß 2003,

S. 70)

Laut Reiß berücksichtigen die Kinder in dem Stadium ihrer Entwicklung in

ihren Zeichnungen noch keine metrischen und euklidischen Bezüge. (vgl.

Reiß 2003, S.70) Die Objekte lassen keine tiefenräumlichen Ansätze zu.

Ebenso ist das Übereinander anordnen von Bildgegenständen eine

Ausnahme, so Reiß: „Überschneidungen und Überlagerungen werden in

der Regel vermieden.“ (Reiß S.70) Gerade in ihrer ersten Abbildung

demonstriert Anne, durch die Reihenfolge nach der sie ihre Figuren auf

das Blatt setzt, ihre Gleichgültigkeit gegenüber Überschneidungen.

Nachdem sie die Bäume gezeichnet hat, setzt sie alle Figuren nach und

nach in die ‚Waldsituation’. Die Position der Grüffelo-Frau beschreibt sie

wie folgt: „Jetzt steht sie da, vor dem Baum.“ (Interv. Anne S.2, Z.5) Anne

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Interpretation

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nimmt die Überlappungen von Grüffelo-Frau und Baum einfach hin. Zuvor

hatte Anne den Standort der Grüffelo-Frau als hinter dem Baum stehend

angegeben: „Die Grüffelo-Frau hat sich hinter dem Baum versteckt, weil

die hören will was die Schlange sagt.“ (2 Sek.) (Interv. Anne, S1. Z.7-9)

Die Figur steht eindeutig vor dem Baum. Denkbar wäre, dass Anne das

Problem, die Frau hinter den Baum zu setzen nicht lösen konnte und sich

deshalb entschied, die Figur vor dem Baum anzuordnen. Wie Reiß

beschreibt, können Kinder den Tiefenraum nicht in ihren Zeichnungen

umsetzen, eher werden Objekte neben einander angeordnet. (vgl. Reiß

2003, S.70)

Logischer erscheint mir aber eine Erklärung durch Mehrdimensionalität

der Figuren. Damit meine ich ihre vielfältigen Handlungsaktivitäten, von

denen Anne berichtet. Die fantasievoll ausgeschmückte Erzählung zu

ihren Bildern kann nicht in einer statischen Figur demonstriert auf der

Zeichnung erfüllt werden, die Figuren sind bewegt und handeln.

Vermutlich ist durch die aktiven Figuren die Unstimmigkeit in den

Aussagen entstanden. Erst muss sich die Grüffelo-Frau verstecken, um

ein Gespräch zu belauschen, später wird sie an das Telefon gehen

müssen, welches vorne am Baum angebracht wurde. Die Divergenz der

Aussagen beschreibt daher vermutlich weniger ein räumliches Problem

Annes. An dieser Stelle hätte im Interview die Frage gestellt werden

können, ob die Grüffelo-Frau nun hinter dem Baum hervorgekommen ist.

Die Gleichgültigkeit Annes gegenüber Überschneidungen demonstriert sie

ebenso durch das Fuchsloch. Am rechten Baum in Zeichnung 1 befindet

sich das Fuchsloch, welches sie nicht auf die leere Fläche des

Baumstammes gesetzt, sondern auf der Stammlinie angeordnet hat,

wodurch sie eine weitere Überschneidung provoziert, die für Anne keine

Störung bedeutet.

Fraglich ist, ob Anne die Überschneidungen bereits erkennt, ihr aber keine

Bedeutung beimisst. Als Anne eine Überlappung auffällt, scheint sie diese

jedoch weniger als Problem zu empfinden. Über das Kollidieren ihrer

Maus mit ihrer Schlangenfigur macht sie sich lediglich lustig und

kommentiert lachend die Überschneidung: “Die Maus beißt die Schlange

in den Po.“ (Interv. Anne, S.1, Z.8)

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Die in einer Zeichnung vorkommenden Figuren sind allerdings nicht

zwingend aus gleicher Perspektive abgebildet. Wie bereits in der

Einleitung erwähnt, können in einem Bild mehrere perspektivische

Blickwinkel vorherrschen. Simultanperspektivisch bietet Lara einen

schrägen Blick von oben auf die Schlange. Grund dafür ist das Muster auf

dem Rücken des Tieres.

Buchillustration im Vergleich mit Laras Schlange

Die Maserung macht für Lara ein signifikantes Merkmal für das Tier aus:

„Die Schlange hat hier so ein Muster auf dem Rücken. Siehste. So Kringel

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hab ich der drauf gemalt, damit das schöner ist und das aussieht wie eine

Schlange.“ (Interv. Lara, S.2, Z.7-9) Die Maus wird frontal dargestellt und

bildet sowohl einen Gegensatz zu der schräg von oben abgebildeten

Schlange als auch zu der umgeklappten Brücke. Den Blick auf die Brücke

erhält der Betrachter durch die Vogelperspektive. „Das sind die Bretter.

Die Brücke wo die drüber gehen müssen. Die ist aus so Brettern ausm

Wald.“ (Interv. Lara, S. 2., Z.15-16) Drei Arten von Perspektive

demonstrieren deutlich die Simultanperspektive des Bildes. Anne schaffte

eine andere Ebene der Räumlichkeit, indem sie das Blatt wendet und die

Rückseite des Bildes mit einbezieht. Es bestand für Anne ohne weiteres

die Option ein weiteres Blatt zum Zeichnen zu nehmen. Die

Vorgehensweise verleiht den Anschein, als wollte sie bewusst den Raum

auf der Rückseite nutzen, um eine Verbindung zur Forderseite zu

erhalten. Der Bildrand ist als Hürde zu sehen, die der Grüffelo überwinden

muss, um zu seiner Frau zu gelangen. Die Rückseite steht somit in

unmittelbarem Zusammenhang zum Geschehen der gegenüberliegenden

Blattseite. Beide Bilder sind nicht separat zu betrachten. Durch ihre

räumliche Verbindung, die sich durch das Wenden des Blattes ergibt, sind

sie vielmehr miteinander in enge Beziehung zu setzen. Die ‚neue’ Art von

Räumlichkeit nutzt Anne zur Unterstützung des Bildinhaltes und

demonstriert den engen inhaltlichen Zusammenhang der Bildelemente

beider Zeichnungen.

Die ausgewählten Beispiele zur Demonstration von Räumlichkeit in der

Kinderzeichnung zeigen sehr unterschiedliche Aspekte. Tiefenraum,

Simultanperspektive bzw. Umklappungen und die Zuordnung eines

Raumkonzeptes bezeugen die Äußerung des Ausmaßes an kindlichem

Raumverständnis.

Das Wissen über Räumlichkeit stufe ich für mich, als werdende

Grundschullehrerin, als besonders wichtig ein. Wie Reiß belegt begleiten

die unterschiedlichen Erscheinungsformen die Schule über einen langen

Zeitraum.(vgl. Reiß 2003, S.69) Im letzte Punkt der Analyse wird die Farbe

der Zeichnungen untersucht.

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Interpretation

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5.9 Die Farbe

Die Farben in einem Bild rufen unterschiedliche Stimmungen hervor.

Sowohl die Farbwahl als auch der Auftrag lenken die Aufmerksamkeit des

Betrachters auf wichtige Bildelemente. Schuster beschreibt den Umgang

mit Farbe in der Kinderzeichnung während der Schemaphase. Innerhalb

der Schemaphase gibt das Kind grundsätzliche Merkmale des Schemas

nicht auf. Dadurch wird ein stärkeres Angleichen an die Realität vorerst

verhindert. Nach Schuster ergibt sich durch die bestehenden Merkmale

eines Schemas die Verwendung lediglich eines Farbtons. Beim Baum

nutzt das Kind die gleiche Farbe für den ganzen Stamm oder die gesamte

Krone. (vgl. Schuster 2000, S. 34) In diesem Zusammenhang spricht man

von der Gegenstandsfarbe. Pro Gegenstand wählt der Zeichner oft nur

einen Farbton aus. Durch das skizzenhafte Vorgehen der Kinder zeichnen

sie eher Umrisse der Objekte, ohne viele Flächen farbig zu füllen. Die

Farben nutzen die Mädchen oft nur für die Kontur der Bildelemente und

nur selten zum flächigen kolorieren. Die Konturen zeichnen sie

vorwiegend, wie Schuster es beschreibt, in einem Farbton. Für den

Grüffelo (Abb. 2) verwendet Lara ausschließlich F, den Fuchs zeichnet sie

in schwarz. Problematisch wurde das Gebrauchen der Gegenstandsfarbe

in ihrer ersten Zeichnung. Für den Baum, als auch für die auf dem Baum

platzierte Eule, verwendete Lara die gleiche Gegenstandsfarbe braun.

Beim Kolorieren des Baumstammes mussten die Farben von Stamm und

Eule aneinander geraten. Dieser Schwierigkeit war sich Lara aber bis

zuletzt nicht bewusst, da sie das Einfärben der Fläche unterbrach und so

das Braun der Eule und des Stammes nicht aneinander geriet, wie aus

dem Interview zu entnehmen ist: „Hab mit dem Baum angefangen hier. Da

wo die Eule drauf sitzt. Die ist auf dem Ast gelandet. Das ist ihr Ast,

(Pause) direkt vor ihrer Wohnung. Das hier ist der Eingang. (Pause) Das

Loch da. Oh, der is ja noch gar nich fertig. (Pause) Der Baum. (3Sek.

Pause) Ich hab mich vorhin so beeilt. (4Sek. Pause) Weil ich nix

vergessen wollte und die Anne ja auch dann was gesagt hat, was wir

vergessen haben.“ (Interv. Lara, S.1, Z.5-9)

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Interpretation

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Laras Eule und Baum in der Gegenstandsfarbe Braun

Um genau dieses Problem der gleichen Farbigkeit zu verhindern, wählen

Kinder eigentlich die Gegenstandsfarben. Im Falle von Lara verwendete

sie ungünstiger Weise die gleiche Farbe für Gegenstände, die auf der

Bildfläche an gleicher Stelle angeordnet sind. Philipps betont durch seine

Begriffswahl die Intention, die einzelnen Objekte in ihrer Farbigkeit von

einander abzusetzen. Er spricht von „Farbe als Mittel der

Gegenstandsunterscheidung“. (vgl. Philipps 2004, S. 83)

In Abbildung 2 zeichnet Lara den Baum in zwei Farbtönen. Der Stamm

wird charakteristisch für einen Baum in braun und die Krone in grün

koloriert. In dem Fall wählt Lara bereits die typischen Farben für den

Baum. Im Zusammenhang der gezielten Farbwahl ist von Merkmalsfarben

zu sprechen.

Konträr zu den Konturen stechen die wenigen farbigen Flächen in den

Zeichnungen der Mädchen hervor. In Laras erster Zeichnung fällt

besonders die Farbigkeit des Bodens und des Flusses auf, wie bereits

zuvor im Kapitel über Räumlichkeit erwähnt wurde. Die Farbwahl weißt

eine starke Übereinstimmung zu der Farbigkeit der Buch-Illustrationen auf.

Auch im Buch werden vorwiegend grüne und gelbe Farbtöne für die

Bodenfläche verwendet, wie der Vergleich der Abbildung belegt. Ohne von

den Einflüssen der Buchillustration gelenkt zu sein, wäre die Wahl für die

Bodenfarbe wahrscheinlich eher braun oder grün gewesen. Für Anne

schien die Farbwahl zu wenig mit der Realität im Einklang zu stehen, wie

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der Ausschnitt der Unterhaltung zwischen den Mädchen während des

Zeichnens aufzeigt: „A: Was malst denn du da?

L: Na den Boden.

A: Wie den Boden? (Pause) So sieht doch kein Boden aus. Der ist doch

nicht gelb. @Der Boden im Wald is braun.@

Lara schaut mich an.

L: Aber macht doch nix, oder?“ (Feldnotizen, S.1, Z.5-9)

Wie bereits durch die Position Schusters hervorgebracht wurde, legen

Kinder diesen Alters kaum Wert auf eine naturalistische Farbgebung.

Fraglich ist, warum Anne den Anspruch an Laras Zeichnung stellt. Sollte

sie möglichst viel Realitätsnähe bezüglich ihrer Farbigkeit schaffen? Ist

bereits ihr ästhetisches Empfinden für die Farbwahl stärker ausgeprägt?

Oder stellen Kinder andere Anforderungen, wenn es sich nicht um eigene

Bilder handelt? Annes Farbwahl zeichnet sich schließlich ebenso durch

den Gebrauch von Gegenstandsfarben aus. Auch Annes Baum ist

komplett in Braun gehalten. Sie differenziert weder die Krone, noch den

Stamm in ihrer Farbigkeit.

In Laras Zeichnungen treten weitere eingefärbte Flächen in Erscheinung.

Die rot leuchtende Zunge der Schlange sticht dem Betrachter, nicht zuletzt

durch das komplementäre Grün des Tierkörpers, direkt ins Auge.

Die rote Farbe ist charakteristisch für eine Zunge und lässt sich aus ihrer

eigenen Erfahrungswelt ableiten. Frei nach dem Denken: ‚Meine Zunge ist

rot, dann wird die der Schlange ebenso rot sein’.

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Interpretation

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Laras Schlange mit rot leuchtender Zunge

Die Betonung der Zunge unterstützt die signifikante Eigenschaft des

Tieres. Ist eine Schlange doch durch ihr Zischen und ihr Giftpotential in

ihrem Maul bekannt. Um die Schlange von einem Regenwurm zu

unterscheiden, ist die Zunge eine prägnante Lösungsmöglichkeit.

Schuster sieht das Erreichen einer Farbharmonie als schwierig an.

Kompliziert sei die Farbwirkung eines Bildes hervorzuberechnen, weil sich

die Farbtöne in Abhängigkeit von Umgebungsfarben ändern. Wirken die

Farben harmonisch in Einklang zueinander, kann durch die als Letztes

hinzugefügte Farbe jeglicher Zusammenklang zerstört werden. (vgl.

Schuster 2000, S.34ff) Während ihrer Entwicklung bildet sich bei den

Kindern zunehmend ein ästhetisches Gefühl für Farbkombinationen aus.

Illustrationen in Bilderbüchern können positiv auf diese Genese einwirken.

Das die Ausbildung eines Gefühls für Farben durch schulische

Instruktionen mit Hilfe von Bilderbüchern unterstützt werden kann, nimmt

auch Kretschmer an. Farben in Bilderbüchern evozieren, kombiniert mit

der Erzählung, eine individuelle Wirkung auf Kinder. Kretschmer erklärt,

dass die Kinder die charakteristischen Gefühlseigenschaften der Farben

verstehen und zwischen warmen und kalten Tönen differenzieren können.

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Interpretation

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(vgl. Kretschmer 2003, S.17) Klar stellt sie heraus: „ Über die Wirkung der

Farben geben Bilderbuchillustrationen Auskunft.“(Kretschmer 2003, S.17)

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Ergebnisse

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6. Ergebnisse

Die Intention der zuvor aufgelisteten Merkmale besteht in dem Erforschen

der kindlichen Bildsprache. Die allgemeinen Aspekte kombiniert mit den

Aussagen des Zeichners und den Beobachtungen des Prozesses haben

bereits zum Verstehen der Sinnzeichen beigetragen.

Dass der symbolische Ausdruck der kindlichen Bildsprache nicht lediglich

auf die Ebene der Kognitionen zu reduzieren ist, sondern vielmehr auch

die emotionale Dimension zu berücksichtigen ist, hat sich nicht nur durch

die Überzeugungen Eggers herausgebildet. Erkenntnisse auf diesem

Gebiet untermauern den Wert der Anwendung von Interviewverfahren, um

genau diese nur schwer fassbare Ebene zugänglicher zu gestalten. Dabei

steht das kommunikative Verhalten des Zeichners zur und innerhalb der

Welt, zentral im Vordergrund der Analyse. So stellt Anne Bezüge zu ihrer

Lebenswelt her und gibt beispielsweise Informationen zu ihrer

Wohnsituation preis. Ich erfahre, dass die Großeltern auf einem Bauernhof

leben und Tiere halten. Für den Betrachter ist allerdings nicht eindeutig,

welche Bildinhalte sich auf realistische und welche sich auf phantastische

Momente zurückführen lassen, da das Kind sie in der Bildsprache

vermischt. So kann ich nur annehmen, dass Anne sich bei der Zeichnung

des Grüffelohauses an den Stall ihrer Großeltern erinnerte. Für eine

Aufschlüsselung ist eine Befragung des Kindes unumgänglich.

Im Falle einer Buchrezeption kann die Lehrperson durch die

Interviewergebnisse Rückschlüsse ziehen, wie gut die Geschichte

verstanden wurde und ob signifikante inhaltliche Meilensteine der

Geschichte als solche vom Kind identifiziert wurden. Da in der Erhebung

aber zu keiner Widererzählung aufgefordert wurde, sollten vergessene

oder missverstandene Szenen des Buches nicht negativ gewertet werden,

sondern lediglich aufzeigen, welche Szenen des Buches nach dem Lesen

möglicherweise zukünftig genauer in der Gruppendiskussion erklärt

werden müssten.

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Ergebnisse

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Durch die Analyse wurden starke Differenzen in der Rezeptionsweise der

Kinder aufgedeckt. Die Zeichnungen beider Kinder zeigen die Buchfiguren

in unterschiedlichen Handlungskontexten, wodurch individuelle

Schwerpunkte des Zeichners gesetzt werden. Laras Auseinandersetzung

verlässt kaum die inhaltliche Handlungsebene des Buches. Ihre

bildnerischen Produkte erinnern an eine Nacherzählung in Form von

Zeichnungen. Die Nähe zum Buch äußert sich auf bildlicher als auch

verbaler Ebene. Zum einen zeigen Vergleiche mit den

Bilderbuchillustrationen teilweise bemerkenswerte Ähnlichkeiten in Farbe

und Komposition auf. Zum anderen kann aus den Interviews die

Gedächtnisleistung Laras zurückverfolgt werden und beweist das

Internalisieren der Reime des Buches.

Das Zusammenspiel aus bildlichen und wörtlichen Erinnerungen führt sie

beispielsweise hin zu einer detaillierten Grüffelo-Darstellung, wie im

Kapitel der Figurendarstellung beschrieben und durch den Vergleich zum

Buch veranschaulicht wird. Im Bilderbuch ist die Maus Bestandteil jeder

Szene. Die zentrale Rolle der Hauptfigur hat Lara erkannt, indem sie die

Maus in jeder ihrer Zeichnungen berücksichtigt. Ein gutes Verständnis der

inhaltlichen Struktur der Erzählung beweist Lara durch das Herausstellen

der Szene, die den Wendepunkt der Geschichte beschreibt. Die Symbolik

des Zusammentreffens beider Hauptfiguren unterstützt sie durch

Komposition und Farbe, wie in Kapitel 5.3.1 beschrieben ist. Anne lässt

den Höhepunkt der Geschichte unerwähnt. Zu Beginn des

Zeichenprozesses noch am Buch orientiert, driftet sie, nachdem sie die

Tiere wie auf einer Bühne in ihrer ersten Zeichnung aufreiht, in ihre fiktive

Welt ab. Die Mehrdimensionalität der Figuren, die durch ihre

unterschiedlichen Handlungen demonstriert wird, hebe ich besonders

durch die Betrachtung der Grüffelo- Frau von Anne im Kapitel des

Transparentprinzips hervor. Sie gestaltet sich durch ihre

Erscheinungsform und Handlungsvielfalt. Wie erwähnt, befindet sie sich

ihrem Mann gegenüber in einer wartenden Position, belauscht allerdings

auch die Schlange und ist bewegt in ihrer Position, einmal vor dem Baum

stehend und einmal dahinter.

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Ergebnisse

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Resümierend stellt sich deutlich Laras sachlich-orientierte

Rezeptionsweise heraus. Annes Zeichnungen sind stärker von ihren

subjektiven Assoziationen geleitet.

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Didaktische Chancen und Aussichten

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7. Didaktische Chancen und Aussichten

7.1 Zur Erhebungsmethode

Die Zugangsweise durch die Interviewbefragung bietet viele

Analysemöglichkeiten, die sich nicht wie häufig bei Bildinterpretationen der

Fall, auf bloße Annahmen durch den objektiv sichtbaren Gehalt der

Zeichnungen stützen, sondern die Erklärungen der Kinder mit

einbeziehen. Bereits trivial erscheinende Äußerungen erweisen sich

später häufig als wertvoller Interpretationsansatz. Peez erkennt

“Heranwachsende ernst zu nehmen, heißt u. a. zuzuhören was sie zu

sagen haben. Auf den ersten Blick möglicherweise banal klingende

Aussagen können sich bei näherer Betrachtung als sehr gehaltvoll

erweisen[…]“(Peez 2005, S.60) Resultierend ergibt sich die Forderung an

die Schule, den Kindern ein offenes Ohr zu offerieren. Neben den

Erkenntnissen, die sich aus den verbalen Äußerungen des Kindes

ergeben, erklärt ein Teilnehmen des Erwachsenen am

Entstehungsprozess oftmals Fragen über die Reihenfolge und die

Vorgehensweise. Nach Peez ist weniger in den bildnerischen Ergebnissen

der Erfolg des Kunstunterrichts zu verzeichnen, vielmehr soll „die

Erkundung der individuellen, im Unterricht angeregten ästhetischen

Prozesse“ (Peez 2005, S.60) den Wert des Unterrichts ausmachen.

Nachdem eine resümierende Auseinandersetzung mit dem didaktischen

Wert der Erhebungsmethode erfolgte, beschäftigt sich der nächste

Textabschnitt mit den didaktischen Ausblicken zu den zeichnerischen

Produktionen der Kinder

7.2 Individuelle Rezeption im Unterricht

Herausstellend ist zu verweisen, dass es sich um eine produktive

Rezeption handelt, die über die bloße passive Aufnahme des Kindes

hinausgeht und eine eigene Umsetzung durch eine individuelle Produktion

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Didaktische Chancen und Aussichten

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impliziert. Die Kinder wurden aufgefordert nach der Rezeption des Buches

eigen-aktiv bildnerische Produktionen zu erstellen. Wie unterschiedlich die

Vorgehensweise zu ein und derselben Aufgabenstellung ausfallen kann,

zeigen die vorliegenden Rezeptionen, wobei lediglich das Material zweier

Probanden analysiert wird. Gegenüber stehen sich Lara, deren

Vorgehensweise eher als eine sachlich- orientierte Wiedergabe des

Inhaltes der Geschichte zusehen ist und Anne, die sich bei der Umsetzung

von ihren subjektiven Assoziationen leiten lässt.

Ähnlich wie hier im vorschulischen Bereich sind Verschiedenheiten bei

schulischen Arbeiten zu erwarten. Grundschulkinder sammeln bereits

wertvolle ästhetische Erfahrungen im Kindergarten und in der Vorschule.

Öffentliche Diskussionen fokussieren zunehmend die Relevanz der

vorschulischen Bildung. Verstärkt gerät die vorschulische Phase in das

Zentrum des Interesses der öffentlichen Bildungsdebatte. Die Bedeutung

für die individuelle Weiterentwicklung des Kindes wurde dabei erkannt.

Um kompetente didaktische Maßnahmen als Grundschullehrerin

einzuleiten, ist es notwenig die Kinder auf ihrem individuellen

Bildungsstand ‚abzuholen’. Daraus entspringt letztlich die didaktische

Notwendigkeit, eine Kooperation zwischen der Bildungsinstanz

Kindergarten und Schule zu schaffen. Gemeinsame Bildungsziele können,

durch die gegenseitige Unterstützung der Instanzen in diesem Prozess,

realisiert werden.

Die schulische Didaktik zielt auf eine Befähigung der Schüler, ihre

individuellen Kompetenzen, orientiert am Prinzip der offenen

Differenzierung, auszubilden. Ausgehend von dem Bemühen das Kind als

Individuum zu sehen, welches durch unterschiedliche Erfahrungen

geprägt wurde, soll jedes Kind seine individuellen Fähigkeiten entfalten

können. Die Anerkennung und Förderung der Differenz und Individualität

des einzelnen Schülers rückt in den didaktischen Fokus. An die

geschilderte Erfordernis schließt die offene Frage an, welche Methoden

die individuelle Rezeption unterstützen? Als didaktische Implikation wäre

denkbar, das Bilderbuch in seiner Funktion als Anregung bereit zu stellen.

In der Schule sollen damit Nischen geschaffen werden, um die Kinder ihre

individuelle Vorstellung von einer Rezeption ausleben zulassen.

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Didaktische Chancen und Aussichten

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Die Möglichkeiten der Methoden sind vielfältig. Letztlich ist besonders

wichtig, dass die Aufgabe möglichst offen formuliert wird, um genügend

Chancen zu bieten, das individuelle Vorgehen zu ermöglichen. Dabei gilt

es, Anreize zu finden, Kinder zu kreativem Handeln zu motivieren.

Ein natürlicher Prozess ist, das Orientieren der Kinder an Produktionen

ihrer Klassenkameraden, wie auch durch Anne und Lara deutlich wird.

Lara orientiert sich häufig an den Zeichnungen Annes, die ihr immer

wieder Eckfeiler der Orientierung bieten. Weiß sie nicht weiter, wendet sie

sich an Anne. Die unterschiedlichen Ergebnisse demonstrieren, dass die

Individualität durch gemeinsames Arbeiten nicht zwangsläufig negativ

beeinträchtig wird und mit den immer gleichen Ergebnissen zu rechnen ist.

Entgegen vieler Annahmen muss die Chance im gegenseitigen Antrieb zu

neuen Ideen erkannt werden.

Die didaktische Leitidee sieht besonders den Wert im Lernen von

Anderen. Der Austausch der Kinder über ihre individuelle Rezeption zeigt

exemplarisch auf, wie facettenreich Aufgaben durch unterschiedliche

Herangehensweisen zu kreativen Lösungen führen. Im Unterricht würde

es sich anbieten, die Gelegenheit zu nutzen untereinander die Ideen

vorzustellen. Parallel zum Gemeinschaftsbewusstsein wird Interaktions-

und Kooperationsbewusstsein unterstützt.

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Literaturverzeichnis L

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Anhangsverzeichnis L

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Anhangsverzeichnis

A 1 Bilderverzeichnis

A 1.1 Laras Zeichnungen im Überblick

A 1.2 Annes Zeichnungen im Überblick

A 2 Transkriptionen

A 2.1 Transkription Lara

A 2.2 Transkription Anne

A 2.3 Feldnotizen

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Anhangsverzeichnis L

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A 1. 1 Laras Zeichnungen im Überblick

Abbildung 1

Abbildung 2

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Anhangsverzeichnis L

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Abbildung 3

Abbildung 4

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Anhangsverzeichnis L

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A 1. 2 Annes Zeichnungen im Überblick

Abbildung 1

Abbildung 2

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Anhangsverzeichnis L

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Abbildung 3

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Anhangsverzeichnis L

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A 2. 1Transkription Lara

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A 2.1 Transkription von Anne, Seite 1

Interview mit Anne nach Beendigung des Zeichenprozesses

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A: Anne, du hast für mich ein spannendes Bild gemalt. Was ist denn darauf zu 1

sehen. Magst du mir dazu ein bisschen was erzählen?2

A: Das is zu dem Buch dem Grüffelo. Zuerst hab ich die Bäume da gemalt. Mit so 3

Zweigen und dem Loch für die Eule. (Zeigt auf den abstehenden Ast.) Da kann die 4

Eule landen, wenn die nach Hause kommt. Aber jetzt fliegt die ja erst mal. (5 Sek. 5

Pause) Dann hab ich die Maus da gemalt. Die zu der Eule geht, aber die hat ja 6

Angst. Und dann die Schlange, die die Maus besucht. Aber die hat ja auch Angst. 7

(Lacht) @Die Maus beißt die Schlange in den Po.@ (3 Sek. Pause) Die Maus hat 8

jetzt einen Rock an. (Lacht) Die hatte die Beine so schräg, dann hab ich das da so 9

ausgemalt. Dazwischen so, weißte?10

I: Ach du meinst das Braune hier.11

A: Ja, @jetzt@ trägt die halt n Rock. (Lacht) (5 Sek. Pause) Und dann kommt der 12

Grüffelo. (4 Sek. Pause) Ah nee, der Fuchs is ja noch da. Die Maus geht zum 13

Fuchs. Aber der hat ja auch Angst und läuft dann ganz schnell in seine Höhle. (Mit 14

ihrem Finger fährt sie den Weg nach, den der Fuchs läuft.) Zischhhh, ganz schnell 15

flitzt der da rein. (4 Sek.) Da kommt der Grüffelo nich ran, wenn er will. (3Sek.) Aber 16

der is ja eh nich da. Nur seine Frau. Und die tut ja auch nichts. (4.Sek.) Die Grüffelo-17

Frau hat sich hinter dem Baum versteckt, weil die hören will was die Schlange sagt. 18

(2 Sek.) Der Grüffelo ist noch auf der anderen Seite.19

(Papierrascheln. Wendet das Blatt.) Da ist der. (3 Sek. Pause) Der will über die 20

Mauer klettern und zu seiner Frau. (Blättert wüst hin und her.) Aber hab ich dir doch 21

schon erzählt! (Blättert noch einmal.) Ach ja, und hier is nur noch mal sein Haus. 22

Fertig! 23

I: Na das klingt ja sehr aufregend. Anne, ich möchte dir jetzt gern noch ein paar 24

Fragen stellen, ja? Fangen wir mal mit der ersten Zeichnung an. (2 Sek.) Du hast 25

erzählt die Eule und die Schlange haben Angst. Warum haben die denn Angst?26

A: Vor der Maus. Und die hat nämlich gar keine Angst, obwohl die ja so klein ist.27

I: Warum haben die Angst vor der Maus? 28

A: Keine Ahnung, echt dumm, die wissen das wohl einfach nicht, dass die nix tut.29

I: Was meinst du als du gesagt hast, die Grüffelo-Frau hat sich versteckt? Was sagt 30

denn die Schlange?31

A: Na irgendwelche Geheimnisse.32

I: Geheimnisse?33

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A 2.1 Transkription von Anne, Seite 2

Interview mit Anne nach Beendigung des Zeichenprozesses

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A: Ja über die anderen. 1

I: Weißt du welche?2

A: Neeee.3

I: Und das hier ist die Frau vom Grüffelo?4

A: Ja. Die hat doch auch so Lippenstift und ist @geschminkt@. (Pause) Wie so eine 5

richtige Frau. (4 Sek.) Die musste da ja noch hin. Jetzt steht sie da, vor dem Baum. 6

Aber die will ja auch telefonieren. Und da is ja auch das Telefon. (3Sek.) Die wartet 7

ja bis ihr Mann anruft, aber macht der gleich. 8

I: Der war doch hier, ne? (Blättert um.) 9

A: Ja. Guck (Pause) und da steht sein Telefon. Da kann der jetzt anrufen. @„Hallo 10

Schatz, ich komm gleich.“@ Sagt der zu ihr. @Die sind verliebt.@ 11

I: Verliebt?12

A: Die haben sich auf ner Party kennen gelernt. (Lacht)13

I: Und dann mochten die sich gleich?14

A: Ja, ja..die sind nu verliebt.15

I: Haben sich deine Eltern auch auf einer Party kennen gelernt?16

A: (Denkt nach.) Weiß ich gar nicht. War ich ja auch nicht da. 17

I: Aber der Grüffelo möchte nun zu seiner Frau? Wo ist er denn grade?18

A: Also der Grüffelo ist halt da bei seinem Haus. Und die Frau ist ja im Wald. (Lacht) 19

Die hat sich ja ganz schick gemacht. Guck mal hier, da hab ich dem noch ne Warze 20

auf die Nase gemalt.(Lacht) 21

I: Schick gemacht? 22

A: Ja, so wie im Fernsehen, wenn die weggehen.23

I: Im Fernsehen, bei einer Serie? Wer geht denn da weg? 24

A: Na alle da, ins Kino und Eis essen und so.25

I: Uhh na das klingt gut, Eis ist ja lecker. (…)Das ist sein Haus?26

A: Hier ist die Tür, also das hier (Pause) Das Loch. (Pause) Wie bei der Eule. Und 27

hier sind so Bretter halt. Da, siehste, wo auch das Telefon ist, dass der seine 28

Grüfello-Frau anrufen kann. Aber jetzt will der ja gar nicht anrufen. Jetzt will der ja zu 29

ihr.30

I: Bretter? 31

A: Ja, so Bretter, die außen am Haus sind, wie bei uns am Stall, da sind auch so 32

Bretter. 33

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A 2.1 Transkription von Anne, Seite 3

Interview mit Anne nach Beendigung des Zeichenprozesses

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I: Am Stall bei euch zu Hause? Ach ja, lebst du nicht auf nem Bauernhof?1

A: Ja, Oma und Opa.2

I: Habt ihr denn auch Tiere?3

A: Klar, ganz viele Kühe und auch ein paar dicke Schweine. (lacht)4

I: Was ist denn das da oben? (Zeigt auf den rechter Baum oben in Abb.1)5

A: Na das sind doch die Äste und darunter sind doch die Blätter. Weißte nicht das n 6

Baum Äste hat? (Lacht)(Pause)7

So jetzt will ich nicht mehr reden. Ich geh spielen, ja?8

I: Klar kannst du spielen gehen. Schön, dass du mir so viel erzählen konntest.9

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Anhangsverzeichnis L

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A 2. 2 Transkription Anne

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A 2.2 Transkription von Lara, Seite 1

Interview mit Lara nach Beendigung des Zeichenprozesses

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I: Lara du hast also auch ein Bild über das Buch gemalt? Erzählst du mir ein wenig, 1

was du dir dabei gedacht hast und wie du vorgegangen bist?2

L: Ja also das ist von der Geschichte. Von dem Grüffelo und der Maus, dass haben 3

wir gelesen und dass fanden wir alles so schön. (3 Sek.)4

Hab mit dem Baum angefangen hier. Da wo die Eule drauf sitzt. Die ist auf dem Ast 5

gelandet. Das ist ihr Ast, (Pause) direkt vor ihrer Wohnung. Das hier ist der Eingang. 6

(Pause) Das Loch da. Oh, der is ja noch gar nich fertig. (Pause) Der Baum. (3 7

Sek. Pause) Ich hab mich vorhin so beeilt. (4 Sek. Pause) Weil ich nix vergessen 8

wollte und die Anne ja auch dann was gesagt hat. Was wir vergessen haben. (3 Sek. 9

Pause) Die Maus geht zu der Eule. Die geht über den Steg da. (Zeigt auf den Steg.) 10

Da is ja der Fluss und die muss darüber, weil die ja zur Eule geht. Dann balanciert 11

sie. Sie will ja nicht das es platsch macht.12

Auf dem nächsten Blatt ist der Grüffelo. Alle haben nämlich Angst vor dem. Der sieht 13

so böse aus. (Pause) Der ist ja ein Monster und der hat schreckliche Zähne. (Pause) 14

Wie hier auf dem Bild. Knorpelige Knie. (Zeigt auf den Grüffelo Abb. 2) Und auch die 15

großen Arme mit Klauen wo der die Maus ja mit fangen will (Pause). Mit 16

schrecklichen Klauen dran. Aber die Maus hat keine Angst vor dem. (Pause) Die isst 17

ja am Ende die Nuss und ist allein. Im Wald sitz die. Und dann ist die Geschichte 18

nämlich vorbei. (Lange Pause)19

I: Möchtest du noch etwas erzählen?20

L: Mir fällt nichts mehr ein. 21

I: Dann würd ich dir gern noch einige Fragen stellen. Du hast erzählt der Grüffelo 22

möchte die Maus fangen?23

L: Ja will der! Die ist ja nicht blöd. Aber der Fuchs. (Pause) Und so. (Pause) Die 24

haben alle Angst, bloß die Maus nich. (Pause) Der Fuchs hat aber eine Wohnung in 25

dem Baum und rennt rein wenn der Grüffelo kommt. Der ist ein Angsthase. Und die 26

Eule hat ja ihr Loch da.27

I: Und die Maus hat keine Wohnung? 28

L: Nö, braucht die ja auch nich, die hat ja keine Angst und läuft dann auch nicht weg.29

Hättest du denn keine Angst vor dem Grüffelo? 30

L: Ich? Doch, der sieht ja auch so gefährlich aus. Der hat ja auch so schlimme 31

Hauer. (Pause) Wenn ich im Wald bin und ein Grüffelo kommt, renn ich auch weg. 32

(Schmunzelt) Ich hab auch Angst im Wald.33

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A 2.2 Transkription von Lara, Seite 2

Interview mit Lara nach Beendigung des Zeichenprozesses

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I: Warum hast du denn Angst dort? 1

L: Weil das da so dunkel ist und so viel Tiere sind.2

I: Bist du denn manchmal im Wald.3

L: Eigentlich nicht.4

I: Aber hier sind ja viele Wälder, ne?5

L: Ja genau,(Pause) hinterm Garten is auch einer.6

I: Was ist denn mit der Schlange?7

L: Die hat auch Angst. Aber erst will sie die Maus essen. (Pause) Die Schlange hat 8

hier so ein Muster auf dem Rücken. Siehste. So Kringel hab ich der drauf gemalt, 9

damit das schöner ist und das aussieht wie eine Schlange.10

I: Die Schlange will die Maus essen? Steht das im Buch?11

L: Mmh. Weiß ich gar nicht. Aber ist doch so, oder? Schlangen essen doch Mäuse? 12

Hab ich mal im Fernsehen gesehen.13

I: Stimmt das tun die. Im Zoo sieht man das auch manchmal bei der Fütterung. Und 14

was ist das hier? (Zeigt auf die Rechtecke in Abb.4.)15

L: Das sind die Bretter. Die Brücke wo die drüber gehen müssen. Die ist aus so 16

Brettern ausm Wald.17

I: Ich habe da noch mal eine Frage zu dem Bild. (Zeigt auf den Mäusekopf in Abb.2.) 18

Was ist denn das?19

L: Ach (Pause) das ist die Maus, (Pause) die hab ich noch nicht ganz fertig. Da 20

musst ich mich auch so beeilen. Weil ich da an den Fuchs gedacht habe, weil die 21

Anne den schon gemalt hat. 22

I: Beschreib mir doch mal deinen Grüffelo.23

L: Also der ist das da. Der ist ganz groß, hat eine lange Zunge. (Schüttelt sich) Ganz 24

eklig ist die. Der hat auch ganz viel Fell und knorpelige Knie. Die sind ganz hart. 25

(Pause) Und Krallen hat der auch, weil der böse aussehen muss.26

I: Jetzt beschreib mir doch mal den Grüffelo auf dem anderen Blatt.27

L: Hier ist der besonders gruselig. Weil er die Maus jagt. Der will die Maus fressen 28

und hat ganz gemeine Zähne und große, (3 Sek. Pause) nee, feurige Augen.29

I: Und was macht die Maus als sie ihn sieht? Weiß sie, dass sie in Gefahr ist?30

L: Sie rennt weg, aber die ist ja nicht so ängstlich. Der macht dann ja doch nichts.31

I: Und warum macht der nichts?32

L: Will der dann nicht, der lässt die Maus allein. (Pause)33

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A 2.2 Transkription von Lara, Seite 3

Interview mit Lara nach Beendigung des Zeichenprozesses

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Darf ich auch spielen jetzt?1

I: Ja sicher darfst du das. (Lache) Lieb, dass du mir geholfen und so viel erzählt hast.2

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Anhangsverzeichnis L

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A 2. 3 Feldnotizen während des Zeichnens

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A 2.3 Feldnotizen, Seite 1 -

Feldnotizen während des Zeichenprozesses

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L: Anne, was malst du jetzt grade? 1

A: Die Eule mal ich. Und dann ihr Haus. 2

L: Den Baum?3

A: Ja.4

Lara denkt nach und unterbricht den Zeichenprozess.5

L: Ach ja die sitzt ja auf dem Baum. 6

Auf den Ast ihres Baumes setzt sie nun eine Eule. Nach einigen Minuten richtet sie 7

sich an mich und äußert sich zu ihrer ersten Zeichnung.8

L: Die Maus fliegt. Lustig! (Lacht und zeigt auf die Maus) Die sollte ja auch erst die 9

Eule werden. 10

I: Und warum ist sie es dann doch nicht?11

Lara: Weil die ja über den Steg geht. Die Eule musste ja auf den Baum.12

I: Weil die Anne das gesagt hat?13

L: Ja, weil das ja auch im Buch so ist. 14

A: Was malst denn du da?15

L: Na den Boden.16

A: Wie den Boden? (Pause) So sieht doch kein Boden aus. Der ist doch nicht gelb. 17

@Der Boden im Wald is braun.@18

Lara schaut mich an.19

L: Aber macht doch nix, oder?20

I: Du darfst malen was und wie dus magst.21

Beide setzen das Zeichnen fort.22

Lara zeichnet den Grüffelo. (Abb.3)23

L: (Flüsternd vor sich her.) Der Grüffelo hat knorplige Knie,(4Sek. Pause) eine 24

grässliche Tatze, (Pause) vorn im Gesicht ne giftige Warze.25

I: Ach, dass hast du dir gemerkt? 26

L: Ja klar. Der erste Spruch von der Maus, der is doch ganz einfach. Da sagt die der 27

Grüffelo hat schreckliche Hauer und schreckliche (Pause) Klauen und schreckliche 28

Zähne um Tiere zu kauen.29

I: Hast du das Buch so oft gehört?30

L: Mmh. (Pause) Also einmal bei Frau Voß und einmal in der Gruppe, nee und bei 31

Frau Winkels. Das wars.32

Anne zeichnet den Grüffelo im Stehen (Abb.2).33

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A 2.3 Feldnotizen, Seite 2 -

Feldnotizen während des Zeichenprozesses

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A: Guck mal jetzt. (Zieht an meinem Ärmel) Der guckt dann nämlich so, guck!1

Der guckt ja böse, der Grüffelo. Und mit den Zähnen dann so. (Pause, zeichnet eine2

Grimasse) Guck so.3

Das is der Grüffelo. (Zeichnet die Arme aus, unterbricht ihre Aktivität) Mit einer 4

Warze auf der Nase. Lustig! (Grinst, setzt das Zeichnen der Arme fort und ergänzt 5

die Beine) Der hat jetzt ganz lange Beine. (Lacht) Der steht nämlich auf 6

Zehenspitzen. (Pause) Der will über die Mauer. Da! Die kommt jetzt. (Zeichnet die 7

Mauer) Da muss der nämlich rüber. (Zeichnet die Hand) Der zieht sich da so hoch. 8

Der will auf die andere Seite zu seiner Frau. Die hatten telefoniert und die wartet nun 9

auf den.10