Inhalt INHALT 0. Vorwort ......................................................................................................... 4 1. Die widersprüchliche Wirklichkeit der Berufsschullehrer - Expedition in einen unentdeckten Alltag (Gerhard Drees) .......................... 9 2. Analysen zum Methodeneinsatz im berufsbezogenen, kaufmännischen Unterricht (Jens Klusmeyer) ............................................ 23 3. Das Juniorenfirmenkonzept: Von einer handlungsorientierten Lernstrategie zur unternehmerischen Selbstständigkeit (Helmut Woll) ...... 39 4. Juniorenfirmen: Vom Prototypen eines neuen berufsbildenden Lehr- Lernkonzeptes zur ausdifferenzierten Lernform - Beispiele aus Sachsen - (Andreas Neubert) ............................................ 45 5. Das Projekt „Junior“ am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Theorie und Praxis (Karen Redlich/Ingo Hunger). ..................................... 61 6. Aus Erfahrung klug- Unternehmenssimulationen in der beruflichen Ausbildung (Thorsten Möhlmann)............................................................... 73 7. Arbeit erfinden (Jürgen Engel) ................................................................... 87 8. Was ist unternehmerische Kompetenz? (Reinhard Neumann) ................. 101 9. Story telling: New economy and jazz (Helmut Woll) ............................... 109 10. Anhang.................................................................................................... 113 Literatur- und Materialiensammlung (Friederike Strehle) ..................... 118 Verzeichnis teilnehmender Junioren- und Schülerfirmen im April 2002 (Andreas Neubert) ........................................................... 120
Manuskript-Juniorenfirmen-Korrektur.PDF4
Kooperationspartner
Gesellschaft der Freunde der TU Chemnitz
Vorwort
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0. Vorwort
Der vorliegende Sammelband ist im Rahmen der 3. Sächsischen
Junioren- und Schülerfirmenmesse an der TU Chemnitz entstanden. Sie
fand am 26./27. April 2002 statt. Das Motto lautete: "Schüler von
heute, Unternehmer von morgen?!" Insgesamt stellten 19
Miniunternehmer mit ca. 90 Schülern, Azu- bis, Lehrern und
Ausbildern ihre Ergebnisse vor. Die Firmenprodukte er- streckten
sich von der Pizzaherstellung bis zum Internetservice. Zum laufen-
den Messebetrieb im Foyer des Zentralen Hörsaal- und Seminargebäude
der TU Chemnitz wurde ein zusätzliches Vortragsprogramm angeboten.
Die Ver- anstaltung wurde organisiert vom Arbeitskreis
"Juniorenfirmen" und vom Re- gionalschulamt Chemnitz, dem
Bildungswerk der Sächsischen Wirtschaft e.V., der Gesellschaft der
Freunde der TU Chemnitz und dem VLW Sachsen finanziell unterstützt.
Im folgenden werden die Vorträge in überarbeiteter Form
dokumentiert, dabei wurden auch einige Beiträge (Neumann, Engel)
zur Existenzgründung für diese Veröffentlichung neu konzipiert und
sind als eine thematische Erweiterung und Ergänzung gedacht.
Aus didaktischen Gründen ist es sinnvoll, komplexe
Lehr-Lernstrategien in der beruflichen Bildung umzusetzen:
Fallstudien, Planspiele, Übungs- und Ju- niorenfirmen, Simulationen
etc. Die Ausbildungsrealität zeigt aber, dass inno- vative Konzepte
schwer umzusetzen sind. Der Beitrag von Gerhard Drees be- leuchtet
die Rolle der Berufsschullehrer in diesem Wandlungsprozess. Sein
empirisches Material dazu entstammt den Ergebnissen Dortmunder For-
schungsarbeiten zur Begleitung der Umsetzung von
Innovationsmaßnahmen. Diese Forschungen zeigen eine große
Zurückhaltung der befragten Berufs- schullehrer gegenüber neuen
handlungsorientierten Lehr-Lernstrategien. Im Zweifelsfall
entscheiden sich die Lehrer für bewährte Handlungsmuster. Man
befürwortet in aller Regel die neuen Formen berufsschulischen
Lehrens und Lernens und würde gern in dieser Weise arbeiten, es
fehlen aber dazu meist die Voraussetzungen: Prüfungen, Stofffülle
etc. Damit ist eine latente Frustra- tion vorprogrammiert. Komplexe
didaktische Innovationen, die von den Leh- rern ein hohes Maß an
Engagement schon bei der Erarbeitung und erst recht bei der
Umsetzung erfordern, können nicht per Verwaltungsakt eingeführt
werden. Drees plädiert für einen realistischen Reformprozess in den
Berufs-
Vorwort
6
schulen: bessere Kooperation der Lehrer untereinander, Kooperation
von Leh- rern und Schulbehörde, vor allem Verbesserung der
Bedingungen vor Ort.
Der Beitrag von Jens Klusmeyer fasst erste Zwischenergebnisse aus
dem BLK-Projekt „Erfassung und Analyse vorherrschender Lernmethoden
und Unterrichtsstile im berufsbezogenen Unterricht in ausgewählten
Berufsfeldern der dualen Berufsausbildung“ zusammen. Es geht um ein
reales Bild über die im Unterricht eingesetzten Lehr-Lernmethoden.
Die empirische Datenbasis zu diesem wichtigen Thema ist sehr
gering. Klusmeyer hat versucht, durch aus- führliche Befragungen
diese Lücke ein klein wenig zu schließen. Er hat nach der Stellung
des Frontalunterrichts gefragt und auch nach den Hemmnissen, die
einem Einsatz handlungsorientierter Methoden entgegenstehen. Seine
Er- gebnisse sind ernüchternd. Der Frontalunterricht dominiert, und
die aktiven Lernmethoden nehmen nur eine ergänzende Funktion ein.
Vor allem der hohe Zeitaufwand wird gegen die aktiven Lernmethoden
in den Befragungen ge- nannt. Die handlungsorientierten
Methodenarrangements haben allenfalls ei- nen
„Leuchtturmcharakter“. Klusmeyer spricht sich dabei dafür aus, dass
das unterrichtsmethodische Repertoire der Lehrkräfte in Bezug auf
handlungsori- entierte Methoden zu erweitern ist. Dabei geht es vor
allem um intensivere Übungen und Erfahrungen im Umgang mit neuen
Methoden. Dabei wären Formen des Coaching, Mentoring, Moderation
etc. in die Programmentwick- lung der berufsbildenden Schulen
einzubeziehen. Da der Frontalunterricht auch in Zukunft von
Bedeutung sein wird, plädiert Klusmeyer für eine Ver- besserung und
Weiterentwicklung dieser Unterrichtsmethode.
In dem Beitrag von Helmut Woll wird das Juniorenfirmenkonzept als
aktive Lehr- Lernmethode erläutert. Es wird abgegrenzt von der
Übungsfirma und vom Lernbüro. Dabei wird deutlich, dass dieses
Konzept einem Bedeutungs- wandel unterlegen ist. Zunächst
eingeführt in Fortsetzung der Projektmethode im Rahmen einer
handlungsorientierten Ausbildungsreform, u.a. zur besseren
Motivierung der Auszubildenden, d.h. von Lohnempfängern. In den
letzten Jahren wird aber stärker der Aspekt betont, dass die
Juniorenfirmen auch ei- nen Impuls leisten sollen in Richtung einer
Ausbildung zum unternehmeri- schen Verhalten (Entrepreneur).
Andreas Neubert beschreibt die einzelnen Junioren- und
Schülerfirmen, die sich auf der 3. Sächsischen Messe präsentiert
haben, in ihrem Selbstverständ-
Vorwort
7
nis und ihrer Zielsetzung. Es haben sich 19 Miniunternehmen
vorgestellt. Die Aufgaben der einzelnen Unternehmen ist sehr
heterogen. Sie reichen von der Pizzaherstellung bis zur
Visitenkartenerstellung. Es zeigt sich hierbei die Plu- ralisierung
der Organisations- und Arbeitsformen in Juniorenfirmenkonzep- ten,
die übergreifend zu beobachten sind.
Außerdem hat sich das Projekt JUNIOR eigenständig dargestellt.
Karen Red- lich und Ingo Hunger beschreiben ausführlich das Projekt
„JUNIOR“ im Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. JUNIOR wird
in 12 Bundesländer an allen Schulformen ab Klasse 9 angeboten.
10-15 jährige Schülerinnen und Schüler gründen ein auf ein
Schuljahr angelegtes JUNIOR-Unternehmen. Im Unterschied zu
Planspielen erleben die Beteiligten Wirtschaft live. Es wird eine
Geschäftsidee entwickelt, die bis zur Marktreife und darüber hinaus
um- gesetzt wird. Die JUNIOR-Geschäftsstelle in Köln übernimmt im
Rahmen des Projektes die Rolle des Staates. Die Unternehmen müssen
Steuern, Lohn- und Sozialabgaben zahlen sowie monatlich
Buchführungsunterlagen einreichen. Dabei kommt es nicht darauf an,
von Anfang an alles richtig zu machen. Im Sinne des Schulprojektes
ist es vielmehr, die erforderlichen Lernprozesse zu initiieren.
Während des gesamten Schuljahres werden die Unternehmen daher
betreut. Als Reaktion auf die eingesandten Buchungsunterlagen
erhalten sie ausführliche Rückmeldungen, die Richtiges loben und
Falsches anmerken. Des Weiteren gibt es für die Schüler die
Möglichkeit, sich in der Wirtschaft einen Wirtschaftspaten zu
suchen. Während des Jahres treffen sich die Unter- nehmer, um
Erfahrungen auszutauschen und Kontakte zu knüpfen oder auch einfach
nur um Probleme zu besprechen. In einem Abschlussbericht werden die
Erfahrungen gesammelt und zur Diskussion gestellt.
Die Ausführung von Thorsten Möhlmann fragt nach dem Vorwissen im
Un- terrichtsgeschehen. Wie können Schüler heute ihr Vorwissen
nutzen und es morgen optimal in Planspielen und Juniorfirmen
erweitern? Die Schüler kommen bereits mit unterschiedlichem
Vorwissen in die Lerngruppen. Sei es aufgrund unterschiedlicher
Schulformen, des Alters oder weil sie ohne Schul- abschlüsse in die
nächst höhere Schulform eintreten. Diese Unterschiede kön- nen den
Lernprozess bremsen aber auch Nutzen stiften. Möhlmann führt drei
Methoden aus, die es ermöglichen Vorwissen zu erheben: Story
Telling, Pa- piercomputer und die Entscheidungslandkarten. Bei der
Erhebung des Vor-
Vorwort
8
wissens geht es nicht um eine komplette Bestandsaufnahme des
Vorwissens zu einem bestimmten Bereich. Es geht vielmehr darum,
eine Verständigung über die eigenen Bilder vom Unternehmen oder
Ausschnitten davon im Kopf zu explizieren, zu externalisieren.
Kurz: das Wissen auszubilden, welches man sich im bisherigen
Bildungsgang eingebildet hat, um es anderen an- schließend zu
zeigen.
Jürgen Engel stellt das Projekt "Arbeit erfinden" vor. Es wurde im
Jahre 1997 von der Quickborner Beratungsfirma Metaplan Projektforum
entwickelt und erprobt. In den folgenden Jahren sind nach diesem
Konzept bundesweit zahl- reiche Workshops durchgeführt worden. An
der TU Chemnitz ist dieses Kon- zept im SS 2000 von Jürgen Engel
eingesetzt worden. Adressaten waren Stu- dierende der
Philosophischen Fakultät, die eine Existenzgründung -in den Be-
reichen Übersetzungsbüros, Sporttourismus, Berufsberatung etc.,
beabsichtig- ten. Im SS 2003 wird diese Arbeit fortgesetzt.
Reinhard Neumann ist Lehrbeauftragter der TU Chemnitz für die
Thematik des computerunterstützten Rechnungswesens (Lexware). Er
hat aber auch vielfältige Erfahrungen im Coaching von
Existenzgründern, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern. Dieses
vielfältige Wissen hat er in seinem Bei- trag „Was ist
unternehmerische Kompetenz?“ dargestellt.
In Deutschland mangelt es an dynamischen Unternehmern, weiterhin
gibt es noch relativ wenig Existenzgründungen aus den Universitäten
heraus. Eine er- folgreiche Ausnahme ist Professor August-Wilhelm
Scheer. Er ist Betriebswirt mit dem Schwerpunkt
Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlan- des. Er hielt
an der TU Chemnitz im Januar 2002 einen Vortrag zu den Bezie-
hungen von Jazz und Management. Er hat seine Ideen auch in einem
Buch vorgelegt, das Helmut Woll inhaltlich referiert.
Die vorliegende Publikation wurde von der Chemnitzer
Wirtschaftsförde- rungsgesellschaft (CWE) und vom Institut für
soziale Gegenwartsfragen in Freiburg finanziell unterstützt und von
A. Neubert zeitaufwendig zusammen- gefügt. An dieser Stelle dafür
einen herzlichen Dank.
Helmut Woll Chemnitz, im April 2003
9
schullehrer - Expedition in einen unentdeckten
Alltag
Die folgenden Ausführungen sind dem etwa einstündigen
Eröffnungsvortrags zur 3. Juniorenmesse Sachsen „Schüler von heute
- Unternehmer von mor- gen!?“ entnommen. Darin sollte, so der
Auftrag der Veranstalter, die Lehr- /Lernkonstellation
„Berufskolleg“ kritisch und pointiert beleuchtet werden mit dem
Ziel, die Diskussion unter den Teilnehmern anzuregen. Zu den
Aspekten berufsschulischen Lehrens und Lernens, die dabei aus Sicht
der Lehrer und der Schüler hinterfragt wurden, zählte ein
eigentümliches Missverhältnis zwi- schen aufwändigen
administrativen Initiativen zur Implementation jeweils ak- tueller,
hoch ambitionierter didaktischer Konzepte einerseits und im Schnitt
enttäuschenden Wirkungen solcher Initiativen auf die
berufsschulische Praxis andererseits. Es wurde nach den Gründen
gefragt und dabei die Annahme vorausgeschickt, dass bei den
komplexen bürokratischen Verfahren zur Ein- führung der
angesprochenen Neuerungen eines viel zu wenig berücksichtigt wird:
Berufsschule konstituiert sich über die Praxis der
Berufsschullehrer und diese wiederum auf der Grundlage
individueller Situationsinterpretationen und der daraus
abgeleiteten Handlungsstrategien, in die vielfältige Prämissen
eingehen, auch - aber eben nur: auch - Richtlinien, Lehrpläne,
Erlasse, ein- schließlich Vorgaben zur Didaktik und zu den
Unterrichtsformen. Von diesem Gedanken her wurde die
Ausgangssituation für die Berufsschul- lehrer, die bei der
Konfrontation mit dem Anspruch entsteht, didaktische In- novationen
umzusetzen, rekonstruiert und gefragt, wie vor diesem Hinter- grund
die Genese der vorfindlichen Realität und mit ihr die
zurückhaltende Umsetzung von Neuerungen zu verstehen ist. Das
empirische Material dazu entstammt den Ergebnissen Dortmunder For-
schungsarbeiten zur Begleitung der Umsetzung von
Innovationsmaßnahmen, die Berufsschullehrer mit den genannten neuen
Ansprüchen konfrontieren. Diese Ansprüche sind im Einzelnen:
Lernprojekte im Rahmen handlungsori- entierten Unterrichts zu
entwickeln und durchzuführen (Drees/Pätzold 1997), die
Lernortkooperation zu intensivieren (Pätzold/Drees/Thiele 1998) und
Lernsituationen gemäß den Vorstellungen lernfeldorientierten
Unterrichts zu realisieren (Drees/Pätzold 2002). An dieser Stelle
werden die wichtigsten Aussagen in komprimierter Form
weitergegeben.
Die widersprüchliche Wirklichkeit der Berufsschullehrer
11
Eggert Holling und Arno Bammé haben anfangs der achtziger Jahre die
Situa- tion der Berufsschullehrer markant beschrieben: „Die Arbeit
des Lehrers kennt keine Grenze. Es gibt keinen Punkt, an dem er
sagen könnte: Jetzt habe ich alles, was möglich ist, getan. Er kann
sich immer noch besser auf den Unterricht vorbereiten, er kann sich
immer noch stärker um Probleme einzelner Schüler kümmern. (...) Die
Ansprüche, die an den Lehrer gestellt werden, sind grenzenlos ...
In ihrer Gesamtheit sind sie uner- füllbar ... Die ständige
Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit schlägt sich in einem
dauernd schlechten Gewissen nieder und führt wahr- scheinlich zu
größeren psychischen Belastungen, als durch die eigentliche Ar-
beit erklärbar wäre“ (Holling/Bammé 1982, S. 216). Nach den
angesprochenen Dortmunder Forschungsergebnissen ist dieser all-
gemeinen Zustandsbeschreibung zuzustimmen. Sie wird von den
Berufsschul- lehrern gerade in solchen Situationen reproduziert, in
denen sie mit Neuerun- gen konfrontiert und aufgefordert sind,
diese umzusetzen. Die Verlautbarung solcher aus der allgemeinen
Erfahrung relativ leicht nachvollziehbarer Befind- lichkeiten ist
aber nur ein Aspekt dessen, was den Umgang der Berufschulleh- rer
mit Veränderungen in ihrem Handlungsfeld ausmacht. Sie sind eher
als „phänotypisches“ Geschehen aufzugreifen. Hinter ihnen zeichnen
sich in we- sentlichen Aspekten übereinstimmende
Situationsinterpretationen ab, aus de- nen die letztlich
praxisrelevanten Handlungsstrategien abgeleitet werden. In den
angesprochenen Forschungsarbeiten ging es u. a. darum, diese
Situations- interpretationen und Handlungsstrategien mit Blick auf
die Entwicklung von Weiterbildungskonzepten herauszuarbeiten. Zu
diesem Zweck wurden die einschlägigen Ausgangssituationen, ihre
Deutungen durch die Lehrer und die daraus abgeleiteten
Handlungsformen gemeinsam mit den Berufsschullehrern in ihren
Erscheinungsformen und Wirkungsweisen herausgearbeitet und die
entstehenden Rekonstruktionen kontinuierlich evaluiert. Wie sich
der Umgang mit neuen Handlungsansprüchen demnach gestaltet, soll am
Beispiel des Um- gangs mit der gegenwärtig erfolgenden Einführung
der Lernfeldorientierung, speziell dem Anspruch dargelegt werden,
das Lernen ausgehend von authenti- schen Handlungszusammenhängen
als Lernsituationen zu gestalten.
Gerhard Drees
3. Kriterien und Strategien gegenüber neuen Handlungsansprüchen am
Beispiel von „Lernsituationen“
Gleich welche Reforminitiativen in der Berufsschule wirksam werden
sollen - sie müssen den langen Weg von der administrativen
Entscheidung bis in die Unterrichtsräume überstehen und dort von
den Lehrern umgesetzt werden. An dieser Stelle, an der aus
abstrakten Ansprüchen konkretes Handeln werden muss, entscheidet
sich letztlich das Schicksal jeder Reform. Ohne das Han- deln der
Berufsschullehrer können gleich von wem und gleich wie intendierte
Veränderungen nicht verwirklicht werden. Für die Berufsschullehrer
werden die Reformaktivitäten als neue oder verän- derte Ansprüche
an ihr Handeln relevant. Die Konfrontation mit solchen
Handlungsansprüchen bewirkt nun aber nicht - wie es naive
Ausdeutungen beruflicher Aufgabenwahrnehmung, des Beamten zumal und
speziell der mo- ralisch aufgeladenen Instanz des Lehrers,
unterstellen mögen - das unmittelba- re Bemühen um die bestmögliche
Umsetzung in die Unterrichtspraxis. Zu- nächst einmal erfolgt
vielmehr ein auf die jeweilige Person, den jeweiligen Arbeitsplatz
und die dort vorfindlichen Bedingungen bezogenes Abwägen der mit
dem neuen Anspruch entstehenden Situation und der zu erwartenden
per- sönlichen Konsequenzen. Dabei kommen individuell
zugeschnittene Arrangements von Kriterien zur Anwendung, in denen
sich allerdings ein „harter Kern“ offenbar positionsty- pischer
Maßgrößen aufweisen lässt. Aus diesem Katalog von Kernkriterien
erweisen sich im Umgang mit dem Handlungsanspruch „Lernsituationen“
die folgenden als besonders bedeutsam: - die persönliche
Bedeutungszumessung für die jeweilige inhaltliche „Sache“ hinter
dem konkreten Handlungsanspruch, - das Wahrhaftigkeitsempfinden als
das wahrgenommene bzw. unterstellte
Maß, in dem eine Handlungsanforderung als ernsthaftes, redliches
Anliegen der im Bereich der Berufsschule verbindlich normsetzenden
Instanzen erfah- ren wird, - wobei Erfahrungen, Einschätzungen und
Mutmaßungen, die Mo- tive für die Implementation betreffend, von
wichtiger Bedeutung sind - und
- die Arbeitserfolgsrelevanz, nämlich der vermutete Einfluss der
verlangten Handlungsmodifikation auf das, was den
Berufsschullehrern aus ihrer Situa- tion heraus als persönlicher
Arbeitserfolg gilt, und den Weg, dies zu errei- chen.
Die widersprüchliche Wirklichkeit der Berufsschullehrer
13
Als Ergebnis von Fallstudien mit Berufsschullehrern, deren Aufgabe
es war, die Arbeit mit Lernsituationen im Rahmen eines
Modellversuchs zu erproben, lassen sich zu diesen Kriterien die
folgenden Erfahrungen weitergeben. Die Bedeutungszumessung für das
inhaltliche Anliegen hinter dem Hand- lungsanspruch,
Lernsituationen zu planen und durchzuführen, ist hoch. Ein- deutige
berufspädagogische Vorteile dieser Lernform werden herausgestellt.
So ist erst recht nach intensiven Erprobungen unstrittig, dass die
Arbeit mit Lernsituationen positive Effekte in den unmittelbar
beobachtbaren Dimensi- onen der angestrebten Förderung von
Persönlichkeitsmerkmalen erbringt, die so von klassischen
Unterrichtsformen nicht erwartet werden können. Ebenso einmütig
wird hervorgehoben, dass sich ein neues kooperatives Lehrer-/Schü-
ler-Verhältnis einstellt, auf dessen Grundlage eine größere
gegenseitige Ak- zeptanz von Anliegen und Ansprüchen eintritt. Ein
hoch eingeschätzter Effekt für die allgemein als gesteigert erlebte
Arbeitszufriedenheit geht auf die Er- fahrungen mit der
Kooperationsform in den Lehrergruppen selbst zurück, die sich von
der ansonsten typischen isolierten Einzelarbeit in erwünschter
Weise abhob. Die Wahrhaftigkeitszumessung erfolgt über eine
Vielzahl teils sachunspezifi- scher Argumente, von denen die
wichtigsten genannt seien. - Das „Packesel-Argument“ weist auf die
ständig wachsende Belastung der
Lehrer und des Unterrichts mit immer neuen Unterrichtsinhalten und
-formen sowie den immer gerade aktuellen Problemen der Gesellschaft
hin. So sieht man sich heute für das eine, morgen für das andere
Thema kurzer- hand zum Experten erklärt. Auch eine gewisse
Protesthaltung, meist begrün- det auf das echte Gefühl einer
Überforderung durch das Volumen der An- sprüche, lässt dazu neigen,
sich nur in dem gerade notwendigen Maß mit neuen Themen und
didaktisch-methodischen Modellen zu beschäftigen. Ähnlich
einträchtig, wie die Berufsschullehrer nach der Erprobung im Rah-
men des Modellversuchs die Vorteile des Arbeitens mit
Lernsituationen her- ausstellen, relativieren sie diese folglich
als an die optimierten Bedingungen der Forschungssituation
gebundene Ergebnisse nur ausnähmlich möglichen Aufwands. Die
Erfolgsaspekte werden immer sozusagen unter Vorbehalt re- feriert.
Die intentionengerechte Implementation von Lernsituationen als in-
tegrierter Bestandteil der Berufsschulwirklichkeit oder gar als
Regelform gilt als illusionär.
- Mit dem „Mode-Argument“ werden Neuerungen mit Blick auf
vorangegan- gene Erfahrungen den zeitgeistigen Erscheinungen
zugeordnet, die kommen und gehen. Eine Bildungspolitik, die sich
auf der Höhe der Zeit und aktiv
Gerhard Drees
darzustellen hat, muss demnach offiziell immer auch nach dem Stand
der wissenschaftlichen Diskussion besonders geeignete Lehr-
/Lernkonzepte übernehmen. Letztlich kommt aber, wer diese Phase
„aussitzt“, in der All- tagspraxis immer wieder mit dem alt
vertrauten Handeln am besten zurecht, weil sich substantiell an den
wirklich normierenden Regeln der Institution „Berufsschule“ nichts
ändert.
- Nach dem „Strukturdefizit-Argument“ wird über die komplexen
Lehr-/Lern- arrangements, die nötig wären, um komplexe didaktische
Modelle wie die Lernfeldorientierung wirklich umsetzen zu können,
zwar allgegenwärtig dis- kutiert und geschrieben. Sie sind in den
Handlungsbedingungen des Schulbetrieb aber nicht einmal in
schütteren Ansätzen realisiert oder überhaupt realisierbar. Als
Defizite besonders häufig genannt werden der 45- bzw.
90-Minutentakt als Gliederungsprinzip für die Unterrichtszeit und
die auf ihn bezogenen verbindlichen Stundenpläne, die
Fächerstruktur, die bedingt, dass nur die Lernprozesse im eigenen
Fach überschaubar sind und koope- rationsfeindliches Fächerdenken
entsteht, die Individualbenotung am Ende der Ausbildung, die
entscheidende Intentionen des sozialen Lernens konter- kariert, und
eine Vielzahl einschränkender Erlasse, die bei der Schaffung
ungewöhnlicher und spontaner Lernsituationen hinderlich sind.
Die Struktur der Berufsschule, so die Auffassung, ist gegenüber den
Anforde- rungen, die auf dem Papier gestellt werden, heillos
zurückgeblieben. Was an Veränderungen implementiert wird, gilt als
immer nur dann durchführbar, wenn die Berufsschule ihre
organisatorischen Regeln selbst vorübergehend außer Kraft setzt und
auch dann nur bei einem Aufwand, der auf Dauer un- zumutbar ist.
Nur über die adäquate Gestaltung der Berufsschulstrukturen, nicht
allein über neue Ansprüche an die Lehrer, würde sich aber eine
Reform- absicht als wahrhaftig ausweisen. Die Einschätzung der
Arbeitserfolgsrelevanz erweist sich als das zentrale Kri- terium
für den Umgang mit einem neuen Handlungsanspruch. An ihm wird in
besonderem Maße deutlich, wie wichtig es ist, zur Einschätzung des
Vorge- hens der Berufsschullehrer neben den formellen auch die in
der Handlungssi- tuation zu erschließenden informellen
Regulierungen kennen zu lernen und heran zu ziehen. In diesem Fall
ergibt sich die auf den ersten Blick paradox erscheinende
Situation, dass für die in der Sache positiv eingestellten Berufs-
schullehrer ein Engagement für die Durchsetzung der administrativ
verfügten Neuerungen erhebliche Risiken für den Arbeitserfolg
bergen kann. Diese
Die widersprüchliche Wirklichkeit der Berufsschullehrer
15
recht eigentümlich anmutende Beurteilung steht in enger Verbindung
zu der Art und Weise, wie sich im Handlungskontext „Berufsschule“
vermittelt, was Arbeitserfolg ist. Von daher muss sie mit Blick auf
eine berufliche Tätigkeit betrachtet werden, die ja erstens nach
Bammé und Holling als „komplex“, „interpretationsbedürftig“,
„grenzenlos“ und „unerfüllbar“ zu betrachten ist und zu der
zweitens messbare Erfolgskriterien weitgehend fehlen, Rückmel-
dungen kaum vorgesehen sind und wenn, so fast ausschließlich im
negativen Fall erfolgen. Unter diesen Bedingungen konzentrieren
sich relevante Urteile über den Ar- beitserfolg auf zwei Maßgrößen:
Die erste Maßgröße sind die Prüfungsergebnisse als „Zahl gewordene“
und in dieser Qualität einzige (jedenfalls scheinbar) objektive,
vorweisbare und Ver- gleichbarkeit schaffende Auskunft über den
Erfolg der Arbeit. Der Rang des Prüfungskriteriums wird darüber
hinaus aufgewertet, weil bei der gegebenen inoffiziellen
Aufgabenverteilung im Dualen System nach übereinstimmender
Einschätzung die Herstellung des Prüfungserfolgs im Wesentlichen
den Be- rufsschullehrern zugewiesen wird. Eine besonders markante
Folge ist, dass der Berufsschulunterricht, alle
innerinstitutionellen Vorgaben marginalisie- rend, von den
Stoffplänen der Kammer-Prüfungen her geplant wird, die entsprechend
nicht selten als die „heimlichen Lehrpläne“ oder als die „Bibel des
Berufschullehrers“ bezeichnet werden. Hier entsteht eine Verbindung
zu dem zweiten Kriterium, nämlich der Fähig- keit, negative
Rückmeldungen über die eigene Tätigkeit zu vermeiden. Zwei Aspekte
stehen dabei im Vordergrund: Zunächst ist die Notwendigkeit ange-
sprochen, das Handeln in der Berufsschule angesichts eines
„Dickichts von Erlassen und Verfügungen“ unanfechtbar zu gestalten.
Risiken in Form un- kalkulierbarer Handlungsfolgen werden möglichst
ausgeschlossen. Ferner sol- len Reaktionen der Betriebe auf das
unterrichtliche Geschehen vermieden werden, die zu Rücksprache oder
Beschwerden bei den Schulleitungen oder auch der Schulaufsicht
führen können. Dieses Absicherungsinteresse der Berufschullehrer
ergibt sich aktuell in be- sonderem Maße aus ihrer Beobachtung bzw.
der Annahme, dass die in der Regel als tolerant, unterstützend und
solidarisch beschriebene Zusammen- arbeit mit den Schulleitungen
und der Schulaufsicht zurzeit besonders sensib- le Bereiche hat,
wenn die Interessen der Ausbildungsbetriebe berührt sind. Als
Hintergrund dafür wird die Sorge um die Akzeptanz des
berufsschulischen Ausbildungsbeitrags, in der Konsequenz um die
Sicherung von Kapazitäten und allgemein des Bestands der
Berufskollegs, ausgemacht. Die Berufsschule
Gerhard Drees
wird als der schwache und latent im Bestand bedrohte Partner im
Dualen Sys- tem gesehen. Diese Situation fördert die Bereitschaft
zu mitunter sehr weitge- hendem Entgegenkommen und aktiven
Bemühungen, auf die Ausbildungsbe- triebe zuzugehen -
Konsolidierungs- und Akzeptanzbildungsmaßnahmen auf der
Leitungsebene, die durch Friktionen im Alltagsbetrieb nicht gestört
wer- den sollen. Teils sind z. B. neue Ausbildungsgänge nach
intensiver Umwer- bung der Betriebe zustande kommen und hängen in
ihrem Bestand von deren Bereitschaft ab, in den entsprechenden
Berufen auszubilden und die Auszu- bildenden auch gerade dieser
Berufsschule zuzuführen. Ein gleich wie moti- vierter reservierter
Umgang mit Interessenbekundungen und Einflussnahmen solcher
Ausbildungsbetriebe, die mit einer Berufsschule kooperative
Kontakte unterhalten, oder Veränderungen der gewohnten Abläufe in
der Berufsschule, die für die Betriebe in
ausbildungsorganisatorischer oder didaktischer Hin- sicht relevant
werden, sind potentielle Quellen negativer Rückmeldungen. Sich
einer Art „Schulräson“ zu unterstellen - positiver ausgedrückt: das
Ein- verständnis in die Konsolidierungsbemühungen der
Schulleitungen, ggf. der aktive Beitrag dazu - ist aus der Sicht
der Berufsschullehrer offenbar zu einem Leistungskriterium
geworden. Wenn nun neue Handlungsansprüche vorrangig nach diesen
beiden Kriterien aufgegriffen werden, heißt dies, dass
Berufsschullehrer aufgrund der von ih- nen antizipierten Realitäten
im Dualen System ihr Handeln nicht in erster Li- nie von den
Vorgaben in Richtlinien und Lehrplänen, von didaktischen Mo-
dellen, von der persönlichen inhaltlichen Bedeutungszumessung, von
den be- rufspädagogischen Intentionen oder von der aktuellen
Bedeutung eines Lern- stoffs ausgehend planen können. Entscheidend
sind vielmehr das Gewicht im Rahmen inkompatibler
Prüfungsformalitäten und zum anderen die Krisenfäl- ligkeit (im
Falle ungünstiger Rückmeldungen). Für das, was ihr Handlungs- feld
„Berufsschule“ für die Lehrer im Kern ausmacht, stehen die
Formalismen der reproduktionsorientierten Individualprüfungen und
die Notwendigkeit, - auch und gerade im Verkehr mit den
Ausbildungsbetrieben - nicht auffällig werden zu dürfen, sehr viel
mehr als z. B. die offiziell implementierten didak- tischen
Konzepte, wie derzeit etwa die Lernfeldorientierung.
4. Berufsschullehrer zwischen widersprüchlichen Anforderungen
Die Kernerfahrung aus der gemeinsam mit den Betroffenen
unternommenen Analyse des Umgangs der Berufsschullehrer mit den
neuen Handlungsanfor-
Die widersprüchliche Wirklichkeit der Berufsschullehrer
17
derungen, für den hier der mit den Lernsituationen als Beispiel
diente, ist wie folgt zu beschreiben: Die in die angesprochenen
Forschungen einbezogenen Lehrer kommen anhand zwar individuell
unterschiedlich kombinierter und gewichteter, aber im Wesentlichen
übereinstimmender Analyseergebnisse und in Anwendung der genannten
(hier für das Beispiel „Lernsituationen“ spezifi- ziert
vorgetragenen) Kriterien für ihre Praxis zu großer Zurückhaltung
gegen- über neuen Handlungsansprüche und entscheiden sich eher für
solche Hand- lungsmuster, die sich in den berufsschulischen
Ausgangsbedingungen bisher bewährt haben und unter strukturell
unveränderten Verhältnissen wohl auch weiterhin bewähren werden.
Nun müssen bei dieser Bilanz, auch zur Vermeidung von
Fehlinterpretationen nach dem Muster folkloristischer Mutmaßungen
über den Lehrerberuf, vier Aspekte deutlich betont werden: Erstens:
Die Zurückhaltung bei der Umsetzung der neuen Handlungsansprü- che
ist zumeist das Ergebnis einzelfallbezogener bewusster und
gezielter Ent- scheidungen, nicht etwa eines automatisierten,
pauschalen Wegdrängens un- bequemer Neuerungen und Anstrengungen.
Zweitens: Die Situation, die diese Entscheidungen bedingt, wird im
Schnitt als frustrierend erlebt. Man befürwortet in aller Regel die
neuen Formen berufs- schulischen Lehrens und Lernens und würde gern
in dieser Weise arbeiten - wenn die Voraussetzungen angemessen
wären. Die Realität aber verlangt zur Abwendung persönlicher
Nachteile statt dessen die Konzentration auf das „Überleben in der
Stofffülle“, das „Durchkommen bis zum Prüfungstag“ und vor allem
die Absicherung des Prüfungserfolgs. Die neuen didaktischen Mo-
delle stellen in dieser Hinsicht Risiken dar. Drittens: Das
Erlebnis der Frustration ist mit der als unausweichlich empfun-
denen Abweisung der neuen Handlungsansprüche nicht aufgehoben. Sie
be- freit keineswegs von den Zweifeln und emotionalen Spannungen,
über die sich der Problemcharakter der Umstände an die Betroffenen
mitteilt. Dies kommt in den Situationsschilderungen aus der
Alltagspraxis und zu den ganz privaten Verarbeitungsformen und
-problemen deutlich zum Ausdruck. Ge- genüber den Ansprüchen an die
Arbeitsleistung und den Gegebenheiten, in denen sie zu erbringen
sind, erscheint diese Strategie lediglich als das kleinere Übel.
Sie wird wie ein berufsspezifisches Fatum tradiert und oftmals in
dem vollen Bewusstsein angewendet, dass die Probleme und die eigene
Unzufrie- denheit so auf Dauer gestellt und nicht gelöst werden,
dass dieses Verfahren resignativen und eskapistischen Charakter
hat. Die Tatsache, dass die immer neue Konfrontation mit den
Widersprüchen und das entsprechende emotionale
Gerhard Drees
18
Geschehen nicht ausgesetzt werden können, macht es notwendig, sich
der Richtigkeit dieser Orientierung ständig neu zu versichern, was
hohen Kraft- aufwand erfordert und nur mehr oder weniger gut
gelingt. Viertens: Dieses Verhalten kann von außen betrachtet
unsinnig und unver- ständlich erscheinen. Es mag, wo nur das
Ergebnis sichtbar wird, auch ver- breitete Vorurteile
Außenstehender beleben. Bei solchen Gedanken darf aber der
Prämissenrahmen nicht ausgeblendet werden, in dem es zustande
kommt: Zum einen hat die Analyse des Handlungsfeldes wenig Zweifel
daran gelas- sen, dass die Problembeschreibungen der Lehrer zur
Situation in der Berufs- schule zutreffend sind. Zum anderen mögen
die individuellen Beweggründe zum Verzicht auf die Umsetzung von
Neuerungen unterschiedlich sein - durchhalten lassen sie sich nur,
weil sich dieses Handeln in der beruflichen Praxis nach den dort
für die Wahrnehmung der Lehrer tatsächlich ausschlag- gebenden
Leistungskriterien bestätigt und als richtig und erwünscht zurück
gemeldet wird. Wenn Lehrer sich gegen die neuen Handlungsansprüche
und für das Hinnehmen der damit verbundenen Frustrationen
entscheiden, so zie- hen sie eine Konsequenz, die ihnen - allen
programmatisch aufgeladenen Re- formaktivitäten an der Oberfläche
zum Trotz - von den Strukturen, in denen sie handeln müssen, sehr
nahe gelegt wird. (Auch) mit diesen Zusammenhängen erklärt sich
also die häufig vorwurfsvoll beklagte Innovationsresistenz der
Berufsschule. Die genannten, alle Reform- prozesse überdauernden
Strukturmerkmale, ein hohes Maß an externer Regu- lierung durch die
(antizipierten) Interessen der Ausbildungsbetriebe und die mit
beidem verbundenen, oft informell etablierten
Handlungsnotwendigkeiten sorgen dafür, dass Lehrer ein Interesse an
der Bewahrung eines unbefriedi- genden Status Quo haben, um gemäß
der wirklich ausschlaggebenden Krite- rien für ihr Handeln
erfolgreich sein zu können.
5. Perspektiven
Auf der Suche nach Perspektiven kurzfristige strukturelle
Veränderungen in der Berufsschule anzuregen, nach denen die
praktische Umsetzung der jeweils vorgegebenen didaktischen Modelle
tatsächlich möglich wäre, hieße, sich auf Illusionen zu
kaprizieren. Berufspädagogische und lerntheoretische Einsichten
bilden eben nur einen Teil des Hintergrunds für bildungspolitische
Entschei- dungen - und nicht den entscheidenden. Das Interesse an
den legitimatori- schen und sozialintegrativen Leistungen der
beruflichen Ausbildung etwa,
Die widersprüchliche Wirklichkeit der Berufsschullehrer
19
speziell die Funktion der Zuweisung von beruflichem und sozialem
Status ü- ber die vermeintlich objektive und Vergleichbarkeit
schaffende Verortung der Lernenden auf einer Leistungsskala, hat
traditionell größeres Gewicht. Die hierfür notwendigen
Gegebenheiten sind über unangetastete Anteile der be-
rufsschulischen Kernstruktur gesichert, auch wenn so die
Realisierung der of- fiziell eingeforderten neuen Formen von Lehren
und Lernen offensichtlich be- oder verhindert wird. Dennoch sind
Initiativen zur Umsetzung didaktischer Innovationen natürlich nicht
fruchtlos, auch wenn sie zunächst nur zu Verbesserungen im Detail
oder zu einer Ausweitung der Diskussion führen. Was Empfehlungen zu
entspre- chenden Aktivitäten betrifft, soll mit Blick auf den
begrenzten Raum an dieser Stelle jeweils eine wesentliche zum
Umgang mit der voranstehend diskutier- ten Schlüsselproblematik an
die beteiligten Instanzen gerichtet werden. Die
Berufsschuladministration ist an eine Grunderkenntnis zu erinnern,
die als Formel zwar geläufig ist, aber in der Praxis zu wenig
Berücksichtigung findet: Komplexe didaktische Innovationen, die von
den Lehrern ein hohes Maß an Engagement schon bei der Erarbeitung
und erst recht bei der Umsetzung er- fordern, können nicht per
Verwaltungsakt eingeführt werden. Bei allen An- strengungen, z.B.
die Implementation lernfeldorientierter Unterrichtsgestal- tung
durch Aufklärung, Weiterbildung, Moderatoren und Materialien zu un-
terstützen, deutet das Meinungsbild der Lehrer auf ein Defizit bei
der Berück- sichtigung der Bedingungen alltäglicher praktischer
Arbeit hin. Gleichzeitig wird der Trend beobachtet, der
Öffentlichkeit die berufsschulische Realität über die in besonderen
Bedingungen zustande gekommenen Ergebnisse von Modellversuchen und
spektakulären Events zu beschreiben und die oftmals triste
Wirklichkeit des Normalbetriebs auszublenden. Es wird bezweifelt,
ob die Instanzen oberhalb der Schulleitung die aktuellen
Arbeitssituationen der Lehrer tatsächlich hinreichend zur Kenntnis
nehmen - ebenso, wie einen aus- gesprochen tiefgehenden Unmut der
Lehrer über die entstehende Situation. Es erscheint, als werde die
Implementation zunächst als Informations- und im Weiteren als ein
Motivationsproblem gesehen, dem mit oftmals nur moralisie- renden
Appellen entsprochen werden soll. Es kann für die Prozesse der
Implementation förderlich sein, die Kooperation mit den Kollegien
auf eine breitere Basis zu stellen, die Lehrer stärker in die
Entwicklungsarbeit einzubeziehen und dabei die
Umsetzungsbedingungen de- tailliert zu erheben und in Ansatz zu
bringen. Damit wäre es möglich, Umset- zungsstrategien zu
entwickeln, in denen die Realisierungsbedingungen unmit- telbar
berücksichtigt und die momentan verfügbaren Möglichkeiten
ausgereizt
Gerhard Drees
20
werden. Gleichzeitig können die institutionellen Gegebenheiten, an
denen die Reformbemühungen an Grenzen stoßen, klar definiert und
ggf. zum Gegen- stand bildungspolitischer Initiativen zu werden.
Die Berufsschullehrer beschreiben die Situation, in der sie sich
sehen, enga- giert, detailreich und oftmals in drastischen
Formulierungen. Allerdings bleibt die kritische Bestandsaufnahme
häufig perspektivlos und letztgültig. Die teils tief gehenden
Analysen der berufsschulischen und bildungspolitischen Reali- täten
zeichnen dann ein Szenario, dem konsequent allein durch eine
fatalisti- sche Haltung und Rückzug zu entsprechen ist. Die einen
finden ihre privaten Wege zu kleinen Fluchten, andere beschränken
sich auf minimalen Aufwand für den Beruf, der in diesem Fall nur
mehr als Beschaffungsgrundlage für sinnerfüllte Tätigkeit in der
Freizeit akzeptiert ist. Wo dies geschieht, werden jegliche
Gestaltungsmöglichkeiten, die das Handlungsfeld trotz allem in ver-
gleichsweise hohem Maße vorhält, von vornherein vergeben. Zwar ist
dem variantenreich belegten Argument zuzustimmen, dass zur Lösung
der Prob- leme letztlich politische Entscheidungen notwendig sind.
„Politische Ent- scheidungen“ kodiert in den Spracheinlassungen der
Berufsschullehrer jedoch in aller Regel Prozesse auf einer
übergeordneten Ebene, die ihnen nach ihrem Eindruck selbst nicht
zugänglich ist. Mögliche Veränderungen werden bei dieser
Interpretation der Gegebenheiten von anonymen Instanzen erwartet,
Möglichkeiten zu eigener Einflussnahme hingegen nicht gesehen,
geleugnet, resignativ zurückgewiesen, oder es wird nicht einmal
nach ihnen gefragt. Auch die Ausgangsbedingungen für diejenigen
Lehrer, die ihre kritische Ana- lyse perspektivisch wenden und
praktisch wirksam werden lassen wollen und die dazu auf kollegiale
Kooperationen angewiesen sind, werden so weiter er- schwert.
Dennoch hängt von diesen Personen und ihren Aktivitäten entschei-
dend ab, ob und inwieweit sich in den Berufsschulen Entwicklungen
vollzie- hen. Dabei geht es entscheidend, aber nicht allein, um das
Vermögen, der be- rufspädagogischen Arbeit neue Wege zu erschließen
und die Bedingungen da- für politisch geschickt zu schaffen - was
bereits des Aufwands genug bedeu- tet. Ebenso wichtig ist es, die
neuen Handlungsstrategien weiterzugeben, für sie zu werben,
Kollegen für gemeinsame Anstrengungen zu gewinnen, dabei auch die
Erfolge und den Zugewinn für die Arbeitszufriedenheit - über die z.
B. nach der Erprobung des Lernfeldkonzepts alle Beteiligten teils
eupho- risch berichten - für die Überzeugungsarbeit einzusetzen.
Dazu bedürfen die Lehrer der Unterstützung, die sie auch bei der
Wissenschaft finden sollten. Wissenschaftliche Politikberatung
konzentriert sich allerdings einseitig auf die Konzeptualisierung
didaktischer Arrangements und curricularer Regel-
Die widersprüchliche Wirklichkeit der Berufsschullehrer
21
werke. Deren Wirksamkeit muss jedoch prinzipiell als fraglich
gelten, so lan- ge sie bei weitgehender Abstraktion von den
Verwirklichungsbedingungen zustande kommen. Der Wissenschaft ist
daher zu empfehlen, sich konzentriert der alltäglichen Arbeit der
Berufsschullehrer und der Herausarbeitung der tat- sächlichen
Bedingungen zuzuwenden, unter denen diese sich vollzieht. Was die
unmittelbare Berufsausübung der Lehrer, die sie leitenden
Situationsinter- pretationen, erkannte und verborgene
Handlungsräume und -begrenzungen angeht, ist kaum etwas bekannt.
Die Fragen, wie Lehrer - jenseits der von ih- nen selbst häufig
verlangten Belieferung mit vermeintlich rationalisierenden
Unterrichtsrezepten - bei der Reflexion ihrer
Situationsinterpretationen und ihrer Praxis, bei der Entwicklung
ihrer berufspädagogischen Positionen, schließlich bei einer den
Rahmen des Möglichen ausschöpfenden Verwirkli- chung ihrer dabei
entstehenden Handlungskonzepte und bei Aktivitäten zur Ausweitung
des Rahmens selbst unterstützt werden können, gehören ins Zent- rum
des Forschungsinteresses. Eine Unterstützung der Lehrer, die
letztlich zur Verbesserung der Qualität der beruflichen Ausbildung
führen soll, muss damit beginnen, ihr alltägliches Handeln aus
seiner Prämissenstruktur heraus zu er- klären. Wird er nicht
gegangen, so werden die Berufsschule, in der die Lehrer erfolgreich
agieren müssen, und die Berufsschule, über die Bildungspolitik,
Wissenschaft und Öffentlichkeit diskutieren, zwei ganz
unterschiedliche Wirklichkeiten bleiben.
Literatur
Gerhard Drees
Verfasser Dr. Gerhard Drees ist Lehrbeauftragter an der
Fernuniversität Hagen und hat in verschiedenen Forschungsprojekten
an den Universitäten Dortmund und Erfurt mitgewirkt.
23
berufsbezogenen, kaufmännischen Unterricht
Der Beitrag fasst erste Zwischenergebnisse aus dem BLK-Projekt
„Erfassung und Analyse vorherrschender Lehrmethoden und
Unterrichtsstile im berufs- bezogenen Unterricht in ausgewählten
Berufsfeldern der dualen Berufsausbil- dung“1 zusammen. Der
Projekttitel signalisiert, dass die durchgeführte Unter- suchung
der deskriptiven Lehrmethodenforschung zuzuordnen ist. Ziel der
deskriptiven Lehrmethodenforschung ist es, ein reales Bild über die
im Unter- richt eingesetzten Lehr-/ Lernmethoden zu zeichnen, d. h.
es geht ihr um die Erfassung „der tatsächlichen Realitäten des
Methodengebrauchs im gegebe- nen Unterrichtsalltag“ (Terhart, 1997,
S. 98). Der aktuelle Forschungsstand der deskriptiven
Lehrmethodenforschung ist im Hinblick auf den Wirtschafts-
lehreunterricht an Berufsschulen als äußerst defizitär zu
bezeichnen. Defizite im unterrichtsmethodischen Repertoire der
Lehrkräfte werden zwar seit Jahr- zehnten kontinuierlich in der
berufs- und wirtschaftspädagogischen Literatur beschrieben (vgl.
Kaiser & Kaminski, 1999, S. 94), die argumentative Absi-
cherung der jeweiligen Defizitbeschreibung erfolgt jedoch zumeist
auf Basis der didaktisch-methodischen Theoriediskussionen. Sofern
überhaupt auf em- pirische Erkenntnisse zurückgegriffen wird,
entstammen diese der Lehrme- thodenforschung des allgemeinbildenden
Unterrichts und sind zudem älteren Datums. So wird beispielsweise
im Standardlehrwerk „Methodik des Ökono- mie-Unterrichts“ von
Kaiser und Kaminski (1999, S. 94) der Befund eines vorherrschenden
lehrerzentrierten Wirtschaftslehreunterrichts abgesichert durch die
Studie von Hage et al. zum Methodenrepertoire von Lehrern und
Lehrerinnen im Schulalltag der Sekundarstufe I von 1985. Das Alter
der Stu- die und die seit dem geführten didaktisch-methodischen
Reformdiskussionen und -umsetzungen im Lichte komplexer und
handlungsorientierter Unter- richtsmethoden verdeutlichen, dass
eine Untersuchung über das vorherrschen- de unterrichtsmethodische
Repertoire von Lehrern und Lehrerinnen an be- rufsbildenden Schulen
längst überfällig ist. Mit der vorliegenden Studie wird zum Abbau
des beschriebenen Forschungsdesiderats beigetragen. Im Rahmen eines
30minütigen Vortrages lässt sich natürlich nicht die Gesamtuntersu-
chung mit all ihren Forschungsfragestellungen und -ergebnissen
darlegen, deshalb werden in diesem Beitrag zunächst folgende
Forschungsfragen einer vorläufigen Antwort zugeführt:
1 Das Projekt wurde im Zeitraum Januar 2001 bis Oktober 2002 im
Rahmen eines Unterauftrages der Uni- versität Dortmund
durchgeführt, die im Auftrag des Instituts Technik und Bildung der
Universität Bremen (Programmträger im BLK-Programm „Neue
Lernkonzepte in der dualen Berufsausbildung“) die Gesamt - studie
erstellt hat. Der Programmträger war an der Abfassung der
Aufgabenstellung und der wesentlichen Randbedingungen
beteiligt.
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
25
2. Kurzbeschreibung des Forschungsdesigns und der Datenbasis
Die Untersuchung wurde mittels eines Fragebogens durchgeführt, der
es er- laubte, quantifizierbare Daten zu den vorherrschenden
Lehrmethoden und Un- terrichtsstilen im berufsspezifischen
Unterricht zu erheben. Die allgemeinen Vor- und Nachteile der
quantitativ ausgerichteten, schriftlichen Befragung sind in der
einschlägigen empirischen Grundlagenliteratur gut beschrieben und
vielfach diskutiert worden (vgl. Bortz & Döring, 1995, S. 231
ff.; Fried- richs, 1990, S. 236 ff.), auf eine entsprechende
Erörterung soll an dieser Stelle verzichtet werden. Hervorzuheben
ist jedoch, dass die Vorgabe des Erhe- bungsinstruments den Zugriff
auf das Forschungsfeld dahingehend ein- schränkte, dass die
Erfassung und Analyse der vorherrschenden Lehrmetho- den und
Unterrichtsstile aus der subjektiven Sicht der beteiligten Personen
er- folgen musste. Das heißt, nicht der Unterricht, wie er „an
sich“ ist, wurde er- forscht, sondern es wurde erhoben, wie die
befragten Lehrpersonen und Schü- ler/ -innen den Unterricht sehen,
wahrnehmen und bewerten. Bei der Konstruktion der Fragebogen wurden
die Besonderheiten der zu be- fragenden Personengruppen und die der
Berufsfelder berücksichtigt. Entspre- chend wurde je ein eigener
Fragebogen sowohl für die Schüler/ -innen als auch für die
Lehrkräfte entwickelt sowie drei verschiedene Fragebogen für die
drei Erhebungseinheiten „Wirtschaft und Verwaltung (WV)“,
„Metalltechnik (GT)“ und „IT-Bereich (IT)“ konstruiert, um deren
methodische Besonderhei- ten angemessen berücksichtigen zu können.
Die Fragebogenerhebung wurde im Früh- und Spätsommer 2001 in 6
ausge- wählten Bundesländern an 74 verschiedenen berufsbildenden
Schulen durch- geführt (Baden-Württemberg mit 10 Schulen, Hamburg
mit 11 Schulen, Nie-
Jens Klusmeyer
GT-L GT-S WV-L WV-S IT-L IT-S Summe Schüler Bundesland
Summe Lehrer Bundesland
Sachsen-Anhalt 30 287 28 255 8 101 643 66 Sachsen 30 229 23 217 12
95 541 65 Nordrhein-Westfalen 26 227 39 289 8 91 607 73
Niedersachsen 30 246 31 206 8 100 552 69 Hamburg 36 190 20 222 8 90
502 64 Baden-Württemberg 18 222 36 231 8 137 590 62 Gesamt 170 1401
177 1420 52 614 3435 399
dersachsen mit 15 Schulen, Nordrhein-Westfalen mit 11 Schulen,
Sachsen mit 14 Schulen, Sachsen-Anhalt mit 13 Schulen). Insgesamt
wurden 3435 Schüler/ -innen und 399 Lehrer/ -innen zu den vor-
herrschenden Lehrmethoden im berufsspezifischen Unterricht befragt.
Auf den hier zu analysierenden kaufmännisch-verwaltenden Bereich
entfielen ins- gesamt 1420 Schüler/ -innen und 177 Lehrpersonen. Im
Bundesland Sachsen haben 217 Schüler/ -innen und 23 Lehrer/ -innen
an der Befragung teilge- nommen. Die Schüler/ -innen wurden
überwiegend in den beiden Berufen „Einzelhandelskauffrau/ -mann“ (N
= 662 entspricht 46,6 %; in Sachsen N = 101 entspricht 46,5 %) und
„Industriekauffrau/ -mann“ (N = 707 entspricht 49,8 %; in Sachsen N
= 114 entspricht 52,5 %) ausgebildet. Auf die Darstel- lung
weiterer Strukturdaten zu den befragten Personengruppen wird an
dieser Stelle verzichtet, da sie für die im Folgenden
darzustellenden Untersuchungs- ergebnisse nicht von Belang sind.
Abb. 1: Verteilung der Befragten nach Bundesländern und
Berufsfeldern
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
27
3.1 Zur Einsatzhäufigkeit der Unterrichtsmethoden
In der folgenden Abbildung 2 wird zunächst ein erster, grober
Einblick in die Einsatzhäufigkeit verschiedener
unterrichtsmethodischer Vorgehensweisen vorgelegt. Sie thematisiert
die Verwendung unterschiedlicher Unterrichtsme- thoden aus der
Sicht des Lehrpersonals. Deutlich ist aus der Abbildung abzu-
lesen, dass 39,0 % der Lehrer/ -innen in 10 oder mehr
Unterrichtsstunden Frontalunterricht abhalten. Wird innerhalb
dieser Kategorie der prozentuale Spaltenwert berechnet, so lässt
sich ein Wert von 79,3 % ermitteln. Damit wird die Dominanz des
Frontalunterrichts überdeutlich. Dieser Befund wird nochmals bei
der Betrachtung der Kategorien „5-10 Stunden pro Woche“ und „bis zu
5 Stunden pro Woche“ gestärkt. Auch in diesen Spalten zeigt sich,
dass der Frontalunterricht mit 29,4 % bzw. 20,9 % den ersten Rang
in der me- thodischen Grundorientierung der Lehrpersonen einnimmt.
Ergänzt wird der Frontalunterricht insbesondere durch die
Fallstudie. 13,0 % der Befragten ga- ben an, Fallstudien bis zu 5
Stunden pro Woche in ihrem Unterricht durchzu- führen, und weitere
14,1 % der Lehrpersonen binden Fallstudien 3-4mal im Monat in ihr
unterrichtsmethodisches Repertoire ein. Eine ähnlich ergänzende
Bedeutung fällt dem Lernen mit dem Computer zu, wenngleich im
Gegensatz zur Fallstudie der insgesamt geringere Einsatz sowie die
deutlichere Nichtan- wendung dieser Methode (mit 28,2 %)
hervorgehoben werden muss. Der Pro- jektunterricht, die Erkundung
und das Rollenspiel kommen im Kern nur 1- 2mal im Halbjahr zum
Einsatz. Die Leittextmethode und das selbstgesteuerte Lernen werden
in der Mehrzahl nicht eingesetzt. Noch seltener wird ein Plan-
spiel im kaufmännischen Unterricht durchgeführt. 27,7 % der Lehrer/
-innen gaben an, lediglich einmal im Schuljahr ein Planspiel
durchzuführen und 46,9 % des Lehrpersonals hat noch nie ein
Planspiel eingesetzt. Zusammenfassend lässt sich aus der Sicht der
Lehrer/ -innen festhalten, dass der Frontalunterricht dominiert und
die anderen Methoden eine ergänzende Funktion einnehmen. Dieser
Befund stellt sich aus der Perspektive der Schü- ler/ -innen in
ähnlicher Weise dar. Der Anteil des Frontalunterrichts wird aus
ihrer Sicht mit 79,4 % bewertet. Diese hohe Deckungsgleichheit bei
der Ein- schätzung der Einsatzhäufigkeit lässt sich bei den
anderen, tendenziell hand-
2 Die Vorstellung der Ergebnisse erfolgt auf der Basis der
Gesamtdatenlage. Werte aus dem Bundesland Sachsen werden in
Klammern eingefügt und waren eher Gegenstand der anschließenden
Diskussion.
Jens Klusmeyer
Methode
G es
am t
N 69 52 37 13 1 0 0 0 1 4 177 Frontalunterricht
% 39,0 29,4 20,9 7,3 0,6 0,0 0,0 0,0 0,6 2,3 100,0 N 2 3 10 8 8 11
43 48 29 15 177 Projektunterricht
% 1,1 1,7 5,6 4,5 4,5 6,2 24,3 27,1 16,4 8,5 100,0 N 0 0 0 2 4 19
44 43 42 23 177 Erkundung
% 0,0 0,0 0,0 1,1 2,3 10,7 24,9 24,3 23,7 13,0 100,0 N 5 12 21 21
16 14 11 12 50 15 177 Lernen mit dem
Computer % 2,8 6,8 11,9 11,9 9,0 7,9 6,2 6,8 28,2 8,5 100,0 N 0 8 4
23 13 17 13 14 57 28 177 Leittextmethode
% 0,0 4,5 2,3 13,0 7,3 9,6 7,3 7,9 32,2 15,8 100,0 N 0 3 12 22 16
17 41 14 35 17 177 Rollenspiel
% 0,0 1,7 6,8 12,4 9,0 9,6 23,2 7,9 19,8 9,6 100,0 N 4 12 16 23 22
8 20 9 33 30 177 Selbstgesteuertes
Lernen % 2,3 6,8 9,0 13,0 12,4 4,5 11,3 5,1 18,6 16,9 100,0 N 5 13
23 25 20 28 30 11 11 11 177 Fallstudie
% 2,8 7,3 13,0 14,1 11,3 15,8 16,9 6,2 6,2 6,2 100,0 N 1 2 1 2 2 0
14 49 83 23 177 Planspiel
% 0,6 1,1 0,6 1,1 1,1 0,0 7,9 27,7 46,9 13,0 100,0 N 1 7 5 3 1 0 3
1 57 99 177 Sonstiges
% 0,6 4,0 2,8 1,7 0,6 0,0 1,7 0,6 32,2 55,9 100,0
Spaltensumme N 87 112 129 142 103 114 219 201 398 265
Frontalunterricht Sp.-% 79,3 46,4 28,7 9,2 1,0 0,0 0,0 0,0 0,3
1,5
N 11 7 2 2 0 0 0 0 0 1 23 Sachsen: Frontalunterricht
% 47,8 30,4 8,7 8,7 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 4,3 100,0 Spaltensumme N 12
16 10 14 16 8 26 17 65 46 Frontalunterricht Sp.-% 91,7 43,8 20,0
14,3 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 2,2
lungsorientierteren Unterrichtsmethoden nicht feststellen. Hier
fällt die Ein- schätzung der Schüler/ -innen deutlich negativer aus
als bei den Lehrkräften. Abb. 2: Einsatzhäufigkeit von
Unterrichtsmethoden aus Sicht der Lehrpersonen
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
29
72,1
72,9
79,8
82,2
20,2
20,2
11,6
11,6
0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0
Die Fragen in Lehrergesprächen sind
tendenziell offener geworden
Unterricht einzubringen
trifft kaum zu trifft nicht zu
trifft voll zu trifft weitgehend zu
3.2 Zur Entwicklung und Verfasstheit des Frontalunterrichts aus der
Sicht der Lehrer/ -innen und Schüler/ -innen
Die festgestellte Dominanz des Frontalunterrichts wirft die Frage
nach seiner Entwicklung und inneren Verfasstheit auf. Dabei ist
zunächst festzuhalten, dass rund 2/3 der Lehrer/ -innen die Ansicht
vertreten, dass durch die Diskus- sionen um einen
handlungsorientierten Unterricht der Frontalunterricht einen
„anderen“ Stellenwert eingenommen hat. Zu beachten ist jedoch auch,
dass 27,3 % (in Sachsen 43,5 %) der Befragten für sich keinerlei
Veränderungs- entwicklungen bzw. -druck identifizieren konnten.3
Welche konkreten Verän- derungen der Frontalunterricht nach Ansicht
der Lehrer/ -innen vollzogen hat, ist in Abbildung 3
zusammengestellt. Abb. 3: Veränderungsentwicklungen
–Frontalunterricht- aus Sicht der Lehrpersonen
3 Die Werte sind aus einer entsprechenden Fragestellung der Studie
ermittelt worden. Bei den Prozentwer- ten aus Sachsen ist die
kleine Grundgesamtheit zu beachten.
Jens Klusmeyer
30
Werden die Kategorien „trifft voll zu“ und „trifft weitgehend zu“
wie in der Abbildung 3 zusammengefasst, so wird ersichtlich, dass
Lehrvorträge seltener abgehalten (72,9 %) werden, die Fragen in den
Lehrgesprächen tendenziell of- fener gestellt werden (72,1 %) und
häufiger Klassendiskussionen stattfinden (79,8 %). Bezüglich der
Mitgestaltungs- und Einflussmöglichkeiten der Schü- ler/ -innen
wird hervorgehoben, dass die Schüler/ -innen vermehrt eigene Er-
fahrungen in den Unterricht einbringen können (82,2 %). Inwieweit
die von den Lehrkräften diagnostizierten Veränderungen des Fron-
talunterrichts von den Schülerinnen und Schülern wahrgenommen
wurden, soll im Folgenden untersucht werden. Abb. 4: Der
Frontalunterricht aus der Sicht der Schüler/ -innen Die nähere
Analyse des Frontalunterrichts zeigt in Abbildung 4 deutlich, dass
aus der Sicht der Schüler/ -innen der Lehrervortrag mit 86,8 % und
das fra- gend erarbeitende Lehrgespräch mit 85,5 % im Mittelpunkt
des kaufmänni- schen Unterrichts stehen. Demgegenüber nehmen Formen
der Klassendiskus- sion einen deutlich geringeren Stellenwert ein.
Zumeist werden die Diskussi- onen eher im „klassischen Sinn“, d. h.
die Lehrperson leitet und führt die Dis-
Dr. Jens KlusmeyerDer Frontalunterricht aus der Sicht der
Schüler/-innen
11,0
43,9
85,5
86,8
86,9
54,3
13,5
12,2
0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0 100,0
W ir diskutieren untereinander. Der
Lehrer dient als Berater/Moderator
gemeinsam
redet
Prozent
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
31
Dr. Jens KlusmeyerDie Qualität der Fragestellung im
Frontalunterricht aus der Sicht der Schüler/-innen
91,0
14,5
67,4
7,6
83,5
31,1
0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0 100,0
Der Lehrer stellt Fragen, die auf eine bestimmte Antwort
ausgerichtet sind
Der Lehrer stellt Fragen, die wir mit "Ja"
oder "Nein" beantworten können
unterschiedliche Gedanken und Ideen
Kursive Zahlen = Werte in Sachsen
kussion, durchgeführt. Deutlich seltener kommen Diskussionsformen
zum Einsatz, bei denen die Schüler/ -innen ihre Ansichten
untereinander austau- schen und bei denen der Lehrende lediglich
die Rolle des Moderators ein- nimmt. In Sachsen ist der
lehrerzentrierte Frontalunterricht nach Meinung der Schüler/ -innen
stärker ausgeprägt als im Gesamtdurchschnitt. Deutlich wird dieser
Befund an der äußerst geringen Stellung der Klassendiskussionen
(73,8 %; 95,4 %) im methodischen Repertoire der Lehrpersonen.
Demgegen- über wirft der hohe Anteil des Lehrgesprächs die Frage
nach der „Qualität“ der Fragestellung auf. Abb. 5: Die „Qualität“
der Fragestellung im Frontalunterricht aus Schülersicht
Die Antworten in Abbildung 5 stehen in einem gewissen Widerspruch
zuein- ander und sind deshalb mit aller Vorsicht zu interpretieren.
Einerseits wird er- sichtlich, dass die Fragen der Lehrenden, die
auf eine bestimmte Antwort aus- gerichtet sind, mit 91 % (Summe aus
den beiden Kategorien „immer“ und
Jens Klusmeyer
„häufig“) einen aus Schüler- und Schülerinnensicht hohen
Stellenwert ein- nehmen. Dieser Befund lässt vermuten, dass das
Lehrgespräch – in behavioristischer Weise – in kleine Lern- und
Erarbeitungsschritte aufgeteilt ist und die Lernzusammenhänge in
reduktionistischer Art und Weise dargebo- ten werden. Andererseits
steht diesem Befund entgegen, dass reine Entschei- dungsfragen eine
nur noch untergeordnete Rolle spielen (14,5 %) und offene
Fragestellungen, die einen Spielraum für eigene Gedanken und
Antworten lassen, mit 67,5 % ein starkes Gewicht einnehmen. Gerade
dieses zweite Er- gebnis verweist auf eine eigene, aktive Teilnahme
im Dialog mit den Lehr- kräften. In Sachsen kommt der angesprochene
Widerspruch nicht in dieser Deutlichkeit zum Vorschein, zumal
offene Fragestellungen deutlich seltener eingesetzt werden als im
Gesamtdurchschnitt (31,1 % zu 46,8 % in Sachsen). Die Einschätzung
der Schüler/ -innen steht in einem gewissen Spannungsver- hältnis
zu der Aussage der Lehrer/ -innen, dass die Fragen in
Lehrgesprächen tendenziell offener geworden sind (vgl. Abbildung
3). Werden zur Gesamtbe- urteilung des Frontalunterrichts die hier
nicht weiter dargestellten Angaben zu den vorherrschenden
Sozialformen (Dominanz des Klassenunterrichts) und Medien (Dominanz
des Tafeleinsatzes) hinzugezogen, so kann gefolgert wer- den, dass
die Schüler/ -innen den berufsbezogenen, kaufmännischen Unter-
richt in der Tendenz als einen vom Lehrenden direkt gesteuerten
Unterrichts- prozess wahrnehmen, der ihnen eine eher passive und
rezeptive Rolle in der Wissensaufnahme zuweist. Zu fragen bleibt,
aus welchen Gründen der Frontalunterricht die methodische
Gestaltung des berufsbezogenen Unterrichts dermaßen dominiert und
weshalb die vermeintlich handlungsorientierteren
Unterrichtsmethoden einen deutlich geringeren Stellenwert im
methodischen Repertoire der Lehrkräfte einneh- men. Erste Hinweise
zur Beantwortung dieser Frage lassen sich aus den Ein- schätzungen
zu den pädagogischen, institutionellen und organisatorischen
Rahmenbedingungen zur Umsetzung handlungsorientierter Methoden
herlei- ten. 3.3 Zur Einschätzung der Rahmenbedingungen für die
Umsetzung hand- lungsorientierter Methoden
Werden die Lehrpersonen danach befragt, welche Rahmenbedingungen
dem vermehrten Einsatz handlungsorientierter Unterrichtsmethoden
entgegenste- hen, so werden folgende Gründe von den Lehrkräften
angeführt (s. Abbildung 6):
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
33
Zeitaspekt: Der Zeitaspekt bezieht sich einerseits auf die
Unterrichtsvorbereitung und an- dererseits auf den
Unterrichtsprozess selbst. So geben 72,3 % der Lehrperso- nen an,
dass die Vorbereitung eines handlungsorientierten Unterrichts zu
zeit- aufwändig sei. Bezüglich des Unterrichtsprozesses wird
mehrheitlich angege- ben, dass der Zeitaufwand für die
Methodendurchführung (86,4 %) zu groß sei und dass das Verhältnis
zwischen Zeitaufwand und Lernprozessfortgang bzw. –ertrag als
äußerst gering einzuschätzen ist (79,1 %).
Lernvoraussetzungen der Schüler/ -innen: Neben den zeitlichen
Restriktionen werden von den Lehrkräften die mangeln- den
personellen Voraussetzungen auf Seiten der Schüler/ -innen
hervorgeho- ben. Zu jeweils 1/3 sind die Lehrpersonen der
Auffassung, dass es den Schü- lerinnen und Schülern an
grundlegenden Fähigkeiten (wie bspw. Lese- und Ausdrucksfähigkeit)
sowie an fachlichen Voraussetzungen fehlt und sie mit komplexeren
Methoden schlicht überfordert wären.
Methodenkompetenzen der Lehrpersonen: Auf Seiten der Lehrer/ -innen
kommt zum Tragen, dass rund die Hälfte von ihnen angeben, dass es
ihnen an Methodenkompetenz mangelt. Immerhin wünschen sich 48 % der
Befragten mehr Kenntnisse über handlungsorientierte Methoden. Zudem
fehlt es ihnen an praktischen Erfahrungen mit diesen Me- thoden,
wie 55,4 % der Lehrpersonen bestätigen. Im Anschluss dieser
Ergebnisse ist zu klären, welche Veränderung aus der Sicht der
Lehrer/ -innen herbeigeführt werden müssen, damit handlungsorien-
tierte Unterrichtsmethoden häufiger im berufsspezifischen
Unterricht einge- setzt werden. Nach Ansicht der Lehrkräfte sind
folgende Aspekte zu verän- dern:
Curriculum/Lehrmaterialien: Auf der curricularen Ebene wird
insbesondere hervorgehoben, dass die Stoff- fülle des Lehrplans zu
reduzieren wäre (85,3 %). Zu diesem Punkt gehört auch die Forderung
nach einer größeren Anzahl geeigneter Unterrichtsmateri- alien (78
%).
Prüfungsstruktur: Die vorgegebenen Prüfungsanforderungen werten die
Lehrkräfte mit 80,8 % als besonders veränderungsbedürftig und für
den Einsatz handlungsorientier- ter Methoden als hinderlich.
Jens Klusmeyer
48,0
55,4
34,5
36,4
79,1
86,4
72,3
48,0
40,1
60,5
59,7
16,9
11,3
25,4
0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0 100,0
Ich wünsche mir mehr Kenntnisse über einzelne Methoden
Ich wünsche mir mehr Übung/Erfahrung im Umgang mit diesen
Methoden
Es mangelt bei den Schülern an fachlichen Voraussetzungen
Es mangelt bei den Schülern an grundlegenden Voraussetzungen (z.B.
Lesefähigkeit, mündliche und
schriftliche Ausdrucksfähigkeit)
Der Zeitaufwand für das Erlernen von Wissen und Fertigkeiten ist zu
hoch
Die Umsetzung der Methoden im Unterricht ist zu zeitaufwändig
Die Vorbereitung eines solchen Unterrichts ist zu
zeitaufwändig
Prozent
Abb. 6: Hemmnisse auf der pädagogisch-didaktischen Ebene, die gegen
einen handlungsorientierten Unterricht sprechen.
Schulorganisation: Bezogen auf die schulorganisatorische Ebene
würde nach Meinung der Lehr- personen ein Unterricht außerhalb der
45- bzw. 90- Minutentaktung den Ein- satz handlungsorientierter
Methoden erleichtern (67,2 %). Fortbildungen: Der Wunsch nach einem
größeren Fortbildungsangebot (65,0 %) lässt mit al- ler Vorsicht
auf eine Unzufriedenheit der Lehrkräfte in Bezug auf die aktuel-
len Angebote schließen. Dieser Aspekt steht vermutlich im
Zusammenhang mit dem Bedürfnis der Lehrer/ -innen nach mehr
Kenntnissen und Erfahrun- gen über und mit handlungsorientierten
Methoden (s. Abbildung 6). Deshalb soll abschließend die Frage
aufgenommen werden, wie die Lehrkräfte das quantitative und
qualitative Fortbildungsangebot einschätzen.
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
35
Ich würde handlungsorientiertere Unterrichtsmethoden häufiger
einsetzen, wenn ...
65,0
78,0
67,2
80,8
85,3
31,6
19,2
27,7
15,8
10,7
0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0
es für diese Methoden ein größeres Angebot an Fortbildungen
gäbe
es für diese Methoden eine größere Anzahl geeigneter
Unterrichtsmaterialien gäbe, an denen
ich mich orientieren könnte
die Prüfungsanforderungen verändert werden würden
die Stofffülle des Lehrplans reduziert werden würde
Prozent
Abb. 7: Hemmnisse auf der organisatorisch-institutionellen Ebene,
die gegen einen handlungsorientierten Unterricht sprechen.
Der erste, zusammenfassende Blick auf die Abbildung 8 verdeutlicht,
dass nur 39,0 % (in Sachsen nur 21,7 %) mit der angebotenen Menge
an Fortbildungen zufrieden oder sehr zufrieden sind. Die Mehrheit
der Lehrkräfte (47, 4 %; in Sachsen 56,5 %) ist jedoch weniger
zufrieden oder sogar unzufrieden mit dem quantitativen Angebot.
Bezüglich der Qualität zeichnet sich ein sehr ähnliches Bild ab. So
sind nur rund 1/3 (in Sachsen 1/5) der Befragten mit der Qualität
der Veranstaltungen zufrieden oder sehr zufrieden und 42,6 (in
Sachsen 43,4 %) sind weniger zufrieden oder unzufrieden.4
4 Die Beurteilung der Fortbildungsveranstaltungen in ihrer
Quantität und Qualität wird in den einzelnen Bundesländern sehr
unterschiedlich bewertet.
Jens Klusmeyer
35,8
39,0
42,6
47,5
0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0 45,0 50,0
Mit der Qualität des Fort- bildungsangebots bin ich
Mit der Quantität des Fort- bildungsangebots bin ich
Prozent
Kursive Zahlen = Werte in Sachsen
Abb. 8: Quantität und Qualität der Fortbildungsveranstaltungen aus
der Sicht der Lehrpersonen
4. Schlussbemerkungen
Angesichts der seit Jahren intensiv geführten
didaktisch-methodischen Dis- kussionen kann man mit den dargelegten
Ergebnissen zum unterrichtsmetho- dischen Repertoire der Lehrer/
-innen im berufsspezifischen, kaufmännischen Unterricht insgesamt
nicht zufrieden sein. Vor dem Hintergrund der Projekt- ergebnisse
nehmen die in der Literatur vorfindbaren Erfahrungsberichte und
Fallbeispiele zu handlungsorientierten Methodenarrangements
allenfalls einen „Leuchtturmcharakter“ ein (vgl. Pätzold &
Wingels, 2003, S. 278). Folgerun- gen aus den vorgestellten
Ergebnissen lassen sich aufgrund ihrer Komplexität – betreffen sie
doch die Ebene der Wissenschaft, Bildungspolitik und Bil-
dungspraxis - an dieser Stelle nicht ausführlich darlegen.
Analysen zum Methodeneinsatz im kaufmännischen Unterricht
37
In Bezug auf die Dominanz des wenig schülerorientierten
Frontalunterrichts soll jedoch erwähnt werden, dass meines
Erachtens Maßnahmen erforderlich werden, die die Routinisierung bei
der Gestaltung des Frontalunterrichts auf- brechen und den
Frontalunterricht somit weiterentwickeln (vgl. Bohl 2001, S. 285
und S. 359). Diese Forderung darf nicht missverstanden werden. Es
soll nicht die dominierende Stellung des Frontalunterrichts als
Unterrichtsme- thode zementiert werden, sondern es gilt seine
Qualität zu verbessern. Dieser Aspekt erhält eine um so größere
Bedeutung, wenn der Blick auf die Häufig- keit seines Aufkommens
gerichtet wird. Darüber hinaus ist das unterrichtsme- thodische
Repertoire der Lehrer/ -innen in Bezug auf die handlungsorientier-
teren Methoden zu erweitern. Dass bei beiden Aufgaben „verbesserte“
Fort- bildungen eine besondere Rolle spielen könnten, braucht nicht
weiter ausge- führt zu werden. Jedoch ist in diesem Zusammenhang zu
berücksichtigen, dass weniger theoretische Kenntnisse über
handlungsorientierte Methoden von den Lehrer/ -innen nachgefragt
werden, als vielmehr intensivere Übungen und Erfahrungen im Umgang
mit neuen Methoden. Zur Übung und zur kon- kreten Erprobung
unterschiedlicher Unterrichtsmethoden sind angebotsorien- tierte
Lehrerfortbildungsveranstaltungen, die fern vom Arbeitsplatz
durchge- führt werden, eher ungeeignet. Deshalb sind Programme zu
entwickeln und zu erproben, die den Lernort Schule zum Ort des
unterrichtsmethodischen Wei- terlernens nutzen. Dabei wären Formen
des Coaching, Mentoring usw. in die Programmentwicklung der
berufsbildenden Schulen einzubeziehen.
Literatur
Jens Klusmeyer
Pätzold, G. & Wingels, J.: Der Einsatz methodischer
Arrangements - eine ak- tuelle Studie. In: Cramer, G. (Hrsg.):
Jahrbuch Ausbildungspraxis 2003. Er- folgreiches
Ausbildungsmanagement. Köln 2003, S. 271-278. Terhart, E.:
Lehr-Lern-Methoden. Eine Einführung in Probleme der methodi- schen
Organisation von Lehren und Lernen. Weinheim & München
1997.
Verfasser Dr. Jens Klusmeyer ist wissenschaftlicher Assistent im
Fachgebiet Berufs- und Wirtschaftspädagogik am Institut für
Betriebswirtschaftslehre II der Uni- versität Oldenburg.
39
Die Juniorenfirma ist eine selbstständige „Miniaturfirma“, die
innerhalb der betrieblichen, schulischen, oder außerschulischen
Ausbildung als praktische Ausbildungsmethode eingesetzt wird. Sie
ist eine Firma mit realem Ge- schäftsbetrieb, Waren oder
Dienstleistungen werden erstellt, verkauft und ab- gerechnet.
Gewinne und Verluste müssen verantwortet werden. Die Handlun- gen
in den Juniorenfirmen zielen sowohl auf den ökonomischen Erfolg als
auch auf die Verbesserung des Lernens. Arbeits- und Lernmotivation
sollen durch praktisches Tun und ernste Lernsituationen gesteigert
werden. Selbst- ständigkeit und Selbstwertgefühl werden gefördert.
Die Fähigkeit zur Zu- sammenarbeit wird zu einer Notwendigkeit. Das
Juniorenfirmenkonzept kann als „reale Projektarbeit“ verstanden
werden, das in vielen Ausbildungsberufen angewendet werden kann.
Das gilt sowohl für die kaufmännischen als auch für die
gewerblichen Berufe. Der Begriff Juniorenfirma wird vor allem für
Firmen in Ausbildungsbetrieben benutzt. Bei vollschulischer
Berufsausbil- dung oder bei allgemeinbildenden Schulen spricht man
auch von Schülerfir- men. Diese haben eine zusätzliche Funktion in
der Berufsorientierung. Die Schüler sollen dabei auch informiert
werden über Möglichkeiten der eigenen beruflichen Zukunft, über
Übergänge und Zwischenschritte von der Schule zum Beruf sowie über
Zukunftsperspektiven von Berufen und neuen betrieb- lichen
Anforderungen. Die Distanz zwischen Schule und Betrieb soll vermin-
dert werden. Betrieb und Schulen sollen besser zusammen arbeiten.
Schüler- firmen sind deswegen nicht nur für leistungsorientierte
und wirtschaftsorien- tierte Schüler gedacht, sondern auch für
benachteiligte Schülerinnen und Schüler. Mit dem Erwerb von
Schlüsselqualifikationen entscheidet sich, ob sie eine reale
Vermittlungschance in Ausbildung und Beruf haben. Junioren- und
Schülerfirmen sind reale Unternehmen. Davon ist die Übungs- firma
abzugrenzen. Die Übungsfirma ist zwar auch ein Ort handlungsorien-
tierten Lernens allerdings nur eine Art „Laboratorium“. Sie ist ein
Lernort für die Aus- und Weiterbildung von Kaufleuten, in der
berufspraktische Fertig- keiten und Kenntnisse praxisorientiert
vermittelt, erweitert und vertieft wer- den. Übungsfirmen sind Orte
der Simulation von Unternehmensabläufen, oh- ne wirkliches
unternehmerisches Risiko. Sie können aber Außenkontakte zu anderen
Übungsfirmen schaffen und sich in Übungsfirmenringen zusammen-
finden. Weiterhin gibt es noch Lernbüros. Es ist ein geschlossenes
Modell, das Arbeitsabläufe eines Betriebes simuliert. Es hat keinen
Bezug zu anderen Lernbüros oder zur realen Wirtschaft. Lieferanten,
Kunden, Behörden, Dienst- leistungsunternehmen werden deshalb vom
Lehrer oder von Teilnehmern oder einer Teilnehmergruppe
initiiert.
Das Juniorenfirmenkonzept
Juniorenfirmen haben den Vorteil, dass sie in das reale
Wirtschaftsgeschehen eingebunden sind. Der Nachteil kann die
Haftung und die Betriebsblindheit sein. Die Übungsfirma hat den
Vorteil, dass sie branchentypische Situationen simulieren kann, die
im einzelnen Betrieb nicht möglich sind. Der Nachteil ist die
Marktferne. Das Lernbüro kann branchentypische Probleme simulieren
und die Lernvoraussetzungen der einzelnen Teilnehmergruppen am
besten be- rücksichtigen, allerdings liegt auch hier der Nachteil
in der Marktferne. Alle drei Arbeitsmethoden sind in der
berufspädagogischen Diskussion anerkannt und haben ihre jeweilige
Berechtigung. Es gibt zu den drei Methoden Modell- versuche und
wissenschaftliche Auswertungen (vgl. Frick 2000, Schülerfirma 2000
NRW, Preiß/Wahler 1999. Schneider 1994).
2. Verbesserung der Berufsausbildung durch praktisches Tun
Juniorenfirmen gibt es seit Mitte der 70er Jahre. Die erste Firma
nahm 1975 bei der Zahnradfabrik Friedrichshafen AG ihre Arbeit auf.
Sie gehören seither zum festen Repertoire in der beruflichen
Bildung. Sie sind praxisbezogene Ergänzungen zum schulischen
Unterricht und zur betrieblichen Ausbildung. Sie können als
Weiterentwicklung des projektbezogenen Unterrichts angese- hen
werden. Der Projektbegriff wurde vor allem durch John Dewey, dem
Be- gründer des amerikanischen Pragmatismus, bereits in den 20er
Jahren in die berufspädagogische Diskussion eingeführt. Die
Berufsausbildung soll durch praktisches Handeln, Zielorientierung
und Planmäßigkeit verbessert werden. Diese Ziele sollen die
Motivation aller Beteiligten erhöhen. Die Projektme- thode war in
den 20er Jahren Teil einer Neuorientierung in der Pädagogik, die
sich als Reformpädagogik verstand. Das Juniorenfirmenkonzept wurde
in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Diskussion um das
Schlüsselqualifikationskonzept und im Rah- men der
Handlungsorientierung diskutiert. Der Begriff
Schlüsselqualifikation wurde 1974 von dem Arbeitsmarktforscher
Dieter Mertens eingeführt. Allge- mein lassen sie sich als
berufsübergreifende Qualifikationen beschreiben. Sie sind nichts
anderes als die Wiederentdeckung einer ganzheitlichen Lern- und
Arbeitsqualifikation, die durch das duale System verloren gegangen
ist. Schlüsselqualifikationen werden unterschiedlich definiert und
bewertet. Es lassen sich folgende Schlüsselqualifikationen
anführen: selbstständiges Han- deln, Teamfähigkeit, Kooperations-
und Kommunikations- und Konfliktfä- higkeit, Kreativität,
Flexibilität und Mobilität. Das Schlüsselqualifikations- konzept
kann als eine Antwort auf den technologischen Wandel, die Arbeits-
marktsituation, den gesellschaftlichen Wandel und den Wertewandel
gesehen werden. Die Ausbildung von Schlüsselqualifikationen –
außerfachlicher bzw.
Helmut Woll
extrafunktionaler Qualifikationen – soll die Handlungskompetenz der
Auszu- bildenden erhöhen. Diese kann wiederum in Fach- , Methoden-,
Sozial- und Selbstkompetenz differenziert werden. Juniorenfirmen
sollen in diesem Ver- ständnis dazu beitragen,
Schlüsselqualifikationen und damit Handlungskom- petenz erlernbar
zu machen. Diese Neuorientierung der beruflichen Bildung erfordert
auch ein verändertes Ausbildungsverständnis und einen neuen Lern-
begriff. Die aktive und selbständige Auseinandersetzung des
Lernenden mit dem Lerngegenstand. Eigene Entscheidungen treffen und
die Problemlösefä- higkeit fördern, werden zu neuen Zielen in der
beruflichen Bildung. Das the- oretisch-abstrakte Lernen soll
ergänzt werden durch das Lernen aus eigener praktischer Erfahrung.
Gestützt auf die Arbeiten von Aebli, Piaget, Volpert u.a. wurde in
den 80er Jahren das handlungsorientierte Konzept entwickelt und in
den 90er Jahren durch konstruktivistische und
kognitionswissenschaft- liche Aspekte weiterentwickelt und ergänzt.
Die Handlungstheorie ging von einem wechselseitigen Verhältnis von
Denken und Handeln aus und betont dadurch die Bedeutung der Praxis
für den Lernprozess. Konstruktivismus und Kognitionswissenschaften
betonen die Notwendigkeit der Eigenaktivitäten der Lernenden und
die Sinnhaltigkeit von komplexen Lehr- und Lernstrategien. Vor
allem das menschliche Gehirn müsste stärker in seiner
Koordinations- funktion durch komplexe Lernsituationen
herausgefordert werden. Das neue Lernen soll erreicht werden durch
einen Pluralismus von handlungsorientier- ten Methoden:
Fallstudien, Projekte, Leittextmethode, Simulationen, Lernbü- ros,
Übungsfirmen und auch Juniorenfirmen.
3. Von der Arbeitnehmermentalität zum unternehmerischen
Handeln
In den letzten Jahren wird in der berufspädagogischen Diskussion
die Junio- renfirma nicht nur als ein praxisorientiertes Konzept
zur Verbesserung der Handlungskompetenz gesehen, sondern auch als
ein Instrument zur Förderung unternehmerischen Handelns. Allgemein
geht man davon aus, dass in der Bundesrepublik Deutschland der
Anteil von Selbstständigen zu gering ist. Aus diesen Gründen wird
die Existenzgründung stärker gefördert. Das Junioren- firmenkonzept
kann nun auch gesehen werden, als eine Förderung nicht nur der
Schlüsselqualifikationen, sondern der Bereitschaft sich mit
unternehmeri- schem Handeln stärker zu identifizieren, d.h. einen
Paradigmenwechsel von der Angestelltenmentalität zum
unternehmerischen Handeln (vgl. Hansen 1992) zu unterstützen. Es
fehlt also an Unternehmern bzw. Entrepreneuren (innovativen
Unternehmensgründern). Von diesen werden nicht nur Schlüs-
selqualifikationen verlangt, sondern vielmehr: Kreativität,
Innovation, Unter- nehmensgestaltung und nachhaltige Dynamik. Man
kann von vier zentralen
Das Juniorenfirmenkonzept
43
Unternehmerfunktionen (vgl. Schaller 2001, S. 14) ausgehen:
Innovation, das Tragen von Risiko, das Entdecken und das
Koordinieren. Schaller nennt zehn Eigenschaften, die ein
dynamischer Unternehmer (Entrepreneur) haben sollte: "Er
entscheidet, ob, was und wie produziert wird. Er ist der letzte
Entscheider. Er trifft exzeptionelle Entscheidungen, setzt sich
durch und verantwortet sie. Er ist ein Macher – als eine Person,
die eine Chance erkennt und anpackt. Er beeinflusst die
Transformations- oder Transaktionskosten in systematischer und
entscheidender Weise. Er besitzt den höchsten Freiheitsgrad
innerhalb einer abgegrenzten Organisa- tion. Man findet
Entrepreneure typischerweise unter der selbstständigen Unter-
nehmerschaft und besonders häufig bei den Unternehmensgründern. Man
kann sie aber auch – mit einigen Abstrichen hinsichtlich der
Freiheitsgrade – unter den Top Managern von Groß-Unternehmen oder
von Non-Profit- Organisationen identifizieren und gegebenen falls
sogar in Politik und Ver- waltung. Angehörige des mittleren
Managements sind dagegen als Intrapre- neure zu bezeichnen, falls
sie unternehmerisch denken und handeln und dies auch dürfen. Ein
Entrepreneur muss demnach nicht zwingend Eigentum an einem
Unternehmen besitzen. Sein Handeln ist sehr stark von dem Element
des Neuen geprägt. Er ist stän- dig auf der Suche nach kreativen
und innovativen Arbitragemöglichkeiten. Er muss ständig
Wertsteigerungspotentiale erkennen und strukturieren können. Damit
ist der Entrepreneur ein Suchender und ein Entdecker. Er besitzt
eine hohe Urteilskraft und Entscheidungsfähigkeit. Er fühlt sich
nicht unwohl in ungewissen, schlecht strukturierten
Entscheidungssituationen. Er steht syn- onym für das Schaffen von
Werten. Ein Entrepreneur bearbeitet Projekte mit einem begrenzten
Zeithorizont. Er bildet dafür eine Zweckgemeinschaft der
Produktionsfaktoren auf Zeit mit dem Ziel, die Wertschöpfung für
sich als Bezieher des Residualeinkommens realisieren zu können. Da
es relevant ist, wer eine Entscheidung im Unternehmen trifft,
besitzt der Entrepreneur eine zentrale Rolle und ist für eine
Wettbewerbswirtschaft un- entbehrlich. Entrepreneur zu sein, ist
ein Prädikat, das eine Person im Zeitab- laufplan innehaben kann
oder auch nicht." (Schaller 2001, S. 32/33) Stellt man die
Juniorenfirma in diesen unternehmerischen Zusammenhang, so könnte
sie als ein erster Versuch in Richtung Selbstständigkeit gewertet
wer- den. Hier stellt sich natürlich auch die Frage, ob
unternehmerisches Verhalten überhaupt erlernbar ist. Man kann
zwischen lehrbaren und nichtlehrbaren Fä- higkeiten unterscheiden:
Kreativität, Risikobereitschaft oder auch Innovation gelten als
förderbar, nicht jedoch als lehrbar. Die als erlernbar vermuteten
Fä- higkeiten und Fertigkeiten kann man als „skills“ bezeichnen.
Man unterschei-
Helmut Woll
det „technical skills“, das ist kaufmännisches und sonstiges
technisches Wis- sen, „human skills“ das sind soziale Fähigkeiten
und „conceptual skills“, dar- unter werden Fähigkeiten zum
analytischen, planerischen, strategischen und kreativen Denken
verstanden (Vgl. Schaller 1997, S. 43). Wenn man den beschriebenen
Paradigmenwechsel von der Ausbildung einer Angestelltenmentalität
zur Herausbildung einer Unternehmermentalität als Kriterium hinzu
nimmt, dann muss die eingangs erfolgte Einordnung der Ju-
niorenfirmen (Schülerfirmen), Übungsfirmen und Lernbüros
modifiziert wer- den. Unter dem Blickwinkel der Selbstständigkeit
sind vor allem die Junioren- firmen zu präferieren, da sie am
besten das Marktgeschehen berücksichtigen.
Literatur
Wolfgang Fix: Juniorenfirmen. Ein innovatives Konzept zur Förderung
von Schlüsselqualifikationen, Berlin 1989. Simone P.A. Frick: Die
Übungsfirma in der kaufmännischen Lehre. St. Gallen 2000. Klaus P.
Hansen: Die Mentalität des Erwerbs. Erfolgsphilosophien amerika-
nischer Unternehmer. Ffm/New York 1992. Konrad Kutt. Juniorenfirmen
und Umweltschutz. Heft 50. Hrsg. vom Bundes- institut für
Berufsbildung. Bielefeld 1996. Landesarbeitsgemeinschaft Schule
Wirtschaft, Thüringen, Schülerfirmen. Wenn Schüler zu Unternehmern
werden. 1. Aufl. 2000. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung
NRW, Schülerfirma. Von der I- dee zur Realisierung. 1. Aufl. Soest
2000. Armin Schaller: Entrepreneurship oder wie ein Unternehmen
denken muß. In: Blum/Leibbrand (Hrsg). Entrepreneurship und
Unternehmertum. S. 3-56. 1. Aufl. Wiesbaden 2001. D. Schneider:
Lernbüroarbeit zwischen Anspruch und Realität. Untersuchung zur
Theorie und Praxis der Lernbüroarbeit an kaufmännischen Schulen
unter fachdidaktischem Aspekt. Göttingen 1994. Helmut Woll/Andreas
Neubert: Alles Leben ist Problemlösen: die Junioren- firma
erscheint in der Festschrift für Reinhard Czycholl.
Verfasser Prof. Dr. Helmut Woll ist Inhaber der Professur
Wirtschaftspädagogik an der Technischen Universität Chemnitz.
45
form - Beispiele aus Sachsen -
1 Hierbei wird verwiesen auf die durchaus umstrittene Diskussion um
die Ablösung des Bildungsbegriffes durch die begrifflichen
Konstrukte „Kompetenz“ und „Qualifikation“ in der u.a. die
kritiklose und trendori- entierte Installation bildungsexterner
Zielvorgaben und Interessen kritisiert wird. „,Kompetenz’ wurde zur
semantischen Projektionsfläche für Zuschreibungen, die etwas mit
Fähigkeiten zu tun haben, die im Le- bens- und Arbeitsvollzug
gebraucht werden und deren Erwerb möglich ist.“ (Geissler/Orthey,
2002, S.70.)
Juniorenfirmen - Beispiele aus Sachsen
In die Ansätze der Neuentwürfe bzw. der Wiederbelebung
reformpädagogi- scher Lehr- und Lernkonzepte und –strategien ist
auch die sich mittlerweile postmoderner Differenzierungsprozessen
anpassende Idee der Juniorenfirma einzuordnen. „Als Reaktion auf
die schwindende Attraktivität des Arbeits- platzes in großen Büros
und Verwaltungen bietet das ganzheitliche Lernen in der
Juniorenfirma und die Interaktion in einer Gruppe von
Auszubildenden, die sich den Erfolg der Firma zum Ziel gesetzt hat,
ein ganz neues Maß an Er- fahrungsmöglichkeiten und
Motivationschancen.“ (Preiß/Wahler, 1999, S.11) Im vorliegenden
Artikel soll das Konzept der Juniorenfirma, Intentionen und
Voraussetzungen ihrer Implementierung in der beruflichen Ausbildung
sowie Problemfelder und Ausdifferenzierungs- bzw.
Pluralisierungsformen der ei- gentlichen Juniorenfirmenidee
vorgestellt werden. Den Abschluss bildet ein Überblick über die
Arbeit mit und in Juniorenfirmen im Freistaat Sachsen.
2. Ursprünge und Idee des Juniorenfirmen-Konzepts
So neu wie das Konzept der Juniorenfirma erscheint; es hat
historische Ah- nen. „Übungskontore“ im späten Mittelalter,
„Junior-Läden“ Ende des 18. Jahrhunderts oder Miniunternehmen der
sogenannten „Junior achievement Companies“ in den USA der frühen
20er Jahre des 20 Jahrhunderts – eine Or- ganisation, die bis heute
existiert und mittlerweile auf über 8.000 zugehörige „Companies“
zählen kann. (vgl. BmBF, 2001, S.20) – sind Beispiele für Tra-
ditionslinien, auf die sich das heutige Juniorenfirmenkonzept
stützen kann. Im Zuge einer verstärkten Rekurrenz der Berufsbildung
auf reformpädagogi- sche Traditionen und deren Verknüpfung mit
neuen Ansätzen trat auch das Juniorenfirmen-Konzept unter dem
Paradigma eines „handlungs- und reali- tätsorientierten
Unterrichts“ Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre in neuem,
reformierten Gewand zu Tage. In der Idee der Juniorenfirma spiegeln
sich an- teilig Ansätze eines erfahrungs- und problemorientierten
Lernens wieder. Ausgangspunkt für den Beginn einer intensiveren
Beschäftigung mit der Lehr- Lernmethode Juniorenfirma war ein
Modellversuch und die damit ver- bundene Begleitung einer
Juniorenfirma in der Zahnradfabrik Friedrichshafen AG bzw. die
Gründung weiterer betrieblicher Juniorenfirmen Mitte der 80er Jahre
in Bayern und Baden-Württemberg unter der Leitung und Betreuung von
Wolfgang Fix.2 Der Transfer von Ergebnissen und Erkenntnissen
wurde
2 Die Ergebnisse des Modellversuches sowie weitere Publikationen
von Wolfgang Fix sind noch in der heutigen Debatte von Bedeutung.
(Fix, 1986; Fix, 1989)
Andreas Neubert
mittels eines großen Aufwandes an public relation gefördert und
somit ein Prototyp heutiger Juniorenfirmen öffentlichkeitswirksam
etabliert. In der Analyse aktueller Konstrukte der Juniorenfirma
haben sich die grund- legenden pädagogischen Vorstellungen über
Ziel und Zweck der Juniorenfir- menarbeit nur unwesentlich
verändert. Die Vorstellungen von Bunk/Zedler (1986) - aus der
‚Gründerzeit’ - über das Juniorenfirmenkonzept, könnten z.B. aus
der aktuellen Diskussion