23
Das lineare Innovationsmodell als Erzählung über die Einheit der Wissenschaft David Kaldewey Das dichtome Modell Das lineare Modell Tod und Leben des linearen Modells Thesen zur Persistenz Die Narrativität des linearen Modells Zusammenfassende Thesen Das ›lineare Innovationsmodell‹ als Erzählung über die Einheit der Wissenschaft David Kaldewey Institut für Wissenschafts- und Technikforschung Universität Bielefeld Vortrag zur GWTF/GWG-Tagung 18./19. November 2011 1 / 23

Innovationsmodell David Kaldewey Das ... · Das lineare Innovationsmodell als Erzählung über die Einheit der Wissenschaft David Kaldewey Das dichtome Modell Das lineare Modell Tod

Embed Size (px)

Citation preview

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Das ›lineare Innovationsmodell‹ alsErzählung über die Einheit der Wissenschaft

David Kaldewey

Institut für Wissenschafts- und TechnikforschungUniversität Bielefeld

Vortrag zur GWTF/GWG-Tagung18./19. November 2011

1 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Das dichotome Modell oder die Unterscheidung vonGrundlagenforschung und angewandter Forschung

Das lineare Modell als Nachfolger des dichotomen Modells

Tod und Leben des linearen Modells

Wie lässt sich die Persistenz des dichotomen und des linearenModells erklären?

Die Narrativität des linearen Modells

Zusammenfassende Thesen

2 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Grundlagenforschung und angewandte Forschung:Das dichotome Modell

I »Chemia pura et applicata« (Wallerius 1751)I »Pure science« (19. Jh.; exemplarisch Rowland 1883)I »Industrial research« (1910er Jahre)I »Fundamental research« (DSIR ab 1916; Jewett in den

1930ern)I »Basic research« (Bush-Report 1945)I Nach dem Zweiten Weltkrieg setzt sich die Unterscheidung

von »basic research« und »applied research« durch

3 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Grundlagenforschung und angewandte Forschungin der Zeitschrift Science, 1880-2010

7 Reine Wissenschaft und angewandte Forschung

1880 1925 1945 1965 1990 2010

0

50

100

150

200

250

300

350

400

450

500

Anz

ahlA

rtik

elim

Zeit

raum

von

zwei

Jahr

en

›basic‹›fundamental‹

›pure‹›applied‹

Abbildung 7.4: Die Semantik der Wissenschaft in den USA, 1880-2010(Quelle: eigene Darstellung auf Basis des Archivs von Science)

336

4 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Grundlagenforschung und angewandte Forschungim deutschen Sprachraum

5 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Von der Grundlagenforschung zur technischenInnovation: Das lineare Modell

I Dynamisierung des dichotomen ModellsI Ersetzung von »pure science« durch »fundamental« oder

»basic research« (1930er Jahre)I R&D-Trias: »basic research«, »applied research«,

»development« (z. B. OECD Frascati Manual, seit den1960er Jahren)

I Vierstufige Modelle enthalten zusätzlich Kategorien wie»production« oder »diffusion«

I Diese verschiedenen Typologien werden erst in den 1980erJahren unter den Ausdruck »lineares Modell« subsumiert(vgl. Edgerton 2004: »term of art without history«)

6 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

7 Reine Wissenschaft und angewandte Forschung

1. Stufe 2. Stufe 3. Stufe 4. Stufe——————— research ——————— ——— innovation ———

Mees (1920) ——— pure ——— applied development manu-factoring

Huxley (1934) background basic ad hoc development

Schumpeter (1939) invention innovation

Bernal (1939) —— pure/fundamental —— applied

Stevens (1941) fundamental pioneering applied test-tube,pilot plant

production

Bichowsky (1942) ——— pure ——— —— laboratory work —— factory

Bush (1945) ——— basic ——— applied development

Steelman (1947) fundamental background applied development

Canadian, DRS(1947)

pure background applied development analysis,testing

Furnas (1948) fundamental/exploratory applied development production

Conant in NSF uncommitted —— programmatic ——(1951)Brozen (1951) —— fundamental/basic —— applied development production,

serviceMaclaurin (1953) ——— pure ——— invention innovation finance,

acceptanceDearborn et al. —— uncommitted —— applied development(1953)US, NSF (1953) ——— basic ——— applied development

UK, DSIR (1958) ——— basic ——— applied development prototype

OECD Frascati —— fundamental —— applied development non-researchManual (1963)US, Waterman(1965)

free basic mission-related basic

applied

Brooks (1967) basic/pure/fundamental

mission-oriented

basic

applied

OECD Frascati pure oriented applied experimentalManual (1970) basic basic development

Abbildung 7.5: Variationen des linearen Modells, 1920-1970(Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Godin)

346

7 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Varianten des linearen Modells

8 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Varianten des linearen Modells

9 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Varianten des linearen Modells

10 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Varianten des linearen Modells

11 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Varianten des linearen Modells

12 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Varianten des linearen Modells

13 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Tod ...

I »Everyone knows that the linear model of innovation isdead« (Rosenberg 1994)

I »The model misrepresents and oversimplifies a more complexscience/society relationship, and the widespread acceptanceof this misrepresentation hinders productive debate onscience« (Pielke/Byerly 1998)

I »The linear model is now dead; but it has not yet beensuccessfully replaced by a new orthodoxy« (Wengenroth2000)

14 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

... oder Leben

I »All across Europe it is appreciated that research is one ofthe foundations of technological innovation and hence is akey to meeting the challenges of global competition«(Christoph Kratky, Präsident des ÖsterreichsichenWissenschaftsfondes, 2007)

I »Across the globe science and innovation are seen as the wayto advance wealth, health and prosperity« (Ian Halliday,Präsident der European Science Foundation, 2007)

15 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Zur Unterscheidung von analytischen undhistorischen Kategorien

I Die Aussage, dass das dichotome und/oder das lineare Modelltot seien, macht nur Sinn, wenn man die jeweiligen Begriffeund Kategorien als analytische konzipiert

I Wenn man dagegen Begriffe wie »basic research«, »appliedresearch« und »innovation« als historische versteht, dannverliert die Todes-These ihren Sinn.

I Beobachtung erster Ordnung vs. Beobachtung zweiterOrdnung (Luhmann)

16 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Wie lässt sich die Persistenz des dichotomen unddes linearen Modells erklären?

I These 1: Verselbständigung statistischer Kategorien, u. a.durch die Frascati Manuals der OECD (Godin 2003, 2005,2006)

I These 2: Strategisches »boundary work« in derKommunikation zwischen Wissenschaft und Politik (Gieryn1983, Kline 1995, Calvert 2004, 2006)

I Beide Thesen sind plausibel, können den anhaltenden Erfolgdes Modells aber nur in Aspekten erklären.

I These 3: Es geht um »identity work« der Wissenschaft selbst

17 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Identitätsbegriffe der Soziologie

I Identität als Narration (z. B. Somers 1994)I Boundary workI Identity workI Identität des personalen Subjekts vs. Identität von sozialen

SystemenI Einheit vs. Identität; autopoietische Schließung vs.

Selbstbeschreibung (Luhmann)

18 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Die Narrativität des linearen Modells

I Als Modell ist das lineare Modell unterkomplex; als Erzählungerfüllt es seine Funktion nicht trotz, sondern gerade wegenseiner Unterkomplexität.

I Das lineare Modell gibt den heterogenen Formen derWissensproduktion eine gemeinsame Identität, es bindet sieein in ein übergeordnetes Unternehmen. Grundlagenforscher,anwendungsorientierte Wissenschaftler und Ingenieure bildeneine fiktive Gemeinschaft, die im Sinne des linearen Modellsein Problem lösen, ein Abenteur bestehen und ein Happy Endeinleiten.

19 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Beispiel I: Ein Mathematiker erzählt

I »Im Folgenden möchte ich drei mathematische Geschichtenerzählen« (Bernhard Korte, in: Entdeckung, Erkenntnis,Fortschritt – 1. Symposion der deutschen Akademien derWissenschaften, Mainz 1996)

I »Vom Fermat zum höchstkomplexen Chip«I »Von Lord Hamilton zu ROSAT«I »Von Euler zur Maschinensteuerung«I Zusammenfassend kann man von einer »von–zu«-Struktur

sprechen.

20 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Beispiel II: Universitätspräsidenten erzählen

I Slaughter (1993) untersucht Reden vonUniversitätspräsidenten vor dem US-Kongress zwischen 1980und 1985. Dabei unterscheidet sie ein altes und eine neuesNarrativ:

I »the fruits-of-research narrative«: »... Basic science was thecornucopia, spilling over the fruits of research that madeprogress possible« (entspr. dem dichotomen Modell)

I »the orders-of-magnitude narrative«: »... In so doing, thepresidents redefined the mission of academic science ... Nowthe presidents were creating a narrative in which universityand industry undertook the same task, bringing academicscience closer to the private sector but blurring the missionsof academic and industrial science« (entspr. dem linearenModell)

21 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Beispiel III: Blurring Boundaries

I Die Diagnose der »blurring boundaries« (Mode 2 etc.) kannals Umschrift des linearen Modells verstanden werden.

I Verwandt damit sind die vielen Versuche, dritte Kategorieneinzuführen (»anwendungsorientierte Grundlagenforschung«,»strategic research«, »use-inspired basic research«,»Jeffersonian science«)

I In allen diesen Fällen werden mit narrativen Mitteln kausaleVerknüpfungen zwischen verschiedenen Forschungsformenpostuliert, und in allen Fällen wird damit indirekt die Einheitder Wissenschaft performiert.

22 / 23

Das lineareInnovationsmodellals Erzählung über

die Einheit derWissenschaft

David Kaldewey

Das dichtomeModell

Das lineare Modell

Tod und Leben deslinearen Modells

Thesen zurPersistenz

Die Narrativitätdes linearenModells

ZusammenfassendeThesen

Zusammenfassende Thesen

I Das lineare Modell sollte nicht als Analytik, sondern alsflexible Erzählung interpretiert werden, die dazu dient,heterogene Aktivitäten, Projekte oder Organisationen alsgesellschaftlich relevant zu legitimieren, indem es sie aufunhinterfragte Werte – Innovativität und ökonomischeKonkurrenzfähigkeit – ausrichtet.

I Anders, als es die Rede von »blurring boundaries« und voneiner »Entdifferenzierung zwischen Wissenschaft undGesellschaft« nahelegt, konstituiert das lineare Modell imMedium des Narrativen die Identität der gesellschaftlichrelevanten Wissenschaft. Grenzen werden also nicht aufgelöst,sondern neu gezogen.

I Damit erhält auch die alte wissenschaftstheoretische Fragenach der Einheit der Wissenschaft eine neue, soziologischreflektierte und empirisch einholbare Form.

23 / 23