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Erich Latniak & Anja Gerlmaier
Zwischen Innovation und alltäglichem Kleinkrieg -Zur Belastungssituation von IT-Beschäftigten
IT-Fachtagung für Betriebsräte„Arbeiten Just-in-Time – Arbeitszeitgestaltung für Betriebsräte“ Hannover, 03./04.05.2007
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1. Bestimmungsmerkmale von Projektarbeit
Anforderungen bei Projektarbeit: • Arbeitsaufgaben sind unstrukturiert, kaum routinisiert,
Lösungswege sind häufig nicht bekannt (‚Problem’ statt Arbeitsaufgabe)
• temporäre, problembezogene Kooperation in den Teams• Mitarbeiter sind oft für mehrere Projekte gleichzeitig
zuständig (Mehrstellenarbeit)• über formale Weisungsstrukturen hinausgehende
Abhängigkeits-verhältnisse durch erweiterte Kooperationsbeziehungen zu Kunden und anderen Schnittstellen (‚Grenzgänger’-problematik)
Definition:Projektarbeit ist durch neue, nicht routinemäßige und komplizierte Arbeitsaufgaben gekennzeichnet. Die Gruppen setzen sich in der Regel aus verschiedenen Experten zusammen und ihre Zusammenarbeit ist zeitlich befristet (Becker-Beck & Fisch, 2001)
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2. Belastung bei Projektarbeit: Stand der Forschung 2002
• Leistungsverhalten in Projektgruppen gut untersucht z.B. Brodbeck (1994) - Wirkung informeller Kommunikation auf
Innovationserfolg Seers (1989) - Wirkung von Autonomie auf soz. Beziehungen und
Teamleistungen
• Belastungssituation bei Projektarbeit kaum erfaßt Bollinger (2001) - explorative Gefährdungsanalysen Sonnentag et al. (1994) - Zusammenhänge zwischen Autonomie,
Anforderungen, interner Konkurrenz und Burnout
Probleme1.Projektarbeit tendenziell als „gute Arbeit“
betrachtet: hohe Regulationserfordernisse, viele Freiheitsgrade
2.viele Arbeitsanalyseverfahren sind nur begrenzt aussagekräftig aufgrund der Merkmale der Projektarbeit (diskontinuierliche Bedingungen, Kontextabhängigkeit)
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3. Theoretischer Hintergrund: Konzept der Widersprüchlichen Arbeitsanforderungen (Moldaschl 1991, 2005)
Annahmen:(1) Belastungen und Ressourcen stellen keine
isolierten Arbeitsmerkmale dar. Sie müssen in Abhängigkeit zueinander bzw. zu den jeweiligen Kontextbedingungen des Arbeitshandelns betrachtet werden (‚relationaler Ansatz‘)
(2) Es gibt keine Universalressourcen: Was eine Ressource ist, hängt vom Verwendungszweck ab
(3) Belastungen entstehen durch widersprüchliche Verhältnisse in den Handlungskontexten, auf deren Vermeidung oder Verminderung der Arbeitende keinen ausreichenden Einfluss hat
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3. Theoretischer Hintergrund: Formen widersprüch-licher Arbeitsanforderungen (am Beispiel IT)
Handlungsvorausetzungen
Ausführungs-bedingungenAusführungs-bedingungen
Aneignungs-bedingungenAneignungs-bedingungen
Arbeitsbezogene Ziele/ErgebnisseArbeitsbezogene Ziele/Ergebnisse
SubjektbezogeneNormen/Wert-vorstellungen
SubjektbezogeneNormen/Wert-vorstellungen
Subjektbezogene Bedingungen des sozialen
Kontextes
Subjektbezogene Bedingungen des sozialen
Kontextes
Be-schränkun
g von Hand-lungsmög-lichkeiten
Regulations-überforderungen
Regulations-überforderungen
Regulations-behinderungen
Regulations-behinderungen
Lern-behinderungen
Lern-behinderungen
Emotionale BelastungenEmotionale Belastungen
Belastungsformen
Synchronisations-erschwernisse
Synchronisations-erschwernisse
Verhandeln
Puffern
Anforderungen Anforderungen
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• Unter welchen betrieblichen Rahmenbedingungen findet Projektarbeit im IT-Bereich statt?
• Welche Maßnahmen setzen IT-Unternehmen zur Förderung und Weiterentwicklung ihrer Humanressourcen ein?
• Welchen besonderen Belastungen und Lernrestriktionen sind Projektteams im IT-Bereich ausgesetzt? Welche Ressourcen können sie nutzen, um ihre Arbeit zu bewältigen?
• Wie verändert sich die erlebte Beanspruchung und das Leistungsverhalten im Projektverlauf, welche Rolle spielen dabei kritische Ereignisse?
• Wie wirken sich die besonderen Konstitutions- und Handlungsbedingungen innerhalb der Projektarbeit auf Gesundheit, Kompetenzentwicklung, Motivation und Projektergebnis aus?
4. NAR - Forschungsfragen
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5. NAR: Methode/Stichprobe
Stichprobe: 7 Projektgruppen (N=34 MitarbeiterInnen) verschiedener
Unternehmen aus dem IT-Bereich
Instrumente:• Experteninterviews mit Geschäftsführung,
Personalvertretung, Projektmanagern zu Rahmenbedingungen der Projektarbeit
• Gruppendiskussionen mit den Projektmitarbeitern zur Belastungs- und Ressourcenlage in den Projekten
• Befindenstagebuch zur Ermittlung von kritischen Projektereignissen und der aktuellen Beanspruchung (über 12 Monate)
• Schriftliche Abschlussbefragung zu Gesundheit, Motivation, Bewertung des Projektoutputs
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6.1 Ergebnisse der Belastungsanalyse: Häufige Belastungen in der Projektarbeit
(1)Widersprüchliche Ziele/Ergebniserwartungen, die zu Regulationsüberforderungen führen:
• Mehrstellenarbeit in verschiedenen Projekten gleichzeitig (Auslastungsdilemma): 5/7
• Aufgaben/Ziele ändern sich während der Erstellung des Produktes; trotz Mehraufwand müssen Zeit-/Budgetvorgaben eingehalten werden (Planungsdilemma): 6/7
• Kunden besitzen Weisungsrechte, die Anforderungen widersprechen jedoch dem geforderten Arbeitsergebnis (Grenzstellendilemma): 4/7
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6.1 Ergebnisse der Belastungsanalyse: Häufige Belastungen in der Projektarbeit
(2) Widersprüche zwischen Anforderungen und Ausführungsbedingungen (Regulationsbehinderungen):
• Soft-/Hardware für die Bewältigung der Arbeit nicht angemessen (Ausstattungsdilemma): 5/7
• Fehlende Entscheidungen auf der Management- oder Kundenebene (Entscheidungsdilemma): 6/7
• Fehlende Informationen oder Beistellungen auf der Kundenseite (Schnittstellendilemma): 4/7
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(3)Widersprüche zwischen Anforderungen und Aneignungsbedingungen (Lernbehinderungen)
• Es müssen Softwarelösungen erstellt werden, ohne den Echtbetrieb zu kennen: 4/7
• Es sollen neue Methoden/Standards/Releases verwendet werden; Zeit und Kosten des Lernaufwandes sind im Projektbudget nicht vorgesehen: 4/7
6.1 Ergebnisse der Belastungsanalyse: Häufige Belastungen in der Projektarbeit
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6.1 Kritische Ereignisse und Leistungsfähigkeit
Kritische Ereignisse(Anzahl Nennungen)
PsychischeAnspannung
Demotiva-tion
Ermüdung Leistungs-fähigkeit
Vertragsprobleme/fehlende Beschäftigungsperspektive (20)
Mehrstellenarbeit (19)
Abnahme, Abschluss einer Aufgabe (14)
Urlaub (15)
Probleme mit dem Kunden (15)
Unterlast, keine Aufgabe (12)
Projektwechsel in anderes Team (12)
Private Probleme (10)
Konflikte im Team (9)
Einführung neuer Projektprozesse (7)
Einarbeitung in neues Projekt (6)
Restrukturierung/ Stellenabbau im Unternehmen (6)
Konflikte mit dem Management (6)
Urlaubs-/Krankheitsvertretung (6)
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6.2 Ressourcen der Projektteams
4
3
3
2
2
2
3
1
3
1
1
1
3
2
4
3
2
2
2
0
1
3
4
4
2
4
4
3
4
5
5
5
3
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
freie Zeiteinteilung
kollegiales Verhältnis, wechsels.Unterstützung
interessante Arbeit
gute Arbeitsatmosphäre Organisation
hohe pers. Flexibilität,Bewältigungsfähigkeit
Remote-Arbeit, Berücksichtigungind.Bedürfnisse
Wissensweitergabe
Handlungsspielraum, Selbstständigkeit
gutes Gehalt
Weiterbildung
gute Kundenkontakte
Problemlösefähigkeit Team
Anerkennung
hohe Bedeutung mittlere Bedeutung keine Nennung
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6.3 Selbstregulation: Entscheidungs- und Mitsprache-möglichkeiten bei der Organisation
Aufgabenbereiche
Teams in Großprojektverb
und
Kundenorientierte Projektteams
Teams im New Economy-Umfeld
T1 T2 E1 E2 H Ti1 Ti2
Planung An/Ab-wesenheitszeit
en
Wahl der Arbeitsmethod
e
Wahl der Arbeitsmittel
Einarbeitung neuer
Mitarbeiter
Kontrolle der Ergebnisse
Planung Arbeitsschritte
Personalent-scheidungen
Planung Neuprojekte
Akquisition
Budgetierung
Gruppe mit oder ohne Teamleiter Gruppenmitglied mit oder ohne Teamleiter Teamleiter mit oder ohne Management fachliche Experten außerhalb des Teams Kunde
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6.4 Ergebnisse der Beanspruchungsanalyse: Regenerations-möglichkeiten, psycho-physiologische Erschöpfung
38 19 44
50 41 9
34 34 32
31 28 41
50 13 37
44 22 34
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Erholungsmöglichkeiten amWochenende
Erholungsmöglichkeiten nachintensiven Projektphasen
Gefühl, nicht abschalten zu können
Gefühl, nicht alles schaffen zukönnen
Erschöpft nach Arbeit
Anforderungen können dauerhaftnicht durchgehalten werden
trifft zu teils-teils trifft nicht zu
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6.4 Vergleich gesundheitlicher Beschwerden
41
31
31
25
58
72
42
27
11
16
21
17
0 10 20 30 40 50 60 70 80
Rückenschmerzen
Kopfschmerzen
Magenschmerzen
Schlafstörungen
Nervosität
Müdigkeit
Projektmitarbeiter ISO-Beschäftigtenbefragung
Angaben in % (Zusammenfassung der Skalenwerte "täglich" bis "alle paar Wochen")
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6.5 Auswirkung intensiver Arbeitsphasen auf die chronische Erschöpfung bei Projektmitarbeitern
1
1,5
2
2,5
3
3,5
Ausmaß chr. Erschöpfung
Stressdauer 4Wochen
Stressdauer 8Wochen
Stressdauer 12Wochen
p ,220 p ,002** p ,023*
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1 2 3 4 5 6
1.
Emotio. Erschöpfung/Burnout
(,84)
2.
Psychosomatische Beschwerden
,45** (,55)
3.
Demotivation ,30 -,04 (,73)
4.
Projektergebnisse ,07 ,26 -,22 (,93)
5.
Maßnahmen zur HR-Förderung/Regeneration
-,72**
-,30 -,45**
-,19 (,79)
6.
Bewertung der eigenen Leistungsfähigkeit
-,47**
-,34 -,26 ,36* ,55**
7.
Projektimmanentes Lernen ,02 -,16 -,26 ,10 ,36** ,41* (,85)
6.6 Ergebnisse der Abschlussbefragung: Zusammenhänge zwischen HR-Maßnahmen, Projekt-output und Gesundheit
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7. Fazit aus den Ergebnissen
Es besteht erheblicher Handlungsbedarf bei der gesundheitsgerechten Gestaltung von Projektarbeit
Ein hohes Ausmaß vollständiger Aufgaben bzw. der Selbstregulation genügt bei Projektarbeit nicht, um gesundheitliche Beeinträchtigungen nachhaltig zu verhindern. Mitarbeiter haben keine ausreichende Kontrolle über ihre Arbeitsbedingungen
Das Konzept der Widersprüchlichen Arbeitsanforderungen kann einen Beitrag zur Erklärung der Belastungsentstehung und zur Arbeitsgestaltung leisten, wo klassische Instrumente der Arbeitsanalyse zu unscharf sind
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7.1 „Prinzipien“ für Gestaltung
• Dilemmata/widersprüchliche Anforderungen entschärfen, wo das möglich ist
• Verhandlungsautonomie gewähren – Rahmen dafür in Verhandlungen mit Kunden schaffen
• Grundprinzip: belastungsmindernde Regelungen auf mehreren betrieblichen Ebenen verankern • betriebliche Regeln (Betriebsvereinbarung)• Managementpraxis/Führungshandeln (Regeln + Sensibilisierung)• Mitarbeiter ebenfalls sensibilisieren + schulen
• bei Mehrstellenarbeit : „Assignment-Manager“ als Unterstützung für die Beschäftigten, koordiniert und ‚überwacht‘ die Auslastung „Haltegriff“: Beschäftigte müssen selbst aktiv werden/ Probleme eskalieren
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7.2 Gestaltungsansätze (1)
• Rahmenbedingungen der Projektarbeit werden weitgehend in den Verhandlungen mit dem Kunden gesetzt – ggfls. Vereinbarung prozeduraler Lösungen, die die MitarbeiterInnen dann nutzen können=> „Verhandlungsspielraum“: Entscheidungs- und Einfluss-
möglichkeiten erweitern und MitarbeiterInnen sensibilisieren
• Arbeitsbedingungen müssen zum Gegenstand der Regel-kommunikation gemacht werden => Ziel: widersprüchliche Anforderungen/Dilemmata entschärfen oder so weit möglich auflösen
• MitarbeiterInnen müssen selbst stärker an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen teilnehmen – dafür bedarf es materieller und sozialer Ressourcen => aktive Rolle + Unterstützung notwendig
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7.2 Gestaltungsansätze (2)
• Arbeitszeitregelungen: zeitnahe Entlastungsphasen, Kontensysteme als bindender Rahmen, Pausenregelungen (Kurzpausen) => Problemsensibilisierung bei Management und bei den Beschäftigten nötig
• Produktqualität: Kosteneinsparungen zu Lasten von Software-Test werden häufig durch individuelle Mehrarbeit kompensiert (4/7 Projekte)
=> soweit möglich vermeiden – Motivationskiller…
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7.2 Gestaltungsansätze (3): HR-Bilanzierung als Basis eines nachhaltigen Personalmanagements
Erhaltung und Entwicklung humaner und
sozialer Ressourcen im Unternehmen
Erhaltung und Entwicklung humaner und
sozialer Ressourcen im Unternehmen
Nutzungsbilanz• Wo können sich HR entfalten?• Wo werden sie vernutzt bzw.
nicht ausgeschöpft?
Reproduktionsbilanz• Was tun Organisationen zur
Erhaltung und Entwicklung ihres Humankapitals?
• Wie effizient sind diese Maßnahmen?
Potenzial-/Defizitanalyse
• Welche Handlungsbedingungen beeinträchtigen bzw. fördern die Nutzung humaner Ressourcen?
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!