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Inszenierung des Rechts. Schauprozesse, Medienprozesse und Prozesslme in der DDR Inszenierung des Rechts. Schauprozesse, Medienprozesse und Prozesslme in der DDR Veranstalter:  Prof. Dr. Klaus Marxen, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilo- sophie an der Juristischen Fakultät der Humboldt- Universität zu Berlin Datum, Ort: 11.06.2005, Berlin Bericht von:  Frédérique Dantonel, Freie Univer- sität Berlin; unter Mitarbeit von Annette Weinke, Humboldt-Uni versität zu Berlin „Es begann im Theater“. So der Titel des Bu- ches von Prof. Wi lli Brund ert, Sozial demok rat und Ministeri aldire ktor , der in der NS-Zeit zu- sammen mit Adolf Reichwein politisch verfolgt und am 29. April 1950 auf der Bühne des Stadt- theaters von Dessau zusammen mit dem CDU- Landesvorsitzenden von Sachsen-Anhalt Dr. Leo Herwegen vom Obersten Gericht der DDR zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. 1 Das interdisziplinär angelegte Forschungsprojekt „Inszenierung des Rechts. Schauprozesse, Medi- enprozesse und Prozesslme in der DDR“ befasst sich mit dem Verhältnis zwischen dem inszenier- ten „Als-Ob-Recht“ der kommunistischen Erzie- hungsdiktatur und den diversen Öffentlichkeitsfo r- men in der DDR. Im Mittelpunkt des Projektes steht die Frage nach den Zusammenhängen zwi- schen massenmedialen Vermittlungs- und Insze- nierungsformen, der konkreten Rechtsentwicklung und den öffentlichen Diskursen über Recht und Justiz in der DDR. Im Rahmen eines Workshops, der am 11. Juni 2005 an der Humboldt-Universität zu Berlin stattfand, wurden die ersten Ergebnisse präsentiert. Zu Beginn des nächsten Jahres wird ei- ne multimediale Ausstellung die Ergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. 2 Klaus Mar xe n, Pro fessor an der Hum bol dt- Universität, zeichnete in seinem einleitenden Vor- trag den Horizont einer interdisziplinär angelegten Forschung zur Mediatisierung des Rechts als Ge- genst and der juris tische n Zeitg eschichte nach. Er 1 Brundert, Willi, Es begann im Theater, Berlin, Hannover 1958. 2 Dabei sei an dieser Stelle auf die dreiteilige Dokumentati- on des Landeslmdienstes Baden-Württemberg verwiesen: „Denn wer kämpft für das Recht, der hat immer Recht“. Das stalinistische Erbe der DDR-Justiz. (Teil 1-3). Regie und Buch: Günther Klein unter Mitarbeit von Rudi Beckert. Produktion: IFA GE, Bundesrepublik Deutschland 1992. For- mat: je 38 Min. VHS-Videocassetten: 7015379, 7015380, 7015381. plädierte dabei für eine Schwerpunktverlagerung in der Beschä ftigu ng mit dem Recht der jüngeren Vergangenheit. Marxen ging von der Schilderung eines Drehbuch- prozesses aus, der am 21.12.1952 vor dem Obers- ten Gericht der DDR stattgefunden hatte, um der Frage nachzugehen, wie „die Wirkungsmacht ei- nes modernen Mediums für ein auf Wirkung an- gelegtes Recht“ in der frühen DDR genutzt also wie Strafrecht unter Einbeziehung eines Mediums in einer modernen Diktatur verwirklicht wurde. Bestandteile des mediatisierten Rechts seien da- bei die Möglichkeiten der Visualisierung und der massenhaften Verbreitung einer Verhandlung, die als „Justizfall“ präsentiert werde. Dazu gehören die Bildersprache bzw. die Semantik, die durch Selektion und Aufnahmetechniken darauf zielten, das Rollenprol der Verfahrensbeteiligten für die Zwecke der ideologischen Indoktrination und der Rechtspropaganda zuzuschärfen, ebenso wie eine detailgenaue Planung, das kalkulierte Ausnutzen men sch lic her Rea kti onen und sch ließ lic h die Mög - lichkeit, das aufgenommene Material vor seiner V erbreitung zu überprüfen und zu bearbeiten. Mar xen hob Phä nomene, als o „Maßnahme n im Bereich des Rechts und im Bereich der Medien, mit denen eine Mediatisierung des Rechts in der DDR angestrebt wurde“, hervor und fasste die Ent- wicklung von Form und Inhalt der Mediatisierung mit den Leitbegriffen der Erweiterung und der Fik- tionalisierung zusammen. Die Mediatisierung des Rechts beruhe auf einer Gesamtstrategie, in welcher sogar eine negative Seite mit einbezogen sei: Einiges werde absicht- lich gehei m gehal ten. V on den Mögli chkei ten einer solchen negativen Mediatisierung sei nicht nur in der frühen DDR, sondern schon unter Stalin in den Geheimprozessen der dreißiger Jahre und in den Nacht-und-Nebel-Verfahren in der Zeit des Natio- nalso zialismus Gebra uch gemach t word en, beton te Marxen. In his tor isc her Rückschau ord net e Mar xen die Gründe und Hintergründe der Mediatisierung des Rechts in der DDR sowie auch die Bedingungen für diese Mediatisierung – sowohl die technischen, als auch die politischen, ideologischen, und pro- pagandistischen Bedingungen – in eine Entwick- lung ein, in der zuerst die Sowjetunion und da- nach der nationalsozialistische Staat „im wahrsten Sinne des Wortes spektakulär mit Schauprozessen [... ] das Wirku ngspotential der neuen Medien er- probt hatten“. Die Ergebnisse dieser Entwicklung © H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.

Inszenierung des Rechts. Schauprozesse, Medienprozesse und Prozessfilme in der DDR

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„Es begann im Theater“. So der Titel des Buchesvon Prof. Willi Brundert, Sozialdemokratund Ministerialdirektor, der in der NS-Zeit zusammenmit Adolf Reichwein politisch verfolgtund am 29. April 1950 auf der Bühne des Stadttheatersvon Dessau zusammen mit dem CDULandesvorsitzendenvon Sachsen-Anhalt Dr. LeoHerwegen vom Obersten Gericht der DDR zu 15Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.

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    Inszenierung des Rechts. Schauprozesse, Medienprozesse und Prozessfilme in der DDR

    Inszenierung des Rechts. Schauprozesse,Medienprozesse und Prozessfilme in derDDR

    Veranstalter:Prof. Dr. Klaus Marxen, Lehrstuhlfr Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilo-sophie an der Juristischen Fakultt der Humboldt-Universitt zu BerlinDatum, Ort:11.06.2005, BerlinBericht von: Frdrique Dantonel, Freie Univer-sitt Berlin; unter Mitarbeit von Annette Weinke,Humboldt-Universitt zu Berlin

    Es begann im Theater. So der Titel des Bu-ches von Prof. Willi Brundert, Sozialdemokratund Ministerialdirektor, der in der NS-Zeit zu-sammen mit Adolf Reichwein politisch verfolgt

    und am 29. April 1950 auf der Bhne des Stadt-theaters von Dessau zusammen mit dem CDU-Landesvorsitzenden von Sachsen-Anhalt Dr. LeoHerwegen vom Obersten Gericht der DDR zu 15Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.1

    Das interdisziplinr angelegte ForschungsprojektInszenierung des Rechts. Schauprozesse, Medi-enprozesse und Prozessfilme in der DDR befasstsich mit dem Verhltnis zwischen dem inszenier-ten Als-Ob-Recht der kommunistischen Erzie-hungsdiktatur und den diversen ffentlichkeitsfor-men in der DDR. Im Mittelpunkt des Projektes

    steht die Frage nach den Zusammenhngen zwi-schen massenmedialen Vermittlungs- und Insze-nierungsformen, der konkreten Rechtsentwicklungund den ffentlichen Diskursen ber Recht undJustiz in der DDR. Im Rahmen eines Workshops,der am 11. Juni 2005 an der Humboldt-Universittzu Berlin stattfand, wurden die ersten Ergebnisseprsentiert. Zu Beginn des nchsten Jahres wird ei-ne multimediale Ausstellung die Ergebnisse einerbreiteren ffentlichkeit zugnglich machen.2

    Klaus Marxen, Professor an der Humboldt-Universitt, zeichnete in seinem einleitenden Vor-

    trag den Horizont einer interdisziplinr angelegtenForschung zur Mediatisierung des Rechts als Ge-genstand der juristischen Zeitgeschichte nach. Er

    1 Brundert, Willi, Es begann im Theater, Berlin, Hannover1958.

    2 Dabei sei an dieser Stelle auf die dreiteilige Dokumentati-on des Landesfilmdienstes Baden-Wrttemberg verwiesen:Denn wer kmpft fr das Recht, der hat immer Recht.Das stalinistische Erbe der DDR-Justiz. (Teil 1-3). Regieund Buch: Gnther Klein unter Mitarbeit von Rudi Beckert.Produktion: IFAGE, Bundesrepublik Deutschland 1992. For-mat: je 38 Min. VHS-Videocassetten: 7015379, 7015380,7015381.

    pldierte dabei fr eine Schwerpunktverlagerungin der Beschftigung mit dem Recht der jngerenVergangenheit.Marxen ging von der Schilderung eines Drehbuch-prozesses aus, der am 21.12.1952 vor dem Obers-

    ten Gericht der DDR stattgefunden hatte, um derFrage nachzugehen, wie die Wirkungsmacht ei-nes modernen Mediums fr ein auf Wirkung an-gelegtes Recht in der frhen DDR genutzt alsowie Strafrecht unter Einbeziehung eines Mediumsin einer modernen Diktatur verwirklicht wurde.Bestandteile des mediatisierten Rechts seien da-bei die Mglichkeiten der Visualisierung und dermassenhaften Verbreitung einer Verhandlung, dieals Justizfall prsentiert werde. Dazu gehrendie Bildersprache bzw. die Semantik, die durchSelektion und Aufnahmetechniken darauf zielten,

    das Rollenprofil der Verfahrensbeteiligten fr dieZwecke der ideologischen Indoktrination und derRechtspropaganda zuzuschrfen, ebenso wie einedetailgenaue Planung, das kalkulierte Ausnutzenmenschlicher Reaktionen und schlielich die Mg-lichkeit, das aufgenommene Material vor seinerVerbreitung zu berprfen und zu bearbeiten.Marxen hob Phnomene, also Manahmen imBereich des Rechts und im Bereich der Medien,mit denen eine Mediatisierung des Rechts in derDDR angestrebt wurde, hervor und fasste die Ent-wicklung von Form und Inhalt der Mediatisierung

    mit den Leitbegriffen der Erweiterung und der Fik-tionalisierung zusammen.Die Mediatisierung des Rechts beruhe auf einerGesamtstrategie, in welcher sogar eine negativeSeite mit einbezogen sei: Einiges werde absicht-lich geheim gehalten. Von den Mglichkeiten einersolchen negativen Mediatisierung sei nicht nur inder frhen DDR, sondern schon unter Stalin in denGeheimprozessen der dreiiger Jahre und in denNacht-und-Nebel-Verfahren in der Zeit des Natio-nalsozialismus Gebrauch gemacht worden, betonteMarxen.

    In historischer Rckschau ordnete Marxen dieGrnde und Hintergrnde der Mediatisierung desRechts in der DDR sowie auch die Bedingungenfr diese Mediatisierung sowohl die technischen,als auch die politischen, ideologischen, und pro-pagandistischen Bedingungen in eine Entwick-lung ein, in der zuerst die Sowjetunion und da-nach der nationalsozialistische Staat im wahrstenSinne des Wortes spektakulr mit Schauprozessen[. . . ] das Wirkungspotential der neuen Medien er-probt hatten. Die Ergebnisse dieser Entwicklung

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    htten sich bereits in der frhen DDR abgezeich-net, so Marxen, der in diesem Zusammenhangauch auf die kontrollierende Rolle der ZentralenKommission fr Staatliche Kontrolle bei der In-szenierung von Schauprozessen in der SBZ/DDR

    1948-1953 unter dem Vorsitz von Fritz Lange ver-wies. Dabei erinnerte Marxen daran, dass im NS-Staat auch die Verhandlungsfhrung Freislers inden Verfahren gegen Angehrige des Widerstan-des vom 20. Juli 1944, die filmisch fr eine pro-pagandistische Auswertung festgehalten wurden,(ebenso) der Kontrolle der Sicherheitskrfte unter-lag.Abschlieend betonte Marxen, dass die Mediati-sierung des Rechts im NS-Staat und in der DDRals Bestandteile einer Gesamtentwicklung gesehenwerden sollten, die sowohl durch konstante Ele-

    mente als auch durch variable Elemente bzw. Es-senzialien3 geprgt gewesen sei. Auerdem frag-te er kritisch nach dem Verhltnis der Media-tisierung des Rechts in unseren rechtsstaatlich-demokratischen Systemen zur Mediatisierung desRechts in Diktaturen. Gleichzeitig lenkte er denBlick auf den Kern des Rechts, auf die Rechts-idee, die mglicherweise [. . . ] medial unverfg-bar sei.

    Dr. Annette Weinke, Humboldt-Universitt,schlug den Bogen von den frhen Schauprozes-sen des verschrften Klassenkampfes zur fern-

    sehkompatiblen Rechtsberatung der Honecker-ra. Zum einen umriss sie den konzeptionellenAnsatz des Projektes. Dabei hob sie hervor, dasssich ein rechtshistorisches Forschungsprojekt zumThema DDR-Justiz und Massenmedien grundstz-lich dem Generalverdacht aussetze, die repressi-ven Seiten des ostdeutschen Justizwesens zwarnicht unbedingt zu verharmlosen, sie aber mgli-cherweise dadurch einzuebnen, dass sie nur nochals Teilaspekte behandelt wrden. Mit dem Vor-wurf einer teilweisen Nivellierung kommunisti-schen Justizunrechts habe sich bereits vor eini-

    gen Jahren das Forschungsteam um den Berli-ner Rechtssoziologen Hubert Rottleuthner ausein-andersetzen mssen. Im zweiten Teil ihres Vor-trags gab Weinke einen berblick zu einzelnenProzessen, die in der Geschichte der visuellenRechtskultur der SBZ/DDR einen wichtigen Ein-fluss ausgebt htten. Ausgehend vom NrnbergerHauptkriegsverbrechertribunal Prozess dessen

    3 Vgl. Mampel, Siegfried, Totalitres Herrschaftssystem. Nor-mativer Charakter Definition Konstante und variable Es-senzialien Instrumentarium, Berlin 2001.

    Ziel es nach den Worten des US-amerikanischenChefanklgers Robert H. Jackson war (to) esta-blish incredible events by credible evidence ,stellte Weinke an den Beispielen des BerlinerSachsenhausen-Prozesses vom Oktober 1947, der

    kommunistischen Schauprozesse im Gefolge desKominform-Beschlusses zu Jugoslawien sowie desDCGG-Wirtschaftsstrafprozesses gegen Leo Her-wegen und Willi Brundert konstante wie auch va-riable Merkmale heraus, die solchen Inszenierun-gen des Rechts innewohnten. In einem dritten Teilging Weinke auf Justizdarstellungen in Film undFernsehen der DDR ein. Sie stellte klar, dass dasGenre des Justizfilms in der DDR a-priori pro-blematisch gewesen sei. Das schliee allerdingsnicht aus, dass ostdeutsche Justizfilme an Tradi-tionen aus der Zeit der Weimarer Republik und

    dem Nationalsozialismus angeknpft htten.4

    Indiesem Zusammenhang beschftigte sich Weinkemit der Pitaval-Fernsehspiel-Reihe von Fried-rich Karl Kaul. Zwischen 1958 und 1978 wur-den 51 Folgen dieser Reihe im Deutschen Fern-sehfunk gezeigt. Um die SED-Parteifhrung frdas Genre des historischen Gerichtskriminalfilmszu erwrmen, griff der ostdeutsche Staranwalt aufden Kunstgriff zurck, die deutsche Vergangen-heit fr Propagandazwecke zu instrumentalisieren,um dabei gleichzeitig die Versumnisse der bun-desrepublikanischen Justiz aufzuzeigen. Anschlie-

    end lenkte Weinke den Blick auf die SendereiheDer Staatsanwalt hat das Wort von der 139 Fol-gen von1965 bis 1990 ausgestrahlt wurden. Stn-diger institutioneller Fachberater der Sendung warder Jurist und Leiter der Abteilung fr ffentlich-keitsarbeit bei der DDR-GeneralstaatsanwaltschaftDr. Peter Przybilski (SED). Die Tatsache, dass dieStaatsanwaltschaft als gesellschaftlicher Partnerin der Person Przybilskis in jeder Sendung miteinem eigenen Kommentar prsent gewesen (sei)[...] spiegelte somit die ganze Ambivalenz desRechtspflegebeschlusses von 1963 und der da-

    mit verbundenen Reformbestrebungen wider: So-wohl die bergabe bestimmter strafrechtlicherAufgaben an die gesellschaftliche Gerichtsbar-keit als auch die Erweiterung des Diskursrah-mens zu DDR-spezifischen Kriminalittsursachenwaren an die Vorbedingung geknpft, den staat-lichen Kontroll- und Repressionsanspruch grund-

    4 Drexler, Peter, Der deutsche Gerichtsfilm 1930-1960. An-nherungen an ein problematisches Genre. In: Verbrechen Justiz Medien. Konstellationen in Deutschland von1900 bis zur Gegenwart. DFG-Kolloquium an der Christian-Albrechts-Universitt Kiel vom 19.-21. Oktober 1994.

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    stzlich jederzeit geltend machen zu drfen, fol-gerte Weinke. Sie schloss den Bogen mit der Mit-Mach-Sendung Fragen Sie Professor Kaul, ei-nem neuen Sendeformat, das ab 1974 im Ers-ten Programm des Deutschen Fernsehfunks (DFF)

    ausgestrahlt wurde. Weinke betonte im Fazit ihresVortrages, dass Darstellungen von Recht und Jus-tiz in den Massenmedien der DDR [...] eine eige-ne Ebene von Realitt und Fiktion bilden, (welche)auf die Rechtswirklichkeit einwirkte und von die-ser beeinflusst wurde. Zweitens unterstrich sie,dass der von den Massenmedien entwickelte jus-tizielle Erzhlmodus noch genauer zu untersu-chen sei. Schlielich sollte sich eine Untersuchungzum Verhltnis von Justiz, Rechtspropaganda undmassenmedialen Justizdiskursen in der DDR [...]an traditionellen Wirklichkeitsbegriffen orientie-

    ren, aber (auch) postmoderne Kriminalittstheori-en strker als bisher bercksichtigen.

    Dr. Roger Engelmann (BStU) fokussierte in sei-nem Beitrag die Schlsselrolle der Staatssicher-heit bei strafrechtlichen Inszenierungen in der fr-hen DDR und ging der Frage von Schauprozes-sen als Mittel von Herrschaftstechnik und -ritualennach. Ausgehend von den drei Moskauer Schau-prozessen gegen die alte Garde der Bolschewi-ki 1936-1938 einerseits und den kommunistischenSchauprozessen in den ost- und mitteleuropi-schen Volksdemokratien (Rajk-Prozess in Un-

    garn 1949; Kostoff-Prozess in Bulgarien 1949;Slansky-Prozess in der Tschechoslowakei, 1952)hob er sowohl die Techniken als auch die Funktio-nen stalinistischer Prozesse hervor, um dann nach-zuweisen, dass die von der Staatssicherheit insze-nierten Schauprozesse demgegenber eine spezi-elle Gattung seien, die sich im besonderen inder Zeit zwischen 1952 und 1955 herausgebildethabe. Das prgnanteste Beispiel dafr seien diegroen Verfahren gegen Vertreter der Kampfgrup-pe gegen Unmenschlichkeit (KgU) vor dem Obers-ten Gericht (25. Mai und 9. August 1952). Engel-

    mann betonte, dass die KgU-Verfahren mit demRIAS-Schauprozess (24. und 27. Juni 1955) undeinem dritten Schauprozess gegen V-Leute west-licher Nachrichtendienste eine propagandistischeEinheit gebildet haben. Nicht nur seien die Be-schuldigten in diesen Verfahren wie terroristischeVerbrecher behandelt worden, sondern das Obers-te Gericht habe gegen alle Hauptangeklagten To-desurteile verkndet. Zum roten Tuch, so Engel-mann, sei der RIAS-Sender insbesondere durchseine Rolle vor und whrend des Juni-Aufstandes

    1953 geworden. Bei den von der Staatssicher-heit inszenierten Prozessen der Jahre 1952 bis1955 gegen Mitarbeiter und Kontaktleute westli-cher Organisationen htten sich besondere Stra-tegien und Techniken herausgebildet, betonte En-

    gelmann. Dabei lieen sich sowohl konstante alsauch variable Elemente feststellen, die es ermg-lichen wrden, die Stasi-Prozesse zum einen indie Traditionslinie des klassischen stalinistischenPrototyps einzuordnen, sie jedoch zum anderenauch von diesem Prototyp abzuheben. Eine Kon-stante sei, dass die Staatssicherheit fr ein umfas-sendes Gestndnis der Beschuldigten verantwort-lich war. Im Unterschied zum stalinistischen Pro-totyp jedoch spielten brachiale Methoden derGestndniserzwingung wie Folter keine zentraleRolle mehr; sie wurden von subtileren [...] Tech-

    niken der Beeinflussung der Beschuldigten abge-lst, so Engelmann. Im Unterschied zu dem sta-linistischen Prototyp waren die Stasi-Prozessein Medienkampagnen eingebettet, die die so ge-nannte erweiterte ffentlichkeit herstellte. Al-lerdings setzten sie sich wie der stalinistische Pro-totyp zum Ziel, die Schaffung von politischemKonsens durch Diskreditierung gegnerischer Ak-teure und die Frderung von Anpassung durch Ab-schreckung politischer Gegner zu erreichen.

    In einem beeindruckenden Vortrag widmete sichDr. Marion Detjen (Berlin) der propagandisti-

    schen Ausrichtung der Strafverfolgung von Flucht-helfern in der DDR und ihrer Wirkung im Westenund prsentierte dabei einige Ergebnisse ihrer Dis-sertation.5 Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung ste-hen Einzelschicksale. Es sind Biographien, deneneinerseits die DDR als Unrechtsstaat tiefen Scha-den zufgte, und die andererseits der Diffamie-rung in der westdeutschen Medienffentlichkeitausgesetzt waren. Genannt seien exemplarisch dieSchicksale von Harry Seidel oder Hans Gehrmann,die von Detjen nachgezeichnet wurden. Nach ei-nem chronologischen berblick ber die Entwick-

    lung des Wirkungszusammenhangs zwischen pro-pagandistischer Ausrichtung der Strafverfolgungder Fluchthelfer in der DDR zwischen 1961 und1978 und der negativen Umwertung der Fluchthil-fe in der westdeutschen ffentlichkeit stellte Det-

    jen die Argumentationen heraus, die den Urteils-begrndungen der DDR-Gerichte zugrunde lagen.Sie erluterte, welche propagandistischen Ausrich-

    5 Detjen, Marion, Ein Loch in der Mauer. Die Geschichteder Fluchthilfe im geteilten Deutschland. 1961-1989, Berlin2005.

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    tungen diese Prozesse verfolgten und wie die Pro-zesse bis 1974 in gro angelegten Presse-kampagnen der SED propagandistisch eingebun-den wurden. Detjen hob sowohl den eklatantenUnrechtscharakter solcher Prozesse als auch die

    Verunglimpfungen der westlichen Medienffent-lichkeit hervor. Allerdings mute die DDR die Er-fahrung machen, dass der Rechtsstaat in der Bun-desrepublik strker war als die Stimmungen der f-fentlichen Meinung. Schlielich ging die DDRAnfang der 1980er-Jahre dazu ber, die Aktivistender noch brigen Fluchthelfer mit Mordanschlgenzu berziehen.

    Professor Reinhold Viehoff (Universitt Hal-le) widmete sich der Frage nach der Bedeu-tung von Theorien ber Ursachen, Vorbeugungund Bekmpfung von Kriminalitt im propagierten

    Staatssozialismus fr die Darstellung von Rechtund Justiz in den Medien der DDR. Untersuchtwurden dabei die Sendereihen Der Staatsanwalthat das Wort und Polizeiruf 110. Insbesonde-re in den letztgenannten Krimis lieen sich typi-sche Schemata und Muster erkennen, die dazu die-nen sollten, Verbrechen zu erklren. Im Rahmenseines Vortrages Kontexte und Texte Verbre-chensdarstellung als Problem im Fernsehen undFilm der DDR umriss Viehoff einen Kausalitts-Zusammenhang von Ideologie, Medien und Krimi-nalitt, der zum einen systemspezifisch und zum

    anderen durch die Auseinandersetzung mit derBundesrepublik Deutschland bedingt gewesen sei.Viehoff skizzierte, auf welche verschiedenen Kri-minalittstheorien die DDR in einzelnen Phasenzurckgegriffen habe und stellte dabei fest, dasssich ein Wandel sowohl bei den Ordnungsdiskur-sen als auch bei den Erklrungs- und Aufkl-rungsmustern nachzeichnen lasse. Vier Ursachen-theorien htten sich von den 1950er bis zu den1980er-Jahren herausgebildet: Erstens die Klas-senkampftheorie, bis zum Tod Stalins das glti-ge Paradigma zur Erklrung von Kriminalitt im

    Sozialismus; zweitens die Rudimente- oder Re-likttheorie, welche Kriminalitt als Relikt ei-ner brgerlichen Denkweise einstufte; drittensdie Widerspruchstheorie, die sich zu einer Zeitdurchsetzte, als das Fernsehen von der Staatssi-cherheit zunehmend programmatisch instrumenta-lisiert wurde und dem Krimi dabei eine besondereFunktion zukam, und schlielich die kriminoge-ne Faktorentheorie, die in den letzten Sendungenvon Polizeiruf 110 aus den 1980er-Jahren zu fin-den sei.

    In seinem Vortrag zu den Rechtsauffassungenim DEFA-Spielfilm zwischen 1946 und 1955 be-fasste sich Dr. Detlef Kannapin (Berlin) schwer-punktmig mit den damals gngigen Vorstel-lungen von Volksrecht und Staatsrecht. Da-

    bei stellte sich erneut das Problem einer an-gemessenen Begriffsbestimmung. Wie Kannapinberzeugend darlegte, erweisen sich die gngi-gen Begrifflichkeiten des liberalen Verfassungs-staates als unzureichend, wenn es um die przi-se Beschreibung dessen geht, was in den media-len und filmischen Produktionen einer staatssozia-listischen Weltanschauungs- und Erziehungsdikta-tur als Recht, Rechtsordnung und Rechtsprechungausgegeben wurde.6

    Den Interessen der Opfer der Medienberichter-stattung ber politische Prozesse in der DDR wur-

    de schlielich mit dem Vortrag von Dr. GunterHolzweiig (Bundesarchiv, Berlin) Rechnung ge-tragen. Holzweiig wies anhand von Einzelbiogra-phien nach, in welchem Mae die zu Propaganda-zwecken gesteuerte Berichterstattung dazu gedienthabe, Persnlichkeiten auszuschlachten.

    Im Mittelpunkt dieses mit Mitteln der Stiftungzur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefrdertenWorkshops stand die Idee des Rechts. Eine Refle-xion ber die Inszenierungen und Mediatisierun-gen des Rechts in Diktaturen einerseits, in einemRechtsstaat andererseits setzt eine gleichzeitige in-

    tensive und fruchtbare Reflexion ber die Idee desRechts voraus. Eine solche interdisziplinr ange-legte Reflexion ist lngst berfllig. Die Ergebnis-se werden Anfang 2006 einer breiten ffentlich-keit zugnglich gemacht.

    Tagungsbericht Inszenierung des Rechts. Schau-prozesse, Medienprozesse und Prozessfilme in

    der DDR. 11.06.2005, Berlin. In: H-Soz-u-Kult27.10.2005.

    6 Vgl. Werkentin, Falco, Politische Strafjustiz in der ra Ul-bricht, Berlin 1995.

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