Ishiguro, Kazuo - Was vom Tage übrigblieb.pdf

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    Es wird immer wahrscheinlicher, da ich tatschlich jene

    Reise unternehme, die meine Phantasie bereits seit einigen

    agen mit einer gewissen Ausschlielichkeit beschigt. Mitdiesen Worten beginnt der alte englische Butler Stevens seinen

    Bericht ber die erste Reise seines Lebens. In einem groen

    alten Ford wie er selbst ein Stck Inventar, das der neue

    amerikanische Besitzer von Darlington Hall mit bernom-

    men hat hrt Stevens ber kleine Landstraen Richtung

    Cornwall. Dorthin nmlich hat sich zwanzig Jahre zuvor eineehemalige Haushlterin Lord Darlingtons verheiratet, und ein

    Brie von ihr der erste seit sieben Jahren scheint anzudeu-

    ten, da diese Ehe nun leider gescheitert ist. Mglicherweise

    also wre die ehemalige Miss Kenton bereit, in die Position

    der Haushlterin nach Darlington Hall zurckzukehren.

    Stevens Gedanken gehen zurck in jene age, als dortunter seiner Anleitung siebzehn Dienstboten r seine Lord-

    scha sorgten. Bald erkennt der Leser, was dem Butler selbst

    nicht klar wird : Hier kmp ein alternder Mann um seine

    Lebenslge, wenn er in wohlgesetzten Worten erzhlt, wie er

    aus einem Gehl von Wrde und Pflicht mit rnen in den

    Augen Portwein servierte, whrend sein Vater im Sterben lag,und wie er nach besten Kren jahrzehntelang einem Lord

    diente, der mit den Nazis kollaborierte. Aus dem Versuch, den

    Sinn des eigenen Lebens zu bewahren, entsteht ein ormvoll-

    endeter, gesellschaskritischer Roman, erzhlt von einem, der

    sich eine solche Kritik nie erlaubt htte ; eine wunderschne,

    bitterse Liebesgeschichte, erzhlt von einem, der nie auchnur ahnte, da er liebte.

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    Kazuo Ishiguro

    Was vom Tagebrigblieb

    Roman

    Aus dem Englischen vonHermann Stiehl

    Rowohlt

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    Die Originalausgabe erschien unter

    dem itel Te Remains o the Day

    bei Faber and Faber, London

    Umschlagillustration Catherine DenvirUmschlagtypographie Barbara Hanke

    . Auflage August

    Copyright by Rowohlt Verlag GmbH,

    Reinbek bei Hamburg

    Te Remains o the DayCopyright Kazuo Ishiguro

    Alle deutschen Rechte vorbehalten

    Gesetzt aus der Janson (Linotronic )

    Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck

    Printed in Germany

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    Zum Gedenken an Mrs. Lenore Marshall

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    Prolog : Juli 1956Darlington Hall

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    Es wird immer wahrscheinlicher, da ich tatschlich jeneReise unternehme, die meine Phantasie bereits seit einigen

    agen mit einer gewissen Ausschlielichkeit beschigt.Eine Reise, die ich, das sollte ich hinzugen, allein unter-

    nehmen werde, in Mr. Farradays bequemem Ford, eineReise, die mich, soweit ich das jetzt schon ermessen kann,

    durch einige der schnsten Gegenden Westenglands hrenund mich immerhin n oder sechs age von Darlington

    Hall ernhalten wird. Die Idee zu einer solchen Reise geht,

    wie ich vielleicht erwhnen sollte, au einen hchst liebens-

    wrdigen Vorschlag zurck, den Mr. Farraday persnlich

    mir eines Nachmittags vor ast vierzehn agen machte,

    als ich gerade die Portrts in der Bibliothek abstaubte. Ichstand, wenn ich mich recht erinnere, gerade au der ritt-

    leiter und entstaubte das Portrt des Viscount Wetherby,

    als mein Dienstherr mit einigen Bchern hereinkam, die er

    offenbar ins Regal zurckzustellen beabsichtigte. Als sein

    Blick au mich fiel, nahm er die Gelegenheit wahr, mich

    davon zu unterrichten, da er gerade endgltig beschlos-sen habe, im August und September r einen Zeitraum

    von n Wochen in die Vereinigten Staaten zurckzu-kehren. Nach dieser Mitteilung legte mein Dienstherr die

    Bcher au einen isch, setzte sich au die Chaiselongue

    und streckte die Beine aus. Und da war es dann, da er

    zu mir herausah und sagte :brigens, Stevens ich erwarte nicht, da Sie sich, wh-

    rend ich weg bin, die ganze Zeit hier im Haus vergraben.

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    Nehmen Sie doch den Wagen, und ahren Sie r ein paar

    age irgendwohin. Sie sehen aus, als knnten Sie eine kleine

    Abwechslung gebrauchen.

    Da dieser Vorschlag gnzlich unerwartet kam, wuteich nicht recht, wie ich darau reagieren sollte. Ich erin-

    nere mich, meinem Dienstherrn r seine Aumerksam-keit gedankt zu haben, aber aller Wahrscheinlichkeit nach

    drckte ich mich nicht sehr przise aus, denn er uhr ort :

    Ich meine das ernst, Stevens. Ich glaube wirklich, Sie

    sollten mal ausspannen. Fr das Benzin komme ich au.Ihr Burschen, ihr seid ja geradezu eingesperrt in diesen

    groen Ksten, damit alles klappt, wie sollt ihr da je Zeit

    finden, euch in eurem schnen England umzusehen ?

    Es war nicht das erste Mal, da mein Dienstherr eine

    solche Frage auwar ; es scheint sich sogar um ein Pro-

    blem zu handeln, das ihn ernstlich beschigt. Bei dieserGelegenheit nun, als ich dort oben au der Leiter stand, fiel

    mir eine Erwiderung des Inhalts ein, da die Angehrigen

    unseres Berusstandes, obzwar wir im touristischen Sinne

    nicht sehr viel von der Landscha oder besonders pitto-

    resken rtlichkeiten zu Gesicht bekamen, doch mehr als

    die meisten anderen von England sahen durch unserePosition in Husern, in denen die bedeutendsten Persn-

    lichkeiten des Landes verkehrten. Natrlich htte ich Mr.

    Farraday diese berlegung nicht mitteilen knnen, ohne

    zu einer lngeren Rede anzusetzen, die vielleicht anma-

    end geklungen htte. Ich begngte mich deshalb damit,

    lediglich estzustellen :Es war mir vergnnt, Sir, im Laue der Jahre innerhalb

    dieser Mauern das Beste von England zu sehen.

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    Mr. Farraday schien diese Bemerkung nicht zu verstehen,

    denn er uhr ort : Ich meine es wirklich ernst, Stevens. Es

    ist nicht in Ordnung, wenn sich jemand nicht in seinem

    eigenen Land umsehen kann. Folgen Sie meinem Rat, sehenSie zu, da Sie mal r ein paar age rauskommen.

    Wie man sich denken kann, nahm ich Mr. FarradaysVorschlag an diesem Nachmittag nicht ernst, da ich in ihm

    nur einen weiteren Beweis r die mangelnde Vertrautheiteines Amerikaners mit dem erblickte, was man in England

    gemeinhin zu tun pflegt und was nicht. Der Umstand, dameine Einstellung zu ebendiesem Vorschlag im Verlau der

    darauffolgenden age eine nderung eruhr, ja, da die

    Vorstellung eines Ausflugs in die Westprovinzen in meinen

    Gedanken immer breiteren Raum einnahm, ist zweiellos

    und warum sollte ich das verschweigen wesentlich dem

    Eintreffen von Miss Kentons Brie zuzuschreiben, ihremersten seit ast sieben Jahren, wenn man die Weihnachts-

    gre nicht mitrechnet. Aber ich mu soort verdeutli-

    chen, was ich damit sagen will : Da nmlich Miss Ken-

    tons Brie eine gewisse Kette von berlegungen auslste,

    die mit beruflichen Angelegenheiten hier in Darlington

    Hall zu tun hatten, und ich mchte betonen, da es derGedanke an diese beruflichen Angelegenheiten war, der

    mich dazu hrte, den reundlich gemeinten Vorschlagmeines Dienstherrn erneut zu bedenken. Aber das sollte

    ich vielleicht noch nher erlutern.

    Es ist so, da ich whrend der letzten Monate bei der

    Ausbung meiner Dienstpflichten r eine Reihe kleinerVersehen verantwortlich war. Diese Versehen waren ohne

    Ausnahme an sich uerst trivial, doch ich glaube, man

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    wird verstehen, da diese Entwicklung r jemanden, der

    es nicht gewohnt ist, da ihm solche Versehen unterlauen,

    recht beunruhigend war, und so begann ich, hinsichtlich

    ihrer Ursache alle mglichen dsteren Erwgungen anzu-stellen. Wie das so o in solchen Situationen geschieht, war

    ich r das Offensichtliche blind das heit, bis mir mein

    Nachsinnen ber die eigentliche Bedeutung von Miss Ken-tons Brie die Augen ffnete : Die Wahrheit war, da die

    kleinen Versehen der jngsten Zeit einzig und allein au

    einen mangelhaen Personalplan zurckzuhren waren.Es ist natrlich Augabe jedes Butlers, beim Erstellen

    eines Personalplanes die grte Sorgalt walten zu lassen.

    Wer wte zu sagen, wie viele Auseinandersetzungen, unge-

    rechtertigte Anschuldigungen, unntige Entlassungen, wie

    viele jh abgebrochene hoffnungsvolle Karrieren der Nach-

    lssigkeit eines Butlers bei der Ausarbeitung des Personal-plans zuzuschreiben sind ? Ich dar sogar behaupten, michim Einklang mit jenen zu befinden, die die Fhigkeit, einen

    guten Personalplan zu erstellen, r den Eckstein des Kn-

    nens eines achtbaren Butlers halten. Ich selbst habe imLaue der Jahre viele Personalplne erarbeitet, und man

    wird es mir nicht als Unbescheidenheit auslegen, wenn ichsage, da nur sehr wenige davon einer Verbesserung bedur-

    ten. Wenn also im vorliegenden Fall der Personalplan zu

    beanstanden ist, tri keinen anderen die Schuld als mich.

    Freilich ist es nur gerecht, darau hinzuweisen, da meine

    Augabe diesmal ungewhnlich schwieriger Natur war.

    Vorgeallen war olgendes : Nachdem die ransaktionenabgeschlossen waren ransaktionen, in deren Verlau das

    seit zwei Jahrhunderten im Besitz der Familie Darlington

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    befindliche Anwesen in andere Hnde berhrt wurde ,

    hatte Mr. Farraday wissen lassen, da er nicht sogleich

    hier seinen Wohnsitz nehmen, sondern noch weitere vier

    Monate mit der Abwicklung von Geschen in den Ver-einigten Staaten zu tun haben werde. Inzwischen sei ihm

    jedoch sehr viel daran gelegen, da das Dienstpersonalseines Vorgngers ber das er nur hchstes Lob gehrt

    habe weiter in Darlington Hall bleibe. Das Personal,au das er sich bezog, war natrlich nur jener Rumpstab

    von sechs Personen, welche die Verwandtscha von LordDarlington weiterbeschigt hatte, damit sie sich vor dem

    Beginn und whrend der Dauer jener ransaktionen um

    das Haus kmmerten ; und ich mu zu meinem Bedauern

    berichten, da ich nach Abschlu der Verkausverhandlun-

    gen wenig tun konnte, um Mr. Farradays Wunsch zu ent-

    sprechen, insoern sich alle bis au Mrs. Clements andereStellungen suchten. Als ich meinem neuen Dienstherrnschrieb, um ihm von dieser bedauerlichen Situation Mit-

    teilung zu machen, erhielt ich aus Amerika die Anweisung,

    eine neue, eines groen alten englischen Hauses wrdige

    Dienerscha zu verpflichten. Ich bemhte mich sogleich,

    Mr. Farradays Wnschen zu entsprechen, aber bekanntlichist es heutzutage keineswegs einach, neues Personal mit

    einer zuriedenstellenden Qualifikation zu finden. Zwar war

    es mir mglich, au Mrs. Clements Empehlung Rosemary

    und Agnes einzustellen, weiter jedoch war ich noch nicht

    gediehen, als ich whrend seines kurzen ersten Besuchs

    in unserem Land im Frhling des vergangenen Jahres meine erste dienstliche Besprechung mit Mr. Farraday

    hatte. Bei dieser Gelegenheit es war in dem eigenartig

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    achtundzwanzig Dienstboten beschigt gewesen waren, so

    da die Vorstellung, einen Personalplan zu entweren, dem-

    zuolge das gleiche Haus mit nur vier Angestellten gehrt

    werden sollte, gelinde gesagt, entmutigend schien. Obzwarich alles tat, um mir nichts anmerken zu lassen, mu etwas

    von meiner Skepsis doch zu spren gewesen sein, denn Mr.

    Farraday gte wie zur Beruhigung hinzu, sollte es sich

    als ntig erweisen, knne eine weitere Person eingestellt

    werden. Aber er wre mir sehr verbunden, wiederholte

    er, wenn ich es mit vier Leuten mal probieren knnte.Nun habe ich, wie viele von uns, eine natrliche Abnei-

    gung gegen allzu eingreiende Vernderungen. Kein Ver-

    dienst liegt indes darin, sich, wie manche dies tun, an die

    radition um ihrer selbst willen zu klammern. Im Zeitalter

    der Elektrizitt und der modernen Heizungssysteme ist es

    nicht mehr erorderlich, soviel Personal in Dienst zu haben,wie es noch vor einer Generation vonnten war. Mehr noch,

    ich rage mich sogar seit einiger Zeit, ob die Beibehaltung

    berflssigen Personals lediglich um der radition willen

    mit dem Ergebnis, da Dienstboten unzutrglich viel reie

    Zeit zur Vergung haben bei dem raschen Absinken des

    beruflichen Niveaus nicht eine entscheidende Rolle spielt.Zudem hatte Mr. Farraday deutlich zu verstehen gegeben,

    da er nur sehr selten so groe Gesellschaen zu geben

    gedachte, wie Darlington Hall sie rher so hufig gese-hen hatte. Ich machte mich also mit einigem Engagement

    an die Augabe, die Mr. Farraday mir gestellt hatte ; ich

    verbrachte viele Stunden ber der Arbeit an dem Perso-nalplan und dachte wenigstens noch einmal so viele Stun-

    den darber nach, whrend ich meinen anderen Pflichten

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    nachging oder noch wach lag, nachdem ich mich abends

    zurckgezogen hatte. Wann immer ich glaubte, einen gu-

    ten Einall gehabt zu haben, berpre ich ihn au Fehler

    und beleuchtete ihn kritisch von allen Seiten. Schlielichbrachte ich einen Plan zustande, der, wenn auch vielleicht

    nicht ganz das, was Mr. Farraday verlangt hatte, doch, den

    sicheren Eindruck hatte ich, der menschenmglich beste

    war. Fast alle wichtigen eile des Hauses konnten in Funk-

    tion bleiben : Die ausgedehnten Dienstbotenunterkne

    einschlielich des hinteren Flurs, der zwei Vorratsrumeund der alten Waschkche und der Gsteflur oben im

    zweiten Stock wrden auer Betrieb genommen werden,

    whrend alle Hauptrume im Erdgescho und eine gro-

    zgige Anzahl von Gstezimmern geffnet blieben. Freilich

    wrden wir vier dieses Programm nur mit Untersttzung

    tageweiser Aushilen bewltigen ; mein Personalplan sahdaher die Hinzuziehung eines Grtners vor, der einmal in

    der Woche kam, im Sommer zweimal, und zweier Reine-

    macherauen, die sich beide zweimal die Woche einzufin-

    den hatten. Der Personalplan wrde auerdem r uns vier

    Festangestellte eine radikale Umstellung in den gewohn-

    ten Pflichten bringen. Die beiden Mdchen wrden sichaller Voraussicht nach ohne groe Mhe den vernderten

    Umstnden anpassen, aber ich tat alles, um sicherzustellen,

    da Mrs. Clements mglichst wenig von den Umstellungen

    betroffen war, und ging dabei so weit, selbst eine Anzahl

    von Pflichten zu bernehmen, die schwerlich zum eigent-

    lichen Augabenbereich eines Butlers gehren.Selbst jetzt wrde ich nicht so weit gehen, von einem

    schlechten Personalplan zu sprechen, denn schlielich setzt

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    er einen Stab von vier Personen in den Stand, ein erstaun-

    lich weites Feld abzudecken. Aber zweiellos wird mir jeder

    besttigen, da die allerbesten Personalplne diejenigen

    sind, die einen gewissen Spielraum enthalten r solcheage, an denen ein Bediensteter erkrankt oder aus dem

    einen oder anderen Grund nicht ganz au der Hhe ist.Was diesen speziellen Fall betra, war mir natrlich eine

    auergewhnliche Augabe gestellt, aber ich hatte es den-

    noch nicht versumt, Spielrume vorzusehen, wo immer

    dies mglich war. Ich war mir insbesondere bewut, daein eventueller Widerstand seitens Mrs. Clements oderder zwei Mdchen gegen die bernahme von Augaben

    auerhalb ihres bisherigen Pflichtenkreises sich noch ver-

    strken wrde, sollten sie den Eindruck haben, da ihrArbeitspensum merklich zugenommen hatte. Ich hatte des-

    halb whrend der age, in denen ich um die Erstellungdes Personalplans rang, ein betrchtliches Ma an berle-

    gung darau verwandt, sicherzustellen, da Mrs. Clements

    und die Mdchen, wenn sie erst ihre Abneigung gegen diebernahme dieser eklektischeren Rollen berwunden

    hatten, die neue Aueilung der Pflichten stimulierend und

    keineswegs belastend finden wrden.Ich rchte jedoch, da ich in dem Bemhen, mich

    der Untersttzung Mrs. Clements und der Mdchen zu

    versichern, vielleicht mit nicht ganz der gleichen Strenge

    meine eigenen Grenzen eingeschtzt habe, und obwohl

    meine Erahrung und bliche Vorsicht verhinderten, da

    ich mir an Arbeit mehr zuteilte, als ich tatschlich bewl-tigen konnte, habe ich vielleicht in meinem Fall nicht an

    den erorderlichen Spielraum gedacht. Es kann deshalb

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    nicht berraschen, da diese Unterlassung sich wennauch ber mehrere Monate hinweg in solchen kleinen,

    aber auschlureichen Fehlern und Versehen maniestiert.

    Ich glaube, da sich die Angelegenheit letztlich au eineneinachen Nenner bringen lt : Ich hatte mir selbst zuviel

    zugemutet.

    Man mag sich darber wundern, da ein solch offenkun-

    diger Mangel eines Personalplans so lange meiner Aumerk-

    samkeit hatte entgehen knnen, doch man wird zugeben

    mssen, da dergleichen hufig geschieht bei Angelegen-heiten, die man ber einen lngeren Zeitraum hinweg stn-

    dig bedacht hat ; man erkennt den wahren atbestand erst,

    wenn man durch ein ueres Ereignis zullig darau gesto-

    en wird. So war es auch in diesem Fall : Das Eintreffen des

    Briees von Miss Kenton nmlich, in dem sich trotz langer,

    eher nichtssagender Passagen eine unverkennbare Sehn-sucht nach Darlington Hall ausdrckte und dessen bin

    ich ganz sicher aus dem andeutungsweise das Verlangensprach, hierher zurckzukehren, zwang mich dazu, meinen

    Personalplan mit neuen Augen zu sehen. Erst da ging mir

    au, da es in der at einen wichtigen Augabenbereich r

    ein weiteres Mitglied der Dienerscha gab, ja, da diesenicht besetzte Position mit meinen jngsten Schwierigkei-

    ten in unmittelbarem Zusammenhang stand. Und je lnger

    ich darber nachdachte, desto klarer wurde mir, da Miss

    Kenton mit ihrer groen Liebe zu diesem Haus und ihrer

    beispielhaen achlichen Qualifikation von der Art, wie

    man sie heute kaum noch findet genau der Faktor war,der mich in die Lage versetzen wrde, einen beriedigen-

    den Personalplan r Darlington Hall zu erstellen.

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    Nachdem ich die Situation in dieser Weise analysiert hatte,

    dauerte es nicht lange, bis ich wieder ber den reundli-

    chen Vorschlag nachdachte, den mir Mr. Farraday einige

    age zuvor gemacht hatte. Denn mir war bewut gewor-den, da sich die in Aussicht genommene Reise mit dem

    Auto au praktische Weise mit dienstlichen Angelegenhei-

    ten verknpen lie, insoern ich au meiner Fahrt Miss

    Kenton besuchen und so persnlich in Erahrung bringen

    konnte, ob sie wirklich den Wunsch hatte, wieder in Dar-

    lington Hall ttig zu sein. Ich sollte hervorheben, da ichMiss Kentons letzten Brie mehrmals gelesen habe, und es

    ist ganz unmglich, da ich mir das Vorhandensein sol-

    cher Andeutungen ihrerseits nur einbilde.

    Dennoch konnte ich es einige age lang nicht ber mich

    bringen, Mr. Farraday gegenber au die Angelegenheit

    zurckzukommen. Es gab verschiedene Aspekte, ber dieich glaubte, mir Klarheit verschaffen zu mssen, ehe ich

    weitere Schritte unternahm. Da war zum Beispiel die Frage

    der Kosten. Denn selbst unter Bercksichtigung des reund-

    lichen Angebots meines Dienstherrn, r das Benzin au-

    zukommen, mochten die Kosten einer solchen Reise noch

    immer eine erstaunliche Hhe erreichen, wenn man solcheDinge wie Unterkun und Mahlzeiten sowie etwaige kleine

    Errischungen in Betracht zog, die ich unterwegs zu mir

    nehmen wrde. Dann war da die Frage des angemessenenAnzugs r eine solche Reise und ob es sich lohnte, Geld

    in eine neue Garnitur Kleider zu investieren. Ich bin im

    Besitz einer ganzen Reihe sehr schner Anzge, die mirim Laue der Jahre reundlicherweise berlassen wurden

    von Lord Darlington selbst und von verschiedenen Gsten

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    dieses Hauses, die Grund hatten, mit dem Standard der

    Bedienung hier zurieden zu sein. Viele dieser Anzge sind

    vielleicht zu elegant r die Zwecke der in Aussicht genom-

    menen Reise oder aber heutzutage zu sehr aus der Mode.Aber da ist ein Anzug, den mir Sir Edward Blair oder

    berlie damals praktisch neu und ast perekt im

    Sitz , der sich r die Abende im Gesellschasraum oder

    Speisesaal der Gasthe eignen knnte, in denen ich jeweils

    absteigen wrde. Was mir jedoch ehlt, das sind passende

    Reisekleider das heit Kleider, in denen ich mich amSteuer eines Wagens sehen lassen knnte , wenn ich nicht

    jenen Anzug nehme, den mir Lord Chalmers whrenddes Krieges vermachte und der mir zwar zu klein ist, im

    Farbton aber als ideal gelten kann. Ich rechnete schlie-

    lich aus, da meine Ersparnisse alle entstehenden Kosten

    decken und darber hinaus r den Kau neuer Kleiderausreichen wrden. Ich hoffe, man hlt mich, was letzteren

    Punkt betri, nicht r ungebhrlich eitel ; es ist indes nicht

    mglich vorherzusehen, wann eine Situation entsteht, in der

    man zu erkennen geben sollte, da man von Darlington

    Hall kommt, und es ist wichtig, in solchen Augenblicken

    seiner Position entsprechend gekleidet zu sein.Whrend dieser Zeit versumte ich auch nicht, sorgltig

    die Straenkarte und die entsprechenden Bnde des Werkes

    von Mrs. Jane Symons ber die Schnheiten Englands zu

    studieren. Wer mit Mrs. Symons Bchern es sind sieben

    Bnde, die sich mit den einzelnen Regionen der Britischen

    Inseln beassen nicht vertraut ist, dem mchte ich siewrmstens empehlen. Sie wurden whrend der dreiiger

    Jahre geschrieben, aber vieles darin dre auch heute noch

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    gltig sein ich kann mir jedenalls kaum vorstellen, da

    deutsche Bomben die Landscha derart merklich verndert

    haben sollten. Mrs. Symons war brigens vor dem Krieg

    hufig zu Gast in diesem Haus ; sie zhlte sogar, was dasPersonal betra, zu den beliebtesten Gsten, wegen der

    dankbaren Anerkennung des guten Service, die zu zeigen

    sie sich nie scheute. In jenen agen hatte ich, angeregtdurch meine natrliche Bewunderung r die Dame, zum

    ersten Mal in ihren Bnden in der Bibliothek geblttert,

    wann immer ich eine reie Minute hatte. Ja, ich erinneremich, da ich, kurz nach Miss Kentons Abreise nach Corn-

    wall im Jahre ich selbst war noch nie in diesemeil Englands gewesen , o Band III von Mrs. Symons

    Werk auschlug, den Band, der dem Leser die Schnheiten

    Devons und Cornwalls vorstellt, illustriert durch Photos

    und was r meine Begriffe noch reizvoller war durcheine Vielzahl knstlerischer Skizzen von dieser Region.Au diese Weise hatte ich mir eine gewisse Vorstellung von

    der Gegend machen knnen, in die Miss Kenton ihrer Ehe

    wegen gezogen war. Doch das war, wie gesagt, in den drei-

    iger Jahren, als Mrs. Symons Werke, soviel mir bekannt ist,

    landau, landab in allen Haushalten bewundert wurden. Ichhatte die Bcher seit vielen Jahren nicht mehr in der Hand

    gehabt, bis die jngsten Ereignisse mich nun dazu brachten,

    den Band ber Devon und Cornwall abermals aus dem

    Regal zu ziehen. Ich vertiee mich erneut in die wunder-

    baren Beschreibungen und Illustrationen, und man begrei

    vielleicht meine wachsende Erregung bei dem Gedanken,da ich jetzt womglich selbst mit dem Kraahrzeug eine

    Reise durch eben diese Gegenden unternehmen wrde.

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    Zum Schlu blieb mir kaum etwas anderes brig, als die

    Sache Mr. Farraday gegenber noch einmal zur Sprache zu

    bringen. Es bestand natrlich die Mglichkeit, da die Idee,

    die er zwei Wochen zuvor gehabt hatte, nur eine Laune desAugenblicks gewesen war und er inzwischen nichts mehr

    davon hielt. Doch nach den Eindrcken, die ich whrend

    der letzten Monate von Mr. Farraday gewonnen hatte, ist

    er keiner jener Gentlemen, die zu Inkonsequenz neigen, je-

    nem Charakterzug, der bei Dienstherren besonders unan-

    genehm auffllt. Es bestand kein Grund zu der Annahme,er werde meinem in Aussicht genommenen Ausflug mit

    dem Auto nicht genauso positiv gegenberstehen wie zu-

    vor oder sein Angebot, r das Benzin auzukommen,

    nicht wiederholen. Dennoch berlegte ich sorgsam, wel-

    ches die gnstigste Gelegenheit sein knnte, um au die

    Angelegenheit zu sprechen zu kommen, denn wrde ichauch, wie schon gesagt, Mr. Farraday keinen Augenblick

    lang der Inkonsequenz verdchtigen, so schien es immer-

    hin sinnvoll, das Tema nicht zu erwhnen, wenn andere

    Dinge ihn beschigten oder ablenkten. Eine Ablehnung

    unter solchen Umstnden mochte nicht die wahre Einstel-

    lung meines Dienstherrn zu der Angelegenheit widerspie-geln, aber ich konnte diese nicht noch einmal vorbringen,

    war mir erst eine Zurckweisung zuteil geworden. Ich warmir darber im klaren, da ich den richtigen Moment ab-

    warten mute.

    Ich kam zu dem Schlu, da der gnstigste Moment

    des ages der war, wenn ich im Salon den Nachmittagsteeservierte. Mr. Farraday ist dann gewhnlich gerade von

    einem kurzen Spaziergang zurck, so da er selten intensiv

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    mit seiner Lektre oder Korrespondenz beschigt ist wiezumeist am Abend. Ja, wenn ich den Nachmittagstee bringe,

    scheint Mr. Farraday sogar geneigt, ein Buch, in dem er

    gerade gelesen hat, oder eine Zeitung aus der Hand zulegen, sich zu erheben und vor den Fenstern die Arme zu

    recken, wie in Erwartung eines Gesprchs mit mir.

    Ich glaube, meine Einschtzung, was den richtigen Zeit-

    punkt betra, war durchaus vernnig ; da es dann doch

    ein wenig anders kam als erwartet, geht einzig und allein

    au eine Fehleinschtzung ganz anderer Art zurck. Ichma nmlich dem Umstand nicht gengend Bedeutung

    bei, da Mr. Farraday zu dieser ageszeit eine Konversa-

    tion der leichten, humorvollen Art bevorzugt. Da ich von

    einer solchen Stimmung bei Mr. Farraday htte ausgehen

    mssen, als ich ihm gestern nachmittag den ee brachte,

    und da ich mir seiner Neigung bewut war, mir gegen-ber in solchen Augenblicken eher einen scherzenden on

    anzuschlagen, wre es gewi klger gewesen, Miss Kenton

    berhaupt nicht zu erwhnen. Aber man wird vielleicht, da

    ich etwas zur Sprache brachte, was schlielich eine gro-

    zgige Gelligkeit meines Dienstherrn war, von meiner

    Seite den Wunsch verstehen, dabei durchblicken zu lassen,da es r mein Anliegen auch ein achtbares berufliches

    Motiv gab. So kam es, da ich es nicht bei der Nennung

    einiger der von Mrs. Symons in ihrem Buch geschilderten

    Sehenswrdigkeiten belie, als ich begrndete, weshalb

    ich r meine Autoreise die westlichen Gegenden vorzog,

    sondern den Fehler beging, zu erwhnen, da eine r-here Haushlterin von Darlington Hall in dieser Gegend

    wohnha sei. Eigentlich hatte ich wohl beabsichtigt, Mr.

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    Farraday darzulegen, da ich au diese Weise eine Mglich-

    keit wrde erkunden knnen, die sich als die ideale Lsung

    unserer derzeitigen kleinen Probleme hier im Haus erwei-

    sen mochte. Erst nachdem ich Miss Kenton schon erwhnthatte, wurde mir bewut, wie vllig unangemessen es gewe-

    sen wre, weiterzusprechen. Ich war mir nicht nur Miss

    Kentons Wunsch nicht sicher, sich dem Dienstbotenstab

    hier anzuschlieen, sondern ich hatte natrlich auch seit

    jener ersten Begegnung mit Mr. Farraday vor ber einem

    Jahr die Frage zustzlichen Personals nicht mehr angespro-chen. Weiter laut meine Vorstellungen von der ZukunDarlington Halls zu uern wre, gelinde gesagt, anmaend

    gewesen. Ich vermute also, da ich recht unvermittelt inne-

    hielt und ein wenig verlegen aussah. Au jeden Fall benutzte

    Mr. Farraday die Gelegenheit, um ein verschmitztes Lcheln

    auzusetzen und mit einiger Bedchtigkeit zu sagen :Sieh da, Stevens eine Freundin. Und das in Ihrem

    Alter.

    Dies war eine hchst peinliche Situation, eine, in dieLord Darlington einen Bedienten nie gebracht htte. Doch

    damit will ich nichts Abschtziges ber Mr. Farraday ange-

    deutet haben ; er ist schlielich Amerikaner, und seine Artist o sehr anders. Er wollte mich keinesalls verletzen, das

    steht auer Frage, aber man wird leicht ermessen knnen,

    wie unangenehm die Situation r mich war.

    Ich htte Sie nie r einen solchen Frauenhelden ge-halten, Stevens, uhr er ort. Das hlt wohl jung, nehme

    ich an. Aber nein, ich wei wirklich nicht, ob ich Ih-nen zu einem so zweideutigen Rendezvous Hilestellung

    leisten soll.

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    Natrlich hlte ich mich versucht, Motivationen von der

    Art, wie mein Dienstherr sie mir zuschrieb, soort und ener-

    gisch abzustreiten, aber ich erkannte noch rechtzeitig, da

    ich damit au Mr. Farradays Kder angebissen htte unddie Situation nur noch peinlicher geworden wre. Ich blieb

    deshalb weiter verlegen stehen und wartete darau, da er

    mir die Erlaubnis erteilte, die Fahrt zu unternehmen.

    So peinlich diese Momente r mich waren, mchteich doch nicht den Eindruck erwecken, als machte ich in

    irgendeiner Weise Mr. Farraday einen Vorwur. Er ist kei-nesalls ein unreundlicher Mensch ; er and gewi lediglich

    Geallen an jenem scherzenden on, der in den Vereinigten

    Staaten ohne Zweiel Zeichen eines guten, reundlichen Ver-

    hltnisses zwischen Dienstherrn und Bedienstetem ist und

    der dort etwas Sportliches hat. Ich sollte sogar, um alles in

    die rechte Perspektive zu rcken, betonen, da gerade einsolch scherzender on seitens meines Dienstherrn kenn-

    zeichnend r unser Verhltnis whrend all dieser Monate

    war obschon ich gestehen mu, da ich weiterhin recht

    unsicher bin in der Frage, inwieweit ich au diesen on

    eingehen soll. In der at habe ich mich zu Beginn meiner

    Dienstzeit unter Mr. Farraday ein paarmal sehr verwundertber Dinge, die er zu mir sagte. Zum Beispiel hatte ich ein-

    mal Anla, ihn zu ragen, ob ein Herr, der zu Gast erwartet

    wurde, wohl in Begleitung seiner Gattin kommen wrde.

    Gott steh uns bei, alls sie mitkommt, erwiderte Mr.

    Farraday. Vielleicht knnten Sie sie uns vom Leib halten,

    Stevens. Sie knnten doch mit ihr in einen dieser Stlle auMr. Morgans Farm gehen. Beschigen Sie sie irgendwie

    in all dem Heu. Sie ist vielleicht Ihr yp.

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    Einen Augenblick lang begriff ich nicht recht, was mein

    Dienstherr meinte. Dann wurde mir bewut, da er irgend-

    eine Art von Scherz machte, und ich bemhte mich, ange-

    messen zu lcheln, obschon ich vermute, da eine Spurmeines Erstaunens, um nicht zu sagen Schreckens, meinem

    Gesichtsausdruck noch anzumerken war.

    Im Laue der nchsten age indes gewhnte ich mich

    daran, mich nicht mehr ber solche Bemerkungen mei-

    nes Dienstherrn zu wundern, und lchelte jedesmal in der

    korrekten Weise, wenn ich aus seiner Stimme den scher-zenden on heraushrte. Dennoch war ich nie ganz sicher,

    was in solchen Situationen von mir erwartet wurde. Viel-

    leicht htte ich herzlich lachen sollen oder gar mit einer

    entsprechenden eigenen Bemerkung reagieren. Diese letz-

    tere Mglichkeit beschigt meine Gedanken inzwischen

    seit Monaten, und ich bin, was diese Frage betri, nochimmer unschlssig. Denn es kann sehr wohl sein, da es

    in Amerika zu den Kennzeichen einer guten, proessio-

    nellen Dienstttigkeit gehrt, seitens des Bediensteten mit

    scherzhaen Bemerkungen auzuwarten. Ich erinnere mich

    in diesem Zusammenhang daran, da Mr. Simpson, der

    Wirt des Gasthos Ploughmans Arms, einmal sagte, wenner ein amerikanischer Barkeeper wre, wrde er nicht in

    dieser seiner reundlichen, aber unbedingt hflichen Art

    mit uns plaudern, sondern uns Bemerkungen ber unsereFehler und Laster an den Kop weren, uns Suer und noch

    ganz anders nennen, um au diese Weise der Rolle gerecht

    zu werden, die seine Gste dort von ihm erwarten wrden.Und ich entsinne mich, da Mr. Rayne, der als Kammer-

    diener von Sir Reginald Mauvis nach Amerika reiste, vor

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    einigen Jahren bemerkte, da ein axiahrer in New York

    seinen Fahrgast grundstzlich in einer Art anredete, die in

    London zu einem Eklat hren wrde, wenn nicht gar dazu,

    da man den Burschen zum nchsten Polizeirevier brchte.Es ist also durchaus mglich, da mein Dienstherr eine

    Erwiderung in gleicher Weise erwartet, wenn er in scher-

    zendem, neckendem on mit mir spricht, und die atsache,

    da ich mich nicht so verhalte, als eine Form von Nachls-sigkeit einstu. Dies ist, wie gesagt, ein Umstand, der mir

    einige Sorge bereitet. Aber ich mu gestehen, da dieserscherzhae Umgangston zu den Pflichten gehrt, derenich mich niemals mit Begeisterung entledigen knnte. Es

    ist recht schn und gut, seine Arbeit in diesen sich wan-

    delnden Zeiten der Entwicklung anzupassen und Augaben

    in die tigkeit zu integrieren, die traditionsgem nicht

    Bestandteil derselben sind, aber dieser scherzende on isteine Sache r sich. Denn wie knnte man je ganz sicher

    sein, ob in einer bestimmten Situation eine Erwiderung von

    der scherzhaen Art wirklich das ist, was erwartet wird ?

    Man braucht kaum nher au die katastrophale Mglichkeit

    einzugehen, da man eine scherzende Bemerkung macht,

    die, wie man dann eststellt, vllig unangebracht ist.Einmal, vor noch gar nicht langer Zeit, and ich jedoch

    den Mut, eine Erwiderung der wohl gewnschten Art zu

    versuchen. Ich servierte Mr. Farraday gerade im Frhstcks-

    zimmer den Morgenkaffee, als er zu mir sagte :

    Das waren doch wohl nicht Sie, Stevens, der heute mor-

    gen dieses krhende Gerusch gemacht hat ?Mein Dienstherr bezog sich, wie mir klar wurde, damit

    au zwei Zigeuner, die Alteisen sammelten und die ein

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    wenig rher am Morgen unter Ausstoen ihrer blichen

    Rue vorbergekommen waren. Zullig hatte ich mir an

    ebendiesem Morgen ber das Dilemma Gedanken gemacht,

    ob ich nun au eine scherzhae Bemerkung meines Dienst-herrn in gleichem on antworten sollte oder nicht, und

    mich hatte ernstha die Vorstellung bekmmert, er knnte

    mein wiederholtes Versagen, au solche Bemerkungen ent-

    sprechend einzugehen, ungnstig aunehmen. Ich versuchte

    mir deshalb eine geistreiche Antwort auszudenken, irgend-

    eine Erwiderung, die sich auch dann noch im Rahmen desHarmlosen bewegen wrde, sollte ich die Situation alsch

    eingeschtzt haben. Nach ein, zwei Augenblicken sagte ich :

    Eher Schwalben als Hhne, wrde ich meinen, Sir. Unter

    dem Aspekt ihres Zugvogeldaseins betrachtet. Und ich lie

    diesen Worten ein angemessen zurckhaltendes Lcheln

    olgen, um unzweideutig zu verstehen zu geben, da icheinen Scherz gemacht hatte, da ich nicht wnschte, da

    Mr. Farraday aus unangebrachter Hflichkeit irgendwel-chem spontanen Ergtzen Schranken setzte.

    Mr. Farraday indes blickte mich nur an und sagte : Wie

    bitte, Stevens ?

    Erst da ging mir au, da mein Scherz von jemandem,der nicht wute, da die Vorberziehenden Zigeuner gewe-

    sen waren, schwerlich als solcher erkannt werden konnte.

    Mir war nun nicht recht klar, ob ich in diesem scherzenden

    on ortahren sollte ; ich entschied, da es wohl das beste

    sei, der Sache ein Ende zu machen, und so tat ich, als sei

    mir pltzlich etwas eingeallen, das ich dringend erledigenmte, entschuldigte mich und lie meinen Dienstherrn

    in etwas verwirrter Verassung zurck.

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    zusammen und redeten beim warmen Feuer bis tie in dieNacht hinein. Und wer an einem dieser Abende in unser

    Zimmer gekommen wre, der htte, das kann ich versi-

    chern, nicht bloen Klatsch zu hren bekommen ; eher wreer Zeuge von Debatten ber die bedeutenden Angelegen-

    heiten geworden, die unsere Herrscha oben beschig-

    ten, oder ber wichtige Ereignisse, von denen die Zeitun-

    gen berichteten ; und natrlich konnte man uns, wie dies

    so blich ist, wenn Kollegen mit ganz unterschiedlichen

    Augabenbereichen zusammenkommen, dabei antreffen,wie wir jeden denkbaren Aspekt unseres Berus errterten.

    Manchmal gab es natrlich groe Meinungsverschiedenhei-

    ten, doch meistens war die Atmosphre geprgt von einem

    Gehl gegenseitigen Respekts. Vielleicht vermittle ich eine

    bessere Vorstellung von diesen Abenden, wenn ich sage,

    da zu den regelmigen Gsten Persnlichkeiten wie Mr.Harry Graham, Kammerdiener und Butler von Sir James

    Chambers, und Mr. John Donalds, Kammerdiener von Mr.

    Sidney Dickenson, zhlten. Und es gab andere, weniger

    herausragende vielleicht, deren lebhae eilnahme aberdoch jeden Besuch denkwrdig machte, zum Beispiel Mr.

    Wilkinson, Kammerdiener und Butler von Mr. John Camp-bell, mit seinem bekannten Repertoire von Imitationenprominenter Personen ; Mr. Davidson von Easterly House,

    dessen leidenschaliche Art zu debattieren einen Auenste-

    henden bisweilen so bestrzen konnte, wie seine schlichte

    Freundlichkeit zu anderen Zeiten gewinnend wirkte ; Mr.

    Herman, Kammerdiener von Mr. John Henry Peters, des-sen extreme Ansichten niemand widerspruchslos hinneh-

    men, dem man wegen seines volltnenden Lachens und

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    des seiner Heimat Yorkshire eigenen Charmes aber nicht

    ernstlich bse sein konnte. Und so knnte ich ortahren.

    In jenen agen herrschte in unserem Berusstand eine echte

    Kameradscha, wenn es auch kleine Unterschiede in unse-rer Arbeitsauffassung geben mochte. Wir waren sozusagen

    alle mehr oder weniger aus dem gleichen Holz geschnitzt.

    Anders als heute, da nur bei seltenen Gelegenheiten ein

    Gast von seinem Diener begleitet wird und dieser wahr-

    scheinlich irgendein Neuling ist, der auer ber Fuball

    kaum etwas zu sagen wei und es vorzieht, den Abend stattam Kamin des Dienstbotenzimmers beim Ale im Gastho

    Ploughmans Arms zu verbringen oder gar, wie dies neuer-

    dings immer hufiger der Fall zu sein scheint, im Star Inn.

    Ich erwhnte soeben Mr. Graham, den Kammerdiener

    und Butler von Sir James Chambers. Vor etwa zwei Mona-

    ten eruhr ich zu meiner groen Freude, da Sir Jamesdemnchst zu Besuch nach Darlington Hall kommen wrde.

    Ich reute mich au diesen Besuch, nicht nur weil Gste aus

    Lord Darlingtons Zeit jetzt sehr selten sind Mr. Farra-

    days Bekanntenkreis ist natrlich ein ganz anderer als der

    seiner Lordscha , sondern auch weil ich annahm, Mr.

    Graham werde Sir James wie rher begleiten, so da ichGelegenheit haben wrde, seine Meinung zum Problem

    des Scherzens zu hren. Ich war deshalb sowohl berrascht

    wie enttuscht, als ich am ag vor dem Besuch hrte, da

    Sir James allein kommen werde. Auerdem brachte ichwhrend seines Auenthalts in Erahrung, da Mr. Graham

    nicht mehr in Sir James Diensten stand, ja, da Sir Jamesberhaupt kein stndiges Personal mehr beschigte. Ich

    htte gern herausgeunden, was aus Mr. Graham geworden

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    war, denn wenn wir uns auch nicht sehr gut gekannt hat-

    ten, so wrde ich doch sagen, da wir bei unseren Begeg-

    nungen gut miteinander ausgekommen waren. Aber leider

    ergab sich keine Gelegenheit, bei der ich mich nach sei-nem Schicksal htte erkundigen knnen. Ich mu sagen,

    ich war sehr enttuscht, denn ich htte gern das Problem

    des Scherzens mit ihm besprochen.

    Aber ich mu den Faden wieder aunehmen. Ich sahmich also, wie ich schon sagte, gezwungen, gestern nach-

    mittag einige unbehagliche Minuten lang verlegen im Salonzu stehen, whrend Mr. Farraday sich weiter seines scher-

    zenden ons befleiigte. Ich reagierte darau wie blich,

    indem ich leicht lchelte gengend zumindest, um zu

    erkennen zu geben, da ich in gewisser Weise an der guten

    Laune teilhatte, die er an den ag legte , und wartete, ob

    die die Autotour betreffende Erlaubnis meines Dienstherrnerolgen wrde. Wie erwartet gab er sie mir nach nicht allzu

    langem Abwarten und war zudem so reundlich, sich sei-

    nes Angebots, r das Benzin auzukommen, zu erinnern

    und es zu wiederholen. Es scheint also keinen Grund mehr

    zu geben, die Fahrt nach Cornwall nicht anzutreten. Ich

    mu natrlich Miss Kenton noch schreiben und ihr mit-teilen, da ich vielleicht vorbeikommen werde ; ich werde

    mich auch noch um die Angelegenheit der Kleidung zu

    kmmern haben. Verschiedene andere Fragen, den Fort-

    gang der Dinge hier im Haus whrend meiner Abwesen-

    heit betreffend, bedren noch der Klrung. Alles in allem

    aber sehe ich keinen wirklichen Grund mehr, weshalb ichdiese Reise nicht antreten sollte.

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    Erster Tag AbendSalisbury

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    Ich befinde mich heute abend in einer Pension hier in derStadt Salisbury. Mein erster Reisetag ist nun zu Ende, und

    ich bin, das mu ich sagen, alles in allem recht zurieden.

    Die Fahrt begann heute morgen ast eine Stunde spter als

    geplant, obwohl ich schon geraume Zeit vor acht Uhr meine

    Sachen gepackt und den Ford mit allem Ntigen beladen

    hatte. Da auch Mrs. Clements und die Mdchen whrenddieser Woche abwesend sein werden, war ich mir wohl sehr

    deutlich der atsache bewut, da Darlington Hall nach

    meiner Abahrt wahrscheinlich zum ersten Mal in diesem

    Jahrhundert vielleicht sogar seit seiner Erbauung leer-

    stehen wrde. Es war ein eigenartiges Gehl und erklrt

    vielleicht, weshalb ich die Abahrt so lange hinauszgerte,indem ich viele Male durch das Maus ging, um mich zu

    vergewissern, da alles in Ordnung war.

    Es ist schwer zu schildern, was ich empand, nachdem

    ich endlich abgeahren war. Ich kann nicht sagen, da ich

    whrend der ersten zwanzig Minuten von irgendeiner Erre-

    gung oder Vorreude erllt gewesen wre. Dies hing zwei-ellos mit dem Umstand zusammen, da ich mich, obschon

    ich das Haus immer weiter hinter mir lie, doch nach wie

    vor in einer Umgebung beand, die ich wenigstens flch-

    tig kannte. Nun hatte ich stets angenommen, ich sei, in

    der Bewegungsreiheit stark eingeschrnkt durch meine

    Pflichten im Haus, nur sehr wenig gereist, aber natrlichunternimmt man mit der Zeit aus dem einen oder ande-

    ren beruflichen Grund verschiedene Ausflge, und offenbar

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    waren mir die benachbarten Bezirke vertrauter geworden,

    als mir bewut gewesen war. Denn wie ich schon sagte,

    stellte ich, whrend ich im Sonnenschein au die Grenze

    von Berkshire zuuhr, immer wieder berrascht est, daich die Gegend recht gut kannte.

    Doch schlielich beand ich mich in einer mir rem-

    den Umgebung und wute, da ich ber alle rheren

    Grenzen hinausgelangt war. Ich habe Leute den Augenblick

    beschreiben hren, wenn man bei der Ausahrt eines Schi-

    es schlielich das Land unter dem Horizont versinken sieht.Ich kann mir vorstellen, da dieses Gehl von Unbeha-

    gen, vermischt mit einer hochgemuten Stimmung, das o

    im Zusammenhang mit diesem Moment geschildert wird,

    dem sehr hnlich war, was ich in dem Ford empand, als

    mir die Umgebung remd wurde. Dies geschah kurz nach

    einer Abzweigung, als ich mich pltzlich au einer Straebeand, die in Kurven an einem Hang entlanghrte. Ich

    ahnte den steilen Aball zu meiner Linken, konnte ihn aber

    nicht sehen, weil Bume und dichtes Laubwerk die Strae

    sumten. Mich durchflutete das Bewutsein, Darlington

    Hall wahrhaig hinter mir gelassen zu haben, und ich mu

    gestehen, da mich eine leise Unruhe befiel ein Eindruck,der noch verstrkt wurde durch das Gehl, da ich mich

    vielleicht berhaupt nicht au der richtigen Strae beand,

    sondern in einer vllig alschen Richtung in eine Wildnis

    hineinraste. Es war nur das Gehl eines Augenblicks, aber

    als Folge davon uhr ich langsamer. Und selbst als ich mich

    vergewissert hatte, da dies die richtige Strae war, hlteich mich gezwungen, den Wagen einen Moment anzuhalten,

    gewissermaen um eine Bestandsaunahme zu machen.

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    Ich beschlo, auszusteigen und mir ein wenig die Beinezu vertreten, und als ich das tat, verstrkte sich noch der

    Eindruck, da ich mich an einer Bergflanke beand. Au der

    einen Straenseite zogen sich Dickicht und kleine Bumesteil auwrts, whrend ich au der anderen durch das Laub

    jetzt die erne Landscha herberschimmern sah.

    Ich glaube, ich war gerade ein paar Schritte am Stra-

    enrand entlanggegangen, durch das Laubwerk sphend

    in der Hoffnung au einen noch besseren Blick, als ich

    hinter mir eine Stimme hrte. Bis dahin hatte ich natr-lich geglaubt, ich sei ganz allein, und so drehte ich mich

    ein wenig berrascht um. Ein Stck weiter vorn zweigte,

    wie ich jetzt sah, au der anderen Seite der Strae ein Padab, der durch das Dickicht steil den Hang hinauzuhren

    schien. Au einem groen Stein, der diese Stelle markierte,

    sa ein dnner weihaariger Mann mit einer uchmtzeund rauchte eine Peie. Er rie noch einmal, und wenn

    ich auch nicht verstand, was er sagte, so sah ich doch, daer mir mit Gesten bedeutete, zu ihm zu kommen. Einen

    Moment lang hielt ich ihn r einen Landstreicher, doch

    dann sah ich, da es sich um einen Einheimischen han-

    delte, der nur die rische Lu und den Sommersonnen-schein genieen wollte, und sah deshalb keinen Grund,seiner Aufforderung nicht nachzukommen.

    Hab mich nur geragt, Sir, sagte er, als ich nher kam,

    ob Sie gute Beine haben.

    Wie bitte ?

    Der Mann deutete zu dem Pad hin. Sie brauchen zweigesunde Beine und gute Lungen, wenn Sie da hinau wol-

    len. Ich hab weder die einen noch die anderen, also bleibe

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    ich hier unten. Aber wenn ich besser beieinander wre,wrde ich da oben sitzen. Es gibt ein hbsches Pltzchen

    dort, mit einer Bank. Und eine bessere Aussicht finden Sie

    in ganz England nicht.Wenn das stimmt, was Sie da sagen, entgegnete ich,

    dann bleibe ich lieber unten. Ich bin gerade am Anang

    einer Reise mit dem Auto, in deren Verlau ich hoffe, vieleschne Aussichten genieen zu knnen. Das Beste schon

    zu sehen, ehe ich richtig angeangen habe, wre etwas vor-

    eilig.Der Mann schien mich nicht zu verstehen, denn er sagte

    noch einmal : Sie finden in ganz England keine bessere

    Aussicht. Aber ich sage Ihnen, Sie brauchen zwei gesunde

    Beine und gute Lungen. Dann setzte er hinzu : Man sieht,

    da Sie r Ihr Alter gut in Form sind, Sir. Ich wrde sagen,

    Sie knnten es mhelos da hinau schaffen. An einem gutenag schaffe sogar ich es noch.

    Ich blickte den Pad hinau, der steil und recht steinig

    aussah.

    Ich sage Ihnen, Sir, es wird Ihnen leid tun, wenn Sie

    das versumen. Und man kann nie wissen. Noch zwei, drei

    Jahre, und es knnte zu spt sein. Er lachte eher unschn.Gehen Sie lieber hinau, solange Sie noch knnen.

    Jetzt denke ich mir, da der Mann das vielleicht nurhumorvoll gemeint hat, das heit, einach als eine scherz-

    hae Bemerkung. Aber heute morgen, das mu ich schon

    sagen, and ich seine Art recht rgerlich, und vielleicht bin

    ich den Pad dann vor allem deshalb hinaugestiegen, weilich ihm beweisen wollte, wie unsinnig seine Anspielung

    gewesen war.

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    Au jeden Fall bin ich roh, da ich den kleinen Abstecher

    gemacht habe. Gewi, es war recht anstrengend wenn ich

    auch nicht wirklich Mhe hatte , denn der Pad hrte

    etwa hundert Meter weit im Zickzack den Hang hinau.Ich erreichte sodann eine kleine Lichtung, zweiellos die

    Stelle, von der der Mann gesprochen hatte. Hier stand eine

    Bank, und man hatte wirklich eine herrliche Aussicht ber

    die ganze Umgebung.

    Was ich sah, waren hauptschlich Felder, die sich eines

    hinter dem anderen bis in die Ferne erstreckten. Der Bodenwar leicht gewellt, und die Felder waren von Hecken und

    Bumen gesumt. Au einigen der Wiesen in der Ferne sah

    ich Punkte, bei denen es sich wohl um Schae handelte. Zu

    meiner Rechten, ast am Horizont, glaubte ich den eckigen

    urm einer Kirche zu erkennen.

    Es war in der at ein schnes Gehl, dort oben zustehen, umsummt von den Klngen des Sommers und

    umweht von einer leichten Brise. Und ich glaube, in die-

    sem Augenblick, mit dieser Aussicht, begann ich in eine der

    vor mir liegenden Reise angemessene Stimmung zu kom-

    men, denn ich versprte nun die erste schne Vorreude

    au die vielen interessanten Erlebnisse, welche die bevor-stehenden age r mich bereithalten. Und ich nahm mir

    auch vor, mich nicht bedrcken zu lassen von der einen

    dienstlichen Augabe, die ich mir bei dieser Fahrt gestellt

    habe, was nmlich Miss Kenton und unser derzeitiges Per-

    sonalproblem angeht.

    Aber das war heute morgen. Jetzt, am Abend, befinde ich

    mich in dieser angenehmen Pension in einer Strae nicht

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    weit vom Stadtkern Salisburys. Es handelt sich offenbar um

    ein relativ bescheidenes Etablissement, das aber sehr sau-

    ber und meinen Bedrnissen genau angemessen ist. Die

    Wirtin, eine Frau von etwa vierzig Jahren, scheint michwegen Mr. Farradays Ford und der erstklassigen Qualitt

    meines Anzugs r einen recht vornehmen Gast zu hal-ten. Heute nachmittag ich tra gegen halb vier Uhr in

    Salisbury ein , als ich im Gstebuch als Adresse Dar-

    lington Hall angab, bemerkte ich, da sie mich ein wenig

    bestrzt ansah, zweiellos weil sie mich r jemanden hielt,der Huser wie das Ritz oder das Dorchester gewhnt ist,

    und rchtete, ich wrde ihre Pension spornstreichs wieder

    verlassen, wenn ich mein Zimmer erst zu Gesicht bekom-

    men htte. Sie meinte, nach vorn heraus sei ein Doppel-

    zimmer vergbar, aber ich knne es r den Preis eines

    Einzelzimmers haben.Man hrte mich dann in das Zimmer, in dem zu dieser

    ageszeit die Sonne das Blumenmuster der apete recht

    angenehm aufleuchten lie. Das Zimmer hatte zwei Betten

    und zwei groe Fenster zur Strae hinaus. Als ich mich

    nach dem Badezimmer erkundigte, sagte die Frau in etwas

    ngstlichem on, es liege meiner r gleich gegenber, aberheies Wasser gbe es erst nach dem Abendessen. Ich bat

    sie, mir eine Kanne ee herauzubringen, und als sie gegan-

    gen war, nahm ich das Zimmer genauer in Augenschein.

    Die Betten waren makellos sauber und gut gemacht. Auchdas Waschbecken in der Ecke war sehr sauber. Von den

    Fenstern aus erblickte man au der anderen Straenseiteeine Bckerei mit einer Vielzahl von Backwaren im Schau-

    enster, eine Apotheke und ein Friseurgesch. Ein Stck

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    weiter enternt hrte die Strae ber eine gewlbte Brcke

    hinaus in lndlichere Regionen. Ich errischte Gesicht und

    Hnde am Becken mit kaltem Wasser und nahm sodann

    au einem Stuhl an einem der beiden Fenster Platz, wo ichau den ee wartete.

    Es war wohl kurz nach vier Uhr, als ich die Pension

    verlie, um mir Salisbury anzusehen. Die breit angelegten

    Straen verleihen dieser Stadt eine wunderbar grozgige

    Atmosphre, so da es mir nicht schwerfiel, ein paar Stun-

    den einach in der angenehm warmen Sonne umherzu-schlendern. Auerdem entdeckte ich die zahlreichen Schn-

    heiten der Stadt ; immer wieder kam ich an entzckenden

    Zeilen von alten Husern mit Fachwerkassaden vorber

    oder berquerte au einer kleinen Steinbrcke einen der

    vielen Wasserlue, welche die Stadt durchziehen. Und na-

    trlich versumte ich es nicht, die Kathedrale zu besuchen,die Mrs. Symons in ihrem Buch so sehr rhmt. Dieses er-

    habene Bauwerk zu finden fiel mir nicht schwer, da sein

    hoch auragender urm von jedem Punkt Salisburys aus

    zu sehen ist. Noch au dem Rckweg zur Pension heute

    abend blickte ich mich bei einer Reihe von Gelegenheiten

    um und hatte jedesmal das Bild der untergehenden Sonnehinter diesem majesttischen urm vor mir.

    Und doch stelle ich heute abend in der Stille meinesZimmers est, da das, was ich von diesem ersten Reisetag

    in mir bewahren werde, nicht die Kathedrale von Salisbury

    ist und keine der anderen reizvollen Sehenswrdigkeiten

    dieser Stadt, sondern jener herrliche Blick, der mir heutemorgen ber die wellige englische Landscha zuteil wurde.

    Nun will ich gern glauben, da andere Lnder mit deutlich

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    spektakulreren Panoramen auwarten knnen. Ich selbst

    habe in Enzyklopdien und im National Geographic Ma-

    gazine atemberaubende Photographien von Sehenswr-

    digkeiten rings um den Globus gesehen, von groartigenSchluchten und Wasserllen, prchtigen, zerkleten Ge-

    birgen. Natrlich war es mir nie vergnnt, solche Dinge

    mit eigenen Augen zu sehen, aber ich wage dennoch mit

    einiger Zuversicht diese Behauptung : Da die englische

    Landscha, wenn sie sich von ihrer besten Seite zeigt so

    wie ich sie heute morgen sah , eine Eigenscha besitzt,welche den Landschaen anderer Lnder, seien sie au

    den ersten Blick auch dramatisch, unweigerlich ehlt. Es

    ist, glaube ich, eine Eigenscha, die jeden objektiven Be-

    obachter die englische Landscha als die bewegendste der

    Welt erkennen lt, und diese Eigenscha lt sich viel-

    leicht am besten mit dem Wort Gre umreien. Dennals ich heute morgen an diesem hohen Punkt stand und

    das Land vor mir betrachtete, da versprte ich deutlichdieses seltene, unverkennbare Gehl das Gehl, da

    man Groes vor sich hat. Wir nennen dieses unser Land

    Grobritannien, und es mag manche geben, die das r

    eine etwas anmaende bung halten. Ich aber mchtebehaupten, da unsere heimische Landscha allein schon

    den Gebrauch dieses stolzen Adjektivs rechtertigt.

    Doch was genau ist diese Gre ? Wo oder worin

    liegt sie ? Ich bin mir bewut, da es eines sehr viel kl-

    geren Kopes als des meinen bedre, um diese Frage zu

    beantworten, aber wenn ich eine Vermutung wagen mte,wrde ich sagen, da es gerade das Fehlen des au denersten Blick Dramatischen oder Spektakulren ist, das die

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    spezielle Schnheit unseres Landes ausmacht. Wesentlich ist

    die Ruhe dieser Schnheit, ihre Zurckhaltung. Es ist, als

    wisse das Land um seine Schnheit, um seine Gre, und

    verspre nicht das Verlangen, dies hinauszuschreien. Vergli-chen damit wrden Sehenswrdigkeiten, wie sie beispiels-

    weise Arika oder Amerika zu bieten haben und die zweiel-

    los ausehenerregend sind, von einem objektiven Beobach-ter, dessen bin ich gewi, wegen ihres ungehrigen demon-

    strativen Charakters als zweitrangig eingestu werden.

    Diese ganze Frage ist nahe verwandt mit jener ande-ren, die in unserem Berusstand ber die Jahre hin viel

    diskutiert wurde : Was ist ein groer Butler ? Ich erin-nere mich an manche Stunde angeregten Debattierens ber

    dieses Tema am Kamin der Dienstbotenstube am Ende

    eines ages. Man wird bemerkt haben, da ich was sage

    und nicht rage, wer ein groer Butler ist ; denn es gabeigentlich keinen ernsthaen Streit darber, welches die

    Mnner waren, die in unserer Generation die Mastbe

    setzten. Das heit, ich spreche von Persnlichkeiten wie

    Mr. Marshall von Charleville House oder Mr. Lane vonBridewood. Wer je das Glck hatte, solchen Mnnern zu

    begegnen, wird zweiellos wissen, au welche r sie charak-teristische Eigenscha ich mich hier beziehe. Er wird aber

    zweiellos auch verstehen, was ich meine, wenn ich sage,

    da es nicht leicht ist, diese Eigenscha zu definieren.

    Jetzt, da ich genauer darber nachdenke, scheint es mir

    indes nicht ganz richtig zu sagen, es habe keinen Streit dar-

    ber gegeben, werdie groen Butlerwaren. Ich htte sagensollen, da es darber keinen ernsthaen Streit unter jenen

    hochqualifizierten Angehrigen unseres Berusstands gab,

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    nherte er sich dem Status eines groen Butlers. Ich htte

    das jedem au dem Hhepunkt seines Renommees sagen

    knnen, genauso wie ich seinen Sturz nach einigen kurzen

    Jahren im Rampenlicht htte voraussagen knnen.Wie o hat man gehrt, da dem Butler, der heute als

    der grte seiner Generation in aller Munde ist, binnen

    weniger Jahre nachgewiesen wird, da er nichts dergleichen

    war ? Und doch sind dann dieselben Bediensteten, die ihn

    einst mit Lob berhuen, viel zu sehr damit beschigt,

    irgendeine neue Gestalt zu rhmen, um innehalten undkritisch das eigene Urteilsvermgen berpren zu kn-nen. Gegenstand von Gerede dieser Art in den Dienstbo-

    tenzimmern ist unweigerlich irgendein Butler, der ganzpltzlich durch seine Beruung in ein prominentes Haus

    in den Vordergrund gerckt ist und vielleicht zwei oder

    drei grere gesellschaliche Ereignisse mit einigem Erolgbewltigt hat. Da gibt es dann alle mglichen Gerchte, die

    berall im Land durch die Dienstbotenzimmer geistern,etwa des Inhalts, da diese oder jene hohe Persnlichkeit

    an ihn herangetreten sei oder da mehrere der vornehm-

    sten Huser mit absurd hohen Gehaltsangeboten um seine

    Dienste wetteierten. Und was geschieht, ehe noch ein paarJahre vergangen sind ? Dieselbe Lichtgestalt ist r irgen-

    deinen Schnitzer verantwortlich oder aus einem anderen

    Grund bei ihrer Herrscha in Ungnade geallen, verlt

    das Haus, wo sie zu Ruhm gelangte, und wird nie mehr

    erwhnt. Inzwischen werden die gleichen Klatschbasen

    einen anderen Austeiger entdeckt haben, r den sie sichbegeistern. Ihre Dienstherren begleitende Kammerdiener

    sind, wie ich estgestellt habe, o die schlimmsten beltter,

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    da sie gewhnlich mit einigem Nachdruck die Positiondes Butlers anstreben. Sie sind es, die dazu neigen, immer

    darau hinzuweisen, dieser oder jener sei der, dem man

    nacheiern msse, oder zu wiederholen, was irgendeinebestimmte Heidenfigur ber berufliche Angelegenheiten

    gesagt haben soll.

    Aber es gibt natrlich, das mchte ich sogleich hinzu-

    gen, auch viele Kammerdiener, die nicht im raum daran

    denken wrden, sich solcher orheit hinzugeben, und die

    in der at Fachleute von hchster Urteilskra sind. Wennzwei oder drei solche Personen ich meine beispielsweise

    solche von der Art eines Mr. Graham, zu dem ich jetzt lei-

    der den Kontakt verloren zu haben scheine in unserer

    Dienstbotenstube zusammen waren, pflegten wir wirklich

    anregende und kluge Debatten ber alle Aspekte unseres

    beruflichen Daseins zu hren. Diese Abende zhlen heutezu meinen liebsten Erinnerungen an jene Zeit.

    Aber ich will zu der Frage zurckkehren, die von echtem

    Interesse ist, zu der Frage, ber die wir so gern diskutier-

    ten, wenn unsere Abende nicht verdorben wurden durch

    das Geschwtz jener, denen jedes undamentale Berus-

    verstndnis mangelte, nmlich zu der Frage : Was ist eingroer Butler ?

    Meines Wissens hat es, obschon diese Frage im Laue der

    Jahre viel Gerede auslste, innerhalb des Berusstandes nur

    sehr wenige Versuche gegeben, eine offizielle Antwort zu

    ormulieren. Der einzige Fall, der mir in den Sinn kommt,

    ist der Versuch der Hayes Society, Kriterien r die Mit-gliedscha auszuarbeiten. Vielen wird die Hayes Society

    kein Begriff sein, denn heute ist von ihr nur mehr wenig

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    die Rede. Aber in den zwanziger und rhen dreiigerJahren hatte sie in London und den umliegenden Gra-

    schaen einen betrchtlichen Einflu. Nicht wenige hatten

    sogar den Eindruck, ihre Macht sei zu gro geworden, undwaren nicht unzurieden darber, da sie sich oder

    , glaube ich auflsen mute.

    Die Hayes Society behauptete, als Mitglieder nur Butler

    allerersten Ranges auzunehmen. Ein groer eil ihrer

    Macht und des Prestiges, das sie nach und nach gewann,

    rhrte von der atsache her, da es ihr im Gegensatz zuanderen hnlichen Organisationen gelang, ihre Mitglieder-

    zahl uerst niedrig zu halten und so diesem Anspruch

    einige Glaubwrdigkeit zu verleihen. Wie es hie, stiegdie Zahl der Mitglieder nie ber dreiig und betrug o

    sogar nur neun oder zehn. Dies und der Umstand, da sie

    sich eher wie eine geheime Bruderscha gab, verlieh derHayes Society eine Zeitlang etwas Mystisches und stellte

    sicher, da die Erklrungen, die sie gelegentlich zu beru-

    lichen Fragen abgab, geradezu wie Gesetzestaeln auge-nommen wurden.

    Doch ein Punkt, zu dem die Hayes Society sich lange

    nicht uern wollte, war die Frage ihrer Kriterien r dieMitgliedscha. Man drngte sie, diese zu verknden, und

    als Reaktion au eine Reihe von Leserbrieen in A Quar-

    terly for the Gentlemans Gentleman, der vierteljhrlicherscheinenden Zeitschri r den Kammerdiener, lie die

    Hayes Society wissen, zu den Voraussetzungen r eine

    Aunahme gehre, da der Bewerber einem vornehmenHaus verbunden sei. Obwohl dies allein natrlich, so

    uhr die Gesellscha ort, noch nicht gengt, um den

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    Anorderungen zu entsprechen. Es wurde weiter ausge-

    hrt, da die Hayes Society die Huser von Geschsleu-

    ten oder Neureichen nicht als vornehm betrachte, und

    meiner Meinung nach untergrub dieses Paradestck ana-chronistischen Denkens ganz entschieden jede ernsthae

    Autoritt, welche die Hayes Society bei der Befindung ber

    Standards in unserem Beru besessen haben mochte. Als

    Antwort au weitere Leserbriee in der Vierteljahresschri

    rechtertigte die Hayes Society ihren Standpunkt, indem

    sie sagte, man akzeptiere zwar die Ansicht einiger Brie-schreiber, da auch in den Husern von Geschsleuten

    ausgezeichnete Butler anzutreffen seien, msse aber doch

    davon ausgehen, da die wahren Herrschashuser nicht

    lange zgern wrden, sich der Dienste solcher Personen

    zu versichern. Man msse sich vom Urteil der wahren

    guten Gesellscha leiten lassen, argumentierte die HayesSociety, sonst knnten wir auch gleich die Manieren des

    bolschewistischen Ruland bernehmen. Dies hrte zu

    einer weiteren Kontroverse, und der ber Leserbriee aus-

    gebte Druck au die Hayes Society, die Voraussetzungen

    r eine Mitgliedscha aushrlicher darzulegen, wuchs.

    Schlielich wurde in einem kurzen Brie an die Vierteljah-resschri mitgeteilt, nach Ansicht der Hayes Society und

    jetzt versuche ich mglichst genau aus dem Gedchtnis zu

    zitieren ist das entscheidende Kriterium, da der Bewer-

    ber von einer mit seiner Position in Einklang stehenden

    Wrde beseelt ist. Kein Bewerber, wie hoch sein Leistungs-

    niveau im brigen auch sei, kann den Erordernissen ent-sprechen, wenn er diese Bedingung nicht erllt.

    So wenig ich mich sonst r die Hayes Society begeistern

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    konnte, glaube ich doch, da jedenalls diese spezielle Er-

    klrung au einer bedeutsamen Wahrheit grndete. Wenn

    man sich die Personen ansieht, die wir alle r groe

    Butler halten, wenn man beispielsweise Mr. Marshall oderMr. Lane nimmt, dann scheint mir der Faktor, der sie von

    denjenigen Butlern unterscheidet, die lediglich uerst

    kompetent sind, mit dem Wort Wrde am treffendsten

    umrissen zu sein.

    Natrlich hrt das nur zu der weiteren Frage, was man

    denn unter Wrde verstehe. Und ber diesen Punkt hr-ten Leute wie Mr. Graham und ich einige unserer interes-

    santesten Diskussionen. Mr. Graham vertrat stets die An-

    sicht, diese Wrde sei so etwas wie die Schnheit einer

    Frau, und der Versuch, sie zu analysieren, habe deshalb

    keinen Sinn. Ich dagegen war der Meinung, wer eine sol-

    che Parallele ziehe, riskiere damit, die Wrde von Mn-nern wie Mr. Marshall zu verkleinern. Auerdem war mein

    Haupteinwand gegen Mr. Grahams Analogie die ihr inne-

    wohnende Folgerung, da Wrde dann etwas wre, das

    man nur au Grund einer Laune der Natur entweder besa

    oder nicht besa ; wenn man es eben nicht hatte, war das

    Streben danach so mig wie das Bemhen einer hlichenFrau, sich zu verschnern. Die meisten Butler, dem wrdeich zustimmen, mssen zwar letztlich eststellen, da sie

    doch nicht das Zeug dazu haben, aber ich bin berzeugt,

    da diese Wrde etwas ist, wonach man sinnvollerweise

    seine ganze Karriere ber streben sollte. Die groen But-

    ler wie Mr. Marshall, die Wrde besitzen, haben sie, des-sen bin ich gewi, in vielen Jahren der Selbstschulung und

    des sorgsamen Verwertens von Erahrungen erlangt. Nach

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    meiner Ansicht war es also von einem beruflichen Stand-

    punkt her geradezu detistisch, eine Haltung wie die Mr.

    Grahams einzunehmen.

    Jedenalls kann ich mich trotz Mr. Grahams skeptischerEinstellung erinnern, da er und ich viele Abende damit

    verbrachten, den Kern der Beschaffenheit dieser Wrde

    zu erassen. Wir konnten uns zwar nie einigen, aber ich

    r meinen eil kann sagen, da ich im Laue solcher Dis-

    kussionen recht est umrissene Vorstellungen entwickelte,

    mit denen im groen und ganzen meine heutigen ber-zeugungen noch bereinstimmen. Es sei mir erlaubt, an

    dieser Stelle zu erlutern, wie ich Wrde definiere.

    Man wird wohl nicht bestreiten, da Mr. Marshall von

    Charleville House und Mr. Lane von Bridewood die zwei

    groen Butler der jngeren Zeit sind. Vielleicht ist jemand

    der berzeugung, da Mr. Henderson von Branbury Castleebenalls in diese seltene Kategorie llt. Aber man knntemich leicht r voreingenommen halten, wenn ich sage, da

    mein eigener Vater in mancher Beziehung als der Gruppe

    solcher Mnner zugehrig gelten knnte und da seineKarriere diejenige ist, an Hand deren ich stets eine Defini-

    tion von Wrde zu erstellen versucht habe. Es ist jedochmeine este berzeugung, da mein Vater au dem Hhe-

    punkt seiner Karriere in Loughborough House in der at

    die Verkrperung von Wrde war.

    Wenn man die Dinge objektiv betrachtet, dann mu

    man, dessen bin ich mir bewut, wohl zugeben, da mei-

    nem Vater verschiedene Attribute ehlten, die man nor-malerweise bei einem groen Butler erwartet. Doch eben-

    diese ehlenden Attribute sind, so meine ich, durchweg

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    uerlicher, rein dekorativer Natur, Attribute, die zweiel-

    los ihren Reiz haben, wie Zuckergu au einem Kuchen,

    aber nicht zu dem zhlen, was wirklich wesentlich ist. Ich

    beziehe mich au solche Dinge wie guter Akzent, Redege-wandtheit, Allgemeinwissen au entlegenen Gebieten wie

    Falkenbeize und Paarungsgewohnheiten der Wassermol-che Attribute, deren sich mein Vater nicht htte rhmen

    knnen. Auerdem dar man nicht vergessen, da mein

    Vater Butler einer rheren Generation war und seine Kar-

    riere zu einer Zeit begann, als solche Attribute nicht alsschicklich, geschweige denn als wnschenswert bei einem

    Butler galten. Die fixe Idee der Redegewandtheit und All-

    gemeinbildung tauchte erst mit unserer Generation au,wahrscheinlich in der Nacholge Mr. Marshalls, als Leute

    geringeren Formats, die seiner Gre nachzueiern such-

    ten, das uerliche mit dem Wesentlichen zu verwechselnbegannen. Ich bin der Ansicht, da unsere Generation sich

    viel zu sehr mit der Garnierung beschigt ; wei der

    Himmel, wieviel Zeit und Energie in das ben von Akzent

    und Eloquenz geflossen sind, wie viele Stunden ber Enzy-

    klopdien und Bchern wie Teste dein Wissen verbracht

    wurden, wo die Zeit au die Ausbildung der Grundkennt-nisse htte verwandt werden sollen.

    Obwohl wir uns davor hten mssen, die Verantwor-

    tung abzustreiten, die letztlich bei uns selbst liegt, mudoch gesagt werden, da gewisse Dienstherren viel zur

    Ausbildung dieser Moden beigetragen haben. Ich bedaure,

    dies sagen zu mssen, aber in jngster Zeit scheint es eineAnzahl von Husern gegeben zu haben einige von hch-

    stem Rang , die die Neigung entwickelten, miteinander

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    in Wettbewerb zu treten, und sich nicht zu schade waren,

    sich Gsten gegenber mit solch trivialen alenten eines

    Butlers zu brsten. Ich habe von mehreren Fllen gehrt,

    wo ein Butler bei einer Party als eine Art dressierter Affevorgehrt wurde. In einem bedauernswerten Fall, den ich

    persnlich bezeugen kann, hatte es sich in dem betreffen-

    den Haus zu einem Sport entwickelt, da Gste nach dem

    Butler klingelten, um ihm aus Geratewohl Fragen zu stel-

    len wie etwa nach dem Namen des Derbysiegers in dem

    und dem Jahr, als htten sie einen Gedchtnisknstler ausdem Variet vor sich.

    Mein Vater gehrte, wie ich schon sagte, einer Gene-

    ration an, der solche Verwirrungen unserer beruflichenWertmastbe erspart blieben, und ich mchte behaup-

    ten, da er, begrenzter Sprachbeherrschung und begrenz-

    ter Allgemeinbildung zum rotz, nicht nur alles wute,was zur Fhrung eines Hauses notwendig war, sondernda er in seinen besten Jahren jene mit seiner Position

    in Einklang stehende Wrde erlangte, von der die Hayes

    Society spricht. Wenn ich also zu beschreiben versuche,was meinen Vater derart auszeichnete, vermittle ich viel-

    leicht eine Vorstellung von dem, was nach meiner Auffas-sung Wrde ist.

    Es gibt eine Anekdote, die mein Vater immer wiedergern erzhlte. Ich erinnere mich, da ich sie als Kind hrte,

    wenn er sie Besuchern erzhlte, und spter dann, als ich

    unter seiner Ausicht als Diener begann. Ich wei noch,

    da er sie mir erneut erzhlte, als ich ihn zum ersten Malbesuchte, nachdem ich meine erste Stelle als Butler ange-

    treten hatte bei einem Ehepaar Muggeridge in ihrem

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    vergleichsweise bescheidenen Haus in Allshot, Oxordshire.

    Die Geschichte bedeutete ihm offenbar viel. Die Generation

    meines Vaters war keine solche, die in der Weise disku-

    tierte und analysierte wie die unsere, und ich glaube, damein Vater dem, was man eine kritische Betrachtung des

    von ihm ausgebten Berus nennen knnte, am nchsten

    kam, wenn er diese Geschichte erzhlte.

    Es handelte sich anscheinend um eine wahre Geschichte,

    die einen Butler betra, der mit seinem Dienstherrn nach

    Indien gereist war und dort viele Jahre lang unter dem ein-heimischen Personal den gleichen hohen Standard aurecht-

    erhielt, den er von England her gewohnt war. Eines ages

    nun war dieser Butler in das Speisezimmer getreten, um

    sich zu vergewissern, da r das Dinner alles vorbereitet

    war, als er unter dem isch einen iger liegen sah. Der But-

    ler hatte den Raum leise wieder verlassen, darau achtend,da die ren geschlossen waren, und war ganz ruhig in

    den Salon gegangen, wo sein Dienstherr mit einigen Gsten

    beim ee sa. Dort machte er seinen Dienstherrn durch

    ein hfliches Hsteln au sich aumerksam und flsterte

    ihm dann ins Ohr : Es tut mir sehr leid, Sir, aber im Spei-

    sezimmer scheint ein iger zu sein. Vielleicht gestatten Sie,da die Bchse Kaliber zwl benutzt wird ?

    Und der Legende zuolge hrten der Dienstherr undseine Gste ein paar Minuten spter drei Schsse. Als der

    Butler nach einiger Zeit wieder im Salon erschien, um ri-

    schen ee zu bringen, erkundigte sich der Dienstherr, ob

    alles in Ordnung sei.O ja, vielen Dank, Sir, hatte die Antwort gelautet. Das

    Dinner wird zur blichen Zeit serviert, und ich kann die

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    erreuliche Mitteilung machen, da bis dahin keine erkenn-

    baren Spuren des jngsten Voralls mehr vorhanden sein

    werden.

    Diesen letzten Satz da bis dahin keine erkennba-ren Spuren des jngsten Voralls mehr vorhanden seinwerden pflegte mein Vater lachend und mit einem be-

    wundernden Kopschtteln zu wiederholen. Wie er sagte,

    kannte er weder den Namen des Butlers noch jemanden,

    der ihm je begegnet war, aber er betonte nachdrcklich,

    da sich das Ereignis genauso wie geschildert zugetragenhabe. Es ist letztlich von geringer Bedeutung, ob die Ge-

    schichte wahr ist oder nicht ; von Wichtigkeit ist natrlich,

    was sie ber die Ideale meines Vaters offenbart. Denn wenn

    ich au seine Lauahn zurckblicke, kann ich im nachhin-

    ein sehen, da er sein Leben lang bestrebt gewesen sein

    mu, au irgendeine Weise dieser Butler zu werden. Undnach meiner Ansicht hat mein Vater au dem Hhepunkt

    seiner Lauahn dieses ehrgeizige Ziel erreicht. Denn ob-

    schon ich sicher bin, da sich ihm nie die Gelegenheit bot,

    es mit einem iger unter dem Speisezimmertisch auzuneh-

    men, so allen mir doch, wenn ich mir durch den Kop ge-

    hen lasse, was ich von ihm wei und ber ihn gehrt habe,zumindest einige Situationen ein, in denen er zur Genge

    eben jene Eigenscha erkennen lie, die er an dem Butler

    in seiner Geschichte so sehr bewunderte.

    Ein solches Beispiel wurde mir von Mr. David Charles

    von der Charles & Redding Company erzhlt, der in Lord

    Darlingtons agen von Zeit zu Zeit in Darlington Hall zuGast war. Eines Abends, als ich zullig Mr. Charles au-

    wartete, erzhlte er mir, er sei vor einigen Jahren meinem

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    Vater begegnet, als er zu Besuch in Loughborough House

    weilte dem Anwesen des Industriellen Mr. John Silvers,

    wo mein Vater au dem Gipel seiner Karriere nzehn

    Jahre lang ttig war. Er habe meinen Vater nie mehr verges-sen knnen, uhr Mr. Charles ort, wegen eines Ereignisses,

    das sich whrend dieses Besuchs zugetragen hatte.

    Mr. Charles hatte eines Nachmittags zu seiner Schande

    in Gesellscha zweier anderer Gste, die ich Mr. Jones und

    Mr. Smith nennen will, weil man sich ihrer in gewissen

    Kreisen wahrscheinlich noch erinnert, zu eirig dem Alko-hol zugesprochen. In entsprechender Laune kamen diese

    beiden au die Idee, eine nachmittgliche Fahrt durch die

    umliegenden Drer zu unternehmen ein Auto war zu

    dieser Zeit noch immer etwas Neues. Sie berredeten Mr.

    Charles, sie zu begleiten, und da der Chauffeur gerade rei

    hatte, sollte mein Vater den Wagen ahren.Unterwegs benahmen sich Mr. Smith und Mr. Jones, ob-

    schon sie bereits im mittleren Alter waren, wie Schuljun-

    gen sie sangen derbe Lieder und machten noch derbere

    Bemerkungen ber alles, was drauen zu sehen war. Zu-

    dem waren diesen Herren au der Landkarte in der Nhe

    drei Drer mit den Namen Morphy, Saltash und Brigoonaugeallen. Ich bin nicht ganz sicher, ob die Namen genau

    so lauteten, aber sie erinnerten Mr. Smith und Mr. Jones

    jedenalls an die Varietnummer von Murphy, Saltman und

    der Katze Brigid, die vielleicht bekannt ist. Als sie au diesen

    merkwrdigen Zuall gestoen waren, versprten die Her-

    ren das Verlangen, die drei raglichen Drer auzusuchen gewissermaen zu Ehren der Varietknstler. Mr. Charles

    zuolge hatte mein Vater wunschgem eines der Drer

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    durchahren und nherte sich gerade dem zweiten, als ent-weder Mr. Smith oder Mr. Jones bemerkte, da dies das

    Dor Brigoon war also der dritte, nicht der zweite Name

    in der Dreiergruppe. Sie wiesen meinen Vater zornig an,soort umzudrehen, damit die Drer in der richtigen Rei-

    henolge besucht werden knnten. Es ergab sich, da man

    ein betrchtliches Stck Wegs wieder zurckahren mute,

    doch mein Vater, so versichert Mr. Charles, gte sich der

    Anweisung, als wre sie hchst vernnig, und befleiig-

    te sich weiterhin eines untadelig hflichen Gebarens.Doch Mr. Smiths und Mr. Jones Aumerksamkeit war

    jetzt au meinen Vater gelenkt, und da sie das, was drauen

    zu sehen war, zweiellos eher langweilte, amsierten sie sich

    nun, indem sie mit lauter Stimme unschne Bemerkungen

    ber den Fehler meines Vaters machten. Mr. Charles

    wunderte sich, wie er mir sagte, da mein Vater sich wederUnbehagen noch Zorn anmerken lie, sondern weiteruhrmit einem Gesichtsausdruck, der in gleichem Mae innere

    Wrde und die Bereitscha, Anweisungen entgegenzuneh-

    men, ausdrckte. Der Gelassenheit meines Vaters sollten

    jedoch Grenzen gesetzt werden. Denn als die beiden Herren

    es mde waren, meinem Vater von hinten Beleidigungenan den Kop zu weren, begannen sie ber ihren Gastgeber

    zu reden also ber den Dienstherrn meines Vaters, Mr.

    John Silvers. Ihre Bemerkungen wurden immer gemeiner

    und tckischer, so da Mr. Charles zumindest behaup-

    tete er das sich gezwungen sah, mit dem Hinweis au die

    Ungehrigkeit solcher Reden dazwischenzugehen. DieserAnsicht wurde so heig widersprochen, da Mr. Charles

    nicht nur berchtete, er knne das nchste Schmhoper

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    dieser beiden Herren werden, sondern sich tatschlich von

    ihnen krperlich bedroht hlte. Aber da brachte mein

    Vater nach einer besonders hlichen Bemerkung ber

    seinen Dienstherrn den Wagen pltzlich zum Stehen. Wasdann als nchstes geschah, hat au Mr. Charles einen solch

    unauslschlichen Eindruck gemacht.

    Die Fondtr des Wagens ging au, und die drei Fahr-gste sahen meinen Vater dort stehen, zwei, drei Schritte

    vom Fahrzeug enternt, und ganz ruhig in das Wagenin-

    nere blicken. So wie Mr. Charles es beschrieb, schien allendreien au einen Schlag bewut zu werden, was r eine

    achtunggebietende physische Erscheinung mein Vater war.Er war immerhin ein Mann von einem Meter siebenund-

    achtzig, und seine Haltung, von der eher etwas Beruhi-

    gendes ausging, wenn man sein un au Pflichterllung

    gerichtet wute, konnte unter anderen Umstnden etwashchst Schroffes annehmen. Mr. Charles zuolge lie der

    Ausdruck meines Vaters keinen Zorn erkennen. Er hatte,

    wie es schien, einach nur die r geffnet. Und dochstrahlte die Gestalt, die da vor ihnen auragte, eine solch

    starke Mibilligung und zugleich eine solche Unantastbar-

    keit aus, da die beiden betrunkenen Gehrten von Mr.Charles sich zu ducken schienen wie zwei kleine Jungen,

    die der Bauer beim Apelstehlen erwischt hat.

    Mein Vater hatte eine Zeitlang so dagestanden, stumm,

    nur die r aualtend. Schlielich hatte entweder Mr.

    Smith oder Mr. Jones geragt : Fahren wir nicht weiter ?

    Mein Vater gab keine Erwiderung, sondern blieb stummstehen, ohne die Fahrgste zum Aussteigen auzuordern

    oder irgendeinen Hinweis au seine Absichten zu geben.

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    Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie er an diesem agausgesehen haben mu, von der r des Wagens umrahmt,

    eine dunkle, strenge Erscheinung, die die Landscha Hert-

    ordshires im Hintergrund ast gnzlich um ihre anmutigeWirkung brachte. Dies waren nach Mr. Charles Erinnerung

    eigenartig beklemmende Momente, whrend deren auch

    ihn, obwohl er sich nicht an dem beklagenswerten Ver-halten der beiden anderen beteiligt hatte, Schuldgehle

    berkamen. Die Stille schien endlos ortzudauern, bis Mr.

    Smith oder Mr. Jones sich schlielich aurae und mur-melte : Ich glaube, wir haben einige unpassende Dingegesagt. Es soll nicht wieder vorkommen.

    Nach einem Moment des Bedenkens hatte mein Vater

    die r behutsam wieder geschlossen und sich erneut ans

    Steuer gesetzt, um die our durch die drei Drer ortzu-

    setzen eine our, die, wie Mr. Charles mir versicherte,in vlligem Schweigen vollendet wurde.

    Nun, da ich mich an diese Episode erinnert habe, kommt

    mir ein anderes meinen Vater betreffendes Ereignis unge-

    hr aus derselben Zeit in den Sinn, das vielleicht noch

    eindrucksvoller jene Eigenscha kennzeichnet, ber die er

    nach und nach vergte. Ich sollte an dieser Stelle erkl-ren, da ich einer von zwei Brdern bin und da mein

    lterer Bruder Leonard im sdarikanischen Krieg fiel, als

    ich noch ein kleiner Junge war. Dieser schwere Verlustmute meinem Vater natrlich sehr nahegehen, doch um

    alles noch schmerzlicher zu machen, wurde der bliche

    rost, der einem Vater in solchen Situationen beschiedenist nmlich die Vorstellung, da der Sohn sein Leben

    glorreich r Knig und Vaterland hingab , durch den

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    erkrankt war. Dies hrte zu einem delikaten Problem, da

    ein anderer Gast des Hauses ebenalls ohne seinen Kam-

    merdiener angereist war, so da sich die Frage ergab, wel-

    chem Gast der Butler und welchem der Hausdiener alsKammerdiener zugeteilt werden sollte. Mein Vater erbot

    sich in Kenntnis der Situation seines Dienstherrn soort,

    den General zu bedienen, und mute daher vier agelang die Nhe des Mannes erdulden, den er verabscheute.

    Unterdessen nutzte der General, der von den Gehlen

    meines Vaters nichts ahnte, die Gelegenheit, immer wie-der von seinen soldatischen Leistungen zu erzhlen wie

    dies natrlich viele Militrs im Beisein ihrer Kammerdie-

    ner tun. Mein Vater verbarg jedoch seine wahren Gehle

    so gut und entledigte sich seiner Pflichten mit einer sol-

    chen Umsicht, da der General bei der Abreise Mr. Silvers

    zu seinem Butler beglckwnschte und als Anerkennungein ungewhnlich hohes rinkgeld zurcklie das mein

    Vater, ohne einen Augenblick zu zgern, einem wohlttigen

    Zweck zuzuhren bat.

    Ich hoffe, man ist mit mir der Ansicht, da mein Vater

    in diesen zwei Episoden aus seiner Lauahn die ich mir

    beide besttigen lie und die ich r erwiesen halte das,was die Hayes Society mit seiner Position in Einklang ste-hende Wrde nennt, nicht nur bekundet, sondern regel-

    recht verkrpert. Ermit man den Unterschied zwischen

    meinem Vater in Momenten wie diesen und jemandem wie

    Mr. Jack Neighbours selbst in der Blte seiner Kunster-

    tigkeit, so mag man wohl eine Ahnung davon bekommen,was einen groen Butler von einem blo tchtigen trennt.

    Man versteht jetzt vielleicht auch besser, weshalb meinem

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    Vater die Geschichte von dem Butler so sehr gefiel, der nicht

    in Panik geriet, als er den iger unter dem isch entdeckte :

    Er wute instinktiv, da irgendwo in dieser Geschichte

    der Kern dessen lag, was wahre Wrde ist. Und somitmchte ich olgendes postulieren : Wrde hat entschei-

    dend zu tun mit der Fhigkeit eines Butlers, niemals die

    berufliche Identitt preiszugeben, die ihn erllt. Butler

    geringeren Formats werden schon beim kleinsten Anla

    ihre berufliche Identitt zugunsten einer privaten preis-

    geben. Solche Menschen spielen als Butler lediglich eineSchmierenkomdie ein kleiner Sto, ein leichtes Stolpern,

    und schon llt die Fassade und offenbart den Schauspie-

    ler dahinter. Die groen Butler sind gro au Grund der

    Fhigkeit, ihre berufliche Identitt bis zum uersten aus-

    zullen und in ihr zu leben ; sie lassen sich nicht aus ihr

    herausschtteln durch uere Ereignisse, mgen sie nochso berraschend, beunruhigend oder irritierend sein. Sie

    tragen ihre Proessionalitt in der Art, wie ein Mann von

    Lebensart seinen Anzug trgt : Er lt ihn sich vor denAugen der ffentlichkeit weder von Rpeln noch von den

    Umstnden herunterreien ; er legt ihn nur ab, wenn er

    selbst und nur er selbst dies will, und das ist unweiger-lich erst dann der Fall, wenn er vllig allein ist. Es ist, wie

    gesagt, eine Frage der Wrde.

    Es wird bisweilen gesagt, Butler gebe es eigentlich nur

    in England. Andere Lnder htten, welche Bezeichnung

    man auch gebraucht, nur Diener. Ich neige dazu, mich

    dieser Ansicht anzuschlieen. Kontinentaleuroper knnenkeine Butler sein, weil sie als Menschenschlag die emotio-

    nale Zurckhaltung nicht zu ben vermgen, zu der nur

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    Englnder hig sind. Kontinentaleuroper und im gro-en und ganzen auch die Abkmmlinge keltischer Vl-

    kerschaen wie Waliser, Iren und andere, sind, darin wird

    man mir zweiellos zustimmen, in der Regel nicht in derLage, sich in Augenblicken starker emotionaler Spannung

    zu beherrschen, und somit unhig, auer in mehr oder

    weniger harmlosen Situationen eine proessionelle Haltung

    zu bewahren. Wenn ich meine gerade gebrauchte Meta-pher wiederaunehmen dar man mge mir das grobe

    Bild verzeihen , so sind sie wie ein Mann, der sich beider geringsten Provokation Anzug und Hemd vom Leibe

    reit und schreiend herumrennt. Mit einem Wort, Wrde

    liegt jenseits ihres Vermgens. Wir Englnder sind in dieser

    Beziehung Auslndern gegenber im Vorteil, und deshalb

    denkt man bei einem groen Butler ast definitionsgem

    an einen Englnder.Nun mag man mir entgegenhalten, wie Mr. Graham es

    jedesmal tat, wenn ich whrend einer unserer ruchtbaren

    Diskussionen am Kamin diese Teorie entwickelte, da

    man, htte ich mit meiner Ansicht recht, einen groenButler nur dann erkennen knnte, wenn man ihn unter

    erschwerten Bedingungen bei der Arbeit gesehen htte.Und doch ist es so, da wir Persnlichkeiten wie Mr. Ma