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Rundbrief 2 In dieser Ausgabe: Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. ISSN 0940-8665 45. Jahrgang / Oktober 2009 5,00 Euro • Nachbarschaftsheime • Bürgerzentren • Soziale Arbeit • • Erfahrungen • Berichte • Stellungnahmen • 2009 Wie weiter mit der Jugendarbeit ? Vom Nutzen der Kooperation von Schule und Freiem Träger Jugendarbeit und Räume Jugendfreizeitarbeit in Einrichtungen und im Sozialraum Konzeption der Jugendfreizeiteinrichtung „Villa Eigensinn“ außerdem: Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt Grundsätze und Leitlinien sozial-kultureller Arbeit Inklusion – eine Herausforderung Vom Spielen zum Handeln: Stadtspieler Das unmissverständliche Nein des Hermann Stöhr

ISSN 0940-8665 2009 Rundbrief 2 - stz.spinnenwerk.destz.spinnenwerk.de/~upload/stz/pdf/rundbrief_2_2009.pdf · des Zeitbudgets von Kindern und Jugendlichen beansprucht? Was können

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Rundbrief 2

In dieser Ausgabe:

Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.

ISSN 0940-866545. Jahrgang / Oktober 20095,00 Euro

• Nachbarschaftsheime • Bürgerzentren • Soziale Arbeit •• Erfahrungen • Berichte • Stellungnahmen •

2009

Wie weiter mit der Jugendarbeit ?

• Vom Nutzen der Kooperation von Schule und Freiem Träger

• Jugendarbeit und Räume

• Jugendfreizeitarbeit in Einrichtungen und im Sozialraum

• Konzeption der Jugendfreizeiteinrichtung „Villa Eigensinn“

außerdem:

• Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt

• Grundsätze und Leitlinien sozial-kultureller Arbeit

• Inklusion – eine Herausforderung

• Vom Spielen zum Handeln: Stadtspieler

• Das unmissverständliche Nein des Hermann Stöhr

Der Rundbrief wird herausgegeben vomVerband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.Tucholskystr. 11, 10117 Berlin

Telefon: 030 280 961 03Fax: 030 862 11 55email: [email protected]: www.vska.de

Redaktion: Herbert SchererGestaltung: Direct Smile GmbH Druck: Druckerei Alte Feuerwache GbR, Berlin

Der Rundbrief erscheint halbjährlichEinzelheft: 5 Euro inkl. Versand

Titelbild: Am Kletterfelsen in der Alvenslebenstr. in Schöneberg-Nord (Foto: Elena Scherer)

Inhalt

Herbert Scherer:Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt 4

NBH Schöneberg:Grundsätze und Leitlinien der sozial-kulturellen Arbeit 7

Georg Zinner:Inklusion – eine Herausforderung 9

Dr. Eberhard Löhnert:Nachbarschaften – Berliner Erfahrungen 11

Eva Schmoll:Vom Nutzen der Kooperation der Institution Schule mit einem freien Träger 13

Willi Essmann:Jugendarbeit und Räume 17

Hella Pergande:Entdeckungen im Sozialraum 23

Ralf Gilb:Outreach und das Innenleben von Jugendfreizeiteinrichtungen 24

VskA / Kiezoase / Outreach: Pädagogisches Konzept der Jugendeinrichtung „Haus der Möglichkeiten – Villa Eigensinn – Froben 27“ 26 Stiftung Agens:Vom Spielen zum Handeln: Stadtspieler 35

Antikriegsmuseum / Friedensbibliothek:Ein unmissverständliches Nein: Hermann Stöhr 37

Vorwort

Nachbarschaftshäuser stehen mitten im Leben. Sie reagieren mit Veränderungen ihrer Angebote und Dienstleistungen, wenn sich in ihrem Umfeld etwas verändert. Das ist eine ihrer besonderen Stärken. Der ak-tuelle Rundbrief befasst sich mit entsprechenden Herausforderungen:Was geschieht mit der Jugendarbeit, wenn die Schule als „Lern- und Lebensort“ einen immer größeren Anteil des Zeitbudgets von Kindern und Jugendlichen beansprucht? Was können Nachbarschaftshäuser in der Part-nerschaft mit Schulen erreichen? Wie müssen Jugendfreizeiteinrichtungen sich konzeptionell auf veränderte Bedarfslagen einstellen? Die Arbeit mit behinderten Menschen steht vor einem lange überfälligen Paradigmenwechsel: von einer faktischen Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Zusammenleben zur Einbeziehung, zur Inklusion. Wie können die Nachbarschaftseinrichtungen mit ihrer Selbstverpflichtung, offen für alle zu sein, diese Neuorien-tierung befördern?Nicht nur auf Veränderungen reagieren, sondern die Menschen dabei unterstützen, ihr Lebensumfeld aktiv mit zu gestalten, ist Kern des Selbstverständnisses von Gemeinwesenarbeit. Mit dem Stadtspieler-Spiel hat die Stiftung Agens (ehem. Netzwerk Südost) ein schönes Hilfsmittel geschaffen, um Menschen aller Generati-onen und Bildungsschichten in kreative Zukunftsplanungsprozesse einzubeziehen und diese nicht den Fach-leuten allein zu überlassen. Bei aller Offenheit orientiert sich die Arbeit der Nachbarschaftshäuser an Prinzipien, die wir uns immer wie-der einmal vergegenwärtigen müssen. Dieser Rundbrief leistet dazu zwei Beiträge: mit dem Nachdruck der Grundsätze und Leitlinien des Nachbarschaftsheims Schöneberg – und mit der Erinnerung an Hermann Stöhr, einen Mitarbeiter von Friedrich Siegmund-Schultze in der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost, der für seine Überzeugung 1940 mit dem Leben bezahlt hat.

Herbert Scherer

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Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt

Wir wollen ja heute über das Ver-hältnis der Sozialarbeit zur ge-genwärtigen Krise nachdenken. Da bietet sich zuerst die Frage an:

Ist die gegenwärtige Krise schon bei der Sozialarbeit ange-kommen?

Wenn ich das richtig sehe, eigentlich nicht – sie hat bisher erst unsere Peripherie erreicht = nämlich diejenigen, die unsere Arbeit fördern – allerdings in seltsamer Weise – man könnte es den Sandwich-Test nennen:

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sind total gestresst, weil sie gleichzeitig zwei Vorgaben umsetzen müssen: auf der einen Seite sollen sie auf Deubel komm raus Geld, und zwar in großen Portionen ausgeben (unlängst geschah es in unserem Bereich, dass ein neues Kriterium bei der Bewilligung von Anträgen umgesetzt wurde: alle An-träge, die nicht die Mindestgröße von 50.000 Euro er-reichten, wurden abgelehnt – alle Anträge, die mehr als 50.000 Euro betrugen, wurden bewilligt) – auf der anderen Seite sollen sie so massive Kürzungen bei der Planung des Haushalts für das nächste Jahr um-setzen, dass sie nicht mehr ein noch aus wissen.

Aber Scherz beiseite.

Man könnte es auch ganz anders beschreiben.

Unsere Sozialarbeit findet unter Rahmenbedingun-gen statt, die zur selben Welt gehören und von ver-gleichbaren Prämissen geprägt sind wie die Struktu-ren, die die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hervor-gebracht haben. Ich möchte das einmal die Tendenz zur Virtualisierung nennen, eine Bewegung von der Wirklichkeit weg in Scheinwelten, die sich in immer schwindelndere Höhen erheben.

Werden wir konkret:Was für die Immobilienkrise der eingerechnete infla-tionäre Wertzuwachs war, ist in unseren Systemen die Antragslyrik, gepaart mit Erfolgsberichterstattungs-pflicht.

Das sind virtuelle Großartigkeiten, denen gegenüber die Wirklichkeit nur verlieren kann.Diese Tendenzen haben in den letzten Jahren in un-erhörtem Maße zugenommen. Je weniger Förderung auf Kontinuität angelegt ist, je kürzer die Projektlauf-zeiten werden, je weniger Geldmittel zur Verfügung stehen, desto höher sind die verbalen Anforderungen an Erfolg und Nachhaltigkeit, die im Antragsverfah-ren seitens der potentiellen Träger zu versprechen sind. Projektförderung durch die Europäische Union, Sonderprogramme des Bundes gegen Rechtsex-tremismus und für Vielfalt, Quartiersmanagement – Strohfeuer allerorten. Und selbst im Antrag für eine MAE-Maßnahme, die für die Betroffenen bestenfalls eine vorübergehende Linderung ihrer sozialen Notla-ge erreichen kann, muss das Blaue vom Himmel ver-sprochen werden, damit sie bewilligt wird. Und alle Beteiligten wissen das – und wir alle machen mit.Ein typischer Verlauf besteht aus einem überhöhten Versprechen am Anfang, einer Projektlaufzeit voller Stress in dem Bemühen, wenigstens den Schein der Übereinstimmung von geplantem und realisiertem Vorhaben zu wahren – und dem abschließenden Erfolgsbericht. Das Problem, um das es einmal gegan-gen sein mag, tritt in den Hintergrund.

Die Übernahme von Wettbewerbsmechanismen ana-log der Vergabeverfahren bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand hat hier verschärfend gewirkt:

Bei entsprechenden Ausschreibungen und Wettbe-werben wird dankenswerter Weise schon im Voraus die eierlegende Wollmilchsau in groben Zügen skiz-ziert. Ein halbwegs intelligenter Bewerber erkennt in der Regel unschwer, welche Kriterien voraussichtlich positiv und welche negativ bepunktet werden. Und da stellt sich die Gewissensfrage: soll ich einen rea-listischen Plan einreichen von dem, was ich wirklich glaube erreichen zu können – oder soll ich mich der allgemeinen Inflationstendenz anschließen? Sie alle kennen die Antwort: ein Narr, wer das Spiel nicht mit-spielt.

Ich hatte das Vergnügen, bei der Bewertung von Anträgen aus einem bundesweiten Förderungspro-gramm mitwirken zu können. Das war interessant, weil es im Prinzip genau so ablief, wie man sich das von außen vorstellen konnte:

Oder: ein Appell, die Dinge wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen und die Wirklichkeit zurückzugewinnen.Herbert Scherer

Vortrag anlässlich des ersten „Alumni-Treffens“ von Absolventen des Master-Studiengangs Sozial-management der Paritätischen Akademie und der AWO am 12. Mai 2009

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Um der besseren Vergleichbarkeit willen mussten alle Anträge auf elektronischen Formblättern eingereicht werden, die bis in hundert Details ein Versprechen nach dem anderen abfragten. Die Jurymitglieder wur-den verpflichtet, jedes Versprechen (auf die Zukunft) für bare Münze zu nehmen und zu bepunkten. Am Schluss wurde ihnen von einem im Hintergrund mit-laufenden Rechenprogramm noch die Aufgabe ab-genommen, zu einer Gesamtbewertung zu kommen. Das wurde automatisch aus den Einzelpunkten er-rechnet, also alles sehr objektiv – subjektive Eindrücke sollten zugunsten eines objektivierbaren Verfahrens zurückgedrängt werden.

Das Formular, ursprünglich vielleicht als Hilfsmittel für den Antragsteller gedacht, nichts Wichtiges zu vergessen, fing an eigenständig zu agieren und sich zum Herr des Verfahrens zu machen. Der Schwanz begann mit dem Hund zu wedeln.

Überhaupt die Wirkung von Formularen mit Eigenle-ben –

zwei Beispiele:

o Neulich ging es um eine Anmeldung zu einer Veranstaltung. In das Anmeldeformular ließ sich das, mit dem eine Einrichtung auftreten wollte, nicht eintragen. Zwar war das mit den Veranstaltern so abgesprochen, aber da die Datenbank es nicht zuließ, war es nicht mög-lich, den Beitrag mit ins Programmheft aufzu-nehmen.

o Bei einem EU-Programm war es mehr als ein halbes Jahr nur mit einem falschen Eintrag möglich, zu einem rechnerisch richtigen Er-gebnis zu kommen. Die Servicegesellschaft bedauerte das und kam allen sehr dadurch entgegen, dass sie zu einem ausführlichen Coaching bereit war, um die Projekte darin zu unterweisen, in welcher Weise falsch das Formular auszufüllen sei, um das gewünschte (richtige) Ergebnis zu erreichen.

Formulare und Tabellen sind nicht nur störrisch son-dern sie haben gegenüber der Wirklichkeit auch einen großen Vorteil, wenigstens aus der Sicht der öffent-lichen Verwaltung, sie sind nicht so komplex – sie ermöglichen es, Entscheidungen zu treffen, die nach-vollziehbar und dokumentierbar sind. Man muss nicht lange reden, überzeugen, nachdenken, Unwägbares ist ausgeschlossen.

Es ist noch nicht lange her, da gab es eine Referats-leiterin in der Berliner Sozialverwaltung, die genau aus diesem Grund ihren Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern allen Ernstes verboten hat, sich die von ihnen

geförderten Projekte in der Wirklichkeit anzusehen. Dadurch sei ihre Objektivität gefährdet, weil nicht do-kumentierte subjektive Eindrücke eine Rolle spielen könnten.

Neuerdings begegnet uns diese Tendenz unter neuen Vorzeichen an anderer Stelle, paradoxerweise im Ge-wand des Qualitätsmanagements und des Wirkungs-controllings.

Auch hier zwei Beispiele:

o Bei der Formulierung von Qualitätskriterien für die Arbeit der Stadtteilzentren habe ich mich vergeblich darum bemüht, die Formulie-rung von Qualitätsanforderungen als einfache indikative Feststellungen durchzusetzen, z.B. „Jeder Besucher wird freundlich behandelt“. Ich musste mich belehren lassen, dass es im Qualitätsmanagement zu heißen habe: „Die Einrichtung kann belegen, dass jeder Besu-cher freundlich behandelt wird“, weil das ja im Qualitätshandbuch überprüfbar sei, der einfache indikative Satz aber nicht. Auch das ist für mich ein Beispiel für Virtualisierung: die Dokumentation wird wichtiger als das, was damit belegt werden soll.

o Bei der Senatsverwaltung für Bildung, Wis-senschaft und Forschung, die auch für den Jugendbereich zuständig ist, will man ein Wir-kungscontrolling einführen. Dabei hat sich die These durchgesetzt, nur Quantitatives sei messbar. Deswegen könnten für die Wirkungs-kontrolle nur Zahlenwerte als Indikatoren tau-gen, weil sie den notwendigen Abgleich von Soll- und Ist-Zahlen ermöglichten. Da das im Bereich der Jugendarbeit nicht ganz einfach ist und man es den Trägern (und sich selbst als federführender Verwaltung) auch nicht allzu schwer machen wollte, wurde z.B. einem Zu-wendungsempfänger die Zahl der Sitzungen pro Jahr als Messwert vorgeschlagen – leicht zu erfassen, leicht abzugleichen. Wirkungs-kontrolle ohne Nebenwirkungen.

Dass sich solche Tendenzen zunehmend breit machen können, hängt mit einer Kapitulation des gesunden Menschenverstandes gegenüber Systemen zusam-men, die einmal als Hilfsmittel gedacht waren – und natürlich gegenüber denjenigen, die diese Systeme bedienen, für die es andere als sozialarbeiterisch-fach-liche Qualifikationen braucht.

Die Fachlichkeit in der öffentlichen Verwaltung ist auf dem Rückzug, aber auch bei vielen freien Trägern sind es die Schlaumeier und – mit Verlaub gesagt, ohne Ih-nen zu nahe treten zu wollen – ein bestimmter Schlag

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von Sozialmanager/inne/n, die sich vor allem darin auskennen, diese Systeme zu „spielen“ oder zu bedie-nen – und dabei durchaus erfolgreich agieren.

Aber wie beim Immobiliencrash geht dieser Krug nur so lange zum Brunnen, bis der Henkel bricht.

Ich möchte Ihnen mein Lieblingsbeispiel dafür erzäh-len:

Man hat vor ein paar Jahren in Berlin begonnen, eine sog. Kosten- und Leistungsrechnung einzuführen, um die Kosten für öffentliche oder öffentlich geförderte Dienstleistungen in den einzelnen Bezirken besser miteinander vergleichen zu können. Für den Bereich der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit wurde als Maßeinheit die sog. Angebotsstunde festgelegt. Der Grundgedanke dabei ist, dass nicht mehr die bezahlte Arbeitsstunde der Mitarbeiter/innen für die Kostenberechnung herangezogen wird, sondern nur noch das zählt, was unmittelbar dem Endverbraucher „angeboten“ wird. Das führt bei genauer Zählweise dazu, dass EIN Angebot, wenn es von mehreren Mit-arbeiter/inne/n gemeinsam gemacht wird, nur als EINE solche Angebotsstunde berechnet werden kann. So weit, so gut. Aus diesem Instrument zu einer zwar nicht besonders sinnvollen, aber – bei Anwendung gleicher Maßstäbe – immerhin denkbaren Vergleichs-berechnung wurde nach einiger Zeit ein ZUWEI-SUNGSMODELL des Finanzsenators. Den Bezirken werden die landesdurchschnittlichen Kosten einer bestimmten Menge von solchen „Angebotsstunden“ erstattet, was im Effekt zu einer inflationären Spirale führt: die Bezirke melden immer mehr Angebots-stunden, um ihre Finanzierung zu sichern, das senkt automatisch die durchschnittlichen Kosten für das Folgejahr, was nur durch die Meldung einer weiter erhöhten Anzahl von Stunden zu kompensieren ist etc. Die Bezirke, wenigstens einige, lieben es, den schwarzen Peter an die Träger weiterzugeben und diese ihrerseits zu verpflichten, eine ständig steigende Zahl von solchen Angebotsstunden zu melden – bzw. offiziell heißt es natürlich: diese zu leisten. Uns wurde ein entsprechender Leistungsvertrag vorgelegt, mit dem unsere Mitarbeiter verpflichtet werden sollten, mit ca. 70 bezahlten Stunden pro Woche an die 100 Angebotsstunden pro Woche zu erbringen. Schon physikalisch ein Ding der Unmöglichkeit, denkt der Laie. Nicht so die Verwaltungsmitarbeiterin für das Rechnungswesen, die einen fachlich sehr interessan-ten Vorschlag machte:Ein Mitarbeiter könne doch z.B. mit zwei Gruppen gleichzeitig arbeiten, mit Jugendlichen auf der einen Seite und mit jungen Müttern auf der anderen Seite des Raumes – so seien problemlos mit einer Mitarbei-terstunde zwei Angebotsstunden zu leisten.Der Schwanz schickte sich an, gewaltig mit dem Hund zu wedeln.

Und wenn man sich gegen einen solchen Unsinn wehrt, bekommt man von der Verwaltung das Gefühl vermittelt, der letzte Moralist oder schon so eine Art Fundamentalist zu sein, bekommt man doch immer wieder zu hören: Alle anderen unterschreiben doch solche Verträge auch ...

Die bisherigen Beispiele betrafen im Wesentlichen die Akzentverschiebung vom Hilfsmittel zum Herrschafts-instrument.

Im übertragenen Sinne betreffen diese Tendenzen aber in gewisser Weise die helfenden Berufe im All-gemeinen.

Ich muss mich aus Zeitgründen kurz fassen, deswegen nur ein paar thesenhafte Schlaglichter:

Im Radio kommt die Meldung, die Arbeitslosenzahlen seien unter 10 Prozent gesunken.Frage: Wer erbleicht? Der Kollege aus dem Projekt zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der jetzt fürchtet, seinen Job zu verlieren.

Aus dem Monitoring Soziale Stadtentwicklung lässt sich ablesen, dass die soziale Lage in weiteren Gebie-ten schlechter geworden ist. Frage: Wer frohlockt? Der Quartiersmanager.

Das klingt abwegig, aber es ist Realität. Vor ein paar Jahren war ich in Hannover auf einer Tagung, auf der der Geschäftsführer eines relevanten Trägers als gro-ßen Erfolg verkündete, dass die Zahl der Gebiete der Sozialen Stadt sich im Laufe eines Jahres verdoppelt habe. Heute könnte er noch mehr triumphieren – in-zwischen hat es eine Verfünffachung gegeben.

Und so hat denn auch vor noch nicht einmal einer Woche in Berlin allen Ernstes – und stolz angekündigt vom Bundesbauministerium – ein JUBILÄUMSKONG-RESS „10 Jahre Soziale Stadt“ stattgefunden. Dass in den vergangenen zehn Jahren das Elend allgemein zugenommen hat, war Anlass für eine Veranstaltung, die tatsächlich diesen Namen trug.

Die soziale Not – ein riesiges Arbeitsbeschaffungspro-gramm für helfende Zünfte. Der Schwanz wedelt mit dem Hund.

Ein amerikanischer Kollege hat das einmal sehr schön im vergleichenden Blick auf deutsche Handlungsan-sätze gesagt:Wenn es in Deutschland ein Problem gibt, schickt man sich nicht an, Lösungsstrategien zu entwerfen, son-dern man entwirft ein Projekt. Dann beantragt man dafür Mittel, das Projekt wird ins Leben gerufen und die Mitarbeiter hoffen darauf, dass es genügend ange-

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nommen wird, um einen symbolischen – man könnte auch sagen – virtuellen Beitrag zur Problemlösung vorweisen zu können.

Das ist ein verdammt teurer Mechanismus, der aber den beschränkten Handlungsmöglichkeiten von Politik und Verwaltung in gewisser Weise entspricht. Sie können sich Lösungen nicht anders vorstellen, als dass sie mehr Geld dafür ausgeben, um sie zu kaufen. Und da von dem notwendigen Mehr an Geld immer weniger vorhanden ist, ist ihnen symbolisches Han-deln dann doch lieber als ein energischerer Versuch, die Probleme bei den Wurzeln zu packen.

Wir können davon ausgehen, dass die KRISE, an deren Anfang wir stehen, es notwendig machen wird, mit der Mehrzahl der Spielereien und Ärgerlichkeiten, über die ich berichtet habe, SCHLUSS zu machen. Wie alle untergehenden Systeme werden auch diese Mechanismen sich im Todeskampf aber noch einmal besonders unangenehm aufbäumen.

Wir sollten uns davon nicht allzu sehr irritieren lassen. Diese Systeme haben keine Zukunft und wir sollten mit dazu beitragen, dass der Schwindel aufhört und uns daran machen, auf dem Boden der Tatsachen zu wirklichen Problemlösungen beizutragen.

Grundsätze und Leitlinien der sozial-kulturellen Arbeit im Nachbarschaftsheim Schöneberg

EIN HAUS FÜR ALLE

Menschen jeden Alters, unterschiedlichster Nationali-täten und Herkunft, aller Schichten und Gruppen sind willkommen. Alle sind eingeladen, diesen Ort zu nut-zen - zur Entspannung, zur Information, zur Kommuni-kation, zum Ausprobieren und Entwickeln der eigenen Talente, zur nachbarschaftlichen Einflussnahme und Teilhabe und zum bürgerschaftlichen Engagement.

Aktive Begegnung – das nachbarschaftliche Mitein-ander fördern

Verschiedene Gruppen, Schichten und Generationen können sich in unseren Einrichtungen miteinander vertraut machen, sich kennen und achten lernen. Damit soll der Vereinzelung und gesellschaftlichen Ghettoisierungstendenzen entgegengewirkt werden. Dabei steht nicht die Definition über ein Problem im Vordergrund, sondern der Wille, aktiv mit zu gestalten, unabhängig von organisatorischen Zwängen oder Verpflichtungen. Die Begegnung mit anderen Men-schen, Kulturen und Meinungen zu fördern und den Austausch über unterschiedliche Sichtweisen zu pfle-gen, fördert das nachbarschaftliche Miteinander und die gesellschaftliche Solidarität.

Schutz und Integration – Stärke für den Lebensall-tag gewinnen

Wenn dies gewünscht ist, können für speziell Gruppen geschützte Bereiche (Schonräume) zur Verfügung gestellt werden, bspw. für ruhebedürftige Senioren, suchtkranke Menschen oder aus kulturellen Gründen für türkische Frauen. In den Schonräumen sollen die jeweiligen Gruppen Schutz und Sicherheit für sich selbst gewinnen, um so gestärkt den Lebensalltag und die Integrationsanstrengungen bewältigen zu können. In der heutigen „globalen“ Gesellschaft mit vielfach verlorengegangener Nähe und Wärme, zer-störten sozialen und kulturellen Identitäten und frag-mentarisch gewordener „sozialer Heimat“ Menschen bewegt, nach zeitweiser oder dauerhafter Einbindung in neue Gemeinschaften

Entspannung und Wohlbefinden in attraktiver Umgebung

Als „Haus für Alle“ müssen unsere Einrichtungen at-traktiv gestaltet werden und eine Atmosphäre des Wohlbefindens ausstrahlen, so dass die Besucher ger-ne kommen. Das attraktive Nachbarschaftscafé und unsere Gartenanlagen, bzw. Spielplätze laden zumVerweilen und zum nachbarschaftlichen Gespräch und zur Erholung in grünen Oasen inmitten großstäd-tischer Umgebung ein.

Kreative Potentiale entdecken und fördern

Als Nachbarschaftsheim Schöneberg e. V. ermutigen wir unsere Besucher, ihre schöpferischen Fähigkeiten zu entfalten und aktiv zu werden. Wir wollen mit den Stärken und Fähigkeiten der Menschen arbeiten und

Den ganzen Text finden Sie hier:http://www.nbhs.de/uploads/media/Grundsätze_und_Leitlinien_01.pdf

Auszug aus einem Grundsatzpapier des Nachbarschafts-heims Schöneberg (Stand April 2008)

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ihnen Chancen bieten und Gelegenheiten schaffen,diese zu entdecken und sich weiterzuentwickeln.

Sozialen Problemen zuvorkommen

Wir verknüpfen Sozial- und Kulturarbeit miteinander, weil soziale und kulturelle Identität einander bedin-gen. Zudem werden unsere Einrichtungen durch Kulturarbeit attraktiv und zugänglich für jedermann. Der sozialen Einrichtungen mitunter anhaftende ne-gative Charakter verschwindet. Sowohl der soziale als auch der kulturelle Bereich bieten sich dafür an, aktiv mitzuwirken oder sich passiv zu entspannen. (Beispiel: Musik, Theater, Tanz, Malen, Lesen und Schreiben, handwerkliches Arbeiten, Körperbewegung u. ä.).

Soziale Kompetenz mit Kultur und Kommunikation schaffen

Kulturelle Aktivitäten haben einen außerordentlichen sozialen Wert. Kulturarbeit ist aktive Beteiligung, eige-ne Gestaltung und Verwirklichung oder auch nur neu-gierige Teilhabe. Kulturarbeit ermöglicht die Darstel-lung von Ängsten, von Träumen, von Wünschen – sieist Ausdruck wirklicher Lebensverhältnisse und ihre Sprache wird von allen verstanden. Kulturarbeit gibt subjektiven Bedürfnissen Raum, schafft kommuni-kative Strukturen und aktiviert soziale Kontakte und soziales Leben. Kulturarbeit hält Geist und Körper jung und gesund und schafft Vertrautheit mit Dingen und Menschen, führt zu Kompetenz und Selbstbewusst-sein über erbrachte Leistungen.

Selbsthilfe für mehr Gesundheit und Wohlbefinden

Wir ermuntern zur Selbsthilfe im sozialen und oder gesundheitlichen Bereich, zur Auseinandersetzungmit der eigenen Person oder mit den unmittelbaren Lebensbedingungen(Beispiel: Selbsthilfegruppen für Suchtkranke für chro-nisch Kranke, Mütter-Kinder- Gruppen, Bürgerinitiative zum Schutz der Straßenbäume, Tauschbörse).

Die Selbstorganisation der Bürger stärken

Wir unterstützen jede Form der Selbstorganisation der Bürger, in dem wir Räume, Technik, Wissen und Erfahrung zur Verfügung stellen und, falls gewünscht, Kontakte zur Öffentlichkeit, Presse, Politik, Verwaltung herstellen und im Konfliktfall vermitteln (Mediation).

Gelegenheiten für Bildung und Betätigung schaffen

Selbstverwirklichung und Selbstbestätigung lassen sich nicht nur aus materiellem Wohlstand begründen. Deshalb sind soziale Einrichtungen dann nicht mehr attraktiv, wenn sie nur „Fertiggerichte“ und Herkömm-liches anbieten. Die Organisationsformen

und Handlungsstrukturen der Einrichtungen des Nachbarschaftsheims Schöneberg e. V. sind daher darauf ausgerichtet, jedem Beteiligung, eigene Ge-staltung und über seine Betätigung Anerkennung zu ermöglichen. Wir wollen Gelegenheiten schaffen: für diejenigen, die sich treffen, bilden und kulturell betäti-gen, die ihre Kreativität entfalten und sich engagieren wollen und für diejenigen, die gemeinschaftlich ihre persönlichen oder die Probleme des Gemeinwesens bearbeiten wollen.

Mitwirkung und Beteiligung – freiwillige Mitarbeit und Bürgerengagement

Als Mitglied im Verein Nachbarschaftsheim Schöne-berg e. V., in Nutzergremien und Sprecherräten sind die Besucher/innen des Hauses und die Bürger des Stadtteils dazu aufgerufen, auf Ziele und Entwicklun-gen unserer Arbeit und Einrichtungen Einfluss zunehmen. Wir bieten eine Plattform für gesellschaftli-ches Engagement, ehrenamtliche (freiwillige) Mitar-beit und Bürgerbeteiligung. Wir bieten transparente Entscheidungen auf allen Ebenen und haben zur För-derung von Bettätigung und Beteiligungen ein Inte-resse daran, dass sich die Bürger mit den Strukturen unseres Vereins und der Einrichtungenvertraut machen.

Hilfe und Beratung – sensibel für Probleme

Neben dem Versuch, den Bedürfnissen nach Kom-munikation und kulturellen Interessen der Besucher gerecht zu werden, bemühen wir uns auch - auf Wunsch- die persönlichen Probleme der Besucher auf-zugreifen und qualifizierte Beratungsarbeit zu leisten, insbesondere durch Sozialberatung, Mieterberatung, Rechtsberatung, Pflegeberatung und beschäftigen dafür entsprechend qualifiziertes Personal. Wenn wir selbst nicht ausreichend beraten können, vermitteln wir in entsprechende Beratungsstellen.

Beschäftigung und Qualifizierung – Arbeit für die Nachbarschaft

Wir schaffen den Rahmen für den Wiedereinstieg in das Berufsleben für Frauen und für Personen, die es aus verschiedenen Gründen schwer haben auf dem regulären Arbeitsmarkt zu bestehen. Hierzu begleiten wir die Personen individuell, qualifizieren und be-schäftigen auf sinnvollen Arbeitsplätzen, die zur Ver-besserung der Lebensqualität im Stadtteil beitragen, wobei wir uns auch der Ressourcen von Kooperations-partnern bedienen.

Qualifizierte Dienstleistungen

Wir schaffen die für die Bürger im Stadtteil erforder-lichen sozialen Einrichtungen und Dienstleistungs-

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angebote, z.B. integrative Kindertagesstätten, Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen, ambulante und teil-stationäre Pflegedienste(Sozialstationen), rechtlicheund persönliche Betreuungen, Familienbildungsange-bote und Familiendienste, AmbulanteErziehungshilfen, Integrationsangebote an die Bevöl-kerung ausländischer Herkunft, Dienste für Senioren und Selbsthilfegruppen, Beschäftigungs- und Qualifi-zierungsangebote. In allen diesen Einrichtungen wird nach professionellen Standards und Kriterien gearbei-tet und werden.

Öffentlichkeit und Transparenz für die Bürger

Zur Transparenz und Akzeptanz gehört eine offensive Öffentlichkeitsarbeit, die umfassend informiert und aktuell ist (regelmäßige Programmhefte, Flyer, Werbe-zettel, Monatskalender, Broschüren, Jahresberichte). Selbstverständlich müssen hierfür auch die neuenMedien und deren technische Möglichkeiten genutzt werden (Internet, E-Mail- Adressen). Die direkte Infor-mation der Bürger und der Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten,wird durch eine kontinuierli-

che Presse- und Medienarbeit ergänzt, insbesondereauch in der Zusammenarbeit mit den lokalen Medien.

Anregungen und Beschwerden: für uns ein Geschenk

Anregungen und Beschwerden von Kunden, Nutzern, Besuchern, Bürgern und Institutionen helfen uns, Schwachstellen zu erkennen und unsere Aufgaben besser zu erfüllen.

Verantwortliche und zugewandte Mitarbeiter/innen

Die Mitarbeiter/innen in den einzelnen Arbeitsberei-chen sollen die Aufgaben weitgehend selbständig und in eigener Verantwortung nach den hier be-schriebenen Grundsätzen wahrnehmen und dazu beitragen, dass durch eine übergreifende Zusammen-arbeit die Ziele optimal im Interesse der Bürger des Stadtteils erfüllt werden. Jede(r) Mitarbeiter(in) ist eingeladen, seine Fähigkeiten, Ideen und Wünsche in den Arbeitsalltag und in das Programmangebot des Nachbarschaftsheims einzubringen und verpflichtet, sich fortzubilden

Inklusion - eine HerausforderungGeorg Zinner

Mit Integration beschäf-tigen wir uns seit vielen Jahren. Der umfassendere Begriff der Inklusion ist mir erst vor wenigen Jahren begegnet. Mit dem – wenn ich den Begriff richtig ver-standen habe – was damit

verbunden wird, sympathi-siere ich sehr. Wir sind als Nachbarschaftsheime schon immer für die Stärkung der Regeleinrichtungen in dem Sinne, dass sie alle anfallenden Aufgaben über-nehmen können und nicht kapitulieren müssen (oder dürfen) vor außergewöhnlichen Herausforderungen. Mit anderen Worten: ein Freund von Sondereinrich-tungen bin ich nie gewesen und praktisch bin ich ihnen immer aus dem Weg gegangen und habe mit umso größerer Intensität daran gearbeitet, dass unse-re eigenen Einrichtungen sich den Aufgaben stellen, die eine Nachbarschaft mit sich bringt.

Georg Zinner

Nachbarschaftsheime verstehe ich schon immer als „Haus für Alle“, als Orte, die niemanden ausgrenzen und alle einladen zum Mitmachen und Mitgestalten. Wir verstehen uns aber auch als Ort optimaler Förde-rung, Unterstützung und Begleitung etwa

• von behinderten Kindern in unseren Kindertagesstätten und Ganztagsbetreuungen

• bei der Schaffung von Arbeitsplätzen für körperlich und geistig Behinderte (unser Anliegen ist es, hier noch besser zu werden)

• mit den vielen Schularbeitshilfsangeboten in unseren Kinder- und Jugendfreizeiteinrich- tungen

• bei der gesellschaftlichen Integration von Menschen verschiedener nationaler Herkunft

Statement auf der Fachtagung zur „Kundenstudie – Unterstütztes Wohnen in Berlin“, veranstaltet von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen mit Unterstützung des Paritätischen Wohlfahrts-verbandes am 8. Oktober 2009 im Rathaus Schöneberg.Im Projekt „Kundenstudie“ ging es darum, „auf der Basis von Analysen der gegenwärtigen Ange-botsstrukturen und der Teilhabevorstellungen von Menschen mit Behinderungen sowie durch quartiersbezogene Praxisprojekte Impulse zur Weiterentwicklung der Strukturen der Behinderten-hilfe zu geben“.

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Da ich weiß, dass es vor allem um die Inklusion geistig behinderter Kinder, Jugendlicher und Erwachsener geht, versuche ich über einige Erfahrungen aus un-seren Einrichtungen zu berichten:Schon immer sind unsere Kindertagesstätten und Horte (Ganztagsbe-treuungen an Schulen) Orte für Kinder mit Behinde-rungen gewesen, problemlos und selbstverständlich seit Jahrzehnten.

Schon immer konnten wir diese Tradition in unseren Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen nicht fort-führen. Zwar besuchten immer wieder – auch über längere Zeiträume – einzelne behinderte Kinder und Jugendliche diese Einrichtungen, nicht aber geistig Behinderte. Seit ein, zwei Jahren gibt es einen Versuch in der Kifrie-Musiketage mit einer integrativen – ich glaube – Trommelgruppe. Gerade vor kurzem haben mir die Mitarbeiterinnen erzählt, dass die Gruppe der geistig Behinderten wieder unter sich ist. Immerhin, sie bleiben weiter im Haus und zu meiner Freude konnte ich feststellen, dass sie auch an größeren Ver-anstaltungen teilnehmen, z. B. bei Präsentationen der Bands anwesend sind.

Wir haben mehrere Arbeitsplätze geschaffen für er-wachsene geistig Behinderte und für einige Jugend-liche auch so eine Art Ausbildungsplätze. Entstanden aus Ideen der Betreuungsvereine und aus Nachfragen von Eltern, die uns kannten. So arbeiten einige in den Küchen, bzw. der Hauswirtschaft von Kindertagesstät-ten mit. Eine ist im Büro für leichte Tätigkeiten einge-setzt. Ein anderer arbeitet in der Ganztagsbetreuung und ist eine Art Begleiter und Unterstützer der Erzie-her/innen.

Wir wollen noch mehr Arbeitsplätze (und Praktikums-plätze – die es auch immer wieder gibt) schaffen und aus diesem Grund nach und nach auch ausgeglieder-te Tätigkeiten der Hauswirtschaft wieder in Eigenregie fortsetzen. Das ist hausintern mit den Mitarbeitern diskutiert und erklärtes Ziel.

Im Moment sind die Pläne etwas in das Stocken gera-ten, weil die mit der Umsetzung beauftragte Mitarbei-terin für Gebäudemanagement wegen der Konjunk-turprogramme mit Baumaßnahmen überschüttet ist

und da darf eben nichts liegenbleiben, sonst sind die finanziellen Mittel weg.Aber gerade im Haushandwerk versprechen wir uns auch noch den einen oder anderen Arbeitsplatz. Es wird wohl nicht ganz einfach sein, die Mitarbeiter da-von zu überzeugen, dass wir das genauso als Aufgabe ansehen, wie wir MAE-Mitarbeiter oder ÖBS-Mitarbei-ter beschäftigen.

Dort, wo geistig Behinderte bei uns arbeiten, sind die Erfahrungen gut und ich habe noch nie jemanden gehört, der verlangt hätte, dass diese den Arbeitsplatz wieder verlassen sollten.Wie reagieren Nachbarschaftsheime auf die Anforde-rungen, die das Schlagwort Inklusion mit sich bringt? Wie jede andere Institution auch: abwartend und träge. Sie müssen herausgefordert werden. Von innen kann ich in unserem Haus diese Rolle immer wieder übernehmen und tue das auch gerne. Nur von außen kann aber die eigentliche Bewegung ausgehen und von dort müssen wir an unserem „Haus für Alle“ ge-messen werden, wenn es nicht nur ein eingängiges Schlagwort bleiben soll.

Eine Erfahrung habe ich immer wieder machen kön-nen: so sehr die Angst vor Grenzen die Menschen hemmt, neue und unbekannte Wege zu gehen, so sehr freuen sie sich und steigt ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstsicherheit, wenn sie es dann geschafft haben.

Gelungene Beispiele haben wir immer wieder auch öffentlich dargestellt: im Newsletter des Nachbar-schaftheim Schöneberg e.V., auf unserer Internetseite, als Thema in unserem Programmheft. Wir brauchen gute Beispiele und müssen darüber reden und das scheinbar Unmögliche zum Selbstverständlichen werden lassen, so wie es in Berlin bei der Integration körperlich auch Schwerstbehinderter in einem doch relativ kurzen Zeitraum gelungen ist.

Auf meinem Weg zur Arbeit ist mir lange Zeit ein geis-tig behinderter Jugendlicher auf dem Weg zum Bus begegnet –immer gut gelaunt – und zurückkommen habe ich ihn auch oft gesehen. Er wohnte in der Fre-gestraße, da wo sich das Nachbarschaftsheim befin-det. Eines Tages war er nicht mehr zu sehen und oft habe ich mich schon gefragt, was aus ihm geworden ist. Er hat mich immer wieder daran erinnert, wie es in meiner einklassigen Dorfschule war : vierzig Kinder in einem Raum, ein Lehrer – aber die schon fast jugend-lichen geistig behinderten Schüler waren immer mit dabei und natürlich nach der Schule auch beim Dorf-geschehen. Nach der Schule haben sie in zwei kleinen Betrieben gearbeitet. Einfache, aber wichtige Arbeiten verrichtet. Arbeiten, die gemacht werden müssen und auf die die anderen Mitarbeiter angewiesen waren. Diese „dörflichen“ Zustände möchte ich wieder her-

• bei der Integration von Jugendlichen und Er- wachsenen in den ersten Arbeitsmarkt

• bei der gesetzlichen Betreuung von psychisch oder geistig beeinträchtigten Personen durch unsere Betreuungsvereine und deren haupt- und ehrenamtliche Betreuer

• bei der Schaffung kleinteiliger Wohnformen für vor allem demenzkranke, pflegebedürftige Menschen im Wohnumfeld.

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gestellt haben – gewiss erweitert um das Wissen, wie die Potentiale dieser Kinder und Jugendlichen heute besser gefördert und entwickelt werden können. Aber wir wissen: Unersetzlich und konstitutiv ist die soziale Heimat, die Gemeinschaft. Jeder möchte sich in seiner Gemeinschaft angenommen und aufgehoben fühlen. Niemand möchte weggeschickt werden. Die Nachbar-schaftszentren in Berlin haben das Ziel, niemanden wegzuschicken. Nun müssen sie auch beim Thema

Inklusion stärker herausgefordert werden und selbst aktiv werden. Sie bringen dafür beste Vorausset-zungen mit, u. a. gerade deswegen, weil sie sehr viel bürgerschaftliches Potential mobilisieren: ihre Nähe zu Initiativen und ihre Fähigkeit, ehrenamtliche Mit-arbeiter für neue Aufgaben zu begeistern, gehört zu ihren großen Stärken. Inklusion ohne Mitwirkung und Beteiligung der Bürger ist nicht denkbar.

Nachbarschaften – Berliner Erfahrungen

Gelegenheiten schaffen – Stadtteilzentren als Orte der Begegnung

In Berlin haben sich die Stadtteilzentren zu einer flä-chendeckenden sozialen Infrastruktur entwickelt. Ihr Leistungsprofil, das unter dem Leitgedanken „offen für alle steht“, zielt auf den Bedarf der Bürgerinnen und Bürger und ist im engeren Sinne keiner speziellen Zielgruppe zuzuordnen:

• Förderung von Nachbarschaftsarbeit, Selbst- hilfe und Ehrenamt sowie zivilgesellschaftli- chem Engagement, auch als Unterstützung von Initiativen und Initiativgruppen im Stadteil,• niederschwellige Beratung und bei Bedarf Vermittlung an regionale bzw. bezirklich- agierende Fachdienste• familienunterstützende Angebote• Gesundheitsfürsorge bzw./ und Gesundheits- prävention• mit zu gestaltende Freizeitangebote• Aufbau bzw. Weiterentwicklung vieler Kom- munikations- und Netzwerkverbünde.

Stadtteilzentren sind Orte der Begegnung, an denen Menschen verschiedener Herkunft miteinander im Ge-spräch sind, gemeinsame Projekte planen und durch-führen und Einfluss auf den Stadtteil nehmen können. Sie ermöglichen in ihren Räumen Selbstorganisation und Selbsthilfe der Bürgerinnen und Bürger, zivilge-sellschaftliches Engagement.

Jährlich besuchen ca. 1,2 – 1,5 Millionen Besucher diese Einrichtungen, wobei sich immer mehr Besuche-

rinnen und Besucher von Konsument/innen zu Mitge-stalter/innen entwickeln.Für die Stadtteilzentren stehen jährlich 3,7 Millionen Euro sowie 1,3 Millionen zusätzliche EU-Mittel zur Verfügung. Der PARITÄTISCHE in Berlin ist sowohl bei der Finanzierung der Stadtteilzentren und Senioren-projekte als auch bei den EU-EFRE Mitteln Treuhändler des Landes Berlin.

Zu den Potenzialen aktiver Nachbarschaftsarbeit ge-hört, dass die Prinzipien von gegenseitigen Respekt und Toleranz gelebt werden, die Beseitigung von Barrieren und sozialen Schranken eingefordert und gesellschaftliche Vielfalt und Kultur als eine entschei-dende Ressource umgesetzt wird.Im Rahmen des Treuhandvertrages des PARITÄTI-SCHEN mit dem Land Berlin werden derzeit 25 Nach-barschaftshäuser, 12 Selbsthilfekontaktstellen, die gesamtstädtischen Projekte SEKIS und der Treffpunkt Hilfsbereitschaft gefördert.Dazu kommen 16 Projekte der Senioren- und Selbst-hilfearbeit sowie 37 Projekte für bürgerschaftliches Engagement mit Hilfe von EU-Mitteln.

Für Stadtteilzentren ist die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen der aktuelle Maßstab. D.h. u.a. konkret, in alle Überlegungen und Initiativen der Stadtteilzentren behinderte Menschen maßgeb-lich in die Gestaltung ihrer Stadtteile sowie ihres Le-bensumfeldes einzubeziehen.

Statement auf der Fachtagung zur „Kundenstudie – Unterstütztes Wohnen in Berlin“, veranstaltet von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen mit Unterstützung des Paritätischen Wohlfahrts-verbandes am 8. Oktober 2009 im Rathaus Schöneberg.Dr. Eberhard Löhnert ist als Leiter der Geschäftsstelle Bezirke des Paritätischen Wohlfahrtsverban-des Berlin verantwortlich für die Umsetzung des „Stadtteilzentrumsvertrages“ mit dem Land Berlin, durch den die Basisfinanzierung eines Großteils der Berliner Nachbarschaftseinrichtungen abgesi-chert wird.

Dr. Eberhard Löhnert

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Dazu gehört – und Stadtteilzentren nutzen dies zu-nehmend – behinderte Menschen als Expertinnen und Experten in eigener Sache zu konsultieren, um tatsächlich eine Umgebung zu schaffen, in der sich behinderte Menschen als gleichberechtigt wahrge-nommen und als Teilnehmende wohl fühlen.

Der Tradition der Settlementbewegung folgend sehen die Stadtteilzentren die Menschen niemals schlecht-hin als Objekt der Fürsorge, sondern als Akteure in den Einrichtungen und im Sozialraum selbst. Zu den Potenzialen aktiver Nachbarschaftsarbeit gehört, dass die Prinzipien von gegenseitigen Respekt und An-erkennung gelebt und die Stärken jedes Menschen als Ressource gesehen werden, die Beseitigung von Barrieren und sozialen, gesundheitlichen Schranken eingefordert, gesellschaftliche Vielfalt und Kultur als unverzichtbare Chance eingebracht wird.Nur wenn es alltäglich gelingt, die Bedürfnisse von Menschen, auch von Menschen mit Behinderungen, von Anfang an einzubeziehen, sind Stadtteilzentren wirklich offen für alle.

Mit der Umsetzung des Konjunkturprogramms II sowie bei der angedachten Verteilung von finanziel-len Ressourcen aus dem ehemaligen SED Vermögen werden in Berlin alle vom Land geförderten Stadt-teilzentren einen barrierefreien Zugang erhalten. Für dieses Ziel setzt sich der PARITÄTISCHE sehr aktiv und erfolgreich ein.

Damit sind nicht allein die Bedürfnisse von Rollstuhl-fahrerinnen und Rollstuhlfahrern gemeint. Sondern auch, dass die Veranstaltungen für sehbehinderte und blinde Menschen attraktiv sind, bei Einladungen und Projekten auf große Schrift geachtet wird und gene-rell auf barrierefreie Gestaltung der Webseite, offene Veranstaltungen auch auf die Einbeziehung von Menschen mit Lernbehinderungen ausgerichtet sind, Vorträge in einer Sprache und in einem Tempo vorge-tragen werden, die es einem Gebärdendolmetscher ermöglichen, das Wesentliche richtig zu übersetzen.

Zu den Hauptaufgaben für die Zukunft gehört es, dass sich die Stadtteilzentren mit ihren Erfahrungen noch stärker für integrierte Gesamtkonzepte in den Stadt-teilen engagieren, damit niemand durch bauliche oder kommunikative Barrieren ausgeschlossen wird.

Die Verteilung der Ressourcen auf Stadtteile/ Sozi-alräume und die Erschließung der Nachbarschafts-zentren als Orte der Mitwirkung und Gestaltung von Menschen mit Behinderungen hat sich inhaltlich und strukturell in den letzten Jahren wesentlich verbes-sert. Trotzdem bleibt es eine ständige Herausforde-rung an die Praxis.

Aber es muss auch eine noch größere Herausfor-derung an die Träger der Behindertenhilfe selbst werden, über deren engeres Wohnumfeld hinaus die Ressourcen des Stadtteils und seiner Bürgerinnen und Bürger zu erschließen. Stadtteilzentren als Orte, als Vernetzer, als konzeptionelle Mitdenker, als Vermittler von Ehrenamt stehen dafür als Partner bereit.

Die Öffnung des sozialen Raums erhöht auch die Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen. Kompetentes Handeln verlangt, dass auch die Behin-dertenhilfe sich weiter öffnet und notwendig Prozesse von Veränderungen begleitet und anschiebt.Hier ist auch viel Sensibilität notwendig.

Nehmen wir ein Beispiel:Dass Toiletten barrierefrei sein müssen, ist logisch. Aber was heißt das?Ein rollstuhlfahrender Besucher oder eine rollstuhlfah-rende Besucherin müssen im Stadtteilzentrum nicht lange suchen und keine langen Umwege machen, um das bewusste Örtchen zu finden, mit genügend brei-ten Türen, entsprechend ausgestatteter Toilette und Waschbecken.

Aber danach ein Blick in den Spiegel? - ist nicht mög-lich, weil er zu hoch hängt. Dann kann man zwar die Toilette nutzen, kann sich aber nicht vergewissern, ob Haare und Hemd oder Bluse richtig sitzen. Man muss unsicher wieder hinaus fahren zu den anderen, meist nicht behinderten Besu-chern, die einen ohnehin schon genauer beobachten.

Solche “Kleinigkeiten” stehen in keiner DIN-Norm. Sie werden nur bekannt und können in ihrer Bedeutung nur erkannt werden, wenn das Stadtteilzentrum ein Ort ist, an dem offen und achtsam darüber geredet werden kann und wenn dort aufmerksam, wertschät-zend zugehört wird.

Inklusion kann auch ganz einfach sein. Für die Stadtteilzentren heißt das:Jeder Mensch ist willkommen und wird gebraucht – und kann das auch genau spüren.Und das ist eben auch mehr als Integration, es ist ein Rahmen für selbstbestimmtes Leben ohne Barrieren in den Köpfen der Mitmenschen. In diesem Sinne ist für Menschen mit Behinderungen wie für alle ande-ren auch der Sozialraum ein Ort des Mitgestaltens, der Solidarität, des Genusses, des Kennenlernens von Kultur, Sport u.a. Vergnügens, ein Ort von Teilhabe und Partizipation.

Wie heißt es in einer afrikanischen Weisheit?

„Um einen jungen Menschen zu erziehen, ist ein gan-zes Dorf vonnöten“.

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Vom Nutzen der Kooperation der Institution Schule mit einem freien Träger?

Aus der Perspektive der Schule betrachtetEva Schmoll

Ich bin sein 36 Jahren im Schuldienst, immer an der Hauptschule, insofern kenne ich einiges Leid, das durch Mängel in den Absprachen, bezüglich gemein-samer Ziele und Vorhaben eine gute Zusammenar-beit erschwert oder gar verhindert. Ich werde aber auch begeistert von unserer ungewöhnlich guten Ko-operation mit dem Nachbarschaftsheim Schöneberg berichten, das uns zu einer Schulsozialarbeit verhol-fen hat, die integraler Bestandteil des Schullebens ist und die sich sehen lassen kann.

„Ämter brauchen Gesichter“

Schon vor 25 Jahren, unter dem Eindruck zunehmen-der Probleme mit unseren Schülerinnen und Schü-lern, waren wir der Meinung, einen Sozialarbeiter an unserer Schule zu benötigen und forderten dies vom Jugendamt. Unter dem Stichwort „Ämter brauchen Gesichter“, das ich noch heute für richtig halte, waren wir bei der Fülle von Herausforderungen, mit denen unsere Jugendlichen und ihre Familien zu tun hatten, sicher, dass Hilfeangebote besser genutzt würden, wenn es Ansprechpartner dafür in der Schule gäbe, die über Hilfen Bescheid wissen und in das Genehmi-gungsverfahren von Hilfen eingebunden sind.Sie ahnen die Antwort? Geht nicht, die Zuständigkeit richtet sich nach Wohnstraßen. Die Abteilung Jugend war aber bereit, soziale Gruppenarbeit an der Schule anzusiedeln. Eine Gruppe bedürftiger Jugendlicher war schnell zusammengestellt. Die Gruppenleiter lie-ßen sich von uns die Jugendlichen schildern, waren erstaunt und dankbar für die Menge an Hintergrund-information, die sie bekamen und die ihnen den Ein-stieg in ihre Arbeit erleichterte.Was danach geschah, würde ich als Topfehler einer Kooperation zwischen Schule und ihren Helfern be-zeichnen. Trotz parallel laufender Gespräche zwischen Helfern und uns nahmen die Schwierigkeiten nicht ab, sondern sogar zu. Die Schüler positionierten sich zum Teil deutlicher gegenüber KollegInnen, ohne dass diese darauf vorbereitet wurden, herausfordern-des Verhalten nahm zu. Mitunter beriefen sich die Jugendlichen in der Verteidigung ihres Verhaltens auf

die Gruppenleiter. Der Versuch, in den begleitenden Gesprächen Gründe für dieses Verhalten herauszufin-den, offenbarte eine Haltung, die Gift für eine gelun-gene Zusammenarbeit ist: Vertraulichkeit als Schutzwall für Helfer.

Anstatt die KollegInnen darauf vorzubereiten, dass es darum geht Eigenverantwortung zu lernen, zu lernen die eigene Meinung zu äußern und zu vertreten und sie um Fehlertoleranz zu bitten, wenn Jugendliche bei ihren ersten Gehversuchen überziehen, entstand ein Klima des Misstrauens, des Über-Einander-Redens, verbunden mit zunehmender Abgrenzung. Wir hatten den Eindruck Informationen preisgegeben zu haben, um einen möglichst guten Gruppenstart zu ermög-lichen, aber keine Hinweise zu bekommen, die unser Verständnis für die Jugendlichen wachsen ließen. Dar-über hinaus gab es keine gemeinsame Erwachsenen- ebene mehr. Die Kinderebene hatte aber deutlich mehr Gewicht bekommen, war wichtiger geworden als die Erwachsenenebene, ohne dass wir darauf vor-bereitet waren. In diesem Fall gelang es uns leider nicht, zu einer gemeinsamen Ebene zurückzufinden, deshalb ließen wir diese Hilfe auslaufen, ein schales Gefühl blieb zurück, wir hatten Verlierer auf allen Ebe-nen.

Worauf Schule achten muss

Meine nächste Erfahrung stammt von einem Fachtag, an dem Erzieher und Sozialpädagogen an Schulen davon berichteten, wie schlecht es ihnen an Schulen geht. An diesem Tag habe ich gelernt, worauf Schule achten muss, wenn es zu einer gelungenen Kooperati-on kommen soll. Beklagt wurde von den Anwesenden, dass sie sich als lästiges Anhängsel erleben, nicht in-tegriert sind und als Hilfsarbeiter genutzt werden, die Anweisungen empfangen. Die ihnen zugewiesene Zu-ständigkeit betraf herausforderndes Verhalten. Dieses sollten sie möglichst umgehend abstellen, so als gäbe es einen geheimen, sozialpädagogischen Knopf, der, wenn man ihn nur kennt, als Soforthilfe tauglich ist. Sie sollten unangenehme Elterngespräche übernehmen,

Eva Schmoll ist Schulleiterin der Nikolaus-August-Otto-Oberschule, einer Hauptschule im Berliner Bezirk Steglitz. Der hier abgedruckte Text war ein Statement auf der Fachveranstaltung „Stadtteil-zentren und Schulen“, die das Nachbarschaftsheim Schöneberg mit dem Verband für sozial-kultu-relle Arbeit und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband gemeinsam am 28. Mai 2009 durchgeführt hat.Das Nachbarschaftsheim Schöneberg ist verantwortlicher Träger der Schulsozialarbeit an der Niko-

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darin aber die Sicht der Schule repräsentieren.Mir gab das damals sehr zu denken und ein Prozess des Nachdenkens darüber begann, was die Institution Schule leisten kann und muss, um die Chancen zu nutzen, die Schulsozialarbeit bietet.

• Verstanden habe ich, dass es ein Ungleichgewicht auszutarieren gilt, wenn Schulsozialarbeiter fremdes Terrain betreten, nämlich unser Haus, in dem wir seit Jahren agieren.

• Die „Bewohner“ – wir Lehrerinnen und Lehrer - machen den Fehler, als Verhalten des „Gastes“ Zurückhaltung zu erwarten, sowie die ausschließ- liche Nutzung des Gastzimmers, das wir selbst tun- lichst nur selten betreten – wir wollen ja nicht stören…

• Schule macht sich ganz offensichtlich zu wenig Gedanken darüber, dass Schulsozialarbeit nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie integraler Bestand- teil von Schule ist und Partner einander begegnen, die gleichberechtigt sind und dies auch leben. Gleichberechtigung ist schwer zu erreichen, da schon die unterschiedliche Bezahlung oft eine ers- te Hürde darstellt. Ich empfinde die geringe Be- zahlung aller helfenden und sozialen Berufe als eine Geringschätzung, die unsere Gesellschaft sich nicht leisten sollte. Es erfordert menschliche Größe, die- ses Hindernis nicht zum ständigen Stolperstein in der Zusammenarbeit werden zu lassen.

Auffallend war auch, dass die am Fachtag anwesen-den Fachkräfte darüber klagten, wiederholt unge-wollt ungeschriebene Gesetze übertreten zu haben. Darüber hinaus konnten sie manche Elternklagen gut nachvollziehen, wenn diese über Geringschät-zung und belehrendes Verhalten, verbunden mit Erziehungstipps oder Schuldzuweisungen berichte-ten. Sie gerieten aber gleichzeitig in Konflikte, wenn sie diesen Informationstransport leisteten. Ihr Auf-trag seitens der Schule schien zu lauten: Schaffe Abhilfe für meine Probleme, ohne mich weiter zu behelligen. Ich hatte nach diesem Fachtag den Eindruck, dass unsere Ausbildung und unser Unterrichtsauftrag Kooperation schnell behindern, wenn wir unseren pädagogischen Standpunkt nicht überdenken. LehrerInnen sind ausgebildet auf Fehler zu achten, diese zu erkennen, zu benen-nen und nach Möglichkeit zu beheben. Von der Wichtigkeit von Fehlern, ihrer Voraussetzung für die Erkenntnisgewinnung erfahren LehramtsstudentIn-nen auch heute im Studium noch nichts. So lernen sie leider auch nicht Fehlertoleranz zu entwickeln und schon gar nicht, dass Fehler die Chance bieten zu erkennen, wo Bedarf besteht.

Als Voraussetzung für eine gelungene Kooperation sehe ich auch die genaue Zielklärung und eine of-fene gegenseitige Information, wenn sich Änderun-gen ergeben, um ggfs. gemeinsam neue Weichen-stellungen vorzunehmen oder zu erkennen, dass das Vorhaben zunächst nicht verwirklicht werden kann.

Darüber hinaus das sorgfältige Abwägen von Chan-cen, Nutzen und Schwierigkeiten, wenn die Erweite-rung eines Vorhabens geplant ist. Aus heutiger Sicht würde ich immer eine Erprobungsphase vereinbaren, nach der der Erfolg überprüft wird, um Veränderung von Weichenstellungen von vornherein einzuplanen und das Gefühl des Scheiterns zu umgehen. Insbeson-dere bei dem Versuch Arbeitssuchende für Schulge-staltung zu nutzen, haben wir viele unbefriedigende Erfahrungen gemacht. Wir brauchten Arbeitskräfte und Menschen kamen, die berechtigterweise Anspra-che suchten, eingearbeitet werden mussten und er-hebliche Schwierigkeiten hatten, ihre Rolle zu finden. In den meisten Fällen trafen unsere Jugendlichen auf Menschen, die sie an ihre Schwierigkeiten zuhause erinnerten. Alkohol- und Drogenmissbrauch waren Thema, Distanzlosigkeit, ebenso wie Härte, Imponier-gehabe oder eine Verschiebung der Ebenen zwischen Erwachsenem und Kind. Auch hier haben wir den Wunsch zu kooperieren beendet, weil es unseren Koo-perationspartnern in erster Linie um ihre Belange der Vermittlung von Arbeitskräften ging und die Belange unserer Jugendlichen schwer nachzuvollziehen blie-ben. Erfolgreiche Kooperation benötigt auch Zeit für die Begleitung des gemeinsamen Projekts und stabile Persönlichkeiten, die sich auf die Diskussion der Inhal-te einlassen können.

Mein letztes Beispiel erzählt von gelungener Koope-ration, bei der beide Partner ihr Bestes einbringen und gemeinsam gestalten. Für unsere Schule ist diese Möglichkeit der Kooperation ein unerwartetes, schon lange ersehntes, tägliches Geschenk. Diese so gelun-gene Zusammenarbeit begann vor wenigen Jahren, als Schulsozialarbeiter an alle Hauptschulen kamen. Vom Zeitpunkt der Suche nach geeigneten Personen an, begann ein offener Austausch, wurden klare Ab-sprachen getroffen, fanden gemeinsame Auswahlge-spräche statt und wurde immer wieder geprüft, ob alle Weichen gut gestellt sind.

Zusammenarbeit

Dass diese gelang und weiterhin gelingt basiert auf:Offenheit auf beiden Seiten und Aufgabenklärung vor Beginn und im Verlauf eines Vorhabens. Die Partner müssen ein gemeinsames Verständnis für ein Vorhaben entwickeln, bevor geklärt wird, wer wofür den Hut auf hat und an der Verwirklichung des Projekts gearbeitet wird.

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Gelungene Kooperation benötigt Vertrauensvor-schuss in den neuen Partner, der vor Ort arbeiten wird. Der Versuch, durch zu enge Absprachen und Vorgaben die Kontrolle über ein künftiges Ergebnis zu gewährleisten, behindert die Einarbeitung und die Kreativität beim Entwickeln passgenauer Pro-jekte und Verfahrensweisen. Beide Partner müssen offen sein für Neues, Irrwege sind erlaubt, werden benannt und ausgewertet.

Es braucht im Fall der Schulsozialarbeit aber auch Menschen, die ihr Selbstverständnis kritisch prü-fen. Wir haben an unserer Schule zum Glück einen ungewöhnlich engagierten Schulsozialarbeiter, der Grenzen setzt und Respekt auch gegenüber der Erwachsenenebene, trotz lockerem Kontakt, einfor-dert. Der Vertraulichkeit gewährleistet und es den-noch schafft, uns durch den Transport wesentlicher Inhalte auf das vorzubereiten, was uns erwartet. Ich muss nicht alle Details kennen, die ein Jugendlicher offenbart hat, bin aber dankbar für den Hinweis, dass so einschneidende Probleme und Veränderun-gen im Alltag eines Schülers anstehen, dass er keine Kraft mehr haben wird, sich zusammenzureißen und sich vermutlich bei uns gehen lassen wird, wo er sich geschützter fühlt als im privaten Umfeld. Im Konflikt mit dem Jugendlichen treffe ich also auf eine Situation, für die ich mir deeskalierendes Han-deln vorher überlegen konnte und bin sehr dankbar für entsprechende Hinweise.

Schulsozialarbeit kann nur gelingen, wenn sie in den schulischen Alltag voll integriert ist. Sie wird bei uns als gleichwertiger Bestandteil erlebt und darf zur Erfüllung des Auftrags eigene Verfahren nutzen, ohne diese beständig zu begründen oder gar zu rechtfertigen. Ein Austausch über die Jugendlichen findet statt, sodass keine unerwarteten Ereignisse eintreten, die zu Konfrontationen führen könnten.

Vom Schulsozialarbeiter wird nicht mehr erwartet und verlangt, als jeder von uns beitragen kann. Dennoch erkennen wir die besonderen Möglichkei-ten des anderen Umgang mit unseren SchülerIn-nen an, der frei ist von verordneter Bewertung und in stärkerem Maße die Individualität des einzelnen berücksichtigen kann. Da wir das Engagement un-seres Schulsozialarbeiters sehr bewundern, erken-nen wir diese Möglichkeit als zusätzliche Chance und ohne Neid an.

Was bringt eine gelungene Zusammenarbeit zwi-schen Schulen und freien Trägern und welcher Vor-aussetzungen bedarf es?

Zuallererst werden durch diese fruchtbare Zu-sammenarbeit alle Jugendlichen unserer Schule erreicht. Wo sonst kommt man so schnell an gefähr-

Es braucht Wendigkeit im Denken. Jeder kennt sein Metier und bringt sich ein. Kommt kein Ergebnis zustande, denkt jede Seite für sich weiter, sucht Be-rührungspunkte und Lösungen, die neue, gemein-same Wege möglich machen. Diese werden erneut abgeglichen. Dass nicht für jedes Problem eine sofortige Lösung gefunden werden kann, ist einer solchen Kooperation immanent und wird nicht als Mangel angesehen.

Jede Seite schätzt den Kooperationspartner und drückt dies auch aus. Ganz ehrlich würde ich am liebsten täglich bei Herrn Palmowski oder Georg Zinner anrufen, um von unserem Schulsozialarbei-ter zu schwärmen und mich für die gelungene Koo-peration zu bedanken, die der Träger immer wieder neu ermöglicht.

Nur gelebte Gleichwertigkeit der Partner und aller am Schulleben beteiligten Personen, ermöglicht die Begegnung auf Augenhöhe. Jede Seite bringt die Kompetenz ein, über die sie verfügt und vertraut der Kompetenz des Partners, wo die eigene endet.

Ohne die Anerkennung von Gleichwertigkeit von Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen geht es nicht. Diese innere Haltung bedeutet, das eigene Konzept auf Möglichkeiten der Beteiligung immer wieder kritisch zu überprüfen und dort zu erwei-tern, wo Beteiligung fehlt. Gleichwertigkeit ist aber nicht zu verwechseln mit Gleichberechtigung. Die-sen Unterschied gilt es täglich gegenüber Jugendli-chen zu erklären, aber auch zu leben.

Gelungene Schulsozialarbeit braucht eine hohe Kom-petenz auf Seiten der Person, die diese leistet. Wir benötigen sensible Menschen, aber keine Weicheier, gute Kenntnis von Hilfemöglichkeiten und keine lee-ren Versprechungen, Menschen mit Gesprächs- und Verhandlungskompetenz und keine Plaudertaschen, belastbare Persönlichkeiten, die nicht bei jedem her-ausfordernden Verhalten unserer Jugendlichen Schiss kriegen. Menschen, die bereit sind, sich - so wie wir auch – den Jugendlichen für die Konfrontation mit Erwachsenen zur Verfügung zu stellen, wenn unsere Schülerinnen und Schüler diese suchen und dennoch einfühlsam zu reagieren, wenn sich nach Wut und heftiger Aggression Trauer und Enttäuschung endlich zeigen.

Wichtig finde ich ebenso, nicht mehr Kompetenz vor-zutäuschen als vorhanden ist, sondern gemeinsam auszuloten, an welcher Stelle die Kooperation mit wei-teren Partnern möglicherweise sinnvoll ist oder eine gemeinsame Fortbildung den Horizont aller erweitern wird.

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dete Jugendliche heran? Im Sinne der Prävention bedeutet das, dass Jugendliche und ihre Familien wesentlich früher und schneller erreicht werden können. Auf erste Anzeichen kann reagiert werden. Angebote an Kinder und Eltern können gemacht werden, die aus einer natürlichen Situation entste-hen.

Für die Jugendlichen in Jungen- und Mädchengrup-pen, an denen alle SchülerInnen teilnehmen, für ihre Eltern immer dann, wenn es eng geworden ist. Das sind Klassenkonferenzen oder Schulhilfekonferenzen, wo Eltern und alle Helfer gemeinsam überlegen, wel-che Hilfe benötigt wird und Sanktionen so vermieden werden können.

Und es bedarf des beidseitigen Verzichts auf Ex-klusivrechte am Kind. Es braucht die gegenseitige Wertschätzung gegenüber der Leistung für die Ju-gendlichen, ein selbstverständliches Teilnahme- und Mitgestaltungsrecht auf allen Ebenen, die in den Unterrichtsvormittag integrierte Möglichkeit mit Ju-gendlichen zu arbeiten, sowie die Überzeugung, dass die Arbeit am Kind immer wieder individuelle Lösun-gen erfordert, verbunden mit den dafür notwendi-gen gemeinsamen Absprachen. So gemeinsam zu arbeiten ermöglicht eine Begegnung auf Augenhöhe. Diese führt zu einem entspannten Klima unter den Erwachsenen, was den Jugendlichen und uns selbst zugute kommt.

Durch gelungene Schulsozialarbeit und gute Koope-ration mit dem Träger, zieht zusätzliche Kompetenz in die Schule ein. Im sozialpädagogischen Bereich ebenso, wie im Ausbau der Teilhabe von Jugendlichen im Schulalltag. Schule nutzt die Trägerstruktur mit und trifft schnell und problemlos auf kompetente Ge-sprächs- und Arbeitspartner, wo ohne diese gewach-sene Struktur eine mühselige Kleinarbeit anstünde, um überhaupt -wenigstens einen - Gesprächspartner zu finden.

Auch die Gefahr von Kopflastigkeit innerhalb der In-stitution Schule verringert sich durch neue Impulse. Beteiligung, als immanentes Prinzip von Schulsozial-arbeit, fördert die Eigenverantwortung der Jugend-lichen und fordert von uns Lehrerinnen und Lehrern Gelegenheiten zu schaffen, damit unsere Schülerin-nen und Schüler sich in der Übernahme von Verant-wortung erproben können. Die Entwicklung ihrer Persönlichkeit wird gefördert und bekommt ein noch stärkeres Gewicht. Schule kann sich von der Institu-tion zum Lebensraum entwickeln.

In der Kooperation mit freien Trägern gewinnt Schu-le eine zusätzliche Evaluationschance der eigenen Arbeit, fernab von interner oder externer Evaluation durch die Schulinspektion. Durch Außensicht, den anderen Blick des Partners, anders gelagerte Schwer-punkte der Arbeit, können wir bei aufmerksamem Zuhören immer wieder Hinweise auf neue Entwick-lungsschwerpunkte bekommen. Voraussetzung für ein solch offenes Ohr ist der Mut, nicht perfekt zu sein.

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Jugendarbeit und Räume - einige Berliner Erfahrungen Stadträume verändern sich

a) Zur zunehmenden Verregelung des öffentlichen und des halböffentlichen Raumes ist im Rahmen der stadtsoziologischen Forschung und der Forschungen zur Jugendarbeit ausgiebig diskutiert worden. Auch in Berlin ist diese Entwicklung gut zu beobachten. Die Zunahme der Verregelung der Räume in öffent-lichen und halböffentlichen Sphären findet ihren Ausdruck unter anderem in den in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren überall entstandenen Einkaufs-zentren, durch die Einführung von Ordnungsdiensten (schwarze Sheriffs), die im Auftrag der jeweiligen Be-zirksämter durch Parks und Öffentlichen Grünanlagen patrouillieren, durch die öffentliche Zunahme des Straßenverkehrs u.v.a.m.

b) Bei der Betrachtung der Entwicklung und Verände-rung von (Stadt-)räumen kommt in Berlin und sicher-lich auch in einigen anderen deutschen Großstädten ein weiteres Faktum hinzu: Durch die zunehmende Segregation von Zuwanderern in einigen wenigen Stadtbezirken oder Teilen von Bezirken kommt es zu einer ethnischen Entmischung der Stadtteile oder von Teilen davon. Nach den Erhebungen von Häußer-mann und Kapphan haben sich in der Stadt Gebiete entwickelt, die Gefahr laufen, sich nicht nur von der gesamtstädtischen Entwicklung abzukoppeln, son-dern die eine eigene Sphäre entwickelt haben, in der die Menschen von der sie umgebenden „Reststadt” nicht mehr erreicht werden.Dies ist ja nun nicht per se problematisch. Die negati-ven Aspekte einer solchen Entwicklung überwiegen aber dann, wenn der Zugang zum Arbeitsmarkt ver-sperrt ist und die soziale Mobilität blockiert ist. Dies ist in Berlin häufig in den betreffenden Kiezen der Fall.„Erst das Zusammenwirken von ethnischer Orien-tierung und Armut macht also die Konzentration zu einem Problem für die Angehörigen einer Kolonie”1

c) Neben der ethnischen und ökonomischen Spal-tung der Stadtteile kommt es auch zu einer „gene-rationalen“ Aufspaltung mit weitreichenden Folgen. In einigen Stadtteilen findet sichtbar oder auch nur fühlbar eine Überalterung statt. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes Berlin-Brandenburg hat

sich die Bevölkerungszahl in beiden Teilen Berlins ähnlich entwickelt:

„Nach einem Anstieg von 1990 bis 1994 ging sie seit-her beiderseits zurück. Ende 1999 lagen die Werte unter dem jeweiligen Ausgangswert. Bei den Zahlen der Lebendgeborenen verlief die Entwicklung un-terschiedlich. Während im Westteil die Zahl der le-bend geborenen Kinder in der langfristigen Tendenz kontinuierlich zurückgegangen ist, kam es im Ostteil im Jahr nach der Vereinigung zu einem drastischen Rückgang der Geborenenzahl. 1991 wurden hier 44 Prozent weniger Kinder geboren als 1990, der Rück-gang setzte sich auch in den beiden Folgejahren fort, wenngleich nicht in diesem Ausmaß. Seit 1994 steigt die Zahl der Lebendgeborenen im östlichen Teil ten-denziell wieder leicht an.Bei der Altersstruktur hat es eine Anpassung gege-ben. Waren im Jahr 1990 die Menschen im Ostteil der Stadt im Schnitt 4,4 Jahre jünger als die Einwohner des Westteils, so betrug die Differenz im Jahr 1999 nur noch 2,2 Jahre. (...)

Im April 1991 gab es in Berlin 412 300 Familien mit Kindern unter 18 Jahren; 1999 waren es nur noch 366 400 und damit 11,1 Prozent weniger. Im Ostteil Berlins war der Rückgang der Zahl der Familien mit minder-jährigen Nachkommen und der Zahl der unter 18-jährigen Kinder enorm hoch. Noch 1991wohnten dort 192 000 dieser Familien und 292 400 Minderjährige; im Jahre 1999 waren es weniger: 21,8 Prozent bei den Familien (Stand: 150 100) und 25,0 Prozent bei den Kindern (Stand: 219 400). Ursache war der bereitsgenannte Geburtenrückgang nach der Wende und der Fortzug von Familien mit Kindern speziell in das Berliner Umland.” 2

Sichtbarstes Zeichen dieser Entwicklung sind massive Schulschließungen in einigen Bezirken während der letzten Jahre. Pointiert ließe sich formulieren, dass Kindheit und Jugend mancherorts zur Besonderheit avancieren. In anderen Stadtteilen gibt es demgegen-über keine Überalterung der Bevölkerung. Insbeson-dere in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbe-darf, in denen sich ein großer Teil der Bevölkerung mit

Dieser Beitrag ist mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber dem Buch „Betreten Erlaubt! Projek-te gegen die Verdrängung Jugendlicher aus dem öffentlichen Raum“ entnommen. Das Buch ist Anfang 2009 im Barbara Budrich Verlag, Leverkusen Opladen erschienen und wurde von Prof. Ulrich Deinet (Fachhochschule Düsseldorf ) gemeinsam mit Heike Okrov, Georg Dodt und Angela Wüsthof herausge-geben.Willy Essmann ist Leiter des Projektes OUTREACH / mobile Jugendarbeit in Trägerschaft der Berliner Landesgruppe des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit.

Willi Essmann

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Migrationshintergrund konzentriert (Neukölln-Nord, Moabit, Wedding, Schöneberg Nord, Kreuzberg), ist der Geburtenrückgang nicht so drastisch zu spüren. Allerdings wird das Vorhandensein von Kindheit und Jugend in diesen Quartieren eher als Problem denn als Bereicherung wahrgenommen.Auf dieser Folie muss sich die mobile Jugendarbeit Berlin bewegen und die permanenten Veränderun-gen in ihre konzeptionellen Überlegungen und ihre Alltagspraxis aufnehmen: Die Differenziertheit der Entwicklung bedeutet, dass es in Berlin sehr unter-schiedliche Lebens- und Aufwachsensbedingungen von Kindern und Jugendlichen gibt. Dies ist an sich ja kein neues Phänomen. Das Auseinanderfallen der Le-bens- und Aufwachsensverhältnisse hat sich, und das zeigt unsere inzwischen fünfzehnjährige Erfahrung, allerdings dramatisch entwickelt: Die Spirale des Aus-einanderdriftens der Lebensbedingungen in ein und derselben Stadt beschleunigt sich. All das erzwingt ein genaues Hinschauen und Analysieren der jeweiligen Lebenswelten in den sich immer mehr unterscheiden-den Lebensräumen.

Für die mobile Jugendarbeit Berlin bedeutet dies dar-über hinaus eine Entscheidung: Welchen Zielgruppen wendet sie sich zu und in welchen Sozialräumen wer-den Schwerpunkte auf was gelegt?Das Projekt „Outreach-mobile Jugendarbeit Berlin” hat diese Entscheidungen gemeinsam mit vielen anderen Beteiligten (s.u.) getroffen. Es ist an mittlerweile 26 Standorten in der Stadt aktiv. Die meisten Gebiete, in denen mobile Jugendarbeit tätig ist, weisen soziale „Schieflagen” auf. Dazu gehören insbesondere: Nord-Neukölln, Tiergarten-Moabit, Schöneberg-Nord, Mar-zahn Nord und West.

Trotz der Verschiedenartigkeit auch dieser Sozialräu-me lassen sich hinsichtlich des hier zu erörternden Themas einige Erfahrungen bündeln, die die mobile Jugendarbeit Berlin in ihrer bisher 15jährigen Tätig-keit gesammelt hat. Diese Erfahrungen sollen unter folgenden sechs Aspekten beschrieben werden:

1) Wie verhalten sich die aufsuchenden Ansätze im öffentlichen Raum zu den stationären Ansätzen in festen Räumen?2) Wie kann gerade mit den Jugendlichen Partizipation und Mitbestimmung entwickelt und praktiziert werden, die bisher in der Regel von diesen Ansätzen nicht erreicht wurden?3) Welche Rolle spielen im Kontext der mobilen Arbeit (aber wahrscheinlich nicht nur dort) die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?4) Was kann eine ernstgemeinte Ressourcen- orientierung in der mobilen Jugendarbeit praktisch bedeuten?5) Wie verhält sich die mobile Jugendarbeit gegenüber Mädchen, die sich nicht in

auffälliger Art und Weise im öffentlichen Raum Gehör verschaffen können oder wollen, die aber dennoch ein Recht auf angemessene Unterstützung haben?6) Welches Ziel verfolgt die Einbettung der mobilen Jugendarbeit in das Gemeinwesen (Sozialraum) und wie sieht diese Einbettung in der Praxis aus?

1. Die Verzahnung von mobilen und „stationären”Ansätzen - Straßensozialarbeit und Aufbau von Ju-gend-Treffpunkten

Die Aufenthaltsorte von Jugendlichen im öffentlichen Raum variieren von Bezirk zu Bezirk (s.o.). Neben eini-gen exponierten Plätzen in Berlin wie etwa der Breit-scheidplatz, dem Alexanderplatz u.a., die überregiona-le Bedeutung haben, sind es vor allem wohnortnahe Plätze, Straßen(-ecken), Grünanlagen, U-Bahnhöfe, Spielplätze usw., die in der „subjektiven Landkarte” der Jugendlichen zentrale Treffpunktfunktionen aus-üben. Neben der leichten Erreichbarkeit müssen sie in gewissem Maße öffentlich sein, damit man schnell feststellen kann, ob es sich „lohnt” dort hinzugehen. „Sehen und gesehen werden” sowie die Möglichkeit auf sich aufmerksam zu machen, sind an diesen Plät-zen gegeben. Versteckte, abgeschiedene Orte bieten diese Funktion nicht.

Ein erster Kontakt zu den Jugendlichen, die sich an diesen Orten aufhalten, stellt sich meistens über die aufsuchende Arbeit her. Im idealtypischen Verlauf ei-ner solchen Kontaktaufnahme, die mit den Mitteln der Freizeitpädagogik vertieft und stabilisiert wird, gelingt es, das Vertrauen der Jugendlichen aufzubauen und näher an sie heranzukommen.

Zumeist stellt sich schon zu diesem Zeitpunkt heraus, dass die Jugendlichen sich nicht nur deswegen auf der Straße aufhalten, weil hier vermeintlich weniger soziale Kontrolle herrscht. Oft sind die Gründe in den sehr beengten Wohnverhältnissen zu finden oder in den Spannungen und Anforderungen innerhalb der Familien, die den Jugendlichen unerträglich scheinen. Dies gilt besonders auch für Jugendliche mit Migrati-onshintergrund; die Wohnverhältnisse, in denen viele Migrantinnen und Migranten in Berlin nach wie vor le-ben, müssen als katastrophal bezeichnet werden. Die Hinwendung zum Aufenthalt im öffentlichen Raum ist daher bei bestimmten Zielgruppen nur ein zum Teil freiwillig gewähltes Verhalten. Nichts desto trotz setzt sich die mobile Jugendarbeit Berlin vehement dafür ein, dass die Jugendlichen nicht aus den öffentlichen Räumen vertrieben werden.

Ebenso trägt die Arbeitssituation - oder genauer - die Situation der Arbeitslosigkeit, in der sich viele Jugend-liche befinden, ihren Teil dazu bei, dass „Freizeit” im

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Überfluss vorhanden scheint. Insbesondere diejeni-gen Jugendlichen, die aus Migrantenfamilien kom-men, sind vermehrt von Arbeitslosigkeit betroffen.3

In dieser Phase stellt sich oft schon heraus, dass die Mehrzahl der Jugendlichen mit denen wir zu tun haben, aus den Bezügen, die normalerweise gesell-schaftliche Integration gewährleisten, herausgefallen sind. Hier sind insbesondere Institutionen der berufli-chen Integration (s.o.) aber auch die der sozialen Inte-gration gemeint. Stattdessen gewinnt die Peer-Group, die ja sowieso in dieser Phase der biographischen Entwicklung eine herausgehobene Rolle spielt, an zusätzlicher stabilisierender Bedeutung. Die sich bil-denden Peer-Groups sind dann auch der Maßstab für die Entwicklung der eigenen Wertmaßstäbe und der eigenen moralischen Standards.

Eines der zentralen Bedürfnisse der Jugendlichen, die sich auf der Straße aufhalten, ist es oftmals, einen Raum zu haben, wo sie sich ungestört von Erzie-hungspersonen treffen und kommunizieren können. Das bloße Zur-Verfügung-Stellen eines solchen Rau-mes führt nach unseren Erkenntnissen allerdings schnell in eine Sackgasse. Die Jugendlichen sind meist nicht in der Lage, auftretende Konflikte gewaltfrei zu lösen, ebenso kommt es oft dazu, dass sich eine Grup-pe aus dem Stadtteil den Raum exklusiv aneignet. Auch der Druck von externen Gruppierungen lässt derartige Projekte schnell scheitern.

Als gangbarer Weg hat sich dagegen folgendes Vorgehen erwiesen: Falls sich stabile Beziehungen zu den Jugendlichen aufbauen lassen und sie das Bedürfnis nach einer Treffpunktmöglichkeit äußern, unterstützen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sie darin, diesen Wunsch zu realisieren. Dabei kann das Engagement des Projektes und seiner Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen von der Mithilfe bei der Raumsuche bis zur Übernahme der Trägerschaft für einen solchen Raum gehen. Bei der „Eroberung” von Räumen setzen wir an dem subjektiven Bedürfnis der Jugendlichen an, über einen eigenen (überschaubaren und gestalt-baren) Raum zu verfügen sowie diesen von anderen abzugrenzen und zu verteidigen. Unser Versuch von den Jugendlichen gleichzeitig einen „Ressourcenre-alismus” abzuverlangen, der den Raum prinzipiell als Stadteilressource definiert und ihre eigenen Wün-sche nach Nutzung nur in soweit zulässt, wie sie auch selbst bereit sind, dies auch anderen zuzugestehen, stößt bei sehr kleinen Räumen häufig an Grenzen. Dennoch hat sich gezeigt, dass ein klares Aushandeln der Nutzungsinteressen eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren des Konzeptes ist.

Die dabei praktizierte Verzahnung von mobiler und stationärer Jugendarbeit überwindet sowohl den reinen Streetwork-Ansatz als auch das nach wie vor vorherrschende Paradigma der Komm-Struktur. Die

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden bei diesem Konzept aber nicht zu Betreuern einer Jugendeinrich-tung, die nur ein bisschen kleiner ist, sondern zu Pro-zessbegleitern, die weiterhin mit den Instrumenten Streetwork, Gruppenarbeit, Einzelfallbegleitung und Gemeinwesenarbeit in und außerhalb von festen Räu-men tätig sind.

2. Entwicklung von partizipativen Ansätzen im Kon-text von festen Räumen

Nun bietet diese Verzahnung von mobiler und sta-tionärer Arbeit allein sicherlich noch keine Gewähr für konfliktfreies und konstruktives Miteinander. Sie schafft jedoch die Möglichkeit, diejenigen Jugend-lichen zu erreichen, die ihren Lebensmittelpunkt entweder im öffentlichen Raum haben oder - aus welchen Gründen auch immer - von anderen Einrich-tungen der Jugendarbeit nicht berücksichtigt werden. Dabei eröffnen sich oft Chancen, mit diesen Jugend-lichen Verhaltensweisen zu entwickeln, die ein dialo-gisches und gewaltfreies Miteinander zum Ziel und Ergebnis haben. Dies gilt aber nur, wenn konsequent partizipative Ansätze entwickelt werden und dies gerade mit den Jugendlichen, die häufig wenig Erfah-rungen mit Partizipation gemacht haben.

Konkret versuchen wir, in Kombination mit aufsuchen-den Ansätzen ein Konzept der Einrichtung von Räu-men - etwa Stützpunkten/Jugendstadtteilläden - zu realisieren, in denen immer mehr Verantwortungs- übernahme möglich ist. Dem gemeinsamen Aushan-deln von Regeln und von Nutzungsbedingungen kommt dabei eine große Bedeutung zu. Die Verstän-digung über das, was in und mit den Räumen möglich ist, eröffnet die Chance, dass diese Orte zu neuen „Erfahrungsräumen” werden, die die Entwicklung der Jugendlichen positiv beeinflussen. Dies ist ein perma-nenter Prozess, der mitunter auch von Rückschlägen gekennzeichnet ist. Er erscheint uns aber als notwen-diger Prozess, wenn die Übernahme von Verantwor-tung ernsthaft erfahren werden soll. Je weitreichender Jugendliche in die Lage versetzt werden, Verantwor-tung zu übernehmen, desto mehr können sie bspw. mittels des Instrumentes „Nutzungsverträge” die Räu-me für eine bestimmte Zeit kostenfrei übernehmen.Doch bevor es zu einer solchen aktiven Partizipation der Jugendlichen kommt, bedarf es einer Begleitung über einen längeren Zeitraum. In dieser Zeit wird mit dem normalen sozialpädagogischen Handwerkszeug und den dazugehörigen Methoden (Einzelfallbeglei-tung, Gruppenarbeit, Projektarbeit usw.) mit den Ju-gendlichen gearbeitet. Entscheidend ist dabei jedoch, dass nicht einzelne Methoden herausgelöst und ge-geneinander ausgespielt werden, sondern dass einem ganzheitlichen Methodenverständnis gefolgt wird.

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3. Die Rolle von Pro-jektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern

Im Projekt Outreach sind gegenwärtig 55 Personen fest beschäf-

tigt, die aus vielen verschiedenen kulturellen Lebens-welten und Ländern (Türkei, Kurdistan, Tunesien, Alge-rien, Libanon, Jordanien, Palästina, Kasachstan, Persien, dem früheren Ost- und Westdeutschland) stammen. Dazu kommt eine Zahl von etwa 60 Honorarmitarbei-terinnen. Sie arbeiten gemeinsam in unterschiedlich großen Teams von zwei bis acht Personen zusammen. Die sehr verschiedenen kulturellen Hintergründe, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitbringen, fin-den deshalb besondere Erwähnung, weil darin nach unseren Erfahrungen ein Schlüssel, wenn nicht sogar der entscheidende Schüssel, zur Erreichbarkeit von Jugendlichen mit Migrationshintergrund liegt.Vor allen abstrakten Überlegungen zur Partizipation geht es darum, Jugendliche, die in Quartieren mit besonderem Entwicklungsbedarf leben, überhaupt erst zu erreichen. Dazu reicht ein gutes Konzept allein nicht aus, sondern es bedarf der entsprechenden Menschen, die den Zugang zu den Jugendlichen her-stellen können. Nach unserer Erfahrung sollten des-halb in den Teams Menschen mitarbeiten, die aus den Herkunftsländern der Jugendlichen stammen.Allerdings reicht oft selbst ein ähnlicher kultureller und sprachlicher Hintergrund in diesen Quartieren nicht aus, um Kontakt und Vertrauen zu den Jugendli-chen aufzubauen. Bei Outreach arbeiten deshalb auch Kolleginnen und Kollegen, die selbst aus dem Kiez stammen und meist noch über einen engen Kontakt sowohl zu den Jugendlichen als auch zur eigenen ethnischen Community verfügen. Sie wirken als po-sitive Rollenmodelle für die Jugendlichen, die von immer größer werdenden Ausgrenzungsrisiken be-troffen sind. Man könnte diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „Para-Professional-Pathfinders” nennen. Sie können den Kontakt zu Jugendlichen aufbauen, die weder von deutschen Kolleginnen noch von Kolle-ginnen erreicht werden können, die zwar über einen Migrationshintergrund verfügen, doch - anders als die Jugendlichen - aus der Mittelklasse stammen.

4. Zur Ressourcenorientierung in der mobilen Ju-gendarbeit

Eine pädagogische Orientierung, die sich ausschließ-lich auf abweichendes oder deviantes Verhalten bezieht, greift zu kurz. Demgegenüber hat es sich bewährt, die pulsierende symbolische und praktische Lebendigkeit und Kreativität im Alltagsleben und in den alltäglichen Aktivitäten und Ausdrucksformen der Jugendlichen ernst zu nehmen und hier Anknüp-fungspunkte zum pädagogischen Alltag zu finden.

Stichpunkte hierzu sind nach unserer Erfahrung bei-spielsweise in folgenden Bereichen zu entdecken:

a) In einer nicht ausschließlich kommerziellen Jugend-kultur haben sich Moden und Stile herausgebildet, die zwar permanenten Veränderungen unterworfen sind, die aber immer schneller immer mehr Jugendli-che gleichzeitig erreichen. Jugendliche suchen sich in diesem Spektrum häufig Segmente heraus, formen sie um und spielen damit in einer kreativen Art und Wei-se, Beispiele sind etwa die Entwicklung des Hip Hop oder die verschiedenen Ausprägungen der Rap-Stile. Die Jugendlichen sind dabei nicht nur die passiven Konsumenten von MTV und VIVA, sondern eignen sich die Musik und den Tanz aktiv an. Die mobile Jugend-arbeit Berlin setzt mit Angeboten wie Djing, Street-dance, Batteln u.a. auf Aktivitäten, die Jugendliche aktivieren und ihrem Wunsch nach Selbstdarstellung entsprechen. Insbesondere Jugendliche mit Migra-tionshintergrund finden mit diesen Medien Mög-lichkeiten der Zugehörigkeit und Identifikation mit anderen, etwa mit weltweit strukturell diskriminierten Minderheiten.

b) Im Bereich der „neuen” Medien können kulturelle Potenziale freigesetzt werden, die zumindest theore-tisch einer breiten Gruppe zugänglich sind. Neben Formen der tatsächlichen symbolischen Selbstdarstellung auf eigenen Homepages mittels Bildbearbeitungstechniken wird hier Musik, Radio usw. selbst hergestellt. Hier können eigene kulturelle Stile kreiert und einem großen Publikum zugänglich gemacht werden. Neben den kulturellen Selbstins-zenierungsmöglichkeiten dieser Medien, sind sie mit schnellen, prompten und bewertenden Kommunika-tionsmöglichkeiten ausgestattet. Eine unmittelbare Reaktion auf das eigene künstlerische Schaffen ist möglich und häufig auch wertvoll. Der Effekt solchen Tuns hinsichtlich des Aufbaus von Selbstwertgefühl sollte nicht unterschätzt werden.

c) Kleidung und Mode sind ein Indikator für kulturelle Identitäten und finden ihren Ausdruck in unterschied-lichen Freizeitorientierungen von verschiedenen Gruppen von Jugendlichen. Von daher bedeuten sie mehr als einen bestimmten Geschmack, sondern sind auch Ausdruck und Reflex (sub-)kultureller Zugehö-rigkeiten und kollektiver Identitäten.

Allerdings können Stile und Moden auch gleichzeitig ein Stück individueller Selbstinszenierung sein, die zur Entwicklung der eigenen persönlichen Identität bei-tragen. Der (selbst-)bewusste aber auch gleichzeitig spielerische Umgang mit den Stilen und Moden setzt erhebliche Potenziale frei. Die Karikatur des eigenen Stils darf dabei nicht ausgeschlossen sein.

d) Im Alltagsleben vieler Jugendlicher mit Migrations-

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hintergrund gibt es noch eine ganze Reihe weiterer kultureller Ausdrucks- und Aneignungsformen, die viel mit ihrer Herkunft oder der Herkunft ih-rer Eltern zu tun haben.

In ihrer Lebenssituation spielen kulturelle Rituale eine Rolle, die in der Mehrheitsgesellschaft nicht (oder nicht mehr) von Bedeutung sind. Gemeint sind hier volkstümliche kulturelle Rituale, von der Folklore bis hin zur jeweiligen ethnischen Küche, aber auch reli-giös begründete Rituale wie Feste und Feiern. Es hat sich als lohnende Aufgabe erwiesen, solchen Ritualen in der Jugendarbeit einen Platz einzuräumen und damit auch der Thematisierung der kulturellen Span-nung, die viele Jugendliche empfinden, Raum zugeben.

Die Ressourcenorientierung kann und soll sich hier nicht nur auf den kulturellen Bereich beziehen. Die-ser Bereich dient in unseren Zusammenhang nur als Beispiel, um zu illustrieren, wie sich die Haltung der Jugendarbeit gegenüber den Jugendlichen, die sich vorwiegend im öffentlichen Raum aufhalten, weiter-entwickeln kann und muss. Zum zweiten wird an die-sen wenigen Beispielen deutlich, dass es auch für die mobile Jugendarbeit zuweilen zwingend notwendig ist, auf feste Räume zurückgreifen zu können.

5. Extra Räume für Mädchen

Nicht alle Zielgrup-pen der mobilen Jugendarbeit sind im öffentlichen Raum anzusprechen und anzutreffen. Ins-besondere weibliche

Jugendliche fühlen sich vom dominanten Verhalten von zumeist männlichen Cliquen und Gruppen und ihren Kämpfen zur Durchsetzung ihrer jeweiligen Territorialansprüche auf den begrenzten öffentlichen Raum nicht angesprochen. Das heißt auf der anderen Seite aber nicht, dass sie nicht Bedürfnisse nach Gesel-lungsformen haben, die frei von der Kontrolle durch die Erwachsenenwelt sind. Hier bietet Outreach ins-besondere für Mädchen in einigen Bezirken Räume, in denen nur sie die Verfügungsgewalt darüber besitzen und damit entscheiden können, wer die Räume nut-zen darf und wer nicht. Dies kann eine ausschließliche Nutzung durch und für die Mädchen sein, es kann aber auch sein, dass Jungen zu bestimmten Anlässen eingeladen werden, wenn sie sich an die von den Mädchen gesetzten Regeln, halten.

Darüber hinaus ist es nach wie vor an der Tagesord-nung, dass eine nicht geringe Anzahl von Mädchen, insbesondere streng islamisch erzogene Mädchen, aber nicht nur sie, einfach nicht die Möglichkeit hat,

die Angebote der Jugendhilfe im Allgemeinen und der (mobilen) Jugendarbeit im Besonderen in An-spruch zu nehmen, da sie ab einem bestimmten Alter sehr viel mehr unter der familialen Kontrolle stehen als ihre männlichen Altersgenossen. Für sie haben sich andere Zugangstrategien, etwa die Kooperation mit der Schule und den Eltern, die Einbindung der Eltern in bestimmte Aktivitäten usw. als erfolgreich heraus-gestellt. Die Räume, die für diese Mädchen von der mobilen Jugendarbeit zur Verfügung gestellt werden, stellen eher Schutzräume dar, die es ihnen ermögli-chen, ohne die permanente Kontrolle ihrer Familie ihren Freizeitaktivitäten nachzugehen, ohne es zu ei-nem familialen Konflikt kommen lassen zu müssen.

6. Einbettung der mobilen Jugendarbeit in das Ge-meinwesen

Streetwork und mobile Jugendarbeit werden in Berlin oft nicht nur als Ergänzung von stationären Angebo-ten der Jugendhilfe begriffen, sondern häufig auch als Mittel, um „Störungen” im öffentlichen Raum zu begegnen oder dem Fehlen einer jugendgerechten Infrastruktur wenigstens etwas entgegenzusetzen. In der Regel liegt dem Einsatz eines mobilen Teams eine Konfliktsituation zugrunde. Im Verlauf eines solchen Konfliktes haben Anwohner, Gewerbetreibende, das Qüartiersmanagement oder das jeweilige Jugendamt (oder alle zusammen) einen Konflikt diagnostiziert, der sich zwischen verschiedenen Nutzergruppen des öffentlichen Raums abspielt. In einer solchen Situation wird ein Kontakt zur mobilen Jugendarbeit herge-stellt, um mittels pädagogischer Intervention die Kon-fliktlage zu entschärfen. Mobile Jugendarbeit steht damit immer im Spannungsverhältnis der verschie-denen Nutzerinteressen des öffentlichen Raumes und muss sich auch immer der Gefahr bewusst sein, ent-weder als Feigenblatt für eine mangelnde Versorgung herzuhalten oder auch als preiswerte Feuerwehr zur Konfliktlösung eingesetzt zu werden.

Auf der anderen Seite bietet sich natürlich die Chance, mittels pädagogischer Interventionen nicht nur zur friedlichen Konfliktlösung beizutragen, sondern reale und konkrete Verbesserungen für die Lebenssituation von Jugendlichen vor Ort zu erreichen. Insofern kann der Einsatz von Streetwork/ mobiler Jugendarbeit eine Initialzündung für den jeweiligen Kiez sein, die langfristig zu einer deutlichen Verbesserung der Situ-ation von Jugendlichen aber auch zur Verbesserung des Miteinanders im Quartier führt.

Dazu gehört, dass mobile Jugendarbeit eine Art Scharnierfunktion übernehmen kann, die in der Lage ist, neben den Interessen und Sichtweisen von Jugendlichen auch die Sichtweisen der ande-ren beteiligten Interessenvertreter zur Kenntnis zu nehmen und so zu einem dialogischen Miteinander

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zu gelangen. Das Konzept einer sich allein auf Par-teilichkeit für die Jugendlichen stützenden Konflikt-bearbeitung gilt es dabei aufzuheben. Achtsamkeit und Wertschätzung des jeweils anderen signalisieren die Möglichkeit, Bündnisse einzugehen, die bei allen notwendigen Kompromissen zu einer „Win-Win-Situ-ation” führen können. Gerade bei der notwendigen Einbindung der jeweiligen ethnischen comrnunities, beim Ausfindigmachen von Schlüsselpersonen im Ge-meinwesen, ist nach unseren Erfahrungen ein solches Vorgehen hilfreich, wenn es gelingen soll, neue Erfah-rungsräume für und mit Jugendlichen zu erkämpfen bzw. zu erhalten.

Zusammenfassung

Unsere bisherigen Erfahrungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1) Die Verzahnung von mobilen und stationären An-geboten in der Jugendarbeit überwindet das immer noch vorherrschende Konzept der Komm-struktur, aber auch den zu kurz greifenden Ansatz der „reinen” Streetwork. Sie vermittelt vielmehr das Bedürfnis der Jugendlichen, sich sowohl in geschützten Bereichen als auch im öffentlichen Raum aufzuhalten. Das Be-dürfnis nach (exklusivem) Raum widerspricht nicht den Selbstinszenierungswünschen vieler Jugendli-cher, sondern stellt neue Erfahrungsräume bereit, die Schutz- aber auch vermehrte Verantwortungsüber-nahme bieten können

2) Es muss sichtbare, konkrete Ergebnisse geben: Partizipation von Jugendlichen vollzieht sich nicht abstrakt sondern konkret. Die konkrete Nutzung eines Raumes sowie das konkrete Aushandeln von Nut-zungsbedingungen macht Partizipationsanstrengun-gen in den Augen vieler Jugendlicher überhaupt erst sinnvoll. Ein langwieriges Agieren, so zum Beispiel in Jugendparlamenten, ist für diese Jugendlichen - falls sie überhaupt zur Teilnahme an einem Jugendparla-ment zu motivieren sind -häufig nicht einsehbar und daher nutzlos.

3) Mitarbeiterinnen und MitarbeiterAuch die mobile Jugendarbeit lebt vom Aufbau trag-fähiger Beziehungen zwischen Mitarbeiter/innen und den Jugendlichen. Es bedarf Mitarbeiter/innen, die nicht nur die Lebenslagen der Jugendlichen kennen, sondern auch ihre kulturellen Codes verstehen und quasi als Kulturdolmetscher fungieren. Die Entwick-lung (inter-) kultureller Kompetenz, die vermehrte Durchlässigkeit des Systems der Jugendhilfe für Migrantinnen und Migranten und der Aufbau eines interkulturellen Diskurses in diesem Bereich, z.B. in gemischt ethnischen Teams, ist dabei unabdingbar.

4) Das Entstehen neuer (Sub-)kultureller Ausdrucks-formen - etwa im Bereich der Musik, der Graffity-Kunst, des Hip Hop oder des Breakens -schafft ge-meinsame neue kulturelle Identitäten, in denen „alte kulturelle Orientierungen”, die sich etwa bei Jugend-lichen mit Migrationshintergrund aus der Kultur der Herkunftsländer gebildet haben, nicht mehr den zen-tralen Stellenwert besitzen. In diesem Prozess müssen sich alle bewegen.

5) Bestimmte Zielgruppen, insbesondere Mädchen, brauchen eigene Räume und eigene Zugangsstrate-gienManche potenzielle Zielgruppen halten sich nicht sichtbar im öffentlichen Raum auf (etwa Mädchen, die einer streng islamischen Erziehung unterworfen sind). Aber auch sie haben einen Anspruch auf ge-sellschaftliche Unterstützung bei der Förderung von Sozialisationsbedingungen, die zur Entwicklung einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit beitragen. Wenn sie erreicht werden sollen, bedarf es neuer Zugangswege. Dies kann etwa in Kooperation mit Schulen und Eltern geschehen.

6) Kooperation mit den lokalen Akteuren des Ge-meinwesens: Um Ressourcen erschließen zu können, müssen in der Regel Kooperationen eingegangen werden. Neben der horizontalen und vertikalen Ver-netzung mit den Akteuren im Stadtteil kommt es darauf an, mit den verschiedenen ethnischen Comm-unities zu kooperieren. Ein wichtiger Schlüssel für den Erfolg bei der Durchsetzung von Projekten mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist es, die Strukturen dieser Communities zu kennen und zu nutzen.

1 Häußermann H. und Kapphan A,: Berlin: Von der geteilten zur gespaltenen Stadt, sozialräumlicher Wandel seit 1990, Opladen 2000, S. 213f.

2 Internetportal (www.stalistik-berlin-brandenburg.de) des Statistisches Landesamtes Berlin-Brandenburg

3 „Die Arbeite!osenzahlen unter den Ausländern in Berlin haben sich in den letzten 15 Jahren dramatisch verschlechtert. Inzwischen ist die Arbeits-losenquote doppelt so hoch wie die gesamte Arbeitslosenquote in Berlin. Nahezu jeder zweite Ausländer, jede zweite Ausländerin ist ohne Arbeits-platz” (Landeskommission Berlin gegen Gewalt, S.4E, Berlin 2007)

LiteraturHäußermann H. und Kapphan, A.: Berlin: Von der geteilten zur gespaltenen Stadt, sozialräumlicher Wandel seit 1990, Opladen 2000.Internetportal des Statistisches Landesamtes Berlin-Brandenburg: www.statistik-berlin-brandenburg.de, 2008.Landeskommission Berlin gegen Gewalt, Bd. 28: Gewalt von Jungen, männ-lichen Jugendlichen und jungen Männern mit Migrationshintergrund in Berlin, Berlin 2007.Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: Monitoring Soziale Stadtentwick-lung 2004, Berlin 2004.

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Vor 5 Jahren geriet ich auf die Straße. Das war folge-richtig: ich hatte mich ja als Streetworkerin beworben.

Mir wurde gesagt: das ist mitten in der Stadt und eine Gruppe von 20-30 Jungs –kurdischer, arabischer, türkischer Abstammung im Alter von 7-13 Jahren – macht anderen das Leben schwer.

Da stand ich nun und dachte bei mir: Irgendwie an-fangen muss ich ja. Erst einmal DAS kennen lernen, worum es geht.

An mehreren Tagen ging ich immer wieder in das Viertel, zu verschiedenen Tageszeiten, auch spät abends. Da waren Jugendliche, die mannhaft in Grup-pen über die Straßen gingen, um andere mit Umar-mungen und Küsschen zu begrüßen.Frauen, die vor dem Bäcker oder am Kiosk Kaffee tranken, nachdem sie die Kinder zur Schule gebracht hatten. Männer in Autos, die andere herbeiriefen.Auf dem Spielplatz: Mütter auf Bänken, spielende Kin-der, ein Kletterfelsen. Auf der Straße: Leute, die stehen blieben, um miteinander zu reden.Ein kleiner Spring-brunnen, ein Altberliner Straßenschild, viel Grün, ver-kehrsberuhigt.

Hinter dieser Idylle sollte sich also ein Problemkiez verbergen.

Dann entdeckte ich die Kinder. Viele.Die machten sich einen Spaß daraus, eine Frau vom Weg abzudrängen, einfach so, durch Masse. Das ging so weit, dass die Frau anfing zu schreien und zu wei-nen. Eine andere Frau schimpfte. Erfolglos.

Ich sah die gleichen Kinder auf dem Spielplatz, wie sie vom Kletterlehrer Material stahlen und wegrannten. Wie sie sich gegenseitig beschimpften und verprü-gelten, auch auf andere losgingen, egal, ob Kinder oder Erwachsene…

Und da dämmerte es mir: Das sollte also mein neuer Arbeitsplatz sein. Nicht mehr gemütlich im Nachbarschaftshaus sitzen und zu bestimmten Zeiten angemeldete Gruppen empfan-gen, die danach wieder gingen und sich dabei sogar herzlich bedankten.

Entdeckungen im SozialraumAus unserer Sicht bietet sie Raum - für Möglichkeiten.

Hella Pergande

Nein.Das sah hier eindeutig anders aus.Ich suchte dann die Einrichtungen im Kiez auf. Da mir schien, dass es hier eine Menge Sozialarbeiter gab, dachte ich, dass sie vielleicht gute Tipps für mich hät-ten.Da kam aber eher ein Hilferuf. Alles sei schlimm genug. Aber man könne DRINNEN nicht arbeiten, wenn DRAUSSEN immerzu Stress sei. Aha.

Mir war klar: ich brauchte einen Partner, einen, der die Kinder schon etwas kannte und sie sogar mochte. Ich hatte Glück und konnte den Kletterlehrer, der schon zwei Sommer lang im Auftrag des QM mit den Kin-dern arbeitete, als Honorarkraft gewinnen.Und für uns war nun nahe liegend, mit den Kindern WOANDERS hinzugehen.

Das war an sich leicht, die Jungs gingen mit uns, egal wohin und waren zahlreich. Und sehr lebendig.Viel Sympathie brachte man uns in dieser Zeit nir-gends entgegen, weil es immer wieder Ärger gab.Die Kinder machten das gern. Es war ein Spiel.

Es gab auch schöne Momente (Geschichte U-Bahn).Die Kinder benutzen die U-Bahn, um sich körperlich fit zu halten. Sie hängen an den Stangen, baumeln mit den Beinen, sind laut und die Leute regen sich auf.Und endlich sagt auch mal einer etwas:„Haben Sie denn die Kinder nicht im Griff?“Ich gucke den Mann an, gucke die Kinder an und sage:„Nein, das sehen Sie doch.“Die Kinder haben den Wortwechsel mitbekommen und eins sagt zu dem Mann:„He, machen Sie mal nicht unsere Sozialarbeiter an“ Die können doch nichts dafür, dass wir so sind, wie wir sind.“

Anfangs sahen die Jungs für mich alle gleich aus. Kein Wunder, wie ich später erfuhr, die meisten waren miteinander verwandt. Eine wesentliche Erkenntnis:

Sobald ich die Namen von den Kindern wusste und sie verwendete, verhielten sie sich ganz anders:ernsthafter, kommunikativer. Wenn man freundlich zu ihnen war, waren sie auch freundlich, geradezu char-mant, gewitzt.

Statement auf dem Fachtag „Wie weiter mit der Jugendarbeit?“ am 10. September 2009. Der Fachtag dien-te dem Erfahrungs- und Meinungsaustausch zwischen den Berliner Nachbarschaftseinrichtungen und den Mitarbeiter/innen des Projektes OUTREACH / mobile Jugendarbeit.Hella Pergande macht bei Outreach „mobile Kinderarbeit“ in Schöneberg-Nord.

Unsere Angebote waren für die Kinder attraktiv. So sehr, dass andere Anbieter nun fast Angst vor einer Konkurrenz hatten.Wo sollte das hinführen, wenn ALLE nur noch DRAUS-SEN oder WOANDERS waren?

Das wollten wir natürlich nicht. Weder ALLE, noch Konkurrenz sein.Also gründeten wir im Kiez eine Arbeitsgruppe mit den Sozialarbeitern aus den Einrichtungen und haben in den Jahren ein beispielhaftes Netzwerk aufgebaut.Beteiligt sind Mitarbeiter aus der Schule, Kita, Schul-station, Schwerpunktträger für HZE-Maßnahmen, Nachbarschaftstreff, Mehrgenerationenhaus, Biblio-thek, VHS, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Outre-ach. Jährlich organisieren wir ein großes Kiezfest.

Aber wichtiger noch: Wir sprechen uns ab, beschäftigen uns mit fachlichen Fragen und mit Problemen, die ALLE im Kiez betreffen. Informieren und unterstützen uns.

Das war anfangs nicht leicht und konnte nur bewerk-stelligt werden, weil es dafür aufgeschlossene und engagierte Mitstreiter gab, die begriffen haben, dassGEMEINSAME PROBLEME nur GEMEINSAM gelöst wer-den können.

Auch die Eltern wurden mehr und mehr einbezogen.Wir haben uns nicht, wie gewohnt, bei ihnen über ihre Kinder beschwert, sondern konnten über jedes etwas Positives erzählen.

Es entstand ein Vertrauensverhältnis, nicht nur zwi-schen uns und den Kindern, auch zwischen den Eltern und uns. Andere können davon profitieren.

Oft hören wir:Die Straße ist schuld, an allem, an den Problemen, dem Ärger, dem Stress. Wer ist diese Straße? Was tut sie?Aus unserer Sicht bietet sie Raum - für Möglichkeiten.

In meiner Funktion als Koordinator von Outreach habe ich häufig die Möglichkeit, das Innenleben von Jugendfreizeiteinrichtungen in öffentlicher oder freier Trägerschaft in verschiedenen Berliner Bezirken zu beobachten. Diese Einblicke erinnern mich nicht sel-ten an die Anfänge von Outreach, damals noch hin-ausreichende Jugendarbeit. Zumeist „Große Häuser“ und gähnende Leere. Erst vor kurzem hatte ich wieder so ein „deja vu“ - Erlebnis in einer öffentlichen Einrich-tung: Ein paar Jugendliche am Billardtisch, ein paar Jugendliche im Computerraum am Chatten, ein Päd-agoge im Büro am Schreibtisch und die anderen Mit-arbeiterInnen sitzen vor der Einrichtung in der Sonne und unterhalten sich. Und das mitten in Neukölln, wo es doch nachweislich viele Jugendliche gibt, die auf Grund ihrer sozialen Situation und Benachteiligung in besonderem Maße auf Unterstützung angewiesen sind.

Was stimmt mit der Jugendfreizeiteinrichtung nicht:

An der mangelnden Ausstattung kann es nicht liegen: die 1000 qm päd. Nutzfläche sind gut ausgestattet. Fitnessraum, Tanzraum, Bühne, offener Bereich, Billard, Kicker und Computerraum bieten genug Möglichkei-ten zur sinnvollen Freizeitgestaltung. Die personelle Ausstattung mit vier PädagogInnen scheint auch aus-reichend. Und das pädagogische Konzept?Klingt gut wie fast alle pädagogischen Konzepte von Jugendfreizeiteinrichtungen:Partizipation, Integration, Koedukation und selbstver-ständlich: Offen für Alle

Dies war vor 16 Jahren, als ich als Mobiler Jugendar-beiter in Moabit den Auftrag hatte, die hinausreichen-de Arbeit aus einer öffentlichen Jugendfreizeitein-richtung durchzuführen, sehr ähnlich: ein leeres Haus und eine große Zahl Jugendlicher, die sich damals

Statement auf dem Fachtag „Wie weiter mit der Jugendarbeit?“ am 10. September 2009. Der Fach-tag diente dem Erfahrungs- und Meinungsaustausch zwischen den Berliner Nachbarschaftsein-richtungen und den Mitarbeiter/innen des Projektes OUTREACH / mobile Jugendarbeit.Ralf Gilb ist stellvertretender Projektleiter von Outreach und Koordinator der Bezirksteams Neu-kölln, Spandau und Tiergarten.

Outreach und das Innenleben von Jugendfreizeiteinrichtungen

Erfahrungen, Erkenntnisse und ÜberlegungenRalf Gilb

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in Gruppen, so genannten Gangs, vornehmlich im öffentlichen Raum aufhielten, weil sie aufgrund ihres Verhaltens in der Einrichtung Hausverbot hatten.

Nun gelten sowohl Teile von Moabit als auch der Neu-köllner Norden als soziale Brennpunktgebiete und die Jugendeinrichtungen in diesen Quartieren sind nach wie vor zumeist die Treffpunkte der sozial am weites-ten Ausgegrenzten, die mit einem Bündel von sozia-len Problemen, Schwierigkeiten und Auffälligkeiten die Einrichtungen aufsuchen. Damals wie heute habe ich bei einigen Einrichtungen den Eindruck, dass die PädagogInnen mit dieser z. T. massiven Verdichtung von sozialen Problemlagen und dem gleichzeitigen Anspruch, „offen für alle“ zu sein, schlicht überfordert waren/sind und keine anderen Interventionsmöglich-keiten mehr sahen/sehen, als Hausverbote auszuspre-chen.

Auch wenn diese „klassische“ Form der Ausgrenzung von schwierigen Jugendlichen häufig zu einem mas-siven Schwund der BesucherInnen führte, haben sich nur wenige Jugendfreizeiteinrichtungen konzeptio-nell und personell auf die „neuen“ Herausforderungen der Jugendarbeit eingestellt. Vielmehr wurde der Pro-zess der Ausgrenzung von schwierigen Zielgruppen fortgesetzt, indem Altersgrenzen eingeführt wurden, eine Spezialisierung auf vermeintlich einfachere Ziel-gruppen (Mädchenarbeit) und Angebote (geschlos-sene Gruppen im künstlerisch-kulturellen Bereich) erfolgte oder eine gänzliche Verabschiedung aus der Jugendarbeit stattfand (Nachbarschaftsarbeit, Eltern-arbeit).

Diese Formen der „Ausgrenzung“ von bestimmten Zielgruppen und der gleichzeitige Mangel an hinaus-reichenden Arbeitsansätzen hat dazu geführt, dass die Zahl der Jugendlichen, die von stationären Angeboten nicht mehr erreicht werden und ihre Freizeit haupt-sächlich auf der Straße oder im öffentlichen Raum ver-bringen, stetig wuchs.

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auch erwähnt, dass es auf der anderen Seite nach wie vor Jugendfreizeiteinrichtungen gibt, die zwar die o.g. Ausgrenzungsprozesse

ablehnen, denen es allerdings

auch nicht gelungen ist, Strukturen zu schaffen und vor allem durchzusetzen, im Rahmen derer sich die MitarbeiterInnen und die Jugendlichen auf gemeinsa-me Regeln verständigen konnten. Hier gelingt es auch relativ kleinen Gruppen von Jugendlichen immer wie-der, eine solche Einrichtung zu erobern und die für die jeweilige Gruppe geltenden Regeln durchzusetzen sowie andere Nutzungsinteressierte (z.B. Jugendliche anderer Herkunft, Mädchen etc.) mehr oder weniger subtil aus der Einrichtung herauszudrängen oder he-rauszuhalten. Auch hier findet ein Ausgrenzungspro-zess statt.

Was hat das Projekt Outreach aus den beschriebe-nen Erfahrungen gelernt?

1. Der ursprüngliche konzeptionelle Leitgedan-ke der meisten Jugendfreizeiteinrichtungen, für alle Jugendlichen die kommen offen zu stehen, entspricht, zumindest in sozialen Brennpunktgebieten, längst nicht mehr der Wirklichkeit in diesen Quartieren.

2. Wenn die Jugendlichen nicht zu uns kom-men (Kommstruktur), sollten wir zu den Ju-gendlichen gehen (Gehstruktur).

3. Die ausschließliche Konzentration auf das Paradigma der Kommstruktur birgt Aus-grenzungsrisiken in sich, die dazu führen, dass bestimmte Zielgruppen ihre Freizeit hautsächlich auf der Straße verbringen. Diese Tatsache ist aus zwei Gründen besonders problematisch: a. Bei den Zielgruppen handelt es sich zu-meist um Jugendliche, die aufgrund ihrer sozialen Situation (beengte Wohnverhältnis-se, kein Geld um kommerzielle Freizeitange-bote zu nutzen) in besonderem Maße auf Räumlichkeiten außerhalb der elterlichen Wohnung und nichtkommerzielle Freizeitan-gebote angewiesen sind. b. Auch auf der Straße wirken, aufgrund der zunehmenden Verregelung des öffentlichen Raumes und dem Mangel an öffentlich zu-gänglichem Gelände, Ausgrenzungsmecha-nismen. Hinzu kommt, dass die vielfältigen individuellen Problemlagen der Jugend-lichen zu Aggressionen und Spannungen führten, die sich nicht selten in Form von gewaltbereitem und delinquentem Verhalten auf der Straße entladen. Da die daraus resul-tierenden Konflikte häufig in Strafanzeigen münden, führt diese Negativdynamik nicht nur zu schweren Belastungen des Gemein-wesens sondern auch zur Stigmatisierung und Kriminalisierung der Jugendlichen.

4. die „Kommstruktur“ hat häufig zur Folge, dass die Einrichtungsmitarbeiter lediglich ihr Haus im Blick haben. Die Problemlagen und Erfordernisse des Sozialraums werden nicht oder nur unzureichend wahrgenommen. Konzepte und Angebote sowie personelle, fachliche und räumliche Ressourcen der Ein-richtung orientieren sich deshalb nur selten am Bedarf des Sozialraums.

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5. Um Planungs- und Gestaltungsprozesse besser auf den Bedarf aller im Kiez lebenden Jugendlichen abstimmen zu können, ist die Vernetzung und Kooperation jugendrelevan-ter Projekte und Einrichtungen im Sozialraum unerlässlich.

Welche Konsequenzen wurden daraus für die Outreach - Jugendeinrichtungen gezogen?

1. Die Nutzungsmöglichkeiten und Angebo-te der Outreach-Einrichtungen richten sich in der Regel nicht an alle Jugendliche des Quartiers, sondern an diejenigen die aus un-terschiedlichen Gründen von den herkömm-lichen Einrichtungen und Angeboten der Jugendhilfe nicht oder kaum mehr erreicht werden bzw. dort Hausverbot haben und ihre Freizeit hauptsächlich auf der Straße bzw. im öffentlichen Raum verbringen.

2. Die Outreach-Einrichtungen orientieren die räumliche und personelle Ausstattung sowie die Angebote und Hilfen vorwiegend am Un-terstützungsbedarf der Zielgruppe.

3. Um sowohl dem Bedarf der Jugendlichen nach niedrigschwelligen Räumen zu ent-sprechen als auch die Erreichbarkeit der Ju-gendlichen durch die regelmäßige Präsenz

im Sozialraum zu gewährleisten, haben wir die beiden Arbeitsansätze, hinausreichen-de/aufsuchende Jugendarbeit und stationäre Jugendarbeit miteinander verzahnt. So ist in allen Outreach-Einrichtungen, vom kleinen Stadtteilladen bis zum mittelgroßen (ca. 300 qm) Jugendclub, die hinausreichende Jugend-arbeit ein integraler Bestandteil des

Outreach-Arbeitsansatzes.

4. Die Outreach- Einrichtungen sind in sozial-räumliche Netzwerke eingebunden.

Und was bedeutet das alles für die Jugendarbeit im Verband für sozial-kulturelle Arbeit?

Den Slogan „Verband für sozial kulturelle Arbeit- „OF-FEN FÜR ALLE“ ernst zu nehmen, bedeutet, dass wir uns mit unseren Angeboten der Jugendarbeit an alle Jugendlichen in den jeweiligen Sozialräumen und damit auch an die schwierigen Zielgruppen wenden. Schließlich haben auch diese Jugendlichen einen gesetzlich verbrieften (§1,11, 13 KJHG ) Anspruch auf Förderung und Unterstützung. Dieses Recht kann m. E. nur umgesetzt werden, wenn im sozialräumlichen Kontext Angebote (stationäre und mobile) vorhanden sind, die sich gezielt an die ansonsten ausgegrenzten Jugendlichen wenden. Nach unseren Erfahrungen lässt sich dies in kleinen, dezentralen Einrichtungen am besten realisieren.

Froben 27 - Villa EigensinnHaus der Möglichkeiten

Pädagogisches Konzept

Mit dem folgenden Konzept hat sich der Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Landesgruppe Berlin, erfolgreich um die Trägerschaft einer bislang kommunalen (bezirklichen) Jugendfreizeiteinrich-tung beworben. Der Verband sieht sich dabei als Brücke zwischen seiner örtlichen Mitgliedsein-richtung Kiezoase und der mobilen Jugend- und Kinderarbeit von Outreach, die einen Schwer-punkt in der betreffenden Region (Schöneberg-Nord) hat.Bei der Entwicklung des Konzeptes ging es uns zum einen darum, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie angesichts der zunehmenden Bedeutung von (Ganztags-)Schule im Tagesablauf von Kindern und Jugendlichen die Jugend(freizeit)arbeit durch Konzentration auf die verbleibenden Freizeitanteile zukunftssicher gemacht werden kann. Zum andern wollten wir eine Mehrfachnut-zung der Raumressourcen erreichen, ohne die legitimen Nutzungsrechte von Kindern und Jugend-lichen zu beschneiden.Zum 1.01.2010 wird der Verband die Trägerschaft der Einrichtung übernehmen und das Konzept einem gründlichen Realitätstest unterziehen.

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Der Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Landesgruppe Berlin e.V., bewirbt sich um die Trägerschaft der Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung in der Frobenstr. 27. Er tut dies in seiner Doppelfunktion als Dachverband sei-ner Mitgliedsorganisation Kiezoase Schöneberg und als Träger des Projektes Outreach / Mobile Jugendar-beit. Damit ist die Absicht verbunden, die Einrichtung Frobenstr. 27 mit einem integrierten Konzept zu nut-zen, das Schnittstellen zu den sozialräumlich benach-barten Arbeitsfeldern bzw. Einrichtungen der Kiezoase (Familientreffpunkt Kurmärkische Str., Nachbarschafts-treff Steinmetzstraße, Schulbezogene Sozialarbeit und Ganztagsbetreuung Neumark-GS, Fresh 30) und zum Bereich der mobilen Jugendarbeit von Outreach im Schöneberger Norden (im Kulmer Kiez und im Bülow Kiez) sowie zur mobilen Kinderarbeit im Steinmetz Kiez hat.

Damit wird eine Kooperation weiter entwickelt, die sich in einer guten Mischung von abgestimmter Ar-beitsteilung und gemeinsamer Projektdurchführung gerade in dieser Region über Jahre entwickelt hat.

Grundidee des Nutzungskonzeptes ist die eindeutige Schwerpunktsetzung in der ortsgebundenen, aber Sozialraum orientierten Kinder- und Jugendarbeit bei gleichzeitiger Nutzung der Raumressourcen für wei-tere Bedarfe im Stadtteil, die vorzugsweise von den Akteuren des Mehrgenerationenhaus-Verbundes der Kiezoase und der mobilen Kinder- und Jugendarbeit von Outreach angemeldet und mit gestaltet werden: Kinder und Jugendliche aus der Frobenstr. 27 laden ge-wissermaßen andere zur Mitnutzung ein, stellen aber (mit moderierender pädagogischer Begleitung) ihre eigenen Nutzungsinteressen legitimerweise in den Mittelpunkt. Das drückt sich auch in (zu schaffenden) Leitungsstrukturen aus, in denen starke Mitwirkungs-rechte von Kindern und (insbesondere) Jugendlichen verankert werden.

Wir gehen davon aus, dass die außerschulische Ju-gendarbeit perspektivisch vor einem Funktionswan-del steht, der mit der stetig wachsenden Bedeutung des Schulbereiches einhergeht, der einen zeitlich immer größeren Anteil der Lebensgestaltung von Kin-dern und Jugendlichen beansprucht. Das Nutzungs-konzept für die Frobenstr. 27 trägt dem in doppelter Weise Rechnung, einmal indem von vornherein die KERNZEITEN für die Kinder- und Jugendarbeit (insbe-sondere den „offenen Bereich“) in die Zeiten außer-halb der Ganztagsschulzeit verlegt werden (späterer Nachmittag, früher Abend, Wochenende, Ferien) und dann, indem für die Übergangszeit, in der das Ganz-tagsschulangebot noch nicht für alle Kinder gilt, eine Angebotsschiene am frühen Nachmittag geschaffen wird, die sich gezielt an die Kinder richtet, die vom Ganztagsschulangebot nicht erfasst sind. Auch diesen Kindern wird auf diese Weise die Chance gegeben, sich in einem guten Mix von Freizeit und Bildung (Hausaufgabenbetreuung, Gruppenaktivitäten, Pro-jektarbeit) persönlich weiter zu entwickeln.

Das Nutzungskonzept sieht klar (auch zeitlich) von-einander abgegrenzte Module vor, deren genauere Struktur zwischen dem pädagogischen Team und den Nutzer/inne/n gemeinsam entwickelt wird. Als Vor-gabe des Trägers können folgende Ausgangspunkte gelten:

• Vormittags von 9-13 Uhr steht das Haus für familienbezogene Angebote zur Verfügung. Aus dem dreiköpfigen pädagogischen Team betreute ein/e Mitarbeiter/in speziell diesen Bereich – in enger Kooperation mit dem Mehrgenerationenhaus-Netz der Kiezoase, die die Frobenstr. 27 während dieser Zeitschiene auch für selbst verantwortete Angebote nutzen kann.• Am frühen Nachmittag (14-16 Uhr) gibt es fünfmal in der Woche das gezielte Angebot für Schulkinder ohne Ganztagsschulbetreu- ung. Dies Angebot wird einen freiwilligen Charakter haben, aber doch eine gewisse Verbindlichkeit der Teilnahme abfordern (Anmeldung, kein „offener Betrieb“).• Die Zeit nach 16 Uhr steht für die Kinder- und Jugendarbeit (incl. „offener Bereich“) zur Verfügung. Voraussichtlich wird es eine tageweise Aufteilung in Kinder- (bis zum Al ter von 12 Jahren) und Jugendangebote (für 13-18jährige – bei Einbeziehung von Älteren, wenn diese eine verantwortliche Aufgabe, z.B. im Sinne von peer-helping über- nehmen: Tägliche stundenweise Aufteilun- gen haben sich in der Vergangenheit nicht bewährt.

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Ein Wochenplan könnte demnach z.B. so aussehen:

Montag 9-13 Uhr – Haus steht für Familienangebote zur Verfügung

14-16 Uhr – Schülergruppe

keine offene Kinder- und Jugendarbeit des Hauses, Möglichkeit der

Raumnutzung für Outreach-Kinder oder Jugendliche

Dienstag 9-13 Uhr – Haus steht für Familienangebote zur Verfügung

14-16 Uhr – Schülergruppe

16-20 Uhr – Kinderarbeit (offener Betrieb und Gruppenangebote)

Mittwoch 9-13 Uhr – Haus steht für Familienangebote zur Verfügung

14-16 Uhr – Schülergruppe

17-21 Uhr – Jugendarbeit (offener Betrieb und Gruppenangebote)

Donnerstag 9-13 Uhr – Haus steht für Familienangebote zur Verfügung

14-16 Uhr – Schülergruppe

16-20 Uhr – Kinderarbeit (offener Betrieb und Gruppenangebote)

Freitag 9-13 Uhr – Haus steht für Familienangebote zur Verfügung

14-16 Uhr – Schülergruppe

17-21 Uhr – Jugendarbeit (offener Betrieb und Gruppenangebote)

Samstag 14-18 Uhr – Familienangebote des Hauses

Sonntag 13-17 Uhr – Aktionstag für Jugendliche mit Angeboten innerhalb

und/oder außerhalb des Hauses

Das pädagogische Team soll aus drei Mitarbeiter/innen bestehen:

AG-Kosten

Leitung

Sozialarbeiter/in – Sozialpädagog/in, 28,75 WoStd. 30.000 Euro

(Bezahlung in Anlehnung an IVb BAT)

Mitarbeiter/in Kinder- und Familienarbeit (Erzieher/in), 28,75 WoStd. 27.000 Euro

(Bezahlung in Anlehnung an Vc BAT

Mitarbeiter/in Jugendarbeit (Erzieher/in), 28,75 WoStd. 27.000 Euro

(Bezahlung in Anlehnung an Vc BAT

Bei einem Leistungsvertrag über 100.000 Euro stehen dann für Honorare 6.000 Euro,

für Sachkosten 6.600 und für Verwaltungskosten 3.400 Euro (4 % der Personalkosten) zur Verfü-

gung.

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Essentials zum Konzept und zum Image der Einrichtung:

Grundsätzliches/Image:

• Das Haus soll nach außen ausstrahlen, dass es sich um eine Kinder- und Jugendeinrichtung handelt.• Es ist gewünscht, dass auch andere Nutzer das Haus für sich entdecken und beleben, aber es sollte nicht seine (originäre) Ausstrahlung als Haus für Kinder und Jugendliche verlieren.• In diesem Zusammenhang ist, insbesondere von den Jugendlichen, ein Ressourcenrealis- mus abzuverlangen, aber gleichzeitig darauf zu achten sie nicht zu überfordern.• Ein Punkt um dies umzusetzen und auch nach außen zu dokumentieren sind Öffnungs- zeiten, die sich an der freien Zeit der Jugendlichen (nach der Schule und an den Wochenenden) orientieren. • Wenn das Haus (in den ausgewiesenen Zeiten) nicht durch Jugendarbeit belegt ist, steht es anderen Nutzergruppen offen. • offensive Nutzung des Außengeländes (z.B. regelmäßiges Sportangebot)

Trägerkonstruktion:

• VskA ist Träger der Einrichtung und verant- wortlich für die konzeptionelle Ausgestaltung und für das Personal.• Outreach steht für mobile Jugendarbeit im Kiez (draußen und woanders), nutzt aber mit spezifischen Zielgruppen die Einrichtung und bietet eine hinausreichende Arbeit speziell für die Frobenstr. 27 an. Der bisherige Stützpunkt/Büro von Outreach in der Mansteinstraße kann zu Gunsten eines Büros in der Froben 27 perspektivisch aufge geben werden.• Die Kiezoase übernimmt Teilbereiche des Programms (Mehrgenerationenarbeit/ Familienarbeit/Nachbarschaftsarbeit) Die Programmgestaltung und die Organisati- on wird in gleichberechtigter Kooperation zwischen den beteiligten Partnern organisiert. Entsprechende Instrumente werden entwickelt.

Nutzer/Zielgruppen:

Zielgruppe der Villa Eigensinn sind Kinder- und Ju-gendliche aus dem Einzugsgebiet Schöneberger Nor-den unabhängig von Geschlecht, Lebenslagen oder

ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten im Alter von 6 bis 18 Jahren. Ältere Jugendliche (bis 21 Jahren) können die Beratungsangebote im Haus in Anspruch nehmen und sich bei entsprechender Eignung ehren-amtlich im Haus engagieren und die MitarbeiterInnen bei ihrer Arbeit unterstützen. Im einzelnen sind folgende Nutzergruppen vorstell-bar:

1) Kinder

a) Kinder, die durch ein offenes Angebot angesprochen werden und selbstständig die Einrichtung aufsuchen.

b)Kinder, die durch mobile soziale Arbeit im öffentlichen Raum angesprochen werden.c) Kindergruppen, die das „Besondere“ erleben wollen (z.B. in Form von Projektwochen oder Schülergruppe als Übergangsangebot ).

2) Jugendliche

d) Jugendliche, die durch ein offenes Angebot angesprochen werden. e) Jugendliche, die durch die mobile Jugendarbeit angesprochen werden und andere Gesellungsformen, als die auf der Straße üblichen, erproben wollen.f ) Jugendliche, die sich in Interessengruppen organisieren können, oder Interessengruppen, die dort aufgebaut werden.g) Aktive Jugendliche, wie etwa die peerhelper/ Leuchttürme, die einen Raum/Büro zur Verfügung haben. (Jugendbüro).

Den aktiven Jugendlichen wird ein exponierter Platz in der Programmplanung und Hausnutzung zuge-standen (z.B. Bildung eines Leitungsteams mit Ju-gendlichen, Schlüsselgewalt, eigener Etat…)Transparente Raumvergabe (Homepage).

3) Darüberhinaus sollen auch andere Nutzergruppen angesprochen werden• Eltern aus dem Kiez bzw. Eltern der Kinder, die die Einrichtung nutzen• Nachbarn• Familien aus dem Kiez• Schüler, der umliegenden Schulen

Wichtig ist allerdings, dass das Haus nicht von vorn-herein „zugeplant“ wird, sondern dass es Freiräume gibt, um Neues zu probieren. Reale Aneignung und Partizipation sollen möglich sein.

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Die Kinder- und Jugendeinrichtung „Villa Eigensinn“ soll ein Ort sein, an dem sich Jugendliche aus dem Sozialraum mit Gleichaltrigen treffen und gemeinsam ihre Freizeit verbringen können. Die Einrichtung soll allerdings auch als ein Bildungs- und Erlebnisraum ge-staltet werden, der Bildung im Sinne von Lebenskom-petenz vermittelt, zur Kommunikation und Kreativität anregt, und in dem eine Atmosphäre gegenseitiger Wertschätzung unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Weltanschauung herrscht. Um dies zu gewähr-leisten, müssen Strukturen geschaffen und vor allem durchgesetzt werden, im Rahmen derer sich die Mit-arbeiterInnen und die Jugendlichen auf gemeinsame Regeln im Umgang miteinander auf der Grundlage von Gerechtigkeit, Toleranz, Respekt und Gewaltfrei-heit verständigen. Auch in diesem Sinne ist es wichtig, dass unterschiedlichste Nutzergruppen das Haus fre-quentieren können.

Diese „Gegenwelt“ zum relativ rauen „Straßenalltag“ muss mit ihren Angeboten so attraktiv sein, dass sich die Kinder- und Jugendlichen zum aktiven Mitgestal-ten und zur Verantwortungsübernahme eingeladen fühlen. Es müssen Angebote sein, in denen die Ju-gendlichen:• ihre Kompetenzen und Stärken einbringen und positive Erfahrungen mit sich und anderen machen können• Wege kennen lernen, ihre Energien auf konstruktive und kreative Weise zum Aus- druck zu bringen• alternative Auseinandersetzungsmöglich- keiten erlernen• lernen, sich mit Gleichaltrigen auf eine positive Art und Weise zu messen• ihre individuelle Lebenssituation verbessern können

Raumnutzung und Angebote

Folgende Angebote sind in den zur Verfügung ste-henden Räumlichkeiten z.Zt. angedacht. Für eine Detailplanung werden aber die Wünsche der Nutze-rinnen und Nutzer zu berücksichtigen sein. Cafébereich/offener Bereich

• Aufbau eines selbstorganisierten Jugendcafés• Ruhigere Angebote wie Brett- und Karten- spiele

Wohnküche

• Zubereitung von Getränken und Snacks für den Cafébetrieb• Selbstorganisierte Kochgruppe• Ernährungs- und Kochkurse

Büro und Beratungsraum, Outreachbüro

• Einzelfall- und Gruppengespräche• Beratungsangebote• Gespräche mit Eltern, Lehrern, Kooperationspartnern• Mitarbeiterbesprechung• Bürotätigkeiten

Multifunktionaler Gruppenraum

• themen- und geschlechtsspezifische Projektangebote• halboffene Gruppenangebote • Gesprächsrunden• Rückzugsraum• Internet• Angebote zur Berufsorientierung und Berufsfindung (Bewerbungen Internetrecherche etc.)• Aufbau und Pflege einer Einrichtungs-Homepage

Saal

• Mit dem „Spiegelsaal“ gibt es einen Ort, wo auch jugendkulturelle Angebote wie Musik, Tanz, Theater und andere Kunstformen sowie Partys stattfinden können.

Außengelände

• Sportangebote im Bereich Beachvolleyball, Fußball, Streetball, • Grillfeste• Regelmäßige Nutzung des Außengeländes durch andere Einrichtungen und Institutionen sowie durch ehrenamtliche Akteure des Kiezes

Hinausreichende Jugendarbeit

Die hinausreichende und mobile Jugendarbeit wird in der Kinder- und Jugendeinrichtung Villa Eigensinn ein integraler Bestandteil sein. Die regelmäßige Präsenz im Sozialraum (Kiezrundgänge, Aufsuchen problema-tischer Treffpunkte und Aufenthaltsorte) wird sowohl die Einbettung in den Kiez erhöhen, als auch das Angebot bekannt machen und neue Kooperations-partner gewinnen. Die hinausreichende und mobile Jugendarbeit wird:

• bereits bestehende Beziehungen zu Kindern- und Jugendlichen, die die Einrichtung nicht aufsuchen wollen oder die sich aufgrund ihres Verhaltens als noch nicht integrierbar erweisen, stabilisieren;• Kontakte zu neuen Jugendlichen und

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Gruppen im Sozialraum aufbauen;• über Angebote und Aktivitäten in und außerhalb der Kinder- und Jugendeinrichtung informieren;• mögliche Konflikt- und Krisensituationen im Sozialraum rechtzeitig erkennen und intervenieren;• Kontakte zu Eltern, Anwohnern, Gewerbetreibenden und anderen Einrichtungen und Institutionen im Sozialraum pflegen;• die Gesamtsituation im Sozialraum einschätzen und darüber informieren können. Zusammenarbeit und Kooperation

Die durchgängige Sozialraumorientierung im Ar-beitsansatz von Outreach gewährleistet eine gute Einbettung der Kinder- und Jugendeinrichtung in die soziale Infrastruktur des Kiezes. Durch die Zusammen-arbeit mit dem Quartiersmanagement, den Kiez-AGs und anderen Akteuren im Sozialraum lassen sich auch weiterhin Schnittmengen ausmachen, Doppelbetreu-ungen vermeiden und eine optimale Ressourcennut-zung im Sozialraum organisieren. Neben der Intensi-vierung der Zusammenarbeit mit den anderen Kin-der- und Jugendeinrichtungen sowie den Schulen im Sozialraum kommt es nach unserem Verständnis von Sozialraumorientierung allerdings auch darauf an, Be-wohnerInnen zu aktivieren und sie in Gestaltungspro-zesse einzubeziehen. Eine effektive Vernetzung muss daher den Bereich der Jugendarbeit überschreiten und auch andere relevante lokale Akteure (z. B. Ge-werbetreibende, Kulturschaffende, Eltern, Nachbarn) einbeziehen. Diese Art der Vernetzung dient auch der Etablierung einer positiven sozialen Kontrolle, die we-niger an Reglementierung interessiert ist, sondern der Kultur des Wegsehens eine Kultur des Sichkümmerns entgegensetzt. Die neue Kinder- und Jugendeinrich-tung bietet für die Gestaltung dieses Prozesses, auch aufgrund ihrer attraktiven Nutzungsmöglichkeiten für das Gemeinwesen, gute Voraussetzungen.

Evaluation und Qualitätssicherung

Das Team wird die laufende Arbeit reflektieren und gegebenenfalls das Konzept dem veränderten Bedarf der BesucherInnen oder des Sozialraums anpassen. Zur Evaluation und Qualitätssicherung stehen folgen-de Instrumentarien zur Verfügung:• Selbstevaluation anhand des Handbuches „Qualitätsmanagement der Berliner Jugendfreizeitstätten“• Anwendung der Methoden der sozialräumlichen Lebensweltanalyse • Regelmäßige Erhebungen zur Nutzung der Angebote im Rahmen der Selbstevaluation • BesucherInnenbefragungen• Wöchentliche Teamsitzung • Regelmäßige Auswertungsgespräche mit dem Jugendamt • Arbeitszeit-Einsatzplan• Schriftlicher Jahresbericht und Jahresplanung• Jahresauswertung mit der regionalen Leitung Schöneberg Nord des Jugendamt

Perspektiven der Kooperation zwischen Mehrgene-rationenhaus Kiezoase /Familientreffpunkt Kurmär-kische Str. und Froben27.

Hier wird der weite Horizont der möglichen Angebote abgesteckt, die zur Realisierung mit den vorhandenen Ressourcen (räumlich und finanziell) abgeglichen und mit den potentiellen Nutzer/innen gemeinsam ent-wickelt werden müssen. Die besondere Herausforde-rung besteht darin, den Kindern und Jugendlichen in ihrer „Gastgeberrolle“ ein anderes Verhältnis zur Gene-ration ihrer Eltern und zu ihren tatsächlichen Eltern zu ermöglichen, die ihnen viel zu oft als nicht zu hinter-fragender Macht- und Rechthaber gegenüber treten. Das wird kein Selbstläufer sein. Es bedarf der Vermitt-lung. Brücken sollen dadurch geschlagen werden, dass es eine intensive und regelmäßige Zusammenar-beit auf Teamebene mit dem Familientreffpunkt und dem Haus der Kinder geben wird. Mindestens einmal im Monat wird es ein „Gesamtteam“ geben, in dem die Mitarbeiter/innen der Froben27 mit Kolleg/inn/en von Outreach, der Kiezoase und des Hauses der Kinder zusammen treffen. Zu dieser „Gesamt-Team-Runde“ werden auch Delegierte der Mitbestimmungsgremien der Jugendlichen eingeladen.Dabei kann es z.B. um Folgendes gehen:

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Schwerpunkt Väterarbeit:

• Ausbau der Zusammenarbeit mit Vätern• Gewinnung der Väter als Multiplikatoren in der Nachbarschaftsarbeit (z.B. für sportliche Aktivitäten auf dem Spielplatz und der Freifläche Froben 27)• Väter können als Autoritäten wichtige Multiplikatoren sein, wenn es um Themen wie Sicherheit/Gewalt im Kiez geht• Zusammenarbeit mit den Vätern im Kontext der intensiven Nachhilfe für Kinder (Sensibilisierung für die Bildungsbelange der Kinder)• Wir stellen fest, dass es gerade Kindern/Jugendlichen mit Migrationshintergrund eher an feedback gerade von ihren Vätern mangelt, da diese ihnen als Autorität/Identifikationsfigur häufig über die Pubertät abhanden kommen• Väter haben sich häufig aus den Familien zurück gezogen aus Verunsicherung über ihre Rolle, wenn sie – arbeitslos und ohnmächtig bezüglich der Perspektive ihrer Familie (Aufenthalt und wirtschaftliche Lage) - als „Ernährer“ ausfallen• Treffpunkt der Väter (Väterfrühstück, Vätergruppe) bleibt der Familientreffpunkt in deutlicher Abgrenzung vom Kinder- und Jugendtreff gegenüber, der insbesondere an den Nachmittagen den Kindern und Jugendlichen vorbehalten bleibt• An den Vormittagen können im Froben 27 Angebote der Qualifizierung (an den PC-Plätzen) und Beratung für Väter sowie Bewegungsangebote (im großen Raum) stattfinden (aus der Erfahrung heraus, dass es einen großen Bedarf nach Einzelunterstützung gibt und außerdem häufig über körperliche Beschwerden geklagt wird• Analog zur Zusammenarbeit mit den Müttern, die in den letzten Jahren verstärkt an Qualifizierungen bezüglich Bildungssystem und Bildungskonzepten teilgenommen haben, wollen wir auch die Väter einbeziehen• Für die Kinder im Alter bis ca. 12/13 Jahren können gemeinsame Aktivitäten mit Vätern initiiert werden (gute Erfahrungen gibt es mit Schwimmen, Sport, Naturaktivitäten und Ausflügen)

Ziele in der Arbeit mit den Vätern

• Väter nehmen ihre Verantwortung als Partner und in der Erziehung der Kinder innerhalb der Familien wahr• Sie werden sensibilisiert für die Belange und Situation ihrer Kinder in verschiedenen Altersstufen, was ihnen die Balanace zwischen Nähe und „Loslassen“ erleichtert• Väter erleben Selbstwirksamkeit und entwickeln Perspektiven für sich selbst (in der Hoffnung, dass sie dann auch eigene Perspektiven und Vorstellungen ihrer Frauen und Kinder besser nachvollziehen und akzeptieren können)• Väter werden selbstbewusst in ihrer Rolle und erleben sich als Ansprechpartner und Akteure in der Zusammenarbeit mit Pädagogen und in der Nachbarschaft

Ausbau der Kooperation zwischen Familientreffpunkt, Haus der Kinder und Froben 27

Dadurch Einbeziehung aller Altersgruppen in die sozialräumliche Arbeit im Frobenkiez.In der Zusammenarbeit mit allen im Folgenden genannten Zielgruppen soll es insbesondere um die Anregung von Selbstorganisation und Selbsthilfe gehen; entsprechend dem Early-Excellence Ansatz wird dabei an ihre Stär-ken und Ressourcen angeknüpft.

Die Einbeziehung der Eltern in die Aktivitäten in der Einrichtung Froben 27 schafft für jüngere Kinder und insbe-sondere für Mädchen einen leichteren Zugang, wenn die Eltern sie „gut aufgehoben“ wissen.Dabei ist zu beachten, dass gemeinsame Aktivitäten der verschiedenen Altersstufen möglich sind, aber auch eigene Bereiche – insbesondere für Kinder und Jugendliche bleiben müssen.Diese Abgrenzung der Räume muss von den pädagogischen Fachkräften sichergestellt werden.

Der folgende Text fasst erste Ergebnisse eines ‘Brainstorming’ mit dem Familientreffpunkt der Kiezoase zusammen. Es handelt sich (noch) nicht um eine konkrete Angebotsplanung

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Mögliche Kooperationen bei der Arbeit mit Vätern

• Voraussichtlich zum 01.11.09 wird für niedrigschwellige und aufsuchende Familienberatung im Familientreffpunkt ein männlicher Berater mit Migrationshintergrund eingestellt – dies wird ein wichtiger Ansprechpartner für die Väter bezüglich familiärer und erzieherischer Fragen• Sportvereine• Gertrud-Kolmar-Bibliothek/arabischer Sozialarbeiter• Zu Qualifizierung und Jobperspektiven: fair, Kumulus plus, Kick• Schulen (insbesondere Elternvertreter)

Schwerpunkt Gesundheit im Kiez

• im Verlauf einer seit 2 Jahren stattfindenden Evaluation der gesundheitsrelevanten Rolle der Arbeit im Familientreffpunkt für die Familien (Projekt „Gesundheit beginnt in der Familie“ des DJI mit der Uni Hamburg) stellte sich heraus, dass es einen großen Bedarf nach Bewegungsan- geboten für Kinder und Eltern gibt• da bildungsungewohnte Familien jedoch kaum klassische Angebote wie Eltern-Kind-Turnen oder Sportvereine wahrnehmen, wollen wir entsprechende Angebote im Netzwerk von Familientreffpunkt, Haus der Kinder und Froben 27 installieren• denkbar wären zirkuspädagogische Workshops durch den Juxirkus, Eltern-Kind-Turnen mit Kleinkindern und Bewegungsangebote auf dem Spielplatz• für den großen Raum wäre auch über die Wintermonate an Vormittagen ein Indoor-Spielplatz für Eltern mit kleinen Kindern vor Eintritt in die Kita denkbar (ein Bedarf wird immer wieder von Eltern und Pädagogen im Schöneberger Norden formuliert)• gerade beim Fußball könnten auch Väter eingebunden werden, die bereits in der Vergangen- heit die Organisation von Turnieren mit verschiedenen Schulmannschaften im Schöneberger Norden unterstützt haben (vielleicht kann auch eine Väter-Mannschaft entstehen)• hier könnte eine Kooperation mit „Gesundheit Berlin“ angestrebt werden, die Bewegungsangebote bereits in anderen Stadtbezirken unterstützen (z.B. im Familienzentrum Mehringdamm)• Kooperation zum Thema gesunde Ernährung: Kochworkshops und Kurse für Eltern und Kinder in Verknüpfung mit diesem Schwerpunkt im Haus der Kinder (wo bereits Bio-Kost angeboten und mit Kindern gekocht wird) und mit den Garten-Projekten im MGH (Familiengarten am Nachbarschaftstreff Steinmetzstr. und Gemüsegarten/Hochbeet der Schülerinnen im Familientreffpunkt)• Die Außenfläche bietet die Möglichkeit, einen Garten in Verantwortung der Kinder und Eltern anzulegen; bereits jetzt gibt es dort ein Haus, das für Familien Bänke und Tische sowie Grillmöglichkeiten bereit hält• Die Arbeit am Familiengarten im Nachbarschaftstreff und im Familientreffpunkt hat die Entfremdung der Kinder von den entsprechenden Naturkreisläufen gezeigt• Die Eltern haben dabei ihre Erinnerungen an Gärten und Landwirtschaft in den Herkunftsländern wieder entdeckt und viele Ideen und Tatkraft beigesteuert• Die Gegebenheiten im Kiez lassen es sinnvoll erscheinen, die Themen, Sexualität und Prävention bezüglich HIV und anderer Krankheiten in die Arbeit mit Eltern, Kindern und Jugendlichen einzubeziehen hier gilt es großen Vorbehalten der muslimischen Eltern Rechnung zu tragen (die das Thema tabuisieren und auch in den Einrichtungen nicht mit den Kindern besprochen wissen wollen)

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Kooperationen für den Gesundheitsschwerpunkt

• Ärzt/innen, Therapeut/innen KJGD • Gesundheitsamt insgesamt, insbesondere Beratungsstelle für sexuell übertragbare Krankheiten• OLGA und Fixpunkt e.V., die vor Ort Angebote für Prostituierte machen• Gesundheit Berlin e.V.• Krankenkassen• Juxirkus

Ziele beim Gesundheitsschwerpunkt

• die Evaluation durch das DJI im Familientreffpunkt zeigte, dass Eltern die Erfordernisse für ein gesundes Aufwachsen ihrer Kinder durchaus bewusst sind (gesunde Ernährung, Zahnpflege, Bewegung), es mangelt an der Umsetzung• es sollen Gelegenheiten geschaffen werden, dass Eltern selbst verantwortlich und lustvoll das Thema Gesundheit in ihren Alltag integrieren• dafür eignen sich der große Raum und die Außenfläche sowie die Küche der Einrichtung Froben 27• da im MGH alle Altersgruppen vertreten sind, können die gesundheitsrelevanten Themen vernetzt mit Eltern, Großeltern, Kindern und Jugendlichen der unterschiedlichen Altersstufen angegangen werden (in der Kita, im Familientreffpunkt und in der Kinder- und Jugendeinrichtung)• gerade die Auseinandersetzung mit der Prostitution zum Anlass zu nehmen, um das Thema Sexualität einzubeziehen wäre an dieser Stelle im Kiez ein wesentlicher Meilenstein in der sozialräumlichen Arbeit (auch, weil es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und den Prostituierten kommt)

Schwerpunkt schulische Unterstützung von Grundschüler/innen und am Übergang zwischen Grund- und Oberschule

• da die schulische Unterstützung bei Hausaufgaben sowie individuelle Förderung bei besonderem Bedarf für Grundschüler außerhalb der gebundenen Ganztagsgrundschu- len nicht in ausreichendem Maße an der Schulen geleistet wird, besteht nach wie vor in diesem Bereich ein sehr großer Bedarf, der Eltern in großer Zahl den Familientreffpunkt aufsuchen lässt . Dieses Übergangsangebot ist voraussichtlich noch für weitere 2 Jahre erforderlich.

• hier sollte es Unterstützung in der Einrichtung Froben 27 in der Zeit von 14.00 – 16.00 geben (bevor es wegen offener Angebote zu unruhig im Haus wird)• die Unterstützung muss in enger Abstimmung mit den Lehrer/innen und Eltern erfolgen, um beide Seiten in ihrer Verantwortung zu stärken• die Einbindung dieses Bereiches erleichtert auch die Integration der Kinder in den offenen Bereich und sonstige Aktivitäten in der Kinder- und Jugendeinrichtung, die vom Familientreffpunkt aus bisher nur wenig gelungen ist• gerade für die Kinder mit besonderem schulischem Förderbedarf ist aber die Verbindung mit offenen Angeboten, Spiel und Bewegung sehr wichtig

Ziele:• Verbesserung der schulischen Perspektiven der Kinder und damit Entlastung der Familien, in denen dieses Thema sehr viel Konfliktstoff liefert• Eltern kennen sich besser in den Bildungsbelangen der Kinder aus und unterstützen selbst im Rahmen ihrer Möglichkeiten• Lehrer/innen bekommen zusätzliches feedback über die individuellen Bedürfnisse und Lebensumstände der Kinder/Familien• Vermittlung zwischen Kindern, Eltern und Lehrer/innen im Bedarfsfall• Einbindung der Familienberatung bzw. Überleitung dort hin (Familientreffpunkt/PFH)

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Vom Spielen zum HandelnStadtspieler ist das Trainingsspiel für Stadtentwicklung und Kreativität

Stiftung Agens e.V. (vorm. Netzwerk Südost)

stadtspieler lädt Sie ein, Städte im Spiel neu zu erleben.Als Werkzeug für Stadtentwicklung, Bildung, Wirtschaft und Nachbarschaft.stadtspieler lädt Sie ein, spielend neue Perspektiven zu entdecken. Als Werkzeug für Kreativität, Kommunikation und Phantasie.stadtspieler ist ein Trainingsspiel für das echte Leben. Als Werkzeug für Laien und für Profis – für alle, die auf Augenhöhe miteinander reden möchten.

Komm ins Spiel

stadtspieler ist ein strategisches Brettspiel fürvier bis sechs Personen. Es wird auf einem fiktivenStadtplan als Spielfeld gespielt. Auf ihm sollen dieSpieler eine Stadt frei nach Ihren Wünschen, Ideenund Vorstellungen bauen – aus Knete werden Ideen zu Bauwerken oder Figuren geformt.

stadtspieler schlüpfen dabei in verschiedene Rollen.Mal bauen sie als Investor ein Gebäude, mal besu-chen sie als Bewohner einen Nachbarn, mal beschreiben sie als Stadtplaner die Situation. Die Spieler bauen, erfinden Geschichten und setzen sich mit den Vorschlägen der Mit-spieler auseinander. Ein Spieler beobachtet das Spiel.

stadtspieler verläuft in vier Phasen: In Phase 1machen sich die Spieler mit den Vorgaben des Spiels ver-traut und jeder Spieler baut eine erste Figur oder ein Ge-bäude. Die 2. Phase ist die längste: Jetzt wird abwechselnd gebaut, besucht und berichtet. Stück für Stück wächst auf dem Stadtplan eine Stadt. In der 3. Phase betrachten alle die entstandene Stadt mit Abstand: Welches ist das Gebäu-de mit dem größten Zukunftspotenzial? Am Ende der 4. Phase wird der Meisterspieler gewählt. Die Gruppe beendet das Spiel – und diskutiert mit den Aufzeichnungen des Spielbeobachters das Erlebte und die Ideen.

Kooperationen• Bildungsnetzwerk Schöneberg Nord• Grundschulen im Schöneberger Norden• Projekt „Hauptsache Schule“ (Jugendwohnen in Koop. mit PFH/Kiezoase) an der Spreewald- und Neumark-Grundschule• Perspektivisch sollten auch Oberschulen im Gebiet einbezogen werden

Die beschriebenen Schwerpunkte bedeuten nicht, dass Mütter ausgeklammert werden. Da mit ihnen bereits seit Jahren an vielen Standorten intensiv zusammen gearbeitet wird, wurden hier die Bereiche beschrieben, wo es noch besonderen Entwicklungsbedarf gibt. Insgesamt wird es natürlich vielschichtige Querverbindungen zwischen allen Bereichen von der Frühförderung von Kleinkindern, über die Partizipation von Kindern und Jugendlichen, die Zu-sammenarbeit mit Eltern bis zur sozialräumlichen Vernetzung geben.

Über den Spass ins Spiel finden:

stadtspieler eröffnet neue Perspektiven.Das Spiel bietet Platz für unterschiedlichste Interessen, lässt Ideen entstehen, fördert Teambildung und schafft intensi-ven Austausch zwischen allen Beteiligten.

stadtspieler lädt zum Lernen durch den Spaß amSpiel ein. Das Spiel zielt darauf ab, den einzelnen Spieler kompetenter zu machen. Dabei gehtes weniger um Sieg oder Niederlage, sonderndarum gewinnbringend an Entwicklungs- undVeränderungsprozessen teilzunehmen.

stadtspieler produziert Ideen. Die Mitspieler bauen ge-meinsam eine Stadt und entwickeln dabei Ideen für Gebäu-de und für die Nutzungen von Flächen.

stadtspieler kann jeder sein. Bewohner eines Stadtteils, Nachbar in einem Straßenzug, das Projektteam eines Unter-nehmens, eine Schulklasse sowie Moderatoren und Planer in einem Stadtentwicklungsprozess.

Mach dein eigenes Spiel

stadtspieler besitzt als methodisches Instrumentbesondere Vorteile gegenüber anderen Formen:

Das neueste Produkt aus der Schmiede der Spiele-Entwickler vom (ehem.) Netzwerk Südost entwickelt die Grundideen weiter, die im „Leipziger Messespiel“, in „Alles Dresden“, im „Stadtspiel“ und im „Dorfspiel“ ange-legt waren. Es geht um die Freisetzung von kreativen und schöpferischen Potentialen für beteiligungsorien-tierte Planungsprozesse. Die Entwicklung des neuen Spiels wurde vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung als Pilotprojekt im Programm der “Nationalen Stadtentwicklungspolitik” unterstützt.

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2. Ideenentwicklung

Im Laufe des Spiels entwickeln die Mitspieler eine Vielzahl von Ideen – keine Spielrunde gleicht der anderen. Die Ideen können dokumentiert und für ein Weiterarbeiten ausgewählt werden. Wenn verschiedene Spielgruppen in getrennten Runden am gleichen Thema arbeiten, entsteht so ein umfassender Ideenpool.

3. Teambildung

Das Spiel ist ideal geeignet für Gruppen, die sich spie-lerisch, aber anhand eines ernsthaften Themas kennen lernen möchten. So kann das Spiel eingesetzt werden, um ein Team neu aufzubauen, aber auch um in bestehenden Teams neue Impulse für eine bessere Zusammenarbeit zu setzen. Auch für Teams, die Stadtentwicklungsprozesse inhaltlich bearbeiten möchten, ist das Spiel geeignet.

4. Einbindung in konkrete Projekte

Das Spiel kann sinnvoll in Projektabläufe integriertwerden. Hierfür eignen sich besonders gut die Anwen-dungsfelder Stadtentwicklung, Nachbarschaft,Bildung, Jugend und Schule sowie Wirtschaft. Das Spiel kann in verschiedene Phasen eines Projektes integriert werden:

1. Am Anfang um den Prozess der Gruppenbil- dung und das gegenseitige Kennenlernen voranzutreiben; zur Sensibilisierung für das zu bearbeitende Thema.

2. Während einer Planungsphase, um aktiv Interessenaustausch zu betreiben und Ideen zu entwickeln.

3. Bei der Konkretisierung und Qualifizierung von Ideen für einen bestimmten Ort, zum Beispiel für die Entwicklung von Leitbildern.

4. Bei der Umsetzung eigener selbsorganisierter Projekte, die mithilfe des Spiels entwickelt worden sind.

Es bietet einen geschützten Raum, um Interaktionzu üben und Inhalte zu klären. Außerdem kann esauf reale Situationen bezogen werden.

stadtspieler bringt Interessen und Ziele der Mitspieler auf den

Tisch. Teamgeist und Verantwortung werden gestärkt.

stadtspieler können sich ihre eigene Spielversionschaffen, indem sie die Spielplatte verändern odereigene Themen- und Ereigniskarten entwickeln.

stadtspieler ist für jeden geeignet und kann ohneprofessionelle Anleitung gespielt werden.

stadtspieler ist mobil einsetzbar zu jeder Zeit anjedem Ort.

stadtspieler kann als Brettspiel, aber auch alsGroßversion im öffentlichen Raum gespielt werden.

stadtspieler besitzt eine sinnlich greifbare Qualität.stadtspieler werden praktisch tätig, kommen insGespräch und sind ergebnisoffen.

Das Spiel im Einsatz

1. Training von Interaktion und Kreativität

Im Mittelpunkt des Spiels steht die Kompetenzentwick-lung des einzelnen Spielers. Der Spieler schlüpft in un-terschiedliche Rollen, lernt verschiedene Perspektiven kennen und ist gefordert Ideen zu entwickeln und diese den anderen Spielern zu ver-mitteln. Das Instrument des

Spiels bietet hierfür ideale Voraussetzungen, da es keine reale Situation, also nicht den Ernstfall darstellt. Es gibt Re-geln für den Ablauf des Spiels, aber nicht für die Ergebnisse. Die Spieler können ihrer Phantasie freien Lauf lassen – und ohne Bedenken kreative Ideen entwickeln, die in der Rea-lität schnell als „unrealisierbar“ gelten, aber vielleicht den notwendigen Impuls zum Weiterdenken liefern.

Das Spiel kann zum Preis von 59 Euro zzgl. 10 Euro Versandkosten bestellt werden bei:Netzwerk-Agens e.V. /Georg Pohl / Mittelweg 147 / 20148 [email protected] / Tel.: 0174 – 3217830(Auf den ersten Blick scheint das teuer zu sein, aber wenn man bedenkt, dass es methodisch vergleichbare Quali-täten hat wie „Zukunftswerkstätten“ und ähnliche Veranstaltungen, ist es im Gegenteil eine extrem kostengünsti-ge Investition!)

– weitere Infos zum Spiel auch unter www.stadtspieler.com -

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“Ein unmißverständlichesNEIN”

Hermann Stoehr* 4. 01.1898 Stettin / Szczecin

† 21.06.1940 Berlin-Plötzensee

Texte einer Ausstellung im Internationalen Begegnungszentrum Dietrich von Bonhöffer in Stettin/Szczecin (Herbst 2009)

Hermann Stöhr wurde am 4.1.1898 in Stettin geboren. Nach dem Gymnasium ging er als Kriegsfreiwilliger zur Marine. 1918 kam er erschüttert aus dem Krieg. Von 1919 bis 1922 studierte Stöhr Volkswirtschaft, öffentliches Recht und Sozi-alpolitk und promovierte zum Doktor der Staatswissenschaft cum laude.Ab 1923 arbeitete er bei der Zeitschrift „Die Eiche“, beim Internationalen Ver-söhnungsbund und bei der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost als Mit-arbeiter von Friedrich Siegmund-Schultze. Ab Mai 1926 war Stöhr tätig beim Centralausschuß für die Innere Mission und ehrenamtlich beim Versöhnungs-bund und in der Friedensarbeit. Dabei bemühte er sich immer, zu wichtigen Zeitfragen Stellung zu nehmen. So schrieb er u.a. verschiedene kritische Artikel zum Verhältnis zwischen Deutschen und Polen.1931 wurde er aufgrund seiner „polenfreundlichen“ und pazifistischen Haltung

arbeitslos. In der Folgezeit arbeitete Stöhr an mehreren Büchern und richtete kritische Anfragen an den Präsidenten des EOK und den Reichsbischof zur Anpassung der Kirche an die Forderungen der NSDAP sowie zur Verfolgung der Juden und Andersdenkenden. 1936 gründete er einen kleinen Verlag.Am 28.2.1939 erhielt Stöhr eine Aufforderung des Wehrbezirkskommandos Stettin. Am 2.3.1939 ver-weigerte Hermann Stöhr den Kriegsdienst, am 31.8.1939 Festnahme in Stettin, am 7.11 Überstellung nach Torgau, am 9.11.1940 Überführung in das Wehrmachtsgefängnis Berlin, am 16.3.1940 Verurteilung zum Tode. Am 8.6.1940 lehnte Hitler das Gnadengesuch ab. Am 21.6.1940 wurde Hermann Stöhr durch Enthaupten in Berlin-Plötzensee hingerichtet.Erst im Vorfeld des 100. Geburtstages von Hermann Stöhr gelang es der Friedenbibliothek, Mitarbei-tern/innen von Bündnis 90/Die Grünen und der BVV Berlin-Friedrichshain einen zentralen Platz nach ihm zu benennen, am 3.12.1997 das Unrechtsurteil gegen ihn aufheben zu lassen und schließlich zum 100.Geburtstag am 4.1.1998 einen über sieben Tonnen schweren Gedenkstein am Hermann-Stöhr-Platz beim Berliner Ostbahnhof aufzustellen.

Eine der Wurzeln der Nachbarschaftsheimbewegung in Deutschland ist die Soziale Arbeitsgemein-schaft Berlin-Ost (SAG), die von Friedrich Siegmund-Schultze kurz vor dem ersten Weltkrieg gegründet wurde. Die Soziale Arbeitsgemeinschaft wollte durch praktische soziale Reformen zur Überwindung von Klassengegensätzen und damit zum inneren Frieden des Landes beitragen. Sowohl Siegmund-Schultze als auch seine Mitstreiter aus der Sozialen Arbeitsgemeinschaft setzten sich ebenso konse-quent für den äußeren Frieden ein. Friedrich Siegmund-Schultze wurde Leiter des Versöhnungsbundes. Sein Mitarbeiter Hermann Stöhr bemühte sich vor allem um die Aussöhnung mit Polen. 1939 verwei-gerte er den Kriegsdienst in der Hitler-Armee, wurde verhaftet, zum Tode verurteilt und 1940 hingerich-tet. In Berlin erinnert ein Gedenkstein auf dem nach ihm benannten Platz am Berliner Ostbahnhof an diesen außerordentlich mutigen und konsequenten Vertreter eines besseren Deutschland. Der Verband für sozial-kulturelle Arbeit wollte mit dazu beitragen, dass Hermann Stöhr nicht vergessen wird, und hat sich deswegen in diesem Herbst an einer Ausstellung beteiligt, die aus Materialien des Berliner An-tikriegsmuseums/Friedensbibliothek zusammengestellt und im Bonhöffer-Haus in Stöhrs Heimatstadt Stettin unter dem Titel „Ein unmissverständliches NEIN“ gezeigt wurde. Wir dokumentieren hier einige der Texte aus dieser Ausstellung.

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Stettin, den 1.Mai 1933Herrn Rabbiner Dr. Elk, Stettin, Schallehnstr. 21 a

Sehr geehrter Herr Rabbiner !Namens einer kleinen Gruppe evangelischer Christen bringen wir Ihnen und der jüdischen Gemeinde Stettins unser Bedauern darüber zum Ausdruck, daß die Juden in dieser Stadt und im Reich seit dem Judenboykott vom 1.April und auch schon vorher einer feindseligen Haltung weiter Bevölkerungskreise ausgesetzt sind. Der Geist, der Ihnen entgegengetreten ist, entspricht weder rechtem deutschen Wesen noch „positivem Christentum“, das viele Deutsche auf ihre politschen Fahnen geschrieben haben. Es ist unchristlich, Volksgenossen jüdischer Abstammung zu Bürgern zweiter Klasse ... zu degradieren. ... Noch ärger ist es, Volksgenossen lediglich wegen ihrer jüdischen Abstammung zu Feinden des deutschen Vol-kes zu erklären ...In besonderer Teilnahme gedenken wir der wirtschaftlichen und seelischen Not, in die viele Juden durch diese Geschehnisse und zahlreiche Regierungsmaßnahmen geraten sind. ... So sehr uns auch politische und wirtschaftliche Parolen zu Haß und Feindschaft verführen wollen, erkennen wir es trotzdem als ein Gebot unseres gemeinsamen Vaters, daß zwischen Juden und Christen Verträglichkeit und Frieden, Freundschaft und Liebe herrschen.

Pastor O. Rincke, Fr. H. Chinnow, Dr. H. Stöhr, Scharnhorststr. 7

Zu unseren östlichen Nachbarn haben wir weiterhin noch kein rechtes Verhältnis gewonnen. ...Ungesühnt ist der große deutsche Schuldanteil an den vier Teilungen Polens. ... für diese Schuld hat weder die Kirche noch unser Volk Buße getan.

Hermann Stöhr in der Zeitschrift „Mut und Kraft“, 1929

Wir bitten auch für alle, die gegenwärtig benachteiligt und verfolgt werden, gleicherweise, ob sie im Irr-tum und Unrecht befangen sind oder nicht, ob es sich um Kommunisten, Sozialisten oderPazifisten, um Christen oder Juden handelt. Besonders gedenken wir der 18.000 Volksgenossen, die nach einer amtlichen Mitteillung vom Juni 1933 in Konzentrationslagern des Deutschen Reiches leben.

Teil des Gebetsanliegens, das Hermann Stöhr an den Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrates sandte, 31.7.1933.

Wenn die herrschende Partei die Kinder ihren Eltern mit Gewalt entfremden will, kann da die Kircheschweigen?

Hermann Stöhr in einem Brief an den Reichsbischof, 6.11.1933

Lediglich in einem Falle wurde gegen eine Zeitschrift ...wegen der Veröffentlichung des Artikels von Dr. Hermann Stöhr ... „Die Judenfrage als kirchliches Problem“ mit der Beschlagnahme vorgegangen. Es han-

Er hieß bei uns einfach Onkel Hermann, und wir mochten ihn sehr. Er war ein Onkel, der es mit Kindern konnte. Er hatte viel Humor, er konnte gut erzählen. ... Jedesmal, wenn er uns besuchte, brachte er seinen Fotoapparat mit. Ein großer alter Plattenapparat auf einem Stativ.Und ein großes schwarzes Tuch darüber. Und dahinter war er und sagte: „Jetzt ein bißchen mehr rechts, ein bißchen mehr links, und hier, die Forsythien sollen auch noch mit darauf,“ und dann: „Kuckuck ...!“ und das Foto kam. Er hat sehr schöne Fotos gemacht. ... Die Fotos schickte er uns dann später, für jedes Kind diejeni-gen Fotos, die er von ihm gemacht hatte, extra ...Onkel Hermann war nicht nur ein sehr guter, naher Freund der Eltern, er war auch der Freundvon uns Kindern. Wir mochten ihn sehr, denn er gehörte zu jenen Besuchern, die sich Zeit fürKinder nehmen. Er hatte eine stille und gute, behutsame und zugleich humorvolle Art, mit uns umzugehen und uns für alles Mögliche zu interessieren...

Dr. Hildemarie Streich, geb. Peter, am 4.1.1998 bei der Einweihung eines Gedenksteines für Hermann Stöhr am Hermann Stöhr-Platz in Berlin

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delt sich hierbei um eine Abhandlung, in der ... die vom Reich und der nationalsozialistischen Bewegung ver-tretene Judenpolitik in außerordentlich scharfer Weise kritisiert und angegriffen wird. ...

Lagebericht der Staatspolizeistelle Düsseldorf zum Monat März 1935 an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin

Den Dienst mit der Waffe muß ich aus Gewissensgründen ablehnen. Mir wie meinem Volk sagt Christus:„Wer das Schwert nimmt, soll durchs Schwert umkommen.“ (Matth. 26,53). So halte ich die Waffenrüstung meines Volkes nicht für einen Schutz, sondern für eine Gefahr. Was meinem Volk gefährlich und verderblich ist, daran vermag ich mich nicht zu beteiligen.Positives Christentum weist m.W. den Völkern höhere Ziele, als sich in Kriegs-Rüstungen gegenseitig zu über-treffen und einen immer größeren Prozentsatz der nationalen Energien hierfür einzusetzen. ...Sollte mir statt militärischer Übungen ein entsprechender Arbeitsdienst zuerkannt werden, dann binich hierzu bereit, auch wenn ich durch vermehrte und schwierige Arbeit die Aufrichtigkeit meiner Gewissens-bedenken gegen den Militärdienst erhärten sollte.

Schreiben von Hermann Stöhr an das Wehrbezirkskommando Stettin I (Marine), 2.3.1939

Der Matrose Hermann Stöhr wurde durch Feldurteil des 3. Senats des Reichskriegsgerichts vom16.3.1940 wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode verurteilt. Das Urteil ist am 13.6.1940 rechtskräftig geworden und wurde, nachdem der Führer und Reichskanzler von seinem Begnadigungsrecht keinen Ge-brauch machte, am 21.6.1940 vollstreckt.

Mitteillung des Oberreichskriegsanwalts an das Gericht des 2.Admirals der Ostseestation in Kiel, 28.Juni 1940

Die Nachricht von Herberts Seemannstod ... hat mich tief erschüttert. ... Ich selbst sah Herbert zum letzten Mal Anfang August, da ich ihn in Swinemünde besuchte. Wir lagen am Ostseestrand.Und nachher zeigte er mir noch sein Schiff, seine Kabine und das chinesische Schriftzeichen aus Messing. Das erklärte er mir, es bedeute: Glück, langes Leben, viele Kinder. Nun sind bei ihm trotz seiner Jugend alle ver-gänglichen Dinge noch früher dahingeschwunden als sie auch einmal bei uns dahinschwinden ...Mit mir steht es so: Ich habe den Militärbehörden seit 2.3.39 erklärt, ich könne meinem Vaterlande nur mit Arbeit dienen, aber nicht mit der Waffe ... und mit einem Eid ... Am 16.März erhielt ich dafür mein Todesurteil und am 13.April wurde das Urteil bestätigt. Jetzt läuft mein Gnadengesuch

Hermann Stöhr in einem Brief an seine Schwägerin, 3. Juni 1940

Nur ein einziger Fall eines Mitglieds der evangelischen Kirche ist mir begegnet, das ... den Kriegsdienst ver-weigerte und hingerichtet wurde: Hermann Stöhr, Mitglied des Internationalen Versöhnungsbundes. ...Seine Kirche aber schwieg und ließ ihn im Stich. Diese Not der Bedrängten wollte sie nicht aufnehmen. Ich suchte ihren damaligen dienstältesten Landesbischof auf, aber D.Marahrens ...schwieg.Das Versagen der offizellen Kirche, nicht nur wegen ihrer Abhängigkeit vom Regime, sondern auch aus ihrer inneren Taubheit gegenüber diesem Gewissensanliegen, war für die Christenheit beschämend.

Harald Poelchau, 1965

Einen Gedenkstein für Hermann Stöhr wollen wir heute “einweihen” ... Denn heute vor hundert Jahren wurde Hermann Stöhr geboren. Einen riesigen Stein mitten in der Stadt auf einen Platz hinzustellen ..., ist das eine Geste die dem evangelischen Kriegsdienstverweiger Dr.Hermann Stöhr gerecht wird?Es will mir scheinen, als wäre dieser Stein ... nicht ein Symbol für Hermann Stöhr, der ein weiches Herz hatte, das sich anrühren und erweichen lassen konnte von der Ein-sicht des Gewissens ...Aber wir können es auch anders sehen: Der große Stein ließe sich als ein Symbol erkennen für die Unmenge der steinernen Herzen, an denen auch Hermann Stöhr zu Grunde gegangen ist.

Dr. Rolf Wischnath am 4.Januar 1998 zur Einweihung eines Gedenksteines für Hermann Stöhr am Hermann-Stöhr-Platz in Berlin

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