23
1 Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar? 1 Holm Bräuer Institut für Philosophie Technische Universität Dresden 1. Probleme und Perspektiven in der Analyse des Machtbegriffs Der Begriff der Macht spielt eine entscheidende Rolle sowohl in Bezug auf empirische als auch auf normative Fragestellungen. Fragen wie die, ob ein Land von einer Machtelite dominiert wird, ob Arbeitgeber Macht über Arbeitnehmer besitzen oder umgekehrt, wie die Machtverhältnisse in den einzelnen politischen Gruppierungen strukturiert sind, oder durch welche Ursachen und Umstände eine Person oder eine Gruppe ihre Macht und ihren Einfluss steigern bzw. verlieren kann, sind Fragen empirischer Art, deren Beantwortung davon abhängt, ob wir einen verständlichen begrifflichen Rahmen für den Machtbegriff formulieren können, in dem sich solche Probleme auf ihren empirischen Gehalt hin überprüfen lassen. Wir möchten wissen, was Macht ist, wie sie sich äußert und wie sie gemessen werden kann. Wir möchten wissen, ob es verschiedene Typen von Macht gibt und ob diese Typen miteinander verglichen werden können, wie sie gemessen werden und sich ins Verhältnis setzen lassen, welche gegenseitigen Abhängigkeiten es für diese Typen gibt usw. Auch normative Fragen wie die, ob sich Macht und Freiheit miteinander vereinbaren lassen, ob Machtgleichheit erstrebenswert ist, ob Gerechtigkeit in einer durch Machtverhältnisse beeinflussten Gesellschaft möglich ist und in welchem Umfang, stellen sich mit Bezug auf den Machtbegriff. Und auch hier ist es wünschens- und erstrebenswert, eine möglichst präzise Vorstellung davon zu besitzen, was Macht eigentlich ausmacht, wie sie zustande kommt und wie sie ihrem eigenen Wesen nach auf andere Bereiche auswirkt oder auswirken könnte. Am Anfang der empirischen als auch der normativen Beschäftigung mit dem Phänomen Macht steht daher eine begriffliche Analyse, die uns eine Antwort nach dem Wesen der Macht und ihren wesentlichen Komponenten geben sollte. Was also ist das: Macht? Nur wenige Überlegungen zeigen, dass die Analyse dieses Begriffs mit einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten verbunden ist. Dies ist gewiss keine Neuigkeit und ich möchte einige der Schwierigkeiten hier nur andeuten, um einen Hintergrund einzuführen, vor dem sich dann mein zentrales Thema, nämlich die 1 Ich möchte mich für Kritik und hilfreiche Diskussionen bei Adolf Rami, Pedro Schmechtig und Gerhard Schönrich bedanken.

Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

1

Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

Holm Bräuer Institut für Philosophie

Technische Universität Dresden 1. Probleme und Perspektiven in der Analyse des Machtbegriffs Der Begriff der Macht spielt eine entscheidende Rolle sowohl in Bezug auf

empirische als auch auf normative Fragestellungen. Fragen wie die, ob ein Land von einer Machtelite dominiert wird, ob Arbeitgeber Macht über Arbeitnehmer besitzen oder umgekehrt, wie die Machtverhältnisse in den einzelnen politischen Gruppierungen strukturiert sind, oder durch welche Ursachen und Umstände eine Person oder eine Gruppe ihre Macht und ihren Einfluss steigern bzw. verlieren kann, sind Fragen empirischer Art, deren Beantwortung davon abhängt, ob wir einen verständlichen begrifflichen Rahmen für den Machtbegriff formulieren können, in dem sich solche Probleme auf ihren empirischen Gehalt hin überprüfen lassen. Wir möchten wissen, was Macht ist, wie sie sich äußert und wie sie gemessen werden kann. Wir möchten wissen, ob es verschiedene Typen von Macht gibt und ob diese Typen miteinander verglichen werden können, wie sie gemessen werden und sich ins Verhältnis setzen lassen, welche gegenseitigen Abhängigkeiten es für diese Typen gibt usw.

Auch normative Fragen wie die, ob sich Macht und Freiheit miteinander

vereinbaren lassen, ob Machtgleichheit erstrebenswert ist, ob Gerechtigkeit in einer durch Machtverhältnisse beeinflussten Gesellschaft möglich ist und in welchem Umfang, stellen sich mit Bezug auf den Machtbegriff. Und auch hier ist es wünschens- und erstrebenswert, eine möglichst präzise Vorstellung davon zu besitzen, was Macht eigentlich ausmacht, wie sie zustande kommt und wie sie ihrem eigenen Wesen nach auf andere Bereiche auswirkt oder auswirken könnte. Am Anfang der empirischen als auch der normativen Beschäftigung mit dem Phänomen Macht steht daher eine begriffliche Analyse, die uns eine Antwort nach dem Wesen der Macht und ihren wesentlichen Komponenten geben sollte. Was also ist das: Macht?

Nur wenige Überlegungen zeigen, dass die Analyse dieses Begriffs mit einer

ganzen Reihe von Schwierigkeiten verbunden ist. Dies ist gewiss keine Neuigkeit und ich möchte einige der Schwierigkeiten hier nur andeuten, um einen Hintergrund einzuführen, vor dem sich dann mein zentrales Thema, nämlich die

1 Ich möchte mich für Kritik und hilfreiche Diskussionen bei Adolf Rami, Pedro Schmechtig und

Gerhard Schönrich bedanken.

Page 2: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

2

begriffliche Analyse des scheinbar einfacheren Begriffs der konkreten Ausübung von Macht, angemessener diskutieren lässt.

Zunächst lässt sich sicherlich sagen, dass Macht etwas ist, das eine Gruppe oder

ein Individuum besitzen oder nicht besitzen kann. Weiterhin ist unbestreitbar, dass dieser Begriff eine quantitative Komponente besitzt. Wir unterscheiden nicht nur All- und Ohnmacht, sondern befassen uns in den interessanteren Fällen damit, dass jemand mehr oder weniger Macht besitzt, wir sprechen von Machtgefällen, von der Steigerung und Minderung der Macht. Die Macht, die eine Person oder Gruppe besitzt, muss daher auf etwas bezogen sein, dass sich zählen lässt oder mindestens quantitativ vergleichbar ist. Hier bietet es sich vielleicht an, Macht als eine Funktion anzusehen, die Personen oder Gruppen auf das abbildet, was die betreffende Person oder Gruppe erreicht. Mächtig ist demzufolge der, der etwas erreicht; und mächtiger derjenige, der mehr erreicht oder erreicht hat als andere. Dieser Vorschlag, obwohl er auf dem ersten Blick nicht unplausibel erscheint und gute Aussichten hat, dass er sich auch als empirisch signifikant auszeichnen lässt, ist leider aus mehreren Gründen inadäquat. Der erste und offensichtlichste Grund besteht darin, dass Macht nicht derjenige besitzt, der irgendetwas erreicht, denn das ist in Bezug auf die Handlungen einer Person nahezu trivial erfüllt. Macht besitzt vielmehr derjenige, der erreicht, was er will oder möchte. Dieser voluntative Aspekt scheint mir ein zentraler Bestandteil des Machtbegriffs zu sein und wir werden noch genauer sehen, dass diesem Aspekt nicht allzu leicht beizukommen ist, ganz abgesehen davon, dass die Abhängigkeit des Machtkonzepts von den Einstellungen der betreffenden Personen die empirische Verwendbarkeit dieses Begriffs sehr schmälert.

Neben diesem voluntativen Aspekt ist bei Macht zusätzlich ein modaler Aspekt

im Spiel. Wenn ein Aktionär möchte, dass der Kurs bestimmter Aktien in nächster Zukunft steigt und der Kurs dieser Aktien steigt in kürzester Zeit, dann hat er bekommen, was er wollte. Daraus jedoch folgt nicht, dass dieser Aktionär Macht oder Kontrolle über den Aktienkurs besitzt. Selbst dann, wenn jemand in aller Regel das erreicht, was er will, muss diese Person nicht sehr mächtig sein, denn derjenige, der seine Wünsche auf diejenigen Dinge einstellt, die realistischerweise zu erwarten sind, ist vielleicht rational, nicht aber unbedingt mächtig. Was dies zeigt, ist, dass eine Analyse des Machtbegriffs sich nicht auf aktuale Wünsche und das, was tatsächlich durch jemanden erreicht wird, einschränken lässt. Wir müssen in Betracht ziehen, was jemand erreichen könnte, wenn er diese oder jene Wünsche hätte, ganz unabhängig davon, ob er diese tatsächlich hat oder nicht hat. Zu behaupten, jemand sei mächtig, bedeutet nicht, dass dieser gewöhnlich das erreicht, was er tatsächlich will, denn das lässt unter der Voraussetzung entsprechend realistischer Wünsche leicht erfüllen. Es bedeutet vielmehr, dass der Mächtige erreichen könnte, was er will, ganz unabhängig davon, was er tatsächlich will. Macht ist daher eine Funktion von den möglichen Zielen eines Individuums oder

Page 3: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

3

einer Gruppe auf das, was dieses Individuum oder die betreffende Gruppe erreichen könnte. Der quantitative Aspekt der Macht steckt nicht in den Zielen eines Mächtigen, sondern in dem, was dieser – vorausgesetzt er hätte diese oder jene Wünsche – erreichen könnte. Je mehr jemand erreichen könnte, vorausgesetzt, er wollte dies, desto größer ist seine Macht.

Doch damit nicht genug. Das Erreichen eines beliebigen Ziels ist nicht schon

damit gegeben, dass man bekommt, was man möchte. Stellen wir uns einen allmächtigen Börsenguru mit introspektiven Fähigkeiten vor, welcher sich aus freien Stücken dafür entschieden hat, die Wünsche des Kleinaktionärs A stets zu erfüllen. A hat noch nie von diesem Guru und seinen Fähigkeiten gehört, doch sobald A will, dass ein bestimmter Wert fällt, sorgt der Börsenguru dafür, dass er fällt; wünscht A, dass ein anderer Wert steigt, so übt der Guru seinen Einfluss entsprechend aus. Der Kurs steigt. Für A gilt in diesem Fall, dass er bekommen würde, was immer er möchte, zumindest in Bezug auf die Aktienkurse. Dennoch wäre es falsch zu sagen, dass A Macht in Bezug auf das Börsengeschehen besitzt. Obwohl A jeden beliebigen Wunsch hinsichtlich des Börsengeschehens erfüllt bekommt, ist er nicht mächtig, weil die Erfüllung nichts mit dem zu tun hat, was A tut, sondern davon abhängt, was der Börsenguru tut. Das Erreichen des Ziels muss demnach durch die dem Mächtigen zur Disposition stehenden Handlungen erfolgen.

Wenn wir behaupten, dass mächtiger derjenige ist, der durch die ihm zur

Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten mehr erreichen kann als andere, dann könnte man meinen, dass wir bisher einen wichtigen und viel diskutierten Punkt übersehen haben, denn die Handlungsmöglichkeiten, die einem Individuum oder einer Gruppe zur Verfügung stehen, so wird man einwenden, sind abhängig von den Ressourcen, die diese besitzen. Es sind die institutionellen Hierarchien, Einfluss verschaffende Positionen, ökonomische Tatsachen wie der Besitz eines größeren Vermögens oder vielleicht auch charismatische Besonderheiten, die es dem Börsenguru gestatten, entsprechenden Einfluss auf den Aktienkurs zu nehmen. Dies sind im allgemeinen die Dinge, die zu Macht und Einfluss führen. Hat also Macht nicht im wesentlichen mit den Ressourcen zu tun, über die jemand verfügt oder verfügen könnte? Und sind nicht von einer ganzen Reihe von Autoren verschiedene Typen von Macht wie ökonomische Macht, charismatische Macht, militärische Macht usw. danach klassifiziert worden, worauf sich der entsprechende Machtbesitz stützt?2 Dies scheinen zwar die wichtigen und

2 In der Literatur findet sich eine nahezu unübersehbare Vielfalt an verschiedenen Machttypen. Vielfach gehen diese Unterscheidungen auf die Machtquellen oder –ressourcen zurück, wir finden aber auch Typologien, die sich auf die Einflussbereiche erstrecken. Politische Macht ist Macht, die sich auf den politischen Bereich erstreckt; militärische Macht solche, die die bewaffneten Organe betrifft. Deutungsmacht ist Macht über die Interpretation zu deutender Dokumente. Man wird bei solchen Typologien also immer entscheiden müssen, ob sie sich jeweils auf die Ressourcen oder die Einflussbereiche von Macht bezieht. Auch die Unterscheidungen in Bezug auf die Einflussbereiche sind wie die in Bezug auf die Quellen der Macht nicht sehr hilfreich im Kontext der Definition des

Page 4: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

4

interessanten Themen zu sein, die im Mittelpunkt stehen, wenn wir über Macht diskutieren, ich meine aber, dass die Ressourcen der Macht nicht zur Analyse des Machtbegriffs beitragen. Selbst in Bezug auf eine einzelne, besondere Angelegenheit wie das Börsengeschehen, gibt es eine unüberschaubare Vielzahl von Ressourcen, die dazu beitragen, dass jemand durch seine Handlungen erreichen kann, dass beispielsweise bestimmte Kurse fallen oder steigen. Und daraus ist ersichtlich, dass es unmöglich ist, explizit angeben zu wollen, was ganz allgemein dazu führt, dass jemand erreichen könnte, was er will. Die Ressourcen der Macht decken auf, was dazu führt, dass jemand Macht besitzt, sie sagen uns aber keineswegs, was Macht als solche ist.3

Vielleicht fällt dieses Urteil zu streng aus. Goldman (1992) hat auf eine

interessante Analogie zwischen dem Begriff der Macht und Dispositionsausdrücken wie „löslich“, „Strom leitend“ oder „brennbar“ aufmerksam gemacht. Dispositionale Ausdrücke lassen sich durch subjunktive Konditionale analysieren: etwas ist löslich, wenn es sich auflösen würde, falls es in Wasser gegeben wird. Analog: jemand besitzt Macht, wenn er etwas erreichen könnte, falls er es wollte. Wir wissen, dass es die kristalline Struktur einer Substanz ist, die verantwortlich für ihre dispositionale Eigenschaft der Löslichkeit ist. Ebenso sind es Ressourcen wie Reichtum, Attraktivität, Autorität, Reputation oder institutionelle Position, die verantwortlich dafür sind, dass jemand mit seinen Handlungen dieses oder jenes erreichen könnte, falls er es wollte.4 Während jedoch in Bezug auf natürliche Eigenschaften wie Löslichkeit einige Aussicht besteht, dass sie sich auch ohne die Verwendung subjunktiver Konditionale allein durch die Angabe der entsprechenden Kristallstruktur, d.h. durch die Angabe manifester Eigenschaften definieren lassen, scheint dieses Unterfangen in Bezug auf den Begriff der Macht und die entsprechenden Ressourcen aussichtslos zu sein.5 Eine solche Definition hätte die Form der Angabe einer Liste von manifesten Eigenschaften, die jemand besitzen muss, damit von ihm gesagt werden kann, er besitze Macht (in dieser oder jener Hinsicht). Obgleich ich diesen Punkt hier nicht vertiefen kann, dürfte augenfällig sein, dass die Aussichten auf eine solche Definition, auch wenn sie nur annähernd adäquat sein soll, ausgesprochen trüb sein dürften, und zwar nicht nur deshalb, weil Ausdrücke wie Ansehen, Autorität oder Durchsetzungsstärke, die dann im Definiens vorkommen müssten, nicht weniger dunkel als der Begriff der Macht selbst sind. Ich möchte nicht sagen, dass sich nicht einige interessante Machtphänomene unter Bezugnahme auf deren

Machtbegriffs als solchen, obgleich, wie wir noch sehen werden, die Ziele der Macht essentielle Einschränkungen besitzen, die den Machtbegriff erst interessant machen.

3 Vergleiche auch die Kritik von Goldman (in Goldman 1992, S. 263). 4 Wartenberg (1990) hat Kritik an dieser dispositionalen Analyse des Machtbegriffs geübt. Leider

kann ich hier darauf nicht eingehen, meine aber, dass seine Argumente nicht schlüssig sind. 5 Ich möchte nicht behaupten, dass die Analyse von „natürlichen“ Dispositionsausdrücken ohne

Schwierigkeiten ist. Die Probleme, die sich hierbei stellen, sind lange bekannt. Vgl. dazu z.B. Goodman (1955).

Page 5: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

5

Ressourcen hilfreich illustrieren lassen, aber davon streng zu unterscheiden ist die Aufgabe einer allgemeinen Definition des Machtbegriffs.

Der Besitz von Macht stellt keine zeitlose Eigenschaft dar. Macht lässt sich steigern oder vermindern. Eine Person mag zu einem bestimmten Zeitpunkt die Möglichkeit haben, diese oder jene Ziele zu erreichen, zu einem späteren oder früheren jedoch nicht. Macht ist daher keine Eigenschaft einer Person oder Gruppe schlechthin, sondern eine Eigenschaft, die eine Person oder Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt oder über eine gewisse Zeitdauer hinweg besitzt. Ebenso haben die Ziele, die jemand erreichen kann, einen zeitlichen Bezug. Wir müssen also genauer sagen, dass eine Person oder Gruppe A zu einem Zeitpunkt t1 Macht in Bezug auf eine Angelegenheit E zu einem Zeitpunkt t2 besitzt, wenn A durch seine Handlungen erreichen könnte, dass E zum Zeitpunkt t2 eintritt, falls A es möchte.

Diese zeitliche Dimension von Macht bildet den Hintergrund für einige

verwickelte Fragestellungen, welche die Verhältnisse zwischen den beiden Zeitpunkten t1 und t2 betreffen. Man könnte sich fragen, ob es der Fall sein muss, dass A zu jedem Zeitpunkt zwischen t1 und t2 erreichen könnte, dass E zu t2 der Fall ist, um sagen zu können, dass A zu t1 Macht besitzt. Weiterhin ist unklar, wie groß die Zeitspanne zwischen diesen beiden Punkten sein darf, um den Machtbegriff vernünftig anwenden zu können. Besitzt beispielsweise jemand während seiner Kindheit Macht in Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt in ferner Zukunft, wenn es möglich ist, dass er im Erwachsenenalter bestimmte Ziele, die mit diesem Sachverhalt verbunden sind, erreichen kann? Ich meine, wir würden einen solch lockeren und sich über so große Zeiträume erstreckenden Zusammenhang als zu weit hergeholt empfinden, wenn es um die Beurteilung des Machtbesitzes geht. Macht hat mit nahe liegenderen Möglichkeiten für das Erreichen bestimmter Ziele zu tun.

Ich möchte diesen diffizilen Fragen bezüglich der temporären Eigenschaften der

Macht hier nicht im Detail nachgehen, sondern statt dessen auf einen weiteren wichtigen Punkt aufmerksam machen, der mit dem Konzept eines erreichbaren Zieles einhergeht. Dieser Begriff scheint bei genauerem Hinsehen einen zu weiten Anwendungsbereich zu besitzen, um als solcher brauchbar für die Analyse von Macht zu sein. Genau besehen kann ich eine ganze Menge möglicher Vorsätze erreichen, ohne dass wir in solchen Zusammenhängen gewöhnlich den Begriff der Macht verwenden würden. Ich kann beispielsweise erreichen, dass sich mein rechter Zeigefinger beugt, falls ich es möchte. Oder ich kann erreichen, dass der Teekessel auf meinem Tisch zwei Zentimeter weiter links steht usw. usf. Ich möchte hier nicht gänzlich bestreiten, dass es in bestimmten Kontexten sinnvoll sein könnte, derartig triviale Fälle von Machtbesitz in Erwägung zu ziehen, meine aber, dass die interessanteren Fälle der sozialen Macht gewisse Merkmale

Page 6: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

6

gemeinsam haben, die von großem Nutzen für die weitere Analyse des Machtbegriffs sein könnten.

Von den trivialen Fällen von Macht unterscheiden sich die interessanten Fälle

der sozialen Macht darin, dass die Angelegenheiten, in Bezug auf welche wir von Macht sprechen, solche sind, die andere Personen oder Gruppen auf eine charakteristische Weise betreffen. Dies gilt es deutlicher hervorzuheben. Wenn wir von Macht in einem engeren Sinne sprechen, dann meinen wir damit die Möglichkeit des Erreichens bestimmter Angelegenheiten, die andere Gruppen oder Personen in essentieller Hinsicht betreffen. Dieser Gedanke lässt sich noch dadurch stützen, dass wir vornehmlich nicht an dem abstrakten Begriff des Machtbesitzes als solchen interessiert sind, sondern an jenen Fällen, in denen eine Person oder Gruppe A Macht über eine andere Person oder Gruppe besitzt.

Was heißt es nun, dass ich Macht besitze, falls ich etwas tun könnte, was einem

anderen in entscheidender Hinsicht betrifft? Hierzu gibt es in der Literatur im wesentlichen zwei verschiedene Ansichten. Der eine, weiter verbreitete Ansatz, behauptet, dass die Angelegenheit, auf die es beim Machtbesitz ankommt, das Verhalten einer Person oder Gruppe ist.6 Dieser traditionellere Ansatz hat den Vorteil, dass sich eng mit dem Begriff der Macht verwandte Begriffe wie Zwang oder Einflussnahme ohne weiteres in diesem Bild unterbringen lassen. Wer Macht über andere besitzt, kann beeinflussen, was sie tun; er kann sich durchsetzen und zur Not das gewünschte Verhalten erzwingen. Die andere, etwas breiter angelegte Konzeption, behauptet, dass es sich bei den zentralen Angelegenheiten um solche handelt, die ganz allgemein das Wohlergehen der entsprechenden Person oder Gruppe betreffen.7 In diesem Sinne hat A Macht über B, falls A etwas erreichen könnte, das das Wohlergeben von B wesentlich beeinflusst. Der Arzt eines Grafen besitzt mehr Macht über diesen als sein Gärtner, weil er Dinge tun könnte, die dessen Wohlergehen entscheidender und umfassender beeinflussen würden als die des Gärtners.

Der Ansatz, der die Ziele der Macht auf das Wohlergehen einschränkt, hat

einige Vorteile in Bezug auf Fälle, in denen wir von Machtbesitz sprechen würden, ohne dass eine entsprechende Einflussnahme auf ein Verhalten vorliegen würde. Wenn ein Sponsor einem von ihm geförderten Projekt die finanziellen Mittel kürzt, dann übt er sicherlich Macht auf dieses Projekt aus. Hier könnte man zwar meinen, dass die Drohung mit Finanzkürzung, in welcher der Machtbesitz über das geförderte Projekt zum Ausdruck kommen könnte, sicherlich auch ein entsprechendes Verhalten der am Projekt beteiligten Personen zur Folge hat, aber falls der Sponsor keinen Einfluss darauf hat, wie das Projekt auf seine angedrohten Kürzungen reagiert, dann würde man sagen, dass er keine Kontrolle bzw. keinen

6 Vgl. z.B. Tawney (1931), Dahl (1957), Simon (1953), Wartenberg (1990), Balzer (1992, 1993). 7 Vgl. z.B. Goldman (1992).

Page 7: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

7

Einfluss auf das Verhalten der Mitglieder ausübt, obgleich Macht ausgeübt wurde. Daher scheint der Verhaltensansatz nicht hinreichend zu sein, um soziale Macht zu definieren. Einfluss auf Verhalten scheint auch keine notwendige Bedingung von Macht zu sein. Wenn ich jemanden bitte, mir einen kleineren Betrag an Geld zu leihen, und mein Wunsch wird erfüllt, dann habe ich das Verhalten dieser Person in meinem Sinne beeinflusst. Habe ich damit auch Macht ausgeübt? Das sollte bezweifelt werden. Ich möchte mich trotz dieser Argumente für den traditionellen Ansatz einsetzen, da mir der Wohlergehensansatz zum einen selbst inadäquat erscheint und ich zu anderen denke, dass sich die Probleme des traditionellen Verhaltensansatzes durch die Einführung eines weiteren wichtigen Merkmals von Macht beheben lassen.

Wenn jemand das Wohlergehen einer Person oder einer Gruppe beeinflussen

kann, dann ist er in der Lage, Eigenschaften dieser Person oder Gruppe zu ändern, die im allgemeinen als Eigenschaften zählen, an denen wir das Wohlergehen dieser Person oder Gruppe festmachen würden. In der derzeitigen gesellschaftlichen Situation ist Beschäftigung vielleicht eine solche Eigenschaft, und der Wohlergehensansatz würde behaupten, dass derjenige, welcher sich in einer Position befindet, in der er darüber entscheiden kann, ob jemand einen Arbeitsplatz besitzt oder nicht, Macht über diese Person besitzt. Eine Wohlergehenseigenschaft in Bezug auf eine ganze Gruppe ist beispielsweise der finanzielle Haushalt eines Forschungsprojekts. Derjenige, der darüber entscheidet, besitzt Macht über diese Gruppe.

Diese Beispiele klingen zwar plausibel, sind es aber nicht, wenn wir Fälle

betrachten, in denen die besagte Person oder Gruppe sich neutral hinsichtlich der betreffenden Wohlergehenseigenschaft verhält. Der Inhaber einer mittelständigen Firma mag beispielsweise die Möglichkeit besitzen, seine Mitarbeiter zu kündigen, aber er besitzt nur dann Macht über diese, wenn ihnen ihre Kündigung nicht gleichgültig ist oder sie ohnehin gekündigt werden möchten. Wenn eine Forschergruppe kein Eigeninteresse an der Fortführung ihres Projektes besitzt, dann hat auch der Geldgeber seinen Einfluss verloren. Machtlos ist derjenige, der solche Wohlergehenseigenschaften beeinflussen kann, an denen die Betreffenden kein eigenes Interesse haben. Und hier zeigt sich, dass Macht ein weiteres wichtiges Merkmal besitzt, auf das schon Max Weber in seiner berühmten Definition hingewiesen hat:

„Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen

Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ (Weber 1972, S. 28)8

8 Hervorhebung von mir. Auch Weber, und darauf möchte ich nur hinweisen, schließt in der

Definition von Macht die Erwähnung von Ressourcen explizit aus.

Page 8: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

8

Macht hat etwas mit der Möglichkeit von Widerstand zu tun. Dies scheint mir eine entscheidende Einsicht zu sein, die jedoch noch zu unpräzise ist. Was soll es heißen, wenn wir von der Möglichkeit eines Widerstandes sprechen? Ganz wörtlich verstanden lässt sich dieses Merkmal fast trivial erfüllen. Wir hatten soziale Macht als die Möglichkeit (oder Chance) des Erreichens (oder Durchsetzens) eines eigenen Zieles (oder des eigenen Willens) verstanden, so dass davon eine andere Person oder Gruppe in einer essentiellen Hinsicht betroffen ist. Wenn wir dem nun hinzufügen würden, dass zudem die Möglichkeit bestehen muss, dass der Betroffene Widerstand leistet, dann schließen wir damit nur jene marginalen Fälle aus, in denen ein Widerstand aus bestimmten Gründen von vornherein gänzlich ausgeschlossen ist.

Wenn wir uns die besprochenen Beispiele noch einmal ansehen, dann erscheint

es sinnvoll, die Widerstandsbedingung so zu formulieren, dass sie besagt, die Beeinflussung darf nicht im Sinne oder im Eigeninteresse des Machtunterworfenen erfolgen. Wenn mir jemand auf meine Bitte hin Geld leiht, dann ist sein Verhalten zwar als eine Reaktion auf meine Bitte aufzufassen, aber solange er damit nicht gegen seine eigenen Interessen gehandelt hat, kann man nicht von der Ausübung von Macht sprechen. Eine äußerlich völlig identische Situation jedoch kann durchaus als Machtausübung angesehen werden, wenn ich mein Ziel gegen die Eigeninteressen des Betroffenen durchgesetzt habe. Die Erwähnung der Wahrscheinlichkeit eines Widerstandes hat, so denke ich, damit zu tun, dass wir von Macht dann sprechen, wenn wir etwas gegen die Eigeninteressen eines anderen erreichen könnten.

Wenn wir dies in Betracht ziehen, dann lässt sich der Verhaltensansatz gegen

die angesprochene Kritik verteidigen. Nicht jedes Verhalten, dass durch jemandes Handeln hervorgerufen wird, selbst wenn es mit dem übereinstimmt, was dieser erreichen wollte, ist machtunterworfen. Wir dürfen als Ausübung von Macht nur solches Handeln in Betracht ziehen, welches trotz gegenteiligen Eigeninteresses des Machtunterworfenen zum Erfolg führt. Zum anderen zeigt die Diskussion des Beispiels, in welchem ein Sponsor Einfluss auf den finanziellen Haushalt eines wissenschaftlichen Forschungsprojektes besitzt, dass dies nicht als solches schon Machtbesitz impliziert, wie es der Wohlergehensansatz verlangt. Der Sponsor besitzt Macht erst dann, wenn er etwas erreichen kann, was sich gegen das Eigeninteresse der Mitarbeiter am Projekt richten könnte. Und dieser Umstand bleibt unentscheidbar, solange wir nur Eigenschaften des Wohlergehens schlechthin in Betracht ziehen würden. Der Sponsor besitzt Macht erst dann, wenn er erreichen kann (falls er wollte), dass die Forschergruppe etwas tut, was sie nicht schon von sich aus – aus eigenem Interesse – tun würde.

Es ist zu beachten, dass die Begriffe Wohlergehen und Eigeninteresse streng zu

unterscheiden sind. Der Ausdruck „Eigeninteresse“, so wie er hier verwendet

Page 9: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

9

wurde, betrifft momentane Präferenzen bezüglich der Handlungen einer Person oder einer Gruppe, und diese können sich sowohl positiv als auch negativ oder neutral gegenüber den Eigenschaften des Wohlergehens dieser Person oder Gruppe verhalten. Wenn ich ein Kind dazu zwinge, sich am Abend seine Zähne zu putzen, dann dient das seinem Wohlergehen, ist aber möglicherweise gegen seine momentanen Eigeninteressen gerichtet, weil es statt dessen vielleicht viel lieber spielen würde. Wenn ich andererseits jemanden dazu nötige, die Tür hinter sich zu schließen, dann ist nicht ersichtlich, wie sich das auf Merkmale des Wohlergehens abbilden lässt. Weder steigert noch mindert es das Wohlergehen eines Betroffenen, wenn dieser eine Tür schließt. Und ich meine, dass dies zeigt, dass Machtbesitz nicht mit Einflussnahme auf Wohlergehenseigenschaften zu tun hat, weder in positiver noch in negativer Hinsicht.9

Im Unterschied zu Gewaltsituationen werden machtunterworfene Handlungen

in aller Regel „freiwillig“ vollzogen. Selbst bei Androhung körperlicher Gewalt, wenn beispielsweise ein Straßenräuber den Grafen in der Postkutsche mit vorgehaltener Pistole dazu zwingt, ihm sein Vermögen auszuhändigen, bleibt die letzte Entscheidung für oder gegen die entsprechende Handlung – hier die Aushändigung des Vermögens – beim Handelnden. Er handelt in dieser Situation rational und vernünftig und durchaus im Sinne seiner eigenen Interessen. Die Widerstandsbedingung ist daher zunächst temporal aufzufassen. Sie besagt, dass die machtunterworfene Handlung bis zum Zeitpunkt der Handlung, mit welcher ein Mächtiger seinen Willen durchzusetzen sucht, nicht im Sinne des Machtunterworfenen gewesen war. Erst die Gewaltandrohung brachte es mit sich, dass sich der Machtunterworfene später anders verhalten hat, als er sich ohne diese verhalten hätte. Das Merkmal der Überwindung eines Widerstandes hat nicht nur eine temporale Dimension. Die Rede davon, wie sich jemand unter anderen Umständen verhalten hätte, bringt zusätzlich eine modale Dimension ins Spiel, die sich auf einen späteren Zeitpunkt bezieht.

Wenn wir demgemäss sagen, dass Macht die Überwindung eines Widerstandes

einschließt, dann ist dies ein Kürzel für eine recht komplexe Angelegenheit, für welche ich fürs erste die folgende Formulierung vorschlagen würde: Durch eine Handlung H wird dann ein Widerstand in Bezug auf eine Handlung G überwunden, wenn G nicht ohne das Zutun von H ausgeübt worden wäre, und zwar in Bezug auf die momentanen Eigeninteressen des Akteurs b von G, die bis zum Auftreten von H vorgelegen hatten.

9 Ich möchte nicht bestreiten, dass das Merkmal des Wohlergehens völlig nutzlos in Bezug auf

Machtphänomene ist. Insbesondere dürfte es einfacher sein, diesem Begriff empirische Signifikanz abzugewinnen als dem um die Widerstandsbedingung erweiterten Verhaltensansatz. Und gerade was die Einschätzung bestimmter eingeschränkter Machtinhalte wie z.B. die politische Macht betrifft, dürfte eine Kongruenz zwischen Macht und Einflussmöglichkeit auf Bereiche, die das Wohlergehen betreffen, durchaus nützlich und plausibel sein.

Page 10: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

10

Dass diese umständliche Redeweise in der Lage ist, Licht in einige knifflige Fälle der Beurteilung von Machtbesitz und Machtausübung bringen kann, soll das folgende Beispiel andeuten: Stellen wir uns eine Situation vor, in der eine Person a eine andere Person b bittet, ihr einen kleineren Betrag an Geld zu leihen, woraufhin b der Bitte nachkommt und a das Geld leiht. Der Situation als solcher ist soweit nicht anzusehen, ob die Bitte eine Ausübung von Macht einschließt oder nicht. Entscheidend zur Beurteilung dieser Frage scheint nun zu sein, ob das Verleihen von Geld an a den Eigeninteressen von b bis zum Zeitpunkt der Bitte widerstrebt oder nicht. Falls b dem a aufgrund seines Vertrauens in a und seinem Wissen um dessen finanzielle Situation aus eigenen Stücken Geld geliehen hätte, dann kann die Bitte als ein bloßer Hinweis auf diese Situation aufgefasst werden, auf die b dann entsprechend seiner Überzeugungen und Präferenzen reagiert. Falls dies nicht so ist, dann müssen zusätzliche Faktoren im Spiel sein, aufgrund derer b seine eigenen Interessen anders beurteilt als vor dem Aussprechen der Bitte von a. B mag die Erfahrung gemacht haben oder ahnen, dass das Ausschlagen einer Bitte von a unangenehme Konsequenzen hat oder haben könnte, woraufhin er nach Abwägen der erwartbaren Ergebnisse seiner Handlungsalternativen dazu übergeht, der Bitte nachzukommen.

Die Analyse des Machtbegriffs zeigt eine Reihe von Ecken und Kanten, die hier

ganz gewiss nicht alle gebührend Beachtung gefunden haben. Ich hoffe jedoch einige zentrale Dimensionen des Begriffs der Macht hervorgehoben zu haben. Bisher sind wir zu dem folgenden Ergebnis gelangt: Eine Person oder Gruppe A besitzt zu einem Zeitpunkt t1 Macht über eine Person oder Gruppe B, wenn A durch seine Handlungen zu einem Zeitpunkt t2 erreichen könnte, falls A es wollte, dass B zu t3 etwas tun würde, was bis zum Zeitpunkt t2 im Widerspruch zu seinem Eigeninteresse stünde. Bezogen auf die empirische Verwendbarkeit des Machtbegriffs ist das ein grauenhaftes Ergebnis. Die Bedingungen für das Vorliegen von Machtbesitz sind sämtlich modal formuliert, was diesem Begriff ein höchst ätherisches Wesen verschafft. Wie bei den Dispositionsausdrücken im allgemeinen verlangt der Machtbegriff, dass wir uns Gedanken über das Vorliegen bestimmter manifester Eigenschaften machen und zwar in Situationen, die nicht vorliegen. Ein Ausweg aus dieser Situation scheint mir der folgende zu sein. Dem ätherischen Wesen natürlicher Dispositionseigenschaften lässt sich zu Leibe rücken, wenn man sich an die entsprechenden manifesten hält: Ein Stückchen Zucker ist löslich, weil sich andere Zuckerwürfel aufgelöst haben, die mit diesem Stückchen strukturgleich sind. Eine Situation gilt als riskant, wenn sich ähnliche Situationen auffinden lassen, bei denen es zu Unfällen gekommen ist. Den Dispositionsausdrücken lässt sich empirischer Sinn dadurch abgewinnen, dass wir uns an manifeste Eigenschaften halten und Situationen oder Gegenstände, die wir schon kennen, miteinander vergleichen. Die Bezugnahme auf irreale Situationen erübrigt sich demgemäss.

Page 11: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

11

Es scheint, als stünde uns in Bezug auf den Machtbegriff ein ähnlicher Weg offen: Jemand besitzt Macht, wenn er diese ausüben könnte, falls er es wollte. Auch diese beinhaltet eine kontrafaktische Behauptung. Allerdings beinhaltet die Beurteilung der aktualen Ausübung von Macht selbst keine modalen Überlegungen, und vielleicht ist es daher möglich, den Begriff der Ausübung von Macht durch alleinigen Bezug auf manifeste Bedingungen zu definieren. Und von da aus könnte uns unser alltägliches Situationsverständnis weiter helfen, um zur Beurteilung des Machtbesitzes überzugehen: jemand könnte Macht ausüben, falls er wollte, wenn er sich in einer Situation befindet, in welcher es typischerweise zur Ausübung von Macht kommt. In diesem Sinne scheint der Begriff der Ausübung von Macht, und hier will ich mich einer These von Wolfgang Balzer anschließen, begrifflich basaler zu sein als der Begriff der Macht bzw. des Machtbesitzes.10

Vor diesem Hintergrund wird es mir im folgenden darum gehen zu diskutieren,

welche Erfolgsaussichten uns bei dem Versuch beschieden sein könnten, den Begriff der Ausübung von Macht zu definieren. Ich setze hier die Vermutung voraus, dass es sich bei diesem um einen empirischen Begriff handelt, dass sich also objektive Bedingungen angeben lassen, anhand derer wir entscheiden können, ob in einer bestimmten Situation Macht ausgeübt wurde oder nicht, und zwar ohne Bezug auf vergleichbare oder gar irreale Situationen.

2. Machtausübung. Ein erster Definitionsvorschlag Beginnen wir mit dem Selbstverständlichem: Jemand übt Macht aus, indem er

etwas tut. Da ich mich auch hier an den Verhaltensansatz halten werde, möchte ich weiterhin behaupten, dass Machtausübungen darin bestehen, dass ein Akteur a (der Machtausübende) mit einer Handlung H auf die Handlung G eines zweiten Akteurs b (dem Machtunterworfenen) Einfluss nimmt; oder um präziser zu sein: Ein Akteur a übt über einen Akteur b dann Macht aus, wenn a mit einer Handlung H den Akteur b dazu bringt, eine Handlung G auszuführen, die b ohne a`s H-tun nicht getan hätte. Der bessern Übersicht halber möchte ich die folgenden verkürzten Schreibweisen einführen.

(1) Person a übt zu t1 mit der Handlung H Macht auf die Handlung G einer

Person b aus, gdw. (i) G(b, t2) (ii) H(a, t1) G(b, t2) (iii) a möchte(t1) G(b, t2) (iv) ¬ b möchte(t1) G(b, t2)

Die ersten beiden Bedingungen sind meines Erachtens fraglos notwendige

Bedingungen der Machtausübung. Die machtunterworfene Handlung G muss

10 Balzer 1993, 165ff.; vgl. auch Balzer 1992.

Page 12: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

12

stattgefunden haben, und zwar zu einem späteren Zeitpunkt als die machtausübende Handlung. Macht wird nicht ausgeübt, ohne dass jemand reagiert. Klar dürfte auch sein, dass zwischen den beiden Handlungen H und G irgendein Zusammenhang bestehen muss. Wir könnten uns die Aufgabe, vor der wir stehen, folgendermaßen verständlich machen: Gegeben seien beliebige Handlungen zwei verschiedener Akteure. Nun sollen wir aus allen Paaren von Handlungen anhand der Bedingungen, die wir nun formulieren werden, diejenigen Handlungspaare herausfiltern, für die gilt, dass wir es mit einer Ausübung von Macht zu tun haben. Von allen Paaren H und G, die wir auf diese Weise bilden können, zählen intuitiv nur solche als eine Ausübung von Macht, bei denen wir G als eine Reaktion auf H ansehen können. G muss eine Anschlusshandlung an H sein. Wenn b mit seiner Handlung G in keinem verständlichen Sinn auf H reagiert hat, dann können wir schwerlich H als eine Ausübung von Macht auf G betrachten. Dieses Verhältnis zwischen den beiden Handlungen wird hier mit der Relation der Teilverursachung „ “ wiedergegeben. Eine Alternative dazu wäre eine kontrafaktische Formulierung:

(ii) ¬ H(a, t1) ⇒ ¬ G(b, t2)

Wenn a nicht H ausgeübt hätte, dann hätte b nicht G ausgeübt. Es dürfte auch leicht zu sehen sein, dass die beiden ersten Bedingungen

zusammen nicht hinreichend sind. Wenn der Akteur b in Reaktion auf eine Handlung H des Akteurs a eine von a unerwünschte Handlung G ausführt (wenn beispielsweise b auf eine Beleidigung von a mit einer Ohrfeige reagiert), dann liegt keine Machtausübung vor. Die Handlung G muss also im Sinne von a sein. Was genau ist damit gemeint? Wann können wir davon ausgehen, dass eine Handlung einer anderen Person im Sinne des Machtausübenden war? Ich möchte dies das Problem der dritten Bedingung für das Vorliegen von Machtausübungen nennen. Es ist zudem leicht einzusehen, dass auch die ersten drei Bedingungen zusammen nicht hinreichend sind, denn nicht jede Reaktion auf die Handlungen einer Person, auch wenn sie im Sinne dieser Person wäre, stellt einen Fall von Machtausübung dar, denn es kann sein, dass b zwar im Sinne von a handelt, seine Reaktion aber unvorhergesehen oder unerwartet ist. Nehmen wir an, a sei in seine Sekretärin verliebt und verlangt von ihr kurz nach Feierabend einen Brief aufzusetzen, indem er ihr mit unangenehmen Konsequenzen droht. Wenn nun die Sekretärin ihrem Vorgesetzen statt den Brief zu schreiben einen Kuss gibt und geht, dann erfüllt die Handlung des Kussgebens alle anderen geforderten Bedingungen. Sie ist eine Reaktion auf die Drohung als auch von a zum Zeitpunkt der Drohung erwünscht. Das heißt aber nicht, dass a Macht über seine Sekretärin ausgeübt hat. Macht wird erst dann ausgeübt, wenn – intuitiv – ein Widerstand überwunden werden muss. Worin besteht dieser? Wie lässt er sich charakterisieren? Dies möchte ich das Problem der vierten Bedingung nennen.

Page 13: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

13

Die beeinflusste Handlung muss im Sinne des Machtausübenden sein. Wir haben eben gesehen, dass (iii) zu schwach ist, um dies korrekt zum Ausdruck zu bringen. In der Situation zu t1 wollte a sowohl, dass seine Sekretärin ihn küsst, als auch, dass sie den Brief aufsetzt. Es ist klar, dass wir nun vor der Aufgabe stehen, zwischen beiden Wünschen unterscheiden zu müssen, so dass das Brief schreiben die machtunterworfene Handlung ist, nicht aber das Küssen. Die Sache scheint so zu sein, dass a zwar beide Wünsche hatte, zu t1 aber das Briefschreiben unmittelbar präferiert hatte, nicht das Küssen (da es für ihn in dieser Situation vielleicht irrelevant war). Ich schlage daher vor, für unsere Zwecke lieber mit Präferenzen als mit bloßen Wünschen zu arbeiten. Was aber sind Präferenzen im Unterschied zu Wünschen? Ich möchte vorschlagen, basale Präferenzen (bzw. eine hierarchische Präferenzordnung unter ausführbaren Handlungen bezogen auf eine Person und einen Zeitpunkt) und Überzeugungen als Grundbegriffe anzunehmen, wobei sich die Überzeugungen noch nach zwei Typen unterscheiden lassen: (i) in solche, die die Einschätzung der Machbarkeit (feasibility) einer Handlung betreffen und (ii) solche, die die Einschätzung der Konsequenzen einer Handlung betreffen. Auf Grundlage der basalen Präferenzen und Überzeugungen können wir dann konditionale Präferenzen definieren:

Eine Handlung H wird konditional präferiert := Die Summe aus ihrer

basalen Präferenz und den Präferenzen der mit H verbunden geglaubten Konsequenzen übersteigt die konditionalen Präferenzen aller anderen Handlungen.

Damit kommen wir zum zweiten Definitionsvorschlag, der sich vom ersten in

der Formulierung der dritten Prämisse unterscheidet: (2) „Person a übt zu t1 mit der Handlung H Macht auf die Handlung G einer

Person b aus“, gdw. (i) G(b, t2) (ii) H(a, t1) G(b, t2) (iii) ¬∃ (F(b, t2)): F(b, t2) ≥a,t1 G(b, t2) (iv) ¬ b möchte(t1) G(b, t2)

Das Symbol ≥ drückt eine Relation zwischen Präferenzen aus, die relativiert

werden muss auf eine entsprechende Person x (jeder hat andere Präferenzen) und einen Zeitpunkt t (jemand hat zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Präferenzen). Die Formel G(b, t2) ≥a,t1 F(b, t2) bringt als Explikation von „G ist eine Handlung im Sinne des Machtausübenden“ zum Ausdruck, dass a zum Zeitpunkt seiner Handlung die Handlung G(b) allen alternativen Handlungen F(b) zum Zeitpunkt t2 vorzieht. Es handelt sich somit um Präferenzen bezüglich der Handlungen anderer Personen.

Page 14: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

14

Um Macht auszuüben, muss es a gelingen, einen Widerstand von b zu überwinden. Die Definition (2) enthält die Bedingung (iv): b möchte zum Zeitpunkt t1 G(t2) nicht ausführen. Dies ist eine sehr schwache Formulierung, denn die Tatsache, dass b zu einem Zeitpunkt t1 die Handlung G(t2) nicht ausführen möchte, kann auch heißen, dass b Handlungen des Typs G noch gar nicht in Betracht gezogen hat! Auf welche Weise lässt sich (iv) verstärken? Ein erster Gedanke wäre der folgende:

(iv) b möchte(t1) K(b, t2) & K(b, t2) ist inkompatibel mit G(b, t2)

G lässt sich mit dem, was b tun möchte, nicht vereinbaren. Diese Formulierung

scheint wiederum zu stark zu sein und stellt somit nicht einmal eine notwendige Bedingung dar. Nehmen wir wieder das Beispiel mit der Sekretärin und gehen wir davon aus, dass die Sekretärin in den Chef verliebt ist und ihn küssen möchte. Nach der Drohung des Chefs schreibt sie jedoch den Brief und verzichtet auf den Kuss. Ich würde sagen, dass hier eine Machtausübung des Chefs vorliegt. Das würde aber die verstärkte Bedingung (iv) nicht mehr zulassen, da das Brief schreiben und das Küssen sicher keine inkompatiblen Handlungen sind. Die Bedingung ist demnach zu stark. Auch hier hilft uns, wie ich meine, der Präferenzbegriff weiter. Um das Problem der nicht in Erwägung gezogenen Handlungen in den Griff zu bekommen, muss nur verlangt werden, dass es mindestens eine Handlung F gibt, die b zum Zeitpunkt t1 gegenüber G präferiert hat.

(iv) ∃(F(b, t2)): F(b, t2) ≥b,t1 G(b, t2)

Der Ausdruck F(b, t2) ≥b,t1 G(b, t2) sagt aus, dass F für b zum Zeitpunkt t1 eine

höhere Präferenz hat als G. Damit kommen wir zu der folgenden Definition (3), die ich hier zur Diskussion stellen möchte:

(3) „Person a übt zu t1 mit der Handlung H Macht auf die Handlung G einer

Person b aus“, gdw. (i) G(b, t2) (ii) H(a, t1) G(b, t2) / ¬ H(a, t1) ⇒ ¬ G(b, t2) (iii) ¬∃ (F(b, t2)): F(b, t2) ≥a,t1 G(b, t2) (iv) ∃(F(b, t2)): F(b, t2) ≥b,t1 G(b, t2)

In Worten: (3) „Person a übt zu t1 mit der Handlung H Macht auf die Handlung G einer

Person b aus“, gdw. (i) die machtunterworfene Handlung ausgeführt wird,

Page 15: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

15

(ii) die machtunterworfene Handlung eine Reaktion auf die machtausübende Handlung ist,

(iii) die machtunterworfene Handlung eine Handlung im Sinne des Machtausübenden ist, und

(iv) die machtunterworfene Handlung vom Machtunterworfenen zunächst nicht präferiert wurde.

Ich werde diesen Definitionsvorschlag im folgenden zur Diskussion stellen,

indem ich ihn mit verschiedenen Problemen und Einwänden konfrontiere. 3. Probleme der Definition des Begriffs der Machtausübung 3.1. Präferenzen und Absichten Ich möchte hier zunächst auf eine Problematik aufmerksam machen, die sich

aus dem Vergleich der dritten und vierten Bedingung ergibt und ein paar weitere Präzisierungen des Begriffs der Präferenz erfordert. Wenn eine Präferenz als handlungsleitend aufgefasst wird, wie in (iv), dann stellt sich offensichtlich die Frage, ob man im Rahmen von (iii) im selben Sinn von einer Präferenz sprechen kann. D.h. kann ich eine (potentiell handlungsleitende) Präferenz bezüglich der Handlungen einer anderen Person haben? Wenn der Begriff der Präferenz im Sinne einer handlungsleitenden Absicht verwendet wird, ist dann nicht (iii) ebenso als sinnlos abzulehnen wie: „A hat die Absicht, dass b G ausübt.“? Nur wenn Präferenzen sich auf eigene Handlungen beziehen, dann können sie auch handlungsleitend sein. Dann kann ich aber keine Absichten bezüglich der Handlung einer anderen Person haben.

Dieser naheliegende Einwand lässt sich durch die folgende präzisierte

Darstellung des Verhältnisses zwischen verschiedenen Typen von Präferenzen in ihrem Verhältnis zu Handlungen entkräften. Ich unterscheide zwischen 3 Typen von Präferenzen, nämlich zwischen einfachen Wünschen (bzw. basalen Präferenzen), einem (rationalen) Wollen und handlungsleitenden Absichten (beide vormals undifferenziert „konditionale Präferenzen“ genannt), sowie zwischen 2 Typen von Überzeugungen: erstens Überzeugungen in den Weltverlauf (primär zwischen Sachverhalten und ihren Konsequenzen/Wirkungen); und zweitens Überzeugungen über die eigenen Möglichkeiten, den Weltverlauf mit seinen Handlungen zu beeinflussen. Ich möchte im folgenden kurz versuchen, die Verhältnisse zwischen diesen 4 Formen genauer darzustellen.

Wünsche haben im allgemeinen die Form: A wünscht, dass p. A wünscht, dass q. A wünscht, dass r.

Page 16: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

16

Der Inhalt des Wunsches ist eine Proposition (hier notiert als p, q, r, s).

Wünsche können stärker oder schwächer sein und generieren damit eine Präferenzordnung, die sich durch die Relation ≥ (relativiert auf einen Akteur und einen Zeitpunkt) zum Ausdruck bringen lässt. Also z.B. so:

p ≥a,t r ≥a,t q ≥a,t s

Überzeugungen in den Weltverlauf haben die folgende Form: A glaubt, dass p → s (A glaubt, dass das Bestehen von p zur Folge hat, dass s besteht.) A glaubt, dass r → q ... Welche Interpretation man hier dem Pfeil geben soll, ist nicht so wichtig. Wenn

man so will, dann lassen sich aus den basalen Präferenzen (Wünschen) und den Überzeugungen in den Weltverlauf weitere (abgeleitete) Präferenzen „errechen“ (vorausgesetzt, der Akteur ist rational). Ich hatte in diesem Sinne von konditionalen Präferenzen gesprochen, die ich nun als ein (überlegtes) „Wollen“ darstellen möchte. Aus der basalen Präferenz „A wünscht, dass q“ und der Überzeugung „A glaubt, dass r → q“ ergibt sich folgendes Bild dessen, was A will:

A will (aufgrund seiner Wünsche und Überzeugungen), dass r. Auch dieses Wollen hat Propositionen (und nicht nur die eigenen Handlungen)

zum Inhalt. Auch hier können wir wieder Stärkegrade unterscheiden: A will r mehr als p. r w≥a, t p Wie kommen wir nun von diesem rational Gewollten zu handlungsleitenden

Absichten und von dort zu unseren Handlungen? Ich lasse als Inhalte handlungsleitender Absichten nur Handlungen zu, die von dem jeweils betreffenden Akteur selbst ausgeführt werden können. Die Form des Wollens reicht dazu nicht aus, weil diese wie die Wünsche auf Propositionen gerichtet ist. Wir brauchen noch ein weiteres Element, nämlich Überzeugungen darüber, mit welchen Handlungen (Mitteln) ich welche Ziele (gewollte Sachverhalte) herbeiführen kann. Diese nenne ich: Überzeugungen in die (eigenen) Handlungsmöglichkeiten. Überzeugungen in die eigenen Handlungsmöglichkeiten haben die folgende Form:

A glaubt, dass H(a, t) → r.

Page 17: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

17

(A glaubt, dass er r erreichen kann, wenn er H tut.) A glaubt, dass G(a, t) → p. ... Das Modell, welches ich mir vorstelle, sieht also folgendermaßen aus: Wir

haben (basale) Wünsche verschiedener Stärke, und diese ergeben mit unseren Überzeugungen in den Weltverlauf ein (rationales) Wollen. Dieses schließlich generiert mit unseren Überzeugungen in die (eigenen) Handlungsmöglichkeiten handlungsleitende Absichten, die dann in die Tat umgesetzt werden. Handlungsleitende Absichten können nur eigene Handlungen zum Inhalt haben:

A beabsichtigt H(a, t). A beabsichtigt G(a, t). Wenn wir diese Unterscheidungen zu Rate ziehen, dann zeigt es sich, dass in

der dritten Bedingung nicht von handlungsleitenden Absichten, sondern von einem rationalen Wollen die Rede ist, welche Propositionen zum Inhalt haben kann, die sowohl das eigene Handeln als auch die Handlungen anderer Akteure betreffen können. Es kann sich hier nur um das rationale Wollen handeln, denn der Wunsch von a, dass b G tut, kann nur via einer Überzeugung in die eigenen Handlungsmöglichkeiten von a eine handlungsleitende Absicht generieren, also beispielsweise vermittels der Überzeugung, dass b G tun wird, falls er H tut. Die vierte Bedingung verlangt nur, dass es überhaupt Handlungsalternativen gibt, die b mehr präferiert als das fragliche G. Es kann sich daher nicht um unmittelbar handlungsleitende Absichten von b handeln. Wir müssen jedoch nicht entscheiden, ob hier bloße Wünsche oder ein rationales Wollen im Spiel ist, denn das ist irrelevant in Bezug auf das erwähnte Problem.

3.2. Unkenntnis: Ein Problem in Bezug auf die dritte Bedingung Die folgenden beiden Beispiele scheinen zu zeigen, dass die Formulierung der

dritten Bedingung zu stark zu sein scheint. (1) Ein General befiehlt einem Oberst, den Verräter A zu exekutieren. Der

Oberst befielt daraufhin dem Soldaten B, A zu exekutieren, woraufhin B A exekutiert. Hier scheint es so zu sein, dass nicht nur der Oberst, sondern auch der General Macht auf den Soldaten B ausübt. Der General jedoch kennt nur den Oberst, nicht den Soldaten, der seinen Befehl letztendlich tatsächlich ausgeführt hat. Für den Fall, dass die Delegation der Ausübung von Macht Schwierigkeiten bereitet, lässt sich das Beispiel dahingehend abwandeln, dass wir uns vorstellen, der General hat das Exekutionsbüro angerufen und den diensthabenden Soldaten B direkt den Befehl gegeben, A zu exekutieren, ohne sich jedoch einen Deut dafür zu

Page 18: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

18

interessieren, wen er am anderen Ende der Leitung hatte. Falls hier Macht ausgeübt wird, kann die dritte Bedingung nicht erfüllt sein, da der General nicht gewollt haben kann, dass dieser bestimmte Soldat B den Verräter A exekutiert. Ist es nun so, dass jemand Macht ausüben kann, ohne von dem, was er erzwingt, eingehend Kenntnis zu besitzen?

(2) A möchte, dass B ihm Geld gibt. Er überlegt sich, dass er dies erreichen

kann, indem er das Geld von B unter vorgehaltener Pistole erpresst. Da er aber nur eine Pistolenattrappe zur Verfügung hat, ist er sich nicht sicher, ob ihm das gelingt, also übt die Erpressung von B in bezug auf eine Person C, um festzustellen, ob er überzeugend genug ist. Nun erpresst A C. Was A allerdings nicht weiß, ist, dass B sich nur verkleidet hat und identisch mit C ist.

Zwar hat in beiden Fällen der Machtunterworfene im Sinne des

Machtausübenden gehandelt, es ist aber nicht so, dass der Machtausübende die machtunterworfene Handlung auf eine Weise präferiert hätte, wie es in der dritten Bedingung verlangt wird. Der General war agnostisch bezüglich der Person, die ihren Befehl letztlich ausführt; der Räuber irrte sich bezüglich des Opfers seiner Erpressung. Beide haben nicht genau das gewollt, was sie letztlich erreicht haben. Aber genau dies wird in der dritten Bedingung verlangt.

Wir können hier nicht einfach die dritte Bedingung fallen lassen. Wir hatten

schon bei den Überlegungen zum Begriff des Machtbesitzes gesehen, dass es bei Macht nicht darauf ankommt, irgendetwas zu erreichen, sondern darauf, das zu erreichen, was man will. Jemanden, der immer irgendetwas aber nie das erreicht, was er will, wird man ohnmächtig nennen wollen. Zu behaupten, dass er regelmäßig Macht ausübe, widerstrebt unseren Intuitionen. Mir scheint daher, dass die dritte Bedingung nicht fallen gelassen werden darf, sondern abgeschwächt werden muss. Wir sollten daran festhalten, dass die Reaktion im Sinne des Machtausübenden geschieht, ohne sich jedoch auf einen allzu genauen Inhalt dieser Reaktion festlegen zu müssen. Die angebotene Formulierung erweist sich als zu vorschnell und nun wäre es an der Zeit, den Ausdruck „ist eine Reaktion im Sinne des Handelnden“ präziser zu erläutern.

Ich werde mich hier nur mit Andeutungen begnügen. Ein erster Schritt wäre,

den Bezug auf eine bestimmte Person oder Gruppe zu tilgen und lediglich zu verlangen, dass es irgendjemanden gibt, der die erwünschte Reaktion zeigt. Selbst in Situationen, in denen der Machtausübende eine ganz bestimmte Person im Sinn hatte, scheint das eine vernünftige Forderung zu sein. Stellen wir uns beispielsweise einen Vater auf dem Spielplatz vor, der seinen Sohn, welcher sich am Klettergerüst austobt, mit den Worten „Komm sofort hierher!“ zu sich ruft. Nun könnte es sein, dass dieser darauf mit noch wilderen Tobereien reagiert, während seine Tochter, die neben seinem Sohn spielt, betreten zu ihrem Vater kommt, weil

Page 19: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

19

sie dachte, sie sei gemeint. In diesem Fall würden wir sagen wollen, dass der Vater nicht gegenüber seinem Sohn, sondern gegenüber seiner Tochter Macht ausgeübt hat, was zeigt, dass es vielmehr auf den Inhalt der Handlung als die ausführende Person ankommt, selbst dann, wenn der Machtausübende etwas von einer ganz bestimmten Person will und nicht von einer anderen. Der zweite Schritt besteht dann darin, den Inhalt der Reaktion auf eine breitere Klasse von möglichen Handlungsalternativen auszudehnen, die alle, obgleich verschieden, derart sind, dass sie noch als Reaktionen gelten, die im Sinne des Machtausübenden erfolgen. Wie weitgehend der Spielraum, den wir hier haben, wirklich ist, müsste eine eingehendere Diskussion, auf die ich hier nicht zurückkommen kann, zeigen.

3.3. Handeln im Einklang mit dem Machtausübenden: Ein Problem in

Bezug auf die vierte Bedingung Scheinbar kommt es nicht immer darauf an, dass ein Widerstand seitens des

Machtunterworfenen überwunden werden muss, wie die folgenden Beispiele zeigen:

(1) Stellen wir uns vor, A hat die Absicht nach Hause zu gehen und dort seine

Frau zu erstechen. Er kann sie nicht leiden. Zuhause trifft A zu seiner Überraschung auf B, der seine Frau gefesselt hat. B zwingt nun A mit vorgehaltener Pistole, seine Frau zu erstechen. A ersticht darauf hin seine Frau.

(2) Ein Masochist A will, dass man ihn eine Nacht lang in eine Zelle einsperrt.

B sperrt A nun in die Zelle ein. (3) Angenommen eine gehorsamer, vorausdenkender Mitarbeiter A ist sich

dessen bewusst, dass eine bestimmte Überweisung getätigt werden muss. Er möchte diese Überweisung nun gern tätigen, ist aber nicht ermächtigt, dies ohne den Befehl seines Chefs zu tun. Der Chef befiehlt ihm nun, dies zu tun, und A tut es darauf hin.

Die vierte Bedingung scheint in all diesen und vielen weiteren Beispielen nicht

erfüllt zu sein, da der Protagonist A schon ohne die machtausübende Handlung seines Gegenspielers die Präferenz hatte, die verlangte Handlung auszuführen: Der Mörder wollte seine Ehefrau erstechen; der Masochist möchte gern in einer Zelle sitzen; der Mitarbeiter ist darauf erpicht, eine Überweisung zu tätigen. Trotzdem scheint auf A Macht ausgeübt worden zu sein. Heißt das nun, dass es Machtausübungen gibt, bei denen es nicht darauf ankommt, dass ein Widerstand seitens des Machtunterworfenen überwunden werden muss?

In Bezug auf diese Fälle lässt sich vielleicht sagen, dass unsere Intuitionen nicht

eindeutig genug sind, um von echten Gegenbeispielen zu sprechen. Wir brauchen

Page 20: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

20

mehr Informationen, um uns für die eine oder andere Seite entscheiden zu können. Wenn wir die Beispiele weiter ausschmücken, dann können wir zumindest, wie ich meine, zwei Fälle unterscheiden, die ich in Bezug auf das erste Beispiel diskutieren möchte: (i) In dem Moment, in welchem B mit vorgehaltener Pistole vor ihm steht, hat A nichts anderes im Sinn als seine Frau zu erstechen. Darauf hin ersticht er sie. Hier wäre nicht nur die vierte, sondern auch die zweite Bedingung verletzt. A handelt gar nicht in Reaktion auf B; es ist gänzlich irrelevant, ob B mit seiner Pistole vor A steht oder nicht. In diesem Fall würden wir nicht von Machtausübung sprechen, auch wenn die Situation äußerlich eine Androhung von Gewalt, also einem typischen Fall von Machtausübung darstellt. (ii) Dass B plötzlich mit vorgehaltener Pistole vor ihm steht, führt bei A zu einem Präferenzenkonflikt. Einerseits hatte er sich vorgenommen, seine Frau erstechen; andererseits möchte er nicht, dass ihn jemand mit einer Pistole bedroht; und er möchte auch nicht seine Frau in Reaktion auf das Verhalten von B erstechen. Dies widerspricht dem, was er sich vorgenommen hatte. Wenn er es dann doch tut, ist die vierte Bedingung erfüllt, denn es gibt mindestens eine Handlung, die für A mindestens dieselbe Wertigkeit in seinen Präferenzen besitzt, wie diejenige, die er schließlich ausführt. Für die tatsächliche Ausführung wäre B´s Verhalten ausschlaggebend. In diesem Fall würde ich von Machtausübung sprechen. Aber dieser Fall fällt unter die vorgeschlagene Definition.

Zu den anderen beiden Beispielen lässt sich sicherlich ähnliches sagen. Was

diese Fälle gemeinsam haben, ist, dass es sich bei der Androhung von Gewalt, dem Einsperren in eine Gefängniszelle oder dem Befehlen um typische Fälle von Machtausübung handelt. Dies jedoch beweist nicht, dass es sich bei den konkreten Situationen auch tatsächlich um aktuale Ausübungen von Macht handelt.

3.4. Verlorener Zusammenhang Die entscheidende Schwierigkeit der angebotenen Definition besteht meines

Erachtens darin, dass sie aus einem ganz spezifischen Grund nicht hinreichend ist, um den Begriff der Machtausübung zu definieren. Ich gehe davon aus, dass der Machtunterworfene freiwillig, d.h. aufgrund seiner zum Zeitpunkt der Ausführung seiner Handlung handlungsleitenden Absichten handelt. D.h. aber, dass sich seine Präferenzen vor allem wegen dem, was die vierte Bedingung verlangt, zwischen t1 und t2 verändert haben müssen. Der Machtunterworfene tut etwas, was er ohne Zutun der machtausübenden Handlung eigentlich nicht getan hätte. Und hier kann einiges schief gehen. Intuitiv scheint es so zu sein, dass die Veränderung der Präferenzen von b aufgrund der Handlung des Machtausübenden zustande kommen muss. Nach der jetzigen Definition wird jedoch weniger verlangt, nämlich dass b zum Zeitpunkt t1 nicht die Präferenz hat G zu tun und zum Zeitpunkt t2 die Präferenz hat G zu tun, und dass G eine Reaktion auf H ist. Zusammengenommen ist das weniger als verlangt wird.

Page 21: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

21

Es bleibt die Möglichkeit offen, den Wechsel der Präferenzen auf andere

Ursachen als die Ausübung von H zurückzuführen, wie das folgende Beispiel beweist: A und B wollen sich im Schweigen üben und haben sich ausgemacht, dass derjenige dem anderen einen bestimmten Betrag Geld geben muss, der zuerst einen Laut von sich gibt. A überlegt sich, dass er gewinnen könnte, wenn er B zum Lachen bringt. Er übt dazu schon mal das Grimassenschneiden auf der Straße, während er auf dem Weg zu B ist. In diesem Moment läuft im zufällig C über den Weg und bricht aufgrund der Grimmassen von A in lautes Gelächter aus, was mit sich bringt, dass er versehentlich mit dem Kopf an einen Laternenmast stößt. Das hat wiederum C aus der Ferne beobachtet, der aufgrund dieser Szene seinerseits in lautes Gelächter ausbricht. A hat sein Ziel erreicht; B hat entgegen seinen ursprünglichen Intentionen gehandelt und sein Lachen entschlüpft ihm zum Teil deswegen, weil A Grimassen geschnitten hat: Hätte A keine Grimassen geschnitten, dann wäre C nicht gegen den Mast gelaufen und B hätte nicht gelacht. Hat A somit auf B Macht ausgeübt? Nein. Der Zusammenhang ist einfach nicht auf die richtige Weise zustande gekommen.

Die Schwierigkeit, auf die wir hier stoßen, hat nichts mit der Verwickeltheit

dieses Falls zu tun. Wir können nicht verlangen, dass die Reaktion mehr oder minder unmittelbar auf die machtausübende Handlung erfolgt. Schon ein solch einfacher Fall der Machtausübung, in welchem ein Kind sein Geschwister dazu bringt, ihm sein Spielzeug zurückzugeben, indem es dazu die Hilfe der Eltern in Anspruch nimmt, weist nicht weniger Komplexität und Vermitteltheit auf als der eben geschilderte. Noch viel verwickeltere Beispiele lassen sich leicht finden. Oder denken wir an Fälle von Manipulation. Typischerweise lässt sich jemand nur dann manipulieren, wenn ihm die Zusammenhänge zwischen den Absichten und Wünschen des Machtausübenden und dessen Handlungen verborgen bleibt. Manchmal haben wir die Möglichkeit, Dritte ins Feld zu schicken, weil wir diese und nicht unsere Zielperson zu etwas zwingen können. Und das nutzen wir dann aus, um unsere Zielperson zu etwas zu bringen, was diesen und nicht uns gelingt. Stellen wir uns nur ein schwächliches aber finanziell gut bestücktes Millionärssöhnchen mit kräftigen, aber bestechlichen Freunden und einem ebenfalls schwächlichen aber unbestechlichen Gegenspieler vor. Direkt kann unser Millionärssöhnchen nicht gegen diesen vorgehen; indirekt schon. Wie, das überlasse ich der Phantasie des Lesers.

Erstaunlich ist vielleicht auch, dass sich unser Beispiel so ausbauen lässt, dass

bei gleicher Indirektheit und Vermitteltheit ein Fall von Machtausübung vorliegt. Es könnte sein, dass A damit rechnet, dass B seinen Grimassen aufgrund der abgeschlossenen Wette widersteht, dass es aber wahrscheinlich ist, dass B in Gelächter ausbricht, falls einer anderen Person etwas Komisches passieren würde und B überdies annimmt, dass A nicht in der Nähe ist. A, der sieht, wie B aus dem

Page 22: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

22

Fenster schaut, postiert sich in der Nähe von B´s Wohnung und wartet auf eine günstige Gelegenheit, in der er einen Passanten durch Grimasseschneiden so ablenken kann, dass dieser gegen einen nahe stehenden Laternenmast läuft, womit er hofft, B zum Lachen zu bewegen. Sein Plan gelingt, C kommt des Wegs, lacht über A, stößt sich den Kopf am Mast, woraufhin B lachen muss. Auch in diesem Fall hat A sein Ziel erreicht; B hat gegen seine ursprünglichen Absichten gelacht und dies geschieht zum Teil deswegen, weil A Grimassen geschnitten hat. A hat B zum Lachen gebracht und damit erreicht, was er wollte. Kein typischer, aber ein relativ klarer Fall von Machtausübung.

Was ist hier richtig gelaufen und im anderen Falle falsch? Sollten wir vielleicht

verlangen, dass die Art und Weise des Zustandekommens der machtunterworfenen Reaktion den Erwartungen des Machtausübenden in einem gewissen Maß entsprechen muss? Schließlich ist im zweiten Fall alles nach Plan gelaufen, während das Ergebnis im ersten Fall unerwartet war und mehr oder weniger zufällig zustande gekommen ist. Doch was machen wir dann mit Fällen wie dem, in welchem ein Vater seinen Sohn auffordert vom Klettergerüst zu kommen, woraufhin sich seine Tochter angesprochen fühlt und das Gerüst verlässt, während der Sohn weiter herumtollt. Für den Vater ist alles schief gelaufen, was nur schief laufen konnte; er hat noch nicht einmal wirklich erreicht, was er wollte. Und dennoch würden wir sagen, er habe in dieser Situation Macht auf seine Tochter ausgeübt. Ich würde noch nicht einmal sagen wollen, dass die Reaktion auf die „richtige Weise“ zustande gekommen ist. Irgendwie scheint es so, als müssen die einzelnen Bausteine richtig zusammen passen, um einen Fall von Machtausübung zu ergeben. Leider kann ich hier keinen vernünftigen Vorschlag anbieten, der verdeutlichen könnte, worin dieses Zusammenpassen besteht.

Der Weg zu einer Definition des Begriffs der Machtausübung erweist sich als

fast ebenso steinig wie der zur Definition des Begriffs des Machtbesitzes. Vorausgesetzt, dass Machtausübung in der Einflussnahme auf ein Verhalten besteht, können wir festhalten, dass Macht nur dann ausgeübt wird, wenn es eine entsprechende machtunterworfene Handlung gibt, die gewisse weitere Merkmale erfüllen muss. Welche Merkmale das sind und wie diese dann im einzelnen präzise zu formulieren sind, ist keineswegs einfach zu beantworten.

Zunächst konnten wir festhalten, dass die machtunterworfene Handlung eine

Reaktion auf eine machtausübende Handlung sein muss. Wir hatten hierfür den Begriff der Teilverursachung bzw. einen kontrafaktischen Zusammenhang ins Feld geführt, was als solches schon problematische Konzepte sind, wir mussten aber zusätzlich eingestehen, dass auch sehr verwickelte und weit hergeholte Zusammenhänge zuzulassen sind. Des weiteren haben wir behauptet, dass die Reaktion im Sinne des Machtausübenden sein muss, wobei ein breiter Spielraum an Handlungsalternativen zugestanden werden muss, über den der Machtausübende

Page 23: Ist der Begriff der ‚Machtausübung’ definierbar?1

23

keine vollständige Kontrolle zu besitzen braucht. Der Gedanke, dass Machtausübung mit der Überwindung eines Widerstandes verbunden ist, hat sich in der sehr schwachen Formulierung, dass es mindestens eine Handlungsalternative geben muss, die für den Machtunterworfenen wenigstens eine ebenso hohe Präferenz hatte wie die machtunterworfene Handlung, als relativ robust erwiesen, obgleich in vielen Beispielen unsere diesbezüglichen Intuitionen recht uneindeutig sind. Schließlich müssen all diese Bausteine auf die richtige Weise in den Kontext passen – ein Forderung, von der noch nicht abzusehen ist, ob und wie sie sich weiter präzisieren lässt.

Ich möchte die Hoffnung auf eine sowohl prägnante als auch empirisch

operationalisierbare Definition des Begriffs der Machtausübung, auf die sich eine Theorie der Macht stützen könnte, zwar nicht gänzlich begraben, aber es steht zu vermuten, dass die Adäquatheit der begrifflichen Analyse und die Forderung nach empirischer Signifikanz in gegensätzliche Richtungen ziehen. Vielleicht ist das auch typisch für Begriffe, die sich hartnäckig einer trockenen Analyse entziehen und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb in aller Munde sind.

Balzer, W. (1992): „A Theory of Power in Small Groups“, in: H. Westmeyer (Hg.):

The Structuralist Program in Psychology, Seattle, 191-210 Balzer, W. (1993): Soziale Institutionen, Berlin & New York Dahl, R. A. (1957): „The Concept of Power“, Behavioral Science 2, 201-215 Goldman, A. (1992): „Toward a Theory of Social Power“, in: Ders.: Liaisons.

Philosophy Meets the Cognitive and Social Sciences, Cambridge Ma., S. 257-297

Goodman, N. (1955): Fact, Fiction, Forecast, Cambridge, Ma. Simon, H. (1953): “Notes on the Observation and Measurement of Political

Power”, Journal of Politics 15, 500-516 Tawney, R. H. (1931): Equality, New York Wartenberg, T. E. (1990): The Forms of Power, Philadelphia Weber, M. (1972): Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen