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Dezember 2002 Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“ e.V. D D R R AF AF D D INFORMATION Fortsetzung auf Seite 2 Zum Jahreswechsel übermittelt der Vorstand unseres Verbandes DRAFD e.V. allen Mitgliedern und Freunden gute Wünsche und herzliche Grüße Aus dem Inhalt Ansprache des Berliner Seite 3 Kultursenators Thomas Flierl Aus dem Tätigkeits- Seiten 5 - 7 bericht des Verbandes Peter Gingold Seite 8 zum VVN-BdA-Kongress Vor 60 Jahren: Seiten 9 - 14 Die Schlacht um Stalingrad und die Wende an der Wolga Ein Deutscher Seite 15 in Oradour-sur-Glane Erinnerungen an Seiten 16-18 Gefährten des anti- faschistischen Widerstandes Erlebte Vergangenheit – Seite 19 Mut für die Zukunft: Schüler im Gespräch mit Kämpfern der Résistance Auch wenn die Liste der in den zurück- liegenden Monaten verstorbenen wie jener Kameradinnen und Kameraden, die aus gesundheitlichen Gründen ihre Teilnahme an der Versammlung absa- gen mussten, nicht kürzer geworden ist, war es am 16. November zur dies- jährigen Versammlung in der Gedenk- stätte Deutscher Widerstand in Berlin nicht viel anders als in den vorangegan- genen Jahren. Mit einer wesentlichen Ausnahme: Im DRAFD-Jubiläumsjahr übermittelte Thomas Flierl (PDS), Sena- tor für Wissenschaft, Forschung und Kul- tur in der Hauptstadt, die besten Grüße des Berliner Senats. In seiner Ansprache (siehe Seite 3) brach- te er seine Hochachtung und Wertschät- zung für das zehnjährige Wirken unseres Verbandes zum Ausdruck. Er verwies auf Auf die junge Generation zugehen Jahresversammlung am 16. November 2002. Bisherige Vorstandsmitglieder wiedergewählt die vielen Fronten des antifaschistischen Widerstandskampfes und bestärkte zu- gleich die noch lebenden Teilnehmer je- ner Kämpfe darin, in Zeitzeugen-Gesprä- chen ihr authentisches Wissen und ihre gelebten Erfahrungen verstärkt der jun- gen Generation zu vermitteln. An die vielen Gesichter des Widerstandes hatten die Tagungsteilnehmer auch zu Beginn der Jahrestagung mit der schon traditionellen Ehrung im Innenhof der Ge- denkstätte erinnert, wo die Kameraden Peter Gingold und Gottfried Hamacher sowie Ludwig Baumann, der Vorsitzende der „Bundesvereinigung Opfer der NS- Militärjustiz“ , Blumengebinde niederleg- ten. Zuvor hatte Gottfried Hamacher u. a. einige Beispiele für die Verbindungen zwischen den Verschwörern um Graf Stauffenberg und Widerstandsgruppen der Bewegung „Freies Deutschland“ ge- nannt (siehe Seite 4). Auch Gastgeber Johannes Tuchel, der Leiter der Gedenkstätte, verwies im An- schluß an die Rede von Thomas Flierl auf das weiterhin ungebrochene öffentliche Interesse am antifaschistischen Widerstand, was nicht zuletzt von Jahr zu Jahr steigen- de Besucherzahlen in seinem Haus bele- gen würden. Insbesondere bei den von der Gedenkstätte regelmäßig veranstal- teten Gesprächen mit Zeitzeugen sowie wissenschaftlichen Veranstaltungen hoffe er auch künftig auf die Unterstützung von DRAFD und eine Fortsetzung der bewähr- ten Zusammenarbeit, auch wenn man nicht immer in allen Fragen der Bewer- tung des historischen Geschehens einer Meinung sei. Verbandsvorsitzender Ernst Melis dankte den beiden Gästen für ihre Worte wie die darin zum Ausdruck gebrachte Ermuti- gung und versicherte namens der DRAFD- Mitglieder, angesichts der anhaltenden neonazistischen, rassistischen und aus- länderfeindlichen Umtriebe bei der weite- ren Vermittlung ihrer Erfahrungen keine Anstrengungen zu scheuen. Vor dem Eintritt in die einstimmig be- schlossene Tagesordnung und dem Be- ginn der von Prof. Dr. Stefan Doernberg geleiteten Diskussion gedachte die Ver- sammlung der in diesem Jahr verstorbe- nen Kameradinnen und Kameraden Irene Bernard, Pierre Durand, Werner Eberlein, Dr. Roland Feix, Dr. Joachim

Jahresversammlung am 16. November 2002. …lenwert des Antifaschismus in der bundesre-publikanischen Gesellschaft. All die nicht nach-lassenden Versuche, sich des Antifaschismus zu

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Page 1: Jahresversammlung am 16. November 2002. …lenwert des Antifaschismus in der bundesre-publikanischen Gesellschaft. All die nicht nach-lassenden Versuche, sich des Antifaschismus zu

Dezember 2002

Verband Deutscher in der Résistance,in den Streitkräften der Antihitlerkoalition undder Bewegung „Freies Deutschland“ e.V. DD RR A FA FDDINFOR MATION

Fortsetzung auf Seite 2

Zum Jahreswechsel übermittelt der

Vorstand unseres Verbandes

DRAFD e.V.allen Mitgliedern und Freunden

gute Wünsche und herzliche Grüße

Aus dem InhaltAnsprache des Berliner Seite 3Kultursenators Thomas Flierl

Aus dem Tätigkeits- Seiten 5 - 7bericht des Verbandes

Peter Gingold Seite 8zum VVN-BdA-Kongress

Vor 60 Jahren: Seiten 9 - 14Die Schlacht um Stalingradund die Wende an der Wolga

Ein Deutscher Seite 15in Oradour-sur-Glane

Erinnerungen an Seiten 16-18Gefährten des anti-faschistischen Widerstandes

Erlebte Vergangenheit – Seite 19Mut für die Zukunft: Schülerim Gespräch mit Kämpfernder Résistance

Auch wenn die Liste der in den zurück-liegenden Monaten verstorbenen wiejener Kameradinnen und Kameraden,die aus gesundheitlichen Gründen ihreTeilnahme an der Versammlung absa-gen mussten, nicht kürzer gewordenist, war es am 16. November zur dies-jährigen Versammlung in der Gedenk-stätte Deutscher Widerstand in Berlinnicht viel anders als in den vorangegan-genen Jahren. Mit einer wesentlichenAusnahme: Im DRAFD-Jubiläumsjahrübermittelte Thomas Flierl (PDS), Sena-tor für Wissenschaft, Forschung und Kul-tur in der Hauptstadt, die besten Grüßedes Berliner Senats.

In seiner Ansprache (siehe Seite 3) brach-te er seine Hochachtung und Wertschät-zung für das zehnjährige Wirken unseresVerbandes zum Ausdruck. Er verwies auf

Auf die junge Generation zugehenJahresversammlung am 16. November 2002. Bisherige Vorstandsmitglieder wiedergewählt

die vielen Fronten des antifaschistischenWiderstandskampfes und bestärkte zu-gleich die noch lebenden Teilnehmer je-ner Kämpfe darin, in Zeitzeugen-Gesprä-chen ihr authentisches Wissen und ihregelebten Erfahrungen verstärkt der jun-gen Generation zu vermitteln.

An die vielen Gesichter des Widerstandeshatten die Tagungsteilnehmer auch zuBeginn der Jahrestagung mit der schontraditionellen Ehrung im Innenhof der Ge-denkstätte erinnert, wo die KameradenPeter Gingold und Gottfried Hamachersowie Ludwig Baumann, der Vorsitzendeder „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz“ , Blumengebinde niederleg-ten. Zuvor hatte Gottfried Hamacher u. a.einige Beispiele für die Verbindungenzwischen den Verschwörern um GrafStauffenberg und Widerstandsgruppender Bewegung „Freies Deutschland“ ge-nannt (siehe Seite 4).

Auch Gastgeber Johannes Tuchel, derLeiter der Gedenkstätte, verwies im An-schluß an die Rede von Thomas Flierl aufdas weiterhin ungebrochene öffentlicheInteresse am antifaschistischen Widerstand,was nicht zuletzt von Jahr zu Jahr steigen-de Besucherzahlen in seinem Haus bele-

gen würden. Insbesondere bei den vonder Gedenkstätte regelmäßig veranstal-teten Gesprächen mit Zeitzeugen sowiewissenschaftlichen Veranstaltungen hoffeer auch künftig auf die Unterstützung vonDRAFD und eine Fortsetzung der bewähr-ten Zusammenarbeit, auch wenn mannicht immer in allen Fragen der Bewer-tung des historischen Geschehens einerMeinung sei.

Verbandsvorsitzender Ernst Melis dankteden beiden Gästen für ihre Worte wie diedarin zum Ausdruck gebrachte Ermuti-gung und versicherte namens der DRAFD-Mitglieder, angesichts der anhaltendenneonazistischen, rassistischen und aus-länderfeindlichen Umtriebe bei der weite-ren Vermittlung ihrer Erfahrungen keineAnstrengungen zu scheuen.

Vor dem Eintritt in die einstimmig be-schlossene Tagesordnung und dem Be-ginn der von Prof. Dr. Stefan Doernberggeleiteten Diskussion gedachte die Ver-sammlung der in diesem Jahr verstorbe-nen Kameradinnen und Kameraden

Irene Bernard, Pierre Durand, WernerEberlein, Dr. Roland Feix, Dr. Joachim

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Fortsetzung von Seite 1

Hoffmann, Heinz Hollert, MartinKauders, Albert Kleeberg, Bernt vonKügelgen, Prof. Dr. Heinz Kühnrich, Mar-tha Kummerer, Kurt Müller, WernerMüller, Roland Netter, Anna Notowicz,Henri Rol-Tungay, Ella Rumpf und Dr.Rudolf Weber.

Nachdem Kamerad Doernberg den schrift-lich vorliegenden Tätigkeitsbericht des Vor-standes erläutert und ergänzt hatte, sprachHanna Podymachina zur Arbeit mit denFinanzen, und Dr. Gertrud Markus erstat-tete den Revisionsbericht.

In der dann folgenden Aussprache ergrif-fen das Wort : Jonny Granzow, Kurt Goss-weiler, Gerhard Dengler, Gerhard Leo,Sophie Marum, Harald Wittstock, PeterGingold, Charles Melis, Rolf Heinemann,Ilse Langguth, Heinz Schundau, HorstBernard und Lore Krüger.

Neben Berichten über verschiedene Akti-vitäten und internationale Begegnungen– so in Frankreich, Belgien und Polen –ging es insbesondere um die weitereNutzung aller Möglichkeiten, als Zeitzeu-gen die eigenen Erfahrungen der jungenGeneration zu vermitteln. Als eine solche

Möglichkeit dazu wurde – neben derausbaufähigen Kooperation mit Wissen-schaftlern, Journalisten und Stiftungen,Schulen und Jugendeinrichtungen – dieverstärkte Integration in die wieder erstar-kende Friedensbewegung bzw. solchebreiten Bündnisse wie das europaweiteglobalisierungskritische Netzwerk ATTACbenannt. Peter Gingold sprach in diesemZusammenhang von einer Europäisierungdes Widerstandes gegen Neoliberalis-mus und Kriegsgefahr sowie von einerbereits spürbaren Wiederbelebung desGeistes der Résistance.

Aus alledem ergaben sich zahlreiche Vor-schläge für das Arbeitsprogramm derneuen Legislaturperiode. Im Zusammen-hang mit aktuellen Zeitungsberichten for-derten mehrere Diskussionsredner denVorstand auf, mit einem Schreiben an Ab-geordnetenhaus und Senat von Berlin dienoch immer nicht vollzogene Streichungvon Paul von Hindenburg als Steigbügel-halter des Naziregimes aus der Ehren-bürgerliste der deutschen Hauptstadt an-zumahnen (siehe Seite 5).

Nach dem Abschluss der Diskussion undder einstimmigen Billigung der Berichtesowie der Entlastung des bisherigen Vor-

standes und der Revisoren übernahm dieWahlkommission unter Vorsitz von AndréLohmar die Versammlungsregie zur Wahldes neuen Vorstandes und der Revisoren.Alle sieben bisherigen Vorstandsmitglie-der und die drei Revisoren wurden ein-stimmig in ihren Ämtern bestätigt. ErnstMelis wurde vom neuen Vorstand erneutmit dem Vorsitz des Verbandes betraut.

Pfarrer i. R. Erich ArndtLudwig BaumannDr. Horst BehrendtWalter BlochKurt ErlebachMarcel Grünberg

Der auf der Mitgliederversammlung am 16. November 2002 einstimmig gewählte

Vorstand des VerbandesErnst Melis, Vorsitzenderehemaliger Angehöriger der französischen Résistance

Kurt Hälker, stellvertretender Vorsitzenderehemaliger Angehöriger der französischen Résistanceund der französischen Armee

Hanna Podymachina, Schatzmeisterinehemaliger Offizier der Roten Armee

Horst Bernard,Landesvorsitzender Saar der VVN-BdA

Prof. Dr. Stefan Doernbergehemaliger Offizier der Roten Armee

Peter Gingold,ehemaliger Angehöriger der französischen Résistanceund der französischen Armee

Dr. Herbert MeyerHistoriker

REVISOREN: Dr. Gertrud Markus, Marianne Brümmer, Hans Heisel

Vom Vorstand in den BEIRAT berufen:

Gottfried HamacherHans HeiselWerner KnappLore KrügerGerhard LeoKurt Lohberger

André LohmarDr. Gertrud MarkusHorst MeyerGerhard OertelDr. Gisela PetruschkaPeter Rau

Katrin RuhDr. Hermann-Ernst SchauerProf. Dr. Rudolf UrbanskiDr. Günter WehnerHarald WittstockGerhard Zadek

Der VerbandDRAFD e. V.lädt historisch interessierte

junge Leute zur Mitarbeit

in seinen thematischen

Arbeitsgruppen herzlichst ein.

Anmeldungen bitte

schriftlich an die

Berliner Geschäftsstelle.

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3Fortsetzung auf Seite 4

Sehr geehrte Damen und Herren,liebe Freunde,

zunächst bedanke ich mich sehr herzlich fürIhre Einladung. Es ist mir Ehre und Freude zu-gleich, Ihnen aus Anlass des zehnjährigenBestehens der ersten gesamtdeutschen Orga-nisation und einzigen Vereinigung deutscherPatrioten, die am Freiheitskampf der Völkergegen den Hitlerfaschismus teilnahmen, diebesten Grüße des Berliner Senats zu überbrin-gen.

Ich möchte Sie mit meiner Teilnahme an IhrerMitgliederversammlung meiner Wertschätzungund Hochachtung für Ihre Arbeit versichern.Die in Ihrem Verband organisierten Frauenund Männer haben unter Spaniens Himmelgegen Franco und die Legion Condor, in denArmeen der Antihitler-Koalition, in der Rési-stance und in der weltweiten Bewegung „Frei-es Deutschland“ mit der Waffe und mit demWort für die Zerschlagung des deutschenFaschismus gekämpft. Viele der aus Deutsch-land geflohenen, ausgebürgerten und ver-triebenen Antifaschisten haben sich nach demEinfall deutscher Truppen sofort bei den Mili-tärbehörden ihrer Gastländer gemeldet, diedas anfangs häufig zurückwiesen und siesogar zunächst mit anderen Deutschen inter-nierten. Soldaten und Offiziere sind aus derWehrmacht desertiert, übergelaufen oderhaben sich in der Kriegsgefangenschaft dem„Nationalkomitee Freies Deutschland“ oderdem „Bund Deutscher Offiziere“ angeschlos-sen, haben Flugblätter entworfen, die deut-schen Soldaten aufgerufen, die Waffen end-lich niederzulegen und weiteres Blutvergie-ßen zu vermeiden. Manche haben mit denNachrichtendiensten der Alliierten zusammen-gearbeitet und sind als Fallschirmspringer hin-ter den deutschen Linien abgesprungen.

Zahlreiche Künstler, Schriftsteller und Intellek-tuelle, darunter Ludwig Renn, Stabschef der11. Internationalen Brigade in Spanien, Ste-fan Heym, Erich Weinert, Willi Bredel, Thomasund Heinrich Mann und viele andere habenmit dem Wort in die Kämpfe eingriffen. Kon-rad Wolf, der als Offizier der Roten Armeenach Berlin kam, hat mit dem Film „Ich warneunzehn“ einen der eindrucksvollsten DEFA-Filme geschaffen. Ich erinnere mich an Ge-spräche mit Walter Kaufmann, der als jungerSoldat in der australischen Armee kämpfte.Der Maler Willi Sitte hat bei den italienischen,der Regisseur Falk Harnack bei den griechi-schen Partisanen gekämpft. Vor kurzem wur-de eine bemerkenswerte Ausstellung des be-deutenden amerikanischen FilmarchitektenKen Adam im Gropius-Bau eröffnet. Ken Adam,dessen Familie das bekannte Sport- und Mo-degeschäft „S. Adam“ Leipziger-, Ecke Friedrich-straße besaß, emigrierte 1934 nach England.1941 wurde Adam in die Royal Air Forceaufgenommen und war damit der erste und

Antifaschismus ist kein AuslaufmodellAnsprache des Berliner Kultursenators Thomas Flierl auf der DRAFD-Jahresversammlung

bis 1944 einzige deutsche Jagdflieger derbritischen Luftwaffe.

Die Mitglieder der DRAFD bewahren mit ihrerunermüdlichen Arbeit zugleich das Vermächt-nis von Tausenden Deutschen, die in diesemKampf ihr Leben gegeben haben. Sie gehör-ten zu den wenigen, allzu wenigen Deut-schen, auch wenn es insgesamt wohl weitüber zehntausend waren, die das Nazi-Re-gime von außen bekämpften und für dasandere Deutschland standen. Ihr Beitrag imKampf gegen den Hitlerfaschismus wird inMuseen und ständigen Ausstellungen inRussland, so in dem Museum in Krasnogorsk,aber auch in Frankreich und hier in der Ge-denkstätte Deutscher Widerstand dokumen-tiert und gewürdigt und auf diese Weise imkollektiven Gedächtnis der Völker bewahrt.Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand hatin den letzten Jahren in Tagungen, Ausstellun-

Zahlreiche internationale Begegnungen, dasZusammentreffen mit jungen Leuten und nichtzuletzt die zahlreichen Zugriffe auf die Inter-netseite Ihres Verbandes zeugen von dem zu-nehmenden Interesse und der großen Aner-kennung, die Ihre Tätigkeit in der Bundesrepu-blik und in anderen Ländern finden. Ich haltees für außerordentlich wichtig, dass Sie, soweites Ihre Gesundheit Ihnen erlaubt, als Zeitzeu-gen in die Schulen gehen und der jungenGeneration Ihr gelebtes Wissen weitergeben.Gleichzeitig wirken Sie mit Ihrer vielfältigenArbeit auf die Diskussion zum politischen Stel-lenwert des Antifaschismus in der bundesre-publikanischen Gesellschaft. All die nicht nach-lassenden Versuche, sich des Antifaschismuszu entledigen, ihn zu delegitimieren, zu histo-risieren, ihn als Mythos allein auf seine Fehler,Entstellungen und historischen Versäumnissezu reduzieren oder ihn in einen allgemeinenantitotalitären Konsens aufzulösen, zeugeneher von seiner Lebenskraft, von seinen Lang-zeitwirkungen. Allein schon die anhaltendeDebatte zeigt für mich, dass der Antifaschis-mus kein Auslaufmodell ist, auch wenn dieDiskussion zu den Leistungen und Defiziten,den Einengungen und Instrumentalisierungennoch lange nicht abgeschlossen ist.Es geht jedoch nicht nur um den historischenStandort des Antifaschismus, sondern auchum seine Perspektiven in einer Welt, die durchrechtspopulistische und neofaschistische Be-wegungen gefährdet und durch einen zuneh-menden Rassismus und sich ausbreitendenNationalismus erschüttert wird. Die politischeDimension eines neuen Antifaschismus gehtüber ein bloßes „Anti“ hinaus. Zur Verteidi-gung universalistischer Menschenrechte, de-mokratischer und sozialer Bürgerrechte be-darf es eines neuen Konsenses, der die histo-rische Perspektive des Antifaschismus aufnimmt.In dieser Debatte ist Ihre Arbeit so wichtig,zeugt sie doch von einem gelebten Antifa-schismus.Der Kampf gegen den deutschen Faschismuswird seinen Ehrenplatz in der Geschichte be-halten. Bei der Verteidigung der spanischenRepublik und nach dem von Deutschlandausgelösten Vernichtungskrieg entstand eineweltweite antifaschistische Bewegung, an dersich Millionen Menschen in unterschiedlich-sten Kampfformen beteiligten. Im Antifaschis-mus bündelten sich entschieden demokrati-sche, antikapitalistische, antimilitaristische, re-ligiöse und pazifistische Antworten auf dieexistentielle Bedrohung der Menschheit durchfaschistische Barbarei. Der antifaschistischeKonsens reichte von Kommunisten bis zu kon-servativen Hitler-Gegnern. Die Beseitigung derfaschistischer Fremdherrschaft in den okku-pierten Ländern und die Überwindung desNS-Regimes in Deutschland waren der klein-

Thomas Flierl (Mitte) an der Seite der Ka-meraden Gerhard Dengler und HermannSchauer

gen und in Diskussions- und Filmveranstal-tungen dazu beigetragen, dass dieser beson-ders im Westen Deutschlands kaum bekannteoder lange Zeit mit Verratsvorwürfen diskredi-tierte Widerstand gegen den Nationalsozia-lismus einen neuen, der historischen Wahrheitverpflichteten Zugang und damit zunehmendein öffentliches Interesse und eine breite ge-sellschaftliche Akzeptanz findet.

Den vorliegenden Tätigkeitsbericht der DRAFDhabe ich mit großem Interesse gelesen, zeugter doch von der vielfältigen Arbeit, die Sienoch im hohen Alter bei der Vermittlung IhrerErfahrungen in der Bundesrepublik, in Frank-reich, Russland, Italien und anderen Ländernleisten. Kulturstaatsekretärin Krista Tebbe konn-te die von der DRAFD erarbeitete eindrucks-volle Ausstellung „Für Deutschland – gegenHitler – Die weltweite Bewegung FreiesDeutschland“ Mitte Juni diesen Jahres imFoyer des Schöneberger Rathauses eröffnen.

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Der deutsche Widerstand hat viele GesichterAnsprache von Gottfried Hamacher im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Fortsetzung von Seite 3

ste gemeinsame Nenner und zugleich dasgrößte Ziel. Es entstand eine widerspruchsvol-le pluralistische antifaschistische Sammlungs-bewegung mit unterschiedlichen Ansätzen,auseinandergehenden Vorstellungen, Brüchenund ständig neuen Anfängen. Im Kampf ge-gen ein menschenverachtendes System ein-maligen Ausmaßes verkörperte der Antifa-schismus die Hoffnung auf eine Welt in Frie-den und Freiheit, wie es im Schwur der befrei-ten Häftlinge von Buchenwald am 19. April1945 zum Ausdruck kam.Die meisten der Frauen und Männer, die inden Armeen der Anti-Hitler-Koalition, der Ré-sistance und bei den Partisanen gekämpfthatten, beteiligten sich nach 1945 am Aufbaueines neuen antifaschistischen Staatswesensin beiden Teilen Deutschlands. Aber nichtallen war es vergönnt, am Neuaufbau teilzu-nehmen. Prominente Gründungsmitglieder desNKFD und des Bundes Deutscher Offizieregerieten nach 1945 unter falschen Anschuldi-gungen in den Stalinschen Repressionsap-parat. So wurde der Vizepräsident des NKFDMax Emendörfer verhaftet, kam ins Internie-rungslager Sachsenhausen. Dort hatte er be-reits im Konzentrationslager als KommunistEnde der dreißiger Jahre eingesessen. Erst1956 konnte er zusammen mit vielen früherenin die Sowjetunion emigrierten und dort ver-hafteten Antifaschisten aus dem sowjetischenGulag zurückkehren. Diejenigen, die in denArmeen der westlichen Armeen gekämpfthatten oder in Westemigration waren, gerie-ten in den fünfziger Jahren unter Spionage-verdacht, mussten sich erklären, rechtfertigenund sich oftmals beruflich neu orientieren. ImWesten galten die „Stacheldrahtsozialisten“,wie die NKFD-Mitstreiter manchmal spöttischin der DDR bezeichnet wurden, noch langeZeit als Vaterlandsverräter. Selbst MarleneDietrich wurde bis in die siebziger Jahre be-schimpft und mit diesem Verdikt belegt. Kom-munisten, die im Spanischen Bürgerkrieg ge-kämpft hatten, erhielten lange Zeit im Gegen-satz zu den Condor-Legionären keine Aner-kennung und Entschädigung.In Berlin erinnern zahlreiche Mahnmale undGedenkstätten an die Verfolgung und Wider-stand gegen das Nazi-Regime. In den näch-sten Jahren werden weitere hinzukommen,darunter das Mahnmal für die ermordetenJuden Europas und ein Mahnmal für dieermordeten Sinti und Roma Europas. Wir dis-kutieren gegenwärtig über eine Gedenkstättefür die Zwangsarbeiter im früheren TreptowerIndustriegebiet. Der Senat von Berlin hat sichtrotz enormer finanzieller Probleme eindeutigdazu bekannt, die vielfältigen großen undkleinen antifaschistischen Gedenkstätten inder Stadt Berlin zu erhalten und setzt sichdafür ein, Programme zur Bekämpfung desRechtsextremismus besonders im Jugend-bereich zu fördern.Ich möchte Ihnen für die weitere so notwendi-ge und unverzichtbare Arbeit viel Kraft, Ge-sundheit und Erfolg wünschen.

Wie in jedem Jahr vor Beginn unserer Jahres-versammlung gedenken wir hier der in derNacht vom 20. zum 21. Juli 1944, nach demmisslungenen Attentat, standrechtlich erschos-senen patriotischen OffiziereOberst Claus Graf Schenk von StauffenbergOberst Albrecht Ritter Mertz von QuirnheimOberleutnant Werner von HaeftenGeneral Friedrich Olbricht.Der deutsche Widerstand hat viele Gesichter;„er begann nicht erst am 20. Juli 1944“, wiees Willy Brandt an dieser Stelle einmal gesagthat, und wie er in eindrucksvoller Weise in derGedenkstätte Deutscher Widerstand veran-schaulicht wird.

wegung „Freies Deutschland“ herzustellen:� In dem von der Hitlerwehrmacht besetztenParis bestanden vertrauliche Kontakte zwi-schen dem Präsidenten des Komitees „FreiesDeutschland“ für den Westen, Otto Nieber-gall, und dem Adjutanten des Militärbefehls-habers in Frankreich, Oberstleutnant Caesarvon Hofacker, einem Vetter Stauffenbergs, dersich zu den Zielen des Nationalkomitees be-kannte.� In Berlin kam es am 22. Juni 1944 zu einerersten Begegnung der zur Verschwörergrup-pe um Stauffenberg gehörenden sozialdemo-kratischen Funktionäre Wilhelm Leuschner und

Ehrendes Gedenken für die Männerdes 20. Juli 1944: Die KameradenGottfried Hamacher, Ludwig Bau-mann und Peter Gingold (von links)

Widerstand gegen Hitlerleisteten zuerst Kommuni-sten und Sozialdemokraten,Gewerkschaften und Kir-chen; Widerstand gegenHitler – das waren Offiziereund Soldaten, Adlige undKonservative, darunter auchehemalige Nazi-Anhänger.Die soziologische Zusam-mensetzung der Frauen undMänner des deutschen Wi-derstandes hat der vorma-lige Bundespräsident Ro-man Herzog wie folgt resü-miert: „Sie kamen aus allen Schichten unseresVolkes, aus allen politischen Lagern, aus allenweltanschaulichen Gruppierungen und Alters-schichten; und so gering sie der Zahl nachwaren, so waren sie doch wenigstens ihrerHerkunft nach für unser Volk repräsentativgewesen.“Widerstand gegen Hitler leisteten der Allein-attentäter Georg Elser, die „Weiße Rose“ derGeschwister Scholl, das Nationalkomitee „Frei-es Deutschland“ und der Bund DeutscherOffiziere wie der Dompropst der St.-Hedwig-Kathedrale in Berlin Bernhard Lichtenberg,die Rote Kapelle wie die illegale Saefkow-Ja-cob-Bästlein-Organisation. Widerstand gegenHitler leisteten die jüdischen Mädchen undJungen der Herbert-Baum-Gruppe und dieje-nigen Deutschen, die aus Deutschland fliehenmussten und sich im Exil in den von Hitlerokkupierten Ländern der Résistance und derBewegung Freies Deutschland für den Westenanschlossen oder in den alliierten Streitkräftenden Kampf gegen Hitler fortsetzten.Widerstand gegen Hitler leisteten die deut-schen Soldaten in den sogenannten „Bewäh-rungseinheiten 999“, die sich mit den Partisa-nen der unterdrückten Völker Europas verbün-deten, sowie jene, die statt Hitlers verbreche-rischen Krieg zu führen als Deserteure aufseiten der Alliierten einen mutigen Kampf fürein freies Deutschland führten. Lassen Sie michnoch einige Worte sagen zu den Versuchender Verschwörergruppe um Stauffenberg, Ver-bindungen mit Widerstandsgruppen der Be-

Julius Leber mit den Kommuni-sten Anton Saefkow und FranzJacob, die gleichzeitig führendim Berliner Ausschuß des NKFDtätig waren. Zur dabei verein-barten zweiten Begegnungkonnte es nicht mehr kommen,da alle vier in den darauffol-genden Tagen verhaftet wur-den.� Im Sommer 1944 hatte Ge-neral der Artillerie Fritz Linde-mann, Waffengeneral imOberkommando des Heeres,im Auftrag von Oberst Stauf-fenberg mehrere Aussprachen

mit Otto Engert als Vertreter der operativenLeitung der KPD, zu denen auch der sozialde-mokratische Architekt Hans Ludwig Sierks alsMitglied der Dreier-Spitzengruppe des Dresd-ner Komitees „Freies Deutschland“ mit heran-gezogen wurde. Sierks wurde nach dem 20.Juli zusammen mit Carl-Adolf Marks zum Flucht-helfer des Generals, den er bei seinem Freund,dem Bauingenieur Erich Gloeden, in einemVersteck in Berlin unterbringen konnte. Durcheinen Denunzianten an die Gestapo verraten,versuchte General Lindemann, sich der Fest-nahme durch einen Sturz aus dem Fenster zuentziehen. Von mehreren Schüssen schwerverwundet, starb er am 22. September 1944im Berliner Polizeikrankenhaus.

Dazu noch ein Nachsatz: Am 23. April 1945,kurz vor Kriegsende also, wurden hier in Berlinaus dem Gefängnis in der Lehrter Straße14 Mitglieder des Widerstandes von der SSaus ihren Zellen geholt und ins Freie geführt.Sie konnten schon den Gefechtslärm hören,als sie durch Genickschüsse starben. Zu die-sen 14 Ermordeten gehörten, neben Angehö-rigen von Opfern des 20. Juli, auch die beidenFluchthelfer von General Lindemann, Hans-Ludwig Sierks und Carl-Adolf Marks vom Dresd-ner Komitee „Freies Deutschland“. Die sterbli-chen Überreste der 14 ermordeten Wider-standskämpfer ruhen in einem Ehrengrab aufdem Dorotheenstädtischen Friedhof an derChausseestraße in Berlin-Mitte. Auf einem stei-nernen Sarkophag stehen eingemeißelt ihreNamen.

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Hiermit legt der Vorstand Rechenschaft ab über denzweiten Teil seiner zweijährigen Amtszeit – nämlichüber die Zeit seit unserer Mitgliederversammlungvom 24. 11. 2001 bis heute. Daraus folgt logischer-weise, dass der Jahresbericht 2000/2001seineFortschreibung mit diesem Teilbericht erfährt. Beidezusammen ergeben also das Gesamtbild über dieArbeit des Vorstandes in der Legislaturperiode.

Bündelung und Zusammenarbeitantifaschistischer Kräfte

Die längerfristig anvisierte organisatorische Vereini-gung von VVN-BdA und VVdN-BdA, die von unseremVerband DRAFD angestrebt und aktiv unterstützt wurde,konnte mit dem Verschmelzungskongreß am 4./5. Ok-tober 2002 zu einem erfolgreichen Abschluß gebrachtwerden. Mit der nunmehr vereinten „Vereinigung derVerfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistin-nen und Antifaschisten“ ist die mit Abstand bedeutend-ste antifaschistische Organisation Deutschlands mit ca.11000 Mitgliedern entstanden, die als gemeinsamerparteienübergreifender Verband auch zukünftig in derLage ist, das Vermächtnis der antifaschistischen Wider-standskämpfer und der Opfer des Naziregimes getreudem Schwur von Buchenwald zu vertreten.

Verein Kämpfer und Freundeder Spanischen Republik

Beide Vereine sind in der Berichtsperiode noch engerzusammengerückt. Das liegt in der Natur der Sache, inder Geschichte ihrer Mitglieder und in den Aufgabenund Zielen. Das während der Feierlichkeiten zum 65.Jahrestag der Gründung der Internationalen Brigadenim Oktober 2001 in Spanien angeregte 2. internationa-le Sommertreffen fand vom 6. bis 8. September 2002mit der Teilnahme von Vertretern aus Dänemark, Israel,Niederlande, Spanien und den USA in Berlin statt. Die„junge Welt“ schätzte es treffend so ein, dass „ ... esnicht um eine nostalgische Rückschau auf die Ereignis-se vor sechseinhalb Jahrzehnten ging. Im Mittelpunktstand die Frage, wie die Erfahrungen des Spanien-kampfes heute bei der Verteidigung von Demokratieund Frieden eingebracht werden können“.

Arbeitsgemeinschaft ehemaliger 999erDie AG agiert eigenständig und in enger Kooperationmit unserem Vorstand. Sie hat 2002 zur Ergänzung derAusstellung „Wer waren die 999er?“ eine Kurzbiografie

Aus dem Tätigkeitsbericht 2000/2002 des Verbandes DRAFD e. V. an dieordentliche Mitgliederversammlung am 16. November 2002 in Berlin

über ehemalige Strafsoldaten erarbeitet. Die Ausstel-lung wurde in Suhl und Nordhausen mit Erfolg gezeigt.Auch in diesem Jahr beteiligte sich unser Verband aktivan dem von einem breiten Bündnis getragenen Aktions-tag gegen Rassismus, Neonazismus und Krieg am 8.September in Berlin u.a. mit einem Informationsstand.Gerhard Leo war einer der Sprecher in der Podiumsdis-kussion zum Thema: Tatort Deutschland.Das Ostdeutsche Kuratorium von Verbänden und dieBundestagsfraktion der POS haben zu einer zweitägi-gen Friedenskonferenz am 24. und 25. August 2002nach Neuruppin eingeladen. DRAFD war dort vertreten.Teilgenommen haben 150 Vertreter regionaler und lo-kaler Friedensorganisationen.Im Saarland hat Horst Bernard als Initiator und Spre-cher der „Initiative Neues Bremm“ das Projekt zur Er-richtung einer neuen Gedenkstätte auf dem Geländedes ehemaligen berüchtigten Konzentrationslagers NeueBremm in der Nähe von Saarbrücken vorgestellt.Auf unsere schriftliche Intervention vom 25. Mai 2002an den Präsidenten des Europäischen Konvents istDRAFD in die Liste der Teilnehmer am Forum der Kon-vention registriert worden. Mit Bezugnahme darauf er-hielt DRAFD für den 20. September 2002 eine Einladungzu einer öffentlichen Anhörung im Europaparlament inBrüssel. Die Einladung wurde von Prof. Dr. Götz Dick-mann für DRAFD und die Arbeitsgruppe der Buchen-walder wahrgenommen. Über die Darlegung der bis-herigen Tätigkeiten referierte Bruno Kaufmann, Präsi-dent des Forums der Initiative und des Referendums-Instituts Europa. Anschließend fand die Diskussion statt,an der sich unser Delegierter mit zwei Beiträgen betei-ligte. Ein schriftlicher Bericht darüber liegt vor.

10. Jahrestag unseres Verbandes DRAFD e. V.Der Jahresarbeitsplan 2002 sah eine öffentlich beach-tete Veranstaltung zu diesem Jubiläum vor. Deshalbwandte sich der Vorstand in angemessener Weise anPersönlichkeiten, Institutionen und Organisationen imIn- und Ausland um bewertende Äußerungen zum Wir-ken unseres Verbandes für Demokratie und Frieden, fürdie Verteidigung von Menschenrechten und die Veran-kerung von Erfahrungen des Kampfes der Antihitler-koalition zur Niederwerfung der aggressiven Terror-herrschaft Nazi-Deutschlands in die Normative der Eu-ropäischen Gemeinschaft.

Wir fühlten uns sehr geehrt, dass der Präsident derRussischen Föderation, Herr Wladimir Putin, aus ge-nanntem Anlass eine Grußbotschaft übermittelte (siehe„Information“ Juli 2002).Für uns wäre es ermutigend gewesen, wenn auchadäquat hierzu in unserem Land reagiert worden wäre.Dazu wollte man sich offenkundig nicht entschließen.Wir danken allen Freunden und Partnern in anderenLändern, wie in Frankreich, Griechenland, Großbritan-nien, Rumänien, der Russischen Föderation, der Slowa-kei, in Tschechien, Vietnam und den USA, die unsGlückwünsche übermittelten und unserer Arbeit Re-spekt zollten.Wir sagen offen, dass wir nicht darauf abzielten,Ströme von Glückwunschschreiben aus unserem Landeselbst zu stimulieren. Allerdings hatten wir von dendamaligen Bundestagsparteien Antworten erwartet,sich zur zehnjährigen humanistischen Tätigkeit unseresVerbandes für Frieden und das Anliegen aller Anstän-digen gegen Rechtsextremismus zu äußern.Die SPD schrieb uns: „Mit Aufmerksamkeit und Interes-se begleitet die SPD als Teil der Gesellschaft die Arbeitund Aktivitäten Ihres Verbandes. Sie leisten einenBeitrag, das Vergangene im politischen Bewusstseinwachzuhalten und helfen somit zu verhindern, dasssich derartig unfassbare Ereignisse wiederholen.Wir wissen, dass die Bewahrung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowie die Ablehnungund Bekämpfung jeglicher Form von Gewalt, Fremden-feindlichkeit, Rechtsextremismus und Antisemitismuszu den wichtigsten Anforderungen an unsere Gesell-schaft gehören. „ (Auszug)Die PDS schreibt: „Ihr Verband gewann und gewinnt bisheute seine herausragende Bedeutung durch die Le-bensleistungen seiner Mitglieder. In den finsteren Jah-ren des deutschen Faschismus und des von ihm ent-zündeten 2. Weltkrieges haben Sie sich dem Kampfgegen das faschistische Deutschland angeschlossenund Ihr Leben in Armeen und Widerstandsorganisationenvon 16 europäischen Ländern und den USA zur Be-freiung Europas eingesetzt. Die Gründung des Verban-des erst 47 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegeshat ihre Ursache zweifellos im jahrzehntelangen kaltenKrieg, in der Blockkonfrontation und der daraus resul-

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Im Auftrag der Jahresversammlung unserer Mitglie-der, die im Zeichen des zehnjährigen Bestehensunseres Verbandes als erste gesamtdeutsche antifa-schistische Organisation stand, unterbreite ich das fol-gende Anliegen. Mit Dank haben wir die Grußwortevon Senator Thomas Flierl aufgenommen, durch die erauch die Würdigung unserer Tätigkeit durch den Senatder deutschen Hauptstadt zum Ausdruck brachte. Wirempfinden das als wichtigen Anreiz, nach Maßgabeunserer bescheidenen Möglichkeiten an der Vermitt-lung der demokratischen und humanistischen Tradi-tionen mitzuwirken, zu denen der Widerstandskampfgegen das NS-Regime und seinen verbrecherischenKrieg erheblich beigetragen hat.

Mit Verwunderung haben wir aber zur Kenntnis nehmenmüssen, dass Hindenburg noch immer als EhrenbürgerBerlins gilt. In wenigen Monaten jährt sich zum 70. Malder Tag, an dem dieser eingeschworene Militarist, derGeneralfeldmarschall des letzten deutschen Kaisers, inseiner Eigenschaft als Reichspräsident Hitler zum Reichs-kanzler berief. Und das, als die NSDAP ihre schlimmeRassenpolitik und ihr Ziel, zur Eroberung eines erweiterten»deutschen Lebensraums« einen neuen Krieg zu entfes-

Hindenburg darf nicht länger Berliner Ehrenbürger sein!Schreiben des DRAFD-Vorsitzenden Ernst Melis anden Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus

Wowereit, und den Präsidenten des Abgeordneten-hauses von Berlin, Walter Momper

seln, offen propagiert hatte. Nicht zuletzt deshalbmusste sie bei den letzten Reichstagswahlen im No-vember 1932 den Verlust von zwei Millionen Stimmenhinnehmen. Dennoch wurde Hindenburg zur Steigbügel-halter Hitlers. Im März 1933 besiegelte dann Hinden-burg sein Bündnis mit Hitler demonstrativ in Potsdam.Die Zeit ist wohl mehr als überreif, Hindenburg aus derListe der Ehrenbürger Berlins für immer zu streichen.Verzögerungen, noch dazu mit merkwürdigen Begrün-dungen, dienen nicht dem Ansehen der deutschenHauptstadt. Wir sind überzeugt, dass Sie ein geeignetesDatum finden, um die seit über einem halben Jahrhun-dert fällige Streichung Hindenburgs von der Liste derEhrenbürger publik vorzunehmen.

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tierenden realitätsfernen Interpretation von Geschichte.Sie haben mit diesen Einseitigkeiten gebrochen undder historischen Wahrheit einen großen Dienst erwie-sen.“ (Auszug)CDU und FDP konnten sich wegen zu großer Verpflich-tungen und wahlkampfbedingten Belastungen nichtzu einem Grußwort bereitfinden. Bündnis 9O/DieGrünen reagierten überhaupt nicht.Der bereits erwähnte Brief unseres Verbandsvorsitzen-den an den Regierenden Bürgermeister von Berlin,Herrn Klaus Wowereit, vom Anfang des Jahres 2002 mitder Bitte, die Verbandstätigkeit im Jubiläumsjahr durchden Senat zu unterstützen, wurde positiv beantwortet.Der Senat veranlasste, dass die Ausstellung „Für Deutsch-land – gegen Hitler – Die weltweite Bewegung ,FreiesDeutschland’“ vom 14. bis 30. Juni 2002 im Foyer desSchöneberger Rathauses gezeigt wurde. An der Eröff-nungsveranstaltung nahmen Mitglieder des Verban-des und zahlreiche Gäste teil, unter ihnen der sozial-demokratische Bundestagsabgeordnete des Wahlkrei-ses, Herr Barthel.Frau Krista Tebbe, Staatssekretärin beim Senat fürWissenschaft, Forschung und Kultur, wie auch Bezirks-bürgermeister Ekkehard Band würdigten in ihrenBegrüßungsreden den Widerstand deutscher Antifa-

sere Erfahrungen aus dem Teil des Widerstands vermit-teln konnten, der unseren Verband repräsentiert.

Dabei waren in den alten Bundesländern engagiert:Horst Bernard, Henny Dreifuss, Hans Heisel und PeterGingold allein in 23 Diskussionsveranstaltungen mitmeist Jugendlichen und unterschiedlicher Besucher-zahl, organisiert von Antifa-Gruppen, Gewerkschaften,Jugendzentren, Studentengruppen.

In der Würzburger Universität fand anlässlich der Aus-stellung über den 20. Juli eine Begleitveranstaltungstatt, an der auch Bundeswehroffiziere teilnahmen.Hervorzuheben ist das Pfingsttreffen der IG-BAU-Ju-gend mit tausend Teilnehmern.So auch die Gedenkveranstaltung in Esslingen für Car-los Schönhaar und Paula Ruess, die ein eindrucks-volles Bekenntnis zum gemeinsamen Ringen deut-scher und französischer Résistancekämpfer gegen diefaschistische Barbarei während des Zweiten Weltkrie-ges war. Verschiedene antifaschistische Organisatio-nen hatten zu diesem Treffen eingeladen, um daskämpferische Leben von Carlos Schönhaar und PaulaRuess, beide mit der Stadt verbunden, zu würdigen. DieTeilnehmer der Veranstaltung verfolgten mit großemInteresse den angekündigten Videofilm und die Aus-führungen von Peter Gingold und Andre Kirschen. Denvom französischen und deutschen Fernsehen aufberei-

wurden im Rundfunk und Fernsehen dabei gegeben.Im April diskutierten Lore Krüger, Hanna Podymachina,Hermann Schauer und Jonny Granzow mit einer Abi-turientenklasse aus Moers in der Gedenkstätte Deut-scher Widerstand über Fakten und Erfahrungen imantifaschistischen Widerstand Deutscher in verschiede-nen Ländern.Auf einer öffentlichen Veranstaltung der Initiative ge-gen Ausgrenzung im Juni in Bielefeld sprachen HansHeisel und Kurt Hälker über ihren Weg zum antifaschi-stischen Widerstand in Frankreich, über die Bedeutungdes damaligen Kampfes und ihre friedenspolitischenErkenntnisse für heute.Eine historisch interessierte Klasse des Droste-Hülshoff-Gymnasiums in Berlin ließ sich im September über denBeitrag deutscher Antifaschisten am Widerstand inFrankreich informieren. Eine lebhafte Fragestellungbelegte auch hier eine erschreckende Unkenntnis übergeschichtliche Vorgänge im Antihitlerkampf.

Internationale Begegnungen� Auf Einladung des Antikriegsmuseums in Overloon/Niederlande fanden im Dezember 2001 Verhandlun-gen über die Präsentation unserer Ausstellung über dieweltweite Bewegung „Freies Deutschland“ mit HerrnDirektor Dr. Temming statt (siehe auch Abschnitt Aus-stellungen).

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schisten in den von Hitlerarmeenokkupierten Ländern. „Ich halte esfür unverzichtbar,“ so betonte Be-zirksbürgermeister Band, „an denMut der Frauen und Männer zuerinnern, die unter größten persön-lichen Risiken und Gefahren Wider-stand geleistet haben“. Frau Staats-sekretärin Tebbe führte aus, dasszuwenig bekannt sei, dass sich Deut-sche in vielen Ländern der Weltgegen den Nationalsozialismus en-gagiert, als Soldaten in den Armeender Alliierten gekämpft haben. DasFreie Deutschland war nicht nur fürdie Sowjetunion, sondern für diegesamte Antihitlerkoalition von größ-ter Bedeutung.Wir sind der Staatssekretärin, FrauTebbe, dem Bürgermeister von Tem-

Berlin, 8. September 2002: Beim Tag der Mahnung, Erinnerung undBegegnung am Stand von DRAFD

pelhof-Schöneberg, Herrn Band, und der Leiterin desKunstamtes dieses Bezirks, Frau Kaiser, für ihr Engage-ment, die kreative Zusammenarbeit, auch der Hilfelei-stung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in derVorbereitung und Durchführung, auch der Eröffnungs-veranstaltung auf hohem Niveau, außerordentlich zuDank verpflichtet. Leider haben die Medien diesesEreignis der Öffentlichkeit weitestgehend unterschla-gen. Allein die „junge Welt“ am 22. 6. unter dem Titel„Tabubruch im Rathaus Schöneberg“ und „NeuesDeutschland“ am 25. 6. 2002 mit der Überschrift „Eineüberparteiliche Allianz“ berichteten darüber.

Veranstaltungen und ZeitzeugengesprächeWichtig für uns ist ein steigendes Bedürfnis, vornehm-lich in der Jugend, sich mit der Nazivergangenheit zubeschäftigen als Reaktion auf die zunehmende Rechts-entwicklung, der zahlreichen Naziaufmärsche, dasWiederaufleben von Antisemitismus, der immer wiedergeschürten Ängste vor Überfremdung (siehe die Debat-te über das Zuwanderungsgesetz). Hieraus bot sicheine Vielzahl von Veranstaltungen an, in denen wir un-

teten und kommentierten Film hatte die Gestapoanlässlich eines Kriegsgerichtsprozesses der faschisti-schen Okkupationsarmee in Paris gedreht. 27 Ange-klagte, darunter Carlos Schönhaar, wurden wegen ihrerPartisanentätigkeit zum Tode verurteilt und erschossen.Die Absicht der Gestapo, diesen Prozess zu Propagan-dazwecken auszunutzen, schlug gänzlich fehl. Dasmutige Auftreten der Verurteilten vor dem faschisti-schen Standgericht machte den Plan zunichte.Carlos erklärte : „Ich werde sterben wie mein Vater, fürdie Freiheit, für Frankreich und für Deutschland! Ichbereue nichts ! Ich habe meinen Vater gerächt, den dieFaschisten umgebracht haben.“Peter Gingold war Redner auf 9 Kundgebungen gegenden Aufmarsch der Neonazis, besonders auf der 1. Mai-Kundgebung des DGB in Frankfurt/Main mit 8000 Teil-nehmern in Wunsiedel, als 2500 Nazis marschierten, inFreiburg auf der Abschlusskundgebung, als 15 000Menschen den Aufmarsch der Nazis verhinderten.Es wurden Einladungen aus 16 Schulen in verschiede-nen Städten wahrgenommen. Mehrere Interviews

� Am Kongress der ARAC Ende November/Anfang Dez. 2001 in Gentilly bei Paris nah-men als Vertreter unseres Verbandes HennyDreifuss und Marcel Grünberg teil. Sie über-brachten Grüße der Solidarität im gemeinsa-men Wirken für Frieden und Menschlichkeit,gegen Rassismus und Neofaschismus.� In Habsheim/Elsass empfing im Dezem-ber 2001 der Bürgermeister Hans Heisel undKurt Hälker im Rathaus. Gegenstand derGespräche war die Beteiligung deutscherAntifaschisten am Befreiungskampf des fran-zösischen Volkes, speziell in dieser Region.Den Gästen wurde Gelegenheit gegeben, alsZeitzeugen vor zwei Mittelschulklassen überihre Erlebnisse zu sprechen und viele inter-essante Fragen zu beantworten.� Eine Vertretung unseres Verbandes mitErnst Melis, Peter Gingold, Gerhard Leo undKurt Hälker, begleitet von acht jungen Leuten

aus Berlin, die sich engagiert gegen rechte Gewalt undRassismus wehren, folgte im Februar einer Einladungdes Nationalen Résistance-Museums, um an der Eröff-nung der Ausstellung und an Veranstaltungen über dieTeilnahme von ausländischen Bürgern an den Kämp-fen zur Befreiung Frankreichs im Rathaus von Paristeilzunehmen. Zu den Einladern gehörten der Bürger-meister der französischen Metropole sowie dasVolksbildungs- und Verteidigungsministerium.� Im März 2002 trafen sich ehemalige deutsche undfranzösische Angehörige der Résistance mit über 200Schülerinnen und Schülern des Jean-de-Lafontaine-Lycee in Paris zu einer über dreistündigen Informations-und Diskussionsveranstaltung. An dem Treffen nahmauch eine Studiengruppe des Evangelischen Familien-bildungswerks Duisburg aktiv teil.� Ehemalige deutsche Angehörige des 1. Regimentsvon Paris nahmen Ende März/Anfang April 2002 ander Generalversammlung des Traditionsverbandes undan der Ehrung für die Gefallenen im Kampf um die

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Befreiung auf dem Pere Lachaise teil. Jugendliche vomNiederrhein erwiesen dabei den Betroffenen mit einerrespektvollen Geste die Ehre.� Unser Verband ermöglichte im Zusammenwirken mitdem Verein für Förderung des internationalen Jugend-austausches in Potsdam Anfang Juni 2002 einenAustausch von Schülerinnen und Schülern mit Gleichalt-rigen in Nanterre bei Paris. 18 junge Leute aus Potsdamwaren Teilnehmer am Gedenken an die Opfer derdeutschen Okkupation, die in der größten Geisel-erschießungsstätte in Frankreich, auf dem Mont Valerien,ermordet wurden. Ein Gegenbesuch aus Nanterre wird2003 in Potsdam erwartet.� Lore Krüger fuhr im August 2002 in Begleitung vonfünf jungen Leuten auf Einladung des dortigen Institutsfür Volksbildung zur Präsentation einer Ausstellungüber eine Informationsreise von Oberschülern der StadtDinant/Belgien nach Sachsenhausen und Ravens-brück. Der Bürgermeister eröffnete diese Ausstellungund sagte den deutschen Gästen zu, 2003 eine DRAFD-Exposition in seinem Rathaus zu zeigen.� Während einer Reise „Auf den Spuren des Holocaustund des polnischen Widerstands“ mit zwölf jungenLeuten im September 2002 konnte Lore Krüger mit demPräsidenten eines Widerstandsverbandes Kontakt auf-nehmen, der sich für die Tätigkeit unseres Verbandesinteressiert.

AusstellungenDie Ausstellung über „Die weltweite Bewegung ,FreiesDeutschland’“ wurde mit Erfolg im Februar 2002 inBremen gezeigt. Eine Verbandsabordnung, der StefanDoernberg, Günter Wehner und Gerhard Zadek ange-hörten, nahm an der Eröffnungsveranstaltung mit ei-nem interessierten Publikum, dem sie Rede und Ant-wort standen, teil. Das Fernsehprogramm des NDRstrahlte ein vom Sender Bremen aufgenommenesInterview mit Stefan Doernberg über die Tätigkeit vonDRAFD und die Ausstellung aus.Zweifellos war die Präsentation der gleichen Ausstel-lung im Schöneberger Rathaus in Berlin vom 14. Juni2002 bis Ende des Monats ein Höhepunkt im Jubilä-umsjahr unseres Verbandes. Die Idee hierzu wurdedurch den Vorstand dem Regierenden Bürgermeisterim Januar unterbreitet und nach Beratung der Einzel-heiten zwischen dem Berliner Senat und unseremVerband mit Unterstützung der Gedenkstätte DeutscherWiderstand auf den Weg gebracht. Wir streben an,dass die guten Erfahrungen in dieser Kooperation ihreFortsetzung finden.Die beabsichtigte Präsentation der Ausstellung im Anti-kriegsmuseum von Overloon/Niederlande in diesemJahr musste auf das nächste Jahr verschoben werden.Die Ausstellung über „Deutsche in der Resistance“ soll2003 in zwei belgischen Städten und an mehrerenPlätzen in Frankreich gezeigt werden. Das Interessejunger Leute an diesen Expositionen war für das Deutsch-Französische Jugendwerk Anlass, die durch Abnutzungs-erscheinungen notwendig gewordene Sanierung derSichttafeln zu unterstützen, wofür wir sehr dankbar sind.

Publizistische ArbeitZwei weitere Ausgaben der „Information“ sind erschie-nen. Die verdienstvolle Redaktionsarbeit von WernerMüller bis Mitte 2001 wurde durch seine schwereErkrankung unterbrochen. In engagierter Gemeinschafts-arbeit wurde das Erscheinen der Dezemberausgabe2001 unter Verantwortung von Jonny Granzow ge-

währleistet. Schließlich konnte der Journalist Peter Raufür die Weiterführung dieser bedeutsamen Arbeit ge-wonnen werden und seinen Einstand mit der Juliaus-gabe 2002 geben.Wir lenken die Aufmerksamkeit der Kameradinnenund Kameraden auf das nach wie vor für unsereTätigkeit wichtige Buch „Im Bunde mit dem Feind -Deutsche auf alliierter Seite“. Es eignet sich bekanntlichauch als Geschenk zu besonderen Anlässen für histo-risch interessierte Freunde und Bekannte. Der Erwerb istdurch die Halbierung des Buchhandelspreises aufEURO 9,50 über den Weg unseres Verbandes beimVerlag erleichtert.Die Gedenkstätte/Museum Seelower Höhen publizier-te in der Reihe Seelower Hefte von Stefan Doernbergdas Buch „Moskau – Seelow – Berlin. Heimkehr einesDeutschen nach Deutschland 1945“.Für die nächste Berichtsperiode sind außer den zweiAusgaben der „Information“ ein Sonderblatt (event.auch in französischer Sprache) „Jugend und Wider-stand“ in Aussicht genommen. Es soll die Fülle gewon-nener Erfahrungen zwischen deutschen und französi-schen Jugendlichen im Dialog mit Zeitzeugen zum

Arbeitsaufgaben. Die Treffen sind traditionell zur Teilnah-me für interessierte Mitglieder offen.Die Mitgliederzahl von Zeitzeugen wird ständig gerin-ger, und auch der Zuwachs durch Neuaufnahmenbleibt hinter unseren Erwartungen zurück. Wir bittenalle Mitglieder, an unsere Arbeit interessierte, vor allemjüngere Leute, für ein Mittun zu werben. Es geht dabeiauch um die Erfüllung einfacher und praktischer Arbei-ten wie z. B. die technische Betreuung unserer Ausstel-lungen, Archivierung unseres Schriftwechsels und dieFührung von Karteien, Mitarbeit an unserer Homepageim Internet etc.Wir teilen mit, dass der Verband mit Bescheid vom10. 6. 2002 durch das Finanzamt Frankfurt am Main 111,Steuernummer 45 250 94354 - K30 für 1999, 2000 und2001 steuerlich freigestellt wurde. Die Gemeinnützig-keit bezieht sich auf unsere förderungswürdige Arbeitzur Volksbildung. Der nächste Freistellungsantrag ist imMai 2005 fällig.Seit dem erfolgten Eigenanschluss unserer Internetseiten(www.drafd.de) ist die Zahl der Nutzer beträchtlich ge-stiegen. Wie die „Webserver-Statistik“ ausweist, sindpro Woche 250 bis 300 Zugriffe zu unseren Informatio-

Am DRAFD-Stand begrüßt Ernst Melis den Inter-brigadisten Moe Fishman aus den USA

Thema Resistance ha-ben. Weiterhin solldurch den Druck ei-nes Katalogs zur Aus-stellung über „Dieweltweite Bewegung,Freies Deutschland’“ein oft durch Besu-cher beklagtes Defizitbeseitigt werden.

Projekt biografi-sches Lexikon

In fast vierjähriger Ar-beit zur Erfassung bio-grafischer Skizzen un-serer Kameradinnenund Kameraden u. a. durch Auswertung einschlägigerWiderstandsliteratur und Archivmaterialien konnten bisOktober dieses Jahres 800 Kurzbiografien erarbeitetwerden, Biografien von Frauen und Männern, die alsDeutsche in den von der Hitlerwehrmacht okkupiertenLändern Europas sowie in der Sowjetunion, in Großbri-tannien, in der Schweiz, in Schweden, in Lateinamerikaund in den USA der Bewegung „Freies Deutschland“angehörten.Wenn auch nicht von allen exakte Lebensdaten erfasstwerden konnten, so ist doch positiv zu bewerten, dassin ihnen Namen, Orte und Länder ihrer Teilnahme amantifaschistischen Widerstand erfasst sind. Eine Arbeit,mit der die vielfältigen Lebenswege und Motivationenfür die Teilnahme am Widerstand unter den Bedingun-gen außerhalb der Grenzen Nazideutschlands nach-vollziehbar dargestellt werden und die es in der bis-herigen Literatur des Widerstandes nicht gibt. Die vonGottfried Hamacher vorliegende Vorarbeit und dieinzwischen begonnene Mitarbeit von André Lohmar,Dr. Gisela Petruschka und Harald Wittstock lassenabsehen, dass wir zum 60. Jahrestag der Gründung desNationalkomitees „Freies Deutschland“ im Juli 2003 dieArbeit unseren Mitgliedern und Interessenten vorlegenkönnen.

OrganisationsfragenVorstand und Beirat des Verbandes tagen monatlichzur Beratung grundsätzlicher Fragen und aktueller

nen und Ankündigungensowie zu den Organisa-tionsdaten der DRAFD zuverzeichnen. Bisher ha-ben sich insgesamt 9 557Interessenten der Inhal-te unserer Seiten bedient.Die Auswertung der Sta-tistik zeigt z. B., dass inder Woche vom 3. Junibis 9. Juni 2002 die Ab-forderung von Informa-tionen 216 mal erfolgtist. Davon entfielen al-lein 100 Abrufungen aufden 3. Juni 2002. Es ha-ben uns über Internet

zwölf Anfragen wegen Auskünften und Dokumentatio-nen zu Fragen des deutschen Widerstandes (vorwie-gend von Studenten, auch aus dem Ausland) erreicht,die beantwortet werden konnten.

Zur Tätigkeit im Jahre 2003Es werden zweifellos die 60. Jahrestage der Gründungdes Nationalkomitees „Freies Deutschland“ im Juli unddes Bundes Deutscher Offiziere im September einenzentralen Platz in unserer Arbeitsplanung einnehmen.Zu erinnern ist auch an den 60. Jahrestag der vernich-tenden Niederlage der Hitler-Armeen bei Stalingrad.Der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, HerrMomper, ruft zum 27. Januar 2003 zu einem „Treff-punkt der Ideen, Initiativen und Möglichkeiten“ zumGedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus auf,an dem wir teilnehmen sollten, um uns dort einzu-bringen.Noch vieles mehr bietet sich an. Darüber soll dieMitgliederversammlung diskutieren, weitere Anregun-gen empfangen und Entscheidungen treffen, die zueinem Arbeitsprogramm führen, das entsprechendunseren Möglichkeiten zu realisieren ist.

Der Vorstand des Verbandes DRAFD e. V.

Oktober 2002

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Was für uns vor zehn Jahren selbstverständlich war– der Ost-West-Zusammenschluss zum einheitlichenVerband Deutscher in der Résistance, in den Streit-kräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung„Freies Deutschland“ – das haben nun auch diebeiden größten antifaschistischen Organisationen,die VVN in Ost und West, im Oktober dieses Jahresvollzogen.

Warum hat es solange gedauert im Vergleichzu unserem Verband? Wir lebten doch auchgetrennt in den grundsätzlich unterschiedli-chen Teilen Deutschlands, hatten im Verlaufvon 40 Jahren ebenfalls ganz verschiedeneErfahrungen. In der alten BRD war in den 70erJahren die „Interessengemeinschaft der ehe-maligen deutschen Widerstandskämpfer inden von der Hitlerwehrmacht okkupiertenGebieten“ gegründet worden. In der Endpha-se der DDR war aus dem Komitee der Antifa-schistischen Widerstandskämpfer die „Arbeits-gemeinschaft Deutscher in den Streitkräftender Antihitlerkoalition und der Bewegung FreiesDeutschland“ hervorgegangen. Vor allemunserem unvergessenen Kameraden OttoNiebergall, dem ehemaligen Leiter der deut-schen Widerstandsgruppen in der französi-schen Résistance und Präsidenten des „Komi-tees Freies Deutschland für den Westen“, wardie Initiative zum Zusammengehen zu ver-danken. Die Erinnerung an diesen Abschnittdes deutschen Widerstandes zu bewahren,das war seine Sorge. Wer hätte auch damalsim Widerstand daran gedacht, wie wichtig esdoch mal später sei, diese Kämpfe ins Ge-dächtnis der Nachgeborenen zu bringen!

So war es doch eine Selbstverständlichkeit,dass wir uns nach 1990 rasch zusammenfan-den und kurz darauf, 1992, zu einem gemein-samen Verband zusammenschlossen, von al-len begrüßt, ohne Probleme. Sicherlich auchdeshalb, weil wir, wie eine kleine Lager-gemeinschaft, nur kaum zweihundert Überle-bende sind.

Tausende Mitglieder zählten dagegen diebeiden VVN-Organisationen. Schon deshalbkonnte es zwischen den beiden Verbändennicht so einfach sein mit dem Zusammenschluss.Bekanntlich wurden ganz schnell fast alleParteien, Vereine, Verbände und die Gewerk-schaften gesamtdeutsch, wurden die „Ossis“von den „Wessis“ meistens einfach verein-nahmt, geschluckt sozusagen. Obwohl auchbei manchem von uns gelegentlich der Ge-danke an eine rasche Vereinigung aufkam –so wollten wir es beiderseits nicht! Keiner sollte(und wollte) den anderen vereinnahmen oderirgendwie bevormunden. Zumal wir doch inunserem Antifaschismus, in unsererErinnerungsarbeit immer untrennbar verbun-den waren.

PETER GINGOLD :

Antifaschismus mit neuer Kraft !Zum Verschmelzungskongreß der VVN-BdA Ost und West

Ich hatte es mir mit der VVN einfacher undreibungsloser vorgestellt, so wie wir die DRAFDgegründet hatten. Doch ich unterschätzte dieSchwierigkeiten durch die unterschiedlichenErfahrungen im Antifaschismus in einem Staat,der sich selbst als antifaschistisch definierte,und in einem eher antikommunistisch definier-ten Staat, dem alles, was antifaschistisch warund ist an Ideen und Aktionen, als suspekt undzu bekämpfen gilt. Der eine Staat immerhingeleitet von ehemaligen antifaschistischen Wi-derstandskämpfern, der andere der »Globke-Staat«, wie ihn Stefan Hermlin einmal nannte.Hinzu kamen unsere unterschiedliche Organi-sationstruktur und auch die der Mitglieder. Diewestdeutsche VVN öffnete sich bereits Mitteder 70er Jahre für die Nachgeborenen –

rungsaustausch, in gemeinsamen Tagungenund Vorstandssitzungen, zu denen wir gegen-seitig einluden, lernten wir uns noch besserkennen. Denn dass wir zusammengehören,war eh und je eine Selbstverständlichkeit. ImGrunde gehörten wir ja schon immer zusam-men, hatten oft genug gemeinsam unsereStimme erhoben gegen Neonazismus, Rassis-mus und Militarismus oder die zahllosen BRD-Versuche, einen Schlussstrich unter die brauneVergangenheit zu ziehen.

Die Krönung war nun der „Verschmelzungs-kongreß“ Anfang Oktober in Berlin – ebensoeinstimmig beschlossen wie die Satzung, dasProgramm, der Vorstand.

Die VVN-BdA ist nun der stärkste antifaschisti-

daher seitdem der Zusatz BdA (Bund derAntifaschisten) –, die heute 80 Prozent unsererMitglieder ausmachen. In der VVdN war da-gegen das Verhältnis der Nachgeborenen zuden Überlebenden etwa umgekehrt. Hinzukam, dass manche in der ehemaligen DDRsich um ihre Opferrente sorgten, sie eventuelldurch die Vereinigung sogar gefährdet sa-hen, denn in der alten BRD gibt es eine solcheEhrenrente ja nicht.

So gestaltete sich der Prozeß der gegenseiti-gen Annäherung zu einem allmählichen Zu-sammenwachsen. Im gegenseitigen Erfah-

sche Verband in Deutschland mit etwa 12000Mitgliedern. Doch, was noch wichtiger ist :Wie kein anderer Verband verfügt die geeinteVVN-BdA über eine Konzentration an Erfah-rungen aus Faschismus und Widerstand undebenso an Erfahrungen aus der Nachkriegs-zeit im Widerstehen gegen Verdrängen, ge-gen Schlussstrichzieher, gegen Relativierender Verbrechen des Nazifaschismus, gegenRechtsentwicklung, für eine Welt ohne Faschis-mus und Krieg.

Jetzt nun mit einer Organisation, mit geballterKraft !

Blick in das Präsidium des Kongresses am 4./5. Oktober 2002

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Vor 60 Jahren gab die Sowjetunion bei Stalingrad den Völkern neue Hoffnung

Fortsetzung auf Seite 11

PETER RAU:

Die Schlacht der vielen und vielsagenden SynonymeDenn die Schlacht um Stalingrad war weit mehr als dieSchlacht von Stalingrad. Sie galt weit mehr als nur derEroberung bzw. Befreiung einer Stadt. Das Ende der indieser Stadt eingeschlossenen 6. Armee begann nichterst mit dem unmittelbaren Berennen der Industrie-stadt an der Wolga ab August 1942, sondern – siehtman einmal vom ursächlichen Überfall am 22. Juni1941 ab – spätestens im Juni 1942 mit dem Opera-tionsplan „Blau“ der deutschen Wehrmacht, dessen

Angriffsziele weit hinter der Wolga lagen und mehrnoch auf die transkaukasischen Ölquellen zielten.Ob Stalingrad Okkupanten wie Verteidigern dabeimehr war als ein strategischer Fixpunkt und warum sichgerade hier – nach den Verlusten vieler anderer gro-ßen Städte und Industriezentren – die Wende desKrieges anbahnte, sei dahingestellt. Der symbolhaltigeName allein dürfte es nicht gewesen sein. Vielmehr wardie Zeit gekommen und, nach dem Schock des Vorjah-res wie der Mobilisierung aller zur Verfügung stehen-den Reserven, reif für eine Verteidigungsschlacht, diebereits den Keim künftiger Angriffe und raumgreifenderOperationen in sich barg. „Uranus“, die sowjetische

Zehn Jahre nach dem Beginn der faschistischenBarbarei brachte die Rote Armee an der Wolga dieWehrmacht unwiderruflich auf die Verliererstraße

Zu den erinnerungswerten Jahrestagen des Jahres 2003gehören zwei, die zwar ein ganzes Dezennium ausein-anderliegen und dennoch unmittelbar miteinander zutun haben. Die Rede ist vom 30. Januar 1933 und vom31. Januar bzw. 2. Februar 1943, der Machtübertragungan die Nazis also und der vernichtenden Niederlageihrer Wehrmacht bei Stalingrad. Hier an der Wolga en-dete der Traum von der Weltherrschaft des deutschenImperialismus, für den ein Adolf Hitler mit seiner Prah-lerei vom „Lebensraum im Osten“ gerade recht kam,um deutschen Konzernen dortselbst fette Beute einzu-fahren. Für den erwähnten Kriegsschauplatz hieß das,um mit Joseph Goebbels zu reden: „Jetzt wollen wir dieWeizenfelder am Don und Kuban besitzen und wollendamit die Hand auf dem Brotbeutel Europas haben!Wir wollen jetzt die Ölquellen und die Eisen-, Kohlen-und Manganlager besitzen. Wir wollen uns einen kolo-nialen Besitz auf eigenem europäischen Raum schaf-fen.“ So tönte der Propagandaminister noch am 17. No-vember 1942 auf einer Kundgebung in Wuppertal, ob-wohl sich schon da abzuzeichnen begann, dass jeneRechnungen ohne den Hausherren und die betroffe-nen Völker gemacht waren. Nur zwei Tage später be-gann zwischen Wolga und Don jene sowjetische Ge-genoffensive, die alle weitergehenden faschistischenKriegsplanungen über den Haufen werfen sollte.Kaum eine Schlacht in der Geschichte der Menschheitund ihrer Kriege ist mit so vielen und so unterschied-lichen Synonymen bedacht worden wie jene, die sichdeutsche Eroberer und sowjetische Vaterlandsverteidi-ger vor sechs Jahrzehnten geliefert haben. Je nachHerkunft oder Standpunkt spricht man vom Wunder ander Wolga und einer kriegsentscheidenden Wende,vom Cannae des 20. Jahrhunderts, dem Verdun deszweiten Weltkrieges oder – an Napoleons Schicksal inRußland erinnernd – von einer Beresina im Quadrat;den Untergang der 6. Armee oder die Katastrophe vonStalingrad beklagt auch Jahrzehnte später noch diebürgerliche deutsche Geschichtsschreibung. Neulich erststieß ich auf die Formulierung vom „Prestigekampfzweier Diktatoren“. – Da lässt sich trefflich verschwei-gen, dass hier der 1933 begonnenen faschistischenBarbarei ihre Grenzen aufgezeigt wurden.

Antwort auf den Wehrmachtsplan „Blau“, war letztlichund strategisch genau darauf angelegt. Und so hattedie Schlacht um Stalingrad mit der Einkesselung vonrund 33 0000 Soldaten der Wehrmacht wie der aufdeutscher Seite kämpfenden verbündeten Rumänen,Italiener, Ungarn und Kroaten am 23. November 1942nur ihren ersten Höhepunkt, dem mit der Abwehrdiverser Entsatzversuche im Dezember und der EndeJanuar/Anfang Februar erzwungenen Kapitulation vonüber 90 000 Mann weitere Erfolge hinzugefügt wurden.Sein eigentliches Ende fand das Ringen um Stalingraderst Wochen später in den Steppen zwischen Wolga,Don und Donez. Mit dem fast fluchtartig erfolgendenRückzug der bis zum Kaukasus vorgedrungenen fa-schistischen Heeresgruppe A und der – gewissermaßenumständehalber erfolgenden – Auflösung der Heeres-gruppe Don. Im März war der faschistische Gegner imgesamten Südabschnitt der deutsch-sowjetischen Frontum bis zu 400 Kilometer zurückgeworfen oder, wie esder damalige USA-Präsident Franklin D. Roosevelt formu-lierte, „unwiderruflich auf die Verliererstraße gedrängt“und auf den Weg der endgültigen Niederlage gebrachtworden.

Hinzu kamen die moralischen Wirkungen : In derSowjetunion selbst wie bei ihren Alliierten im Westenund in den anderen bereits okkupierten Ländern, aberauch in den bis dahin mit Hitlerdeutschland verbünde-ten oder mit ihm sympathisierenden Staaten. Selbst inDeutschland setzte die Niederlage der bis dahin alsunbesiegbar angesehenen Wehrmacht neue Wider-standskräfte frei : nicht zuletzt in der sogenanntenMilitäropposition. So war es wohl kein Zufall, dass dieersten Hitler-Attentate der Verschwörer um Stauffen-berg bereits im März 1943 versucht wurden. Undschließlich ist auch daran zu erinnern, dass es geradebei Stalingrad in Gefangenschaft geratene Generäle,Offiziere und Soldaten waren, die ein halbes Jahrspäter als Mitbegründer des Nationalkomitees „FreiesDeutschland“ bzw. des Bundes Deutscher Offiziereeiner neuen Antikriegsbewegung ins Leben halfen.Auch wenn NKFD und BDO im Ringen um die Verkür-zung des Krieges nur marginale Erfolge erzielensollten, so fanden sie jedoch im weltweiten antifaschi-stischen Kampf ihren Platz – an der Seite all jenerKräfte, denen der deutsche Imperialismus am 30.Januar 1933 den Krieg erklärt hatte.

Die Schlacht um Stalingrad in den Erinnerungen sowjetischer Heerführer

„Stalin befahl strengste Geheimhaltung“Alexander Wassilewski,Chef des Generalstabes:Im Sommer 1942 wurde im Generalstab angespanntgearbeitet. Die Fehlschläge unserer Truppen im Südenlasteten schwer auf uns. Vier Monate lang unternahmdas deutsche Oberkommando mehrfach den Versuch,die Stadt zu nehmen. Sie würden stürmen und Stalingradnehmen, prahlte Hitler. Vergebens ! Wie aus der Wei-sung 41 vom 5. April 1942 hervorgeht, wollte dasdeutsche Oberkommando im Sommer 1942 das bei

Moskau verlorengegangene „Gesetz des Handelns wie-der an sich reißen . . . Die den Sowjets noch verbliebenelebendige Wehrkraft ist endgültig zu vernichten undihnen die wichtigsten kriegswirtschaftlichen Kraftquellenso weit als möglich zu entziehen“. Allerdings konnte dasdeutsche Oberkommando die Offensive nun schon nichtmehr in allen strategischen Richtungen gleichzeitigentfalten. Dazu fehlten ihm bereits die Möglichkeiten.Daher entschloß sich der Gegner, seinen Plan durchaufeinanderfolgende Angriffsoperationen mit den ver-

fügbaren Kräften und entsprechend der Lage zu ver-wirklichen. Zunächst wollte er alle greifbaren Kräfte zuder Hauptoperation im Südabschnitt vereinigen, umunsere Truppen westlich vom Don zu vernichten undsodann die kaukasischen Ölgebiete und den Übergangüber den Kaukasus selbst zu gewinnen. Hauptziel waralso der Kaukasus. Um den linken Flügel der auf denKaukasus angesetzten Truppen zu sichern und ihneneinen schnellen Vorstoß zu ermöglichen, entschloß sichdas deutsche Oberkommando zu einem Stoß RichtungStalingrad, damit es als weiteres Rüstungs- und Verkehrs-

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5. April 1942. Die „Weisung 41 für die Kriegsführung“ formuliertals Ziele der deutschen Sommeroffensive, mit dem „Südflügelder Heeresfront“ den „Durchbruch in den Kaukasus-Raum“ zuerzwingen und dazu entlang des Don bis nach Stalingrad eineVerteidigungsfront aufzubauen.28. Juni. Wegen der neu entflammten Kämpfe um Charkow undder anhaltenden Schlacht um die Krim-Festung Sewastopolbeginnt die Operation »Blau« der Heeresgruppe Süd mit fastzweiwöchiger Verspätung. Auf einer Frontlänge von weit mehr als1000 Kilometern gehen fünf Armeen, darunter die von GeneralPaulus kommandierte 6., sowie zwei Panzerarmeen und eineLuftflotte zum Angriff über.5./7. Juli. Die aus der Heeresgruppe Süd der Wehrmachtgebildete Heeresgruppe A wird mit drei Armeen auf denKaukasus angesetzt; die Heeresgruppe B soll über den Donweiter nach Osten vorstoßen.12. Juli. Angesichts des Vormarsches der deutschen TruppenRichtung Wolga veranlasst das sowjetische Oberkommando zurVerteidigung von Stalingrad als letzter strategisch bedeutsamerVerbindung zwischen den zentralen Gebieten der UdSSR unddem Kaukasus die Schaffung einer tiefgestaffelten Verteidigung.Am 14. Juli wird für die Wolgastadt der Kriegszustand ausgeru-fen.19. Juli. Zum Kaukasus vorrückende deutsche Panzerverbändeerreichen nördlich Rostow den Unterlauf des Don.23. Juli 1942. Truppen der Paulus-Armee erreichen bei Siro-tinskaja 80 km nordwestlich von Stalingrad den großen Don-bogen. Am selben Tag erläßt das faschistische Oberkommandodie Weisung Nr. 45, die für die Heeresgruppe B einen Vorstoßauf Stalingrad und Astrachan vorsieht, die Wehrmachtstruppenaber auf die Eroberung des Kaukasus-Gebietes als strategischesHauptziel orientiert. Die Heeresgruppe A soll die gesamte Ost-küste des Schwarzen Meeres in Besitz nehmen und weiter zumKaspischen Meer vorstoßen, um den Raum Baku zu erobern.25. Juli. Die Armeen der sowjetischen Südfront ziehen sich ausdem Donezbecken hinter den Don zurück. Am selben Tagerreichen deutsche Panzerspitzen bei Kalatsch, 75 km westlichStalingrad, den Fluß.28. Juli. Das sowjetische Oberkommando erlässt den Befehl Nr.227 „Keinen Schritt zurück“.9. August. Wehrmachtstruppen haben auf einer Breite von 400km die nördlichen Ausläufer des Kaukasus erreicht.17. August. Die sowjetischen Truppen ziehen sich auf denäußeren Verteidigungsgürtel Stalingrads zurück.19. August. Nachdem die ersten Versuche der 6. Armee, dieStadt aus der Bewegung heraus einzunehmen, gescheitertwaren, entbrennen an den Zugängen zu Stalingrad heftigeKämpfe. Vier Tage später erreichen Panzerspitzen der 6. Armeenördlich von Stalingrad bei Jersowka/Rynok die Wolga. DieLuftwaffe beginnt, die Stadt in Schutt und Asche zu legen; täglichwerden bis zu 1000 Angriffe geflogen. Allein in einer Wochesterben 40 000 Menschen im Bombenhagel.29. August. Die 4. Panzerarmee, vor vier Wochen noch RichtungKaukasus in Marsch gesetzt, ist zur Verstärkung der 6. Armeenach Norden eingeschwenkt und dringt von Südwesten her nachStalingrad vor.3. September. Die sowjetische 62. und 64. Armee ziehen sichauf eine innere Verteidigungslinie zurück.7. September. Nachdem das OKW seit Wochen schon über denVormarsch zum Kaukasus berichtet, fällt im Wehrmachtsberichterstmals der Begriff „Schlacht um Stalingrad“.12. September. Im Moskauer Kreml entwerfen Stalin alsOberster Befehlshaber, Georgi Shukow als sein Stellvertreter undGeneralstabschef Alexander Wassilewski Grundzüge einer Gegen-offensive. Unterdessen haben deutsche Verbände auch südlichvon Stalingrad die Wolga erreicht und Truppen der 6. Armeezugleich das Stadtzentrum von Stalingrad eingenommen.30. September. Hitler kündigt auf einer Kundgebung in Berlindas bevorstehende Ende der Schlacht um Stalingrad an: „Und Siekönnen der Überzeugung sein, daß uns kein Mensch von dieserStelle mehr wegbringen wird.“4. Oktober. Shukow und Wassilewski beraten mit den Oberbe-

Operation „Uranus“ kontra Unternehmen „Blau“ – Eine Chronik der Schlacht um Stalingradfehlshabern der im Raum Stalingrad eingesetzten Fronten undArmeen die geplante Offensive – Deckname „Uranus“ – zurEinkesselung der Wehrmachtstruppen in Stalingrad.6. Oktober. Das Kriegstagebuch des OKW vermerkt, dass Hitler„das Unternehmen gegen Astrachan nicht mehr für so wichtig“hält. Seinen Armeen ist es nicht gelungen, sich an denSüdhängen des Kaukasus bzw. in Transkaukasien festzusetzen.14. Oktober. Während in Stalingrad die Deutschen nur nochmeterweise vorankommen, gibt das OKH im OperationsbefehlNr. 1 der endgültigen Eroberung der Wolgastadt oberste Priorität.28. Oktober. Das sowjetische Oberkommando gruppiert seineKräfte im südlichen Frontgebiet erneut um. Die bisherigeStalingrader Front wird zur Donfront, die bisherige Südostfrontwird zur Stalingrader Front, und neugeschaffen wird die unterhöchster Geheimhaltung formierte Südwestfront.8. November. In München verkündet Hitler die bevorstehenderestlose Einnahme Stalingrads.13. November. Im Kreml stimmen Shukow und Wassilewski mitStalin den präzisierten Angriffsplan ab; zur Täuschung desGegners wird Shukow damit beauftragt, an der Kalininer undBrjansker Front ablenkende Operationen gegen die Heeresgrup-pe Mitte einzuleiten.

bedrohen, wird deren Rückzug angeordnet.1. Januar 1943. Hitler fordert die 6. Armee in einem Funksprucherneut zum Durchhalten auf und sichert neue Entlastung zu.6. Januar. Nachdem wochenlang nur ein Bruchteil der von derLuftwaffe zugesagten und im Kessel benötigten Lieferungen anVerpflegung, Treibstoffen und Munition bei den Belagertenankommt, läßt Paulus ans OKH funken: »Die Armee hungert,friert, hat nichts zu schießen und kann ihre Panzer nicht mehrbewegen.«8. Januar. Zwei Tage vor dem geplanten Großangriff zur Ver-nichtung des Gegners in Stalingrad übermitteln die sowjetischenHeerführer in Abstimmung mit dem Hauptquartier den Einge-schlossenen ein ehrenvolles Kapitulationsangebot. Nach derEinstellung der Kämpfe und organisierten Übergabe aller Ein-heiten und ihrer Bewaffnung werden darin allen Eingeschlosse-nen Leben und Sicherheit sowie Rückkehr nach Kriegsendegarantiert und ab sofort normale Verpflegung sowie ärztlicheHilfe für die Verwundeten zugesichert. Paulus und die komman-dierenden Generale lehnen ab.10. Januar. Die an diesem Tag beginnende Offensive der RotenArmee drängt die Truppen im Kessel weiter zusammen. ImVerlauf von zwei Wochen schrumpft der Kessels auf ein Viertelseiner ursprünglichen Größe zusammen.24. Januar. Paulus erbittet – nach einem erneuten sowjetischenKapitulationsangebot und gedrängt von einigen zur Aufgabebereiten Generalen – vom Hauptquartier die Freigabe derEntscheidung, wiederum vergeblich. Am 25. Januar halten dieDeutschen noch einen Streifen von etwa 20 Kilometer Länge und3,5 Kilometer Breite.26. Januar. Den sowjetischen Truppen gelingt die Aufspaltungdes Kessels. Im südlichen Teil, im Stadtzentrum, bezieht dasdeutsche Armeeoberkommando seinen letzten Gefechtsstand imKeller des Univermag-Kaufhauses.30. Januar 1943. Der Chef der 6. Armee, erst vor zwei Monatenzum Generaloberst befördert, wird von Hitler zum Generalfeld-marschall gemacht. Am Vortag hatte Paulus seinem oberstenBefehlshaber (per Funk) versichert, auch in „hoffnungslosesterLage“ nicht zu kapitulieren.31. Januar 1943. Paulus, sein Stab und alle Truppen im SüdteilStalingrads sowie in der Stadtmitte kapitulieren. Die Aufforderungder Sieger, auch den Truppen im Nordkessel die Einstellung derKämpfe zu befehlen, lehnt der Generalfeldmarschall ab, weildiese Hitler direkt unterstellt seien.2. Februar. Mit der Kapitulation auch der restlichen deutschenTruppen endet die Schlacht um Stalingrad. Etwa 91 000 Über-lebende der einst rund 250000 Mann starken Armee (von denenetwa 34 000 Verwundete ausgeflogen worden waren), begebensich in Gefangenschaft; darunter etwa 2500 Offiziere und 24Generale. Die Verluste der Roten Armee liegen um ein vielfacheshöher. Von den einst 600000 Einwohnern Stalingrads überlebtenin der Stadt lediglich 30000 die Schlacht.3. Februar. In einer Sondermeldung gibt das OKW das Ende derKämpfe bekannt: „Ihrem Fahneneid bis zum letzten Atemzuggetreu, ist die 6. Armee unter der vorbildlichen Führung desGeneralfeldmarschalls Paulus der Übermacht des Feindes undder Ungunst der Verhältnisse erlegen.“4. Februar. Während der „Völkische Beobachter“ unter derÜberschrift „Sie starben, damit Deutschland lebe“ kein Wort überKapitulation und Gefangenschaft verliert, setzen die sowjetischenArmeen ihre Offensive weiter fort. Nachdem die Wehrmachtbereits am 25. Januar Woronesh räumen musste, hat das OKWin den folgenden zwei Wochen neben den zeitweiligen Erobe-rungen im Kaukasus weitere „Verluste“ zu verbuchen: Bataisk,Belgorod und Woltschansk (7. 2.), Kursk (8. 2.), Krasnodar (12.2.), Rostow und Woroschilowgrad (14. 2.), Charkow (16. 2.),Dnepropetrowsk (19. 2.) Die beiden letztgenannten Städte liegenmehr als 500 Kilometer westlich von Stalingrad . . .* Anmerkung der Redaktion : Die Chronik basiert im wesentli-chen auf der Darstellung von Kurt Pätzold in seinem jüngsten– und empfehlenswerten – Buch „Stalingrad und kein zurück.Wahn und Wirklichkeit“. Militzke Verlag, Leipzig 2002, 208Seiten, 17,90 Euro. ISBN-Nr. 3-86189-275-8* Die den Memoiren entnommenen Auszüge sind – derbesseren Lesbarkeit wegen unter weitgehendem Verzicht aufentsprechende Auslassungszeichen – redaktionell stark gekürzt.

Die „Väter“ der Operation „Uranus“ Georgi Shukowund Alexander Wassilewski (r.) beim Vorsitzendendes Obersten Sowjets, Michail Kalinin

19. November. Die Truppen der Südwest- und der Donfrontleiten mit wuchtigen Angriffen aus ihren Brückenköpfen imNorden und Nordwesten Stalingrads die geplante Offensive ein;ihr Hauptstoß zielt in südwestlicher bzw. südlicher Richtung aufKalatsch. Mit derselben Stoßrichtung treten einen Tag später dieArmeen der Stalingrader Front aus dem südlich Stalingradgelegenen Seengebiet zum Angriff an, während die in der Stadtselbst kämpfenden Einheiten der 62. und 64. Armee, komman-diert von den Generalen Wassili Tschuikow und Michail Schamilow,die deutschen Truppen in Abwehrkämpfen binden.23. November. Bei Kalatsch/Sowjetski treffen Stoßtruppen derbeiden sowjetischen Frontgruppen aufeinander; damit sind diein der Wolgastadt und ihrem westlichen Vorfeld stehendengegnerischen Einheiten, über 300 000 Mann, eingeschlossen.24. November. Im Führerhauptquartier wird auf eine ent-sprechende Anfrage von Paulus entschieden, der 6. Armee denRückzug zu verweigern und sie in ihren Stellungen zu belassen.Den Eingeschlossenen wird Versorgung aus der Luft undVorbereitung eines Entsatzangriffes (durch die neuzuschaffendeHeeresgruppe Don unter Feldmarschall Manstein) zugesichert.Am selben Tag erlässt das Oberkommando in Moskau dieDirektive an die Oberbefehlshaber der drei Fronten, zur Vernich-tung der eingeschlossenen Gruppierungen überzugehen. Zu-gleich sollen die von Westen erwarteten gegnerischen Durch-bruchsversuche Richtung Stalingrad abgewehrt und der Keilzwischen den gegnerischen Armeegruppen verbreitert werden.12. Dezember. Aus dem Raum Kotelnikowo beginnt einPanzerkorps der neuformierten Armeegruppe Hoth einen AngriffRichtung Nordosten, um einen Korridor zur Paulus-Armee zuschaffen. Knapp zwei Wochen später und 50 Kilometer vor denEingekesselten ist auch dieser Entsatzversuch am erbittertensowjetischen Widerstand endgültig gescheitert.22. Dezember. Hitler verbietet die Operation „Donnerschlag“,einen Ausbruchsplan der 6. Armee.28. Dezember. Unter dem Eindruck der sowjetischen Erfolge imRaum Stalingrad, die auch die Heeresgruppe A im Kaukasus

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Die Schlacht um Stalingrad in den Erinnerungen sowjetischer Heerführer

Georgi Shukow,Stellvertreter des Obersten Befehlhabers:Durch den erzwungenen Rückzug unserer Truppenfielen den Faschisten die reichen Gebiete des Don unddes Donezbeckens in die Hände. Der Gegner drohte zurWolga und zum Nordkaukasus vorzustoßen. Ende Juliund Anfang August entwickelten sich die Ereignisse indieser Richtung ganz offenkundig nicht zu unserenGunsten. Der Gegner drang ständig vor.

Am 27. August 1942 erfuhr ich, daß das Staatliche Ver-teidigungskomitee am Tag zuvor die Lage im Südenbehandelt und beschlossen hatte, mich zum Stellvertre-tenden Obersten Befehlshaber zu ernennen. Am sel-ben Tag war ich spätabends schon im Kreml. Stalinsagte, die Dinge im Süden stünden schlecht. Das Staat-liche Verteidigungskomitee habe beschlossen, mich inden Raum Stalingrad zu entsenden. (...)

Am 12. September flog ich erneut nach Moskau undwar schon nach vier Stunden im Kreml, wohin manauch den Chef des Generalstabes bestellt hatte. Stalinholte seine Karte mit den Reserven des Hauptquartiershervor und betrachtete sie lange. Wassilewski und ichentfernten uns von seinem Tisch und sprachen leisedarüber, daß man offenbar eine ganz andere Lösung

„Eine ganz andere Lösung suchen“suchen müsse. „Was für eine andere Lösung?“ fragteStalin. Wir traten wieder an seinen Tisch. „Fahren Sie inden Generalstab und denken Sie gründlich darübernach, was man im Raum Stalingrad tun muß. Was fürTruppen und woher man sie zur Verstärkung derStalingrader Gruppierung nehmen soll. Denken Siezugleich darüber nach, was wir an der Kaukasusfrontunternehmen können ...“Den ganzen nächsten Tag arbeiteten Wassilewski undich im Generalstab. Wir richteten unser ganzes Augen-merk auf die Möglichkeiten für eine Operation großenMaßstabs. Nachdem Wassilewski und ich alle mögli-chen Varianten erwogen hatten, beschlossen wir, Stalinfolgenden Operationsplan vorzulegen: Erstens sollteder Gegner durch eine aktive Verteidigung weitererschöpft werden. Zweitens wollten wir mit der Erarbei-tung eines Planes für eine Gegenoffensive beginnen,um den Gegner im Raum Stalingrad so vernichtend zuschlagen, daß sich damit die ganze strategische Lageim Süden entscheidend zu unseren Gunsten ändernsollte. Wir waren natürlich nicht in der Lage, im Laufeeines Tages genaue Berechnungen für die Gegen-offensive vorzubereiten, doch war es uns klar, daß dieHauptstöße gegen die Flanken der Stalingrader Grup-pierung geführt werden mußten, die von rumänischen

Truppen gedeckt wurden. Grobe Berechnungen erga-ben jedoch, daß die notwendigen Kräfte und Mittelnicht vor Mitte November einsatzbereit sein konnten.(...)Nachdem wir alles analysiert hatten, waren wir bereit,dem Obersten Befehlshaber unsere Idee vorzutragen.... Stalin trat an unsere Karte heran. „Was ist das da?“– „Der vorläufige Entwurf eines Planes für die Gegen-offensive im Raum Stalingrad“, sagte Wassilewski. –„Was sind das für Gruppierungen im Raum Serafimo-witsch?“ – „Das ist eine neue Front (gemeint ist die erstEnde Oktober bekanntgegebene Südwestfront – d. Red.).Sie muß geschaffen werden, um einen starken Stoßgegen das operative Hinterland der faschistischenGruppierung zu führen, die im Raum Stalingrad einge-setzt sind.“ ... Wassilewski und ich erläuterten, daß dieOperation in zwei Etappen eingeteilt werden müßte. Inder ersten sollten wir die Verteidigung des Gegnersdurchbrechen, seine Stalingrader Gruppierung einschlie-ßen und eine stabile äußere Einschließungsfront schaf-fen, um diese Gruppierung von den anderen gegneri-schen Kräften zu isolieren. Die zweite Etappe habedarin zu bestehen, seine Durchbruch- und Entsatz-versuche zu vereiteln und die eingeschlossenen Trup-pen zu vernichten.(Aus: „Erinnerungen und Gedanken“, Bd. II, Militär-verlag der DDR, Seiten 71-104)

„Der Plan wurde Wirklichkeit“Konstantin Rokossowski,Oberbefehlshaber der Donfront:Zunächst war vorgesehen, daß die Südwest- und dieDonfront am 9. November und die Stalingrader Frontam 10. November zum Angriff antreten sollten. Infolgevon Verspätungen in der Konzentrierung der Kräfteund Mittel wurden die Termine jedoch für die Südwest-und die Donfront auf den 19. November und für dieStalingrader Front auf den 20. November verlegt. Bis zudiesem Augenblick hätte der Gegner seine Truppennoch durch eine rechtzeitige Rückführung nach Westenretten können; jetzt aber waren sie von ihrer dünkel-haften Generalität rettungslos dem Untergang preisge-geben. Der vom sowjetischen Oberkommando ge-schickt und gründlich erarbeitete Plan wurde Wirklich-keit.Alle Bemühungen des Gegners, den Vormarsch unsererTruppen zu verhindern, kamen zu spät. Seine aus demRaum Stalingrad an die Durchbruchsstelle geworfenenPanzer- und motorisierten Verbände nahmen denKampf getrennt auf, gerieten unter die Schläge unsererüberlegenen Kräfte und wurden überrollt. Nach derZerschlagung des Gegners an den einschwenkenden

Flanken ihrer Stoßgruppierungen trafen sich die Trup-pen der Südwest- und der Stalingrader Front am 23.November im Raum Sowjetski-Kalatsch. Sie vollende-ten damit die Einkreisung der gesamten StalingraderGruppierung. Die Hauptkräfte der Südwestfront setztenihren Vormarsch in südwestlicher und westlicher Rich-tung fort und bauten damit die äußere Einschließungauf. Die Stalingrader Front ließ drei Armeen zur Blockie-rung und Vernichtung des eingeschlossenen Gegnerszurück. Mit den übrigen Kräften ging sie ebenfallsweiter nach Südwesten vor und schob dabei die äußereFront so weit wie möglich von der inneren Einschlie-ßung zurück. Mit der Vernichtung der im Raum Stalin-grad eingeschlossenen Teile der faschistischen 6. Ar-mee und der 4. Panzerarmee beauftragte das Haupt-quartier die Donfront und die Stalingrader Front.Das Hauptquartier drängte verständlicherweise aufschnellste Vernichtung des eingeschlossenen Gegners,um möglichst viele Truppen freizubekommen, dieangesichts der neuen strategischen Lage dringendgebraucht wurden. Nach mehreren schweren Gefechts-tagen stellte es sich heraus, daß der eingeschlosseneGegner mit einem Schlage nicht zu liquidieren war. Es

bedurfte einer gründlich vorbereiteten neuen Operati-on. Der endgültige Plan wurde am 27. Dezember demHauptquartier vorgelegt. Soldaten und Kommandeurewarteten ungeduldig auf den Angriffsbefehl.Am 31. Dezember war es an der Front relativ ruhig. Dasnutzten wir für eine kleine Neujahrsfeier in unseremStabsquartier. In der Unterhaltung erwähnte irgend je-mand, daß es in der Geschichte oft Fälle gegeben hätte,wo dem bedrängten Gegner ein Übergabe-Ultimatumgestellt worden war. An diesem Abend schenkte demniemand ernste Beachtung. Am nächsten Tag beschloßich aber, mich an den Generalstab mit der Frage zuwenden. Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes,General Antonow, versprach mir, mit der Führungdarüber zu beraten und mich später über das Ergebniszu informieren. Dabei erwähnte er, daß es zweckmäßigsei, für alle Fälle den Text eines solchen Ultimatums zuentwerfen. Da es in dieser Hinsicht bei uns noch keineBeispiele gab, versetzten wir uns in die Geschichtezurück und entwarfen gemeinsam den Text. Wenigspäter informierte uns das Hauptquartier darüber, dassunser Vorschlag Stalins Beifall gefunden hätte. Wirsollten schnellstens den Textentwurf einreichen ...(Aus: „Soldatenpflicht“. Militärverlag der DDR, 1986,Seiten 157-179)

zentrum ausfällt. Dieser Richtung war also in demgegnerischen Plan eine untergeordnete Rolle zuge-dacht. Aber entgegen den Wünschen und dem Wollender faschistischen Strategen wurde sie sehr bald zumentscheidenden Schauplatz an der sowjetisch-deut-schen Front. Die Stalingrader Schlacht begann Mitte Juli1942. Man kann sie in zwei Perioden einteilen : einmalin die Verteidigungskämpfe an den Zugängen nachStalingrad und in der Stadt selbst vom 17. Juli bis 18.

November, und zum anderen in unsere Gegenoffensiveund die Zerschlagung der starken gegnerischen Grup-pierung vom 19. November 1942 bis 2. Februar 1943.Unsere Gegenoffensive mußte zum Ziel haben, die Lagein diesem Raum radikal zu verändern und den nochimmer offensiven Südflügel der gegnerischen Front zuzerschlagen.Das Staatliche Verteidigungskomitee und das Haupt-quartier des Oberkommandos bezeichneten die Vorbe-reitung und Durchführung dieser Gegenoffensive als diewichtigste Aufgabe bis Ende 1942. Für die Offensive

Fortsetzung von Seite 9 sollten die Hauptkräfte und -mittel des Hauptquartiersbereitgestellt werden. Stalin befahl strengste Geheim-haltung. Er verpflichtete uns, mit niemandem, auch nichtmit Mitgliedern des Staatlichen Verteidigungskomitees,über die Grobplanung der Operation zu sprechen. ImSeptember billigten das Hauptquartier und das Staatli-che Verteidigungskomitee auch die Hauptpunkte desAngriffsplans »Uranus«. Danach wurde der Generalstabmit der detaillierten Planausarbeitung beauftragt.(Aus: „Sache des ganzen Lebens“; Militärverlag derDDR 1977, Seiten 199-217)

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Im Kessel von Stalingrad: Offiziere der eingeschlossenen 6. Armee berichten

Walther von Seydlitz, Kommandeur desLI. Armeekorps:.Am 10. Januar 1943 begann, wie von den Sowjetsangekündigt, der russische Großangriff. Wie bei dembeklagenswerten Zustand unserer Truppen und ihremVerpflegungs- und Munitionsmangel nicht anders zuerwarten war, brachen die am schwersten angegriffe-nen Fronten bald zusammen. Jeden Tag, den derKessel mehr schrumpfte, wurden demnach mit Gewiß-heit mehrere sowjetische Großverbände frei, die vonuns nicht gebunden wurden. So suchte ich am 18.Januar abends Paulus auf, um seine Beurteilung derLage zu erfahren. Nach meiner Überzeugung war es ander Zeit, an die entscheidende Frage heranzugehen,wann und wie die ganze Armee den Kampf organisiertbeendete. Zu der katastrophalen Lage im Kessel sagtePaulus, daß er noch einmal an Hitler funken und umHandlungsfreiheit bitten wolle. Die Antwort Hitlers war,wie vorauszusehen, eine brüske Ablehnung. Sie lautete

„So brach das Unglück über uns herein“Leutnant Joachim Wieder, Stabsoffizierbeim VIII. Armeekorps:Der 19. November 1942 wird in meiner Erinnerung alsein schwarzes Verhängnis lebendig bleiben. Beimfrühen Morgengrauen jenes neblig-düsteren Spätherbst-tages, an dem sich bald peitschende Schneestürmeeinstellten, begann gleichzeitig mit dem Einbruch einesüberaus harten Winters die von vielen befürchtete undin bangen Ahnungen vorausgesehene Katastrophe fürdie am weitesten und kühnsten vorgedrungenen Teileunserer deutschen Ostfront. Der Russe nahm unseregesamte 6. Armee in eine eiserne Zange. Fassungslosstarrten wir auf unsere Lagekarten mit ihren drohen-den, dicken roten Umfassungslinien und Pfeilen, diedie feindlichen Vorstöße, Einbrüche und Angriffs-

richtungen kennzeichneten. Niemals hatten wir eineKatastrophe von solchem Ausmaß für möglich gehal-ten! Erst viel später wurde uns bewußt, daß dieEinkesselung unserer Armee nur das Teilstück einer –nach bewährtem deutschen Vorbilde – geplanten unddurchgeführten russischen Umfassungs-Offensive dar-stellte. So hatte also plötzlich der Gegner losgeschla-gen, von dem unsere amtliche Propaganda immerwieder behauptete, er sei längst am Ende seinerReserven und seiner Möglichkeiten! So mußte dasUnglück über uns hereinbrechen. Hatte uns der Russe,der im Sommer jeder Entscheidung planmäßig ausge-wichen war, in die Falle gelockt, um uns nun im eisigenöstlichen Winter zu zermalmen? Wir saßen tatsächlichin der Falle. Wie würden wir wieder hinausgelangen?

„Kampf bis zur letzten Patrone“

Ich war damals vorübergehend der Führungs- undOperationsabteilung (I a) zugeteilt, wo es fieberhaft zutun gab. So gewann ich einen aufschlußreichen Einblickin unsere Gesamtlage und in die entscheidendenMaßnahmen, die schließlich 2000 km fern vom Kessel,bei Rastenburg in Ostpreußen, am Sitz des OKH unddes Führerhauptquartiers, beschlossen wurden. Vondort wandte sich Hitler mit Befehlen und Aufrufenwiederholt direkt an die Stalingrader Armee. Niemalswerde ich vergessen, wie aufs äußerste betroffen wiralle waren und welche Aufregung, ja welch lähmendesEntsetzen besonders auch unter den höheren Offizierenunseres Stabes um sich griff, als am 24. November vonder Armee die Meldung einlief, Hitler habe dengeplanten Ausbruch verboten.

(Aus: „Stalingrad und die Verantwortung des Soldaten“,München 1962, Seiten 17-34)

meiner Erinnerung nach: „Kapitulation ausgeschlos-sen! Die Armee erfüllt damit ihre historische Aufgabe,den Aufbau einer neuen Front beiderseits Rostow zuermöglichen. Kampf bis zur letzten Patrone!“Obwohl die völlige Auflösung rapide fortschritt, sollte esnoch eine Woche dauern, bis die Todesstunde desKessels nahte. Man wird fragen, wie es kommen konnte,daß sich der Todeskampf der 6. Armee noch so langehinziehen konnte. Die Erklärung dafür sehe ich nicht indem heldenmütigen Aushalten unserer Männer, son-dern lediglich in dem Verhalten der Russen. Sie warensich über die katastrophalen Verhältnisse im Kessel imklaren. Ihr Opfer lag vor ihnen. Sie hatten Zeit undkonnten unsere Tod in Ruhe abwarten, ohne noch einenMann zu opfern. (...)Die Gefangennahme am 31. Januar 1943: Der Gefechts-lärm an diesem Vormittag war nur schwach, hier und daein MG-Feuerstoß. Etwas Unheimliches lag in der Luft. Dawurde plötzlich die Tür aufgerissen. Vor mir stand ein

russischer Soldat. Er gab keinerlei Kommandos wie etwa„Hände hoch!“ oder ähnliches. Ich übergab ihm meinePistole und war russischer Kriegsgefangener. Als ich ausunserem Bunker heraustrat, waren vor den Nachbar-bunkern Generale, Offiziere und Mannschaften im Be-griff, unter dem Befehl eines russischen Offiziers anzu-treten, insgesamt wohl 16 bis 18 Personen. Nach diesemAntreten ging es sofort im Gänsemarsch auf einerschmalen Treppe die Steilwand der Balka (Schlucht)hinauf. Oben waren vielleicht fünf bis sechs der Generaleund Offiziere angekommen, als wir plötzlich deutschesMG-Feuer in den Rücken erhielten. Deutsche schossenauf Deutsche auf Grund der Befehlsausgabe von Heitz,der jede Kapitulation mit dem Tode bedroht hatte.(Generaloberst Walter Heitz hatte am 25. Januar nacheinem Befehl von Seydlitz zur Einstellung des Kampfesdas Kommando über dessen Armeekorps übernommen- d. Red.) Zwei unserer Kameraden wurden dadurchtödlich getroffen ...(Aus: „Stalingrad: Konflikt und Konsequenz“, Olden-burg 1977, Seiten 234-252)

Oberst Wilhelm Adam,1. Adjutant von General Paulus:31. Januar 1943, 7 Uhr früh. Fahl und kaum merklichdämmert der Tag. Paulus schlief noch, als an die Türgeklopft wurde. Paulus erwachte und richtete sich auf.Der Chef des Stabes (Generalleutnant Arthur Schmidt– d. Red.) trat ein. Er reichte dem Generaloberst einBlatt Papier mit den Worten: „Ich gratuliere Ihnen zurBeförderung zum Feldmarschall. Der Funkspruch istals letzter in den frühen Morgenstunden eingegan-gen.“„Das soll wohl eine Aufforderung zum Selbstmordsein, aber diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun“,sagte Paulus, nachdem er gelesen hatte. Schmidt fuhrfort : „Gleichzeitig muß ich Ihnen melden, daß derRusse draußen steht.“ Mit diesen Worten ging ereinen Schritt zurück und öffnete die Tür. Herein trat einGeneral mit Dolmetscher und erklärte uns als seineGefangenen.Im Hof standen sowjetische und deutsche Soldaten,die noch vor wenigen Stunden als Feinde aufeinandergeschossen hatten, friedlich nebeneinander, die Waffenin den Händen oder umgehängt. Doch welch einerschütternder Unterschied! Hier deutsche Soldaten,

„Ich hätte Sie lieber als meine Gäste begrüßt“zerlumpt, in dünnen Mänteln über den schäbigenUniformen, spindeldürre, abgemagerte, zu Tode er-schöpfte Gestalten mit hohlwangigen, stoppel-bestandenen Gesichtern. Dort die Soldaten der RotenArmee, gut genährt, kraftstrotzend, in ausgezeichne-ter Winterkleidung. Der Anblick der Soldaten derRoten Armee schien mir symbolisch für das sichumkehrende Verhältnis von Sieg und Niederlage. Tiefergriffen war ich auch von einer anderen Beobach-tung. Anstatt unsere Soldaten zu prügeln oder gardurch Genickschüsse niederzustrecken, langten diesowjetischen Menschen inmitten der Trümmer ihrerdurch unseren Krieg zerstörten Stadt in ihre Taschen,ihr letztes Stück Brot, ihre Papirossy und ihrenMachorka den menschlichen Wracks von deutschenSoldaten anzubieten.Soviel war mir an jenem 31. Januar 1943 klar, daß dieSchuldfrage am Untergang der 6. Armee auch fürPaulus und seinen Stab, für alle Generale undhöheren Kommandeure stand. Annahme des Kapitu-lationsangebots der Roten Armee vom 8. Januar 1943hätte den Zehntausenden dreieinhalb Wochen Hun-ger und Eiseskälte erspart. Ihr Gesundheitszustandwäre bei Beginn der Kriegsgefangenschaft wesentlich

besser gewesen. Das Fleckfieber hätte sich nicht sostark ausbreiten können.Zwei Stunden später trafen wir in Beketowka ein. Wirhielten vor einem der dort vorherrschenden Holzhäu-ser. Nachdem wir Mäntel und Mützen in einemVorraum abgelegt hatten, wurden wir in ein größeresZimmer geleitet. An der Querseite der in T-Formaufgestellten Tische hatte ein sowjetischer GeneralPlatz genommen. Wie sich bald herausstellte, war esSchumilow. Der Oberbefehlshaber der 64. Armeesagte: „Es wäre mir viel angenehmer, wenn wir unsunter anderen Verhältnissen kennengelernt hätten,wenn ich sie hier als meine Gäste und nicht alsKriegsgefangene begrüßen könnte.“ Wodka wurdeeingegossen, für alle aus derselben Flasche. DerGeneral bat uns, mit ihm auf die siegreiche RoteArmee zu trinken. Darauf blieben wir unbeweglichsitzen. Nachdem ihm der Dolmetscher leise einigeWorte gesagt hatte, lächelte Schumilow: „Ich wollteSie nicht beleidigen. Trinken wir auf die beidentapferen Gegner, die sich in Stalingrad gegenüberla-gen!“ – Was hatte man uns doch für Lügen von denblutrünstigen Bolschewiki aufgebunden! Und wirwaren so primitiv, sie zu glauben!(Aus: „Der schwere Entschluß“, Ostberlin 1979 (19.Aufl.), Seiten 306 - 314)

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Deutsche auf der anderen Seite der Stalingrader Front

„. . . und hunderttausend Lebenwären gerettet“Aus den Frontnotizen von Erich Weinert:

Im Mai 1942 richteten zum ersten Male kriegsgefan-gene deutsche Offiziere einen Aufruf an die Wehrmacht,„das deutsche Volk vor der ungeheuersten Katastropheseiner Geschichte zu retten durch den Sturz Hitlers, dieWiederherstellung der Freiheit des deutschen Volkes,den Abschluß eines rechtzeitigen, ehren-vollen Friedens“. Es war noch eine kleineGruppe von 22 Offizieren. In . . . Sorge umdas Schicksal ihrer Nation, die die älterenunter ihnen seit 1933 nie verlassen hatte,. . . erachteten sie es als ihre Pflicht alsdeutsche Offiziere, für ihr in Fesseln geschlagenes,tödlich bedrohtes Volk einzutreten – ohne Furcht vorVerkennung und Verfemung, folgend allein dem Gebotder Treue und der Ehre.Man wird diesen Offizieren heute zugestehen müssen,daß ihre Beurteilung der Lage richtig, ihr Entschlußnötig, ihre Haltung von ernster nationaler Verantwor-tung bestimmt und deutscher Offiziere würdig war.Nach Unterzeichnung dieses Aufrufes verpflichtetensich diese 22 Offiziere durch Handschlag untereinanderzu treuem, kameradschaftlichen Zusammenstehen imKampf um die Errettung ihres Volkes, im Kampf gegenden Verderber Adolf Hitler. Sie nannten sich „antifaschi-

Saratow, 30. November/1. Dezember 1942. Seitgestern sind Walter Ulbricht, Willi Bredel und ich aufder Fahrt an die Stalingrader Font. Die beiden imKartenzimmer anwesenden Generale waren von Mos-kau aus schon über unsere Mission an der Frontunterrichtet. Der Chef breitete das große Meßtischblattaus und erklärte uns die Lage der 6. deutschen Armeevor Stalingrad. „Fest eingeschlossen!“ sagte er. „Ob esihnen gelingt, von Westen her noch einmal durchzu-brechen, ist schon sehr fraglich. Der Ring um den Kesselist schon zwanzig bis dreißig Kilometer breit. Aber wirlassen sie dort nicht zur Ruhe kommen. Denen wirdbald nichts mehr übrigbleiben, als mit Roß und Mannund Wagen zu kapitulieren. Ein modernes Cannae. Siemüßten jetzt schon einsehen, daß sie auf verlorenemPosten stehen. Unser Kommando hat ihnen das schonplausibel zu machen versucht. Aber die im Kesselscheinen sich noch nicht zu beunruhigen.“ – „Das sollunsere Aufgabe sein“, sagte ich. „Die Warnungen derRoten Armee schlagen sie in den Wind. Vielleichtglauben sie uns Deutschen eher.“ Gottverdammt, waswäre das für ein Festtag, wenn wir sie überzeugenkönnten und sie legten die Waffen nieder ! Undhunderttausend Leben wären gerettet !

Achtuba, 6./7. Dezember. Die Frage ist : Wie kommen

wir an die im Kessel heran? Die Aufklärungspropagandader Roten Armee ist erfahrungsgemäß wenig wirksam,nicht zuletzt, weil sie auch nicht sehr geschickt ist.Außerdem ist sie für die deutschen Landser eben„Feindpropaganda“.Sarepta, 16. Dezember. Gestern nacht vierte Sendungam südlichsten Punkt des Kessels. Wir senden. Walterspricht über die Wendung in der Kriegslage. Er sprichtlange. Kein Schuß. Der Feind hört mit.Sarepta, 21. Dezember. Letzte Nacht wieder an derSendestelle westlich von Jelschanka, wo wir vor dreiTagen ungestört gesendet hatten. Gestern war derTeufel los. Am Tag vorher hatten sie Artillerie auf denKopf gekriegt. Mag sein, daß sie einen Vorstoß fürch-teten. Vielleicht hat auch ihr Kommando jetzt befohlen,zu stören. Als das Schießen einen Augenblick aussetzte,brüllte unser Instruktor ins Mikrofon : „Ruhe jetzt ! Wennihr das verfluchte Geknalle nicht einstellt, wenn ihr unsnoch eine einzige Mine rüberschickt, so kriegt ihr ausunseren schweren Kalibern und mit der Stalinorgel einsauf die Nase, daß euch Hören und sehen vergeht.“ Erstkurz nachdem Walter seine Rede begonnen und hin-übergeschrieen hatte: „Wer da drüben schießt, der mußAngst haben, die Wahrheit zu hören!“, verstummte aufeinmal wie auf eine Vereinbarung die Schießerei.

Sawarygino, 2. Januar 1943. Nachmittags beim Ober-sten Kriegsrat der Donfront. Es kommen zwar auch hierNachrichten von verschiedenen Armeen, daß die Solda-ten einzeln oder gruppenweise, an einer Stelle sogareine Kompanie mit ihrem Leutnant, übergelaufen sind;aber es sind nur sporadische Erscheinungen. Washindert die anderen, uns zu glauben. Wir fragen neueGefangene : „Weshalb kommen nicht mehr?“ – „Diedenken, sie werden doch noch rausgehauen... DieOffziere sagen, der Ring ist nicht fest, die Rote Armeeist viel zu schwach, sonst hätte sie längst angegriffen.... Es würden sicher viel mehr rüberkommen. Aber siehaben zu große Angst, daß sie hier erschossen wer-den...“ – „Aber wir haben doch so oft zu euch hinüber-gesprochen und Flugblätter geschickt, ihr sollt denverfluchten Lügen nicht glauben.“ – „Sie sagen, das istFeindpropaganda.“ ... Sie scheinen doch nicht eher zumBewußtsein zu kommen, ehe nicht Kanonen stattArgumente sprechen. Soll denn jedes Wort in den Windgeredet sein?Iljowka, 9. Januar. Das Ultimatum an Paulus ist los-gelassen. Und abgelehnt. Jetzt muß das Ultimatum denSoldaten selbst bekanntgemacht werden . . .Heute kamen drei antifaschistische deutsche Offiziereaus dem Kriegsgefangenenlager Krasnogorsk beiMoskau hier an. Es sind Hauptmann Hadermann unddie Oberleutnante Reyher und Charisius. Sie kommenzur rechten Zeit. Die Offensive der Roten Armee beginnt.Da werden wohl im Kessel die letzten Hoffnungen aufdie Entsetzungsarmee schwinden. Vielleicht kapitulie-ren die Divisionen dann auf eigene Faust . . .(Aus : „Memento Stalingrad. Ein Frontnotizbuch“. Ost-berlin 1951)

Appell an das Gewissen derOffizierskameraden

Hauptmann Ernst Hadermann über den Einsatz am Kessel und die Vorgeschichte:

stische“ Offiziersgruppe, um sich damit abzugrenzengegen diejenigen Offiziere, die Hitler hörig blieben,und um ihre Kampfgemeinschaft zu bekunden mit al-len Deutschen, die wie sie Gegner der Diktatur Hitlerssind. . . . Innerhalb der antifaschistischen Gesamtbewe-

gung stellte sich diese Offiziersgruppedie besondere Aufgabe der nationa-len Aufklärung und Werbearbeit un-ter den kriegsgefangenen deutschenOffizieren und der vom Ethos desOffiziers erfüllten Ansprache an die

deutsche Wehrmacht . . .Seinen dramatischen Höhepunkt erreichte der politi-sche Kampf dieser – inzwischen wesentlich stärkergewordenen – antifaschistischen Offiziersgruppe in derEntsendung von drei Offizieren an die Front von Stalin-grad im Januar 1943. Es waren Oberleutnant Reyher,Oberleutnant Charisius und ich. Wir hatten Kenntniserhalten von der aussichtslosen Lage der 6. Armee, derNichtbeantwortung bzw. der Ablehnung der Aufforde-rung zur Kapitulation; wir befürchteten, daß die Offizie-re – aus einer zu engen, standesmäßig begrenztenEhrauffassung heraus – den Gehorsam gegen Hitler alsden Obersten Befehlshaber höher stellen würden als

ihre Verantwortung gegenüber der deutschen Nation;wir wußten, daß diese Auffassung, gepaart mit einerfalschen Vorstellung von der russischen Kriegsgefangen-schaft, zum Untergang der ganzen Armee führen müs-se. So begaben wir uns, mit Erlaubnis der zuständigenSowjetdienststellen, zusammen mit deutschen Arbeiter-führern, Schriftstellern und Wissenschaftlern, an die Front,um zu den Offizieren der 6. Armee, besonders zu denGenerälen, zu sprechen, um das Unheil zu verhüten.Es war eine tragische Situation, daß deutsche Offiziere,aus Treue zu ihrem Volk und ihrer Armee dem eigenenArtillerie- und MG-Feuer und, was schwerer ist, der Ver-kennung oder Verleumdung unter ihrer eigenen Trup-pe sich aussetzen mußten, um ihre Kameraden von derVerblendung lösen und ihnen Rettung bringen zu kön-nen. Aber es war zugleich eine fruchtbare Situation: Siebot nicht nur diesen Offizieren die Gelegenheit zu einerernsteren Bewährung ihrer Treue, als jeder Krieg siebieten konnte, sie schuf zugleich ein echtes Vertrauens-verhältnis zwischen ihnen und den deutschen Kommu-nisten, die, wie sie, aus Treue zu ihrem Volke ihr Lebeneinsetzten zur Rettung irregeführter und preisgegebe-ner deutscher Offiziere und Soldaten. Die Worte unse-res Aufrufes verhallten nicht ungehört; die erste kame-radschaftliche Hilfe, die wir – zusammen mit russischenOffizieren – deutschen Kriegsgefangenen, Verwunde-ten und Erschöpften leisten konnten, schlug die Brückezu uns und zum kommenden Deutschland . ..(Aus: „Freies Deutschland“ – Organ des am 12./13. Juli1943 gegründeten Nationalkomitees – vom 29. August1943) Fortsetzung auf Seite 14

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Deutsche auf der anderen Seite der Stalingrader Front

Hanna Podymachina, 1934 mit ihren Eltern aus Hitler-Deutschland in die Sowjetunion emigriert, wurde 1942achtzehnjährig Leutnant der Roten Armee. Peter Rausprach mit ihr.Sie waren im Herbst und Winter 1942/1943 alsdeutsche Antifaschistin bei Stalingrad eingesetzt. Wiekam es dazu?Das hat eigentlich eine lange Vorgeschichte. 1934, da warich zehn, bin ich mit meinen Eltern und meinem zwei Jahreälteren Bruder aus Deutschland in die Sowjetunion emi-griert. Mein Vater, Rudolf Bernstein, war als Funktionär derKPD von den Nazis verfolgt worden. In Moskau hat erdann bei der Komintern gearbeitet, und ich bin dort zurSchule gegangen; erst in die Karl-Liebknecht-Schule,später in eine normale sowjetische Schule. 1936 erhieltenwir – aus Sicherheitsgründen unter dem FamiliennamenBauer – die sowjetische Staatsbürgerschaft. Die Sowjetuni-on wurde praktisch meine zweite – ja eigentlich meineerste Heimat, denn mit dem, was in Deutschland unterden Faschisten geschah, konnte ich mich nicht identifizie-ren. Und als sie überfallen wurde, war auch ich alsKomsomolzin, ebenso wie Zehn- oder Hunderttausendesowjetische Mädchen, bereit, zu ihrer Verteidigung beizu-tragen. Im Oktober 1942, als ich die Schule beendet hatte,war es dann soweit. Ich wurde gefragt, ob ich bereit wäre,in der Armee als Dolmetscherin bzw. Übersetzerin zuarbeiten, und ich war, natürlich, sofort einverstanden. Einpaar Tage später ging es dann auch schon los.Direkt von Moskau aus an die Front nach Stalingrad?Nee, jedenfalls nicht direkt. Im Oktober hatte sich ja schondie Wehrmacht in der Stadt festgesetzt. Aber nördlich vonStalingrad, zwischen Don und Wolga, wurden gerade diesowjetischen Truppen zur geplanten Gegenoffensive auf-gestellt bzw. umgruppiert. Die Armeen der Stalingraderund der Donfront schickten sich an, die Stadt vom Norden,Osten und Südosten her in die Zange zu nehmen, und dieneugeschaffene Südwestfront, zu der ich geschickt wurde,bereitete sich im Nordwesten, zwischen Serafimowitschund Kletskaja, auf den Angriff vor. Aber damit hatte ichdirekt erst mal nichts zu tun. Ich wurde, gleich zumLeutnant ernannt, zum Frontstab in Serafimowitsch kom-mandiert, genauer gesagt in die 7. Abteilung, die für dieArbeit unter den Truppen und der Bevölkerung desGegners – wir sagten unter uns kurz und bündig „Zerset-zung des Gegners“ – zuständig war.

Unsere „Feindpropaganda“ störte die Wehrmacht schonWären Sie lieber »vorne« mit dabeigewesen, undhätten Sie auch auf Ihre Landsleute geschossen?Ach, die Frage stellte sich so überhaupt nicht; unsere Waffewar ja, wie es so schön heißt, das Wort. Wie die meistenin der 7. Abteilung hatte ich nicht mal eine Pistole. Unddavon ganz abgesehen, lagen den Soldaten unserer Frontzuerst vor allem rumänische Einheiten unmittelbar gegen-über. Aber grundsätzlich waren alle Okkupanten Feinde:Ich dachte, fühlte und handelte, wie schon gesagt, wie einKind der Sowjetunion.Was hatten Sie nun als Mitarbeiterin der 7. Abteilungkonkret zu tun?Na, die ganze Palette – alles, wofür eben Deutsch-Kenntnisse erforderlich waren : Flugblätter entwerfen,übersetzen, korrigieren, Gefangenenverhöre dolmetschen,erbeutete Briefe lesen und auswerten, was dann wiederin den eigenen Flugblättern verwertet werden konnte.Was war der Inhalt der Flugblätter, was haben siebewirkt?Wie überall : Die Wehrmachtssoldaten über den Charakterdes Krieges aufklären, das Nazi-Regime entlarven, die fürden Gegner aussichtslose Situation beschreiben und ihnzur Aufgabe des Kampfes bewegen. Das hätte schließlichweniger Todesopfer zur Folge gehabt – auf beiden Seiten.Was die Wirkung angeht : Allzu erfolgreich war sie,gemessen an Überläufern oder Deserteuren, in dieserPhase des Krieges wohl noch nicht; doch später gelangtenwir in den Besitz von Wehrmachtsdokumenten, in denensich das schon anders las : „Betrifft Feindpropaganda: DasLesen der Flugblätter muß unbedingt verhindert werden.Die Weitergabe gilt als Wehrkraftzersetzung ...“

Haben Sie denn, wenn der Südwestfront vor allemRumänen gegenüberstanden, auch selber mit deut-schen Kriegsgefangene zu tun gehabt?Anfangs wohl nicht, aber später schon. Die meisten warenziemlich verbiestert, glaubten nach wie vor an denEndsieg und wollten nichts einsehen. Andererseits kannich mich noch gut an zwei Gefangene von der Organisa-tion Todt erinnern. Die waren eigentlich ziemlich froh, ausdem Schlamassel raus zu sein. Einer von ihnen hat michnach dem Krieg sogar in Berlin besucht.

Truppen der von General Nikolai Watutin befehligtenSüdwestfront waren zwischen dem 19. und 23.November auch direkt daran beteiligt, den Ring um

die Paulus-Ar-mee zu schlie-ßen. Wurde andiesem Tag imFrontstab or-dentlich gefei-ert?Ich kann michnicht an irgend-welche Siegesfei-ern er innern.Dazu war es wohlauch noch zufrüh. Es bestandja immer noch

Aus dem Aufruf von Ernst Hadermann, EberhardCharisius und Friedrich Reyher an die Offiziereder vor Stalingrad eingeschlossenen deutschenTruppen:„Die Lage Ihrer Truppen ist Ihnen bekannt. DieAblehnung des Ultimatums gibt sie der Vernichtungpreis. Für diesen Entscheid werden sich Ihr Armee-kommandeur und Adolf Hitler dereinst vor demdeutschen Volk zu verantworten haben. Sie selbst sindnun vor die schicksalschwere Entscheidung gestellt,ob Sie, aus einem mißverstandenen Pflicht- undEhrgefühl heraus, mitverantwortlich werden wollenfür den Tod braver Männer oder ob Sie die Entschluß-kraft finden zu selbständiger mutiger Rettungstat ...Die wahre Ehre des Offiziers besteht nicht in beden-kenlosem Gehorsam gegen die jeweilige Regierung,sondern einzig und allein in der Treue gegen seineNation selbst. Gefährdet eine Regierung durch ihre

Fortsetzung von Seite 13 Handlungen die Existenz und die Ehre der Nation, soist der Offizier ebenso wie jeder andere vaterlands-liebende Mann verpflichtet, die Interessen oder dieEhre seiner Nation gegen diese Regierung zu vertre-ten ...Die besten deutschen Generäle haben Adolf Hitler recht-zeitig gewarnt vor dem Krieg gegen die Sowjetunion undEinspruch erhoben gegen seine persönliche Einmischungin die militärischen Operationen. Hitler aber, in Überheb-lichkeit und Verblendung, hat alle Warnungen in denWind geschlagen und unser Volk in eine ausweglose Lagegeführt, die Sie im Kessel vor Stalingrad am stärksten undunmittelbarsten zu spüren bekommen. In dieser Lageträgt das ganze deutsche Offizierskorps und tragen Sie imbesonderen eine mehr als nur soldatische Verantwortungvor Ihrer Truppe und vor der deutschen Nation.In dieser bedrohlichen Situation kann Ihnen Ihre wahreOffiziersehre nur eins gebieten: Folgen Sie dem Ruf derdeutschen Nation und nicht dem Befehl des AbenteurersHitler! Unser Volk ruft Ihnen in dieser Stunde zu: Rettet das

Leben von Zehntausenden Eurer Söhne! Faßt den bitteren,aber einzig sinnvollen und mannhaften Entschluß zurKapitulation ! Kapitulation aus Feigheit ist entehrend.Kapitulation aus Einsicht in die harte Notwendigkeit, ausVerantwortung vor Ihrer Truppe, vor dem Volke ist mann-haft und ehrenvoll, um so mehr, als sie unter ehrenvollenBedingungen erfolgt.Wir wissen, daß Sie die russischen Gefangenschaft fürch-ten, und wir verstehen Sie, da wir sie seinerzeit selbstgefürchtet hatten. Aber mit gutem Gewissen erklären wirIhnen als deutsche Offiziere, daß diese Furcht unbegrün-det ist. Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß hier alleKriegsgefangenen gemäß den Satzungen des Völker-rechts behandelt werden.Durch die ehrenvolle Kapitulation bahnen Sie IhrenSoldaten den Rückweg in die Heimat nach dem Kriege.Die deutsche Geschichte wird Sie rechtfertigen. Das deut-sche Volk, die Mütter, Frauen und Kinder Ihrer Soldatenwerden Ihnen dereinst danken und Sie ehren für IhreTat !“

die Gefahr eines Durchbruchs durch unsere Linien oderdass die Wehrmacht von Westen her zu den bei StalingradEingekesselten vordringt. Zum Jahreswechsel sah dasschon anders aus. Da haben wir in der Abteilung schonmal die Gläser gehoben – Samogon, also Selbstgebrannten,sa Rodina, sa Stalina – da konnte sich auch ein 18jährigesMädchen nicht raushalten. Aber: Nie wieder Samogon!Zur selben Zeit waren auch Walter Ulbricht, ErichWeinert und Willi Bredel an der Stalingrader Front,um die deutschen Soldaten davon zu überzeugen,daß weiterer Widerstand sinnlos ist. Hatten Sie mitihnen Kontakt?Nein, überhaupt nicht. Auch vom Einsatz der deutschenAntifa-Offiziere um Hadermann hatte ich damals nichtsmitbekommen. Vielleicht lag das daran, dass unsere Ab-teilung im Dezember bereits weit hinter dem Don agierte;die meisten Armeen der Südwestfront kämpften da jaschon ein paar hundert Kilometer westlich von Stalingrad.Sie selbst haben also nicht aus dem Schützengrabenüber Lautsprecher zur Kapitulation aufgefordert?Nein, unsere Front – aus ihr ging später die DritteUkrainische Front hervor, deren Kampfweg über dieUkraine und Moldawien, Rumänien, Bulgarien, Jugosla-wien und Ungarn bis nach Österreich führte – erhielt erstim Februar 1943, also nach dem Ende der Schlacht umStalingrad, ein als Lautsprecherwagen umgebautes Fahr-zeug. In dem habe ich dann allerdings fast den ganzenKampfweg bis zur Befreiung 1945 nach Wien zurückge-legt. Aber das wäre schon wieder eine – mindesten eine– Geschichte für sich.

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»Wenn man im nachhinein ein Motto für ein solchesLeben finden wollte«, so Prof. Luitwin Bies am 15. Julides Jahres auf der Gedenkfeier für Irene Bernard,»dann würde ich wieder das Dicherwort von MartinAndersen-Nexö wählen: Der verantwortliche Menschträgt ein schweres Gepäck durch das Dasein – es istdas Gepäck des anderen. Irene trug das Gepäcklange Jahrzehnte. Für andere denken und handeln,sie mitnehmen wollen im Friedenskampf, gegenFaschismus und Krieg; an diesem Gepäck trug sie,solange ihre Kräfte ausreichten. Wenn wir von die-sem Leben etwas begreifen und selbst aufnehmenwollen, dann ist es jenes Vermächtnis, am Gepäckdes anderen mittragen zu sollen.«Irene Bernard wurde am 2. Mai 1908 in Bischmisheimim Saarland geboren, und das Schicksal des Saarlan-des war auch prägend für ihr Leben. Nach HitlersMachtantritt 1933 war hier die erste Station für all jene,die aus Deutschland fliehen mußten, ins Exil gingenoder von hier aus ihren Kampf gegen Nazideutschlandfortsetzen wollten. Irene und ihr Mann Leo übtenSolidarität, gaben Quartier und Essen. Doch nach demAnschluß des Saarlandes an Hitlerdeutschland musstensie selbst mit ihren beiden Kindern 1935 nach Frank-reich emigrieren, da Leo als Jude und antifaschistischerKämpfer in den Reihen der SAJ doppelt gefährdet war.Auch in Agen, ihrem Zufluchtsort in Südfrankreich,übten sie trotz der eigenen schwierigen Lebensverhält-nisse weiter Solidarität – besonders ab 1936, als vieleAntifaschisten Hilfe brauchten auf ihrem Weg nachSüden, zur Verteidigung der Spanischen Republik ge-gen die Franco-Putschisten und ihre Unterstützer aus

JONNY GRANZOW:

»Das Gepäck des anderen«In memoriam Irene Bernard (1908 - 2002)

Nazideutschland und dem faschistischen Italien.Noch schwieriger wurde das Leben für Irene und ihrebeiden Erstgeborenen, als ihr Mann 1939, nach HitlersÜberfall auf Polen, in Frankreich interniert wurde. DieGeburt des dritten Kindes im Mai 1940 führte zwar zurFreilassung von Leo, doch die Gefährdung blieb, dennnach der Niederlage Frankreichs hatte sich die in Vichyinstallierte Kollaborationsregierung gegenüber Hitler-deutschland verpflichtet, namentlich angeforderte Deut-sche aus der noch unbesetzten Südzone auszuliefern.Nach der 1942 erfolgten Besetzung Südfrankreichsdurch Nazitruppen musste ihr Mann untertauchen. Dasbedeutete für Irene, allein den Lebensunterhalt für ihredrei Kinder zu sichern, zugleich anderen Hilfsbedürfti-gen Unterstützung zu geben und Kurierdienste sowieFlugblatt-Transporte für die Widerstandsbewegung zuübernehmen. 1944 musste auch sie in die Illegalitätgehen. Gemeinsam mit ihrem Mann wirkte sie in derBewegung »Freies Deutschland« für den Westen.Zwei Jahre später ins Saarland zurückgekehrt, sichertesie den Erhalt der Familie und war zugleich, bis zuseinem Tod 1966, die unentbehrliche Arbeitspartnerinfür ihren Mann in dessen verschiedenen Funktionen,insbesondere im Rahmen der Weltfriedensbewegung.Diese Zeit und die Jahre danach charakterisierte Luit-win Bies bei der Gedenkfeier so : »Irene war bis dahinvor allem die Frau an Leos Seite, aber sie war es nie>nur<. Sie brachte eigenständige Aktivitäten in jedePhase dieses kämpferischen Lebens. Sie war aktiv inder westdeutschen Frauen- und Friedensbewegung, imDemokratischen Frauenbund Saar, in der GesellschaftBRD-UdSSR, nicht zuletzt in ihrer Partei, der DKP, und

in der VVN-Bund der Antifaschisten. Sie war immer da,wo Hilfe notwendig war. Und sie war vor allem bei derkonzeptionellen Erarbeitung der alternativen, antifa-schistischen Statdtrundfahrten und bei zig Fahrten dannselbst dabei. Sie vermittelte vor allem jungen Men-schen ihre Erfahrungen mit Krieg und Faschismus, aberauch mit erlebter Solidarität. Bei diesen Rundfahrten,bei Gesprächsrunden in Schulen, Jugendgruppen,Pfingstcamps half sie mit, Jugendliche gegen Rassis-mus und Ausländerfeindlichkeit, gegen Neofaschismuszu immunisieren und zu eigenem Einsatz zu bewe-gen.« Bei alldem habe sie nicht nur bei den Jugend-lichen hohes Ansehen gewonnen. Es habe zwar langegedauert, doch als Oskar Lafontaine 1988 als Minister-präsident einigen saarländischen Antifaschistinnen undAntifaschisten den Verdienstorden überreichte, gehörteauch Irene Bernard zu den Geehrten.

Die nationale Gedenkstätte im französischen Oradour-sur-Glane, „Centre de la Mémoire“ genannt, wird jedesJahr von mehr als 300 000 Menschen besucht; jederDritte davon ist noch im Schulalter. Ergriffen gehen dieBesucher durch die Ruinen des völlig niedergebrann-ten kleinen Ortes im Limousin, in dem am 10. Juni 1944eine Einheit der SS-Division „Das Reich“ innerhalb we-niger Stunden 642 Einwohner ermordete. Die Frauenund Kinder waren in die Kirche eingeschlossen undlebendig verbrannt worden. Wen wundert es, dass andiese Stätte des von Deutschen verursachten Grauenszwar auch deutsche Touristen kommen – etwa fünfProzent der jährlichen Besucher –, doch deutsche Vor-tragende in dem reichhaltigen Informations- undBildungsprogramm der Gedenkstätte fehlten.Der erste Deutsche, den die Direktion des „Centre de laMémoire“, Anne-Dominique Barrère, Anfang Novem-ber zu Vorträgen einlud, war das Mitglied unseresVerbandes Gerhard Leo. Der ehemalige Partisan in derRegion Limousin hatte als Angehöriger der Résistanceim Juni 1944 auch am Kampf gegen die mörderischeSS-Division teilgenommen. In von der Gedenkstätteveranstalteten Vorträgen informierte Gerhard Leo voracht Schulklassen 15- bis 18 jähriger Mädchen und Jun-

gen, in einer gut besuchten Veranstaltung in Limoges,der Hauptstadt des Departements Haute-Vienne, sowiein Interviews mit dem Rundfunk und dem regionalenFernsehen über die Teilnahme von etwa tausend deut-schen Antifaschisten an der Résistance wie über seineneigenen Beitrag dazu. Diese Vorträge und Diskussio-nen fanden anlässlich der Präsentation der Ausstellung»Ausländer in der Résistance« in der Gedenkstätte vonOradour statt. Diese Exposition des nationalen Muse-ums für Résistance in Champigny wurde bereits imPariser Rathaus und in anderen französischen Städtengezeigt. Sie dokumentiert die Teilnahme von Angehö-rigen von mehr als 60 Nationen in Frankreich am Wi-derstand gegen die Nazi-Okkupation; den deutschenAntifaschisten ist ein besonderer Abschnitt gewidmet.Ein Exemplar der illegalen Zeitung der Bewegung„Freies Deutschland“ in Südfrankreich, „Unser Vater-land“ vom 11. Juni 1944, in dem das Verbrechen vonOradour angeprangert wird und die deutschen Solda-ten aufgefordert werden, sich unverzüglich von derdafür verantwortlichen Nazi-Führung zu trennen, ist derBibliothek der Gedenkstätte übergeben worden.In den vielen Gesprächen, besonders mit den Schülern,beeindruckte das Bemühen der jungen Menschen, auf

das in dieser Region noch sehr präsente Verbrechennicht mit dem Hass auf alles Deutsche zu reagieren.Vielmehr wurden die gemeinsamen Werte der deut-schen und der französischen Widerstandskämpfer vollakzeptiert. Auch die Leitung der Gedenkstätte unter-stützt mit ihrer eigenen zentralen Ausstellung das An-liegen, für das SS-Massaker nicht „die Deutschen“schlechthin verantwortlich zu machen. Sehr bewegendsind die in dieser Ausstellung zu sehenden Fotos der209 umgebrachten Kinder unter 14 Jahre, die Grup-penaufnahmen von Schülerinnen und Schülern undOriginale ihrer Aufsätze. Am Eingang gibt eine Tafeleinen Auszug aus dem Tagebuch der Lehrerin DeniseBardet wieder, die an ihrem Geburtstag, dem 10. Juni1944, gemeinsam mit ihren Schülerinnen ermordetworden war : „Man darf die Nazi-Barbarei und Deutsch-land nicht gleichsetzen“, schrieb Denise Bardet 1941 inihr Tagebuch. „Man muss Börne, Büchner, Heine inFrankreich lesen, um das unsterbliche Deutschland vonden Herrschern eines Tages zu unterscheiden. Und vorallem muss man die Namen von heute nennen, dieHoffnung und Zukunftshymne zugleich sind : ThomasMann, Bertolt Brecht, Heinrich Mann, Anna Seghers,Lion Feuchtwanger, Willi Bredel, Emil Ludwig, EgonErwin Kisch, Erich Maria Remarque, Ludwig Renn, FranzWerfel, Musil. Alles, was in Frankreich wirklich franzö-sisch ist, müsste dieses Deutschland des Exils kennen,lieben und verteidigen.“

Ein Deutscher in Oradour-sur-GlaneMitglied unseres Verbandes Gast der Nationalen Gedenkstätte

F. M.

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Als ich Albert Hößler kennenlernte, waren wirbeide noch nicht einmal 25 Jahre alt. Es war imJanuar 1935 in den Niederlanden, genauergesagt, in Amsterdam. Albert war von der KPDnach Holland entsandt worden, um an einerillegalen Konferenz der KJVD-LandesleitungNiederrhein/Ruhrgebiet teilzunehmen. Ich warals Kurier und Verbindungsmann von AugustCreutzburg, ZK-Mitglied und Abschnittsleiter derPartei, damit beauftragt, die ankommendenGenossen zu empfangen, unterzubringen undzu betreuen. Dabei lernte ich auch Albert Hößlerkennen. Die Konferenz wurde jedoch von einemeingeschleusten Spitzel der Gestapo an dieholländische politische Polizei verraten; diesenahm uns, insgesamt 19 Genossen, fest, um unsauf schnellstem Wege klammheimlich der Ge-stapo übergeben zu können. Dazu kam es aller-dings nicht. Die holländische Bruderpartei hattevon unserer Verhaftung Kenntnis erhalten undorganisierte noch am Tag unserer Festnahmegroße Protestdemonstrationen. Diese und weite-re Solidaritätsaktionen verhinderten unsere Über-gabe an die Gestapo. Dennoch blieben wir imGefängnis, zuerst in Amsterdam, später in FortHonswejk. Hier wie dort konnnten wir nach undnach die Wachmannschaften davon überzeu-gen, daß wir keine Kriminellen sind, sondernpolitische Emigranten aus dem faschistischenDeutschland. Wenn wir schließlich, als politischeFlüchtlinge anerkannt, Erleichterungen wie bes-seres Essen und Gemeinschaftszellen durchset-zen konnten, so hatte Albert daran großen Anteil.Nach zwei Monaten wurden die ersten nachBelgien abgeschoben.Albert Hößler wurde Anfang Mai 1935 aus FortHonswejk entlassen und von einem Polizeian-gestellten in Zivil zur belgischen Grenze ge-bracht, die er illegal überschreiten mußte. Ermeldete sich zunächst bei der Roten Hilfe inAntwerpen und wurde von dort zur Anlaufstellefür Emigranten in Brüssel weitergeleitet. Der hol-ländische Polizist, der Albert zur Grenze ge-bracht hatte, war kurze Zeit später auch meinBegleiter. Unterwegs erzählte er mir, daß auchAlbert die ganze Zeit lebhaft diskutiert und ihnvon der Gerechtigkeit des antifaschistischenKampfes überzeugt habe. Bisher hätte er vonKommunisten ein völlig falsches Bild gehabt.Von Albert Hößler habe ich allerdings nachmeiner Ankunft nichts mehr gehört und gesehen.Einige Jahre später erfuhr ich, daß ihn die Parteizu einem zweijährigen Studienaufenthalt an derInternationalen Lenin-Schule der Komintern nachMoskau delegiert hatte, wo er aber statt deszweiten Studienjahres ab November 1936 ge-meinsam mit anderen Kursanten in Rjasan einemilitärische Ausbildung absolvierte und im März1937 als Leutnant nach Spanien ging. Hier

KARL KLEINJUNG:

Gemeinsam in Rudolf Abels AufklärerschuleErinnerungen an den vor 60 Jahren von der Gestapo ermordeten Spanienkämpfer und Sowjetkundschafter Albert Hößler

Erinnerungen an Weggefährten des antifaschistischen Widerstands

begegnete ich ihm während einer Ruhepausean der Madrider Front wieder, er war Kompanie-chef im Hans-Beimler-Bataillon der XI. Interna-tionalen Brigade. Doch auch dieses Wiederse-hen war nur kurz. Dass er bald darauf schwerverwundet wurde, erfuhr ich erst im Sommer1939 von ihm; da weilten wir für kurze Zeitgemeinsam mit anderen Interbrigadisten im Er-holungsheim Molino bei Moskau. Auch diesmaltrennten sich unsere Wege bald wieder: Er gingmit anderen deutschen Genossen ins Traktoren-werk nach Tscheljabinsk, und ich begann in derAutofabrik „Molotow“ in Gorki zu arbeiten.

bereitet. Wir erhielten nun eine noch intensivereAusbildung im Senden und Empfangen, Im Chif-frieren und Dechiffrieren.

Doch es kam anders als ursprünglich geplant.Ende Juni eröffneten uns die sowjetischen Freun-de, daß sie nach reiflicher Überlegung zu derAnsicht gekommen sind, uns nicht gemeinsamnach Deutschland zu schicken. Da wir beide mitden dortigen Verhältnissen nicht mehr vertrautwaren, sollte ein anderer Albert begleiten – einDeutscher, der zu Beginn des Überfalls aus derWehrmacht desertiert und übergelaufen warund die Lage daheim besser kannte. So schmerz-haft auch die Trennung war, so mußten wir diesowjetischen Einwände doch akzeptieren. Albertwechselte nun in ein anderes Quartier, um dortdie Ausbildung mit seinem neuen Kampfgefähr-ten fortzusetzen, während ich mich nun auf einenanderen Einsatz im Hinterland des Feindes vor-bereitete – gemeinsam mit einem sowjetischenGenossen sollte ich bei belorussischen Partisa-nen abspringen.

Im August, einen Tag vor dem Beginn seinesEinsatzes, besuchte mich Albert noch einmal. Erstellte mir seinen neuen Begleiter vor und über-gab mir seine Brieftasche mit Briefen und Fotosvon der Braut und den Eltern. Er bat mich, fallsihm etwas zustoßen sollte, das seinen Eltern zuübergeben. Es war mein letztes Zusammentref-fen mit meinem unvergessenen Freund undKampfgefährten.

P.S. Ausgestattet mit Wehrmachtspapieren auf denNamen Helmut Wiegner, wird Albert Hößler überBelorussland abgesetzt und schlägt sich von dortaus nach Berlin durch. Hier soll er den unterbroche-nen Kontakt der Moskauer Abwehrzentrale zurSchulze-Boysen-Harnack-Organisation wiederher-stellen. Über den Bildhauer Kurt Schumacher unddessen Frau Elisabeth, bei denen er Unterkunfterhält, gelingt es ihm auch, Verbindung mit HarroSchulze-Boysen, dem Kopf der Gruppe, aufzuneh-men. Dabei gerät er jedoch wie die meisten Mitglie-der der Organisation Anfang September 1942 insVisier der faschistischen Abwehr und in die bereitslaufende Verhaftungswelle von Gestapo und SD.Während Schulze-Boysen und seiner Frau Libertas,Arvid und Mildred Harnack, die Schumachers, Hansund Hilde Coppi und vielen anderen der Prozessgemacht wird und sie zum Tode verurteilt werden –die ersten werden am 22. Dezember 1942 voll-streckt –, verlieren sich die Spuren Albert Hößlers imHerbst 1942 in den Folterhöllen der Gestapo.

Doch ich bin sicher: Er starb, wie er gelebt hat –mutig aufrecht, standhaft und unbeugsam

Seinen Auftrag, die persönlichen Dokumente seinerMutter zu übergeben, habe ich nach dem Kriegerfüllt.

Albert Hößler, hier schon in der Wehr-machtsuniform, vor seinem letzten Einsatz

Als im Juni 1941 das faschistische Deutschlanddie Sowjetunion heimtückisch überfiel, meldeteich mich wie viele andere Genossen sofort frei-willig zur Roten Armee und wurde umgehend aneine Schule für Aufklärer in der Nähe von Mos-kau geschickt. Hier traf ich neben weiterenInterbrigadisten auch Albert Hößler wieder. DerLeiter dieser Schule war der bekannte sowjeti-sche Aufklärer Rudolf Abel. Unsere Lehrer warenhervorragende Spezialisten, die ihr Fach mei-sterhaft beherrschten und uns mit viel Geduld ihrWissen vermittelten. Wir wurden im Schießenund Sprengen, Funken und Fallschirmspringenausgebildet.Anfang 1942 wurden Albert und ich aus dieserSchule herausgenommen, in einer konspirativenWohnung in Moskau untergebracht und aufeinen gemeinsamen Einsatz in Deutschland vor-

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Erinnerungen an Weggefährten des antifaschistischen Widerstands

Neun Tage vor ihrem 35. Geburtstag wurdesie von SS-Schergen ermordet. Dennoch istihr Name aus vielen Gründen sehr vielenMenschen auch heute noch bekannt. Sicherwürden die meisten, würde man sie befra-gen, vor allem über den letzten Abschnittihres Lebens sprechen. Am 7. Oktober 1943– es war ihr 34. Geburtstag, sprang siegemeinsam mit dem Schwiegersohn von Wil-helm Pieck, Theodor Winter, unweit vonWarschau mit einem Fallschirm aus einemsowjetischen Flugzeug ab, um von dort hin-ter die deutsche Front nach Berlin zu gelan-gen und die Arbeit der deutschen Wider-standsgruppen zu unterstützen. Schon 1941,kurz nach dem Überfall Nazideutschlandsauf die Sowjetunion, hatte sie, die Emigran-tin, das ZK der KPD gebeten, ihr diesenAuftrag zu erteilen.

Es lohnt jedoch, auch einen Blick auf die Zeitdavor zu werfen, denn ihr Elternhaus im Berlinder Vorkriegszeit, die Jahre ihrer Kindheit undJugend, ihr politischer Kampf schon vor 1933formten ihren Mut, ihre Standhaftigkeit. Es wareine schwere, eine gute Schule. Ihr Vater,Michael Niederkirchner, ein aus Ungarn zu-gewanderter Deutscher, war Rohrleger undein bekannter Gewerkschaftsfunktionär, Mit-glied der KPD und enger Vertrauter von ErnstThälmann. Ihre Mutter war eine slowakischeTagelöhnerin, die weder lesen noch schreibenkonnte, jedoch das schwere Leben meisterteund ein Beispiel an Umsicht und Ausdauergab.

Katja ging den Weg vieler Arbeiterkinder. Sietrat früh der kommunistischen Kindergruppebei, wurde dann Mitglied des KJVD, trieb gernSport und wurde Funktionärin im Arbeiter-sportverein „Fichte“. Vor allem aber lernte siegern und viel, las leidenschaftlich, Goetheebenso wie Gorki, Heine ebenso wie JackLondon und vor allem die GefängnisbriefeRosa Luxemburgs.

Sie lernte den Beruf einer Schneiderin, warjedoch oft arbeitslos und nutzte die Zeit derArbeitslosigkeit für ihre Weiterbildung, lernteStenografie und Fremdsprachen und belegteKurse in der berühmt gewordenen MASCH.Immer war sie politisch aktiv. Als sie 1932während des Berliner Verkehrsarbeiterstreikseine leidenschaftliche Rede hielt, wurde sieverhaftet – und im Frühjahr 1933 von derNaziregierung ausgewiesen (noch besaß jaihre Familie die ungarische Staatsbürgerschaft).

ERICH SELBMANN:

„... und hätte doch so gern dieneue Zeit erlebt“

Katja Niederkirchners kurzes tapferes Leben

Sie wollte jedoch nicht ins damals faschisti-sche Ungarn. Sie ging in die Sowjetunion.

Hier studierte sie und arbeitete eine Zeitlangfür die deutschsprachigen Sendungen desMoskauer Rundfunks. Nach der Gründungdes Nationalkomitees „Freies Deutschland“wirkte sie politisch unter deutschen Kriegsge-fangenen und wartete auf ihren erstrebtenEinsatz hinter der Front. Endlich war es soweit.Doch schon der Absprung über polnischemGebiet verlief anders als geplant: Nacht fürNacht, eine ganze Woche hindurch, kreiste ihrFlugzeug über dem verabredeten Landeplatz,musste allerdings immer wieder zum Start-platz zurückkehren. Es waren dies nervenauf-reibende Tage zwischen Erwartung und Zwei-fel. Eines Nachts dann, als das erwarteteLichtsignal auftauchte, sprang sie ins Dunkel.Auf dem Weg nach Berlin wurde sie verhaftet,von Gefängnis zu Gefängnis verschleppt, im-mer neuen qualvollen Verhören ausgesetzt.Sie unternahm sogar einen Selbstmordver-such, weil sie glaubte, nicht durchhalten zukönnen; sie überlebte und fand die Kraft, diesie sich nicht mehr zugetraut hatte: Nichts gabsie preis als ihren Namen – Katja Nieder-kirchner.

Im Sommer 1944 wurde sie ins KZ Ravensbrückverbracht. Nur wenige Wochen konnte sie,wie berichtet wurde, den Leidensgefährtinnenüber das Leben in der Sowjetunion berichtenund ihr Vertrauen in die Kraft der Roten Armeestärken. Dann wurde sie wiederum in Einzel-haft, in den gefährlichen „Bunker“, gebrachtund schwerster Folter ausgesetzt – undschwieg bis zum Ende. Am frühen Morgen des28. September 1944 wurde sie erschossen,ohne auch nur eine Frage nach ihren Kampf-gefährten beantwortet zu haben.

In den letzten Zeilen, die Katja Niederkirchneraus dem „Bunker“ herausschmuggeln konnte,kann man lesen: „Heute will ich Abschiednehmen von meinen Lieben. Ich habe eineAhnung, dass ich nicht mehr lange hier bin.Meinem lieben, treuen Vater müsst ihr sagen,dass ich ihm keine Schande gemacht habe,ich habe niemanden verraten . . . Ich hättedoch so gerne die neue Zeit erlebt. Es ist soschwer, kurz vorher gehen zu müssen. Lebt allewohl, vielen Dank noch einmal für alles Gute,was ihr mir in der kurzen Zeit angetan habt.“

Zu den Gründen, warum viele Menschenauch heute noch ihren Namen und ihre Le-

bensgeschichte kennen, gehört nicht nur dieTatsache, dass sie in der DDR hoch geehrt war,dass Schriftsteller wie Stephan Hermlin oderEberhard Panitz über sie schrieben, Schulenund Kindereinrichtungen ihren Namen tru-gen. Nicht zuletzt trug dazu bei, dass einewichtige Straße in Berlin, die Straße am Berli-ner Abgeordnetenhaus, nach ihr benanntwurde. Anfang der neunziger Jahre sollte derName – wie so viele Namen antifaschistischerKämpfer – getilgt werden. Das gelang nicht –wir hoffen, dass dies so bleibt.

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Erinnerungen an Weggefährten des antifaschistischen Widerstands

Nach einem Dichterwort gibt es Menschen, von denenman sagen kann, dass sie lebendiger als viele Leben-de sind. Jedenfalls bleibt das Andenken an sie ewigund unvergänglich. Das trifft besonders für einen ehe-maligen deutschen Widerstandskämpfer zu, der inItalien hoch geehrt wird. Es handelt sich um den ein-zigen Offizier der deutschen Kriegmarine, der an derdamaligen italienischen Front an der Seite der Partisa-nen mutig gegen die Faschisten und die Okkupantenkämpfte.

Kapitänleutnant Rudolf Jakobs war im Herbst 1943beim Ingenieurkorps der Kriegsmarine in Italien imEinsatz und dort für den Aus- und Neubau der Fes-tungsanlagen und Geschützstellungen in einer Buchtverantwortlich. 1914 geboren, wuchs er in einer gut-bürgerlichen Familie in der Hansestadt Bremen auf.Vater Jakobs, ein Architekt, ließ sich von liberalenAnsichten leiten und wollte mit den Nazis nichts zu tunhaben Er überredete seinen Jungen, nach dem Abiturzur See zu fahren. Was der auch einige Jahre bei derHandelsmarine tat, um ,,weit weg vom Schuss“ zu sein.Später sah er sich sogar am Ziel eines langgehegtenWunsches: Er konnte das Technikum im Bremen be-suchen, wechselte danach zu den Technischen Hoch-schulen Hannover und Braunschweig und konnte trotzder Einberufung zur Wehrmacht Mitte der 30er Jahrezeitweise wegen des Studiums vom Dienst zurückge-stellt werden.

Nun, als Soldat in Italien, war er bei den Einheimischenbeliebt, was wohl auch damit zu tun hatte, dass er ihreSprache beherrschte. Ganz abgesehen von seinenüberzeugenden Reden, mit denen er seine antifaschi-stische Haltung offenbarte, erwies er sich als ein ver-antwortungsbewusster und hilfreicher Mensch. So ver-hinderte er den Abtransport wertvoller Möbel in einefür ihn beschlagnahmte Villa, damit der rechtmäßigeBesitzer sie zurückbekam.

An der ligurischen Küste wurden im Spätsommer 1944seitens des Oberkommandos der Wehrmacht die Trup-pen verstärkt. Man befürchtete im Raum La Spezia –Genua eine Landung der Alliierten. Die Verlegungseines Truppenteils nach Genua nutzte Jakobs gemein-sam mit seinem Adjutanten zur Flucht. Von einemVersteck aus nahm er Kontakt zu Partisanen auf. Mantraf sich oberhalb von Sarzana. Beide wurden nacheiner längeren Probezeit in die Reihen der Brigade,,Ugo Muccini“ aufgenommen. Jakobs betätigte sich injenen Wochen als Zeichner von Karten der Festungenund Artilleriestellungen.

In einem deutschen Dokument vom Dezember 1944hieß es – auf einer bloßen Annahme beruhend –, dassJakobs von den Widerstandskämpfern gefangenge-nommen worden sei. In einem Bericht über die Brigade,,Muccini“, von einem Vertrauensmann der Engländerverfasst, war indes von ausländischen Mitkämpfern inder Brigade die Rede, unter denen sich auch ein deut-scher Kapitänleutnant befindet. Nach seinen Motiven

HERBERT HAKENBECK:

Sie nannten ihn CommandanteIn Italien ist der Wehrmachtsdeserteur Rudolf Jakobs unvergessen

gefragt, gab er an, ,,Deserteur bei den Partisanen zusein“.

Anfang Oktober 1944 nahm Jakobs auch an bewaffne-ten Kämpfen gegen deutsche und italienische Truppenteil. Die Gefechte entbrannten nach einem feindlichenÜberraschungsangriff in den Bergen von Sarzana. Fürdie Bedeutung dieser Aktion spricht, dass diese Gefechts-handlungen in einem Bericht des italienischen Vertei-digungsministerium erwähnt und als Grund für diespätere Verleihung der Silbernen Tapferkeitsmedaillean Robert Jakobs bewertet worden waren. Bei einemanderen Einsatz geleitete er mit seinem Adjutanten undweiteren Kämpfern eine Gruppe russischer Kriegsge-fangener über den Fluss Magra zu den Partisanen.

Eine weitere Aktion richtete sich gegen eine Garnisonder deutschen Truppen. Sie fand am 3. November 1944statt. Es sollte Rudolf Jakobs’ letzter Lebenstag werden.

Das Überfallkommando bestand aus fünf Italienern,drei Russen und den beiden Deutschen. Jede Einzelheitwar bis ins letzte Detail akribisch festgelegt worden. ZurZeit des Abendessens – wenn die Faschisten im Spei-sesaal der Kaserne versammelt sind – sollten die zehnPartisanen, in deutsche Uniformen gekleidet, sich aufdem großen Platz von Sarzana mit einem deutschenSchlager auf den Lippen einfinden. Jakobs hatte zu-nächst vor, die Wache am Eingang der Kaserne zuerstauf Deutsch und dann auf Italienisch nach dem Be-fehlshaber zu fragen. Das war ein Major, der wegenseiner Brutalität mehr als berüchtigt war. Jakobs wolltesich seiner annehmen, während sein Adjutant und einanderer Kamerad die Wache überwältigen sollten. Dieanderen Mitkämpfer hatten den Befehl, den Saal zustürmen und die Gegner zu vernichten. Während dererste Teil der Planung minutiös verlief, stand an jenemAbend statt des berüchtigten Majors ein junger Offizieran der Wache. Unerschrocken gab Jakobs den erstenSchuss ab. Dann kam es zu einer Verzögerung, dieMaschinenpistole hatte offenbar eine Ladehemmung.Von der Wache wurde das Feuer erwidert, und ,,Com-mandante Rodolfo“, wie er respektvoll genannt wurde,brach, tödlich getroffen, zusammen. Sein Adjutantwurde verwundet. Nur sträubend ließ er sich von sei-nem ,,Kaleu“ trennen, als sie ihn unter heftigem Ge-schosshagel in Sicherheit bringen mussten.

Unter den Faschisten gab es mehrere Tote und Verletz-te. Rache an der Zivilbevölkerung nahmen sie nicht. DieBewohner – sie hatten schon seit längerem einen An-griff der Partisanen erwartet – brachten Jakobs’ Leich-nam ins Krankenhaus, wo in Gegenwart eines Justiz-beamten der Totenschein ausgestellt wurde. Sie wusstennicht einmal, dass der Tote ein Deutscher war. Schonwenig später erhielt eine Abteilung der Brigade Jakobs’Namen. Sein Adjutant, der trotz mehrerer Schusswundennicht ernsthaft verletzt war, gehörte Anfang Novemberzu denen, die – während einer sogenannten Durch-kämmungsaktion im Gebiet der Brigade – über die

Gotische Linie flohen und in einem alliierten Gefange-nenlager landete.

Seine letzte Ruhestätte fand Rudolf Jakobs mit seinengefallenen Kameraden bei einem Ehrenmal in Sarzana.Eine Gedenkplatte aus Marmor erinnert an diesenaußergewöhnlichen Menschen.

Partisanen, die Jakobs kannten und meist selbstKommunisten waren, sagten über ihren deutschenKampfgefährten, dass er kein Kommunist gewesen sei,sondern ,,nur“ ein Idealist, der gesagt habe: ,,Es istnicht leicht, ein richtiger Kommunist zu sein. Dazugehört ein sehr großes Herz.“ – So sprach man, mitBewunderung und Verehrung, von einem ,,aufrich-tigen, ehrlichen und guten Menschen mit tiefen Ge-fühlen.“

Jakobs’ Familie erfuhr erst zwölf Jahre nach dem Kriegvon dem Tod ihres Angehörigen. Absender der Nach-richt war der langjährige Bürgermeister von SarzanaPaolino Ranieri. Er war es auch, der sich um das Auf-finden der Familie bemüht und sich besonders umitalienische Ehrungen für den deutschen antifaschisti-schen Widerstandskämpfer verdient gemacht hat, wozuauch Jakobs’ Ehrenbürgerschaft von Sarzana zählt.

Noch Jahrzehnte nach Kriegsende galt Rudolf Jakobsin Deutschland als vermisst. Erst Anfang 1990 wurde inBremen-Vegesack eine Ausstellung über ihn eröffnet.All die Jahre zuvor fürchteten seine Angehörigen, inVerruf zu geraten, mieden Kontakte mit ehemaligenKämpfern und wandten sich gegen jedwede Veröffent-lichung. Doch Leben und Kampf dieses Mannes gehö-ren zweifellos in die Annalen des deutschen antifaschi-stischen Widerstandskampfes.

Das Ehrenmal für Rudolf Jakobs in Sarzana,in der Nähe von La Spezia am Golf vonGenua

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Wenn man Schüler über das UnterrichtsfachGeschichte sprechen hört, dann ruft man in derRegel nur ein lautes Gähnen hervor, und beiweiterem Nachfragen kommen häufig Erklä-rungen, dass Geschichte langweilig sei, weilviel zu weit weg von der eigenen Alltagswelt.Solche Äußerungen können verständlich sein,wenn es um Epochen geht, die sehr weit in derVergangenheit liegen. Aber eigentlich auchda gibt es heutzutage Zugänge, die die Schü-ler ein nachvollziehbareres Verständnis findenlassen. Was die Epoche des Nationalsozialis-mus angeht, so ist die Schülerreaktion nichtselten, dass gerade dieses Thema zuviel imUnterricht behandelt wird. Es stellt sich einegewisse Müdigkeit ein, will man als Lehrerdieses Thema mit Schülern bearbeiten. Woherkommt das? Sicherlich liegt es einerseits andem ehrlichen Verlangen vieler Lehrer, ihreSchüler mit einem zeitgeschichtlichen Themen-komplex zu konfrontieren, der nicht als abge-schlossen gelten kann und dessen Behand-lung sehr oft mehr Fragen als Antworten überdas „Warum“ und „Wie konnte das gesche-hen?“ aufwirft. Andererseits ist die menschen-verachtende Entwicklung des Nationalsozia-lismus bis hin zum Holocaust nicht wirklichrational zu erfassen, so daß die Beschäftigungmit dem Nationalsozialismus und dem Holo-caust als mühsam, unangenehm, ja unbe-quem gilt. Denn die hervorstechenden Phäno-mene des Nationalsozialismus, Antisemitismusund Rassendiskriminierung, sind keine ge-schichtlichen Merkmale, sondern gerade inunserer Zeit sehr präsent.Warum dieser Vorspann zu einer im Titel an-gekündigten Begegnung von jugendlichenDeutschen und Franzosen mit zwei Vertreternder DRAFD? Weil gerade durch die Begeg-nung mit Menschen, die Antisemitismus undRassendiskriminierung unmittelbar und im gro-ßen Ausmaß zwischen 1933 und 1945 erfah-ren bzw. erlebt haben, Jugendliche ein Ver-ständnis dafür entwickeln können, wie wichtigtolerantes und menschenachtendes Verhaltenfür den Bestand einer demokratischen Gesell-schaft ist.Als Referentin der Gedenkstätte DeutscherWiderstand und Lehrerin für Französisch undGeschichte an der John-F.-Kennedy-Schulehabe ich immer wieder erleben können, wieGerhard Leo und Kurt Hälker mit ihren sehrunterschiedlichen Lebenswegen Jugendlichein Staunen versetzen. Sie können bei Schülerneinen Reflexionsprozeß über die Notwendig-keit des aktiven Engagements gegen Unrechtund Unmenschlichkeit in Gang setzen.Beide sind Gründungsmitglieder der DRAFD,einer Organisation ehemaliger deutscher Wi-derstandskämpfer der europaweiten Wider-standsbewegungen und ehemaliger Angehö-riger der Streitkräfte der Antihitlerkoalition. Seit

BRIGITTE KATHER:

Erlebte Vergangenheit – Mut für die ZukunftDeutsche und französische Jugendliche begegnen zwei deutschen Résistance-Kämpfern

zehn Jahren ist die DRAFD erfolgreich aktiv, aufdas Engagement von Deutschen in den europa-weiten Widerstandsorganisationen aufmerk-sam zu machen. Sie hat dadurch die Diskussi-on über die Rolle des deutschen Widerstandsgegen den Nationalsozialismus neu belebt. InHinblick auf ein zusammenwachsendes Euro-pa ist das lebhafte Engagement der DRAFD,mit Jugendlichen in die Diskussion zu kom-men, von politischem Wert. Der Austausch derGenerationen und der Nationen ist auch An-l iegen des Deutsch-Französischen-Ju-gendwerks (DFJW), das Schulen und Bildungs-einrichtungen zum historisch-politischen Dis-kurs zwischen Jugendlichen beider Nationenermutigt. Durch die Kenntnis gemeinsamerSchnittstellen innerhalb des wechselvollendeutsch-französischen Verhältnisses könnenVorurteile abgebaut und identische Ziele wahr-genommen werden. Das DFJW wird aus Anlassseines 40jährigen Bestehens einen Film überGerhard Leo und seinen Dialog mit der Ju-gend vorstellen.Deshalb lohnt es, sich intensiver mit einer die-ser Begegnungen zu beschäftigen: Ich habeHerrn Hälker und Herrn Leo im Rahmen einesdeutsch-französischen Austauschprojekts ken-nengelernt, das wir von der John-F.-Kennedy-Schule gemeinsam mit der Gedenkstätte Deut-scher Widerstand und zunächst der UniversitätToulouse durchgeführt haben. Unter dem Titel„Vom Widerstand zur Demokratie“ haben deut-sche (Berliner) Schüler und französische Stu-denten Schriften von Widerstandsgruppen, wiezum Beispiel dem Kreisauer Kreis in Berlin bzw.Kreisau und der Gruppe CALPO in Südfrank-reich studiert. Im Sommer 2001 fand die zu-nächst binationale Begegnung in Berlin statt.Im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltungpräsentierten die Schüler und Studenten ihreErkenntnisse über die Aktualität der Schriftenehemaliger Widerstandsgruppen gegen denNationalsozialismus. In einer zweiten Ver-anstaltung trafen die Schüler und Studentenmit Kurt Hälker zusammen, der ihre theoreti-schen Erkenntnisse durch seine lebhaften Schil-derungen untermauerte. Als Fazit stellte dieGruppe fest, daß weder in Deutschland nochin Frankreich die europapolitischen Akzentedieser Widerstandsgruppen weiträumig be-kannt sind, wie auch die Beteiligung von min-destens 1000 deutschen Widerstandskämp-fern in der französischen Résistance auf bei-den Seiten des Rheins lange Zeit ignoriertworden ist. Durch das unermüdliche Engage-ment über Jahrzehnte von einzelnen, unter an-derem von Kurt Hälker und Gerhard Leo, kames dazu, dass die DRAFD durch einen Fern-sehfilm von einer breiteren, interessierten Öf-fentlichkeit wahrgenommen werden konnte.Für die französischen Studenten und die deut-schen Schüler war besonders dieser Nachmit-tag in der Berliner Gedenkstätte Deutscher

Widerstand prägend, so sehr, dass sie bisheute von den Erfahrungen und Erkenntnissendieses Projektes sprechen. Denn aus dem bi-nationalen Projekt entwickelte sich eintrinationales Programm, an dem polnische,deutsche und französische Studenten überRésistance, Widerstand, und Resistanza stu-dieren und sich gegenseitig austauschen.Seit September 2002 haben wir das Projektauf Schülerebene weitergeführt : Limoges trifftBerlin. Das Lycée Renoir zeigte großes Interes-se, an dem Projekt mit einer Klasse des 11.Jahrgangs teilzunehmen. Im Oktober trafen20 französische Schülerinnen und Schüler auf20 deutsche aus der John-F.-Kennedy-Schule.Höhepunkt dieser deutsch-französischen Be-gegnung im Zeichen des Widerstands und derRésistance war die Begegnung mit Kurt Hälkerund Gerhard Leo. Hierbei standen die beidenunterschiedlichen Wege in die Résistance imMittelpunkt des zweistündigen Gespräches:Der junge Wehrmachtssoldat, 1941 als Fern-schreiber nach Paris geschickt und dort mit dergrausamen Wirklichkeit des deutschenBesatzungsregimes konfrontiert wird. Die Flug-blätter mit freiheitseinschränkenden Verord-nungen für alle Franzosen, aber besonders fürJuden; die öffentliche Bekanntgabe von Hin-richtungen, all diese ersten Eindrücke warenunter anderem ausschlaggebend für den Schrittin Richtung Résistance. Nachgeborene kön-nen sich nur schwer vorstellen, was der Balan-ceakt zwischen der offiziellen Arbeit einesWehrmachtssoldaten und der Arbeit in derIllegalität tatsächlich bedeuten mußte. DenSchülern ist es dank dieser Schilderungen einwenig klarer geworden.Ganz anders dagegen die lebendige Schilde-rung des Emigrantenjungen Gerhard Leo, derseit 1933 in Frankreich lebte und sehr wohlintegriert war. Für ihn war der Weg in dieRésistance die logische Konsequenz aus denErfahrungen, die er und seine Familie mit demnationalsozialistischen Regime in Berlin ma-chen mussten. Résister war somit (endlich) eineMöglichkeit, sich gegen dieses verhasste Re-gime aktiv zu wehren und zu seiner Schwä-chung, ja Vernichtung beizutragen. In seinerAutobiographie „Frühzug nach Toulouse“ schil-dert Gerhard Leo diesen Werdegang, der ihnals deutschen Résistancekämpfer unter Deut-sche gebracht hat. Dank seiner Sprachkennt-nisse konnte er der Résistance nützliche Dien-ste erweisen und hat sich dadurch nicht seltenin sehr große Gefahr gebracht. Was gehörtdazu, diesen Mut gehabt zu haben, mit derRésistance zusammen zu arbeiten oder in derRésistance aktiv zu sein? Idealismus, eine Visi-on von einer freien, menschlichen Welt, in derder einzelne mit seinen Eigenheiten toleriertund akzeptiert wird. Und natürlich Mut für einelebenswerte Zukunft. Vielen Dank dafür.

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IMPR

ESSU

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Herausgeber: DRAFD e.V. (VerbandDeutscher in der Résistance, in denStreitkräften der Antihitlerkoalition undin der Bewegung „Freies Deutschland“),Reichsforststr. 3, 60528 Frankfurt/Main.Verantwortlich: Peter GingoldRedakteur : Peter RauSatz: SATZ-Studio Helmut Kehrer,12355 BerlinDruck: Druckerei Bunter Hund,10405 BerlinRedaktionsschluss:30. November 2002

Wer kann Mitglied des Verbandes DRAFD werden?„Mitglied können alle Personen werden, die ehemals der Résistance, den Widerstandsbewegungenin den von der deutschen Wehrmacht okkupierten Ländern, den alliierten Streitkräften und der Be-wegung »Freies Deutschland« angehörten, sowie die vom Naziregime in Sippenhaft genomme-nen Angehörigen, die die Satzung anerkennen und Beitrag zahlen. Kindern, Enkeln und weiterenAngehörigen, sowie jeder volljährigen Person und Institutionen, die den Zweck des Verbandesbejahen und fördern wollen, steht die Mitgliedschaft offen.“ Der Jahresbeitrag hat eine Höhe von20,– Euro.

Beitrittserklärung bitte ausgefüllt und unterschrieben einsenden anDRAFD, Geschäftsstelle Berlin, Bürohaus Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin oder anDRAFD, Geschäftsstelle Frankfurt/M, Peter Gingold, Reichsforststr. 3, 60528 Frankfurt/M.

Hiermit erkläre ich meinen Beitritt zum „Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitler-koalition und der Bewegung »Freies Deutschland«“ e.V. (DRAFD)

Name, Vorname

Anschrift/Telefon

Besondere Wünsche für eine evtl. Mitarbeit

Datum Unterschrift

Internetadresse: www.drafd.de

Die 1989 unter dem Titel „Zwei Leben ineinem“ erschienenen Erinnerungen unseresKameraden Gerhard Dengler endeten mitdem Jahr 1958. Warum die folgenden Jahr-zehnte ausgeblendet blieben, findet nun inder Fortsetzung seines Lebensberichts schonim Titel eine Erklärung: „Viele Beulen imHelm“ meint auch jene Spuren, die nicht vomGegner stammen.

Vorangestellt ist ein knappes Resümee des„ersten Lebens“, das den 1914 Geborenenaus einem Eberswalder Professorenhaushaltüber das Journalistikstudium in die Wehr-macht und mit dieser bis nach Stalingrad führt,und seiner persönlich durchlebten „Wende ander Wolga“ – sie führt ihn auf die Antifaschuleund in das Nationalkomitee „Freies Deutsch-land“ und schließlich in die Reihen der Auf-bauhelfer der DDR: in seinem erlernten Beruf.Der „Sächsischen Zeitung“ und der „LeipzigerVolkszeitung“ sowie einem Intermezzo bei derDEFA folgt die Arbeit beim Zentralorgan derSED, für das er fünf Jahre lang als Korrespon-dent aus Bonn berichtet.

Was folgt, ist der Weg eines Parteifunktionärs:Er wird Vizepräsident des Nationalrats derNationalen Front und zuständig für die West-arbeit. Hier gehört Dengler u. a. zu den Mit-autoren des Braunbuches über Nazi- undKriegsverbrecher in der BRD (das im Jahr 2002übrigens in einem Reprint-Druck neu heraus-gegeben wurde), über dessen Entstehung derLeser manches vielleicht bisher unbekannteDetail erfährt. Doch dieser Weg endet abrupt,als er mit einigen Genossen der Parteiführunganeinandergerät.

Trotz der Beulen im HelmGerhard Denglers Erinnerungen – zweiter Teil : Noch einmal Stalingrad

„Endstation Wissenschaft“ ist das folgendeKapitel überschrieben; nach einigen Quere-len mit der Parteiführung wird Dengler 1968an die Akademie für Staat und Recht in Pots-dam-Babelsberg „delegiert“, um dort ein Insti-tut für Auslandsinformation aufzubauen, daser bis zur Emeritierung im Jahr 1979 leitet.

Dass seine Memoiren, 1984 vom Militär-verlag angeregt, erst fünf Jahre und minde-stens eine Sitzung der Geschichtskommissionbeim ZK der SED später erscheinen – und den-noch mit dem Jahr 1958 enden, hat nicht zu-letzt seine Ursachen in den eingangs erwähn-ten Beulen.

In jenem Jahr 1989 beginnt allerdings auchdas, was Dengler einen Taifun nennt, „deralles zerstörte, was einmal die DDR ausmach-te“. Doch ausgerechnet sein Erlebnis Stalin-grad gibt ihm in den Wirrnissen jener Jahreeinen gewissen Halt : Über den wiederauf-genommenen Kontakt zum Eberswalder Ju-gendfreund Hans Borgelt, der nach dem Kriegin Westberlin heimisch wurde, kommt es Mitteder 90er Jahre zu einem ORB-Film, der ihn alseinen der wenigen noch lebenden „Stalin-grader“ – und mehr noch als jenen Wehr-machtsoffizier, der sich und die ihm anver-trauten Soldaten höchstselbst bei GeneralPaulus zwecks eigenmächtiger Kapitulationabgemeldet hatte – bundesweit bekanntmacht. Und nicht nur das : In der Folge desunter der Regie von Gitta Nickel entstande-nen Streifens „Es begann in Eberswalde“ wirdGerhard Dengler zu einem allseits gefragtenGesprächspartner – für Journalisten und His-toriker wie vor allem für junge Leute. Nicht von

ungefähr berichtete er erst auf der jüngstenDRAFD-Jahresversammlung wieder anschau-lich von seinem „Jugend-Fanklub“. Doch an-ders als nach seinem „ersten Leben“ – „in derHölle von Stalingrad“, so schreibt er, „warenauch meine bürgerlichen Ideale und Vorstel-lungen verbrannt“ – hat er sich nicht von densozialistischen Idealen seines zweiten Lebensverabschiedet. Peter Rau

* Gerhard Dengler : „Viele Beulen im Helm. MeinLeben als SED-Funktionär“. BoD GmbH, Norder-stedt 2000. 213 Seiten, 10 Euro.ISBN 3831106827

GeburtstagsgeschenkZum zehnjährigen Verbandsjubiläum hat derDietz Verlag Berlin entschieden, das voneinem Autorenkollektiv unseres Verbandesunter Leitung des Kameraden Prof. Dr. StefanDoernberg bei ihm herausgegebene Buch

Im Bunde mit dem Feind.Deutsche auf alliierter Seite

an DRAFD-Mitglieder zum halben Buchhan-delspreis – Euro 9,50 – abzugeben. Interes-senten können ihre Bestellungen über unse-ren Verband an den Verlag richten.

Der Verband dankt dem Verlag für dasgroßzügige Anerbieten.