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Johanneische Theologie §12,1 1 „Wer bist du?“ • Die Antwort des Johannes auf die Frage, wer er sei, wird ausführlich eingeleitet („bekennen“, „nicht leugnen“). Die negative Aussage („ich bin nicht der Christus“) enthält nämlich eine positive: Der Täufer bekennt sich dazu, dass ein anderer der Christus ist. • Die Gestaltung von Fragen und Antworten in 1,19–21 profiliert die Bedeutung des Messias-Titels. „Elija“ und „Prophet“ erscheinen als Ersatzkategorien; der Täufer sagt ausdrücklich „ich bin nicht der Christus“ – und dies kann später zitiert werden ( 3,28 ). • Für die positive Bestimmung der heilsgeschichtlichen Identität des Täufers steht kein Titel parat, sondern ein Schrift-Zitat (Jes 40,3 ). Das Moment der Abgrenzung, das nach dem vorangegangenen Dialog zur Identität des Täufers gehört, wird auch in dem Zitat festgehalten: Er hat Bedeutung nur in der Hinordnung auf einen anderen. Vergleich mit der synoptischen Täuferdarstellung • Jes 40,3 erscheint nur im JohEv als Täuferwort. • Das Mischzitat Mal 3,1/Ex 23,20 (Mk 1,2parr) bietet Joh nicht. Die Fehlanzeige ist nicht darin begründet, dass Joh die Der Beginn I – die Befragung des Täufers

Johanneische Theologie §12,1

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Johanneische Theologie §12,1. Der Beginn I – die Befragung des Täufers. „Wer bist du?“ - PowerPoint PPT Presentation

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Johanneische Theologie §12,1

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„Wer bist du?“• Die Antwort des Johannes auf die Frage, wer er sei, wird ausführlich eingeleitet

(„bekennen“, „nicht leugnen“). Die negative Aussage („ich bin nicht der Christus“) enthält nämlich eine positive: Der Täufer bekennt sich dazu, dass ein anderer der Christus ist.

• Die Gestaltung von Fragen und Antworten in 1,19–21 profiliert die Bedeutung des Messias-Titels. „Elija“ und „Prophet“ erscheinen als Ersatzkategorien; der Täufer sagt ausdrücklich „ich bin nicht der Christus“ – und dies kann später zitiert werden (3,28).

• Für die positive Bestimmung der heilsgeschichtlichen Identität des Täufers steht kein Titel parat, sondern ein Schrift-Zitat (Jes 40,3). Das Moment der Abgrenzung, das nach dem vorangegangenen Dialog zur Identität des Täufers gehört, wird auch in dem Zitat festgehalten: Er hat Bedeutung nur in der Hinordnung auf einen anderen.

Vergleich mit der synoptischen Täuferdarstellung • Jes 40,3 erscheint nur im JohEv als Täuferwort. • Das Mischzitat Mal 3,1/Ex 23,20 (Mk 1,2parr) bietet Joh nicht. Die Fehlanzeige ist

nicht darin begründet, dass Joh die Vorläufervorstellung abgelehnt hätte, die sich in jenem Zitat ausdrückt. Entscheidend ist vielmehr (wenn Joh das Wort gekannt hat) die Verbindung von Mal 3,1 mit der Elija-Erwartung, die im JohEv für den Täufer ja abgelehnt wird (auch literarische Motive könnten eine Rolle spielen).

Der Beginn I – die Befragung des Täufers

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• Damit ist der entscheidende Unterschied benannt (vgl. Mt 11,14; 17,10 mit Joh 1,21). Wahrscheinlich hatte Joh die ursprüngliche Form der Elija-Erwartung vor Augen, nach der der wiederkehrende Elija Vorläufer des Tages JHWHs ist, nicht des Messias (Mal 3,23f; Sir 48,10).

„Warum taufst du?“ (1,24–28)• In 1,24 sind die Pharisäer wohl als sendende Gruppe bezeichnet. • 1,25 setzt nicht voraus, dass man von den genannten Figuren eine Tauftätigkeit

erwartet hätte. Es geht um das öffentliche Wirken des Johannes, das sich nicht auf eine bekannte Form der Heilserwartung bezieht.

• Die Antwort des Täufers bleibt für die Fragesteller dunkel. Die Wassertaufe klärt sich erst in der Zuordnung zur Geisttaufe (1,33). Der Hinweis auf den Kommenden bleibt ohne Konsequenz, die Fragesteller verpassen in ihrer Konzentration auf Johannes das Zeugnis.

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• Ein Publikum für das Zeugnis des Johannes wird in 1,29–34 nicht erwähnt. Hier wird grundsätzlich die Identität Jesu bestimmt, ehe durch die Wiederholung des Wortes vom Lamm Gottes (1,36) die Handlung fortgesetzt wird.

• Das Wort, durch das Jesus in ein zeitliches (und sachliches) Verhältnis zu Johannes gesetzt wird (1,30), ist nur vor dem Hintergrund des Prologs verständlich. Jesus ist dem Täufer nicht als der Ältere voraus, sondern als der Präexistente.

• Die Notiz von der Unkenntnis des Johannes (1,31.33) profiliert das Geheimnis der Person Jesu. Nur durch Gottes Offenbarung wird der erkennbar, der von Gott her zu den Menschen kommt. Wer aufgrund vermeintlicher Kenntnis über die Herkunft Jesu dessen Würde in Zweifel zieht, täuscht sich (6,42; 7,27.41f).

• Die Geistherabkunft ist nicht mit der Taufe Jesu verknüpft; diese muss auch nicht ergänzt werden, damit der Text verständlich wird. Der Erzähler setzt in 1,32 eine Zäsur, durch die das Folgende als Zeugnis über das Erfahrene gekennzeichnet wird: Der Täufer berichtet von dem, was er sah, als Jesus zu ihm kam (1,29).

• Die verheißene Geisttaufe erfolgt nicht im Taufen Jesu, das in 3,22.26; 4,1 anklingt, sondern an Ostern (20,22; nach Verheißung des Geistes in den Abschiedsreden, z.B. 14,16.26; s.u. §23).

Der Beginn II – das Zeugnis für Jesus

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• In 3,22–30 wird die Zuordnung des Täufers zu Jesus und das Einverständnis des Johannes mit seiner Rolle inszeniert. Als Figur der Erzählung kann der Täufer jetzt abtreten. Nach 3,30 wird nur noch über ihn gesprochen.

• Dies tut Jesu in der Rede über seine Vollmacht in Kap. 5 – mit deutlich unterordnender Tendenz. Hier erscheint der Täufer zwar einerseits als Zeuge für die Wahrheit (5,33); andererseits wird aber betont, dass Jesus dieses Zeugnis nicht nötig habe, und Johannes wird im Rahmen der Lichtmetaphorik als bloße „Lampe“ zurückgestuft (5,35; s. 1,8).

• 10,40f bündelt die Bedeutung des Täufers abschließend: Er ist Jesus untergeordnet, sein Zeugnis für Jesus wird als wahr und er als Mittler des Glaubens bezeichnet (vgl. 1,7).

Der Beginn III – der Täufer im JohEv

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Überblick • Der Begriff „Zeichen“ benennt die großen Wunder Jesu, wie sie in einzelnen

Geschichten entfaltet werden (2,11; 4,54; 6,14; 9,16; 11,47/12,17f). • Auch summarisch wird von „Zeichen“ Jesu gesprochen (2,23; 3,2; 6,2; 7,31;

12,37; 20,30f), ohne dass dabei allein die ausdrücklich erzählten Wunder im Blick wären.

Die Dialektik des Zeichenbegriffs• Einerseits zeigt sich ein positiver Zusammenhang von Zeichen und Glaube:

die Zeichen führen zum Glauben (2,11; 2,23; 7,31; 11,47f), / sollen zum Glauben führen (20,30f) / oder hätten zum Glauben führen sollen (12,37). / Nach 6,26 wird die Menge kritisiert, weil sie Jesus nicht aufgrund der Zeichen sucht.

• Andererseits wird eine gewisse Reserve gegenüber den Zeichen angedeutet: – 2,24 scheint eine Distanz Jesu zum Glauben aufgrund der Zeichen auszudrücken. – In 4,48 lässt sich die Dimension des Tadels nicht ausschließen.

Nach 6,26 bezieht sich „Zeichen“ auf eine recht verstandene Wundertat. Offensichtlich kann man aber bei dem äußeren Geschehen stehen bleiben und so das „Zeichenhafte“ des Wunders verpassen.

Die Zeichen Jesu I – Bestandsaufnahme

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Die ZeichenforderungWird von Menschen zur Beglaubigung des von Jesus erhobenen Anspruchs ein Zeichen gefordert, so wird darauf nicht so eingegangen, wie sich die Fordernden dies vorstellen: 2,18; 6,30.

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Grundsätzliches • Die theologische Rede von „Zeichen“ begegnet im AT in verschiedenen

Zusammenhängen. Den Rahmen stellen dar: Schöpfung (z.B. Gen 1,14; 9,12f), Geschichte (vor allem in den Ereignissen um den Exodus, s.u.) und kultische Institutionen (Gen 17,11: Beschneidung als Bundeszeichen).

• Entscheidend für das Zeichen ist: Es deutet auf etwas anderes, und erst wenn diese Funktion des Zeichens erkannt ist, kann es recht verstanden werden.

Zeichen in der Geschichte• Als Funktionen der Zeichen in der Geschichte lassen sich erkennen:

– Erkenntnis Gottes soll vermittelt werden (Ex 7,3.5). – Glaube an ihn soll hervorgerufen werden (Num 14,11). – Ein Gesandter Gottes soll bestätigt werden (Ex 4,1–9). – Das Achten auf die Gebote soll begründet werden (Dtn 11,3).

• Die Mehrdeutigkeit von Zeichen ist bekannt. Auch die mit einem Zeichen verbundene Botschaft ist zu beachten. Führt sie Israel von JHWH weg, so darf dem Zeichen kein Glaube geschenkt werden (Dtn 13,2–6). Zur Offenbarung durch Zeichen gehört die Offenbarung durch das Wort notwendig dazu.

Die Zeichen Jesu II – atl-jüdische Tradition

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Zeichenhandlungen der Propheten Sie unterscheiden sich von den Zeichen im Rahmen der Exodus-Tradition. Zwar haben auch sie einen Bezug auf das Wort, sie sind aber auf dieses deutende Wort geradezu angewiesen, um verständlich zu sein. In ihnen erscheint weniger Wunderbares als vielmehr Sonderbares, das erklärungsbedürftig ist.

Die Zeichen-Christologie des JohEv steht in der Tradition der Glaubenszeichen aus der Exodustradition.

Prinzipiell könnte als Anknüpfungspunkt auch die Erwartung in Frage kommen, dass sich die Wunder der Wüstenzeit in der Endzeit wiederholen. Aber die Wundergeschich- ten des JohEv bieten dafür nur bei der Brotvermehrung Anhaltspunkte.

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Positiver Verweis auf Jesus als den Gesandten Gottes • Die Verweisungsfunktion der joh Zeichen ist schon daran zu erkennen, dass sie

den Charakter des Wunderbaren über die Tradition hinaus steigern (v.a. bei der Auferweckung des Lazarus und der Heilung des Blindgeborenen).

• Die Zeichen verweisen auf den Wundertäter. Seine Bedeutung kann aufgrund der Zeichen nicht übersehen werden: Er ist von Gott gesandt, seine Herrlichkeit erweist sich in den Zeichen (2,11; 11,4).

• So sollen die Zeichen zum Glauben führen (2,11; 4,50.53; 9,30–33.38; 11,45; 20,30f.

• Joh kritisiert nicht einen Glauben, der durch die Zeichen Jesu hervorgerufen wird. Allerdings sieht er die Gefahr, dass man beim äußeren Geschehen des Wunders stehen bleibt und es nicht als Zeichen wahrnimmt. In 6,26 ist genau diese Differenzierung ausgedrückt; so kann der Vers als Schlüssel zur joh Zeichen-Theologie verstanden werden: „Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt ...“

Hätte die Menge Zeichen gesehen, hätte sie die Brotvermehrung als Hinweis auf die Bedeutung Jesu als „Brot des Lebens“ erkannt.

„..., sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid“

So ist man nicht über das äußere Geschehen hinausgekommen. Nur das Wunder der Sättigung wurde erkannt.

Die Zeichen Jesu III – christologische Bedeutung

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Zeichen und Wortoffenbarung Der Symbolgehalt einiger Wundergeschichten wird durch Ich-bin-Worte deutlich herausgearbeitet: – Brot des Lebens (Brotvermehrung); – Licht der Welt (Blindenheilung); – Auferstehung und Leben (Auferweckung des Lazarus).

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Die Darstellung der Wundertat (VV.1–7) • Die Erzählung ist stark von dialogischen Elementen bestimmt. • Die Initiative Jesu wird herausgearbeitet, ebenso • die christologische Bedeutung der Wundertat: Jesus als „Licht der Welt“; der

Teich Siloam wird übersetzt mit „Gesandter“. • Der Blinde bleibt (noch) Nebenfigur.

Die Herstellung von Öffentlichkeit (VV.8–12) • Das Wunder wird bekannt, Nachbarn stellen die Heilung des ehemals Blinden

fest. • Das Motiv der Bestreitung des Wunders wird eingeführt, das den weiteren Gang

der Erzählung bestimmt.

Das Verhör (VV.13–34) • Die Spannung zwischen der Autorität des Sabbats und der Vollmacht Jesu, die

sich in der Heilung zeigt, führt zu einer Spaltung unter den Pharisäern. Sie wird im weiteren Verhör kommentarlos verschwinden.

• Die Herbeirufung der Eltern erweist sich für die Verhörenden als Fehlschlag: Die Wundertat lässt sich nicht dadurch aus der Welt schaffen, dass man die Identität des Geheilten bezweifelt.

Die Zeichen Jesu IV – Joh 9

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• Dass der Geheilte anschließend mit dem Wissen konfrontiert wird, Jesus sei ein Sünder, unterstreicht die Hilflosigkeit der Behörde: Sie hat nichts Neues in Erfahrung gebracht. Der Geheilte führt nun die Linie fort, die unter den Pharisäern verloren ging (V.31/V.16b). Darauf können diese nichts mehr antworten und werfen den Geheilten hinaus.

• Ironie der Erzählung: Gerade durch das Verhör und dessen abruptes Ende wird der ehemals Blinde zum Bekenntnis zu Jesus geführt. Seine positive Stellung zu Jesus gewinnt an Deutlichkeit (VV.17fin.25.30–33).

Die Begegnung mit Jesus (VV.35–38) Zum ausdrücklichen Bekenntnis des Geheilten zu Jesus kommt es erst in der unmittelbaren Begegnung. Die Metaphorik des Sehens wird aufgegriffen: „Du hast ihn gesehen“ (V.37) spielt nicht nur auf die Heilung an, sondern auch auf den Glauben, zu dem der Geheilte jetzt findet.

Das Schlusswort Jesu (VV.39–41)Hintergründig wird von Sehen und Nicht-Sehen gesprochen im Blick auf Glaube und Unglaube. Diejenigen, die zu sehen meinen, erweisen sich als blind durch ihren Unglauben (V.39). Auch V.41 spielt mit dem metaphorischen Sinn von „sehen“ und „blind sein“.

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9,39 • Wörtlich: Ein Blinder ist sehend geworden.

• Metaphorisch: Dieser jetzt Sehende ist auch zum Glauben gekommen. Von „Sehenden, die blind werden“ kann nur im übertragenen Sinn die Rede sein. Physisch ist niemand blind geworden.

9,41 • Wörtlich: Wären die Pharisäer blind, wären sie schuldlos, da sie das Wirken

Jesu nicht sehen könnten. Obwohl sie die Zeichen Jesu sehen können, kommen sie nicht zum Glauben.• Metaphorisch:

– Wären die Pharisäer blind im Sinn von V.39a, hätten sie keine Sünde: Sie wären betroffen von der dort ausgesagten Umkehrung, würden zum Glauben kommen („Nichtsehende werden sehend“).

– Sie sind aber vermeintlich Sehende („nun sagt ihr aber: wir sehen“), also gehören sie zu den Sehenden, die blind werden. Sie meinen Gottes Offenbarung zu kennen (s. die Berufung auf Mose in 9,29) und verpassen so die Offenbarung Gottes in Jesus.

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Zum Begriff • Mit „Jünger“ wird wie in den synoptischen Evangelien ein Kreis von Anhängern

bezeichnet, die Jesus begleiten. • Dieser Kreis geht aus den Jüngern des Johannes hervor (1,35–42). Er ist

gekennzeichnet durch den Glauben an Jesus (2,11). • Seine Anwesenheit bei Jesus ist nicht immer ausdrücklich genannt, aber doch

durchgehend vorausgesetzt (s. 14,9).

Transparenz im Blick auf die Glaubenden • Dass die Darstellung der Jünger für die Situation der Glaubenden geöffnet ist,

zeigt sich schon in der „Berufungsszene“: – Menschen finden durch Vermittlung anderer zu Jesus. – Außer in 1,43 erfolgt kein Ruf in die Nachfolge; die Jünger formulieren als Reaktion ein Bekenntnis zu Jesus.

• In 2,22; 12,16 wird das erst nachösterliche Verstehen der Jünger ausdrücklich erwähnt.

• Der Zwölferkreis ist kaum profiliert. Am Rückblick auf einen fest umgrenzten Kreis um Jesus hat Joh kein Interesse, so überliefert er auch keine Namensliste der Zwölf.

Die Jünger Jesu I – Überblick

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• Maria von Magdala, die erst in der Kreuzigungsszene auftritt, wird zum Modell des Weges in die nachösterliche Jüngerschaft. Jesus muss „losgelassen“ werden (20,17), um eine neue Beziehung zu gewinnen – das Bleiben, das Jesus in 14,23 neu bestimmt hat.

• Maria, Martha und Lazarus sind als ortsfeste Anhänger Jesu stilisiert. Die besondere Beziehung Jesu zu den Geschwistern wird betont (11,5). Sie sind aber nicht bei Jesus, dieser kommt vielmehr zu besonderen Anlässen zu ihnen.

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Eine rätselhafte Gestalt • Der „Jünger, den Jesus liebte“ (traditionell: „Lieblingsjünger“, =LJ) tritt

unvermittelt im Rahmen des letzten Mahles auf, bei der Ansage des Verrates durch Judas. Weitere Szenen: unter dem Kreuz; Gang zum Grab; Erscheinung am See von Tiberias, wo er auch Gegenstand eines Wortes Jesu ist. Außerdem wird er als Zeuge und Autor des Evangeliums präsentiert (21,24).

• Er bleibt namenlos, tritt aber immer in Beziehung zu anderen, meist namentlich genannten Personen auf.

• Ob Joh mit dem anonym bleibenden Jünger aus 1,35–42 und 18,15f auf den LJ zielt, ist strittig und m.E. nicht zu sichern.

In der Abschiedssituation (13,21–30) • Der LJ wird charakterisiert durch ein Bild besonderer Nähe („an der Brust Jesu“),

in scharfem Kontrast zum Verräter Judas. • So wird dem LJ eine auffällige Mittlerfunktion im Blick auf die anderen Jünger

zugeschrieben. Er verschafft Zugang zu Jesus. Die Antwort Jesu erreicht die übrigen Jünger nicht.

• Nähe und Mittlerschaft erinnern an 1,18.

Die Jünger Jesu II – „Der Jünger, den Jesus liebte“

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Unter dem Kreuz (19,25–27)• Der sterbende Jesus weist den LJ an seine eigene Stelle im Verhältnis zu seiner

Mutter ein. Dabei dürfte wesentlich Familienmetaphorik angezielt sein: Indem der LJ zum Sohn der Mutter Jesu wird, wird er auch zum Bruder Jesu (s.a. 20,17: „mein Vater und euer Vater“).

• Interpretationen, nach denen die Mutter Jesu als Person Bedeutung gewinnt (etwa: Maria wird zur Mutter der Kirche, die im LJ symbolisiert ist), können schlecht erklären, dass die Mutter Jesu als Figur ganz unbetont und namenlos bleibt.

Am Ostermorgen (20,1–10)• Beim Gang zum Grab läuft der LJ schneller als Petrus. Dennoch lässt er Petrus

den Vortritt und geht zunächst nicht ins Grab. • Die Szene im Grab wird so geschildert, dass Petrus zum zweiten Mal überholt

wird. Im Grab sieht er die Leinenbinden und das Schweißtuch – mehr ist über ihn nicht zu sagen. Der LJ „sah und glaubte“ (20,8).

• Dieser Glaube wird nicht als ungenügend kritisiert: Der LJ hat aus dem Gesehenen, dem mehrdeutigen leeren Grab (s. 20,13), den richtigen Schluss gezogen. Petrus reagiert nicht, sondern geht nach Hause (V.10). Maria kommt erst durch die Erscheinung des Auferstandenen zum Glauben.

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• Schwierig ist V.9: Zwei unterschiedliche Reaktionen werden mit ein und demselben Kommentar versehen, sie hätten die Schrift noch nicht gekannt. Am ehesten ist das Rätsel durch die Deutung des LJ als Symbolfigur zu lösen: Deren Bedeutung liegt eigentlich außerhalb der Erzählung, so dass das unbestimmte „sie“ in 20,9 auf die Jünger auf der Ebene der Erzählung zu beziehen ist.

Am See von Tiberias (21,1–23) • Der LJ vermittelt das Wissen um die Identität Jesu (21,7). Wegen dieser

begrenzten Funktion besteht keine Spannung zur Grabesgeschichte: Der LJ braucht keine Erscheinung, um zum Glauben zu kommen, das Motiv des Glaubens wird hier nicht angeführt.

• Besonders akzentuiert ist wiederum das Verhältnis zu Petrus (nur unter dem Kreuz spielt dies bezeichnenderweise keine Rolle). Dessen Bedeutung wird zwar nicht bestritten, aber im Wesentlichen in der Vergangenheit gesehen (s. den Ausblick auf seinen Tod in 21,18f). Vom LJ wird das Bleiben ausgesagt, wohl zu beziehen auf das Bleiben im Zeugnis (21,24).

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Zur literarischen Gestaltung • Der LJ tritt abrupt auf und verschwindet ebenso aus dem Blickwinkel. Zwar ist dies

im Rahmen von durchlaufenden Erzählabschnitten nicht als ein Abtreten aus der Szene zu denken. Doch bei Neueinsätzen kann man den LJ nicht fraglos voraussetzen (z.B. 20,19–23).

• Wie sich die Kennzeichnung des LJ erklärt, erfahren die Leser nicht. Mit seinem ersten Auftreten ist das Entscheidende im Verhältnis zu Jesus gesagt. Der LJ erscheint als statische, vollkommene Figur, die im Verhältnis zu Jesus keine Entwicklung durchmacht.

Deutung als symbolische Gestalt • Der LJ spielt keine Rolle im Rahmen des öffentlichen Wirkens Jesu. Die Darstellung

der Abschiedssituation ist anerkanntermaßen bestimmt vom nachösterlichen Blickwinkel – wenn Jesus „weggegangen“ ist (s.a. 13,1 mit der weiten Formulierung: Liebe zu den Seinen).

• Auch die Szene unter dem Kreuz ist am besten nicht auf „Versorgungsfragen“ auszulegen, und damit auf einen bestimmten Jünger aus dem Kreis um Jesus, sondern symbolisch auf die Aufnahme der Glaubenden in die neue Familie Gottes (s.o.).

• Der LJ kommt nicht durch Erscheinungen zum Glauben und repräsentiert darin die Glaubenden der späteren Zeit.

• Wenn es in 21,22.24 um das Bleiben im Zeugnis geht, ist die Gestalt des LJ durch Existenz und Glauben der nachösterlichen Jünger konstituiert.

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Gegen die symbolische Deutung wird auf 21,23 verwiesen: Das Gerücht zum Überleben dieses Jüngers bis zur Parusie setzt eine geschichtliche Gestalt voraus. So könnte der LJ „Legitimations- und Identifikationsfigur“ sein (M. Theobald).

Können aber beide Momente zusammengedacht werden? Stört nicht die Erinnerung an eine bestimmte Autoritätsfigur die symbolische

Bedeutung des Idealjüngers als Identifikationsfigur für alle Glaubenden? Als autoritativer Traditionsträger wird er von den Glaubenden distanziert und büßt seine bestimmende literarische Funktion ein. Vielleicht ist das Problem literarkritisch zu lösen: Durch Kap. 21 wird eine Symbolfigur im Nachtrag historisiert, um den Verfasser des Joh als Verkörperung des LJ darzustellen.

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„Die Juden“ • Dieser Begriff kennzeichnet in urchristlichen Texten gewöhnlich die Außensicht auf

das Judentum (z.B. Mt 2,2; Mk 15,2). Die Binnenperspektive wird durch „Israel“ ausgedrückt.

• So erscheint im JohEv der fragliche Ausdruck in distanzierend klingenden Wendungen: Pascha der Juden, Hoherpriester der Juden u.a.m.

• „Die Juden“ sind auch unter dem Aspekt präsent, dass man sich vor ihnen fürchtet (z.B. 7,13; 9,22; 20,19). Diejenigen, die sich fürchten, sind auf der Erzählebene selbst Juden. In 12,42 ist die Rede von der Furcht vor den Pharisäern.

• „Die Juden“ sind Gesprächspartner Jesu, häufig in misslingender Kommunikation (Missverständnisse, Feindschaft bis hin zur Anklage vor Pilatus).

• Der Begriff kann aber auch neutral (Kap. 11; s.a. 19,20) oder positiv für zum Glauben Kommende gebraucht werden (8,31; 11,45; 12,11).

• Ein jüdischer Standpunkt bestimmt das Gespräch Jesu mit der samaritanischen Frau (4,9.22).

Jesus und die Juden I – Kennzeichnung

Pharisäer und HohepriesterBeide Gruppen treten zusammen (7,32.45–52), aber auch je für sich auf: Die Hohenpriester in der Passionsgeschichte, die Pharisäer sind außerhalb dieses Rahmens profilierter (s. aber auch 18,3). Zusammen bilden sie die jüdische Führungsschicht („Ratsherren“/a;rchontej).

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Zuordnung von Pauschal- und Gruppenbezeichnung • Bisweilen erscheinen Gruppen- und Pauschalbezeichnung im Wechsel (z.B.

9,13–17/9,18; Verhandlung vor Pilatus). • Dennoch kann man die Rede von „den Juden“ nicht grundsätzlich auf diese

Gruppen beziehen, denn:

– Auch die Rede von der „Menge“ kann mit dem Pauschalbegriff wechseln (z.B. 6,22.41); es gibt auch den Gegensatz zwischen „den Juden“ und der Führung (11,45f; 12,11; s.a. 4,22).

– Unklar bliebe, warum die umfassende Bezeichnung überhaupt erscheint. Man kann sie nicht auf den Sinn der Variation von Gruppennamen beschränken.

Offensichtlich liegt dem Evangelisten daran, die Gegnerfront möglichst breit darzustellen.

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Gegen Jesus erhobene Vorwürfe • Die Auseinandersetzung in der Brotrede bleibt noch verhalten („murren“). Die

Krise ist im Jüngerkreis angesiedelt (6,60–66).

• In Kap. 5 und Kap. 9 geht es um die Verletzung des Sabbats. In Kap. 9 wird nicht diskutiert, ob Jesus den Sabbat gebrochen hat; dies steht fest. Es geht um die Frage, was mehr Gewicht hat: das Gebot des Mose oder der Macht Jesu, durch das Zeichen dokumentiert, die seine Herkunft von Gott erweist (gegen einen Sabbatbruch bei der Gelähmtenheilung wird in 7,22f nachträglich argumentiert).

• Jesus macht sich selbst zu Gott (5,18; 10,33). Dieser Vorwurf ist verbunden mit der wiederholt geäußerten Tötungsabsicht; er zieht sich bis in die Anklage vor Pilatus (19,7).

• In der schärfsten Auseinandersetzung wird die Verheißung von Freiheit (8,32) und Leben (8,51) als Widerspruch zur eigenen, jüdischen Tradition gewertet. Die „gläubig gewordenen Juden“ haben Befreiung durch den Sohn nicht nötig. Zum soteriologischen Anspruch Jesu steht Israels Erwählung in Konkurrenz. Diese soteriologische führt dann auch zu christologischer Konkurrenz (8,53) und zur Abkehr von Jesus, da die heilsgeschichtliche Herkunft höher bewertet wird.

Jesus und die Juden II – Konfliktlinien

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Kritik Jesu an seinen Gegnern • In 8,31–59 bestreitet Jesus den Hörern die Herkunft von Abraham und von Gott,

deutlich unter Voraussetzung des christologischen Bekenntnisses: Wegen der Einheit zwischen Vater und Sohn gehen Ablehnung Jesu und Berufung auf Gott nicht zusammen (8,42f). „Ihr habt den Teufel zum Vater“, verbindendes Merkmal ist Töten von Menschen und der Widerspruch zur Wahrheit (8,44) – von der Ablehnung der befreienden Wahrheit war der Disput ausgegangen.

• Die Gegner tun nicht das Gesetz (7,19) und verstehen die Schrift nicht, die von Christus Zeugnis ablegt (5,39.46f). In Argumentationen aus der Schrift wird die Heilung am Sabbat gerechtfertigt (7,19–24) und der Vorwurf der Gotteslästerung im Anspruch Jesu zurückgewiesen (10,34–36).

Vor diesem Hintergrund erscheint die Anklage, Jesus habe gegen das Gesetz verstoßen, indem er sich zum Sohn Gottes gemacht hat (19,7), nicht gerechtfertigt.

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Zeitgeschichtliche Situierung des Konflikts • Extratextuale Elemente in der Jesusgeschichte (9,22; 12,42; 16,2) deuten auf eine

konkrete Auseinandersetzung, in der die joh Gemeinden standen. Ein ursprünglich innerjüdischer Konflikt führte zur Außenperspektive auf „die Juden“.

• So erklären sich manche Besonderheiten der joh Darstellung:– Vertrautheit mit jüdischen Traditionen– Dominanz der Außenperspektive („die Juden“) – Schärfe des Konflikts: Nähe, Kampf um dasselbe „Erbe“ – Jüngerabfall (Joh 6) und Diskussion in 8,31–59 als Niederschlag einer innergemeindlichen Krise.

Johanneische Israeltheologie? • Einerseits scheint die besondere Rolle Israels selbstverständlich zu sein:

– Autorität des Mose und der Schrift sind unangetastet. – „Israel“ ist zwar nicht häufig, aber an einigen Stellen belegt. – Jesusgeschichte spielt im jüdischen Milieu; Jesus als Jude; Heilsprivileg der Juden (4,9.22). – 1,11 deutbar als Kommen zu Israel.

Jesus und die Juden III – Hintergründe und Wertungen

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Johanneische Theologie

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• Andererseits wird die besondere Rolle Israels im joh Entscheidungsdualismus ausgeblendet.

– Beispiel Nikodemusgespräch: außer der Typologie 3,14 findet sich kein Hinweis auf die Besonderheit Israels. Der Sohn kam in die Welt, der Glaube allein entscheidet („jeder, der glaubt ...“).

– In Joh 6 wird keine Brücke von der Gabe des Manna zu Jesus als dem Lebensbrot gebaut. Das Manna war kein „Brot vom Himmel“.

– In Joh 8 wird die Berufung auf Israels Sonderrolle zum christologischen Stolperstein.

Der Gedanke heilsgeschichtlicher Kontinuität garantiert kein besonderes Interesse an Israel. Joh nimmt die Heilsgeschichte nur in

christologischer Ausrichtung wahr. Fehlt das Christusbekenntnis, ist die Heilsgeschichte entwertet. Das Problem, das Paulus in Röm 9–11 behandelt, hat Joh nicht umgetrieben.

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Antijudaismus im JohEv?• Versteht man „Antijudaismus“ als „Ressentiment gegen den Juden als Juden“ (I.

Broer), ist das JohEv trotz der pauschalen Polemik gegen „die Juden“ nicht als antijudaistisch zu bezeichnen: Wenn das JohEv in einem konkreten Konflikt situiert ist, stehen im Hintergrund (als schmerzhaft empfundene) Erfahrungen mit bestimmten Juden, aber keine grundsätzlich antijüdische Einstellung. Durch Widerspruch ist die jüdische Tradition problematisch geworden, nicht durch ein „Ressentiment gegen den Juden als Juden“. Dies würde bestärkt, wenn hinter dem JohEv ein Konflikt um die Frage steht, wer sich zurecht als Jude bezeichnen kann (4,9; 18,35 vs. 8,48 / 8,39f).

• Dennoch birgt die pauschalisierende Polemik zumindest die Möglichkeit, antijüdisch verstanden zu werden – vor allem wenn aus der bedrohten und bedrängten, von der Mehrheit ausgeschlossenen Minderheit, die um ihre Identität ringt, die gesellschaftlich bestimmende Gruppe wird. So zeigt die antijüdische Wirkungsgeschichte des JohEv eine Grenze des Textes, die von heutigen Lesern beachtet werden muss. Auch wenn das JohEv selbst nicht antijüdisch ist, so trägt es doch das Potenzial in sich, so gelesen und verwendet zu werden.

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Der Beginn • Anders als in synoptischen Versionen kann die Passionsgeschichte im JohEv nicht

mit dem Todesbeschluss des Hohen Rates (11,47–52) beginnen. Jesus tritt danach noch öffentlich auf.

• Einerseits lässt sich der Anfang der Erzählung von der Passion Jesu im JohEv in der Gefangennahme Jesu erkennen (18,1ff), weil Mahl und Abschiedsreden (Kap. 13–17) ein starkes eigenes Gewicht haben.

• Andererseits bestimmt die Situation des Weggangs Jesu den ganzen Abschnitt 13,1–17,26, so dass man zwischen einem „weiteren“ (13,1) und „engeren“ (18,1) Beginn der Passionsgeschichte im JohEv unterscheiden kann

Der Verlauf • Die Salbung in Bethanien (Mk 14,3–9) hat Joh aus der Passionsgeschichte gelöst. • Die Notiz vom Verrat des Judas und die Vorbereitung des Paschamahls (Mk

14,10f.12–16) bietet Joh nicht; das letzte Mahl Jesu ist kein Paschamahl (s. Joh 18,28).

• Wie bei den Synoptikern kündigt Jesus im Verlauf des Mahls den Verrat des Judas an (Joh 13,21–30).

Die Passion Jesu I – Vergleich mit den Synoptikern

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Johanneische Theologie

29

• Mit Lk stimmt überein, dass Jesus während des Mahls die Verleugnung des Petrus vorhersagt (Joh 13,36–38; Lk 22,31–34). Mk/Mt setzen dies auf dem Weg zum Ölberg an (Mk 14,30par).

• Der Gang zum Ölberg und das Gebet in Gethsemani findet sich im JohEv nicht. • Jesus wird in Joh 18,12–14.19–24 von Hannas, dem Schwiegervater des Kajaphas,

verhört. Dagegen gibt es keine Verhandlung vor dem Hohen Rat. Dies sind Eigenheiten der joh Passionsgeschichte.

• Mit diesem Verhör ist (wie mit der synoptischen Verhandlung vor dem Hohen Rat) die Verleugnung des Petrus verschachtelt – bei Joh noch konsequenter, da die erste Verleugnung szenisch von den beiden anderen abgetrennt ist.

• Im Zentrum der joh Passionsgeschichte steht das Verhör vor Pilatus, das im Vergleich zu den Synoptikern stark ausgestaltet ist (Ansatzpunkte bei Lk).

• Geißelung und Verspottung durch die Soldaten sind in das Verhör integriert, also nicht nach der Verurteilung angesetzt (so Mk 15,16–20apar).

• Die Barabbas-Szene findet sich in allen Evangelien, ist bei Joh aber stärker von der Auslieferung Jesu abgesetzt.

• Gemeinsame Motive, die sich in der konkreten Durchführung von den Synoptikern unterscheiden: Jesus zwischen zwei Mitgekreuzigten, Kreuzestitel, Verteilen der Kleider Jesu, die Tränkung mit Essig, die Frauen unter dem Kreuz, Auftreten von Josef von Arimathäa bei der Grablegung.

• Joh Eigenheiten: Zerbrechen der Beine der Mitgekreuzigten, Lanzenstich in die Seite Jesu.

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Johanneische Theologie §16,2

30

Vorverweise im Evangelium • Das Motiv der Stunde: Solange die Stunde Jesu nicht gekommen ist, können auch

seine Widersacher ihm nichts anhaben (7,30.44; 8,20). Die Gegner Jesu sind in ihrem Handeln gegen ihn abhängig von der festgesetzten Zeit.

• Jesus selbst deutet in 10,17f die Machtverhältnisse: Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, um es wieder zu

nehmen. 18 Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Vollmacht, es zu lassen, und habe Vollmacht, es wieder zu nehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen.

Der Beginn der joh Passionsgeschichte• 13,1: Jesus geht bewusst ins Leiden: er weiß, dass seine Stunde gekommen ist.

Auch die Umschreibung des Todes Jesu als Hinübergang zum Vater gibt schon ein Signal, wie dieser Tod zu verstehen ist. Die Gethsemani-Szene fehlt deshalb konsequenterweise.

Die Passion Jesu II – die Passion als „Siegeszug“ Joh beschreibt die Passion Jesu nicht als Weg in die Niedrigkeit, sondern stellt sie als ein Geschehen dar, das von Jesus selbst souverän bestimmt wird; in dem das Kreuz nicht Ort der Schmach und Ohnmacht ist, sondern der Vollendung und Verherrlichung.

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Johanneische Theologie

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• Die Verhaftungsszene (18,1–11) ist ganz von Jesus bestimmt: – Ein riesiger Verhaftungstrupp rückt an (spei/ra /Kohorte: 600 Mann), der aber ein hilfloses Bild abgibt. – Nicht die Kohorte ergreift Jesus, sondern Jesus geht im Wissen um das nun Kommende hinaus und stellt sich ihr entgegen (18,4). – Dass die Gegner Jesu zu Boden stürzen, zeigt ihre Machtlosigkeit. – Die Bewahrung vor einem Zugriff der Soldaten verdanken die Jünger nicht der Flucht, sondern einem Wort Jesu (18,8), mit dem Jesus dem Verhaftungstrupp unwidersprochen Anweisungen erteilt.

• Das Verhör vor Hannas (18,12–14.19–24) erweist die Hilflosigkeit der jüdischen Obrigkeit. – Jesus verweigert mit Blick auf sein öffentliches Wirken nun jede Auskunft. – Darauf bleibt der Gegenseite nur das Mittel ungerechtfertigter Gewalt. – Hannas bleibt szenisch ganz im Hintergrund. Ohne Ergebnis wird Jesus an Kajaphas überstellt.

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Johanneische Theologie

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Die Verhandlung vor Pilatus (18,33–19,16)Alle entscheidenden Akteure der Passion werden in einer überlegt gestalteten Szene vereinigt. Die Juden als Ankläger, Pilatus als Richter, Jesus als Angeklagter.

• Die Ankläger– Ihr Ort ist „draußen“. – Sie schwanken in der Angabe der Schuld Jesu: Vergehen gegen das jüdische Gesetz im Anspruch, Sohn Gottes zu sein (19,7); politische Anklage, Jesus habe sich selbst zum König gemacht und damit dem Kaiser widersetzt (19,12). – Sie erreichen die Verurteilung Jesu aber nur zu dem Preis der Aufgabe der messianischen Erwartung (des endzeitlichen Königs): „Wir haben keinen König außer dem Kaiser“ (19,15). Erst danach kommt es zur Verurteilung Jesu.

• Pilatus– Vordergründig ist er der Gerichtsherr, agiert aber nicht souverän, denn er läuft immer zwischen „drinnen“ und „draußen“ hin und her. – Gerade an Pilatus wird die Bedeutung der szenischen Topographie deutlich. Zwei entgegengesetzte Bereiche stehen einander gegenüber: drinnen ist der Ort Jesu, draußen der Ort der Ankläger. Pilatus schwankt zwischen beiden Bereichen, beugt sich dann aber doch dem Druck, der von „draußen“ auf ihn ausgeübt wird.

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Johanneische Theologie

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– Den Dialog zwischen Jesus und Pilatus nutzt Joh zur Klärung des christlichen Messias- verständnisses: es werden keine politischen Ansprüche gegen Rom erhoben. Entsprechend wird Pilatus als Zeuge für die Unschuld Jesu präsentiert (18,38; 19,6.12).

• Jesus– Er ist der einzige souverän Handelnde, trotz Geißelung und Verspottung. – Die erste Frage des Pilatus beantwortet er mit einer Gegenfrage, er kann auch die Antwort verweigern oder dem Statthalter dessen untergeordnete Rolle mitteilen, die dieser offensichtlich nicht in Zweifel zieht (19,11–12a).

Kreuzigung und Tod Jesu (19,17–30)• Jesus trägt sein Kreuz selbst zur Hinrichtungsstätte. • Er wird zwischen zwei anderen gekreuzigt, nicht zwischen zwei „Räubern“. Die

Stellung Jesu in der Mitte ist noch deutlicher als bei den Synoptikern betont, wohl eine Anspielung auf den königlichen Ehrenplatz (19,18f). Die Notiz von der Kreuzesinschrift kann ein doppeltes Ziel verfolgen:

– Den Anklägern wird deutlich gemacht, dass sie mit der Forderung nach der Hinrichtung Jesu ihre messianische Hoffnung aufgegeben haben.

– In den Sprachen, die in der damaligen Welt besonders verbreitet waren, wird die Königswürde Jesu proklamiert.

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Johanneische Theologie

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• Das hoheitliche Bild Jesu in der Passion findet am Kreuz seine Vollendung: – Jesus trifft Verfügungen für die Zeit nach seinem Tod und wird nicht verspottet. – Er erfüllt durch sein Trinken des Essigs die Schrift. – Ein Ausruf der Gottverlassenheit und ein Todesschrei finden sich nicht. Man hat den Eindruck, dass Jesus selbst den Zeitpunkt seines Todes bestimmt (19,30).

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Johanneische Theologie §17,1

35

Anerkennung eines Anspruchs • Die Formulierung „glauben an“ (pisteu,ein eivj) ist bis auf 14,1 (Erinnerung

der Jünger an ihren Gottesglauben) immer mit Jesus als Objekt des Glaubens verbunden. Dabei geht es in erster Linie nicht um das Moment des Vertrauens, sondern um die Anerkennung des Heilbringeranspruchs Jesu. Dies ergibt sich durch – parallel eingesetzte Erläuterungen (z.B. 4,39/42; 11,42/45); – aus der Umschreibung dessen, an den zu glauben ist (z.B. 3,18; 6,29), – aus dem erzählerischen Kontext (z.B. 10,41f/1,29.34); 7,31).

• Dieselbe Ausrichtung zeigt sich, wenn „glauben“ absolut steht oder durch einen Dass-Satz erläutert wird. Im ersten Fall ergibt sich dies meist aus dem Kontext (z.B. 1,7.50; 9,35), im zweiten aus dem Inhalt der angefügten Sätze (z.B. 6,69; 11,27; 14,10; 16,27).

• Ist „glauben“ mit einem Dativobjekt verbunden, lässt sich kein spezifischer, einheitlicher Sinn erheben (etwa: den Worten Jesu glauben; jemandem als Zeugen glauben). Die Wendung ist offen für verschiedene Nuancen.

Glauben nach dem JohEv I – christologischer und soteriologischer Charakter des Glaubens

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Johanneische Theologie §17,2–3

36

Glaube und Lebensgewinn • Dass der Glaube zum Leben führt, ist an vielen Stellen in unterschiedlicher

Ausdrucksweise entfaltet (z.B. 3,15.18; 6,35; 12,46). • Der soteriologische Charakter des Glaubens ergibt sich aus der Einheit von Geber

und Gabe des Heils im JohEv. Indem der Glaube Gemeinschaft mit dem begründet, der das Leben ist, hat er das Leben.

• Die grundsätzliche Bedeutung des christologischen und soteriologischen Charakters des Glaubens zeigt sich darin, dass der ursprüngliche Buchschluss beide Momente anführt (20,30f).

Glaube aufgrund der Begegnung mit Jesus• Auf der narrativen Ebene wird der christologische Charakter des Glaubens dadurch

inszeniert, dass Glaube in der Begegnung mit Jesus entsteht – auch wenn Menschen vorbereitend wirken können (1,35/39.41; 1,45f/47–49; 4,39/42).

• Diese Begegnung ist – durch das Wirken des Parakleten (s.u.§23) – durch die Zeiten hindurch möglich.

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Johanneische Theologie §18,1–2

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Bildhafte Ausdrücke • Parallel zu „glauben“ kann „zu Jesus kommen“ stehen (z.B. 6,35; 7,37f; 5,40;

s.a. 6,37.44f.65). • Sachlich dem Glauben entsprechend kann auch von nachfolgen die Rede sein (

12,46/8,12). Dies ergibt sich, wie auch bei einigen Belegen zum vorigen Punkt, daraus, dass beide Ausdrücke mit derselben Verheißung verbunden sind. In der Hirtenrede (Kap. 10) steht das Nachfolgen in Zusammenhang mit dem Hören der Stimme des Hirten – ebenfalls eine Nuance joh verstandenen Glaubens (s.u).

Hören und Sehen• Das Hören (und Bewahren oder Annehmen) der Worte/Gebote Jesu kann mit

dem Glauben parallelisiert werden (5,24; 12,47f/3,18; 17,8; 8,51/11,26), • auch das Sehen Jesu kann den Sinn von „glauben“ annehmen (6,40; 12,44.45).

„Jesus sehen“ meint also nicht nur den Vorgang sinnlicher Wahrnehmung.

Glauben nach dem JohEv II – Akzente des joh Glaubensverständnisses

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Johanneische Theologie §18,3–4

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Lieben • Die Parallelisierung in 16,27 bindet „glauben“ und „lieben“ zusammen. Die Liebe

zu Jesus ist daran geknüpft, dass man sich an sein Wort bzw. Gebot hält (14,15.21) – das bedeutet: dass man glaubt.

• Im Glauben geht es aber nicht nur um die Liebe zu Jesus. Als Gebot Jesu erscheint die gegenseitige Liebe der Jünger (13,34f; 15,12). Die christologische Vorgabe bleibt dabei gewahrt („wie ich euch geliebt habe“; Sendung des Sohnes als Ausdruck der Liebe Gottes).

Erkennen• „Glauben“ und Erkennen (ginw,skein) können unmittelbar aufeinander folgen

(z.B. 6,69; 10,38) oder sich auf dieselben Objekte richten (z.B. 11,42/17,3; 14,11/20). Das Verhältnis beider Begriffe zueinander ist nicht im Sinne einer Stufenfolge zu bestimmen. Sie erhellen sich gegenseitig und bleiben aufeinander bezogen.

• Mit „erkennen“ ist entsprechend biblischem Sprachgebrauch kein intellektueller Akt bezeichnet, sondern ein Gemeinschaft stiftender und vertiefender Vorgang. Dieses im Glauben selbst enthaltene Moment wird durch die Zusammenstellung mit dem „Erkennen“ verstärkt.

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Johanneische Theologie §19,1–3

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Der Kontext: Suche nach Jesus • Das Motiv der Menge verbindet Speisungserzählung (6,1–15) und Brotrede. • Nach der von Jesus herbeigeführten Trennung (6,14f) begibt sich die Menge auf

die Suche nach Jesus (6,24).

Erster Aufruf zum Glauben: VV.26–29 • Auf diese Suche bezieht sich Jesus in seiner Antwort auf eine vordergründig

bleibende Frage (6,25: „Wann bist du hierher gekommen?“) – und kritisiert sie als oberflächlich (V.26).

• Bereits hier deutet sich das Scheitern der Kommunikation zwischen Jesus und der Menge an, auch wenn die Situation im Aufruf von V.27 noch offen scheint.

• Dass die Brotmetaphorik letztlich auf den Glauben zielt, zeigt sich in der Antwort Jesu (in V.29) auf die Frage nach den Werken Gottes.

Jesu Antwort auf die Zeichenforderung: VV.30–35 • Die Zumutung der Glaubensforderung beantwortet die Menge mit der

Zeichenforderung, ironischerweise mit Bezug auf eine wunderbare Speisung (Manna) – gerade waren sie Zeugen eines solchen von Jesus gewirkten Wunders und haben Jesus deshalb gesucht.

Glauben nach dem JohEv III – die Brotrede (Joh 6)

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Johanneische Theologie

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• Jesus greift die Rede vom „Brot aus dem Himmel“ auf und verändert die zeitliche Perspektive auf die Gegenwart („nicht Mose hat gegeben, sondern mein Vater gibt“). Das Manna erscheint nicht als typologischer Vorverweis, sondern ist als Himmelsbrot relativiert.

• Die Wende von der Sache zur Person, die in V.35 eindeutig erfolgt, ist für die Leser des JohEv, die mit dem Motiv des Herabsteigens vertraut sind (1,51; 3,13–15), bereits in V.33 erkennbar. Die Aussage ist mehrdeutig: das Brot Gottes ist das aus dem Himmel herabsteigende (Brot), oder: das Brot Gottes ist der aus dem Himmel Herabsteigende.

• Die Hörer in der Szene denken das Brot noch als Objekt, sie bitten um die Gabe (V.34). Daraufhin offenbart sich Jesus als das Lebensbrot. In ihm kommt die Suche der Menge, ihre Sehnsucht nach dem wahren Leben zum Ziel – auch wenn sie dies letztlich nicht akzeptiert.

• Mit dem Brotwort ist die Wende von der Sache zur Person ausdrücklich vollzogen: Jesus selbst ist das Lebensbrot. Dessen Bedeutung wird in einem doppelten Nachsatz entfaltet, in dem der personalen Ausrichtung entsprechend nicht vom Essen des Brotes die Rede ist, sondern vom Kommen zu Jesus und dem Glauben an ihn (beides erläutert sich gegenseitig). In den Kontext ist diese Formulierung gut eingepasst: Der Satz ist zu denen gesprochen, die zu Jesus gekommen sind und in der wunderbaren Speisung zeichenhaft die Sättigung erfahren haben. Die grundsätzliche Formulierung (mit substantiviertem Partizip) weist dennoch über die Szene hinaus und zielt so auch auf die Leser des Evangeliums.

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Johanneische Theologie §19,4–5

41

Die zuverlässige Lebenszusage: VV.36–40 • Das Scheitern der Beziehung zwischen Jesus und der Volksmenge wird fortgeführt,

der hoheitlichen Christologie des JohEv entsprechend von Jesus selbst formuliert (V.36, mit wahrscheinlichem Bezug auf V.26: die Weigerung, ein Zeichen zu sehen, bedeutet Unglaube).

• Inhaltlich steht nun die Bewahrung der Glaubenden zum Leben im Vordergrund. Entfaltet wird dies nicht im Bildfeld des Brotwortes, sondern im Blick auf die verlässliche Gemeinschaft (V.36: wer glaubt, wird nicht hinausgeworfen), die Leben bedeutet (V.40). Es zeigen sich christologische Bezüge zu Kap. 3 und 5 (3,13.16; 5,30).

• Der Zusammenhang von Glaube und Gnade klingt an (die Glaubenden als Gabe des Vaters an den Sohn: VV.37.39; s.u. zu V.44).

Der Glaube angesichts des offenen Murrens: VV.41–46 • Nun wird der Widerspruch offen erkennbar. Er entzündet sich an der Diskrepanz

zwischen Anspruch Jesu („vom Himmel herabgestiegen“) und bekannter irdischer Herkunft („Sohn Josephs“). Joh löst diese Spannung nicht durch die Vorstellung der Geistzeugung, denn er bezeugt sie an keiner Stelle (s.a. 1,45). Für ihn ist entscheidend, dass Jesus nicht nach seiner irdischen Herkunft beurteilt wird. Wer dies tut, hat nicht verstanden, wessen Sohn Jesus wirklich ist.

Page 42: Johanneische Theologie §12,1

Johanneische Theologie

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• Das „Murren“ (goggu,zein) hält den Bezug auf die Exodus-Tradition präsent (z.B. Ex 16; 17,3). Diejenigen, die darauf verweisen, dass ihre Väter das Manna in der Wüste gegessen haben, empören sich wie ihre Väter gegen Gott und seine Führung.

• Wie im vorherigen Abschnitt begegnet dem Unglauben eine Besinnung auf den Glauben. Der Glaube erscheint in Gott gegründet (s.a. VV.37–40; 8,47; 10,26.29; s.a. 6,65). Das Verhältnis dieser an göttliche Vorherbestimmung anklingenden Aussagen zu jenen, die zur Glaubensentscheidung aufrufen, wird nicht geklärt. Diese Spannung ist in der Auseinandersetzung mit dem Problem des Unglaubens angelegt: Vom gnadenhaften Charakter des Glaubens ist immer dann die Rede, wenn der Anspruch Jesu bestritten wird (VV.41f; 6,64; 8,37.40; 10,24f). Auch diese Verweigerung ist noch umfangen vom Handeln (bzw. Nicht-Handeln) Gottes. So sind Gnade und Freiheit ineinander verwoben.

• Ein Schriftzitat unterstreicht die Beziehung der Glaubenden zu Gott (Jes 54,13 in V.45). Die umfassende Aussage („alle“/pa,ntej) wird nachfolgend eingeschränkt auf „jeden, der (Jesus) hört“ (pa/j o` avkou,saj). Im Glauben also zeigt sich, ob einer beim Vater gehört und gelernt hat. Dass dazu die Vermittlung durch den Sohn nötig ist, unterstreicht eine eigens eingefügte christologische Sicherung (V.46), die auf den Prolog zurückgreift (1,18).

Page 43: Johanneische Theologie §12,1

Johanneische Theologie §19,6–7

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Das Essen des Lebensbrotes: VV.47–51 • Zunächst sagt ein Amen-Spruch, worauf das Brotwort (aufgenommen aus V.35)

zielt: ewiges Leben durch Glauben (V.47). Dies wird parallel zu VV.32–35 bildlich entfaltet (VV.47–50: Zitat das Brotwortes, Bezug auf Manna-Tradition, Vermittlung ewigen Lebens).

• Neu ist die bildliche Aussage vom Essen des Lebensbrotes. In der ursprünglichen Gestalt des JohEv ist dies nicht in eucharistischem Sinn zu interpretieren. Die VV.51c–58 sind wohl ein sekundärer Zusatz. Tatsächlich wechselt mit V.51c die Metaphorik grundlegend: – Jesus erscheint nun als Geber des Brotes, nicht als das Brot selbst. – Prägende Begriffe sind Fleisch (sa,rx) und Blut (ai-ma) des Menschensohnes. – Vom Glauben ist nicht mehr die Rede.

• Dass in VV.50f vom Essen des Lebensbrotes gesprochen wird, erklärt sich aus der Parallelisierung mit dem Manna, das in eine Vorgangsbeschreibung eingebunden ist (V.49: „Die Väter aßen und sind gestorben“). Deshalb wird nun „essen“ zur Metapher für „glauben“ (s.a. die Parallelität in der Verheißung zwischen V.47 und V.51b). Jesus bleibt im Blick als derjenige, der in seiner Person Heil und Leben ist.

Fleisch und Blut des Menschensohnes: VV.52–59 • Die Hörer reagieren auf das Wort von der Gabe des Fleisches Jesu dadurch, dass

sie „untereinander streiten“ – zu verstehen als einmütiger Protest gegen dieses Wort (s.a. 6,43). Dabei ergibt sich, typisch für das JohEv, ein Missverständnis: die Hörer verstehen in wörtlichem, nicht in eucharistischem Sinn.

Page 44: Johanneische Theologie §12,1

Johanneische Theologie

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• Dieser Sinn wird eindeutig durch den Bezug auf das Blut in der Antwort Jesu (V.53), jedenfalls für die Leser des Werks. Die massive Betonung der Notwendigkeit des Eucharistie-Empfangs, einzigartig im Neuen Testament, erklärt sich wohl aus einer innerchristlichen Frontstellung. Aus den theologischen Präferenzen des Evangelisten (oder der Redaktion) allein ist sie nicht ableitbar, da sie im JohEv ganz vereinzelt bleibt. Die Bedeutung des Glaubens gerät aus dem Blick. Mit dem Bezug auf die Eucharistie wird der Tod Jesu angedeutet, wie auch der

Gebrauch des Menschensohn-Titels zeigt: Er ist mit der „Erhöhung“, und dadurch auch mit dem Kreuz verbunden (s.o. §9,4 s. im Kontext auch 6,61f).

• Nach V.53 folgen Variationen des eucharistischen Themas. Das Herrenmahl wird mit verschiedenen Ausdrucksformen joh Christologie verbunden: – V.54: Vermittlung ewigen Lebens. Was in V.40 dem Glauben verheißen wird, gilt

nun denen, die teilhaben an der Eucharistie – als Ergänzung, nicht als Ersatz für den Glauben.

– V.56: Gegenseitiges Ineinandersein. Noch ehe von der gegenseitigen Immanenz von Vater und Sohn gesprochen (10,38) und das Thema (passend) in den Abschiedsreden entfaltet wird, findet sich der einmalige Zusammenhang mit der Eucharistie. Offensichtlich sollte eine Aussageweise joh Christologie an die Eucharistie gekoppelt werden und dies ließ sich am besten mit der Brotrede verbinden. Deshalb kommt die Immanenzformel im Ablauf des JohEv „verfrüht“ und verstärkt so den Eindruck des sekundären Charakters des eucharistischen Abschnitts VV.51c–58.

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Johanneische Theologie

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– V.57: Sendung Jesu durch den Vater. Im gesandten Sohn ist Leben zugänglich (s. 5,24–26), nun verbunden mit dem Herrenmahl. Das Futur („wird leben“, zh,sei) kann als logisches (vom Standpunkt des Sprechers aus) oder als eschatologisches (Bezug auf den „letzten Tag“) Futur verstanden werden – die Entscheidung hängt auch ab von der Position, die man zur Einheitlichkeit des JohEv und seiner Eschatologie einnimmt (s.u. §20; §21).

• In V.55 werden Fleisch und Blut Jesu als „wahre Speise“ und „wahrer Trank“ bestimmt. – Damit kann auf die Realität des Essensvorgangs abgehoben sein, auch wenn dafür das Adjektiv avlhqino,j eigentlich passender wäre (jedoch lässt sich avlhqh,j davon im JohEv nicht scharf abgrenzen). – Außerdem kann die Zuverlässigkeit dieser Speise betont sein, die das bewirkt, was Nahrung bewirken soll: sie erhält am Leben. So würde sich auch der begründende Anschluss an V.54 erklären.

• V.58 ist Resümee der Brotrede. Jesus wird als das vom Himmel herabgestiegene Brot in Erinnerung gebracht, die Kontrastierung mit der Manna-Tradition wird aufgenommen und so formuliert, dass Eucharistie- und vorangegangene Brotrede miteinander verbunden sind: einerseits wird wieder vom Brot gesprochen (to.n a;rton), und nicht mehr vom „Fleisch“; andererseits ist das dazugehörige Verb nur im eucharistischen Abschnitt zu finden (o` trw,gwn). Glaube und Sakrament werden nicht durch eine terminologisch fassbare Klammer aufeinander bezogen, sondern durch die Komposition der Rede.

Page 46: Johanneische Theologie §12,1

Johanneische Theologie §20,1

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Traditionell-futurische Eschatologie • Parusie Christi: Joh 14,2f bietet für sich betrachtet mehrere Elemente

urchristlicher Parusie-Erwartung: – erneutes Kommen Christi; – dieses bringt die Erlösung – in naher Zukunft; – der Blick bleibt auf die Gemeinde gerichtet.

• Die Auferweckung „am letzten Tag“ erscheint viermal in der Brotrede (6,39.40.44.54), außerdem in 11,24 und 12,48 (dort bezogen auf das Gericht).

• Allgemeine Totenauferstehung: In 5,28f wird ein Geschehen angekündigt, das „alle in den Gräbern“ betrifft. Es folgt die Scheidung in Gerettete und Gerichtete (vgl. Mt 25,31–46).

• Apokalyptische Szenarien, wie sie uns die Endzeitrede Mk 13parr bietet, sind im JohEv nicht zu finden. Der Blick richtet sich nicht auf Katastrophen in Menschenwelt und Kosmos, ein Erscheinen des Menschensohnes „mit den Wolken des Himmels“ ist bei Joh nicht belegt.

Johanneische Eschatologie I – zwei Linien

Page 47: Johanneische Theologie §12,1

Johanneische Theologie §20,2

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Präsentische Linie • Joh bietet Worte, die den Gewinn des ewigen Lebens nicht für die Zukunft

verheißen, sondern den Glaubenden für die Gegenwart zusagen: 3,16.18; 5,24f. Besonders instruktiv ist die im Grundbestand eigentlich futurische Aussage

in 5,25: Der Einschub „und ist jetzt da“ signalisiert, dass ein für die Zukunft erwartetes Ereignis, die Totenauferstehung, sich bereits jetzt ereignet.

• In Joh 3,36 teilen sich zwei Zeitstufen auf nach der unterschiedlichen Reaktion auf die Offenbarung in Jesus: Dem Glaubenden wird das Leben jetzt zugesagt, für den Nichtglau-benden wird die künftige Teilhabe am Leben ausgeschlossen, doch bleibt der Zorn Gottes auf ihm. Die Zukunft wird also ganz von der gegenwärtigen Entscheidung bestimmt. Wegen der individuellen Ausrichtung des Spruches ist das futurische Element auf die je eigene Lebensspanne zu beziehen. Das Ich-bin-Wort in 11,25f bestätigt dieses Verständnis. Die Zukunftsaussage wird ausdrücklich im Blick auf den individuellen Tod gefasst. Vom Glaubenden heißt es, er sterbe gewiss nicht in Ewigkeit. Dies ist am besten so zu verstehen, dass der Tod des Glaubenden kein Sterben bedeute, sondern Leben. Der Tod ist Übergang ins Leben, denn der Glaubende hat bereits das Leben.

• Einige Aussagen machen deutlich, dass der Lebensgewinn an die Erhöhung Jesu gebunden ist (3,13–15; 6,62; 12,32). Der Irdische, der gesandte Sohn ist in der joh „Horizontverschmelzung“ immer schon als der Erhöhte gesehen.

Page 48: Johanneische Theologie §12,1

Johanneische Theologie §21,1–2

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Grundsätzliche Bedenken • Hätte der Evangelist seine Eschatologie von vornherein auf eine solche

„Doppelstrategie“ im Blick auf Gegenwart und Zukunft angelegt, wäre damit zu rechnen, dass er die innere Verbindung offen legt. Beide Linien stehen aber nebeneinander, ohne dass ihr Zusammenhang ausdrücklich geklärt würde.

• Die Gabe des ewigen Lebens in der Gegenwart wird relativiert, wenn das Leben durch den physischen Tod unterbrochen und erst am Ende der Zeit wieder in Kraft gesetzt wird.

Johanneische Eschatologie II – einheitlich?

Häufig wird heute eine Deutung vertreten, die beide vorgestellte Linien auf eine einheitliche eschatologische Anschauung des Evangelisten zurückführt. Dass der Glaubende das Leben hat, bedeutet demnach: ihm kann bei künftiger Totenauferstehung und Gericht dieses Leben nicht mehr genommen werden. Das jetzt im Glauben gewonnene Leben vollendet sich bei den künftigen eschatologischen Ereignissen am Ende der Zeit.

Page 49: Johanneische Theologie §12,1

Johanneische Theologie §21,3–4

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Literarkritische Zweifel Alle Stellen, an denen eine traditionell-futurische Eschatologie zur Sprache kommt, sind literarkritisch „verdächtig“ und könnten spätere Zusätze sein.

Ausnahme: Es erfolgt eine Deutung auf präsentische Eschatologie im Kontext (11,24; 14,2f, s. nächsten Punkt).

Die Tendenz des Evangelisten Futurisch orientierte Aussagen werden nicht nur im Rahmen desselben Spruches in die Gegenwart gezogen (so 5,25).

• Die Abschiedsrede in Kap. 14 nimmt wesentliche Stichworte aus der „Parusieankün-digung“ in 14,2f auf (weggehen, kommen, Wohnung) und deutet sie neu auf die Gegenwart des Auferstandenen im Geist.

• Die Antwort Jesu an Martha in 11,25f setzt einen deutlichen Gegenakzent zur „traditionellen“ Aussage in 11,24 – nicht nur durch die christologische Zuspitzung, sondern auch durch die zeitliche Struktur. Der Tod kann das den Glaubenden gegebene Leben nicht beeinträchtigen. Eine Ausrichtung auf die Auferstehung am letzten Tag wird sinnlos.

Page 50: Johanneische Theologie §12,1

Johanneische Theologie §22,1–2

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Johanneische Eschatologie III – Joh 5,19–30

Kontext • Die Rede ergeht im Rahmen der Auseinandersetzung, die durch die Heilung

des Gelähmten am Sabbat hervorgerufen wird (5,1–9). • Neben der Auflösung des Sabbats wird Jesus der Vorwurf gemacht, durch das

von ihm beanspruchte Verhältnis zu Gott als seinem Vater sich Gott gleichgemacht zu haben (5,18bc). Dies führt zur Absicht, Jesus zu töten.

• Jesus kann trotzdem ungehindert zu seinen Gegnern sprechen – ein bezeichnendes Schlaglicht auf die hoheitliche Christologie des JohEv: Die Gegner Jesu haben keine wirkliche Macht über ihn.

Aufbau • Der Abschnitt 5,19–30 ist der erste Teil der Vollmachtsrede,

zusammengehalten durch eine Klammer zwischen V.19 und V.30. Es zeigt sich eine ansatzweise parallele Struktur, die gebildet wird durch zwei Amen-Worte und zwei Gleichsetzungen („wie der Vater ... so auch der Sohn“).

• Die Parallelität ist nicht perfekt, doch sind die Einschnitte deutlich genug gesetzt, um strukturierend zu wirken: In zwei Durchgängen wird die Vollmacht Jesu entfaltet als Vollmacht zu Lebensvermittlung und Gericht.

Page 51: Johanneische Theologie §12,1

Johanneische Theologie

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• Der zweite Durchgang wiederholt nicht einfach den ersten, sondern blickt mit dem Bezug auf den Glauben auch auf die Bedingung des Lebensgewinns auf der Seite des Menschen.

VV.19f: Amen-Wort: Die Wirkeinheit von Vater und Sohn VV.21–23: Übergabe der Vollmacht zu Lebensvermittlung und Gericht an

den Sohn VV.24f: Amen-Wort: Glaube als Lebensgewinn in der Gegenwart VV.26f: Übergabe der Vollmacht zu Lebensvermittlung und Gericht an

den Sohn [VV.28f: Das künftige Gericht] V.30: Quintessenz: Jesus als gerechter Richter in völliger

Willensübereinstimmung mit Gott

Page 52: Johanneische Theologie §12,1

Johanneische Theologie §22,3–4

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Klammer zwischen V.19 und V.30 • In beiden Fällen ist der Gedanke der Einheit von Vater und Sohn ausgedrückt:

der Sohn kann nichts „von sich aus“ tun. • V.30 variiert die frühere Aussage in dreierlei Hinsicht:

– Die Einheit des Wirkens von Vater und Sohn erscheint jetzt als Willensübereinstimmung. – Jesus spricht nun in der 1. Person, die auch in der weiteren Rede dominiert. Alles, was über den Sohn gesagt wurde, trifft auf Jesus zu. Die Gottesbeziehung Jesu wird zunächst mit jenen Begriffen verhandelt, in denen die exklusive Nähe unmittelbar ausgedrückt wird, ehe Jesus sie ausdrücklich für sich beansprucht. – Jesus spricht nun vom Gericht, das in seiner Hand liegt. Dazu gehört auch die Macht, Leben zu vermitteln, doch wird hier das Gericht in den Vordergrund gestellt, weil die Vollmacht Jesu profiliert werden soll.

Einzelexegetische Hinweise Über das zu einzelnen Stellen bereits Ausgeführte hinaus ist zu beachten: V.19:• Gegen den Vorwurf der Sabbatverletzung wird die Einheit von Vater und

Sohn betont. Da Jesus der Sohn ist, beansprucht er „nichts von sich aus“. Er hat sich nicht Gott gleichgemacht.

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Johanneische Theologie

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• Zwar gelingt der Rückbezug auf die Göttlichkeit des Logos in 1,1 terminologisch nicht glatt (qeo,j in 5,18 mit Artikel). Durch die so stark hervorgehobene Einheit von Vater und Sohn gewinnt man dennoch den Eindruck, die Gegner hätten nur insofern unrecht, als sie Jesus vorwerfen, sich selbst Gott gleichgemacht zu haben.

• Die „größeren Werke“ sind zunächst auf die Wundertaten zu deuten, hintergründig dürfte aber auch ein Bezug auf die Vermittlung des Lebens und die Durchführung des Gerichts angezielt sein.

VV.21–23• Die Einheit von Vater und Sohn wird durch die Übertragung der Vollmacht zu

Lebensgabe und Gericht an den Sohn entfaltet. Das Gericht erscheint nicht unter dem negativen Aspekt des Ausschlusses vom Heil; vielmehr zielt jene Vollmachtsübertragung auf die Ehrung des Sohnes, ohne die die Ehrung des Vaters (Gottes) nicht möglich ist (Antwort auf den Vorwurf in 5,18).

• Bereits hier zeigt sich die zeitliche Verschiebung zur Gegenwart, die dann in VV.24f ausgeführt wird. Dass der Sohn diejenigen lebendig macht „die er will“ (V.21), drückt nicht Willkür aus, sondern akzentuiert die Autorität und Souveränität des Sohnes.

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VV.24f• In V.25 ist nicht auf ein Geschehen am Ende der Zeit angespielt (allgemeine

Totenauferste-hung), die Gerichtsvorstellung bleibt ausgeblendet. Die „Toten, die die Stimme des Gottes-sohnes hören“, sind nicht die in den Gräbern, sondern metaphorisch die Menschen außer-halb der Offenbarung des Sohnes. Das Hören ist das mit dem Glauben verbundene (V.24).

• Dass der Glaube sich auf Gott richtet und nicht direkt christologisch bestimmt wird, passt sich in diese Auslegung ein. An den Gott, der Jesus sendet, kann man nicht glauben, ohne dass man an den Gesandten glaubt. Die (im engeren Sinn) theologische Formulierung erklärt sich aus dem Kontext: So kann noch einmal die Einheit von Vater und Sohn akzentuiert werden.

VV.26f• Wenn nun erneut die Übergabe der Vollmacht zu Lebensvermittlung und Gericht an

den Sohn angeführt wird, ist nach VV.24f der Zusammenhang mit dem Glauben klar.

• Die Übertragung der Vollmacht zum Gericht ist in V.27 nicht auf ein künftiges Richterhandeln des Menschensohns ausgerichtet. Zu VV.28f besteht kein direkter terminologischer Bezug. Liest man die Aussage parallel zu VV.21f (s.o. zur Struktur), geht es um die Vollmacht, die dem Menschensohn in der Zeit seines irdischen Wirkens zukommt. Die traditionell mit der Erhöhung des Menschensohnes verbundene Ausrichtung auf dessen künftiges Erscheinen spielt hier keine Rolle. Die verschiedenen Zeitebenen sind vereint und konzentriert auf die Gegenwart der Entscheidung zwischen Glauben und Unglauben.

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Johanneische Theologie §23,1–2

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Johanneische Eschatologie IV – der ParakletWortbedeutung und Verwendungsweisen • Das griechische Wort para,klhtoj, das unübersetzt mit „Paraklet“

wiedergegeben wird, bedeutet wörtlich „der Herbeigerufene“ und bezeichnet ursprünglich vor allem den Beistand vor Gericht, aber auch in anderen Zusammenhängen den Fürsprecher. Sekundär erhielt der semantisch anpassungsfähige Begriff „Paraklet“ dann auch den Sinn: einer, der ermutigt, tröstet, mahnt, belehrt.

• In der joh Tradition ist nicht allein der Geist als Paraklet gesehen, sondern auch Jesus selbst (1Joh 2,1f; s.a. Joh 14,16: der Geist als der andere Paraklet). Zwischen dem Irdischen und dem Erhöhten ist dabei nicht zu differenzieren.

Die Paraklet-Sprüche in Joh 14–17 • Der Paraklet – „Geist der Wahrheit“ (14,17; 15,26; 16,13) oder „heiliger

Geist“ (14,26) – geht aus vom Vater im Namen Jesu oder auf dessen Bitte hin (14,12.16) oder wird von Jesus zu seinen Jüngern gesandt (15,26; 16,7), wenn nicht allein von seinem Kommen die Rede ist (16,13).

• Das Kommen des Geistes zielt auf die Kontinuität der Gemeinschaft Jesu mit den Jüngern (14,16). Damit ist auch auf die bleibende Gegenwart der in und mit Jesus geschehenen Offenbarung abgehoben – gemäß der joh Besonderheit: die Person Jesu selbst ist die Offenbarung Gottes.

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• Im zweiten Paraklet-Spruch wird dies noch deutlicher: der Geist wird die Jünger alles lehren und sie an alles erinnern, was Jesus gesagt hat (14,26). Er erschließt das Wirken Jesu für die Glaubenden.

• So wird durch die Gemeinde, bei der der Geist ist, die Welt bleibend mit der Jesus-Offenbarung konfrontiert, so dass Glaube und Unglaube, Heil und Gericht sich in jeder Gegenwart ereignen können.

• In den Paraklet-Sprüchen in Kap. 15f wird stärker der Bezug zur Welt und auf die Zukunft hin akzentuiert. Dies bestärkt den Eindruck einer eigenen Ausrichtung von Joh 15–17 als „Relecture“ im Zusammenhang einer späteren Bearbeitung des Werkes.

• Die Bedeutung des Wortes „Paraklet“ in den Abschiedsreden kann zusammenfassend wohl am besten mit „Beistand“ bestimmt werden.