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60 Forum Allemannia „Josè Rizal - Arzt, Freiheitskämpfer seine Zeit in Heidelberg“ Eine Einführung Dr. José Rizal, geboren 1861 also vor 150 Jahren (so alt wie unser Süddeutsches Kartell) war Arzt, Philosoph, Schriftsteller, Poet und Freiheitskämpfer. 1886 war er nach Heidelberg gekommen, um seine fachärztliche Ausbildung als Augenarzt an der Universitäts-Augenklinik zu bekommen. Zunächst wohnte er in einem Haus in der Grabengasse und in der Karlstrasse 16, danach bei Pastor Ullmer, dem Urgroßvater von Philister Dr. Fritz Hack, in Wilhelmsfeld. Dort vollendete er sein Buch noli me tangere“, das letztendlich zum Freiheitskampf und der Unabhängigkeit der Philippinen vom spanischen Joch führte. Am 22. April 1866 , also vor 125 Jahren, verfasste er das Gedicht A las flores de Heidelberg(den Blumen von Heidelberg). Seine Lieblingsblumen waren Vergissmeinnicht. Er hatte Kontakt mit den Heidelberger Korporationen, insbesondere dem Corps Suevia, und war mehrere Male auf der Hirschgasse, um den Mensuren zuzusehen, wie er seinen Eltern schrieb. Er nahm auch teil am Kommers anlässlich der 500-Jahr- Feier der Universität Heidelberg in Begleitung des Franken Dr. Karl Ullmer und seines Sohnes Fritz Ullmer.

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„Josè Rizal - Arzt, Freiheitskämpfer – seine Zeit in Heidelberg“

Eine Einführung

Dr. José Rizal, geboren 1861 also vor 150 Jahren (so alt wie unser Süddeutsches Kartell) war Arzt, Philosoph, Schriftsteller, Poet und Freiheitskämpfer. 1886 war er nach Heidelberg gekommen, um seine fachärztliche Ausbildung als Augenarzt an der Universitäts-Augenklinik zu bekommen. Zunächst wohnte er in einem Haus in der Grabengasse und in der Karlstrasse 16, danach bei Pastor Ullmer, dem Urgroßvater von Philister Dr. Fritz Hack, in Wilhelmsfeld. Dort vollendete er sein Buch „noli me tangere“, das letztendlich zum Freiheitskampf und der Unabhängigkeit der Philippinen vom spanischen Joch führte. Am 22. April 1866 , also vor 125 Jahren, verfasste er das Gedicht „A las flores de Heidelberg“ (den Blumen von Heidelberg). Seine Lieblingsblumen waren Vergissmeinnicht. Er hatte Kontakt mit den Heidelberger Korporationen, insbesondere dem Corps Suevia, und war mehrere Male auf der Hirschgasse, um den Mensuren zuzusehen, wie er seinen Eltern schrieb. Er nahm auch teil am Kommers anlässlich der 500-Jahr-Feier der Universität Heidelberg in Begleitung des Franken Dr. Karl Ullmer und seines Sohnes Fritz Ullmer.

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Im Alter von 36 Jahren wurde er wegen seines Buches als Aufrührer von den spanischen Kolonisatoren exekutiert. Unser Philister Fritz Hack hielt seinen Vortrag über das Leben von José Rizal vor einer interessierten Zuhörerschaft auf dem Allemannenhaus. Darunter waren einige Philippinos, der ehemalige Direktor der Asean Development Bank in Manila und die agierende Botschafterin Hon. Leah M. Basinang-Ruiz, chargé d'affaires. Die Botschafterin wurde von Fritz Hack zum Besuch der Erinnerungsstätten begleitet: Rizal-Ufer, Gedenkplakette an der alten Augenklinik in der Bergheimerstrasse, Gedenkplakette in der Grabengasse, Pfarrhaus und José Rizal Park in Wilhelmsfeld und Eintrag in das "Blaue Buch" von Wilhelmsfeld. Am 21. wurde die Botschafterin von Oberbürgermeister Dr. Würzner im Rathaus Heidelberg in Begleitung der Urenkel von Pastor Ullmer, Dr. Fritz Hack und Dr. Hans Hack, sowie Philister Thomas Seitz und den Vertretern der Aktivitas empfangen und trug sich ins" Goldene Buch" der Stadt Heidelberg ein.

Manfred Dietrich (SS 1956)

Vortrag von Fritz Hack am 20. April 2011

Der Protagonist des heutigen Vortrags ist der Nationalheld der Philippinen, Dr. Jose Rizal. Wenn ich über seine in Heidelberg und Wilhelmsfeld verbrachte Zeit sprechen soll, muss ich einiges zu der Situation sagen, in die Rizal hineingeboren wurde. Dazu sind Stichworte zur weltpolitischen Lage zu seinen Lebzeiten 1861-1896 von Nöten. Ein Portugiese spanischer Herkunft, Magellan, hat bei seiner Weltumseglung 1541 die Philippinen entdeckt, die seit der Einnahme Manilas im Jahre 1571 bis ins späte 19. Jahrhundert, also mehr als 300 Jahre, unter spanischer Kolonialherrschaft standen. Spanien hatte das Land mit Hilfe von Mönchsorden (Franziskaner, Dominikaner, Rekollekten und Jesuiten) christianisiert, Die Mönche waren überall im Land präsent und die unmittelbaren Ansprechpartner für die Einheimischen bei allen Problemen.

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Im Übrigen beließ es das Mutterland bei nur wenigen Vertretern der spanischen Macht, nämlich, einem Generalgouverneur und einigen Provinzgouverneuren. Das stationierte Militär zählte nur 2500 Soldaten. Erst später kam eine Polizeitruppe, die überall gefürchtete und verhasste Guardia civil hinzu. Nur aus taktischen Gründen wurden auch einige Philippinos in der Verwaltung beschäftigt. Durch seine geographische Lage war das Land nach außen sorgsam abgeschirmt, was den Spaniern das Regieren leicht machte. Von den 7107 Inseln waren etwa 4000 bewohnt. Die Landmasse entspricht der Italiens, die Längsausdehnung der Entfernung von Stockholm bis Gibraltar. Etwa 90% der sieben Millionen Indios – so nannte man abschätzig die Eingeborenen- waren Analphabeten. Nur spärlich kamen Informationen über den amerikanischen Unabhängigkeitskampf, die Französische Revolution und die Aufbruchsstimmung in Europa nach Manila. Erst der Verlust mehrerer Kolonien in Südamerika machte die spanische Regierung hellhörig. Eine Zensurbehörde sollte verhindern, dass aufrührerische Schriften in die Philippinen gelangten. Es kam zum Eklat, als sich der philippinische Klerus gegen die Besetzung philippinischer Pfarrstellen durch spanische Ordensgeistliche zur Wehr setzte und zur gleichen Zeit unzufriedene phil. Soldaten wegen ihrer miserablen Besoldung protestierten. Der historischen Meuterei von Cavite folgte ein schreckliches Blutbad, bei der der beliebte und hochangesehene phil. Pater Burgos und seine zwei engsten confratres Gomez und Zamorra im Februar 1872 mit der Würgeschraube öffentlich hingerichtet wurden. Zahllose andere wurden zum Tode verurteilt. Die Prozessunterlagen sind bis heute nicht auffindbar. Rizal erlebte diesen Aufstand als 11.jähriges Kind. 1861 in Kalamba geboren, war er nach der Terminologie jener Zeit ein Indio aus der Provinz. Seine Eltern waren begütert, was nur wenigen Philippinos gelungen war. Sie pflegten gesellschaftlichen Umgang mit der spanischen Prominenz und den geistlichen Würdenträgern. Rizal war das 7. von insgesamt 10 Kindern und wuchs sehr behütet auf. Ein besonders enges Verhältnis hatte er zu seinem 10 Jahre älteren Bruder Paciano und seiner Mutter, einer ungewöhnlich gebildeten Frau und strenggläubigen Katholikin. Sie sprach Spanisch und Französisch und war mit der klassischen span. Literatur vertraut. Als 10 jähriger musste Rizal miterleben, dass ein früher häufiger Gast seines Elternhauses, der Polizeipräsident, die Mutter wegen Mordverdachts menschenunwürdig

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behandelte und verhaftete. Sie wurde erst nach zweieinhalb Jahren freigelassen, nachdem sich alle Anschuldigungen gegen sie als falsch erwiesen hatten. Ein Jahr später wurde Rizal Zeuge von zahlreichen Repressalien gegen seinen Bruder Paciano, dem man vorwarf, ein Freund des hingerichteten Pater Burgos gewesen zu sein. Durch seinen Bruder erfuhr er erstmals von dem unter der spanischen Herrschaft bestens funktionierenden Spitzelsystem. Ab 1872 besuchte Rizal das von Jesuiten gegründete Ateneo Gymnasium in Manila. Seine Fächer: Christliche Doktrin, Spanisch, Latein, Griechisch, Französisch, Geographie, Geschichte, Mathematik, Chemie, Physik, Poetik, Rhetorik, Philosophie. Das Ergebnis bis zum Baccalaureat: Hervorragende Zeugnisse, Medaillen und Auszeichnungen. Schon während seiner Schulzeit hatte Rizal Gedichte in Spanisch und Tagalog, der Sprache der Indios, geschrieben, gemalt und modelliert und bei literarischen Wettbewerben Jahr für Jahr erste Preise gewonnen. Nach dem Schulabschluss studierte er Medizin an der von Dominikanern gegründeten Santa Tomas Universität in Manila. Unzufrieden mit den Ausbildungsangeboten, wollte Rizal sich weiterbilden und der Scholastik entkommen, die er als engstirnige, dogmatische Schulweisheit, gegründet auf die Theologie des Mittelalters, ablehnte. Er sehnte sich nach Lernfreiheit und persönlicher Emanzipation, die nur europäische Universitäten zu bieten hatten. Sein Bruder versprach, finanziell für einen Europaaufenthalt aufzukommen, da die Familie durch die exorbitante Erhöhung der Pachtpreise durch die Dominikaner in Schwierigkeiten geraten war. Rizal verließ seine Heimat Anfang Mai 1882 im Alter von 21 Jahren. In Madrid studierte er Medizin und Philosophie. Der Jesuitenzögling erlebte eine ihm vorher verschlossene Welt. Die Liberalen in Madrid diskutierten über jedes nur denkbare Thema: Religiosität, Atheismus, politische Neuordnung und Menschenrechte. Während seines Studiums engagierte er sich bei mehreren Hispano-Philippino- Zirkeln, die sich für Reformen auf den Philippinen einsetzten. Sie forderten Presse- und Redefreiheit, eine moderne, unabhängige Justiz und dieselben Menschenrechte, die für Spanier galten. Als Rizal erkannte, dass nicht einmal die Forderung nach Repräsentation seiner Heimat im spanischen Parlament- die man den anderen Kolonien Mexiko und Kuba zugestanden hatte-, ernsthaft erwogen wurde, setzte er sich mit großem Nachdruck in seinem berühmt gewordenen Roman „ Noli me tangere“

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für die überfälligen Reformen auf den Philippinen ein. Die Indolenz einiger seiner studierenden Landsleute in Madrid stellte er auf beeindruckende Weise sarkastisch bis satirisch dar. Als im Rahmen einer internationalen Kunstausstellung zwei philippinische Maler, Juan Luna und Felix Hidalgo, den ersten und zweiten Preis für Malerei erhielten, durfte Rizal beim Bankett die Festrede halten, die ihn daheim und in Europa schlagartig bekannt machte. Rizal war zu dieser Zeit bitterarm und, wie er in seinem Tagebuch schreibt, immer hungrig. Bei der Laudatio gelang ihm scheinbar mühelos, die Zuhörer vom ersten Augenblick an in seinen Bann zu ziehen. Ruhig und überlegt sprach er von der Gleichheit der Rassen, nämlich der Spanier und der Philippinos, die sich gegenseitig brauchten und schätzten, so dass die besten Voraussetzungen für eine Zukunft einer einzigen Nation im Geiste bei gleichen Pflichten, Hoffnungen und Privilegien gegeben seien. Er betonte, daß die patriarchalische Zeit vorüber sei. Die Philippinos seien lethargisch geworden, verdienten aber jetzt die Sonne der Aufklärung und das Lebenslicht der Zivilisation. Ohne die Mönche direkt anzusprechen, beschreibt er sie als kurzsichtige Pygmäen, korrupt, eigensüchtig und nur auf den Erhalt des eigenen Vorteils bedacht. 1884 erhält Rizal sein Medizindiplom und gewinnt bei einem Universitätswettbewerb in griechischer Sprache den ersten Preis. Von Madrid geht er nach Paris, um die Feinheiten der operativen Augenheilkunde bei Prof. de Wecker zu erlernen. Da seine Mutter, die er sehr verehrte, auf Grund einer Linsentrübung zu erblinden drohte, war er hochmotiviert. Er setzte anschließend seine Studien in Heidelberg fort, das sich auf dem Gebiet der Augenkrankheiten einen ausgezeichneten Ruf in Europa erworben hatte. Am 3. Februar 1886 stieg der damals 24jährige Augenarzt in Heidelberg aus dem Zug. Er war nicht sehr groß, athletisch, wie alle Philippinos von brauner Hautfarbe und auf Grund seiner ansprechenden Gesichtszüge insgesamt eine auffallend vornehme Erscheinung. Rizal bezog eine Studentenbude in unmittelbarer Nähe des Allemannenhauses in der Karlsstrasse 16. Am Abend besuchte er ein Gasthaus am Marktplatz und machte dort die Bekanntschaft von Studenten. Wenig später schreibt er an seinen Bruder Paciano: “Ich ging in die Goldene Bierbrauerei. Dort traf ich auf acht oder neun Studenten mit gelben Mützen, die zum Corps Suevia gehörten. Ich stellte mich mit meinem noch schlechten Deutsch vor. Auf meine Fragen reagierten sie

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sofort aufgeschlossen. Sie gaben mir alle notwendigen Informationen über die Universität. Ich wurde eingeladen, mich zu ihnen zu setzen und ein Glas Bier zu trinken. Meine deutschen Sprachkenntnisse waren noch schlecht, auch machte mir das Hören dieser Sprache Schwierigkeiten. Da sie nur wenig Französisch sprachen, benutzten wir in den ersten Abendstunden Latein.“ Ein paar Sätze später heißt es. „ der deutsche Student ist freundlich, bescheiden und nicht prahlerisch. Beim Grüßen lüftet er seine Mütze und streckt diese nach vorn. Als neuangekommener Fremder durfte ich nicht für Speisen und Getränke bezahlen. Erst das nächste Mal müsste ich gemäß den geltenden Sitten, wie jeder andere auch für mich selbst zahlen. Wenn sie trinken, stoßen sie auf die Gesundheit des Freundes an und rufen dabei „Prosit“ oder „Prost“. Sie heben das Glas in Richtung der Person, der sie Gesundheit wünschen. Spontan luden sie mich ein, ihrer Gemeinschaft beizutreten. Als sie herausfanden, dass ich nicht lange genug am Ort bliebe, sagten sie, das habe dann keinen Sinn und brächte mir wenig Nutzen, da die minimale Aktivenzeit sechs Monate betrage.“ So beschreibt er die Stadt: „ Heidelberg liegt im Tal zwischen 2 Bergen. In der Mitte fließt der Neckar, über den 2 Steinbrücken führen. Seit gestern ist der Fluß zugefroren, und die Menschen fahren Schlittschuh. Die Berge sind schneebedeckt. Durch mein Fenster kann ich sehen, dass viele Besucher zur Burgruine hinaufsteigen. Es gibt nur ein Theater. Insgesamt fünf Kirchen. Eine Kirche ist in der Mitte geteilt. Der vordere Teil für Katholiken und der hintere für Protestanten. Deutsches Essen schmeckt nicht gerade unangenehm, nur “full of potatoes“. Bei jeder Gelegenheit Kartoffeln, morgens und mittags. Zum Nachtessen serviert man Tee mit kaltem Braten…. und dazu „Kartoffeln“. Über das weibliche Geschlecht äußert er sich wie folgt: „ Die meisten Frauen haben Französisch gelernt und sprechen diese Sprache ordentlich. Üblicherweise sind sie groß, muskulös, nicht sehr blond, aber von heller Hautfarbe.“ Von den deutschen Männern berichtet er, sie seien weniger wissbegierig als die Franzosen. „einige Männer schauten mich neugierig an, gingen aber weiter, ohne anzuhalten. Die Deutschen sind ordnungsliebend und achten ihre Obrigkeit sehr.“ An anderer Stelle sagt Rizal: „ Die Bedienung in meinem Gasthaus heißt Mina. Sie kann Deutsch orthographisch richtig schreiben. Wir tauschen uns meistens schriftlich

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aus, da ich ihren Dialekt noch nicht verstehe. Sie benutzt deutsche und lateinische Buchstaben und ist sehr freundlich zu mir.“ Am Tag nach seiner Ankunft ging Rizal zur Augenklinik in der Bergheimer Straße und wurde von Professor Otto Becker als Assistent angenommen. Die Augenklinik gehörte nach der Berliner Charite zu den führenden Forschungsstätten in Österreich und Deutschland. Rizals größtes Interesse galt dem Augenspiegel. Der berühmte Professor Helmholtz hatte ihn in Königsberg erfunden und war jetzt Ordinarius in Heidelberg. Mit dem Augenspiegel konnte man erstmals die Strukturen hinter der Linse untersuchen. Professor Becker vermittelte ihm aktuelle Erkenntnisse in der Augenheilkunde in einer erst vor 8 Jahren eröffneten, sehr modernen Klinik. Bis zum ersten Weltkrieg galt diese Klinik sogar weltweit als Musterbeispiel für moderne Krankenhausarchitektur und Krankenbehandlung. Das Vorlesungsangebot deckte alle Aspekte der seinerzeit bekannten Augenkrankheiten ab. Rizal nahm an den klinischen Untersuchungen teil und beschäftigte sich mit der Physiologie des Auges, der Sehfähigkeit und der Farbwahrnehmung bei gesunden und kranken Menschen. Außerdem besuchte er juristische Vorlesungen. Erstmals erfuhr er auch von Bunsens und Kirchhoffs Spektralanalyse. Der berühmte Literaturphilosoph Kuno Fischer las in diesem Semester über die Lyrik der Romantik. Möglicherweise war dies eine Anregung für Rizal, in Heidelberg ein berühmt gewordenes Gedicht zu schreiben. Erklärung und Rezitation durch Elke Hack-Ullmer. Rizal schrieb das Gedicht am 22.April 1886, also vor 125 Jahren. Es entstand an einem besonders schönen Frühlingstag und erschien unter dem Namen „ An die Blumen von Heidelberg“, was vielfach missverstanden wurde als eine Hymne auf Heidelberg. Das erweist sich schnell als Irrtum, wenn man Rizals Gedicht aufmerksam liest. Auf einem langen Spaziergang in der Morgenfrühe erlebt er mit allen Sinnen die Schönheit der Heidelberger Umgebung ( Neckarufer, Schloss, Königstuhl ). Dadurch inspiriert, denkt er intensiv an seine Heimat. Sein Heimweh wird übermächtig. Er verspürt das Verlangen sich mitzuteilen. Für „den stillen Wanderer“, als den er sich bezeichnet, werden die „fremden Blumen“, die er auf seinem Spaziergang sieht, zu Ansprechpartnern. Alle acht Strophen legen davon in der ersten Zeile Zeugnis ab. Rizal bittet „die fremden Blumen“, Botschaften in seine Heimat zu tragen und seine Landsleute wissen zu lassen, daß er sich ihnen in der Fremde in jedem Augenblick in Liebe

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verbunden fühlt. Das hat er in sehr poetischen Versen zum Ausdruck gebracht. A las Flores de Heidelberg – An die Blumen von Heidelberg Von Dr. Jose Rizal, auf Spanisch, am 22. April.1886 Übertragen ins Deutsche von Elke und Fritz Hack-Ullmer Reist in die Heimat, fremde Blumen, die ihr des Wandrers Weg gesäumt. Reist dorthin, wo er seine Lieben beschützt vom blauen Himmel weiß. Erzählt vom Pilger in der Ferne, der sich nach seiner heimatlichen Erde sehnt. Geht Blumen, und erzählt vom ersten Sonnenstrahl, der am kühlen Neckarufer eure Blüten öffnete und schimmernd durch die Nebelschleier Wald und Flur erwachen ließ. Hier noch in der Morgenröte, läßt sie daheim schon den Zenit erglühn. Erzählet, wie dieser Wanderer, noch ehe jener Tag sich neigte, am Wegesrain, am Neckarufer, in Waldes Schatten und des Schlosses alten Mauern euch Blumen brach. Erinnert auch, was er euch sagte, als er behutsam eure welken Blätter geliebten Bücherseiten anvertraut. Tragt meine Liebe in die Heimat, bringt ihrer Erde, die so reich an Früchten, Frieden, Vernunft den Männern, Klugheit ihren Frauen, Gesundheit allen guten Menschen, die der Geborgenheit des Vaterhauses sicher sind.

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Erreicht ihr Blumen dann den Strand, so laßt die Flügel einer Brise den Kuß, den ich euch gebe, weitertragen, daß er als Zeugnis meiner Liebe berühre, was mir lieb und heilig ist. Doch ach, ihr Blumen wisset: Fern der heimatlichen Erde, der das Leben ihr verdankt, verlieret ihr den Duft, auch wenn eure Farben leuchten. Denn der Duft ist eure Seele, die den Himmel, unter dem sie sich entfaltet, nie vergessen noch verlassen kann. Wenn Goethes Faust im Eingangsmonolog über sein „mit heißem Bemühen“ betriebenes Lernen spricht, war dieses Studium Generale in jenen Tagen keinesfalls eine Besonderheit. Auch Rizal konnte - wie wir gehört haben - auf eine exzellente, vielseitige, mit Leidenschaft betriebene Ausbildung zurückblicken. Während seines kurzen Lebens hatte er gelernt Latein, Griechisch, Spanisch, Französisch, Deutsch, Englisch und Tagalog fließend zu sprechen und zu schreiben. Bei seinen Wanderungen im Odenwald traf er im April 1886 den protestantischen Pfarrer Karl Ullmer. Dieser war Liberaler und gehörte zur Gründergeneration der Heidelberger Burschenschaft Frankonia. Zeitlebens fühlte er sich der Revolution in Baden, dem Frankfurter Parlament und der Demokratie verpflichtet. Das zeigte sich auch in seinem äußeren Habitus. Wie seine Gesinnungsfreunde hatte er geschworen, einen Vollbart so lange zu tragen, bis die Demokratie in Deutschland Wirklichkeit geworden sei. Als aufmüpfiger Vikar kam er mit seinem Schäferhund in die Kirche und hielt die Wochenendpredigten nach eigenem zeitlichem Ermessen. Seine Dienstherren waren verständlicherweise „ not amused“, obwohl die Zahl der Gottesdienstbesucher nachweislich erheblich zugenommen hatte. Nachdem sich Ullmer auf 37 Pfarrstellen beworben hatte, erhielt er endlich nach siebeneinhalb Jahren als Vikar eine Pfarrstelle im ärmlichen

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Wilhelmsfeld, einem badischen Odenwalddorf, das finanziell nur die niedrigste Besoldungsstufe anbieten konnte. Als Rizal Ullmer traf, erzählte er ihm von seinen Schwierigkeiten, gutes Deutsch zu lernen, und auch von finanziellen Engpässen, da der Wechsel aus Manila ausgeblieben war. Die Verständigung erfolgte auf Latein, das beide fließend beherrschten. Ullmer lud ihn ein, im Wilhelmsfelder Pfarrhaus Quartier zu nehmen. Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft mit ihm, seiner Frau Marie und den Kindern Fritz, unserem Großvater, und der 17jährigen Eta. Rizal wurde herzlich aufgenommen, hatte vom ersten Tag an Teil am Familienleben und auch an der täglichen Arbeit in Haus und Garten. Zur Feier seines 25sten Geburtstages wünschte er sich Reis, damals in Wilhelmsfeld ein exotisches Nahrungsmittel, Hühnchen und Burgunderwein. Sichtlich genoss er die entspannte und zugleich anregende Atmosphäre im Pfarrhaus. Es existieren zahlreiche Bildergeschichten - heute würden wir Cartoons sagen -, die Rizal in Anlehnung an Wilhelm Busch von der ganzen Familie gezeichnet hat. Täglich brachte Ullmer dem hochbegabten Rizal Deutsch bei. Als Fibel benutzte der Schillerverehrer dessen Werk „Wilhelm Tell“. Mittels Latein und Griechisch gelang es Ullmer, Rizal für das große Freiheitsthema in Schillers Drama zu begeistern. Wenige Wochen danach übersetzte Rizal in Leipzig dieses Werk in seine Muttersprache Tagalog. Den sozialkritischen und satirischen Roman „ Noli me tangere“, den Rizal in Madrid fast vollendet hatte, überarbeitete er in Wilhelmsfeld grundlegend und nahm viele Schärfen heraus. Ursache war die Freundschaft seines Gastgebers mit dem katholischen Priester Heinrich Bardorf aus Schriesheim, die ihn tief beeindruckt hatte. Regelmäßig trafen sich die beiden Pfarrer in einem Gasthaus zum Stammtisch, wo fröhlich gezecht und gespeist wurde. Rizal war selbstverständlich eingeladen. Ihm imponierte der gegenseitige Respekt und die Unvoreingenommenheit, mit der selbst drängende religiöse Fragen ohne Verletzungen diskutiert wurden. Den Titel des Romans „ Noli me tangere“ hatte Rizal aus dem Johannesevangelium übernommen, in den Augen der Mönche und Kirche eine reine Gotteslästerung, denn Rizal bezieht sich nicht auf den rettenden Erlöser nach seiner Auferstehung bei der Begegnung mit Maria und Magdalena, sondern auf die unheilige und fortschrittsfeindliche Herrschaft der Mönche. Er vergleicht sie mit einem Krebsgeschwür, an das zu rühren lebensgefährlich sei.

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Aus Rizals Roman möchte ich zwei Stellen zur Lage der Einheimischen vorlesen. Worte des Paters Damaso: „Wenn ein Indio auf der Gasse einem Pfarrer begegnet, beugt er sein Haupt und bietet seinen Nacken dar, damit der sich darauf stützen kann. Wenn der Pfarrer und der Indio beide zu Pferde sind, hält der Indio an und nimmt ehrerbietig die Kopfbedeckung ab. Schließlich, wenn der Indio zu Pferd und der Pfarrer zu Fuß ist, steigt der Indio ab und sitzt nicht wieder auf, bis er ein gutes Stück entfernt ist. Das sagen die heiligen Verordnungen, und wer nicht gehorcht, wird exkommuniziert.“ „ Und wenn er auf dem Wasserbüffel sitzt?“ fragt ein Bauer, der es genau wissen wollte, seinen Nachbarn. „Dann macht er, dass er weiterkommt“. Die andere Stelle, auch wieder die Aussage eines Mönches: „Leidenschaftlich liebe ich die Indios, ihr Verteidiger und Vater bin ich geworden, aber Ordnung muss sein. Die einen sind zum Herrschen geboren, die anderen zum Dienen. Das darf man natürlich nicht laut sagen, es aber dennoch in die Tat umsetzen“… „Wenn sie ein Volk unterwerfen wollen, müssen sie es überzeugen, dass es nur dazu taugt, beherrscht zu werden. Am ersten Tag wird es darüber lachen, am zweiten protestieren, am dritten werden ihm Zweifel kommen, und am vierten wird es überzeugt sein. Man muss dem Philippino einbläuen, dass er zu nichts taugt. Was hätte er denn davon, wenn er sich anders besänne und dabei nur Schaden nähme? Glauben sie mir, es ist ein Akt der Nächstenliebe.“ Die Beurteilung des Buches, die die Dominikaner dem Generalgouverneur vorlegten, lautet: „ Das Werk ist ketzerisch und skandalös in religiöser Hinsicht, antipatriotisch und subversiv hinsichtlich der öffentlichen Ordnung, politisch beleidigend für die spanische Regierung und ihre Verwaltung auf diesen Inseln.“ Rizal schreibt später im Rahmen langer schriftlicher Diskussionen während seiner 4 jährigen Verbannung nach Dapitan auf der Insel Mindanao an den Jesuitenpater Pastells: „ Vernunft allein weiß, wie man eigene Fehler korrigieren kann. Niemand kann den Glauben eines Mitmenschen beurteilen, wenn er dabei seinen eigenen Glauben zur Norm erklärt. Nur Gott allein kann über die komplexe Fragen des rechten Glaubens richten.“ Dabei bezieht sich Rizal auf die von ihm erlebte Freundschaft der beiden Pfarrer aus dem Odenwald: „Sie zeigten mir erstmals in meinem Leben, wie man christliche Nächstenliebe üben kann. Sie sahen sich als zwei

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Diener des gleichen Herrn. Statt ihre Zeit mit Streiten zu vertun, überließen sie es Gott zu beurteilen, wer seinen Willen genauer befolgt hatte.“ Rizal schloss daraus: „Es ist eine der Hauptaufgaben der Religion, die Menschen nicht zu unversöhnlichen Feinden, sondern zu friedlichen Brüdern zu machen“ Pastells antwortet: „ Die protestantische Erlaubnis zur persönlichen Entscheidung bei der Interpretation der Bibel im Gegensatz zur unbestreitbaren Führung in diesen Fragen durch die katholische Kirche hat bei Rizal zu einer Überbewertung der Vernunft und zu einer Vergötterung der Ideale der französischen Revolution geführt. Der katholische Pastor aus Schriesheim hat seinen gesunden Menschenverstand als Katholik verloren. Moralische, politische und soziale Irrtümer können von der Kirche nicht geduldet werden.“ Pastells wirft Rizal vor, er sei zum Protestantismus konvertiert. Dieser antwortet: „ Rizal ein Protestant, ich muss lachen, verehrter Vater, ich kann mich nur deshalb zurückhalten, weil ich Sie verehre und Ihre Ansichten respektiere. Ich wünschte mir, Sie hätten bei den Diskussionen und Gesprächen in der Einsamkeit des Odenwaldes dabei sein können. Wir sprachen langsam und überlegt. Wir wählten die Freiheit der Rede. Wir tauschten unsere Gedanken aus, sprachen über die Mitmenschen und ihre sittlichen Werte und den Einfluss des Glaubens auf ihr Leben. Dort herrschte ein tiefer Respekt für den guten Glauben des Andersdenkenden. Wir sprachen über die Eigenarten der Völker, deren unterschiedlichen Erkenntnisstand und natürlich auch über unseren Altersunterschied. Hier lebte ich endlich in einer Atmosphäre, wo ich mich an meiner Freiheit zur Selbstverantwortung freuen konnte.“ In diesen Zusammenhang gehört eine vergnügliche Anekdote. Die Freundschaft zwischen Bardorf und Ullmer und ihr Stammtisch in einem öffentlichen Gasthaus verärgerte einen Kirchgänger aus Wilhelmsfeld schon längere Zeit. Als nun Rizal noch hinzukam, beschwerte dieser sich beim Oberkirchenrat in Karlsruhe. „Wenn ein evangelischer Pfarrer mit einem katholischen Priester und einem Moslem in der Öffentlichkeit ein Glas Wein trinkt, so ist das ein Skandal. Pfarrer Ullmer kann so niemals in den Himmel kommen. Ullmers Antwort an seine Vorgesetzten: „Es stimmt, ich treffe mich regelmäßig mit meinem katholischen Amtsbruder. Es stimmt, ein malaiischer Augenarzt und praktizierender

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Katholik, kein Moslem, hat unserem Kreis angehört und uns leider inzwischen verlassen. Es stimmt nicht, dass wir ein Glas Burgunderwein trinken, es sind immer zwei, und ganz gelegentlich haben wir uns ein drittes Glas genehmigt. Ob das später einmal ein Hindernis für den Eintritt ins Paradies sein wird, überlasse ich vertrauensvoll der Entscheidung unseres gemeinsamen himmlischen Vaters.“ Im August verließ Rizal Heidelberg, vorher nimmt er noch an den Feierlichkeiten zum 500 jährigen Jubiläum der Universität teil. Beim Kommers der Korporationen saß Rizal mit seinem Gastgeber Karl Ullmer und dessen Sohn Fritz am Tisch der Heidelberger Franken. Auch dort wurde er wie bei den Schwaben freundlich willkommen geheißen: Von Vorurteilen konnte bei den Heidelberger Studenten 1886 nicht die Rede sein. Rizal blieb weitere sechs Monate in Deutschland. Er traf Sprachwissenschaftler in Leipzig und Berlin, außerdem den großen Philippinenforscher Professor Ferdinand Blumentritt aus Leitmeritz, der ihm in den schwierigsten Lebenssituationen zum engsten Freunde wurde, und den seinerzeit bereits weltberühmten Pathologen Professor Rudolf Virchow, der ihn zum Ehrenmitglied der Berliner anthropologischen Gesellschaft machte, eine damals unerhörte wissenschaftliche Ehre. Rizal bedankte sich mit einem Vortrag in deutscher Sprache über die Metrik in Tagalog-Versen. Der Roman „ Noli me tangere“ wurde 1887 in Berlin gedruckt. Ein philippinischer Freund kam für die Kosten auf. Rizal war wegen der immer geringer werdenden Unterstützung durch die bedrohte und verfolgte Familie fast zum Hungerkünstler geworden. Am 2.August 1887 kehrte er nach fünfjähriger Abwesenheit auf die Philippinen zurück. Sein Buch war in aller Munde, der Einfluß auf die freiheitsdurstigen Philippinos unerhört. Die Mönche waren außer sich. Der seinerzeit amtierende Generalgouverneur, der das Buch gelesen und verstanden hatte, stellte Rizal und seine Familie unter seinen persönlichen Schutz. Der Roman, der bereits auf dem Index stand, durfte wieder gelesen werden. Rizal konnte in Kalamba als Arzt tätig sein, seine Mutter erfolgreich operieren und einer großen Anzahl von Philippinos helfen, die durch eine Linsentrübung erblindet waren. Seit diesen Tagen galt er bei vielen seiner Landsleute als Heiliger, da er wie Jesus die Blinden wieder sehend machen konnte. Schon nach acht Monaten musste Rizal seine Heimat wieder verlassen, da sein Leben und

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das seiner Familie unter der Herrschaft des neuen Gouverneurs akut bedroht war. Zurück in Europa schrieb er seinen zweiten großen Roman „ El Filibisterismo“. Genau genommen ist es die Fortsetzung von „ Noli me tangere“. Das beherrschende Thema bleibt der Freiheitskampf der Philippinos, die sich von kolonialer Bevormundung lossagen wollen. Rizal geht trotz der ihm drohenden Verfolgung freiwillig nach Manila zurück und wird sofort wegen Wirkung und Symbolwert des neuen Werkes von der Verwaltung auf heimliches Betreiben der Mönche ohne gerichtliche Grundlage für vier Jahre in die südlichste Provinz verbannt. Dort forscht er, von aller Welt abgeschieden, als Zoologe: Er sendet an das naturwissenschaftliche Museum in Dresden drei bis dahin unbekannte Kleinreptilien, die heute seinen Namen tragen. Trotz der Deportation fordert er unerschrocken: „Gleichheit vor dem Gesetz, Vertretung im span. Parlament, Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit, sowie Anwendung der spanischen Verfassungsrechte in seiner Heimat bei gleichzeitiger Entmachtung der Mönchsorden. Noch wichtiger: Rizal bemühte sich während seiner Verbannung in vorbildlicher Weise, den Philippinos praktisches Wissen zu vermitteln: z.B. Schulen und Krankenstationen einzurichten, Wasserleitungen zu bauen, und er lehrte sie auch, hygienische Regeln zu beachten, wie er es von Virchow gelernt hatte. Dabei legte er stets selbst Hand an. Die tiefe Liebe zu seinem Vaterland war bei Rizal allgegenwärtig. Er hatte schon 1890 ethnologische Forschungen im Britischen Museum in London betrieben, um mehr Erkenntnisse über die Ursprünge der verschiedenen Stämme auf dem Inselarchipel zu gewinnen. Als 1896 in Manila der Aufstand ausbrach, musste er erkennen, dass die Rebellen ihn nicht verstanden hatten und in ihm ihren geistigen Anführer sahen und verehrten. Es nützte nichts, dass er dem vehement widersprach. Überzeugt davon, dass eine Revolution zu diesem Zeitpunkt keinen Erfolg haben konnte, setzte er auf die Erziehung der weitgehend ungebildeten Indios, auf Ausbildungsangebote, auf ihre Tugend und ihre Einsatzbereitschaft im Arbeitsleben. Eine Revolution „von unten“ lehnte er strikt ab. Kurz vor seinem Tode schrieb er: „ Die Sklaven von heute sind die Diktatoren von morgen“ Rizal ist in seinem großartigen Roman „ El Filibusterismo“ der Frage nachgegangen, unter welchen Umständen Gewalt zur Lösung politischer Probleme angebracht sein kann. Er hat das in hinreißenden Dialogen

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diskutiert. Rizal war katholisch, liebte das spanische Mutterland trotz aller Kritik, die er offen aussprach. Als er zum Tode verurteilt und öffentlich hingerichtet wurde, lautete die Botschaft des Regimes an alle Dissidenten, Rebellen und Demonstranten: „ Wir scheuen uns nicht, euren berühmtesten und klügsten zu töten, wir werden es mit jedem von euch tun.“ Zwei Jahre später hat Spanien die Philippinen endgültig verloren. Was Rizal den Philosophen Tasio im „Noli me tangere“ sagen läßt: „ Ich schreibe nicht für diese Generation, ich schreibe für eine andere Zeit“, trifft auch auf ihn zu. Alle Biographen Rizals sind sich einig, dass er intellektuell ein Europäer war. Nach der Hinrichtung am 30.12.1896 erschien am 15. Januar 1897 in der Frankfurter Zeitung der erste Nachruf von vielen in der europäischen Presse. Verfasst war er von seinem Freund Friedrich Ullmer aus Wilhelmsfeld. Wir dürfen mit Freude, Stolz und Dank feststellen: Der Weltbürger Jose Rizal war auch ein Heidelberger und ein Wilhelmsfelder.

Fritz G. Hack (SS 1956)

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Pressemeldung der Philippinischen Botschaft

CDA Leah M. Basinang-Ruiz attends the Dr Jose Rizal lecture at Forum Allemannia Heidelberg Geschrieben von Philippine Embassy Webmaster Friday, 22. April 2011

CDA Ruiz posing in front of the University Eye Hospital with Professor Dr. Manfred Dietrich and Dr. Fritz Hack The Philippine Embassy’s CDA Leah M. Basinang-Ruiz was invited to deliver the introductory remarks during the lecture entitled “Dr. Jose Rizal - Doctor and Freedom Fighter – his time in Heidelberg” held at the Forum Allemannia Heidelberg on 20 April 2011. The lecture, organized by Prof. Dr. Manfred Dietrich (Honorary Consul of Uganda), was presented by Dr. Fritz G. Hack, the great grandson of Pastor Dr. Karl Ullmer who hosted Dr. Rizal’s sojourn in Wilhemsfeld in 1886, where he completed his novel Noli Me Tangere.

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It was attended by members of the Burschenschaft Allemannia, a student fraternity founded since 1856, a number of Filipino community members, and German friends and admirers of Dr. Rizal. In her remarks prior to the lecture, CDA Ruiz informed the audience of the yearlong activities in the Philippines to commemorate the 150th birth anniversary of Dr. Rizal, which included the exhibition on 8-10 June 2011 at the Philippine National Library of original Rizal items donated to the Philippine Government by Dr. Fritz Hack and his older brother Dr. Hans Hack. She also highlighted the restoration work to be undertaken by two professional German conservators on 27 April – 13 May 2011 of the two novels of Dr. Rizal Noli Me Tangere and El Filibusterismo, his poem Mi Ultimo Adios, and his Tagalog translation of the play “William Tell” by Friedrich Schiller. The project is funded by the German Government through the Goethe Institut Philippines and participated in by Deutsche Literaturarchiv Marbach and Universitat Munster. The restored manuscripts will be presented during the commemorative ceremony on 19 June 2011 at Dr. Rizal’s hometown Calamba in Laguna. CDA Ruiz noted that the Forum Allemannia Heidelberg lecture is the first of the commemorative activities that are expected to take place in Germany. She also outlined similar activities that will take place in Berlin, notably the Symposium on Rizal on 14 June 2011 that is co-organized by the Philippine Embassy and the Humboldt University. As a special feature of her visit, Professor Dr. Dietrich, Dr. Fritz Hack and Dr. Hans Hack, gave her and her husband Ricardo a brief tour of the places where Dr. Rizal lived in or frequented during his sojourn in Heidelberg and Wilhemsfeld. Forum Allemannia Heidelberg, a liberal forum, organizes at irregular intervals public lectures, discussion forums, and symposiums for students and citizens of Heidelberg, on various current topics/issues. It is supported by the Burschenschaft Allemannia, a student’s fraternity founded in 1856, whose members are renowned natural scientists, physicians, theologians, lawyers, economists, sociologists, professors, poets and liberal writers.

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CDA Ruiz posing with the brothers Hack and her husband Ricardo, with the hills of Heidelberg in the background

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