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Shabbat Dinner in Jerusalem Freitag letzter Woche habe ich an einem jüdischen Shabbat-Gottesdienst in einer Synagoge in West Jerusalem teilgenommen. Nach dem Gottesdienst lädt mich eine jüdisch-israelische Familie zum Shabbat Dinner ein. Eine gute Gelegenheit für mich um das Gespräch mit jüdischen Israelis zu suchen. Ich betone, dass sie jüdisch sind, weil es auch 1,5 Mio. palästinensische Israelis gibt (weit überwiegend Muslime), die mit israelischem Pass in Israel leben. Meine Gastgeber sind 1994 aus den USA nach Israel eingewandert und leben jetzt in West Jerusalem. Der Ehemann ist im Computerbusiness tätig, seine Frau aus einer orthodoxen Familie und Lehrerin an einer Grundschule für jüdische und palästinensische Israelis (beide Schülergruppen also Bürger von Israel, nicht aus der Westbank). Ich werde nach meiner Arbeit in Palästina gefragt und antworte zurückhaltend, wohlwissend wie sensibel das Thema Westbank in Israel ist. Natürlich war kein Mitglied dieser Familie je in Palästina, weil Palästina als extrem gefährlich gilt. Ob es den Palästinensern dort gut gehe? Nein, sie sind eingesperrt in die Westbank, müssen Papiere für die Ausreise nach Israel (auch für Jerusalem) beantragen und bekommen diese nur, wenn sie nicht auf einer der unzähligen (106!) schwarzen Listen stehen. Viele sind arm, leben auf dem Land in Zelten und in Höhlen. Die 13 jährige Tochter ist entsetzt. In Höhlen? Warum helfen wir denen nicht? Ich erzähle, dass die Stromleitungen der jüdischen Siedlungen in der Westbank über die palästinensischen Dörfer hinweggehen ohne diese anzuschliessen, dass immer wieder Zisternen, Ställe, Zelte und Häuser der Palästinenser von der israelischen Armee zerstört werden, angeblich weil die Sicherheit jüdischer Siedler dies erfordere oder weil ohne Genehmigung gebaut worden sei. Ich frage, ob ich vor den Kindern offen berichten soll. Selbstverständlich. Also erzähle ich von meinem Erlebnis am zweiten Weihnachtstag in Yatta. Ein Anruf von einem unserer „local contacts“: Die israelische Armee ist in der Stadt. Um es zu wiederholen, Yatta liegt in der Westbank und innerhalb der Westbank in Area A, einem Gebiet, für das nach den Osloer Verträgen allein die Palästinensische Autonomie- behörde zuständig ist. Was hat das israelische Militär hier zu suchen? Aber stellt sich Israel je die Frage nach der Rechtslage? 6 bis 7 Fahrzeuge versammeln sich auf einem Hügel gegenüber unserer Wohnung, ca. 500 m Luftlinie entfernt. Wir hören Schüsse und laufen los. Unsere Aufgabe ist es, Augenzeugen solcher Vorfälle zu sein. Rauchschwaden von Tränengas ziehen durch die Strassen. Wir versuchen uns von verschiedenen Seiten den Militärfahrzeugen zu nähern um herauszufinden, was passiert. Eine Horde junger Palästinenser folgt uns. Sobald die Soldaten diese auf sich zu laufen sehen, reagieren sie mit Tränengas und Soundbombs.

Journalist Monika Roell on Rabbis for Huamn Rights work in Israel and Palestine

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Journalist Monika Roell on Rabbis for Huamn Rights work in Israel and Palestine (German )

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Page 1: Journalist Monika Roell on Rabbis for Huamn Rights work in Israel and Palestine

Shabbat Dinner in JerusalemFreitag letzter Woche habe ich an einem jüdischen Shabbat-Gottesdienst in einer Synagoge in West Jerusalem teilgenommen. Nach dem Gottesdienst lädt mich eine jüdisch-israelische Familie zum Shabbat Dinner ein. Eine gute Gelegenheit für mich um das Gespräch mit jüdischen Israelis zu suchen. Ich betone, dass sie jüdisch sind, weil es auch 1,5 Mio. palästinensische Israelis gibt (weit überwiegend Muslime), die mit israelischem Pass in Israel leben. Meine Gastgeber sind 1994 aus den USA nach Israel eingewandert und leben jetzt in West Jerusalem. Der Ehemann ist im Computerbusiness tätig, seine Frau aus einer orthodoxen Familie und Lehrerin an einer Grundschule für jüdische und palästinensische Israelis (beide Schülergruppen also Bürger von Israel, nicht aus der Westbank). Ich werde nach meiner Arbeit in Palästina gefragt und antworte zurückhaltend, wohlwissend wie sensibel das Thema Westbank in Israel ist. Natürlich war kein Mitglied dieser Familie je in Palästina, weil Palästina als extrem gefährlich gilt. Ob es den Palästinensern dort gut gehe? Nein, sie sind eingesperrt in die Westbank, müssen Papiere für die Ausreise nach Israel (auch für Jerusalem) beantragen und bekommen diese nur, wenn sie nicht auf einer der unzähligen (106!) schwarzen Listen stehen. Viele sind arm, leben auf dem Land in Zelten und in Höhlen. Die 13 jährige Tochter ist entsetzt. In Höhlen? Warum helfen wir denen nicht? Ich erzähle, dass die Stromleitungen der jüdischen Siedlungen in der Westbank über die palästinensischen Dörfer hinweggehen ohne diese anzuschliessen, dass immer wieder Zisternen, Ställe, Zelte und Häuser der Palästinenser von der israelischen Armee zerstört werden, angeblich weil die Sicherheit jüdischer Siedler dies erfordere oder weil ohne Genehmigung gebaut worden sei.

Ich frage, ob ich vor den Kindern offen berichten soll. Selbstverständlich. Also erzähle ich von meinem Erlebnis am zweiten Weihnachtstag in Yatta. Ein Anruf von einem unserer „local contacts“: Die israelische Armee ist in der Stadt. Um es zu wiederholen, Yatta liegt in der Westbank und innerhalb der Westbank in Area A, einem Gebiet, für das nach den Osloer Verträgen allein die Palästinensische Autonomie-behörde zuständig ist. Was hat das israelische Militär hier zu suchen? Aber stellt sich Israel je die Frage nach der Rechtslage? 6 bis 7 Fahrzeuge versammeln sich auf einem Hügel gegenüber unserer Wohnung, ca. 500

m Luftlinie entfernt. Wir hören Schüsse und laufen los. Unsere Aufgabe ist es, Augenzeugen solcher Vorfälle zu sein. Rauchschwaden von Tränengas ziehen durch die Strassen. Wir versuchen uns von verschiedenen Seiten den Militärfahrzeugen zu nähern um herauszufinden, was passiert. Eine Horde junger Palästinenser folgt uns. Sobald die Soldaten diese auf sich zu laufen sehen, reagieren sie mit Tränengas und Soundbombs.

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Ich erkenne später als die Palästinenser, wohin die Geschosse gehen, und starte zweimal zu spät. Die Lunge füllt sich mit dem Gas und ich spüre leichte Panik. Aus einem Haus reicht mir eine Palästinenserin eine halbe frische Zwiebel, die ich beim Einatmen dicht vor die Nase halte. Das nimmt die beissende Wirkung des Gases. Wir kommen bis ca. 50 m an die Soldaten heran, die ihre Waffen im Anschlag haben. Ich gehe langsam und gut sichtbar auf einen von ihnen zu und rufe ihm auf englisch zu, was hier passiert. Er reagiert nicht. Also klettern wir auf ein Hausdach und sehen von dort, dass die Soldaten in ein Haus eindringen. Sie drehen alles um, zerstören die Möbel, werfen sie teilweise aus dem Haus und gehen dann mit einem Pickel und einer Eisenstange auf eine Betonplatte neben dem Haus los.

Später höre ich, dass dies das Grab von Mutter und Schwester ist. Offenbar suchen sie dort nach Waffen. Einen Mann verhaften sie. Die Soldaten sind noch nicht weg, da wird das Grab notdürftig wieder abgedeckt. Die Schändung eines Grabes wiegt schwer, auch bei den Muslimen. Mit meinen drei Kollegen sind wir die einzigen Ausländer vor Ort. Ich habe meine Kamera dabei und werde unmittelbar nach Abzug der Soldaten in das Haus geführt. Die Palästinenser legen Wert darauf, dass alle Verletzungen ihrer Rechte dokumentiert werden. Eine schwangere junge Frau im Haus wirkt verstört. Es ist ihr Mann, den die Soldaten verhaftet und mitgenommen haben.

Die jüdische Familie hört aufmerksam zu, die jüngeren Kinder (10 und 13 Jahre) sind entsetzt über meinen Bericht. Der 16 jährige reagiert verunsichert. Er hat seinen 3-jährigen Militärdienst vor sich. Zwischen den Eltern entbrennt eine heftige Diskussion. Sie ist der Ansicht, dass die israelische Armee in der Westbank nichts zu suchen habe. Er hingegen hat Militärdienst in Hebron/Palästina geleistet und vertritt die hier gängige Meinung, dass aus Sicherheitsgründen das israelische Militär immer berechtigt ist einzugreifen, auch in der Westbank, ausserhalb der Grenzen Israels. Was denn die palästinensische Polizei getan habe, fragt er mich provokativ. Die palästinensische Polizei hat einen Anruf von den Israelis erhalten, die israelische Armee sei auf dem Weg in die Stadt und man solle im Office bleiben und sich ruhig verhalten...

Wir beten zum Ende des Dinners nach jüdischem Ritual, lesen einen Teil aus „Mizmor Shir“... May the Merciful break the yoke of our exile off of our necks and lead us in dignity to our land...

Monika13. Januar 2013