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150 YEARS STORIES ISBN: 978-3-909111-87-9 150 YEARS STORIES Mammut Sports Group AG 150 Jahre Mammut: Das international tätige Schweizer Bergsportunter- nehmen gehört damit zu den traditionsreichsten seiner Art. In 150 Beiträ- gen beleuchtet die Jubiläumspublikation die Geschichte des Bergsports, porträtiert einige der wichtigsten Protagonisten und gewährt einen ex- klusiven Blick hinter die Kulissen von Mammut. Die 150 Geschichten stammen und handeln von Mammut-Athleten wie Stephan Siegrist und Josh Wharton, Bergsportgrössen wie Reinhold Messner und Oswald Oelz, Alpinisten wie Adolf Ogi und Bernhard Russi, Journalistinnen wie Karin Steinbach Tarnutzer und Caroline Fink sowie Alpinfotografen wie Robert Bösch und Thomas Ulrich. Aus jedem der 150 Beiträge aller Disziplinen und Epochen des Berg- steigens spricht eine Philosophie: Bei Mammut werden nicht nur Jacken, Seile oder Karabiner verkauft, sondern auch Träume. 150 www.mammut.ch

Jubiläumsbuch 150 Jahre Mammut Leseprobe

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DE 2012 feiert der Schweizer Bergsportausrüster Mammut sein 150. Bestehen. Zu diesem Anlass hat Mammut zusammen mit dem AS-Verlag 150 Geschichten bekannter Autoren zum Thema Alpinismus und Outdoorsport zusammengetragen. In dem faszinierenden Text- und Bildband werden auf 240 Seiten zahlreiche Aspekte des Bergsports beleuchtet. Die Beiträge stammen aus der Feder von bekannten Alpinisten, Journalisten und Insidern und machen den Band so zum absoluten Muss für lesehungrige Bergsportler – albsolute alpine! - Herausgeber: Mammut Sports Group AG - Titel: Mammut 150 years – 150 stories - Erhältlich bei Mammut oder im Buchhandel - ISBN: 978-3-909111-87-9 (deutsch) - ISBN: 978-3-909111-88-6 (englisch)

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Page 1: Jubiläumsbuch 150 Jahre Mammut Leseprobe

150YEARSSTORIES

ISBN: 978-3-909111-87-9

150

YEARS

STORIES

Mam

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po

rts

Gro

up

AG

150 Jahre Mammut: Das international tätige Schweizer Bergsportunter-

nehmen gehört damit zu den traditionsreichsten seiner Art. In 150 Beiträ-

gen beleuchtet die Jubiläumspublikation die Geschichte des Bergsports,

porträtiert einige der wichtigsten Protagonisten und gewährt einen ex-

klusiven Blick hinter die Kulissen von Mammut.

Die 150 Geschichten stammen und handeln von Mammut-Athleten wie

Stephan Siegrist und Josh Wharton, Bergsportgrössen wie Reinhold

Messner und Oswald Oelz, Alpinisten wie Adolf Ogi und Bernhard Russi,

Journalistinnen wie Karin Steinbach Tarnutzer und Caroline Fink sowie

Alpinfotografen wie Robert Bösch und Thomas Ulrich.

Aus jedem der 150 Beiträge aller Disziplinen und Epochen des Berg-

steigens spricht eine Philosophie: Bei Mammut werden nicht nur Jacken,

Seile oder Karabiner verkauft, sondern auch Träume.

150

www.mammut.ch

AS_Mammut_Umschlag:Jubi-Buch 9.9.2011 16:13 Uhr Seite 1

Page 2: Jubiläumsbuch 150 Jahre Mammut Leseprobe

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und Material.

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und für die Verwendungvon Steigeisen absolut

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Schaumstoffedienen der Polsterung sowie

der individuellen Formgebung undsind verantwortlich für bequeme

Passform und Dämpfung.

150 Paar Mamook GTX generieren in der Produktion einen Zeitauf-

wand, der drei Wochen Ferien entspricht.

Werden alle einzelnen Bestandteile eines Paars Mamook GTX

aneinandergereiht, entspricht dies einer Länge von 12,4 Metern.

Multipliziert man nun die Menge aller verkauften Mamooks seit Be-

stehen von Mammut Footwear (Frühling 2009) mit dieser Länge,

ergibt sich eine Distanz von 124 Kilometern, die der Strecke

Zürich–Bern entspricht.

Ein Mamook GTX besteht aus 103 Einzelteilen. Multipliziert man

diese Einzelteile mit der Menge aller verkauften Mamooks seit Be-

stehen von Mammut Footwear (Frühling 2009), würde jeder Ein-

wohner und jede Einwohnerin der Stadt Genf je ein Mamook-Teil

erhalten (= 206 000 Einzelteile).

Die Fläche aller verarbeiteten Materialien eines Mamook GTX

beträgt 0,6213 Quadratmeter, also 1,2426 Quadratmeter pro Paar.

Multipliziert man diese Fläche mit der Anzahl der bis zum Sommer

2012 produzierten Mamooks, ergibt sich eine Gesamtfläche von

12 426 Quadratmetern. Diese wiederum entspricht der Fläche von

zwei Fussballfeldern.

ZERLEGTReto Rüegger l Frauenfeld/Schweiz

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Page 3: Jubiläumsbuch 150 Jahre Mammut Leseprobe

gust zwei weiteren Längen einer unvollendeten Route in den

Col de los Sueños zwischen Torre Egger und Punta Herron. Zwei

neue Seillängen brachten uns anschliessend auf die bestehende

Route «Titanic» von 1987. Die Sonne, die nun für ein paar wenige

Stunden in die Wand schien, erfreute unsere Herzen – und unsere

Hände, denn nun folgte die Route einer Risslinie, die, wie im Win-

ter zu erwarten, mit Eis gefüllt war. Um Griffe zu finden oder

Sicherungen zu legen, musste ich immer wieder mit dem Hammer

das Eis vom Fels schlagen. Die Kletterei war teilweise recht an-

spruchsvoll, doch von erlesener Schönheit. Thomas – nicht nur be-

kannter Bergfotograf, sondern auch starker Bergsteiger – sorgte

zwischendurch für Aufregung, als er einen 2 auf 2 Meter grossen

Schneeblock aus einemWinkel der Route entfernen wollte und mit-

samt den Schneemassen einen bis auf eine zerbrochene Sonnen-

brille folgenlosen 7-Meter-Flug hinlegte.

Als wir zum Beginn einer langen Traverse kamen, dämmerte es

schon wieder. Wind setzte ein, und es wurde bitterkalt. Ein guter

Biwakplatz war nicht vorhanden, und um die Nacht nicht in unse-

ren Klettergurten hängend verbringen zu müssen und dabei völlig

auszukühlen, beschlossen wir, durch die Nacht weiterzuklettern.

Das hatte ausserdem den Vorteil, dass wir Zeit gewannen – bei den

schnellen Wetterumschwüngen in Patagonien kann jede Stunde

über den Gipfelerfolg entscheiden. Die normalerweise leichte Klet-

terei über die Felsrampe erwies sich als extrem anspruchsvoll. Das

sich durch den senkrechten Granitpanzer ziehende schmale Fels-

band war mit Pulverschnee und Eis überdeckt und machte die

Kletterei im Licht unserer Stirnlampen zu einem wackligen Tanz.

Nachts um halb vier, nach 22 Stunden Kletterei, erreichten wir

den Beginn des Gipfeleispilzes. Das aus Anraum bestehende Ge-

bilde ist für die Gipfel der Cerro-Torre-Gruppe typisch, weltweit

aber ziemlich einzigartig. Man stelle sich einen Tiefkühler vor, den

man nach Jahren wieder einmal entfrosten müsste, multipliziert

das Eis mit Hunderten von Kubikmetern, formt daraus einen Pilz

und setzt ihn auf einen Felssockel. Der Eispilz bildet die letzte

Bastion auf dem Weg zum Gipfel und ist von den Kletterern als

bergsteigerischer Albtraum gefürchtet, da die Kletterei einem un-

gesicherten Hinaufwühlen in senkrechtem Pulverschnee gleicht.

Für diese letzten Seillängen brauchten wir definitiv Tageslicht, aus-

serdem waren wir mit unseren Kräften am Ende. Also gruben wir

uns einen Sitz in den steilen Schnee und verbrachten 4 Stunden im

Schlafsack, das Zelt über uns gestülpt, um den mittlerweile star-

ken Wind abzuhalten. Jeder von uns dreien hing in diesen Stunden

im Halbschlaf dunklen Gedanken nach, wie es wäre, knapp unter

dem Gipfel in einen patagonischen Sturm zu geraten.

Langsamwurde es hell. Der Wind hatte an Intensität nicht nach-

gelassen, der Himmel war mit Zirren bedeckt – Anzeichen eines

Wetterwechsels. So kurz unter dem Gipfel wollten wir aber nicht

aufgeben und machten uns so schnell wie mit unseren klammen

Fingern möglich Richtung Gipfel auf. Ich wusste von einer frühe-

ren Begehung, dass es auf der Südseite des Pilzes einen Eiskanal

gegeben hatte. Falls der noch bestand, könnten wir den Gipfel

schnell und sicher erreichen.

Zu unserem Glück existierte er noch. Am 3. August 2010 um

die Mittagszeit standen wir zu dritt auf dem Torre Egger, nur eine

gute Woche nach unserem Abflug aus der Schweiz. Rund 12 Mo-

nate verbrachte ich in den letzten 18 Jahren beim Bergsteigen in

Patagonien, doch so schnelles und so grosses Glück hatte ich

noch nie!

Es war nicht wenig, was wir uns vorgenommen hatten: die erste

Winterbegehung des Torre Egger, des anspruchsvollsten Gipfels

in der patagonischen Cerro-Torre-Gruppe, der schon im Sommer

selten bestiegen wird. Wir planten eine reine Alpinstilbegehung,

ohne vorgängig Seile zu fixieren oder Material zu deponieren. Ein-

mal eingestiegen, wollten wir bis zum Gipfel durchklettern.

Thomas Senf aus dem Berner Oberland, Mario Walder aus

Osttirol, der Innerschweizer Daniel Arnold und ich erreichten

am Abend des 27. Juli 2010 El Chalten, den Ausgangspunkt für

die verschiedenen Basecamps in der Fitz-Roy- und Cerro-Torre-

Gruppe. Als wir erfuhren, dass sich in den kommenden Tagen ein

stabiles Hochdruckgebiet einstellen sollte, organisierten wir eiligst

das übrige Material und packten unsere Ausrüstung zusammen.

Mit schweren Rucksäcken marschierten wir bereits einen Tag

später auf Ski bei starkem Schneefall ins Campo Bridwell, unser

Basislager, und am Abend wieder zurück. Mario bekam so starke

Schmerzen im Knie, dass er die Expedition leider schon vor ihrem

eigentlichen Beginn abbrechen musste. So buckelten wir am

nächsten Tag zu dritt das restliche Gepäck ins Camp und trans-

portierten noch am gleichen Tag, teilweise auf Schlitten, das für

eine Winterbesteigung nötige Material in Richtung der Basis der

Torre-Egger-Ostwand.

Der viele Schnee, die Kälte (bis zu minus 25 Grad) und das kur-

ze Tageslicht (um 9.30 Uhr wurde es hell, um 18.30 wieder dunkel)

machten die Transporte anstrengend. Nach einer Nacht im Cam-

po Bridwell brachten wir eine erste Ladung an den Wandfuss,

durch teilweise hüfttiefen Neuschnee. Dann ging es wieder 3 Stun-

den zurück, wo wir eine sehr kalte Nacht im Campo Niponino

verbrachten. Wie immer war zu früher Morgenstunde Tagwache.

Bereits etwas angeschlagen von den anstrengenden Tagen und

dem noch nicht ganz überwundenen Jetlag, kämpften wir uns aus

unseren kleinen Zelten und standen unter einem sternenklaren

Himmel. Wir hatten noch nicht entschieden, ob wir einen Bestei-

gungsversuch starten oder die guten Tage zum Deponieren von

Material am Wandfuss nutzen sollten. Der Wetterbericht liess uns

nur eine kleine Chance auf einen Gipfelerfolg – wenn alles optimal

laufen würde. Andererseits wusste ich von vergangenen Patago-

nienreisen, dass es unsere einzige Chance auf ein Schönwetter-

fenster sein konnte.

Wir setzten alles auf eine Karte. Keiner sprach ein Wort, jeder

wusste, was zu erledigen war, bevor wir Richtung Gipfel starten

konnten. In unseren Fussstapfen vom Tag zuvor erreichten wir mit

dem restlichen Material am Schweizer Nationalfeiertag um 10 Uhr

morgens den Einstieg unseres Projekts. Das Wetter war perfekt:

windstill, die tief stehende Sonne von einem unwirklich blauen

Himmel scheinend, genau wie es uns Karl Gabl, Meteorologe aus

Österreich und Wettergott der Bergsteiger, prognostiziert hatte.

Die Kletterei folgte einer Eislinie, die sich bis zu einem Gletscher-

abbruch zwischen Cerro Standhardt und Torre Egger hinauf-

zog – ideal, um ein Camp aufzubauen, wie wir es geplant hatten.

Während unser «Eismeister» Dani noch zwei weitere Seillängen

kletterte, wobei ich ihn sicherte, begann Thomas bereits mit dem

Einrichten des Lagers.

Um die Kälte und den Wind in der Winternacht ertragen zu kön-

nen, waren wir mit Schlafsäcken und Biwakzelten ausgerüstet.

Aus dem halbwegs warmen Schlafsack herauszukriechen erfor-

derte jeden Morgen grosse Überwindung – in der sommerlichen

Schweiz war es 60 Grad wärmer gewesen! Wir folgten am 2. Au-

KLETTERN IM KÜHLSCHRANKStephan Siegrist l Torre Egger/Patagonien

70@

Page 4: Jubiläumsbuch 150 Jahre Mammut Leseprobe

Die Ansprüche an das Bildmaterial nahmen Schritt für Schritt

zu. Albert Wenk beauftragte mich, zwei starke Oberländer Klette-

rer in den Wendenstöcken zu fotografieren. Heinz und Ueli Bühler

hatten, von Mammut mit Material ausgerüstet, die Route «Bat-

man» erstbegangen, damals eine der schwierigsten Freikletterrou-

ten in diesem anspruchsvollen Klettergebiet. Wir kletterten die

Route, installierten Fixseile, und am nächsten Tag fotografierte ich

die beiden – ein Aufwand, den man bis anhin lediglich für Bilder

nicht auf sich nahm. Zunehmend wurden auch Shootings im be-

nachbarten Ausland durchgeführt. Noch in bester Erinnerung sind

mir zwei Fotoaufträge mit dem damals von Mammut gesponserten

französischen Spitzenkletterer Alain Robert in der Verdonschlucht.

Es ging um Seile: Ein riesiger Run-out und ein Mega-Sturz waren

die gewünschten Vorgaben. Alain Robert, den ich davor schon oft

bei wilden Free Solos fotografiert hatte und der für mich der Wahn-

sinnigste ist, der mir je über den Weg lief, war genau der richtige

Mann dafür. Die Aktion war haarsträubend und chaotisch – aber

am Schluss waren die Bilder im Kasten.

In den folgenden Jahren versuchte ich die Ansprüche, die man

an Fotos aus Felskletterrouten stellte, auch in die grossen kombi-

nierten Nordwände zu übertragen. Die Lauper-Route und später die

Heckmair-Route am Eiger waren Stationen in dieser Entwicklung.

Was damals Neuland war, ist heute eine Selbstverständlichkeit.

Inzwischen habe ich an keinem Ort so oft fotografiert und gefilmt

wie in der Eiger-Nordwand, in vielen weiteren Routen («Spit verdo-

nesque», «Deep Blue Sea», «Le Chant du Cygne», «The Young Spi-

der», «Pilz», «Paciencia»), mit den verschiedensten Leuten (Hansi

Kessler, Oswald Oelz, Kobi Reichen, Ueli Bühler, Robert und Danie-

la Jasper, Stephan Siegrist, Roger Schäli, Peter Schäffler, Marco

Büchel, Röbi Koller, Chäppi Ochsner, Ralf Dujmovits, Evelyne Bin-

sack, Hansruedi Gertsch, Thomas Kohler, Robi Marti, Bernhard

Russi, Heinz Müller und Ueli Steck). In den verschiedensten Vari-

anten: Als Bergsteiger bin ich etliche Routen geklettert, im Sommer

und im Winter. Als Fotograf habe ich unterschiedliche «Techniken»

angewendet: Ich habemich vomHeli per Longline in der Spinne ab-

setzen lassen, bin aus dem Stollenloch in die Wand gestiegen oder

an Fixseilen 800 Höhenmeter zum Spinnenbein hochgestiegen, ich

bin vom Wandfuss bis zum Ersten Eisfeld hinauf- oder vom Gipfel

zu den Ausstiegsrissen hinuntergeklettert. Manchmal von einem

zusätzlichen Partner gesichert, oft aber auch nur zu zweit undmeist

ungesichert. Manchmal relativ relaxed bei angenehmen Tempera-

turen und guten Verhältnissen, aber auch bei 100 Stundenkilome-

ter Sturm und 20 Minusgraden ums Überleben kämpfend.

Und dann, im November 2010, das «X»: das Mammut-X für

«X-trem» im Gipfeleisfeld der Eiger-Nordwand. Nicht das gefähr-

lichste, aber das aufwendigste Nordwand-Fotoprojekt. In einem

gewissen Sinn war die gesamte von Gabriel Peisker, einem der bei-

den Gründer der Agentur erdmannpeisker, ausgedachte Test-

kampagne der Höhepunkt einer langen Entwicklung. Ich war froh,

inzwischen auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung zurückgreifen zu

können, denn diese brauchte ich in jeder Beziehung, um den An-

forderungen gewachsen zu sein. Fotografisches Know-how war

genauso gefragt wie eine sehr gute Kenntnis der alpinen Locations

und das Wissen um das alpinistisch Machbare. Jedes einzelne Su-

jet bedeutete einen enormen Aufwand. Der eigentliche Shooting-

Tag war jeweils nur die Spitze des berühmten Eisbergs – und für

mich natürlich immer eine ziemliche Nervenprobe: Error was no

option. Dabei profitierte ich nicht nur von meinen Erfahrungen als

Fotograf und Bergsteiger, sondern auch von meinen guten Kon-

takten zu vielen hervorragenden Bergsteigern, Bergführern und

Heli-Piloten, die mit ihrem grossen Wissen und Können und der

Bereitschaft, auch erhebliche Verantwortung auf sich zu nehmen,

letztlich der Schlüssel waren, dass diese spannende Kampagne

überhaupt realisiert werden konnte.

Dass man jemals so viel Aufwand und Kosten in ein Bergsport-

Fotoprojekt stecken würde, hätte ich vor 20 Jahren, als ich mit

Albert Wenk und Kim Carrigan loszog, nicht nur nicht geträumt,

es wäre schlicht undenkbar gewesen. Aber wer hätte damals ge-

dacht, dass die Mammut einmal das sein wird, was sie heute ist!

einer meiner ersten richtigen Fotoaufträge, entsprechend nervös

war ich. Damals war kein aufwendiges Shooting angesagt, es

genügte, ein paar Meter neben der Strasse Model Kim im Vorder-

grund mit dem Steingletscher im Hintergrund zu positionieren.

Danach wurde es schon aufwendiger: Kletteraufnahmen mit dem

britischen Topkletterer Martin Atkinson am Tour d’Aï oberhalb von

Leysin (der Fotograf blieb aus Zeitgründen auf dem Boden), dann

Zeltaufnahmen am Rand eines Walliser Weinbergs (nicht sichtbar)

mit verschneiten Bergen im Hintergrund (sichtbar). Oder, oberhalb

von Grindelwald und unterhalb der Scheideggwetterhorn-Nord-

wand (unweit der Strasse), Bekleidungsaufnahmenmit Yves Remy.

Yves war eigentlich als Kletterer von Mammut gesponsert, aber ein

bisschen wandern konnte er auch. Dass wir das leise Rumpeln

hoch über uns nicht sofort ernst nahmen – eine tief hängende

Wolkendecke verhinderte den Blick zum Gletscherabbruch 1000

Meter höher –, wurde uns beinahe zum Verhängnis: Als die Eisla-

wine amWandfuss aufschlug und eine gewaltige Schnee- und Eis-

mauer auf uns zuschoss, unterbrachen wir unsere Fotoarbeiten

ziemlich Hals über Kopf, rannten Richtung Strasse und warfen uns

im letzten Moment mit einem Hechtsprung in einen Bachlauf. Die

Schneemassen rasten über uns hinweg, unser Auto, 500 Meter

vom Wandfuss entfernt, wurde auf der Bergseite komplett zu-

gekleistert. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass es bei einem

Shooting knapp wurde.

Ende der Siebzigerjahre war Mammut eine reine One-Man-Show:

Mammut, das war Albert Wenk. Benötigte man für eine geplante

Expedition Fixseile, hatte man ein defektes Steigeisen oder wollte

man sich über die Sohle eines Kletterschuhs informieren, wendete

man sich an Albert Wenk. Er wusste alles und bemühte sich um

alles. Ich kannte ihn aus der Zeit, als ich, sozusagen am Beginn

meiner «Bergsteigerkarriere», in der kleinen Werkstatt des Zürcher

Bergsportgeschäfts Eiselin zusammen mit Walti Müller, dem Frei-

kletterpionier der Schweiz, Ski präparierte. Hatte ein Kunde Pro-

bleme mit der Ausrüstung, die weder Walti Müller noch Filialleiter

Emil Schär lösen konnten, war klar, wen man anrief: Albert Wenk.

Etliche Jahre später hatte ich wieder mit Albert Wenk zu tun, als

ich oft mit Martin Scheel kletterte. Martin war einer der wichtigsten

Erschliesser alpiner Felsrouten und wurde von Mammut, also von

Albert Wenk, mit Material unterstützt. Als Martin und ich 1986 die

Route «Hannibals Alptraum» im Rätikon erstbegingen, wäre keiner

von uns auf die Idee gekommen, nochmals in die Wand zu gehen,

um zu fotografieren, obwohl es für die damalige Zeit eine ausser-

gewöhnliche Route war und Mammut uns dafür mit Material aus-

gerüstet hatte. Wir hatten während der Erstbegehung ein paar Bil-

der geschossen – aber die kennt man ja, diese vom Standplatz aus

aufgenommenen Fotos. Aus keinem von Martins grossartigen

Kletter-Highlights – unter anderem «Freetrip», «Supertramp», «Amar-

cord» – gab es vernünftiges Bildmaterial. Es war eine andere Zeit.

Die sich aber in den folgenden Jahren rasant ändern sollte.

Freeclimbing, Gleitschirmfliegen, Mountainbiken, Snowboar-

den: Neue Sportarten wurden «erfunden» und belebten die Szene.

Der Outdoor-Sport war geboren. Und damit der Outdoor-Markt.

Die sogenannten Action-, Extrem- oder Adrenalinsportarten waren

nicht nur für die Aktiven spannend und interessant, sondern auch

für die Medien. Eine wirkungsvolle Symbiose begann sich zu ent-

wickeln: Outdoor-Branche, Sportler undMedien wirkten wunderbar

zusammen. Zunehmend waren Bilder von diesen neuen Abenteu-

ersportarten gefragt. Es begann eine äusserst spannende Zeit für

uns Fotografen – ursprünglich vielleicht gerade eine Handvoll im

deutschsprachigen Raum –, wir entdeckten, dass es fotografisch

noch viel zu entdecken gab. Immer mehr hervorragende Sportler

liessen sich auf das Sponsoring ein und waren damit auf Publizität

angewiesen. Die Bilder wurden besser, damit auch die Ansprüche

an das Bildmaterial. Alle mussten mitziehen. Auch Mammut.

Mit Albert Wenk und dem australischen Spitzenkletterer Kim

Carrigan, der für einige Jahre in der Schweiz für Mammut arbeite-

te, fuhr ich Ende der 1980er-Jahre zum Sustenpass, um die neue-

sten Mammut-Jacken und -Rucksäcke zu fotografieren. Es war

EIN LANGER GEMEINSAMER WEGRobert Bösch l Alpen/Schweiz

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Page 5: Jubiläumsbuch 150 Jahre Mammut Leseprobe

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«Auf eine schwere und schlechtabgesicherte Tour geht man nicht,weil man sterben will, sondern imGegenteil, um intensiv zu leben.»

Oswald Oelz

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Ich lebe noch ziem-

lich intensiv und habe

nicht vor, demnächst

zu sterben, ich will noch mindestens 20 Jahre klettern und über-

haupt klettern, bis ich tot bin. Die Pläne reichen für die nächsten

200 Jahre. Aber irgendwann wird es passieren, die Todesanzeigen

in den Zeitungen handeln von meinem Jahrgang und von viel Jün-

geren. Obwohl ich immer gierig zugeschnappt habe, wenn es et-

was zu erhaschen gab, werde ich am Endpunkt vor allem Uner-

ledigtes zurücklassen.

Das Sein am Höhepunkt einer medizinischen Karriere an der

Spitze einer Klinik kontrastierte zum Tasten im löchrigen Omanfels,

dem Schneebiwak in Lunana im Nordwesten Bhutans, zum Sche-

ren der Schafe und zum Trekking im inneren Dolpo in Nepal. Berg-

steigen in allerlei Spielarten war für mich die ergänzende archa-

ische Lebensform als Kontrast zum Wirken in der überregulierten

Plastikwelt. Diese hat uns bequemen Komfort, physische Lebens-

qualität, mehr als verdoppelte Lebenserwartung sowie Allergien,

krebserregende Chemikalien und Fettberge gebracht. Wir haben

die Rhythmen der Natur ausgeschaltet, die Nacht ist taghell er-

leuchtet, Regen, Kälte und Sturm müssen wir nicht mehr spüren,

kein Bär und kein Mammut drohen. Nahrung ist nicht mehr mühsam

zu erjagen oder anzupflanzen. Diesel und Flugbenzin ersparen uns

das Gehen, die Schichten aus Beton, allerlei Textilien und Metall

haben uns von der Erde isoliert. Elektrische Leitungen und Äther-

wellen transportieren täglich Milliarden von Banalitäten, alle sim-

sen, aber nur noch wenige können reden.

All das wird in ein immer dichteres Regulierungskorsett ge-

zwängt, Sicherheitsvorschriften sind die modernen Terrornetze.

Bald werde ich meine Fleischabfälle auch an Füchse nicht mehr

verfüttern dürfen, und das Hirn meiner Lämmer dürfte ich schon

jetzt nicht mehr selbst verzehren. Virtuelle Welt, Sicherheit, Regu-

lierung und Fremdbestimmung sind bequem und füllen Praxen und

Kassen der Psychoindustrie. Unsere Urwelt, in der sich unsere Evo-

lution vollzogen hat, war nämlich anders. Wie unsere Vorfahren

mussten wir, sobald wir von den Bäumen heruntergestiegen waren,

um Nahrung, Wärme und Frauen kämpfen. Vor dem Bären konnte

man entweder ganz schnell davonrennen oder sich ihm stellen.

Beim ernsthaften Bergsteigen kehren wir zu jenen Bedingungen

zurück, unter denen innert einiger Millionen Jahre die menschliche

Entwicklung stattfand: Lebenswichtig ist ein geschützter Biwak-

platz, ein Feuer, um Schnee zu schmelzen, Kartoffeln und etwas

Parmesan sowie scharfe Steigeisenwaffen. Darin liegt die regene-

rative Potenz des Aufbruchs in die Wildnis, beim Klettern in un-

bekanntes Gelände werden Mobbing, das Finanzamt und die PS

des eigenen Autos belanglos. Die Batterien laden sich beim Ge-

hen im indischen Hochland für Herausforderungen in den Stadt-

schluchten von Zürich oder Berlin.

Diese Therapie ist nicht ohne Risiken. Es fehlen mehr als 25

Freunde, mit denen ich am gleichen Seil geklettert bin, mit denen

ich gelacht habe und in deren Gesellschaft ich empfand, dass das

Leben nicht mehr schöner werden könnte. Sie sind in Lawinen

geblieben, verschwunden, abgestürzt, am Höhenödem gestorben

und ins unbekannte Land vorausgegangen. Ob dieser Preis ge-

rechtfertigt war, bleibt ein Geheimnis.

Einige Male hat Freund Hein auch schon auf mich gezielt

und mich nur knapp verfehlt. Streifschüsse wie Felsbrocken, Eis-

lawinen, Lungenödeme und ausbrechende Haken machten das

herrliche Leben bewusster – wir klettern ja, um intensiv zu sein,

nicht um zu sterben. «Das Geheimnis des fruchtbaren Lebens

heisst gefährlich leben, darum: baut eure Häuser an den Vesuv»,

meinte Nietzsche. Bergsteigen ist eine wunderbare Alternative.

Vielleicht aber ist die Antwort nach dem Warum eine ganz

andere. Zum Beispiel wie Diego Wellig sie formuliert hat, als er ge-

fragt wurde, warum er Achttausender besteigen wolle: «Weil es

keine Neuntausender gibt.» Damit meinte er Ähnliches wie George

Leigh Mallory, der 1924 eine Journalistenfrage, warum er den Eve-

rest besteigen wolle, mit «because it’s there» beantwortete. Beide

drückten aus, wie unnütz und unbeantwortbar die Frage ist.

So geniesse ich weiterhin jeden Tag, an dem ich einen Griff

ertaste, die Sonne im Nacken brennt, der Durst wächst und der

feuchte Schnee durchnässt. Die Botschaft von Jabal Misht, Cho-

latse, Heiligkreuzkofel und Triemlispital hat Max Frisch 1937 in

«Antwort aus der Stille» unnachahmlich formuliert: «Warum leben

wir nicht, wo wir doch wissen, dass wir nur ein einziges Mal da

sind, nur ein einziges und unwiederholbares Mal, auf dieser un-

sagbar herrlichen Welt!»

KLETTERN, BIS ICH TOT BINOswald Oelz l Rund um die Welt

Page 6: Jubiläumsbuch 150 Jahre Mammut Leseprobe

können; nicht einen Strich darunter zu machen, sondern zu ande-

ren Dingen überzugehen – damit meine ich, den Kopf frei zu ha-

ben, um das zu machen, was man mit seiner Behinderung machen

kann.

Es half mir, dass ich vorher so viel Ski gefahren war. Natürlich

fürchtete ich mich vor dem ersten Mal auf dem Skibob. Ummit ihm

zu schwingen, muss ich etwas Geschwindigkeit aufnehmen und

um die Kurve rutschen. Doch ich lernte schnell, und eines Tages

fuhr ich tatsächlich die Pisten von Verbier hinunter, ohne hinzufal-

len. Weil der Skibob die Tendenz hat einzusinken, war es im Pul-

verschnee etwas komplizierter – vor allem für meine Freunde, die

mich 30 Mal am Tag wieder aufheben mussten. Es gab nur eine

Lösung: schneller fahren. Mittlerweile habe ich im Pulver genauso

viel Vergnügen wie vor dem Unfall. Ich fahre sogar schneller als die

gesunden Skifahrer, weil mir die Oberschenkel nicht brennen –

man muss mich fast dazu zwingen, anzuhalten. Ich geniesse die

Geschwindigkeit, wie auf einer Kartbahn. Ich kann sogar mit vol-

lem Tempo die Kurven schneiden. Obwohl ich in einem Sessel sit-

ze, fühle ich mich total frei.

Letztendlich lebe ich jetzt das Leben eines professionellen

Freeriders. Ich habe das Glück, dass alle meine Partner zu mir ge-

halten haben, und weil ich weiterhin in Filmen mitwirke, bin ich

heute fast bekannter als früher. Ich komme nicht schlecht herum,

war in Chile und Russland, und ich bin auch in der Jury der Free-

ride World Tour tätig. Ich bin nicht glücklicher als vor meinem Un-

fall, aber ich kann weiterhin Ski fahren und reisen. Ich denke, dass

viele gern an meiner Stelle wären – nicht in meinem Rollstuhl, aber

in meinem Leben.

Ich hatte immer eine sehr grosse Leidenschaft für das Ski-

fahren, und sie war es, die mich nach vorne schauen liess. Und

nach oben: Am 7. Mai 2009 erreichte ich mit der tatkräftigen Hilfe

zahlreicher Freunde nach einem mehr als fünfstündigen Aufstieg

von der Vallothütte auf Krücken den Gipfel des Mont Blanc. Die

Schneeverhältnisse waren perfekt, und so konnte ich als Erster die

Nordflanke des Mont Blanc mit einem Skibob befahren.

Extremes Skifahren in steilen Hängen, das war mein Ding. Als lei-

denschaftlicher Freerider stieg ich besonders gern auf Gipfel und

fuhr dann auf Linien ab, die absolut unmöglich aussahen. Drei oder

vier Jahre arbeitete ich während des Verbier-Xtreme-Snowboard-

rennens als Sicherheitsbeauftragter, kannte mich also vor Ort gut

aus. Als der Veranstalter Nicolas Hale-Woods 2004 beschloss, das

Rennen für Skifahrer zu öffnen, fragte ich ihn, ob ich mich anmel-

den könne. Er lud mich daraufhin zum Wettkampf ein, und gleich

beim ersten Mal – damals war ich 27 – gewann ich. So begann mei-

ne Karriere als Freerider. Aber ich wollte nie ein professioneller

Sportler werden, der zu 100 Prozent von Sponsorengeldern lebt,

dazu bin ich zu wenig ein Geschäftsmann. Mein Beruf als Berg-

führer liess mir trotzdem genug Zeit, um mich Steilhänge hinunter-

zustürzen.

Der 12. März 2006 veränderte alles. Ich fuhr einen rund 45 Grad

steilen Hang am Mont Fort ab, im Skigebiet Les 4 Vallées, und lös-

te bei einem Schwung eine Lawine aus, die mich 300 Meter mit-

riss und in die Felsen schleuderte. Sämtliche Rippen brachen, und

auch im Rücken hatte ich zahlreiche Frakturen, unter anderem eine

am 12. Rückenwirbel. Ich war mehr oder weniger entzweigebro-

chen. Ich wurde sofort operiert, und es wurden Metallplatten in

meinen Körper eingesetzt. Nach einer Woche im Spital verlegte

man mich zur Rehabilitation nach Sion.

Ich hatte mir früher immer gesagt: Das Schlimmste, was mir zu-

stossen kann, ist, durch einen Unfall querschnittsgelähmt zu wer-

den. Als mir mit 29 Jahren genau das zustiess, ging es mir einige

Tage psychisch sehr schlecht. Aber ich hatte zu der Zeit bereits

eine drei Monate alte Tochter, und als Vater denkt man anders

darüber nach, man erlaubt sich nicht, an das Ende zu denken. Vor

allem half mir, dass ich trotz allem kleine Fortschritte wahrnahm.

Die Ärzte gingen davon aus, dass es schon ein grosser Erfolg wäre,

wenn ich mich jemals wieder mit Krücken von meinem Bett ins Bad

bewegen könnte. Ich hatte das grosse Glück, dass einige Muskeln

im Oberschenkel sowie die Nerven wieder aktiviert werden konn-

ten, weil mein Rückenmark nicht ganz durchtrennt, sondern nur

gequetscht war. Nach vier oder fünf Monaten fing ich an, aufzu-

stehen und zwischen zwei parallelen Balken zu gehen. Durch

das ständige Training konnte ich auch einen gewissen Gleichge-

wichtssinn wiedererlangen, sodass ich heute ohne Krücken gehen

kann. Da ich die Füsse überhaupt nicht mehr bewegen konnte,

wurden sie durch Schienen an den Knöcheln fixiert, daher gehe ich

etwas gebeugt.

Am Anfang meiner Rehabilitation war mein Ziel, es zu schaffen,

mich allein in meinem Bett aufzurichten und in den Rollstuhl zu

kommen. Als ich die Beine wieder etwas bewegen konnte, keimte

die Hoffnung auf, wieder normal Ski fahren zu können. Doch ich

hatte beim Laufen so grosse Mühe, dass ich einsehen musste,

dass das nicht mehr möglich war. Ich suchte daher nach anderen

Alternativen und fand eine Möglichkeit, sitzend Ski zu fahren. Im

Internet stiess ich auf Dualski, einen französischen Hersteller von

Hilfsgeräten für Menschen mit einer Behinderung. Sie fertigten für

mich eine Art Skibob an, und im Januar 2007, acht Monate nach

meinem Unfall, begann ich wieder Ski zu fahren.

Parafreeriding, so nenne ich es, unterscheidet sich stark vom

traditionellen Skifahren. Ich sitze auf einem Gehäuse aus Karbon,

das über einen Stossdämpfer mit einem Unterbau verbunden ist;

dieser ist auf zwei Ski montiert, um im Pulverschnee mehr Auftrieb

zu haben. Man kann das Gerät mit jedem Skimodell kombinieren.

Ich habe auch zwei kleine Stützen für die Arme, um das Gleich-

gewicht zu halten. Abgesehen von diesen Hilfsmitteln läuft das

Skifahren selbst praktisch identisch ab, allerdings kann ich nicht

Pflug fahren, um abzubremsen.

Wenn du dein Leben lang Ski gefahren bist und dich von einem

Tag auf den anderen nicht einmal mehr aufrecht halten kannst, hast

du das Gefühl, bei null anzufangen, vor allem mit dem Skibob. Das

Härteste war, dorthin zurückzukehren, wo ich immer Ski gefahren

bin, dorthin, wo mich alle Leute von früher kannten und deshalb

Mitleid mit mir hatten. Aber auch darüber bin ich schnell hin-

weggekommen. Es hat mir bald Spass gemacht. Ich denke, das ist

das Wichtigste nach einem Unfall: die Vergangenheit vergessen zu

DIE FRAGE NACH DEM GLÜCKJean-Yves Michellod l Verbier/Schweiz

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