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LinguistischeDiskursanalyse
JürgenSpitzmüller
Überblick
Diskursbegriff
Diskursanalyse
Korpusbildung
Beispiele
Linguistische Diskursanalyse
Jürgen Spitzmüller
Vorlesungsreihe »Methoden der Linguistik«(WS 2004/05)
Universität Zürich, 14.12.2004
LinguistischeDiskursanalyse
JürgenSpitzmüller
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Diskursbegriff
Diskursanalyse
Korpusbildung
Beispiele
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1. Teil: Theorie – Grundlegende theoretischeFragestellungen:
I Was ist ein »Diskurs«?I Was ist Linguistische Diskursanalyse?I Methoden der Linguistischen
Diskursanalyse
2. Teil: Praxis – Analyse des Diskurses zu Anglizismenin Deutschland (1990–2001)
I Vorstellung des ProjektesI Musteranalysen
LinguistischeDiskursanalyse
JürgenSpitzmüller
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Diskursbegriff
Diskursanalyse
Korpusbildung
Beispiele
»Diskurs« als Modewort
»Das Wort ›Diskurs‹ ist in den letzten Jahren derartmodisch geworden, daß man am liebstenvermeiden möchte, es weiterhin zu propagierenoder zum Gegenstand theoretischer Überlegungenzu machen.«
Peter Schöttler (1989): Mentalitäten, Ideologien, Diskurse.Zur sozialgeschichtlichen Thematisierung der ›dritten Ebe-ne‹. In: Alf Lüdtke (Hg.): Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruk-tion historischer Erfahrungen und Lebensweisen. Frankfurta. M./New York, S. 85–136, hier: S. 102.
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Diskursbegriff
Diskursanalyse
Korpusbildung
Beispiele
»Diskurs« als Modewort
»Kein Oberseminar mehr ohne Diskurs. Aber auch:kein Feuilleton mehr ohne Diskurs, keineVolkshochschule, keine Talk-Runde, keinJuso-Ortsverein.«
Peter Schöttler (1997): Wer hat Angst vor dem ›linguisticturn‹? In: Geschichte und Gesellschaft 23, H. 1, S. 134–136,hier: S. 134–151.
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Diskursbegriff
Diskursanalyse
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Diskursbegriffe
1. Alltagssprachlich: ›schickeres Synonym‹ für »Debatte«oder »Gespräch«, seit den 80er Jahren in denMedien (zunächst im Feuilleton, dann auch inanderen Ressorts) verbreitet
2. Philosophie I: ›konsensorientierterGedankenaustausch unter prinzipiell gleichgestelltenBürgern‹ (Habermas); »herrschaftsfreier Diskurs« alsTeil eines ethischen Programms
3. Philosophie II: ›Menge von Aussagen, die einemgleichen kollektiven Wissenssystem angehören‹ undauf dieses Wissenssystem verweisen (Foucault)
4. Linguistik: in Analogie zur angloamerik. »discourseanalysis« als ›gesprochensprachliche größereÄußerungseinheit oder auch eine durch Interaktivitätgekennzeichnete sprachliche Entität‹ (»LinguistischeDiskursanalyse« i. d. S. ≈ »Gesprächsanalyse«/»Konversationsanalyse«
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Michel Foucaults Diskurskonzept
»[. . . ] wie kommt es, daß eine bestimmte Aussage[zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort;Erg. J. S.] erschienen ist und keine andere an ihrerStelle?«
Michel Foucault (1973): Archäologie des Wissens. Frank-furt/M., S. 42.
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Diskursanalyse
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Konstruktivistischer WissensbegriffI Wissen nicht als direkter Zugang zu einer
gegebenen Wahrheit, sondern als kognitivesOrientierungsschema, dem ein bestimmtesKollektiv in einer gegebenen historischen undkulturellen Situation ontologischen Statuszuspricht.
I Wissen ist das Resultat spezifischer (historischer,kultureller) Gegebenheiten, in die ein Kollektiveingebunden ist, ein integraler und zugleichkonstitutiver Bestandteil einer spezifischen»Lebenswelt«
I Wissen ist immer perspektivisch, niemalsontologisch »wahr«
I Diskurs (nach Foucault): Handlung und Sprachegewordenes Wissen einer bestimmtenKultur/Diskursgemeinschaft⇒ Diskursanalyse: Wissensanalyse qua Sprache
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Beispiele
Linguistische Diskursanalyse I
I In welchen größeren Zusammenhängen stehenTexte?
I Auf welche kollektiven Wissensbestände stützensich Aussagen?
I Sind Bedeutungen historisch und kulturellverankert? Wenn ja: wie kann man diesbeschreiben?
I Inwieweit wird Sprache durch kollektiveWissensbestände geprägt, aber auch: inwieweitschafft Sprache Wissen bzw. »Wirklichkeit«?
I Epistemologisch: Inwieweit hilft Sprache (als Teileines bestimmten Diskurses) den Menschendabei, die komplexe Wirklichkeit zu strukturieren,sich in der Welt zu orientieren?
LinguistischeDiskursanalyse
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Diskursanalyse
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Linguistische Diskursanalyse II
I Diskurskritisch: Wie wird Sprache eingesetzt, umMachtverhältnisse zu stabilisieren oder zuetablieren?
I Wie kommt es, dass eine Aussage in einerbestimmten Zeit als wahr angesehen wird, ineiner anderen aber nicht? Oder auch: dass sievon bestimmten Kollektiven als »wahr«angesehen wird, von anderen nicht?
I Kritische Reflexion des eigenenwissenschaftlichen Standpunktes, der ja auchTeil eines bestimmten Diskurses ist.
LinguistischeDiskursanalyse
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Diskursanalyse
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Beispiele
Diskurstheorie als epistemologischerStandpunkt
»Es gibt im Leben Augenblicke, da die Frage, obman anders denken kann, als man denkt, undanders wahrnehmen kann, als man sieht, zumWeiterschauen oder Weiterdenken unentbehrlichsind.«
Michel Foucault (1995): Sexualität und Wahrheit, Bd. 2: DerGebrauch der Lüste. Frankfurt/M., S. 15.
LinguistischeDiskursanalyse
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Diskursbegriff
Diskursanalyse
Korpusbildung
Beispiele
Methoden
Ausgangspunkt: »Wissen« manifestiert sich insprachlicher Handlung, weshalb es auchdurch die Analyse sprachlicher Praxenrekonstruiert werden kann.
Beliebte Methoden:
1. Lexem- bzw. Schlagwortanalysen (semantisch)2. Metaphern- und Bildfeldanalysen (kognitive
Metapherntheorie)3. Topos- und Argumentationsanalysen4. Kollokationsanalysen
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Korpusbildung
Beispiele
Methoden
Ausgangspunkt: »Wissen« manifestiert sich insprachlicher Handlung, weshalb es auchdurch die Analyse sprachlicher Praxenrekonstruiert werden kann.
Beliebte Methoden:
1. Lexem- bzw. Schlagwortanalysen (semantisch)2. Metaphern- und Bildfeldanalysen (kognitive
Metapherntheorie)3. Topos- und Argumentationsanalysen4. Kollokationsanalysen
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Beispiele
Diskursvermischung I
»Man darf die Vermutung wagen, daß unsereSprache in ihrer Substanz, in ihrem Wesen noch nie sogefährdet war wie in unserem, [A] dem Medien- undelektronischen Zeitalter. Die e-mail-Notiz hebt denSchritt und Rhythmus und die lockere Gelassenheitdes privaten Briefstils auf. Das Computersignalzerhackt die Syntax, [B] und nichtssagender als einpolitisches Statement, das davon ausgeht, daß dieRahmenbedingungen zum Tragen kommen, kannkeine Aussage sein. [C] Es ist schwer begreiflich, daßEltern nach dem Richter rufen, um ihr Kind vor derVereinfachung der Kommasetzung zu schützen –und doch täglich hören und sehen, wie Dad undMum mit den Kids shopping gehen, denn das isttrendy und endet in der Spielothek. [. . . ]
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Diskursanalyse
Korpusbildung
Beispiele
Diskursvermischung II[D] Viele Jugendliche, die Nachricht ging soeben durchdie Zeitungen, verlassen die Schule als ›halbeAnalphabeten‹, und berauben sich mit einem solchenDefekt der Chance, in den Arbeitsprozeß eingereiht zuwerden. Schlimmer: sie verlieren auf diese Weise dieKommunikationsfähigkeit mit anderen, eine Gesellschaftgibt ihren auf Übereinstimmung der sprachlichenÄußerung und ihres Sinnes begründeten Zusammenhangpreis. Die Universitäten klagen, daß Studenten bestimmteSachverhalte nicht mehr lesend aufnehmen, nicht mehrsprechend oder schreibend angemessen wiedergebenkönnen. Eine Nation droht hinabzutrudeln in eineverquatschte und verstümmelte Sprechweise, in eineSprachanarchie – [E] und wir streiten uns um das h imKänguruh . . . «
Peter Wapnewski: Der Buchstabe im Sprachvolk. Rechthaben oder rechthaben – Anmerkungen zum Stand derRechtschreibreform. In: Süddeutsche Zeitung (3.12.1997),S. 19, hier: Abschnitt VII.
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Korpusbildung
Beispiele
Sprache als Organismus
SpiegelJahres-Chronik(2001), S. 92
LinguistischeDiskursanalyse
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Diskursanalyse
Korpusbildung
Beispiele
Korpusbildung als Deutungsakt»Die Einheit des Diskurses [. . . ] wird vomUntersuchungsziel, Interesse oder Blickwinkel derWissenschaftler bestimmt. [. . . ] Diskursive Beziehungenkönnen erst festgestellt werden, wenn ein Kriterium für dieKorpusbildung feststeht. Gleich welcher Art diesesKriterium auch sein mag, es setzt die Kenntnis des Inhaltsder in Frage kommenden Texte voraus. So gesehen setztalso schon die Korpusbildung das Verstehen der Textevoraus. [. . . ] Diskursive Relationen können (wieintertextuelle Relationen jeder Art) alsBedeutungsbeziehungen nicht unabhängig von ihrerDeutung bestehen. Die Konstitution des Diskurses, der dasForschungsobjekt bilden soll, setzt daher stets schonInterpretationshandlungen der Forscher voraus.«
Dietrich Busse/Wolfgang Teubert (1994): Ist Diskurs einsprachwissenschaftliches Objekt? Zur Methodenfrage derhistorischen Semantik. In: D. Busse/Fritz Hermanns/W. Teu-bert (Hgg.): Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte.Opladen, S. 10–28, hier: S. 16.
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Diskursanalyse
Korpusbildung
Beispiele
Nebendiskurse I
»Als die Evangelische Akademie in Tutzing amvergangenen Wochenende zu einer Tagung über ›KönigFußball‹ einlud, mußte es als Segen erscheinen, daß nurwenige Theoretiker, aber zahlreiche Vertreter aus derFußballwelt als Referenten auf den Platz liefen. [. . . ][Michael] Skibbe stellte, brav und emotionslos wie einAbiturient beim Abschlußgottesdienst, das (jetzt zum wievielten Male erneuerte?) Nachwuchskonzept mit 440angestrebten Stützpunkten für Elf- bis Dreizehnjährige vor,während Straub, der ehemalige Marketing-Direktor desDFB, wie auf einer Aktionärsversammlung in geschliffenemDenglisch von Umsatzzahlen, ›branding‹ und ›cash-flow‹schwärmte. Auch die abschließende Podiumsdiskussionüber Fußball, Medien und Kommerz hätte einschließlichder Witze von Moderator Waldemar Hartmann (›Ichmach’ das wie Berti Vogts: Das sollte ein Spaß sein‹)ungeschnitten ins Deutsche Sportfernsehen gepaßt.«
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JürgenSpitzmüller
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Diskursbegriff
Diskursanalyse
Korpusbildung
Beispiele
Nebendiskurse II
Achim Bahnen: Gottesspiel Tutzinger Lattenkreuz: Sehetden neuen Fußball-Bund. In: FAZ (10.05.2001), S. 55.
LinguistischeDiskursanalyse
JürgenSpitzmüller
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Diskursbegriff
Diskursanalyse
Korpusbildung
Beispiele
Metaphernverknüpfungen
Pflanze Maschine
SPRACHWANDEL/ANGLIZISMEN
Verfall Dampfwalze/Zug
Gewalt
Krieg ZerstörungWasser
SUBSTANZ
SPRACHE
ORGANISMUS CONTAINER
GebäudeLand Kunstwerk Ware/Fracht
ARTEFAKT
reinigungNatur−katastrophe
Krankheit/Tod
Nahrung Schädling Mutation BallastSchrottEinwanderer
Inte
rven
tion
Tier/Mensch
Verun−Fremd−körper
LinguistischeDiskursanalyse
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Diskursanalyse
Korpusbildung
Beispiele
Bsp. für weitere Diskursanalysen
I Diskurs zur Atomenergie 1945–1990 (MatthiasJung [16])
I Diskurs zur Rüstungspolitik 1945–1980 (MartinWengeler [92])
I Diskurs zu Einwanderung 1945–1990 (MartinWengeler [24], Karin Böke [17])
I Diskurs zum »Kruzifixurteil« in Deutschland (KlausGloy [18])
I Diskurs zu »Moral« in Fernseh-Talkshows (AnnetteWenderoth [22])
I Diskurs zu nationaler Identität in Deutschland vorund nach 1989 (Claudia Fraas [13])
I Diskurs zu Jugendsprache und Jugendkultur(Silke Hahn [14])
I Diskurs zur Rechtschreibreform (Sally Johnson[15], Oliver Stenschke [21])