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Juli 2010 16 Mitteilungen des Museumsverbandes Brandenburg > Militärgeschichte im Museum Militärmuseen in Berlin und Dresden Festungen und frühe Schlachten Erinnerungsorte des Zweiten Weltkriegs Lokale Militärgeschichten Militär und Alltag Museumsblätter

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Juli 2010 16

Mitteilungen des Museumsverbandes Brandenburg

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MilitärmuseeninBerlinundDresden

FestungenundfrüheSchlachten

ErinnerungsortedesZweitenWeltkriegs

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Museumsblätter

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Abbildungsnachweis

Titelbild, S. 4 Projektgruppe Museum Heeresversuchsstelle KummersdorfS. 7 Militärhistorisches Museum der Bundeswehr DresdenS. 17 http://de.wikipedia.org/wiki/Kaiser_Karl_V._nach_der_Schlacht_bei_%C3%BChlberg (14. 6. 2010)S. 21, 22 Museum des Dreißigjährigen Krieges, WittstockS. 23 BLDAM (Foto: Anja Grothe)S. 25 Lorenz Kienzle, BerlinS. 26 Museum in der Zitadelle SpandauS. 29, 30, 33 Projektgruppe Museum Heeresversuchsstelle KummersdorfS. 35, 36 bpk / Josef Donderer S. 39 bpk / Hilmar Pabel S. 41 Potsdam Museum, Forum für Kunst und GeschichteS. 43 Museum im Mönchenkloster JüterbogS. 45 Museum des Teltow, WünsdorfS. 47 bpkS. 49, 50, 51, 52 Museum im Frey-Haus, Brandenburg an der HavelS. 53 Sammlung Werkbundarchiv – Museum der Dinge (Fotograf: Armin Herrmann)S. 56 Nachlass Gerhard Krüger, LübbenauS. 57 Julia Wallentin, AngermündeS. 58 Franziska Siedler, ChorinS. 59 li. Tobias Büloff, PotsdamS. 59 re. Dr. Ines Christiane Elsner, BerlinS. 60 Kita-Museum, NennhausenS. 61 Technisches Denkmal Brikettfabrik „Louise“S. 65 Bert Krüger, PotsdamS. 66 Irmgard Zündorf, PotsdamS. 68 Wettermuseum Lindenberg e.V. (Foto: Frank Kaufmann)S. 69 Museum Fürstenwalde, (Foto: Uta Meissner)S. 71 Kurt Tucholsky Literaturmuseum, Schloss Rheinsberg

Wir haben uns bemüht, die Bildrechte zu klären. Sollten weitere Personen in ihren Rechten betroffen sein, bitten wir um eine Nachricht.

AutorinnenundAutoren

Heiner Bröckermann M.A., Oberstleutnant und Leiter des Bereichs Informationen und Fachstudien (AIF III) im Militärgeschichtlichen Forschungsamt, PotsdamAndreas Claus Bürgermeister von Uebigau-Wahrenbrück, BergwerksdirektorSilvio Fischer Leiter des Museums des Teltow, WünsdorfRenate Flagmeier Leitende Kuratorin des Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin Andrea Frick Mitarbeiterin des Kulturamts der Stadt AngermündeGeorg W. Geist Vorsitzender des Kindergarten-Museums e.V., Bergisch-Gladbach Dr. Jutta Götzmann Direktorin des Potsdam Museums - Forum für Kunst und GeschichteDr. Christian Hirte Clearingstelle für musogene Radikalisierungsoption, Brandenburg-BerlinDaniel Hohrath Sammlungsleiter Abteilung Militaria II, Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin Norbert Jannek Leiter des Stadtmuseums im Kulturquartier Mönchenkloster, JüterbogDr. Uwe Koch Leiter des Referats für Museen, Denkmalschutz und Denkmalplege im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes BrandenburgHeike Köhler Mitarbeiterin des Stadtmuseums im Frey-Haus, Brandenburg an der HavelKatharina Kreschel Diplom-Ethnograin und Museumsrätin, Brandenburg an der HavelDr. Susanne Köstering Geschäftsführerin des Museumsverbandes Brandenburg Markus Ohlhauser Erster Vorstandssprecher des Museumsverbandes BrandenburgGorch Pieken Wissenschaftlicher Leiter des Militärhistorischen Museums DresdenDr. Lars Scharnholz Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Neue Industriekultur CottbusRoman Schmidt Leiter des HeimatMuseums LuckenwaldeRainer Schneider Amtsdirektor am Amt Oderberg-Britz-ChorinKatja Schumann Foto- und Kunsthistorikerin, DresdenDr. Hans Steinhagen Ehrenamtlicher wissenschaftlicher Mitarbeiter, Verein Wettermuseum Lindenberg e.V.Guido Strohfeldt Leiter des Städtischen Museums Fürstenwalde Andrea Theissen Leiterin des Kunstamtes Berlin-Spandau und des Stadtgeschichtlichen Museums in der Zitadelle Spandau, Vice-chairman of the International Fortress CouncilHelga Tuček Leiterin des Niederlausitz-Museums LuckauDr. Sabine Vogel Historikerin und Kuratorin, BerlinMarkus Wicke Vorsitzender des Fördervereins des Potsdam Museums e.V.Antje Zeiger Leiterin des Museums des Dreißigjährigen Krieges, WittstockDr. Irmgard Zündorf Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam

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5Inhalt

Inhalt

Forum

MilitärgeschichteimMuseum

MilitärmuseeninBerlinundDresden6 Militärgeschichte ausstellen Die Neukonzeption des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden Gorch Pieken10 Brandenburg als Militärgeschichtslandschaft Heiner Bröckermann12 Vom Zeughaus zum Deutschen Historischen Museum Die Sammlungen des DHM zur Brandenburgisch-Preußischen Militärgeschichte Daniel HohrathFestungenundfrüheSchlachten16 Kaiser Karl zu Pferde und das Museum in Mühlberg Von den Chancen einer Museumsentwicklung Uwe Koch20 Zeugnis eines europäischen Konlikts Das Museum des Dreißigjährigen Krieges in Wittstock Antje Zeiger24 Museen in der Festung Festung als Museum Andrea TheissenErinnerungsortedesZweitenWeltkriegs28 Der Krieg und seine Technik Die ehemalige Heeresversuchsanstalt Kummersdorf als Museum? Susanne Köstering34 „Das sichtbare Schlachtfeld hat Anfang und Ende, das vorgestellte Schlachtfeld ist zeitlos“ Seelow und Halbe als Erfahrungsorte des Krieges Christian HirteLokaleMilitärgeschichten40 „Grüße aus Potsdam“ Ein Schülerprojekt um historische Militärpostkarten des Potsdam Museums Jutta Götzmann und Markus Wicke42 Militärgeschichte als Stadtgeschichte Das Beispiel Jüterbog Norbert Jannek42 Der frühere Militärstandort Wünsdorf Ein Ort des Erinnerns? Silvio Fischer46 Das Kriegsgefangenen-Stammlager III A und seine Darstellung im HeimatMuseum Luckenwalde Roman SchmidtMilitärundAlltag48 “Der Lineol-Nebeltopf vernebelt wirklich“ Die Brandenburger „Soldatenfabrik“ Heike Köhler und Katharina Kreschel53 Blasse Dinge oder Relikte militärischer Sachkultur Renate Flagmeier

Fundus

56 Porträt62 Lesestoff65 Schongesehen?68 Schatztruhe

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48 Forum Erinnerungsorte des Zweiten Weltkriegs

“DerLineol-Nebeltopfvernebeltwirklich“Die Brandenburger „Soldatenfabrik“ Heike Köhler und Katharina Kreschel

Brandenburg an der Havel gehörte von 1881 bis 1992 zu den bedeutenden Spielzeug produzierenden Städten Deutschlands. Vorrangig entstand Blech-spielzeug, so im Patentwerk von Ernst Paul Lehmann (1881-1948) und in weiteren Spielzeugfabriken. Ein besonderes Spielwarensortiment stellte die Spielwa-renfabrik von Oskar Wiederholz (1907-1948) aus der Hartmasse Lineol her – Tiere, Ritter, Indianer und … Soldaten.

Lineol-Spielzeug war bei Kindern aus allen Bevölke-rungsschichten beliebt. Lineoliguren waren preis-wert und Figurengruppen bzw. Serien konnten in den einschlägigen Geschäften in der Stadt von allen Bevölkerungsschichten nach und nach gekauft werden. Lineol-Spielzeug wurde über Jahrzehnte hergestellt, so dass eine stattliche Anzahl dieses Spielzeugs in den Besitz der Kinder kam. Ältere Bran-denburger schilderten, dass sie als Kinder in den 1920er und Anfang der 1930er Jahre am Lohntag ihren Vater am Werktor der Brennabor-Werke oder der anderen Betriebe erwarteten und ihren „Famili-enlohnempfänger“ mit der Frage begrüßten: „Kaufst Du mir heute Lineol-Figuren?“. Dazu gehörten natür-lich auch preiswerte Lineol-Soldaten. Das militärische Blechspielzeug war dagegen wegen des relativ hohen Preises auch am „chancenreichen Lohntag“ in Arbei-terfamilien nur selten erschwinglich.

Blechspielzeug

Das 1881 gegründete Patentwerk Ernst Paul Lehmann brachte vor allem mechanisches Blechspiel-zeug mit einem Bewegungsmechanismus heraus. Im Kaiserreich ließ sich der Fabrikant von der deut-schen Flottenpolitik anregen und nahm Kriegsschiffe, sogenannte Bodenläufer, in die Produktion auf: die Torpedoboote „Taku“ und „St. Vincent“, das bekannte Unterseeboot „U-9“ und den nicht minder berühmten Kreuzer „Emden“. Bis Ende der 1930er Jahre wurden diese produziert. Vor und im Zweiten Weltkrieg gehörten folgende modellgetreue militärische Spielsa-chen zum Angebot: ein „Maschinengewehr (in Tarn-farben)“ und aus der GNOM-Serie das „Deutsche Kampflugzeug HE 70“, ein „Einmotoriges Kampflug-zeug (englische Version)“ und das „Heinkel-Kampf-lugzeug HE 111“. Einige Typen wurden als Bausatz

angeboten. Für die Konstruktion der Spielzeug-Flug-zeuge hatte sich der Fabrikant Anregungen in den Arado-Flugzeugwerken geholt, die seit 1934 in der Havelstadt produzierten. Die Firma brachte damals außerdem zwei „Panzer“ heraus, die vermutlich mit Lineol-Soldaten beim Kinderspiel bestückt wurden.

Lineol-Figuren

Über die Spielzeugpalette aus den frühen Jahren des Unternehmens von Oskar Wiederholz ist wenig bekannt. Anfänglich wurde noch einfaches Blech-spielzeug für Puppenküchen und Sandkästen herge-stellt. Bald kamen dann mit Tieren und Soldaten die beliebten Lineol-Spieliguren auf den Markt. Werbe-anzeigen der Lineol-Werke im „Brandenburger Anzeiger“ von 1912 oder 1915 verdeutlichen das. Besonders in der Weihnachtszeit wurden darin „Echte Lineol-Soldaten“ als “das schönste Spielzeug für Kinder“ angeboten. Neben den kleinen Lineol-Figuren gehörte seit Anfang der 1930er Jahre auch militäri-sches Blechspielzeug zur Produktionspalette, u. a. Panzer, Geschütze, Kübelwagen, Lastkraftwagen und Scheinwerfer.

Vor dem Ersten Weltkrieg waren es meist Figuren mit einer Höhe von 140 mm. Als Lehrmittel in der Ausbildung stießen sie auch bei höheren militäri-schen Dienststellen auf Interesse. Zur Anfertigung der Modelle sollen dem Fabrikanten vom Kriegsmi-nisterium sogar Rekruten zur Anschauung geschickt worden sein. Im Laufe der Zeit produzierte die Firma dann vorrangig für Kinder handhabbarere Figuren in den Maßen 40, 65, 75 und 90 mm.

Ein Blick in die Firmenkataloge zeigt in jeder dieser Größen eine Vielzahl von Soldateniguren in Uniformen der unterschiedlichen Waffengattungen und verschiedenen Nationen. Dabei nimmt das Angebot an militärischem Spielzeug mehr als die Hälfte der Kataloge ein. Im Katalog von 1937 z. B. wurden unter der Rubrik „DIE WEHRMACHT/DAS HEER“ angeboten: Fahnenträger und Marsch-soldaten, Infanteriemusik, Soldaten für Exerzier- und Gefechtsstellungen, Artillerie-Bedienung, MG-Figuren, Minenwerfer, Pioniere, Nachrichten-truppe und Kraftfahrer, Lazarettiguren, Biwakiguren,

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Brandenburger Junge beim Spielen mit Lineol-Soldaten, 1930er Jahre

Die Realität: Exerzierplatz beim Gut Silo, Brandenburg, vor 1914

Erinnerungsorte des Zweiten Weltkriegs

sich hier Marinesoldaten, „die „LUFTWAFFE“ und technisches Zubehör. Natürlich gehörten in dieser Zeit auch „Führeriguren“ und „politische Personen“, wie Hitler, Hindenburg, Ludendorff, Mackensen u. a. zum Katalogangebot. Diese Persönlichkeiten sollten offenbar schon spielenden Kindern und Jugendlichen bekannt gemacht werden. Zugleich waren sie sicher auch „Verehreriguren“ für die Erwachsenen. Einen wesentlich geringeren Anteil nimmt im Katalog von 1937 das zivile Spielzeugsortiment ein, wie Tiere, Ritter, Indianer, Trapper, Eisenbahniguren, Häuser, Zivilpersonen und -fahrzeuge.

„Soldatenfabrik“

1939/1940 belief sich der Anteil des militärischen Spielzeugs auf 68 % der Gesamtproduktion der Lineol-Fabrik. Bei der Brandenburger Bevölke-rung waren die Lineol-Werke deshalb als „Solda-tenfabrik“ bekannt. Wenn Lineolarbeiter nach ihrem Arbeitsort befragt wurden, dann hieß es meist kurz: „In der Soldatenfabrik“. Auch die „Elisabethhütte“ – die Eisengießerei war seit 1931 im Besitz des

Kavalleriemusik, Zelte, Schützengräben und Unter-stände. Weiterhin sind abgebildet: MG, Kanonen und Scheinwerfer, Artillerie, militärische Fahrzeuge, moto-risierte Fahrzeuge, Arbeitsdienst, Englisches Spezial-sortiment, Italienisches Spezialsortiment und Figuren zum Italienisch-Abessinischen Krieg. Daneben fanden

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Werbeanzeige, aus: „Brandenburger Anzeiger“, 1915

Militär und Alltag

Kriegsspiele

Kinder, Jugendliche und vielleicht auch enthusias-tische Väter konnten mit diesem Spielzeug in der Wohnstube, auf der Straße, auf dem Hof oder im Sandkasten „Krieg spielen“ und “Paraden abhalten“. Wobei sich Kinder aus Arbeiterkreisen wegen der Enge der Wohnverhältnisse eher im Freien diesem Spiel widmeten. Das „Kriegsgerät“ machte es möglich, militärischen Alltag „realitätsnah“ nachzustellen: Die Feldküche diente den „Soldatenköchen“ zum Aufko-chen des Wassers. Fahrzeuge wurden per Schlüssel aufgezogen und in Fahrt gebracht. Suchlichter und Morsekodes funktionierten mit Batterien. Die Artillerie (von 1913) konnte mit Erbsen schießen. Zu Funkti-onsweisen verschiedener Spielzeugartikel hieß es im Katalog von 1937: “Die Lineol-Schützen schießen wirklich! Ein Zündblättchen erzeugt nicht nur einen Knall, sondern jagt zugleich ein Geschoß aus dem Lauf.“ oder “Der Lineol-Nebeltopf vernebelt wirklich. Er zündet mit der Taschenlampenbatterie – ohne Flamme – ist also nicht feuergefährlich“. Ein Schein-werfer wird „zum Morsen sowie zum Ausleuchten des Himmels“ angeboten. Die moderne Fliegerabwehrka-none, kurz Flak genannt, ermöglicht „eine fast senk-rechte Steilfeuerstellung. Sie kann vollkommen um sich selbst gedreht werden und ist mit Kreuzlafette und Gummibereifung versehen“.

Für das Kriegsspiel im Kinderzimmer konnten alle erdenklichen Waffengattungen und Formati-onen, unzählige Soldateniguren in verschiedenen Haltungen und Tätigkeiten erworben werden. Es ist wohl davon auszugehen, dass viele Jungen großes Interesse daran hatten, ihre Lineol-Sammlung immer wieder zu ergänzen, um möglichst perfekt die militä-rische „Wirklichkeit“ nachahmen zu können. Es gab „Freundsoldaten“, meistens in deutscher Uniform, aber auch „Feindsoldaten“. Letztere wurden mit den landestypischen Uniformen bemalt und so auf den Markt gebracht. Diese Methode des Neubemalens der Soldatenrohlinge wird sogar in den Katalogen dekla-riert: „Sämtliche Lineol-Soldaten, bei denen das sinn-gemäß ist, sind in den Uniformen aller Nationen zu haben.“

Spielzeugfabrikanten O. Wiederholz – wurde so beti-telt, weil dort die weiblichen Arbeitskräfte nun auch Soldateniguren aus Lineol bearbeiten mussten. Obwohl Spielzeug während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland wegen der Rüstungsproduktion fast nicht mehr hergestellt wurde, konnte die Firma Lineol-AG weiterhin Militärspielzeug und auch Tiere produ-zieren. Durch den Export kamen Devisen in das Land. Der Betrieb hatte aber zunehmend Schwierigkeiten, die Produktion in Brandenburg kontinuierlich fortzu-setzen. Es mangelte an wichtigen Rohstoffen. Gravie-render aber war der Arbeitskräftemangel. Fachkräfte der Lineol-Werke wurden in den Krieg oder in die Rüstungsindustrie abkommandiert. Auch die zahl-reichen weiblichen Arbeitskräfte schufteten nun in Rüstungsbetrieben. Die Firma verlegte deshalb 1941 ihre Produktion nach Iglau (heute: Jihlava) in Mähren. In diesem Zweigbetrieb arbeiteten dort ansässige Bewohner. Produziert wurden weiterhin Lineol-Soldaten und militärisches Zubehör sowie Lineol-Tiere. Zuarbeiten erfolgten auch in Brandenburg. Häft-linge des Zuchthauses Brandenburg-Görden mussten bestimmte Arbeiten wie das Kratzen der Rohlinge und das Bemalen der Soldateniguren ausführen. In diesen Prozess war als politischer Häftling auch Erich Honecker einbezogen.

Als im Mai 1945 die Rote Armee die Stadt Bran-denburg eingenommen hatte, sprach sich herum, dass in der Produktionsstätte der Lineol-AG „deut-sche Soldaten“ lagern sollten. Schwer bewaffnet „eroberten“ die Sowjetsoldaten das Werkgelände. Aber hier lagerten keine deutschen Wehrmachtsol-daten, sondern nur Tausende Lineol-Soldaten, teils als Rohlinge, teils bereits als bemalte Fertigiguren.

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Werbeblatt, 1934. Entwurf: Walter Garski (1884-1961), Künstler aus Brandenburg

Militär und Alltag

Mit dem Brandenburger Lineol-Spielzeug wurden „Kriegsspiele“, „Schlachten“ und „Paraden“ inszeniert. Die NS-Propaganda wird ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Die meisten Jugendlichen empfanden die Auslüge und das Marschieren bei der Hitlerjugend in einer „schicken Uniform“ als sinnvolle Freizeitbeschäf-tigung. Hier lernten sie Drill und Gehorsam kennen. Zur vaterländischen Erziehung gehörte es auch, sich Vorträge über militärische Themen anzuhören. So ist davon auszugehen, dass die kleinen „Nachwuchssol-daten“ in den 1930er Jahren besonderen Spaß am Kriegspielen mit Lineol-Spielzeug hatten und „Sieg um Sieg“ erringen wollten. Schließlich prägten in Bran-denburg lange schon marschierende Soldaten, ausrü-ckende Truppenteile und Militärorchester das alltäg-liche Stadtbild.

Kriegsspielzeug:ErfahrungenimMuseum

Die jungen Menschen, die, oft freiwillig, den wirk-lichen Krieg erlebt hatten, verurteilten später ihre „Kriegsspiele im Freien“. Das ergaben Gespräche mit den inzwischen erwachsenen Männern in den Spiel-zeugausstellungen im Museum im Frey-Haus in den letzten Jahrzehnten. Die Jungen hatten im Zweiten Weltkrieg die Schrecken des Krieges erlebt. Nicht wenige kehrten als Invaliden zurück. Viele ehemalige Wehrmachtssoldaten bekannten sich jetzt als Pazi-isten. Sie hatten festgestellt, dass zwischen dem „harmlosen“ Kinder-Kriegsspiel mit Lineol-Figuren und dem Krieg in der Realität Welten lagen. Das Kriegs-spielzeug hatte für sie „ausgedient“. Es wurde von vielen ehemaligen Soldaten weggeworfen. Nach dem Kriegsende waren der Besitz und die Herstellung von Kriegsspielzeug ohnehin verboten.

Aufschlussreich sind Erfahrungen bei der Präsentation des Kriegsspielzeugs in Sonder- und Dauerausstel-lungen des Museums im Frey-Haus in Brandenburg an der Havel in den Ausstellungen zur Brandenburger Spielwarenindustrie von 1986, 1992 und 1999.

In Gesprächen in der Ausstellung kristallisierten sich Besuchergruppen mit unterschiedlichen Meinungen zur Darstellungsweise dieser Thematik heraus.

Überzeugend berichteten ehemalige Soldaten von ihren schrecklichen Erlebnissen. Nach Brandenburg zurückgekehrt, verurteilten sie „ihre einstigen fanta-sievollen Kriegsspiele mit Lineol-Zeug“. Zutiefst hatte sie der grausame Kriegsalltag erschüttert. Sämtli-ches Kriegsspielzeug verbannten sie sofort aus ihrem Umfeld und aus ihrem Gedächtnis. Die Konfrontation mit dem militärischen Kriegsspielzeug in der Ausstel-lung regte sie aber an, sich damit auseinander zu setzen. Eine zweite Besuchergruppe, meistens aus der jüngeren Nachkriegsgeneration, aber auch ältere Besucher, kritisierten die in ihren Augen „lieblose und chaotische“ Präsentation der Lineol-Soldaten und des militärischen Blechspielzeugs. Von den Ausstellungs-machern waren die Soldaten bewusst kreuz und quer übereinander gelegt worden. Die Gesprächspartner waren der Ansicht, dass in einer Ausstellung derar-tige Objekte als historisches Kulturgut anzusehen sind. Die Begründungen der Ausstellungsautoren, es handele sich zwar um Spielsachen und Branden-burger Industrieprodukte, die aber bei der Jugend-erziehung im Dritten Reich eine fragwürdige Rolle gespielt hatten, die man nicht ignorieren dürfe, wurden nicht akzeptiert.

Ein kleinerer Besucherkreis, vorwiegend westdeut-sche Politiker, die um die Wendezeit 1989 in Bran-denburg weilten, lehnte die Interpretation des Kriegs-spielzeugs als Mittel der ideologischen Beeinlussung von Kindern und Jugendlichen ab, obwohl Texte und Graiken in der Ausstellung die schrecklichen Folgen des Zweiten Weltkrieges belegten.

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Werbeanzeige, aus: „Brandenburger Anzeiger“, 1915

Kübelwagen, mit aufklappbarem Verdeck und Tarnanstrich, 1930er Jahre

Militär und Alltag

sind entsetzlich dünn, wie ein uniformiertes Skelett. Obwohl so viele Heimarbeiter mit ihnen beschäf-tigt waren, sehen sie aus, als hätte eine Person alle hergestellt. Die Einheitlichkeit ist verblüffend. Sie sind alle ausgezeichnet“.1

1 David Hawkins, in: Dennis Fontana, S.7.

Literatur:Dennis Fontana, Kriegsspielzeug. Die Geschichte von Lineol, London 1991.Gerd Heinrich, Ritter und Soldaten – Aufstieg und Fall der Lineol-Werke Oskar Wiederholz, in: G. Heinrich, K. Heß, W. Schich u. W. Schößler (Hg.), Stahl und Brennabor. Die Stadt Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert, Potsdam 1998, S. 457-479.Heike Köhler, Katharina Kreschel, Vom Störrischen Esel zum Kletteraffen Tom. Blechspielzeug des Ernst Paul Lehmann Patentwerkes, Brandenburger Museums-hefte 6, 2007.Dies., Albert Caasmann – ein Künstler und seine Figuren. In: Jahresbericht Histo-rischer Verein Brandenburg (Havel) e. V., 16, 2006-2007, S. 21-51.Helmut Lang, Andreas Pietruschka (Hg.), Figurenmagazin – Zeitschrift für Samm-ler von Aufstell-Figuren. Berlin, jährlich 4x erscheinend.Fritz Preibsch (Hg.), Spielzeugsoldaten, Lineol - Band 1, 2, Katalog, Ausgabe 2003, 2004.Holger Timm, Peter Pfefferkorn (Hg.), Das Lineol-Bilderbuch 2005/06. Militärische Aufstelliguren und Zubehöre der 7,5 cm-Größe, Berlin 2006.Dies., Das Lineol-Bilderbuch Band 2, Militärische und politische Aufstelliguren verschiedener Größen von 1906-1941, Berlin 2006. Dies., Das Lineol-Bilderbuch Band 3, Geschütze, militärische Gespanne und Fahrzeuge von Lineol und Hausser, Berlin 2007.

Eine weitere Besucherkategorie bestand aus ehema-ligen Industriearbeitern und -arbeiterinnen der Lineol-Werke. Diese betrachteten das Spielzeugsortiment, ob es nun Lineol-Soldaten, Tiere oder Ritter waren, in erster Linie als Industrieprodukte. Stolz berichteten sie von ihrer Arbeit, besonders die Ziseleure. Sie betonten, dass ihnen die Arbeit in den Lineol-Werken Freude bereitet hatte. Schließlich stellten sie Spiel-zeug her!

Zu einer speziellen Besuchergruppe formierte sich vor allem nach 1990 der große Kreis der Spielzeug-sammler. Das Spielzeug von Lineol, insbesondere das militärische, war inzwischen zu einem begehrten Sammelgut geworden. Seinen eigentlichen Charakter als Spielzeug hat es darüber verloren. Ein Blick in die Zeitschrift „Das Figurenmagazin“ zeigt die Viel-falt der Sammelgruppen und Aspekte der Sammler von historischem Spielzeug. Sammler achten auf Einzelheiten an den Figuren, auf die realitätsge-naue Bemalung oder auf Varianten eines Objektes. Das sind bedeutende Kriterien bei der Bewertung von Figuren. Entscheidend ist nicht zuletzt, dass die Zahl der hergestellten Artikel die Höhe des Preises mitbestimmt.

Spielwaren, Sammlerstücke oder ideologisches Kampfmittel? In einer Publikation von 1991 über das Lineol-Spielzeug indet sich eine letztlich treffende Beschreibung zum militärischen Sortiment:

„Lineol-Soldaten sind keine `bayerischen Holz-schnitziguren . Sie sind furchterregend. Sie kennen keine Familie, außer dem Vaterland. Sie sind Auto-maten; sie marschieren mit unbarmherzig zielstre-bigem Schritt. Sie erfüllen jeden Befehl. Ihr Alter lässt sich im Gesicht nicht erkennen. Einige der Modelle