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Kapitel 4 Neuroleptika - unerläßlich oder gefährlich? Langzeitpatienten und Neurolepti kasch äden im Blickfeld lhrer Produzenten Peter Lehmann NeuroleptikaführeneinektinstlichehimorganischeErlcankungherbei, diemitirrever- siblenFolgeschädenverbunden seinkann: TrdiveDyskinesie,Krebs, Mißbildungen, selbsunond, "symdrom dergebrochenen Feder". verlust des selbswerEauens, Bloc- kade psychotherapeutischer Möglichkeircn sowie vorprograrnmierung von Rücld?ll- len in die Psychiatrisierung sindweiterc negarive Nebenwirkungen. Die Entbehand- lung mit Neuroleptika sollte unbedingt verhindert werden. um die psychianie- und speziell die Neuroleptika-Rage zu lösen" brauchen wir geduldige psychische unter- stützung, verbunden - soweit gewänscht - mit unschädtichen natürlictren Beruhigungs- minelnauf Grundlage eines Rechts auf psychopbrmaka-freie Hilfe; weiterhin benö- tigenwirdieEinbeziehung ehemaligerpsychiarie-knass(inn)enindie Ausbildung von Professionellen, mögediesauchrmbequemsein, sowiepersonal4itdennotwendigen mentalenFähigkeiten.It{enschenrechtefiirPsychiarie-BeEoffenekönnennurdannats verwirklicht betrachtet werden, wenm sieDiaposen-unabhängig gelten; das Recht auf körperliche Unversebrtheit schließt dieFordenrpg nach Verbot nernoleptischer Zwangs- behandlung ein. 1. Nutzen von Neuroleptika Einen Nutzen bringen Neuroleptika auf psyctrianischen Stationen" wor das personal nicht die Möglichkeiten besitzt, um sichauf einer verbalen oder sonstigen kommuni- 109

Kapitel 4 - antipsychiatrieverlag.de · Dalan, daß eine Verbesserung der Rechtslage von Psychiarie-Betroffenen an die Durchsetzung von Rechtspositionen gebunden ist, erinnerte zuletzl

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Kapitel 4

Neuroleptika - unerläßlich oder gefährlich?

La ngzeitpatienten und Neu rolepti kasch ädenim Blickfeld lhrer ProduzentenPeter Lehmann

NeuroleptikaführeneinektinstlichehimorganischeErlcankungherbei, diemitirrever-siblenFolgeschädenverbunden seinkann: TrdiveDyskinesie, Krebs, Mißbildungen,selbsunond, "symdrom der gebrochenen Feder". verlust des selbswerEauens, Bloc-kade psychotherapeutischer Möglichkeircn sowie vorprograrnmierung von Rücld?ll-len in die Psychiatrisierung sind weiterc negarive Nebenwirkungen. Die Entbehand-lung mit Neuroleptika sollte unbedingt verhindert werden. um die psychianie- undspeziell die Neuroleptika-Rage zu lösen" brauchen wir geduldige psychische unter-stützung, verbunden - soweit gewänscht - mit unschädtichen natürlictren Beruhigungs-mineln auf Grundlage eines Rechts auf psychopbrmaka-freie Hilfe; weiterhin benö-tigenwir die Einbeziehung ehemaligerpsychiarie-knass(inn)enindie Ausbildung vonProfessionellen, mögediesauchrmbequemsein, sowiepersonal4itdennotwendigenmentalenFähigkeiten.It{enschenrechtefiirPsychiarie-BeEoffenekönnennurdannatsverwirklicht betrachtet werden, wenm sie Diaposen-unabhängig gelten; das Recht aufkörperliche Unversebrtheit schließt die Fordenrpg nach Verbot nernoleptischer Zwangs-behandlung ein.

1. Nutzen von NeuroleptikaEinen Nutzen bringen Neuroleptika auf psyctrianischen Stationen" wor das personalnicht die Möglichkeiten besitzt, um sich auf einer verbalen oder sonstigen kommuni-

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kativen Ebene mit den Untergebrachten auseinanderzuseuen. Mit den anti-psychoti-schen Medikamenten werden die als schizophren oder ähnlich diagnostizierten stören-den und unbequemen Lebens- und Sinnesweisen der Betroffenen chemisch neutrali-siert - oft unter deren erbitterten Gegenwehr. Nicht von ungefähr den Begriff der"Vergewaltigung" verwendet der Psychiater ERNST, um nach einer Versuchsreihemit dem Neuroleptika-Prototyp Chlorpromazin die Wirkung beim zwangsweisenEinsatz dieses Psychophamrakons zu charakterisieren (ERNST 1954).

Nicht grundlos setzen Psychiater die Wirkung der Neuroleptika der Hypophysektomiegleich" d-tr. der Entremung der Himanhangdrüse (vgl. LEHMANN 1986, S. 86). Siesprechen hier die dämpfende Einwirkung auf die Himanhangdrüse aq die Zenralstelleder hormonalen Regelung. Die sterüisierende Wirkung der Neuroleptika ist allenPsychiatern bekannt (LEHMANN 1986, S. 175ff.). Da sie von keinem Vertreter dieserZruftemsthaftbeklagtwird, därfen wir problemlos davon ausgehen, daß die heutigenSozialpsychiater in der Verwendung der Neuroleptika einen Ersatz gefunden haben fürdie Anwendung ihres Gesetzes zur Verhünrng erblcanken Nachwuchses, das ausbekarmten Gründen keine operativen Sterilisationen mehr erlaubt (LEHMANN'1983;BI]RKARTMÜLLER 1989).

EinenNutzenbringenNeuroleptikaauchim Bereich derTierrnedizin, wo sie aufgrundihrer anti-psychotischen Wirkung - so das "I€xikon der Tierarzneimittel" - ihrenEinsatz findenbei der Ruhigstellung aggressiver Schweine undZiegenoder widersetz-licherund unleidlicher Zootiere enrabeim Beschlageq Scheren oder bei Ausstellungenund bei der Ausschalhng natürlicher Abwehrbewegungen bei diagnostischen undtherapeutischen Eingriffen an Pferden, Rindemund Hunden (PETRAUSCH 1987).

2. Schäden von Neuroleptika

Wie der schwedische Mediziner MARTENSSON 1984 auf derKonferenz deTWORLDFEDERATIONFOR MENTALHEALTH ausführtg istdieDiskussionum einenkurz-oder langfristigen von Neuroleptika rügerirsch: "Die Erfahrung zeigt, daß, wenn einnewoleptisches Medikament einem jungen Menschen in einer schizophrenen KrisezumerstenMalegegebenwird,erfastimmerfortfahrenwird,dasMedikamentfürlangeZeiträume oder das ganze I*ben an erhalten." (MARTENSSON 1984) Der zeitweiseGebrauchvonNeuroleptikasei eine Falls Erberaubt den Merschen derHoffnung unddes Selbstverrauens, eine Krise auch ohne Drogen zu bewliltigen, und bringt ihn aufden Weg steigender Medikamentenabhängigkeit.Über die gesetzmäßig aufretenden Schäden der Neuroleptika liegt mit dem Buch ' 'Der

chemische Knebel" (LEHMANN 1986) eine umfangreiche Zusammenstellung vonBerichten über körperliche, geistige und psychische Neuroleptika-Auswirkungen vor;die Gefahr der Krebsentwicklung aufgrund Neuroleptika-Einsatzes ist hier ebenso

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gerumnt wie die Gefahr von Mßbildungen. unter Neuroleptika entwickeln sich - beieiner signifikant erhöhten Zalrl von Chromosomenbrüchen und -rissen dieselbenMißbildungen wie unter Tbalidomid (Contergan) (O'LEARY / O'LEARY 1 964) . Jedepsychiarische Fachzeitschrift ist eine Sammlung von Dokumenten über Neuroleptika-verursachte Schäden, handelt es sich um harrnlosen rlaarwuchs auf der Zunge (PAGA-NINI / n orl-ow 1959) oder um Erweiterung des 3. venrikels (TANAKA er al.1981), selbst die offiziellen Herstellerinformationen, die zwecks vermeidung vonRegreßansprüchen vonnordamerikanischen pharrnafirmenan die Anwendergegebenwerden, sprechen von weireichenden" dosisunabhängigen Schäden auch nach kurzerAnwendungszeit (EEG- und EKG-veränderungen, Einschränkung der Konzentra-tionsfühigkeit, epileptische Anf?ille, Geschwulsrbildung, parkiruon-Erkrankung, dy-stonische und dyskinetische Krankheitssynrptome, Icberschädigung, Impoterz, Aus-bleiben der Mensruadorq Agranulozytose, flaarausfall, Depression, Lethargie, Neuro-leptisches lvlalignes syndrom, sudden Dearh) (MCNEIL PHARMACEUTICAL 19sg).uber Langzeitschäden als Folge der Neuroleptika wird zunehmen berichret (BREG-GIN 1984, MARTENSSON 1984, LEHMANN 1986, MCNEIL PHARMACEUTI-cAL 1988). Hervorzuheben ist dabei die ardive Dyskinesie, die als ineversibleMuskelerkrankung nach schätzungen des englischen psychologen HILL weltweit ineiner Größenzalrl von ca. 40 Millionen vorkommr (I{LL 19g5, LEHMANN / HILL1989). Besonders beängstigend sind hierbei die Untersuchungsergebnisse einer For-schergruppe aus den u.s.A., nach denen Patienten und patientinnen, die unter Neuro-leptika-bedingter tardiver Dyskinesie liue4 signifikant fräher als Konrollpatientenund -patientinnen staöen (MEHTA / MALLYA / VOLAYKA 1928). Ob die bteiben-den schäden auf Rezeprorenveränderungen (MAcKAy et al. 19gz) oder auf nochunbekarurteUrsachenzurückzufiihrensin{ därftehiervonsekundärerBedeutung sein,An alarmierenden obduktionsbefunden sind vor allem arophische Zustjinde desGehirns, Schädigungen der Bauchspeicheldrüse, des Herzmuskels, der Leber undPigmentablagerungen in allen organen an nennen (LEHMANN 19g6; LEHMANN1988).Einer lebhaften Diskussion um die Indikarion der verschiedenen Neuroleptika steht einauffälliges velsghweigen der Abhängigkeits- und Entzugserscheinungen gegenüber.Betroffene uTg ihte Angehörige werden mir ihren Angsten beim Aüseeen alleinegelassen (STOCKLE 1983); Berichte über verbessertes Abschneiden unter Plazebos(Quote der erneuten Psychiatrisierung: 18 7o) versus Neuroleptika (euote der emeutenPsychiatrisierung : 73 7o) (PERRY I 977) werden von psychiarern ignoriert. psychischeIangzeitschäden wie das bezeichnende "syndrom der gebrochenen Feder,' G{ELM-CHEN / HIPPTS 1964) finden weder in der psychiarischen noch der öffenrlichenDiskussion wesentliche Beachrung, ebenso Folgeschäden wie Zalmausfall als Konse-quenz Apathie-bedingter rnangelnder Zahnhygiene und Austroclnung der Mund-schleimhäute(RYDGREN 1976)oderoberschenkelhalsbnichealsKonsequenzKreis-laufschwäche-bedingrcr Sfürze (RAy er al. l9g?).

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Katasrophal sind die unmittelbaren psychischen Auswirkungen der Neuroleptika,seien diese Veränderungen nun vorübergehend oder bleibend. Apathie und emotionaleVereisung, von KLEIN und Mitarbeitern treffend als Neuroleptika-bedingtes "Zom'bie.syndrom" chrakterisiert (KLEIN / FELDMANN I HOMGFELD 1970, KLEIN /ROSEN / OAKS 1973), drücken das subjektive Erleben des Zeitstillstandes aus;physiologisch dürfte diesem Erleben die funktionelle Blockade der Dopamin-Rezepto-ren und der herabgesetzte Sauerstoffwechsel im Gehirn zugrunde liegen. Den Berichtenvon Betroffenen (srÖcrrn 1983, MüLLER 1984, CIERPKA I 988, MÜLLER I 988)über diese depressiv machenden Neuroleptika-Wirkungen, die nicht selten im Selbst-mord enden (LEHMANN 1986), entsprechen die Erfahrungen, die von Psychiatem beiihren vielf?iltigen Selbstversuchen mit Neruoleptika gemacht wnrden. Während ERNSTan einen hölzemen, niedergedrückten Greis denken ltißt, der stimmungsmäßig mitseinem Leben bereits abgeschlossen hat @RNST 1954), stellen IIEMANN und WITTebenfaUs nach Selbsfversuchen das quiilende Erlebnis in den Vordergrund "daß manüberhaupt so elend und preisgegeben sein kann, so leer und überflüssig, weder vonWtirschen noch anderem erfüIt ... Das Erlebnis eines Sanz pa.ssiven Existierens beiklarerKennuris dersonstigenMöglichkeiten" (HEIMANN/WITT 1955) istauchbeiBetroffenen oft genug die Erfahrung, die sie - Folge derNeuroleptika-Behandlung - inden Tod reibt.Noch einmal soll ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß auch kleinste Dosie-rungen von Neuroleptika lebensgefiihrlich sein können. So berichtet der BerlinerPsychiater HELMCHEN von der Auswirkung des Misch-Psychophamtakons Tono-quil, das unter anderem das Neuroleptikum Thiopropazat enthäl* "In der BerlinerKlinik rat bei einem Staatsexamenskandidaten in der Prtifungssituation ein Zungen-schlundsyndromauf,Nachgenauem Befragen warherauszufinden, daß derBe6effen-de eine Tablette Tonoquil eingeommen hatte; hiel scheint die These, daß Minidosenvöllig unschädlich seien, doch widerlegt." (IIELMCHEN 1983).

Es sind nun gerade Sozialpsychiater, die es mit iherer Reaktion auf Neuroleptika-Schäden einem Psychiafie-laitischen Merschen äußerst schwer machen, den Glaubenan einen Forßchritt der Psychiatrie in Richtung Mehr Menschlichkeit zu entwickeln,Zwei Beispiele mögen diese Skepsis belegen: Während der u.s. amerikanische Psych-iarer BREGGIN die Neuroleptika-bedingte Parkinson-Erkrankung als die schlimmstedurch Medikamenle verursachte Katasrophe in der Geschichte wertet (vlg' LEH-MANN 1986, S. 4), möchten DÖRNER/PLOG glaubenmachen, das häufig irrversibleParkinson-Syndrom könnte ein Neuroleptika-Beroffener lediglich (äußerlich) erlemthaben, "... um seine Gefühtsabwehr durch die parkinsonisrische Gefühlsausdrucks-sperre zu vervollständigen, Unter dieser Parkinson-Maske kann er sein inneres ElendseineAngstAnderenundsichnochbesserverbergen." (vgl.LEHMANN 1986, S.215)Von einem Emsmehmen der Neuroleptika-bedingten Körperschädigung ist bei einersolchenpsychologisierenden Auffassung nichts zu spären. Beiqpiel 2: Am Abend des

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14.November 1989 be,richteteineinerDiskussionumeinprojekrdes VEREINSZIIMscHurz voR PSYCHIATRISCHER GEWALT E.v. (i.c.) ein psychiarer aus derKarl-Bonhoeffer-Anstalt über seinen Neuroleptika-selbstverzuch in einer weise, diegeeignet war, ahnungslose Dritte zur Nachahmung zu verleiten, Als ich den obenerwähnten Bericht HELMCHENs vorlas, um alle Anwesenden vor der Gefahr einestheoretischdurchaus tildlichendendenZungenschlundsyndroms zu wamen, versuchlederBerlinerSozialpsychiaterLEHMKUHLdenHinweisaufeineschlidlicheNeurolep-tika-wirkung lächerlichzumachenmitdenvölligdeplaziertenworten, auchaneinemLöffel Salz könne rran sterben (LEIIMKUHL 1939).

3. Diskussion über Schaden und Nutzen vonNeuroleptikaDaß die Bewertung der Neruoleptika-Behandlung nicht von der Tasache abhängt, obderbzw.diewertendeAnwenderoderobjektderS"s4ftrrngist, zeigeudieveröffent-lichungen lritischer Professioneller (szAsz 1980, KELSTRUP 1983, BRECiGIN1984, MARTENSSON 1984,HILL 1985, MAZENAUER 1985, SZASZ 1987, RUFER1988a RUFER 1988b), deren standpunktan derwabrung der Menschenrechte und anden existentiellen Interessen der Betroffenen orientiert isg neben dem Erbalt derkörperlichen und geistigen Fähigkeiten stehen hier eine unabhängige I-ebensführung,Kreativität und Erlemen einer Verarbeitung emotionaler KonJlikte im Vordergrund.MARTENSSON schließt aufgrund der Einwirkung der Neuroleprtika auf das limbischesystem eine Psychotherapie unter Neuroleptika aus (MARTENSSON 19M). AhdicheErfahrungen machten Anwender ktirperorientierrer Therapien (MATUSSEK 1979).Dies istbeivernünftigerBerachnrng wenig verwunderlich, geltenanderepsychoropeSubstanzen wie z.B. Marihuan4 Alkohol oderHeroin beiPsychotherapien ebenfalls alskonraindiziert. Wenn selbst schon unter l^aien bekannt ist" daß soziale und psychischeProbleme mit Drogen wie ltreroi4 Kokaia Alkohol oder Barbituraten nicht zu lösensind, so erhebt sich an dieser stelle die Frage, welchen vemünftigen Grund es gebensollte, angesichts der beschriebenen wirkungen ausgerechnet Neuroleptika einenproblemlösenden Effekt zuzuschreiben. In keinem Gegensatz zu diesen Aussagen stehtdie Tatsache, daß - wie mirtritfe anderer Drogen auch - kurz- und mittelfristigeAnpassungsleistungen unter Neruoleptika durchaus anzutreffen sind, worüber diepsychiarrische Literatur in großem umfang berichtet - allerd.ings, wie wir gesehenhaben" werden diese Anpassungsleistungen erzielt unter Preisgabe der körperlichenGesundheit, verbundenmitder(mitdemBegriffdes "chemischenKnebels,'beschrie-benen) unterdrüchrng existentieller Gefähle, Angste 'nd wänsche, der unterbunde-nen psychischen Enrrricklung, der erhöhten Repsychiatrisierungsgefat[ (..Drehtürp-sychiatrie") und der verhinderten sozialen Auseinandersetzung. Erfolgt nicht ba6 tinumdenken in der Neuroleptika-Frage, besteht die Gefalu, daß in einem Jatrzehnt

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kritische Veröffentlichungen über die Gleichgültigkeit erscheinen werden" mit derNeuroleptika-Anwender der offensichtlichen Schädlichkeit ihre eigenen Tuns gegen-überstehen - Veröffentlichungen, wie sie bereits über Lobotomie (VALENSTEIN1986) undElekroschock (BREGGIN 1980) vorliegen, den':nmittelbaren Vorgängemder Neuroleptika.Neben den massiven körperlichen" geistigen und psychischen Schäden dürfte die Un-terschlagung echter Hilfeleistung dulch den - Hilfe vorgebenden - Einsatz von psych-iaUischen Psychopharmaka den größten Schaden für die Betroffenen darstellen. Auf-grund der potentiell schon nach kurzer kit eintretenden körperlichen und psychischenSchädenmußdieErstbehandlungunbedingtvermiedenwerden.Erfahrungsgemäßgehtder Ausbau der Gemeindepsychiatrie einher mit dem Ansteigen der Zwangsein-weisungsrate (BRUNS i986) sowie der Perpetuierung der ambulanten Neuroleptika-Anwendung (LEHMAIIN 1989b); so bildet die llaltung zur Gemeindepsychiarieeinen zen6alen Prüfstein zur Klärung der Tatsache, inwieweit eine Organisation odereinzelne Menschen ernsthaft existentielle gesundheitliche Interessen von Psychiarie-Betroffenen berticksichtigen. Angesichts der massiven Schäden, die NeuroleptikaverursacherL liegt die Forderung nach einem Recht auf Psychopharmaka-freie Hilfe aufder Hand. Nichts ist ettrischer, als Forderungen verantwornrngsbewußter Betroffenernach Gesprächen rurdunschädlichen natürlichenBeruhigungsmiüeln, sofem gewünscht,nachzugeben und zum Progfamm zu machen. Um diese Forderungen umzusetzen, istes notwendig, Institutionen zu schaJfen und/oder finanziell gut auszustatten, derenPersonal von Betroffenen - je nachdem - mit-ausgebildet" ausgewählt oder gar mit-gestellt wird, Dies wärde helfen, Personal mit den notwendigen mentalen Vorausset-amgen zu finden. Hier, wo viel Widerspruch von etablierten psychiatrisctr Tätigenkommen wird, soll daran erinnert werden, daß die herkömmliche psychiarischeTätigkeit auch den Behandlem wenig Befriedigung bringq wie anders ist sonst zuerklären, daß ihre Berufsguppe die hfrchste Selbsgnor&ate unter allen Berufsgruppen(BLACHLY / DISHER / RODUNER 1968) aufweist?Dalan, daß eine Verbesserung der Rechtslage von Psychiarie-Betroffenen an dieDurchsetzung von Rechtspositionen gebunden ist, erinnerte zuletzl der 1. DeutscheVormundschaftsgerichtstag 1988, als die Anwesenden u.a. folgende juristische Forde-rungen erhoben: Gültigkeit von Vorausverfügungen wie z.B. das PsychiarischeTestament; Gesundheitsvelmutung analog der Unschuldsvelmutung im SfafrechqPsychiafie-Beroffene sollen rechtlich nicht mehr schlechter gestellt sein als Srafüiter(LEHMANN 1989a).Die dargestellten Neuroleptika-Schäden rücken die Forderung nach einer der zentral-sten Rechtspositionen in den Vordergrund: gemeint ist das Recht auf körperlicheUnversehrtheit. Gesellschaften, Staaten, ArzteundÄrzdnnenetc., diesichWertenwieNächstenliebg Selbstbestimmungsrecht des Menschen oder dem hippokratischen Eidverpflichtet fühlen" machen sich zutiefst unglaubwürdig, werm sie weiterhin beharrenauf dem Recht auf willk'rirliche und gewaltsame Behandlung mit schwerst schädigen-

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den neurotoxischen Psychodlogen, den Neuroleptika. Nach allem, was bisher gesagtwurdg karm die Antwort auf Fragg "was wir von den Langzeitpatienten fär dieAkutpsychiarie lernen kännen" (Mo$o der DGSP-Jahrestägung 1989), nur lauten:verzicht auf Erst- und Zwangsbehandlung mit Neuroleptika mit ibren langfristigpersönlichkeits- und körperzerst(nenden, den sozialen Abstieg vorprograrnmierendenAuswirkungen.

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