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Kapitel eins: Kontext: Wir sind mittendrin und ohne ihn ist alles nichts 1. Nachrichten aus der Normenwelt: Der Blick nach außen und nach innen Kontext! Wir springen direkt hinein in das erste relevante Kapitel der »High Level Structure«. Was haben Normen und Standards zum Thema »Kontextanalyse« zu sagen? Und wie können wir das als Leitfaden oder Skelett zum Aufbau einer resilienten Organisation nutzen? Natürlich haben alle Standards ganz verschiedene Anwendungsbereiche: Qualitätsmanage- ment, Informationssicherheit, Business Continuity Manage- ment eine Kontextanalyse wird unter diesen verschiedenen Blickwinkeln verschiedenen Schwerpunkte aufweisen bezie- hungsweise immer nur die direkt relevanten Bereiche beleuch- ten. Der Ablauf einer solchen Analyse und die zu betrachtenden Punkte sind aber immer gleich darum sprach ich in der Ein- führung oben von einem »Skelett«. Zum »Fleisch am Knochen«, den Muskeln und Sehnen, also den Maßnahmen, die Ihr Un- ternehmen exibel und beweglich (und damit in der Summe resilient) machen, kommen wir im letzten Teil des Kapitels Als wichtigste und erste Frage müssen wir klären: Was ist mit dem Kontext einer Organisation überhaupt gemeint? Grund- sätzlich sind das alle Faktoren, die sich auf das Unternehmen auswirken können, also die, die sich im Inneren der Organisa- tion benden, und die äußeren, also das Umfeld. Das »Kapitel vier« jedes ISO-Standards fordert uns dazu auf, den internen und den externen Kontext des Unternehmens zu betrachten und zu analysieren. Am Ende einer solchen Analyse haben Sie idealer- weise zusätzlich die Stakeholder (»interessierte Parteien«) er- mittelt, also alle, die ein irgendwie geartetes Interesse an der 51

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Kapitel eins:Kontext: Wir sind mittendrin –und ohne ihn ist alles nichts

1. Nachrichten aus der Normenwelt: Der Blick nach außenund nach innen

Kontext! Wir springen direkt hinein in das erste relevanteKapitel der »High Level Structure«. Was haben Normen undStandards zum Thema »Kontextanalyse« zu sagen? Und wiekönnen wir das als Leitfaden oder Skelett zum Aufbau einerresilienten Organisation nutzen? Natürlich haben alle Standardsganz verschiedene Anwendungsbereiche: Qualitätsmanage-ment, Informationssicherheit, Business Continuity Manage-ment – eine Kontextanalyse wird unter diesen verschiedenenBlickwinkeln verschiedenen Schwerpunkte aufweisen bezie-hungsweise immer nur die direkt relevanten Bereiche beleuch-ten. Der Ablauf einer solchen Analyse und die zu betrachtendenPunkte sind aber immer gleich – darum sprach ich in der Ein-führung oben von einem »Skelett«. Zum »Fleisch am Knochen«,den Muskeln und Sehnen, also den Maßnahmen, die Ihr Un-ternehmen flexibel und beweglich (und damit in der Summeresilient) machen, kommen wir im letzten Teil des Kapitels …

Als wichtigste und erste Frage müssen wir klären: Was ist mitdem Kontext einer Organisation überhaupt gemeint? Grund-sätzlich sind das alle Faktoren, die sich auf das Unternehmenauswirken können, also die, die sich im Inneren der Organisa-tion befinden, und die äußeren, also das Umfeld. Das »Kapitelvier« jedes ISO-Standards fordert uns dazu auf, den internen undden externen Kontext des Unternehmens zu betrachten und zuanalysieren. Am Ende einer solchen Analyse haben Sie idealer-weise zusätzlich die Stakeholder (»interessierte Parteien«) er-mittelt, also alle, die ein irgendwie geartetes Interesse an der

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Organisation haben. Und deren Erwartungen und Anforde-rungen ermittelt. Aber alle Theorie ist grau (und die in Normenund Standards besonders) – darumwieder ein Beispiel, bevor wiruns in weitere Fakten vertiefen:

Vor den Toren von Nürnberg, 1485

Als der Drahtziehermeister Friedrich Günnemund im Frühjahr1485 von einer Reise in ein anderes, nördlicher gelegenes Zentrumseiner Handwerkskunst (nämlich Iserlohn) in seine HeimatstadtNürnberg zurückkehrte, hatte er die Taschen voller Gold undgenoss darum den Schutz einer bewaffneten Eskorte. Nach demscharfen Ritt der letzten Tage und einer groben Attacke gemeinerWegelagerer war er heilfroh, als sich am Horizont schließlich dieinnig herbeigesehnten Türme und Zinnen abzeichneten. Und erwar auch zufrieden, hatte er doch im Norden neue interessanteGeschäftsbeziehungen zu dem Kollegen Volmar Steinfried knüp-fen können, ihm darselbst eine große Ladung dünn gezogenenEisendrahtes verkauft und im Gegenzug dafür neue und feineZieheisen und das wertvolle Säckchen mit den Goldstücken er-halten, das nun an seiner Brust ruhte.

Das Herz ging ihm auf, als die Sonne durch dieWolken brach unddenNebel auflöste: Nun konnte er die Kaiserburg gut erkennen, inder aktuell der Burggraf residierte, und auch die links der Burggelegenen stolzen Kirchtürme stiegen langsam aus demDunst auf.Nach kurzer Zeit vergoldete die nun immer stärker scheinendeMorgensonne leicht die roten Dächer der Bürgerhäuser, wie sieam Hang gelegen waren, der sanft in Richtung der mächtigenStadtmauer abfiel. Je näher Friedrich mit seiner kleinen, wehr-haften Truppe kam, desto mehr Details erfreuten seine Augen.Kurz hielten er und seine Männer auf demHügel vor dem kleinenTal außerhalb der Stadt inne und ließen das heimelige undgleichzeitig beeindruckende Bild auf sich wirken: die sandige undvon Wegen und Hecken durchzogene Senke direkt vor ihnen unddie wehrhafte Stadtmauer mit ihrem Verteidigungsring kleiner

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Türme, dem oberen Wehrgang und den sorgfältig bewachtenStadttoren. In die kleinen und gemütlichen Sträßchen des Zentrumskonnte er von seiner Warte aus nicht blicken, aber er wusste, dassdort um diese Zeit das städtische Leben schon erwacht war undHändler auf dem Weg zum Markt, Bürgersleute in Eile zur Rats-sitzung und Handwerker zu ihren Werkstätten unterwegs waren.

Abbildung 1.1: Älteste gedruckte Ansicht Nürnbergs in der Schedelschen Weltchronik, 1493(Quelle: Schedel, Hartmann / Wolgemut, Michael [Illustrator] / Pleydenwurff, Wilhelm [Illustrator]: Registrumhuius operis libri cronicarum cu figuris et ymagibus ab inicio mudi, Nuremberge, Consummatu[m] autemduodecima mensis Julij. Anno salutis n[ost]re. 1493 [1493.07.12.] [HC 14508 - BSB-Ink S-195 - GW M40784 -ISTC is00307000])

Ein Tross Karren verließ gerade das linke große Stadttor. Tief imInneren seufzte Friedrich leise und erleichtert auf, herrschte dochtrotz der fast allgegenwärtigen gefährlichen und lästigen Wege-lagerei nun schon seit vielen Jahren grundsätzlich Frieden imLand. Lange schon hatte kein Feind mehr vor den Toren Nürn-bergs gestanden! Kontinuität hieß das Zauberwort, denn keinKaiser hatte bis jetzt so lange regiert wie sein NamensvetterFriedrich III., der nun schon vor Jahrzehnten im fernen Romgekrönt worden war, sich aber immer noch bester Gesundheiterfreute. Das war gut für die Zünfte und das Handwerk, aberauch gut für den Handel generell. Friedrich Günnemunds Stadt

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erlebte eine nie gekannte Blütezeit. Das hatte sogar den Volks-mund dazu bewogen, das Sprichwort ›Nürnberger Tand gehtdurch alle Land‹ aus der Taufe zu heben. Handel und Wandelgediehen enorm; die protzigen Patrizier im Rat hatten vor einigerZeit sogar verbreitet, dass das Handelsvolumen der Stadt größersei als das einer ganzen Provinz (sie meinten damit das ferneBöhmen).

Ob er das so glauben sollte, wusste Friedrich nicht, aber dass sie inguten Zeiten lebten, wollte er nicht bestreiten. Und er hatte auchnicht vergessen, dass die Bürgerschaft ihm in einem Anfall vonWeitsicht und Großzügigkeit das Gold geliehen hatte, damit erseine ersten Zieheisen kaufen und damit experimentieren konnte– ›zum Wohle deiner Zunft und von uns allen‹ war die Devisedabei gewesen. Na ja, inzwischen hatte er alles mit Zins undZinseszins zurückgezahlt, und es war ihm gelungen, so feineDrähte wie noch nie zu ziehen – die heute sehr hoch im Kursstanden. Sogar bis in den Norden war der Ruhm seiner Zunft undNürnbergs, des ›Schatzkästlein des Reiches‹, gedrungen – hatte derKollege Volmar ihn doch als Ehrengast empfangen und exzellentbewirtet. Tatsächlich spannte sein Reisewams leicht, wie er nunbemerkte; das hatte es bei seiner Abreise noch nicht getan.Mit einemkleinen Willensakt riss Friedrich sich aus seinem Tagtraum, gabseiner Eskorte das Zeichen zum Aufbruch und preschte vom Hügelhinab ins Tal hinein und auf die Tore seiner Heimatstadt zu …

2019, Auditorenausbildung in Nürnberg

So blumig wie hier in der Retrospektive fallenmeine einleitendenWorte im Auditorenseminar selten aus, aber das Bild vonNürnberg, das Sie oben gesehen haben, nutze ich dort sehr re-gelmäßig für den Einstieg ins Thema. Es hilft dabei, den Kontexteiner Organisation zu visualisieren und systematisch zu be-trachten.Wenn ich die Teilnehmer frage, was sie sehen, kommendie Antworten erst zögerlich, dann immer flotter und schließlichwie aus der Pistole geschossen: »Türme, Kirchen, Kaiserburg,

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Stadtmauer, Stadttore, Bürgerhäuser, Straßen, das Land außer-halb der Stadt…« und so weiter. Wenn wir diese Punkte einmalgesammelt haben, fällt die Transferleistung meist sehr leicht. DieTeilnehmer begreifen schnell, dass sie es hier trotz des vielleichtanachronistisch wirkenden Bildes mit einer ausgewachsenenOrganisation zu tun haben, die über einen inneren und einenäußeren Kontext sowie diverse Schnittstellen verfügt.

Kontext konkret – interner und externer Kontext

Der innere und äußere Kontext der mittelalterlichen Stadt lässtsich aus der Abbildung 1.1 gut ableiten: Bei genauer Betrachtungkann man sich vorstellen, wie es damals um die innere Strukturder Stadt, um die Ressourcen, den Handel, die Landwirtschaftund die Politik bestellt war. Und wo die Grenzen, die Schnitt-stellen, Schwachstellen und Durchgänge zur Umwelt hin lagen.Das Leben in der Stadt, Handel und Wandel, Leitungs- undKontrollinstanzen wie die Bürgerschaft, die Zünfte, der Adelund der Klerus (die alle natürlich auch interessierte Parteiendarstellen), Sitten und Gebräuche, Handwerk und Kultur, dasSystem, mit dem regiert und Macht ausgeübt wird – all dasmachte den inneren Kontext der Metropole aus.

Der Blick nach innen

Übertragen wir das auf ein Unternehmen, so liegt es nahe, alleAspekte zu betrachten, die direkt in seinem Einflussbereich lie-gen und die durch Führungskräfte, Mitarbeiter, Zulieferer undDienstleister beeinflusst werden können. Eine solche Analysenimmt folgende Bereiche in den Fokus:l Strategie, Unternehmenspolitik und Ziele der Organisation,l Organisationsstrukturen und Prozesse (inklusive Regelungen,

Richtlinien, Aufgaben- und Verantwortungsbereiche),l Ressourcenlage im Unternehmen (zum Beispiel Personal,

Technik, aber auch Wissen),

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l Informationsflüsse und Entscheidungswege (IT-unterstützteund andere),

l Interessengruppen (zum Beispiel Personalvertretung, Be-triebsrat, Aufsichtsrat oder Beirat etc.),

l Unternehmenskultur (etwa Führungsstil im Unternehmenoder die Frage, wie grundsätzlich kommuniziert wird) und

l vertragliche Beziehungen (mit Kunden beziehungsweiseAuftraggebern und Dienstleistern beziehungsweise Zuliefe-rern).

Der Blick nach außen

Den externen Kontext dagegen machen die sozialen, techno-logischen, umweltspezifischen, ethischen, politischen, rechtli-chen und ökonomischen Umfelder der Organisation aus. Immittelalterlichen Nürnberg spielten hier sicher Faktoren wie dieRechts- und Gesetzeslage im Reich, also etwa, ob gerade Kriegoder Frieden im Land herrschte oder ob es einen stabilenHerrscher oder Gerangel um den Kaiserthron gab, eine Rolle.Auch die Lage der Bauern (war die Ernte gut oder schlecht?)und die damit verbundene Zulieferungssituation in die Stadthinein sowie die Stellung der Stadt im Reich spielten insgesamteine Rolle.

Im Unternehmen heute gehören dazu etwa:l die Rahmenbedingungen im Kulturkreis (ethischer und mo-

ralischer Art, inklusive Vorlieben und Verhaltensweisen inder Gesellschaft),

l Gesetze und Gesetzesänderungen,l der Markt und seine Veränderungen,l das Konkurrenzumfeld und Mitbewerber,l technologischer Fortschritt,l die (wirtschaftliche und politische) Lage an eigenen Stand-

orten sowie an Standorten wichtiger Zulieferer,l das Unternehmensimage und vieles mehr.

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Die Norm verlangt nun generell von Ihnen, den Kontext IhresUnternehmens in ganz regelmäßigen Abständen zu prüfen undzu analysieren. Das sollte mindestens jährlich passieren, aberwenn der Fall eintritt, dass sich im internen oder externenKontext wesentliche Änderungen ergeben, muss die Kontext-analyse aktualisiert werden. Und mit Hinblick auf den Anwen-dungsbereich der jeweiligen Norm müssen Chancen und Risi-ken, die sich aus dem Kontext ergeben, neu bewertet werden.

Kein Unternehmen ist eine Insel

Dass sich der Kontext in einen internen und einen externenaufteilt, wirft zusätzlich die Fragen auf, wie die Organisationabgegrenzt ist, also wie die Schnittstellen zwischen Innen undAußen angelegt, gepflegt oder vielleicht sogar bewacht sind.Während des Auditorenseminars setzt sich diese Erkenntnisimmer durch, wenn die Stadtmauer Nürnbergs die Blicke derTeilnehmer auf sich zieht. Sie bildet hier die perfekte Analogie,weil sie mit ihren Toren und Durchlässen ebenso wie die Un-ternehmen heute viele (auf dem Bild allerdings sehr klar defi-nierte) Schnittstellen mit ihrer Umwelt hat. Schnittstellen, dieRisiken bergen, die aber zum Funktionieren und für eine wirt-schaftlich sinnvolle Interaktion unerlässlich sind. Hier schlum-mert eine der ganz großen Herausforderungen beim ThemaKontext. Und zwar deswegen, weil sich nur steuern und mana-gen lässt, was man sauber abgrenzen und beschreiben kann.

Sie sollten sich zum Beispiel fragen, wie eng Ihre Organisationgenerell eingegrenzt ist. Entspricht sie dem Unternehmen ansich, oder gibt es etwa »verlängerte Werkbänke«, Kooperationenund Lieferketten, die dazugehören? Und wie sind diese wieder-um abgegrenzt, auch von der Verantwortung und Haftung her?Lassen sich bei Bedarf Grenzen verschieben oder (wo nötig)Grenzen neu ziehen? Und wie kann das gehen? Dabei geht esnicht so sehr um eine Abschottung, sondern um kontrollierteZustände, mit denen sich »rechnen« lässt. Und was ist eigentlich

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ganz genau »innen«, und was ist »außen« mit Bezug zum Kon-text? Es gibt etwa in jedem Unternehmen eine Unternehmens-kultur, ob sie nun definiert ist oder nicht. Aber es gibt auch ein»kulturelles Umfeld«, das zum externen Kontext gehört. Wech-selwirkungen zwischen den beiden sind dabei nicht nur wahr-scheinlich, sondern sicher gegeben.

Oder nehmen wir das Vertragswesen: Wie Ihr Unternehmen dasgenerell handhabt, ist eine innere Angelegenheit. Aber Verträgemit externen Parteien (Kunden, Auftraggeber, Dienstleister)reichen über die Unternehmensgrenzen hinaus. Und wiederkommen Fragen auf, etwa: Wer haftet und wo? Und wer managtdie Risiken? Und wie die mittelalterliche Stadt sicher schlag-kräftige Torwärter (samt Hellebarden) hatte, brauchen Unter-nehmen eben hieb- und stichfeste Verträge, SLA (¼ ServiceLevel Agreements), AGB und darüber hinaus Verantwortliche,die sich um die Überwachung der Grenzen kümmern …

Fließende Übergänge

Die Sorgenfalten auf der Stirn von Geschäftsführerin Olga Offsetvertieften sich: Die Umsatzzahlen aus dem letzten Quartal spra-chen Bände. Ihre mittelständische Druckerei verlor im Marktmehr und mehr an Boden. Die Konkurrenz aus dem Bereich derInternetdruckereien wurde immer massiver und grub ihrer Firmalangsam, aber sicher das Wasser ab. Immer mehr ihrer bis datotreuen Kunden (viele davon Vereine oder kleine Unternehmen)nutzten zunehmend Discount-Online-Angebote und ließen sichihre Visitenkarten oder Drucksachen jetzt aus der Digitaldru-ckerei liefern. Was konnte sie tun? Der Change hatte bereitsstattgefunden, und mit den Preisen der Discounter konnte sienicht mithalten.

An der Wettbewerbssituation ließ sich also nichts ändern, so vielwar ihr klar. Aber vielleicht lag der Schlüssel zum Überlebenund zum zukünftigen Erfolg auch nicht dort, sondern in ihrer

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Kundenstruktur. Ihr Gesicht hellte sich auf – sie hatte eine Idee.Vielleicht musste sie damit aufhören, so viel Aufwand in die Ak-quise von Kleinkunden zu stecken. Die waren nicht treu undschielten eben sehr stark auf die Preise. Mit gutem Service ließ sichhier nicht mehr viel punkten – der Aufwand war zu groß und dieHebelwirkung zu gering. Anders bei größeren Kunden wie Firmen,die regelmäßig Drucksachen brauchten, wo Beratung und Servicedurchaus gefragt waren und den entscheidenden Unterschiedmachen konnten. Und Handelsunternehmen, die gut gemachteKataloge brauchten! Und was war mit der Kulturszene? Theaterbrauchen Programme und Museen Ausstellungskataloge …

Natürlich würde sie es dann mit anderen Erwartungen zu tunbekommen: Gut geschulte Mitarbeiter mussten raus zu denKunden. Nur noch im Büro zu sitzen und auf Anrufe und Auf-träge warten, war damit obsolet. Sie würde sich um Kommuni-kations- und Verkaufstrainings kümmern und vielleicht sogarihre Belegschaft verjüngen und umbauen müssen. Aber wenigs-tens sah sie nun wieder Licht am Ende des Tunnels …

So schnell kann es also gehen: Wir kommen hier ganz leicht voneinem externen Thema (Wettbewerbssituation: Konkurrenzdurch Internetdruckereien) zu mehreren internen Themen (Fo-kussierung auf bestimmte Zielkunden, Kompetenz und Auswahlder Mitarbeiter) und spüren die großeWechselwirkung. Und wirsehen, wie eng die interessierten Parteien und ihre Erwartungenmit den verschiedenen Kontextthemen verzahnt sind.

Stakeholder – wen interessiert das?

Das ist die Frage, mit der Sie Ihre Stakeholder, Ihre »interessiertenParteien« leicht ermitteln können. Wenn Sie die Frage »Wen in-teressiert das?« sorgfältig für jedes relevante Kontextthema be-antworten, tun sich einige sehr verschiedene Stakeholder-Grup-pen auf: Direkte Kunden oder Endanwender, Lieferanten oderKooperations- und Vertriebspartner, Regulierungs- und Auf-

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sichtsbehörden oder Gesellschafter für den externen Kontext. Fürden internen Kontext eher die Mitarbeiter in der Organisation,die Führungskräfte und Geschäftsführer oder Kontrollorgane wieAufsichts- oder Betriebsrat. Auch die Interessen dieser diversenGruppen können ganz verschieden sein: einen Mehrwert oderWachstum für die Organisation schaffen, Kontrolle ausüben, ei-nen Bedarf decken oder Aufträge bekommen, um nur einige zunennen.

Analyse und Dokumentation des Kontextes sowie das Identifi-zieren der interessierten Parteien und ihrer Erwartungen sinddie Maßnahmen, die die einzelnen Normen für »Kapitel vier«minimal von Ihnen fordern. Rein »vorschriftsmäßig« sind Siedamit also schon auf der sicheren Seite. Wenn die Kontextana-lyse für Sie aber ein reines »Dokumentieren-und-wieder-ver-gessen«-Thema bleibt, ist nichts gewonnen. Tiefer gehendeAnalysemethoden können Ihnen einerseits dabei helfen, Klar-heit darüber zu gewinnen, mit welchen Rahmenbedingungen Siees zu tun haben. Was Sie dabei für eine Methode nutzen, solltenSie von der individuellen Situation Ihres Unternehmens ab-hängig machen. Vor allem für die Betrachtung des externenKontextes gibt es viele gute und bekannte Methoden: Mit»PEST« beziehungsweise »PESTEL« überprüfen Sie etwa, welcheEinflussfaktoren aus den Bereichen Politics (P), Economy (E),Society (S), Technology (T), Ecology (E) und Law (L) auf IhrUnternehmen wirken und Sie für die zukünftige Entwicklungund das Überleben beachten müssen. Noch bekannter istwahrscheinlich die SWOT-Analyse, die Stärken, Schwächen,Chancen und Gefährdungen (Strengthes (S), Weaknesses (W),Opportunities (o), Threats (T)) im Unternehmenskontext auf-deckt. Mithilfe solcher Tools ziehen Sie aus den Anforderungender Norm echten Nutzen, anstatt sie nur formal zu erfüllen.

Die Tabellenstruktur in Abbildung 1.2 gibt Ihnen die Möglich-keit, Ihren Kontext systematisch zu betrachten und Ihre inter-essierten Parteien zu ermitteln:

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Interessierte Partei

Thema

Ist-Zustand?

Anforderung oder Erwartungshaltung

Betroffenes Informationssicherheitsziel

Welche Schnittstelle zur Organisation besteht?

Welche Informationen oder Prozesse der Organisation sind betroffen?

Einfluss auf den Anwendungsbereich des ISMS?• Organisatorisch• Technisch• Physisch

Sind Veränderungen auf den Anwendungsbereich zu erwarten?

Einfluss auf oder Veränderungenzu Risiken und Chancen?

Beobachtung erforderlich?

Beobachtung durch

Abbildung 1.2: Blanko-Tabellenstruktur zur Kontextanalyse

2. Das Resilienz-Rezept: Zwei wichtige Zutaten –

Horizon Scanning und aktives Gestalten

Darüber hinaus gibt die Norm in Form von Handlungsemp-fehlungen im British Standard 65000 beziehungsweise in der

2. Das Resilienz-Rezept: Zwei wichtige Zutaten – Horizon Scanning ... 61

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ISO 22316 noch weitere sinnvolle Anregungen. Auch muss manein wenig tiefer »graben«, um herauszufinden, an welcher Stelleder Kontext in diesen Schriften behandelt wird, so lohnt sich dieMühe. Mit zwei Aspekten aus diesen Handlungsempfehlungenmöchte ich Sie nun näher vertraut machen, denn sie sind fürunser Resilienz-Thema von zentraler Bedeutung:

Horizon Scanning: Der strukturierte Blick ins Ungewisse

»Seien Sie informiert«, fordern die Handlungsempfehlungen,oder »Verschaffen Sie sich ein fundiertes Bewusstsein für dieSituation«. Leicht gesagt, denn der Blick aus dem Fenster oder indie Zeitung beziehungsweise ins Internet ist dafür sicher nichtausreichend. Und auch altbewährte Research- und Planungs-prozesse greifen in VUKA-Zeiten vielleicht zu kurz. Was alsotun? »Horizon Scanning« heißt eine anerkannte Management-methode – aber was ist das genau? Verschiedene Aspekte sindwichtig, damit Ihr neuer Prozess auch VUKA-tauglich ist:

Horizon Scanning soll als ein systematischer und strukturierterAusblick funktionieren, der frühe oder noch schwache Signaleentdeckt, die von potenziell wichtigen Entwicklungen ausgehen.Betrachtet werden sollen Trends in Technik, Wirtschaft, Politikund Gesellschaft, mögliche »Joker« in Ihrem individuellen Un-ternehmensspiel, hartnäckige Probleme sowie mögliche Risikenund Bedrohungen. Dabei sollte der Blick auch zu den Randbe-reichen des aktuellen Denkens wandern. Querdenken ist gefragt,und wenn Sie Ihre bestehenden Meinungen und Ansichtenhinterfragen, sind Sie richtig unterwegs. Der Ansatz beim Ho-rizon Scanning kann ganz frei, auf Neugier basierend und sehrforschungsintensiv sein oder sich bewusst beschränken und sichganz fokussiert auf ein bestimmtes Informationsfeld richten. Siekönnen die Methode außerdem kurz-, mittel oder langfristigbetreiben – das alles hängt von den Bedürfnissen Ihrer Orga-nisation ab. Horizon Scanning möchte immer bestimmen, waswahrscheinlich konstant bleiben wird, was sich vielleicht ändern

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wird oder was stark in Bewegung ist und sich also konstantändert.

Für unser Resilienz-Thema ist vor allem wichtig, dass dieserstrukturierte Blick eine Gewohnheit wird. Wie Sie ihn konkretplanen, umsetzen und implementieren, ist wiederum eine indi-viduelle Geschichte. Und dass das Anstoßen und Monitoren desProzesses Chefsache ist, brauche ich sicher nicht extra zu er-wähnen …

Informationsjäger und -sammler

EineMöglichkeit wäre etwa (je nach Größe Ihres Unternehmens),intern oder extern eine Stabsstelle einzurichten, die aktiv auf dieSuche nach relevanten Informationen geht. Alles, was sie sammeltund was an Informationen hereinkommt, wertet sie aus und stelltes dann allen Beteiligten, vielleicht über ein Intranet, gebündeltund geordnet wieder zur Verfügung. Ein oder zwei interne oderexterne VUKA- oder Innovations-Scouts machen also den liebenlangen Tag nichts anderes, als Relevantes zu sammeln, in Bran-chenforen zu recherchieren, neue technische Entwicklungen zubeobachten, sich mit demografischen Daten zu befassen, Wett-bewerber zu beobachten oder Input zu verarbeiten, der aus demUnternehmen selbst kommt. Denn auch der ist sehr wertvoll:Außendienstler bringen brandaktuelle Informationen vom Kun-den darüber mit, was im Trend liegt oder welche Produkte gerademehr oder weniger gefragt sind. Vertriebsleiter und Produktma-nager gehen auf Fachmessen und kehren inspiriert und informiertüber die neuesten technischen Entwicklungen undMöglichkeitenzurück und haben dazu vielleicht gute Ideen. Mitarbeiter habeneinen Geistesblitz oder einen Gedanken, was demnächst wichtigsein könnte oder wie man einen Prozess an eine aktuelle Ent-wicklung anpassen kann und so weiter, und so weiter.

Noch wirksamer ist das Ganze, wenn Sie es schaffen, dazu eineArt »Aktiv-Schaltung« in Ihre Unternehmenskultur zu inte-

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grieren. Jedem muss klar sein: Wer eine Idee, eine Information,eine Beobachtung zum Teilen hat, hat eine Bringschuld undsollte seinen Input der wie auch immer gearteten zentralenSammel- und Verarbeitungsstelle zugänglich machen. Und alleanderen ‒ haben eine Holschuld! Am besten wird es zum zentralgelebten Ritual, sich ein- oder zweimal proWoche über alles das,was neu ist, zu informieren. Fällt einem etwas auf oder hat maneine Idee – wieder rein damit ins System! So entsteht ganz au-tomatisch eine Art Brutstätte oder ein effektiver Think-Tank fürnützliche Innovationen.

Erst einmal versetzt so ein systematisches Horizon Scanning Siealso in die Lage, qualifizierte Annahmen darüber zu treffen, waskommen könnte. Aber wichtig ist noch: Die Signale im HorizonScanning zu erkennen, ist eine Sache, aber Sie müssen auch(lernen zu) verstehen, was sie bedeuten. Dazu braucht es Er-fahrung und letztendlich auch Wissen, das Sie kontinuierlichdurch die Recherche und die Beobachtung selbst aufbauenmüssen oder vielleicht auch von Beratern zukaufen oder durchSeminare erwerben oder Ähnliches. Und damit Sie keine»Schleifen drehen«, sollten Sie an dieser Stelle auch Wert legenauf eine sorgfältige Dokumentation, damit Sie immer Ver-gleichs- und Auswertungsmöglichkeiten haben.

Weiterhin gibt es auch Szenario-Simulationen, die Sie nutzenkönnen und die Ihnen zeigen, welche möglichen Auswirkungensich aus Beobachtungen oder Signalen ergeben können: WelcheÜberraschungen könnten passieren? Welche Chancen würdensich daraus ergeben?Welche Risiken gibt es? Was auch kommenwird: Sie sind dann besser vorbereitet – das ist das Entschei-dende! Denn nur wer vorbereitet ist, kann überhaupt darandenken, seine Zukunft aktiv zu gestalten …

Allerdings ist »Wissen« mit Blick auf die Resilienz Ihres Unter-nehmens nur die halbe Miete. Am wichtigsten ist, was Sie mitden Ergebnissen Ihrer Analysen tun, nachdem Sie sie an Bord

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gehievt haben. Worauf ich hinaus will, ist, dass »Kennen« ebennur der erste Schritt ist und »Machen« der zweite, noch wich-tigere, der zwingend folgenmuss.Wie bei den Kapitalgebern vonMeister Friedrich …

Nicht nur verstehen, sondern auch beeinflussen und gestalten

Ganz kurz zurück zur Auditorenausbildung: Was zum ThemaKontext an Input nicht aus dem Feld der Teilnehmer kommt,ergänze ich im Laufe des ersten Seminarvormittags. So könnendie angehenden Auditoren etwa die Geschichte der mittelalter-lichen »Wagniskapitalgeber« aus der Bürgerschaft, die FriedrichsDrahtzieherei und die gesamte Zunft dieses Handwerks unter-stützten, nicht aus dem Bild erschließen. Wesentlich an dieserGeschichte ist aber, dass die Kapitalgeber des Drahtzieher-meisters sich auch damals schon nicht damit zufriedengegebenhaben, ihren Kontext lediglich zu kennen. Das hätte nämlich nurdie Erkenntnis bedeutet: Ja, es gibt den Meister Günnemund undnoch X weitere in demMetier, und die ganze Zunft arbeitet unterden Bedingungen Y und Z. Sondern, dass die Kapitalgeber sichimGegenteil dieMühe gemacht haben, den Kontext aktiv und infestem Glauben an den Erfolg ihrer Aktion zu beeinflussen. Unddas bedeutete, dass sie sich die Frage gestellt haben:Wie könnenwir die Arbeitsbedingungen von Günnemund und den anderen soverändern, dass sie innovativer, mehr und besser produzieren?Sowie, dass sie erkannt haben, dass eine Kapitalleihgabe hier einguter Lösungsansatz sein könnte …

Vielleicht haben Sie inzwischen ein Gefühl dafür bekommen,wie sehr sich alles aus dem Bild vom alten Nürnberg auf unsereheutige Welt übertragen lässt. Im Klartext heißt das, dass wir esauf diese Weise geschafft haben, die Norm mit ihren Anforde-rungen zum Leben zu erwecken und sie mit ganz realen (undkonkret für Sie und Ihre Organisation relevanten) Sachverhaltenzu füllen …

2. Das Resilienz-Rezept: Zwei wichtige Zutaten – Horizon Scanning ... 65

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3. Survive and Prosper: Von Informationsquellen, Influencingund Personas

A. Stille Post oder valide Quelle? SystematischeInformationsbewertung

»Der Chef der Firma X hat gesagt, er hätte von seinem Rotary-Club-Kollegen gehört, dass der mit dem Staatssekretär gesprochenhabe, der wiederum imMinisteriummitbekommen habe, dass dieneue Verordnung zur Dicke der Falzbleche nun bald auf den Weggebracht würde …«

Richtig oder nicht? Wichtig oder nicht? Tja … Wenn das eineInformation ist, die Ihren Unternehmenskontext nachhaltigbeeinflussen könnte, würde ich an dieser Stelle zur Vorsichtraten.

Wenn Sie mit dem Sammeln Ihrer Informationen systematischunterwegs sind, bleibt es nicht aus, dass Sie mit einer Massedavon konfrontiert werden. Wie filtern Sie dann die heraus, diewirklich wichtig sind, und auch noch verlässlich? Ich schlagehierfür einen systematischen Ansatz vor, den die Abbildung 1.3verdeutlicht:

Sie können also ganz einfach in dieser Art Matrix danachschauen, wie sehr Sie der Quelle vertrauen (Y-Achse), wie gut sieIhnen bekannt ist (X-Achse) und ob sie aus erster, zweiter oderdritter Hand kommt (von links nach rechts). Bezogen auf unserkleines Beispiel oben hieße das, dass Sie dem Chef der Firma Xvielleicht vertrauen, weil er ein guter Geschäftspartner von Ih-nen ist, die Information aber so stark auf Hörensagen beruht,dass sie (höchstens) aus dritter Hand (wenn auch aus bekannteroder renommierter Quelle) kommt. Mit einer »Vier« als Ge-samtnote, die sich dann ergibt, wäre es also gut, die Informationkritisch zu bewerten, sie aber als Möglichkeit im Hinterkopf zubehalten, ohne jedoch direkt Maßnahmen zu ergreifen oder garschon eine Produktionsumstellung in die Wege zu leiten …

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< 8: Valide Informationsbasis

2–4: Prüfen, wie Information von Quelle genutzt werden kann

0–4: Auf keinen Fall nutzen

Bekanntheitsgrad der Quelle

Vert

raue

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dig

voll bekannt

Information aus 1. Hand

Abbildung 1.3: Schema zur Informationsbewertung

3. Survive and Prosper: Von Informationsquellen, Influencing und Personas 67

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Information aus 2. Handz.B. Bestätigung von Partner, Bekannten

< 8: Valide Informationsbasis

2–4: Prüfen, wie Information von Quelle genutzt werden kann

0–4: Auf keinen Fall nutzen

Bekanntheitsgrad der Quelle

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Abbildung 1.3: Schema zur Informationsbewertung – Fortsetzung

68 Kapitel eins: Kontext: Wir sind mittendrin – und ohne ihn ist alles nichts

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News

nicht bekannt

nich

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trau

ensw

ürdi

gvo

ll ve

rtra

uens

wür

dig

voll bekannt

z.B. Presse, Medien

Information aus 3. Hand

< 8: Valide Informationsbasis

2–4: Prüfen, wie Information von Quelle genutzt werden kann

0–4: Auf keinen Fall nutzen

Bekanntheitsgrad der Quelle

Vert

raue

nsw

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Abbildung 1.3: Schema zur Informationsbewertung – Fortsetzung

3. Survive and Prosper: Von Informationsquellen, Influencing und Personas 69

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B. So werden Sie zum »Kontext-Influencer«

Glücklicherweise haben Sie heute weitaus mehr und subtilereMethoden, Ihren Unternehmenskontext zu beeinflussen, als dieHerrschaften aus der Bürgerschaft damals in Nürnberg (obwohldie ihre Sache zugegebenermaßen nicht schlecht gemacht ha-ben). Jedenfalls müssen Sie nicht zwingend Kapital in die Handnehmen. Können Sie natürlich, etwa, wenn Sie im Rahmen Ihres»Horizon Scanning« ein kleines Start-up entdeckt haben, daskurz davor steht, eine kleine und feine Technologie zu lancieren,die in Ihren Händen so viel mehr Gutes bewirken könnte als indenen Ihres Mitbewerbers … Dann wäre es wohl ein sinnvollerSchritt, sich dort einzukaufen und sich ein Mitspracherecht beider Vermarktung der Neuheit zu sichern.

Ich denke hier aber viel eher in die Richtung, die sich in derkleinen Überschrift oben schon andeutet: In unserer vernetztenInformationsgesellschaft ist es relativ leicht, sich ein Standing zuerarbeiten und »Duftmarken« zu hinterlassen, also zum »Influ-encer« zu werden. Damit meine ich nicht, dass Sie nun unbe-dingt einen Blog schreiben müssen, um Schleichwerbung fürbestimmte Produkte oder Ihre eigenen zu machen. Aber es gibteine Reihe vonMaßnahmen, die Sie in Angriff nehmen können –die Möglichkeiten sind sehr vielfältig. Sie können wiederum dieauswählen, die Ihnen am meisten liegen beziehungsweise dieansteuern, die für Ihr Unternehmen den stärksten Hebel dar-stellen.

Dabei kann es sinnvoll sein, das Beeinflussen des Kontexteswiederum zur Chefsache zu machen. Auf diese Idee hat mich(unter anderem) mein Autorenkollege Daniel Priestley mit sei-nem wunderbaren Buch Become a Key Person of Influence ge-bracht. Besonders schön an seinem Ansatz ist, dass er seinenSchlüsselbegriff »Key Person of Influence« (KPI) für ein Wort-spiel nutzt, denn ein »KPI« ist natürlich auch ein »Key Perfor-mance Indicator«. Und das ist ein Benchmark, mit dem ein

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Unternehmen sich am anderenmisst und vergleicht. Eine Personoder ein Unternehmen setzt also als KPI einen Standard, der»top« ist, andere inspiriert und viel Einfluss hat (Priestley, 2014).Um zu einer »Key Person of Influence« zu werden, machen Siesich am besten »öffentlich«, damit Sie gehört werden und Ein-fluss aufbauen.

Gesicht zeigen und sich profilieren

Social Media ist sicherlich einer der Kanäle, die Sie dafür be-spielen können. Tragen Sie Ihre Botschaft oder Expertise in dieWelt, per Xing, Facebook, Linkedin, Instagram, Youtube, Twitteroder eben in einem Blog. Aber Vorsicht, denn nur relevanteroder nutzwertiger Inhalt für die Zielgruppe bringt Sie dortweiter! Und zum Stichwort »Expertise«: Publizieren Sie sowieso!Bücher, Whitepaper, E-Books – Content mit Nutzen für dieZielgruppe verschafft Ihnen geistiges Eigentum und Autorität inder von Ihnen besetzten Nische. Im Idealfall kommt dann dortniemand mehr an Ihnen vorbei. Viele heute weltbekannte Un-ternehmen starteten damit, Content zu publizieren. So auch dieGründer von Twitter, die ursprünglich Blogger und Autorenwaren und auf diesem Wege ihre Ideen über die Zukunft vonSocial Media im Internet publizierten, bevor sie ihre Kurzin-formations-Plattform entwickelten. Oder Microsoft: Bill Gatesschrieb Artikel für die Blättchen kleiner Computerclubs vor Ortund zog auf diese Weise die ersten Talente für seine Firma an(Priestley, 2014).

Zusammen sind wir stärker

Sie müssen Ihren Einfluss auch nicht unbedingt allein aufbauenoder nutzen: Überlegen Sie, strategische und produktive Ko-operationen einzugehen, denn durch solche Partnerschaftenkönnen Sie jeden Zeitfaktor zu Ihren Gunsten beeinflussen undschneller Resultate erzielen! Vielleicht wollen Sie auch mitMenschen oder Unternehmen kooperieren, die selbst schonKPIs sind (ebd.) und über entsprechende Autorität verfügen.

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Oder Sie betreiben Lobbying mit einer Gruppe von Gleichge-sinnten oder nutzen die Medien durch die Publikation von In-terviews oder Artikeln als »Glaubwürdigkeitsverstärker«, oderSie setzen sich in Gremien ein, in denen Dinge entschiedenwerden, die für Sie von Interesse sind oder oder …

Am besten machen Sie es zum Teil Ihres »Horizon Scanning«,attraktive Einflussmöglichkeiten zu entdecken, die für Sie einestarke Hebelwirkung haben.

C. Freund oder Feind? Interessierte Parteien besser verstehen

Wenn Sie bei der Analyse Ihres internen und externen KontextesIhre interessierten Parteien bestimmt haben, können Sie nocheinen Schritt weiter gehen. Denn entscheidend ist ja, dass SieIhre interessierten Parteien möglichst gut verstehen und er-kennen, welche Interessen sie überhaupt verfolgen, wie sie IhremUnternehmen gegenüber stehen und wie das womöglich dieResilienz Ihres Unternehmens beeinflussen kann. Ohne unnötigviel Staub aufwirbeln zu wollen: Bedenken Sie einfach immer,dass es nicht alle gut mit Ihnen meinen. Eine interessierte Parteikann im schlimmsten Fall auch ein Räuber, ein »Predator«,sein – zum Beispiel ein Mitbewerber, der darauf lauert, IhnenMarktanteile abzuknöpfen.

Um sich in die interessierten Parteien besser hineinversetzen zukönnen, gibt es einen relativ einfachen Trick: Sie können eineechte »Persona« für jeden Stakeholder entwickeln. Die zugehö-rige Methode stammt aus dem Design Thinking und dient ur-sprünglich dazu, möglichst nutzerfreundliche und bedarfsge-rechte Produkte zu entwickeln …

»Was sind Personas?«, fragen Sie sich nun. »Und wie entwickleich sie?« Stellen Sie sich vor, Sie identifizieren Ihre betreffendeinteressierte Partei und beschreiben sie wie gewohnt, also als»Aufsichtsratsvorsitzenden X«, »Mitbewerber Y« oder »Groß-kunde Z«. Dann wissen Sie zwar, wer gemeint ist, und sicher

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haben Sie im Hinterkopf noch viele weitere Informationen zudem- oder derjenigen, aber initial beschreiben und begreifen Siediese Person nur mithilfe und entlang eines einzigen Merkmals.Wie viel besser wäre es dagegen, wenn Sie versuchen würden, zujeder interessierten Partei einen kleinen, aber möglichst vollgeformten fiktiven Charakter zu entwerfen? Dabei nutzen Sieeinfach alle Fakten, die Ihnen bekannt sind, und ergänzen denRest, wie Sie meinen, dass es richtig ist. Die Attribute, die Sie derPersona zuordnen, können auf Feld- und Milieukenntnis, aufvorheriger Recherche (Beobachtung, Befragung) oder einfachauf Empathie und Einfühlungsvermögen basieren. So erhaltenSie ein ganzes Bündel von Merkmalen, also etwa Alter, Ge-schlecht, Beruf, Konsumgewohnheiten, Einkommenssituation,Werte und Lebensziele, Erziehungsstil und Bildungsstand und soweiter. Diese Aktion hat zur Folge, dass Sie Ihre Stakeholder inder Gesamtheit ihrer Lebenssituation wahrnehmen und sie vielbesser begreifen können. Was Sie so erhalten, ist zwar immernoch ein Stereotyp, aber einer mit vielen Facetten und einer, dergleichzeitig auf Sach- und Menschenkenntnis basiert.

Sie können dabei so vorgehen:l Die Persona bekommt oder hat einen Namen,l das Gesicht ist Ihnen bekannt, oder Sie suchen ein möglichst

typengetreu passendes Foto aus (vielleicht sogar eines, das Sieselbst geschossen haben und nicht eines von Fotolia), denneine Persona soll auch Emotionen transportieren,

l Sie beschreiben die Persona nicht eindimensional entlangder wenigen Dinge, die Sie wissen, sondern entwerfen einemöglichst vollständige und lebendige Gesamtpersönlichkeitauf der Basis von stimmigen und nachvollziehbaren Vor-schlägen.

Sie werden merken, dass die Konstruktion von Personas einegroße Wirkung auf Ihre Sprache und Ihre »Denke« ausübt. Andie Stelle von recht abstrakten Beschreibungskategorien tritteine echte Persönlichkeit mit Namen und Gesicht, die Sie im

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Verlauf ihrer Vervollständigung immer mehr »erspüren« kön-nen – so dass Sie am Ende fast das Gefühl haben, Sie würdendiese Persona wirklich kennen. Interessen und Verhaltensweisender interessierten Parteien werden auf diese Weise viel bessernachvollziehbar, und Sie werden sehen, dass Ihre Annahmenüber die verfolgten Interessen wesentlich umfangreicher undakkurater ausfallen werden, weil Ihre Wahrnehmung differen-zierter und ganzheitlicher ist – was Ihnen einen nicht zu un-terschätzenden Vorteil verschaffen kann. Sei es bei der Ein-schätzung der Konkurrenz, bei der Führung von Mitarbeiternoder beim Recruiting: Eine Stakeholder-Bewertung auf der Basiseiner Persona muss einfach wesentlich präziser ausfallen!

D. Risiko! Kennen Sie Ihre Abhängigkeiten?

Es muss nicht immer ein Tsunami sein

April 2016: Im Südwesten Japans, unweit der Stadt Kumamoto aufder Insel Kyushu, bebt die Erde. Ein Vulkan im angrenzenden Aso-Massiv bricht aus. Insgesamt kostet die Naturkatastrophe 50Menschen das Leben. Doch damit nicht genug: Das betroffeneGebiet (das auch »Silicon Island« genannt wird) bleibt in weitenTeilen verwüstet zurück, und die dort ansässigen Produktions-stätten von Kameraherstellern und der passenden Zulieferindustriewerden in Mitleidenschaft gezogen oder gar zerstört. Unverzicht-bare Sensortechnik kann nicht mehr gefertigt und geliefert werden.In der Folge kommt es zu Einbrüchen des Börsenkurses bei Sonysowie zu großen Fertigungs- und Lieferproblemen bei Pentax undNikon. Noch bis zuBeginn des folgenden Jahres bleibt unklar, wanndie fehlenden wichtigen Bauteile wieder in ausreichender Zahlgeliefert werden können und die große Kundennachfrage nach denaufwändig angekündigten neuen Kamerareihen befriedigt werdenkann … (vgl. www.heise.de)

Wenn so etwas oder Ähnliches Ihr Unternehmen wie ein Blitzaus heiterem Himmel trifft, ist es um Ihre Resilienz nicht gut

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bestellt. Aber wie Sie sehen, trifft es anscheinend auch die »ganzGroßen«, und womöglich auch mit ganz handfesten Folgen fürBörsenkurse und Kundenzufriedenheit. Falls Sie nun denken,dass es sich um einen Einzelfall beziehungsweise doch sicher umein sehr seltenes, singuläres Ereignis handelt, auf das Sie einfachnicht vorbereitet sein können, muss ich Ihnen widersprechen…

Wenn Computerhersteller und Endverbraucher imRegen stehen

Der Monsun ist in Thailand nichts Ungewöhnliches. Wenn imMai die Regenzeit beginnt, öffnet der Himmel seine Schleusen,und alle Flüsse treten über die Ufer. Das ist Normalität, und in derRegel wird das Land mit den Wassermassen gut fertig. Anders imJuli 2011, als der von Osten kommende Tropensturm »Nockten«die übliche Regenflut vervielfachte und den Norden von Thailandunter Wasser setzte. In den folgenden Monaten zogen noch mehrTaifune durch, und die Lage verschärfte sich weiter. Die Regierungwar gezwungen, den Notstand auszurufen und musste dieSchleusen wichtiger Talsperren und Staudämme öffnen, um einunkontrolliertes Bersten und somit noch größeren Schaden undweiteres Leid (es gab sowieso schon rund 400 Todesopfer durch dieFluten) zu verhindern.

Was diese Maßnahmen aber nicht verhindern konnten, war, dassauch das relativ kontrolliert abfließende Wasser sich seinen Wegder Verwüstung suchte. Und der führte nach Süden, hinein in dieflache Ebene bei Bangkok, in der sich Gewerbegebiete mit Her-stellerfirmen von Festplatten und deren Zulieferbetriebe befinden.Die Produktion wurde so stark in Mitleidenschaft gezogen, dassLieferprognosen massiv nach unten korrigiert werden mussten.Im letzten Quartal 2011 wurden in der ganzen Welt nur 122Millionen Festplatten ausgeliefert – das waren 50 Millionen we-niger als in den drei Monaten zuvor. Die Preise stiegen astrono-misch an, und die Situation war erst ein ganzes Jahr später wiederals normal zu bezeichnen. Die Situation hatte nicht nur die

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thailändische Wirtschaft, sondern tatsächlich die Weltwirtschaftspürbar beeinträchtigt.

Tja, das sind die Freuden der Globalisierung: Vor den Toren vonBangkok konzentriert sich ein ganzes Viertel der weltweitenProduktion von Festplatten. Produktionstechnisch und mit Blickauf die Rentabilität vor Ort ist das natürlich sinnvoll. Aber imFalle einer Naturkatastrophe ist der Impact auf die Kunden en-orm … (Grüter, 2013)

Selten, aber regelmäßig: So treten diese singulären und un-wahrscheinlichen Ereignisse auf, die dramatische Folgen habenund die der Autor Nassim Taleb als »Schwarze Schwäne« be-zeichnet. (»Black Swans«, Taleb, 2017) Das Wesen eines solchen»Schwarzen Schwans« ist es, dass er (zumindest aus der Rück-schau betrachtet) mit hoher Folgerichtigkeit, aber mit geringerWahrscheinlichkeit auftritt. Und wenn er auftritt, dann immermit gravierenden Folgen …

Was tun? Die Antwort ist recht einfach: Seien Sie gut informiert,und seien Sie vorbereitet – ichmagmichwiederholen, aber unserEinstiegsbeispiel von 9/11 und Morgan Stanleys Evakuierungs-routine spiegelt diese beiden Empfehlungen perfekt wider. EinBlick über den Normen-Tellerand kann hier sehr nützlich sein:Die Business-Impact Analyse (BIA) aus dem Business Conti-nuity Management (DIN EN ISO 22301) etwa hilft Ihnen dabei,Ihre kritischen Geschäftsprozesse und Ressourcen sowie eineWiederanlaufzeit nach kritischen Ausfällen zu bestimmen.Weiterhin können Sie eine Risikoanalyse durchführen, in der Sieuntersuchen, welchen Risiken Ihre kritischen Prozesse undRessourcen überhaupt ausgesetzt sind. Mehr dazu in Kapitel drei… Und das Tüpfelchen setzen Sie auf das »i«, wenn Sie danacheine Kontinuitätsstrategie entwickeln, um Alternativen bei derUmsetzung von Notfall- und Notfallvorsorgemaßnahmen zuhaben.

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Lesen Sie hier mehr zum Thema Notfall- und Notfallvorsorge-maßnahmen.

Link: https://dasbuch.surviveandprosper.de/kontext

Fazit:

»Ein weites Feld, das Sie systematisch nicht nur beobachten,sondern auch beackern sollten« – so könnte man das Thema»Kontext« wohl auf den Punkt bringen. Die regelmäßige undsystematische Analyse Ihres inneren und äußeren Kontextessowie der relevanten Schnittstellen dazwischen (die Sie sauberdefiniert haben müssen) ist eine Gewohnheit, die Sie entwickelnsowie pflegen sollten und ein wesentlicher Teil Ihres Resilienz-konzeptes. Die Technik des Horizon Scannings hilft Ihnen dabei,alle relevanten Informationen zu sammeln. Aber nicht nur dasBeobachten und Auswerten ist wichtig, sondern auch, dass SieIhren Unternehmenskontext aktiv mitgestalten. So sollten SieIhre Informationsquellen systematisch mit Blick auf deren Zu-verlässigkeit bewerten, nach Möglichkeiten suchen, wie Sie oderIhr Unternehmen in Ihrem Umfeld zum »Influencer« werdenkönnen, und sich intensiv mit allen »interessierten Parteien«beschäftigen – was bedeutet, sie nicht nur gut zu kennen, son-dern sie möglichst lebendig werden zu lassen, um maximalesVerständnis und einen optimalen Umgang zu ermöglichen.

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