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Der weiße Berg Afrikas K ILI MAND SCHARO P. Werner Lange

Kilimandscharo – Der weiße Berg Afrikas

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Als leichtester der höchsten Gipfel aller Kontinente erfreut sich der Kilimandscharo großer Beliebtheit. Der höchste Berg Afrikas zieht Bergsteiger wie Naturbegeisterte in seinen Bann.

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Der we iße Be rg A f r i k a s

KI LIMAND

SCHARO

P. Werner Lange

Urs
Leseprobe Ecke
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P. Werner Lange

KILIMANDSCHARO

AS Verlag

Der weiße Berg Afr ikas

Fotos:P. Werner LangeRobert Bösch

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Gott hätte es nicht besser machen können!», sagt Romel, und seine Ge-bärde umfasst die morschen Drachenzähne unter uns und die wüsten,

zerrissenen Schluchten. Tiefschwarz, verbrannt von vulkanischem Feuer,scheinen sie ihre Eingeweide herzuzeigen. Wir sind an einem der trostlosestenOrte der Welt, und ich finde es herrlich.

In den Träumen meiner Kindheit bin ich nach Timbuktu und Yucatán,nach Kamtschatka und zum Kilimandscharo gereist. Der Kilimandscharo hatmich später nicht enttäuscht. Vielleicht aus Gründen, die ein wenig selbst-süchtig sind: Man steht dort hoch über einer Ebene, die wohl die Wiege derMenschheit gewesen seinmag und ahnen lässt, wie die Erde beschaffenwar, alsder erste Mensch erwachte. Und unter demMawenzigrat weiß ich einen Hang,auf dem graue Flechten, groß wie Wagenräder, verraten, dass dort seit AdamsZeiten niemand ging.

Doch der Blick auf Ewigkeiten verstört auch. Das Schwarz der Haut und imAuge des Löwen wird bleiben, der Mond wird über Machame aufgehen wie ehund je, und in der Ebene wird die Jakaranda noch blühen, werden die Frangi-pani noch duften, wenn die Tage stolzer Aufstiege längst vorbei sind. Dannkann man die Stirn an das Eis legen, das schon jahrtausendealt und dennochsterblich ist wie wir.

In der Talfurche, in der unsere Spuren heraufführen, erhebt sichHansMey-ers Viermännerstein: sein letztes Biwak vor dem Kraterrand, geteilt mit LudwigPurtscheller undMuini Amani. Wir haben dort verrostete Konservendosen ge-funden und eine Flasche, blind geschliffen vonWind und Sand, wohl vor hun-dert Jahren geleert. «Nicht der Berg interessiert uns», hat ein wunderbarerBergsteiger und Schriftsteller geschrieben, «sondern immer nur der Menscham Berg.»

Das Kilimandscha-rogebirge von Süd-westen, dargestelltvon demMaler undBergsteiger ErnstPlatz. Zur Linken derKibo – gemeinhinauch Kilimandscha-ro genannt – mitseiner Gletscher-kappe, ganz rechtsder ebenfalls ver-schneite, aber glet-scherlose Mawenzi.

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Eine Anmerkung zu den Schreibweisen: Bei denafrikanischen Namen und Ortsbezeichnungen, diein vielerlei Varianten auftreten, wurde in der Regeldie in wissenschaftlicher Literatur verbreitete Schreib-weise der historischen vorgezogen. Insbesondereblieben während der Kolonialzeit vorgenommeneEindeutschungen unberücksichtigt.

www.as-verlag.ch

3. Auflage

© AS Verlag & Buchkonzept AG, Zürich 2005Gestaltung: www.vonarxgrafik.ch,Heinz von Arx, Urs Bolz, ZürichLektorat: Karin Steinbach Tarnutzer, ZürichDruckvorstufe: Matthias Weber, ZürichFotolithos: Ast & Jakob AG, KönizDruck: B & K Offsetdruck GmbH, OttersweierEinband: Josef Spinner Großbuchbinderei GmbH,OttersweierISBN 3-909111-16-5

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INHALT

8 Fern der WeltOswald Oelz

DAS HOCHLAND

Johannes Rebmannund die Sehnsucht nach Höhe

13 «Ich hebe meine Augenauf zu den Bergen . . .»

Vulkanischer Exkurs33 Als die Erde mit dem

Himmel sprach

Carl Claus von der Deckenund der Schneeberg am Äquator

47 «Ein Mann stirbt irgendwann,ein Feigling jeden Tag.»

In der Hast des Wettlaufs:Joseph Thomson

67 Brausepulver und Maasai-dolche

Flora, Fauna und Eis aufAfrikas Dachfirst

79 Die Blumen, die Bäume,der Werwolf und das Wild

DER GIPFELBERG

Die Hand am schmelzendenStein: Charles New

99 «Schnee mit blendendemGlanz . . .»

Johnston und Jühlke:Wegbereiter der Kolonialzeit

113 «Das Kind einer Schlangeist eine Schlange.»

Energischer Auftakt:Graf Teleki und Hans Meyer

133 Walzer und Marsch –ein Vorspiel

Hans Meyer in Ketten,ein Scharlatan auf dem Kibo

151 Tragisches Zwischenspiel mitkomödiantischem Beiklang

Gipfelfahrt: Hans Meyerund Ludwig Purtscheller

161 Hauptstück: «Da tat sichvor uns die Erde auf . . .»

Mawenzi: Kibosgeprügelter Nachbar

179 Der Turm der Winde

DER SCHATTENKREIS

Das Bergvolk der Chaggaund seine Umwelt

193 Wo das Wasser aufwärts fließt

Gipfeltouren vor demErsten Weltkrieg

203 «Es sind kleine Bäche, die denStrom anschwellen lassen.»

Von Gillman’s Pointbis Breach Wall

227 Aus ist nun des Steinmanns Lied

Der Kilimandscharo in Kunst-gewerbe, Kunst und Literatur

253 Mythos, Magie und Etiketten-schwindel

ANHANG

264 Kilimandscharo-Zeittafel

268 Informationen rund umden Kilimandscharo

270 Literaturverzeichnis

273 Personenregister275 Orts- und Sachregister

277 Bildnachweis

278 Dank

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Was der einsame Leopard am Kraterrand des Kilimandscharos suchte,wird für immer ein Geheimnis bleiben – weiter unten sind die Beute-

tiere fetter, größer und häufiger. Das Tier ist aber keine Ausgeburt Heming-way’scherPhantasie, es existierte tatsächlich; eineFotografie ausden1920er-Jah-ren zeigt dengefrorenen, ausgedörrtenKadavernaheGillman’s PointnebenzweiMissionarinnen, anlässlich einer frühen Frauenbesteigung des höchsten Punk-tes Afrikas.

Dieser Kraterrand mit dem schwindenden weißen Saum im Himmel überdem grün-gelben Dschungelsteppenland, entrückt und abgehoben, lockte seitjeher viele Träumer, Ehrgeizige und Prahler sowie in früheren Zeiten politischeEroberer. So schrieb Dr. Hans Meyer, der Erstbesteiger des Kilimandscharos, inseinen «Ostafrikanischen Gletscherfahrten»: «Daneben erschien es mir fast alseine nationale Pflicht, dass der Gipfel des Kilimandscharos, wahrscheinlich deshöchsten afrikanischen und zweifellos des höchsten deutschen Berges, der voneinem Deutschen entdeckt und von einem Deutschen zuerst näher untersuchtworden ist, nach allen Bemühungen englischer Reisender, doch zuerst voneinemdeutschen Fuß betretenwerde.» Undnachdem er dies am6.Oktober 1889als Erster getan hatte: «Ich pflanzte auf dem verwetterten Lavagipfelmit dreima-ligem, von Herrn Purtscheller [kaiserlich-königlicher Turnlehrer aus Salzburg]kräftig sekundiertem ‹Hurra› eine kleine, im Rucksack mitgetragene deutscheFahne auf und rief frohlockend: ‹Mit dem Recht des ersten Ersteigers taufe ichdiese bisher unbekannte, namenlose Spitze des Kibo, den höchsten Punkt afri-kanischer und deutscher Erde: Kaiser-Wilhelm-Spitze.›» Dies war der Beginn derAufteilung der Bergbeute Afrikas zwischen Deutschen, Briten (Mount Kenya)und Italienern (Ruwenzori).

Schon lange sind keine «Claims»mehr zumachen,Wilhelm ist «Uhuru», derFreiheit, gewichen. Die Verlockung des schönen Riesen aber ist geblieben, undmehr als 20 000quälen sich jedes Jahr amKilimandscharo zur Pflege des eigenenEgos in sauerstoffarmeHöhen, für die wir nicht gemacht sind. Dabei verlockt derleichteAnstiegdurch zahlreicheKlimazonen zumraschenGehen. Inder unterenUrwaldzone macht der Organismus noch gern mit, und irgendwann imÖdlandfolgtdieRachederHöheunddes sauerstoffverarmtenKörpers.Der rascheHöhen-gewinn erlaubt keine ausreichende Akklimatisation, das Tempo des Höhenge-winns ist, physiologisch betrachtet, mörderisch. Wer die Jammergestalten amKraterrand des Kilimandscharos gesehen hat, weiß, wovon ich rede, jene, die zu

Vorwort

FERN DER WELT

Oswald Oelz

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Im Herbst 2004stand Oswald Oelzzum zweiten Malauf dem Gipfel desKilimandscharos.

schnell zu hoch hinaufgestiegen sind,leiden an akuter Bergkrankheit und imschlimmsten Fall an einem Höhen-hirn- oder Höhenlungenödem.

Es wird gemunkelt, dass am Kili-mandscharo pro Jahr zehn bis zwanzigBergsteiger das Schicksal des Leopar-den teilenundandenKomplikationendes Höhenaufenthalts sterben. Fallsdiese Opfer von der Verwaltung desKilimanjaroNational Parks erfasstwer-den, so werden die Zahlen nicht publi-ziert – schließlich ist das Geschäft mit den Bergsteigern eine wunderbare Ein-nahmequelle. Wie viele davon an akuter Bergkrankheit leiden, ist ebenfallsunbekannt. Wahrscheinlich aber ist mehr als die Hälfte der Touristen betroffen.Unbekannt ist auch, wie viele Wanderer den ersehnten Gipfel nicht erreichenundmit vor Schmerzen zerspringendem Kopf taumelnd umkehrenmüssen.

Wer durch Höhentraining in den Alpen oder nach einer Eingehtour amMount Meru gut vorbereitet und entsprechend den Empfehlungen der einhei-mischen Führer «pole, pole», also langsam, langsam und gelassen nach obensteigt, erlebt einen einzigartigen Gang durch die verschiedenen Klimazonen,vom dampfenden Dschungel bis zur Mondlandschaft. Am Endpunkt steht derWanderer atemlos und «detached from the world». Hohe Berge heben das eige-ne kleine Sein ab, und kaum einer eignet sich dafür so perfekt wie der Kilimand-scharo, der höchste frei stehende Gipfel der Welt. Zwischen roten Wolkenbän-ken ahnen wir dort unten jene andere Welt unserer Evolution mit den zu Todegehetzten Gnus und Zebras, den Löwen, dem dampfenden Dschungel und demAffengeschrei. Hier stehen wir auf Mondlava, heraufgekommen durch Regen-wald, Steppe, Sumpf, Sand und Wüste, am Beginn des Himmels. Schließlichheißt, wieHemingwaywusste, derwestlicheGipfel bei denMaasai «Ngà-jaNgà»,das Haus Gottes.

Oswald Oelz, geboren 1943 in Vorarlberg, hat sich seit den Siebzigerjahren als Extrembergsteiger, Expe-ditionsarzt und Höhenmediziner einen Namen gemacht. Anspruchsvollste Gipfel und schwierigsteRouten auf der ganzen Welt zieren sein Tourenbuch; als Chefarzt am Stadtspital Triemli in Zürich enga-giert er sich für seine andere Leidenschaft, die innere Medizin.

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Anderthalb Jahr-hunderte nachDeckens Expeditio-nen sind die Auf-stiegswege gebahnt –auf der Marangu-route sogar zum Teilbefestigt. Dennocherfordert der Marschdurch den Bergre-genwald Ausdauerund Gleichmutangesichts der Re-genfälle. Oben einLagerplatz derMachameroute,unten ein Blick aufUnterkünfte imUmkreis derMandarahütte(Maranguroute).

währen den ersten Ausblick auf die Landschaft, durch die sie ziehen werden:Die Regenzeit ist gerade vorüber, frisches, weichesGrünbedeckt denBoden, dieSchirmakazien sind belaubt und mit winzigen gelben und weißen Blüten ge-schmückt, Antilopen huschen schattenlos umher. Hin und wieder erhebt da-zwischen ein Baobab, ein Affenbrotbaum, sein seltsames, wurzelartiges Ast-werk. Gott hat diesen Baum, so erzählt man hier, im Zorn ausgerissen und ver-kehrt herum wieder eingepflanzt, weil er nach der Schöpfung stets auf seinenWurzeln fortgelaufen war. Decken lagert bald unter einem Affenbrotbaum –nicht zur Freude seiner afrikanischen Begleiter: Baobabs sindWohnstätten vonGeistern. Ihr Schatten ist voller Geflüster, das den Wanderer um den Verstandbringen kann.

Die weitere Reiseroute verläuft ungefähr parallel zur heutigen Grenze zwi-schen Kenia und Tansania. Der Baron durchquert dabei das Gebiet der wehr-haften Taita, über die schon Rebmann geklagt hatte und die auch diesmal eingeringes Interesse für den Fortgang der europäischen Entdeckungsgeschichtebekunden. Sie fordern einen ungewöhnlich hohen Wegzoll; zudem sollen ih-nen die botanischen Sammlungen der Expedition übergeben werden. Vermut-lich befürchten dieMedizinmänner der Taita, Deckenwolle damit Unheil brin-gendeHandlungen vornehmen.Der Baron, der sich bei solchenGelegenheiteneigentlich lieber eines Rohrstocks bedient, muss angesichts von 200 aufge-brachten Kriegern nach einer diplomatischen Lösung suchen und findet sie.

Schon am 14. Juli 1861, an den Nordhängen des Paregebirges, erblickt dieExpedition zwischen treibenden Wolken erstmals ihr Ziel: «So hoch wie vierVollmonde übereinander ragt der Riesenberg empor, einem mächtigen Domegleich, bedeckt von blendend weißem Schnee, welcher den hellen Sonnen-schein noch heller zurückstrahlt», berichtet Decken von diesem Tag. Der An-blick währt nur Minuten, bis der Wind wiederum Wolken in die Szene streut.Doch ein zuvor stets mitwandernder, wispernder Begleiter – der Zweifel – gehtnun endlich davon. Die Karawane wendet sich nach Norden, folgt dem wild-reichenUfer des von Johannes Rebmann entdeckten Jipesees und erreicht überTaveta die Landschaft Kilema im Südosten des Kilimandscharogebirges. Nachlangen und kostspieligen Verhandlungenmit demHerrscher über Kilema, demChaggahäuptlingMambo, unternimmt der Baron in der Zeit vom 8. bis zum 11.August einen Versuch, zum Kibo hinaufzusteigen.

Das geschieht annähernd in jener Gegend, in der die von heutigen Berg-wanderern benutzte Maranguroute verläuft. Die sich danach noch oft wieder-holende Übereinstimmung ergibt sich daraus, dass solcheWegeWildwechselnfolgen, auch von Holzfällern, Honigsammlern, Fallenstellern und Jägern be-gangen werden und schließlich zu einem Handelspfad an der oberen Wald-grenze führen, der alle Landschaften der südlichen Gebirgshängemiteinanderverbindet. Decken gerät aber wohl an unkundige oder unwillige Führer, andersbleibt sonst unerklärlich, weshalb die Europäer und ihre Begleiter nur un-

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«Zackenfirn» imöstlichen Krater-kessel – von Sonne,Schmelzwasser undWind geformteReste der früherenEisbedeckung.

VorangehendeDoppelseite: DerRebmanngletscherim Morgenlicht –Preis der Müheneines Aufstiegszum Kraterrand.

kenntnis falsch sein! Immerhin bescherte der Disput um die afrikanischenSchneeberge Cooley so eine bis heute fortdauernde – wenngleich kaum erstre-benswerte – Berühmtheit.

Decken verfiel künftig gänzlich den geografischen Rätseln Ostafrikas. 1865plante er, mit zwei Dampfschiffen über den Juba und den Tana in das Landes-innere vorzudringen. Die Erwartungen von der Schiffbarkeit dieser Flüssestimmten damals noch zuversichtlich, und so sollte der Tana den Baron biszum Mount Kenya tragen. Er hat ihn nie erblickt: Carl Claus von der Deckenwurde im Oktober 1865, gerade 32-jährig, bei Bardera am Juba von Somalikrie-gern ermordet.

Die Freuden des Alters, darunter unbedenkliche Völlerei, ein heiteresSelbstbewusstsein und etwas Pedanterie, ein wenig Bosheit, Eigensinn und dieFähigkeit zu lieben, ohne sich zu zerstören, blieben ihm deshalb versagt. Das-selbe geschah auch Johannes Rebmann, dem Missionar, dessen Bericht den«Baruni» einst zum Kilimandscharo reisen ließ. Rebmann starb elf Jahre nachDecken imheimatlichen Kornthal, nachdem er Afrika 1875wegen einer Erblin-dung verlassenmusste. Zuvor war ihm kaum eine der Prüfungen erspart geblie-ben, die sein Gott den Menschen bisweilen auferlegt. Was ihn getrieben hatte,wird uns – einer Gesellschaft, die nur noch erreichbare Ideale kennt und nichtmehr daran glaubt, dass sie irgendwann über jeden Tag wird Rechenschaft ge-ben müssen – unbegreiflich bleiben. Es war nicht der zeitlose Drang, sich aus-zuzeichnen, nicht die heute modische Sucht der Selbstfindung ohne Demut,die meist nur Selbsterfindung ist, nicht der bisweilen ein wenig neurotisch an-mutende Hang eines Carl Claus von der Decken zum Abenteuer.

Aber wer jetzt an Sonntagen durch Kilimandscharodörfer wie MachameoderMarangu geht, der sieht dort Scharen festlich gekleideter und erwartungs-voll gestimmter Christen zu den Kirchen drängen. Neben Einrichtungen wieder – leider unzureichend ausgestatteten – Johannes-Rebmann-Gedenkbiblio-thek in Machame bewahrt auch der Rebmanngletscher auf dem Kibo den Na-men jenes Mannes, der das Kilimandscharogebirge als erster Europäer erblickthaben soll. Für den Bergwanderer, der im Morgengrauen vom Gillman’s PointzumUhuru Peak zieht, ist dieser Gletscher ein erster Fingerzeig derWunder, dieihn erwarten: von der aufgehenden Sonne rot beleuchtet undmit noch immereindrucksvollem Säulenwerk. Dahinter erscheinen dann eine spiegelnde Eis-fläche, die aussieht, als ob der Frost die Tanzschritte von Riesen bewahrt hätte,und der Deckengletscher mit seiner wundersamen blauen, minzegrünen undweißen Bänderung aus Sommereis und Winterschnee, schließlich die mächti-ge Haube des Kerstengletschers und all das Eis, zu dem jene Männer und ihreBegleiter so oft sehnsuchtsvoll oder verzweifelt emporgeblickt hatten.

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felbuch, eine britische Flagge und eine Bibel, im inneren Krater bemerkt er alsErster Fumarolen und Schwefelablagerungen, und wie andere vor ihm besuchter den gefrorenen Leoparden am Leopard Point.

1938 erreicht dann das Hakenkreuz des Deutschen Reiches den ehemaligen«höchsten Punkt deutscher Erde». ZumGlück nur verstohlen, nämlichmit denZeltwimpeln einer Expedition der Alpenvereinssektion Stuttgart. Zwei ihrerTeilnehmer steigen auf der Normalroute zum Kibogipfel, und Eugen Eisen-mann und Theo Schnackig erschließen eine südliche Anstiegsroute über denDeckengletscher. Eisenmann überschreitet zudem gemeinsam mit Robert Hil-debrand den Mawenzi von der Hans-Meyer-Spitze bis zur Lathamspitze. Dabeiwerden die Purtscheller- und die Borchersspitze zum ersten Mal bestiegen.Hildebrand besteigt später mit Konrad von Wuest Londt Peak, so dass er denMawenzigrat nun bis auf die Pinnacles überschritten hat. Vor allem kommt da-mit Ordnung in das Gewirr der «Unnamed 1», «Unnamed 2» und «Twin Peaks»;der Name «Purtscheller Peak» war sogar an zwei verschiedene Bergspitzen ver-geben worden. Im Einvernehmen mit dem Mountain Club of East Africa trägtnunmehr der zweithöchste Mawenzigipfel Purtschellers Namen, der nächste,Borchers Peak, wird nach einemMäzen der Expedition benannt, der dann fol-gende nach Fritz Klute.

Die Bergsteiger reisen weiter, zum Ruwenzorimassiv. Sie ahnen sicherlichnicht, dass dies ihre letzte Gelegenheit zu Bergfahrten in Ostafrika ist und dasssie bald einem Gebirgsjägerbataillon angehören werden. Ein verderbenbrin-gendes Gebräu aus Demütigung und Machtrausch macht die Deutschen trun-ken und lässt sie zu Mördern ihrer Nachbarn werden.

Es wird still im Kilimandscharogebirge. Dies ist nicht die rechte Zeit fürBergfahrten. Die Bergsteiger aus Kenia, Tanganyika und Südafrika sind zumeistan fernen Fronten. Aber eine der treibenden Kräfte hinter ihnen, Arthur Fir-min, kommt 1942 zumKibo, und es gelingt ihm sogar, die erstmals vonWilliamTilman bemerkten Fumarolen imKrater zu fotografieren. Im folgenden Jahr er-kundet dann J. H. Ash den Innenkrater – die Benennungen Ash Cone und AshPit erinnern daran.

Inzwischen sind auch einige der afrikanischen Träger und Bergführer inUniformen gesteckt worden: Sie kämpfen in Äthiopien gegen Italiener, in Bur-ma gegen Japaner. Verwendung für ihre Fähigkeiten gibt es erst in den Fünfzi-gerjahren wieder, als eine Expedition der Universität Sheffield die geologischeStruktur des Kilimandscharogebirges erforscht. Dabei unternehmen britischeWissenschaftler den ersten erfolgreichen Abstieg in den größeren der beidenMawenzi-Barrancos – schon EduardOehler hatte das vergeblich versucht – undsteigen, wahrscheinlich ebenfalls als Erste in dieser Richtung, durch die Wes-tern Breach zum Kraterkessel auf. 1955 wird dann im kenianischen Oloitoki-tok ein Outward Bound Center gegründet. (Die über die ganze Erde verbreite-ten Outward-Bound-Privatschulen dienen einer naturnahen Fortbildung, die

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insbesondere Charaktereigenschaften wie Verantwortungsbereitschaft undKameradschaftlichkeit fördert, und suchen deshalb dieNäheherausfordernderLandschaften.) Dem Wirken dieses Zentrums ist es zu verdanken, dass in denfolgenden Jahren mehrere neue Routen erschlossen und viele künftige Berg-führer geschult werden.

Es kommen auch wieder häufiger Bergsteiger – meist in Kenia lebende Bri-ten, enthusiastische Männer, die dem 1949 gegründeten Mountain Club ofKenya angehören, Südafrikaner, Italiener – zum Kilimandscharo. Und in denSechzigerjahren beginnt der Schweizer Fritz Lörtscher seine zahlreichen Erst-begehungen am Kibo und am Mawenzi. Die Siebzigerjahre, die große Zeit desEiskletterns, eröffnet Lörtscher am letzten Tag des Jahres 1970mit einer elfstün-digen Übersteigung des Nördlichen Eisfeldes. 9 Stunden lang klettert er diesenkrechten oder überhängenden, 3 bis 12 Meter hohen Stufen aus blauem Eishinauf. Erst am späten Nachmittag steht Lörtscher auf dem Kamm des Eis-walles und seilt sich anschließend 16-mal an «Eispilzen» ab, die er zuvormit derEisaxt geformt hat. Um 8 Uhr abends erreicht er endlich Felsengrund, sucht ei-

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aus. Sie rotzte Sturzbäche von Wasser. Dies war die lebendigste Wand, die mirje untergekommen war», schrieb Messner. Dennoch erreichten die beiden amnächsten Tag – frei in der Falllinie kletternd – mit einer herrlichen Leistungnach 12 Stunden den Gipfel: «Irgendwann einmal wird dieser Weg, der Weg,auf dem wir die Breach Wall als Erste geklettert hatten, die Renzler-Messner-Route genanntwerden.DasWann spielte für uns jetzt keine Rollemehr.Der Ab-bruch gehörte uns.»

Und der Kibo gehörte nun, Jahr um Jahr mehr, den Bergtouristen. Bis zurMitte der Achtzigerjahre waren es etwa 4000 bis 7500 jährlich. Danach muss-ten bisweilen schon Abschnitte der Maranguroute verlegt werden, weil derPfad zu tief ausgetreten war, und bei den Horombohütten trugen die Strohblu-men nun Kleider aus weißem, rosa und grünem Toilettenpapier. Ungefähr60 Prozent der Aufsteigenden sollen damals Gillman’s Point erreicht haben,zwischen 10 und 20 Prozent der Letzteren gingen weiter bis zum Uhuru Peak.

Heute kommenmehr als 25000 Touristen im Jahr und mit ihnen die min-destens doppelt so große Anzahl von Trägern und Führern. Das sind viel weni-ger Besucher als in gewissen Alpenlandschaften, und derWirtschaft Tansanias– eines Landes, in demdas jährliche Bruttoeinkommenpro Kopfmit 280Dollarnoch 190 Dollar unter dem Durchschnittswert für das subsaharische Afrikaliegt – sind die daraus erwachsenden Einnahmen wahrhaftig zu gönnen. Wäreda nur nicht das Unbehagen, das uns befällt, wenn wir auf demWeg zum Gip-fel plötzlich Spuren im Schnee entdecken! Denn Touristen sind immer die an-deren – wir sind Reisende: Menschen, die längst erfahren haben, dass man Be-sinnung und Erfüllung nur in fernen Landstrichen findet. Ein Tourist dagegenist jemand, der uns das glaubt.

Henry Barbersverfehltes Ziel: dieSprechfunkstationim HüttenkomplexHorombo Hut ander Maranguroute.

Rechte Seite:Wegweiser an denHauptroutenwecken Zutrauen,aber die ArrowGlacier Hut zum Bei-spiel ist schon vorvielen Jahren voneiner Steinlawinezerstört worden. Im-mer gültig sind da-gegen die Ratschlägeauf Hinweistafelnan den Zugängen.

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