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4-2012 Dossier Einkauf im Biomarkt. Wenn Kirchen nachhaltig wirtschaften, regt das in den Gemeinden dazu an, auch den privaten Konsum umzustellen. Foto: Zukunft einkaufen Ein Dossier von „Zukunft einkaufen“ in Zusammenarbeit mit der Redaktion . Kirchen kaufen ökologisch und fair Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaſt

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4-2012 Dossier

Einkauf im Biomarkt. Wenn Kirchen nachhaltig wirtschaften,

regt das in den Gemeinden dazu an, auch den privaten Konsum umzustellen.

Foto: Zukunft einkaufen

Ein Dossier von „Zukunft einkaufen“ in Zusammenarbeit mit der Redaktion .

Kirchen kaufen ökologisch und fairAuf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft

4-2012 | Dossier

Klaus Breyer ist Leiter des Instituts für

Kirche und Gesellschaft, Schwerte.

Editorial Inhalt

3 Womit ernähren wir unsere Hoffnung? Fulbert Steffensky

6 Zukunft einkaufen Ökofaire Beschaffung mit System Birgit Weinbrenner

8 Zukunft gewinnen Einrichtungen, die sich am Projekt

„Zukunft einkaufen“ beteiligen, über ihre Beweggründe und Schritte

10 Essen ist politisch In den Industriestaaten landen jährlich

222 Millionen Tonnen Essen auf dem Müll – das muss sich ändern

Stefan Kreutzberger

12 Die Schattenseiten des Wohlstandskon-sums

Arbeitsbedingungen in Entwicklungslän-dern

Sussan Ipaktschi

14 Fair und nachhaltig Das Konzept „Fairer Handel“ im Zusam-

menhang der Nachhaltigkeitsbemühun-gen für die Eine Welt

Michael von Hauff

15 Knappes Gut Nicht nur die Umstellung auf ökofaire

Beschaffung stimuliert die Nachfrage nach fair gehandeltem Kaffee

Sandra Weiss

18 Die Schöpfung bewahren Zeugen des Klimawandels

Mein besonderer Dank gilt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt für die großzügige

Projektförderung und Entwicklungspartnerschaft sowie dem Evangelischen Entwicklungsdienst für

finanzielle und fachliche Unterstützung.

„Zukunft einkaufen“ dankt Misereor, dem Evangelischen Entwicklungsdienst und

„Brot für die Welt“ für die finanzielle Unterstüt-zung des Dossiers.

Liebe Leserinnen und Leser,

immer deutlicher erkennen wir, wie sehr der Klimawandel und die Ressourcenkrise Armut verschärfen und weltweit Leben bedrohen, Entwicklungsmöglichkeiten untergraben und Ungerechtigkeit verstärken. In dieser Situation können Kirchen nicht schweigen, sondern müssen für eine zukunftsfähige Entwicklung Partei ergreifen: als gesell-schaftliche Kraft und durch ein glaubwürdi-ges institutionelles Handeln.

Der Übergang vom „fossilen“ Zeitalter des (scheinbar) grenzenlosen Wachstums zu einer kohlenstoffarmen, umwelt- und sozialverträglichen Weltwirtschaft zwingt zur kritischen Auseinandersetzung mit den Werten, die unseren Lebensstil und Konsum, unsere Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bisher geprägt haben. Werte sind jedoch nie abstrakt, sie wollen gelebt – auch vorgelebt – werden. Hier ist die kirchliche Beschaffung ein wichtiges Handlungsfeld.

Das Projekt „Zukunft einkaufen“ will den Nachweis liefern: Klimaschutz „einzukaufen“ ist nicht nur möglich, sondern angesichts des großen Beschaffungsvolumens der Kirchen auch sehr wirksam. Dies fängt beim Kaffee und Papier an und hört beim Bezug von Ökostrom noch längst nicht auf: Es umfasst auch die Förderung von fairen Arbeitsbedin-gungen weltweit. Und was für die kirchliche Beschaffung gilt, gilt natürlich auch für den privaten Konsum. Deshalb wendet sich „Zu-kunft einkaufen“ auch an Sie.

Bei jedem Einkauf bestimmen wir mit, wie unsere Welt und das Leben auf ihr zukünftig aussehen wird: Ob weitere Kohlekraftwerke gebaut werden oder Windräder, Wälder abge-holzt werden oder erhalten bleiben, ob Fami-lien weltweit ihren Kindern eine Perspektive bieten können. Wer einkauft, entscheidet mit! In diesem Dossier finden Sie Informati-onen und Handlungsmöglichkeiten. Zudem lernen Sie kirchliche Einrichtungen kennen, die bereits die „Zukunft einkaufen“.

Beste Grüße

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Womit ernähren wir unsere Hoffnung?

| Fulbert Steffensky

Die eine Wahrheit hebt die andere nicht auf. Das Bundesversprechen ist keine Garantie dafür, dass die Erde bewohnbar bleibt. Zu ei-nem Bund gehören zwei. Wir können die Erde neu verderben, dass sie aus dem Bund Gottes fallen kann. Das Versprechen Gottes ist kein Blankoscheck für unsere Existenz. Der Bund gibt uns etwas zu tun, er gibt uns auf, etwas zu lassen. Er gibt uns nicht nur et-was zu glauben. Was also machen wir mit der Erde, was mit den Flüssen, was mit der Atem-luft unserer Kinder?

Eines haben die Menschen in jener alten Welt nicht denken können: Dass die Welt mit

ihren Lebensmöglichkeiten als ganze auf dem Spiel steht. Man hat denken können und man hat es erlebt, dass große Sturmfluten kommen. Aber man hat nicht gedacht, dass Dreiviertel der Niederlande untergehen könnten durch das klimabedingte Steigen der Meere. Man hat erlebt, dass die Sommer zu trocken und die Ernte gefährdet waren. Aber man hat nicht erlebt und denken können, dass das Wasser so knapp wird, dass einmal Kriege um das Wasser geführt werden, wie sie uns drohen. Man hat nicht denken können, dass ganze Kontinente versteppen könnten. Es waren große, aber begrenzte Ängste, von

„Ich richte meinen Bund so mit euch auf, dass hinfort nicht mehr alles Fleisch verderbt werden soll durch die Wasser der Sintflut und hinfort keine Sintflut mehr kommen soll, die die Erde verderbe.“ So lautet im ers-ten Buch Mose das Bundesversprechen Gottes. Vor dem Bundesschluss jedoch, als er sich gerade anschickte, die große Flut kommen zu lassen, „sah Gott auf die Erde, und siehe, sie war verderbt: Denn alles Fleisch hatte seinen Weg verdorben auf Erden. Das Ende allen Fleisches ist bei mir beschlossen, denn die Erde ist voll von Frevel.“

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denen Menschen damals geplagt wurden. Sie wurden nicht geplagt von der Grundangst, die Erde könnte als ganze unbewohnbar wer-den. Die Menschen hatten große Fragen, aber sie glaubten, dass sie lösbar seien.

Dieser Glaube hat inzwischen große Risse. Als Gott sein Urteil über die verderbte Welt gefällt hat, hat es nicht geregnet. Man hat dem Himmel das drohende Unglück nicht angesehen. Die Menschen haben gegessen und getrunken, getanzt und gelacht und übersehen, was drohte. Wie kam es zu jener verblendeten Heutigkeit? Das Unglück wirft seinen Schatten voraus, und niemand spürt seine Kälte. Das Unglück ist offenkundig, und niemand bemerkt es. Die Hoffnung ist nur dann keine Illusion, wenn wir ins Auge fas-sen, was ihr widerspricht. Es gibt nicht nur die Häresie der Hoffnungslosigkeit. Es gibt auch die Häresie der verschwiegenen The-men; die Feigheit, dem möglichen Unglück nicht ins Auge zu sehen. Die Kirche ist nicht nur Anwältin der Hoffnung. Sie hat auch die prophetische Aufgabe, gegen die Gefahr der fatalen Selbstverständlichkeit das Erschre-cken zu lehren vor den Gefahren, die hand-greiflich sind und an denen wir unsere Schuld tragen.

Ich möchte zwei Arten von Schuld unter-scheiden: Die eine ist, gegen sein Gewissen zu handeln, die andere: kein Gewissen zu haben. Im normalen Sprachgebrauch meinen wir die erste, wenn wir von Schuld reden. Wir setzen ein freies Subjekt voraus, das fähig ist, Recht

und Unrecht zu erkennen und nach der eige-nen Erkenntnis für oder gegen sie zu handeln. Doch die Gewöhnung machte das Unrecht geläufig. Was immer so war, was täglich ge-schieht, das legitimiert sich dadurch, dass alle es tun. Die Gewöhnung raubt Wissen und Ge-wissen. Die biblischen Traditionen nennen dies Verblendung: Das Unrecht tun und nicht wissen, dass es Unrecht ist.

Die Geläufigkeit des Unrechts und die ver-blendeten Interessen hindern das Wissen oder schwächen es so, dass es einem Nicht-wissen gleichkommt. So entsteht die merk-würdige Situation des Verbrechens, das fast keine Subjekte hat; der Schuld, ohne dass sich jemand schuldig fühlt, und der Tat ohne Tä-ter. Ich beschwöre keine Tragik, sondern frage nach der Schuld, die darin besteht, kein Ge-wissen zu haben. Denn man ist nicht nur vor seinem Gewissen verantwortlich, man ist auch für sein Gewissen verantwortlich.

Die Zeit des verstummten Wissens ist die Zeit der Propheten. Was sind Propheten? Es sind die Menschen, die in verblendeten Zei-ten den Willen Gottes erkennen und wider-borstig auf ihm bestehen. Kann diese Kirche prophetisch denken und handeln? Sie hat Texte, die davon sprechen, dass man Gott nicht erkennen kann, ohne mit den Hungri-gen das Brot zu brechen, die Nackten zu be-kleiden und die Hauslosen zu beherbergen. Die Gruppen in unseren Kirchen tragen das prophetische Erbe; Gruppen, die sich um eine andere Art der Ernährung kümmern; Grup-pen, die sich gegen den Missbrauch der Tiere empören; Gruppen in unseren Gemeinden, die sich um die Eine Welt sorgen. Sie denken schon, wie es die Großkirche noch nicht den-ken kann. Sie handeln schon, wie die Großkir-che noch nicht handelt. Die Großinstitution ist langsam, konservativ, konfliktvermeidend, harmoniebedürftig. Die Gruppen sind die Läuse im Pelz der Großkirche. Von ihnen wünsche ich, dass sie die Kirche nicht in Ruhe lassen und dass sie die Kirche lieben, indem sie sie nicht in Ruhe lassen.

Der Bund Gottes mit den Menschen schenkt uns nicht nur Hoffnung, er verpflichtet uns zur Hoffnung. Wie aber lernt man hoffen? Im Augenblick wird die Frage nach der Hoffnung an vielen Orten gestellt. Sie irritiert mich, denn sie wird oft lamentös und vor allem Handeln gestellt. Erst will man in der Aussicht versichert sein, dass alles gut geht, allenfalls dann wird man seinen Teil zum guten Aus-gang beitragen. Vielleicht sollten wir die Frage nach dem guten Ausgang vergessen, denn sie ist nicht zu beantworten. Vielleicht heißt Hoffnung gar nicht der Glaube an den guten Ausgang der Welt und an die Vermeidung ih-rer Zerstörung. Vielleicht werden unsere En-kelkinder einmal die Endzeitschrecken erle-ben, von denen einige ja schon wahr gewor-den sind. Gott scheint uns also nicht einfach zu behüten ohne unser eigenes Zutun. Es ga-rantiert uns keiner, dass das Leben auf der Erde in absehbarer Zeit nicht kollabiert. Aber

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Etwas zu kochen zu haben, bedeutet Hoffnung: Eine Verkäuferin an einem Straßenstand in Thai-

land bietet tradionelle Speisen an.

Es garantiert uns keiner, dass das Leben auf der Erde in absehbarer Zeit nicht kollabiert. Aber wir können tun, als hofften wir. Hoffen lernt man auch dadurch, dass man handelt, als sei Rettung möglich.

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Wanderer in der Wüste Namib. Der Name bedeutet „Ort, wo nichts ist“. Werden mit dem

Klimawandel ganze Kontinente versteppen?

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wir können tun, als hofften wir. Hoffen lernt man auch dadurch, dass man handelt, als sei Rettung möglich.

Zu handeln, als gäbe es einen guten Aus-gang, sind wir einmal uns selber schuldig. Lu-thers Satz vom dem Apfelbäumchen, das er pflanzen wollte noch angesichts des Weltun-tergangs, heißt nicht, dass er den Blick auf die untergehende Welt verweigert. Es ist kein ver-blendeter Optimismus. Er ehrt sich selber, in-dem er sich als Handelnden begreift; als ei-nen Menschen, der die Fähigkeit und den Auftrag hat, das Leben zu schützen. Nicht al-lein der Erfolg rechtfertigt, was ein Mensch tut. Es gibt Handlungen, die in sich selber ge-rechtfertigt sind. Die Liebe und die Gerechtig-keit heilen und heiligen den Menschen; nicht erst der Erfolg, den die Liebe und die Gerech-tigkeit vorzuweisen haben.

Wer Kinder und Enkelkinder hat, der wird an ihrer menschlichen Zukunft nicht nur bauen, weil diese Arbeit Erfolg hat, sondern weil er seine Kinder liebt. Gott schenkt uns mit dem Trank der Hoffnung nicht nur etwas zu trinken – um einen Satz Ernst Blochs abzuwandeln –,

sondern auch etwas zu kochen. Die Hoffnung gibt sich nicht geschlagen. Sie ist vielleicht die stärkste der Tugenden, weil in ihr die Liebe wohnt, die nichts aufgibt, und der Glaube, der den Tag schon in der Nacht sieht.

Vielleicht muss der zynisch werden, der viel weiß, aber aus der Rolle des Betrachters nicht herauskommt. Die Welt und der Lauf der Din-ge leuchten dem nicht ein, der nur Zuschauer ist. Einem Hungernden zu essen zu geben, ei-nen Kranken zu waschen, ein Kind zu trösten, vor einem Giftgaslager die Straßen zu blockie-ren, gegen die Zerstörung des Klimas zu arbei-ten, das hat seinen Sinn in sich selbst. An die-ser Arbeit nagt der Zweifel weniger als an der Seele des reinen Zuschauers. Gegen den Tod zu kämpfen, schließt Lebenszweifel aus, zu-mindest raubt es ihnen Kraft. In den Texten von Martin Luther King, der gegen den Rassis-mus in seiner Gesellschaft kämpfte, oder in den Texten von Helder Camara, der gegen die Armut in seinem Land arbeitete, taucht die Frage, ob diese Arbeit sinnvoll sei, nicht auf. Die Arbeit selbst, die sie getan haben, hat ih-nen die Sucht, den Erfolg garantiert zu sehen, ausgetrieben.

Die höchste Form der Verblödung ist, sich selber Ziel und Endpunkt zu sein; nichts an-deres wahrzunehmen als sich selbst und für nichts anderes einzustehen als für sich selbst. Das ist nicht nur amoralisch. Es ist auch eine Form der Erschöpfung in sich selbst, die ins Unglück führt. Diese Selbstverdummung kommt bei Privatpersonen ebenso oft vor wie bei Gruppen. Auch die Kirchen sind vor ihr nicht gefeit. Auch die Kirche kann sich selbst zum Götzen werden, wenn sie nicht mehr sucht als sich selbst und ihre Erhaltung. Nein, ich schaue nicht nur auf die Schwächen unse-rer Kirche, sondern auf die Stärke, die schon da ist. Die Kirche ist ein wundervoller Verein, der grössere Interessen kennt als die eigenen; ein Verein, der nicht nur an sich selber leidet, sondern die Schmerzen der Fremden wahr-nimmt. Wem die Phantasie für fremdes Leid abhandengekommen ist, der ist gezwungen, übermäßig an sich selbst zu leiden. Und um-gekehrt: Wer mehr kennt und für mehr be-sorgt ist als für sich selbst, den werden die ei-genen Sorgen nicht mehr ersticken.

Wo die Kirche die Opfer wahrnimmt und für sie eintritt, baut sie an ihrer eigenen Frei-heit. Es ist das Merkmal einer erwachsenen Kirche, wenn sie sich von der narzisstischen Selbstbesorgung gelöst hat und aufmerksam ist auf die Leidenden dieser Welt, auf den Frieden, auf die ökologische Bedrohung die-ser Erde und der Lebensmöglichkeiten unse-rer Kinder und Enkel. Wir sind als Kirche dem Geheimnis Gottes nahe, wo wir uns dem Ge-heimnis der Armen nähern. Oscar Romero, einer der Grundzeugen und Märtyrer unse-rer Zeit, der in San Salvador ermordet wurde und noch nicht selig gesprochen ist, hat es so gesagt: „Wie du dich den Armen näherst, mit Liebe oder mit Geringschätzung, so näherst du dich Gott.“

Das Mysterium Gottes ist vom Mysterium der Armen nicht zu trennen. Gott versteckt sich im Schicksal der Geschlagenen. Er wird bei uns sein bis zum Ende der Tage, wie es verheißen ist. Er ist bei uns als Trost und als Versprechen. Er ist bei uns in allen Gestalten des Elends. Eine Weise, Gott zu betrachten, ist die Elenden dieser Welt zu betrachten mit den Augen unserer Herzen. Wenn die Kirche das vergisst, dann mag sie religiös sein, aber christlich ist sie nicht. | |

Gekürzte und überarbeitete Fassung eines Vortrages von Fulbert Steffensky anlässlich der Tagung „An-ders leben – wie geht das?“ vom 13. bis 15.01.2012 in der Ev. Tagungsstätte Haus Villigst. Den vollstän-digen Text finden Sie unter http://zukunft-einkau-fen.de/aktuell.html.

Fulbert Steffensky ist Religionspädagoge und Theologe.

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Obst-Imbiss in Kathmandu, Nepal. Von den über 28 Millionen Nepalesen leben fast 40 Prozent

unterhalb der Armutsgrenze.

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| Birgit Weinbrenner

Mit dem 2008 gestarteten Projekt „Zu-kunft einkaufen – glaubwürdig wirt-schaften in Kirchen“ soll dauerhaft die Beschaffung der Kirchen an ökologi-schen und sozialen Standards ausge-richtet werden. Gleichzeitig werden über Kirchengemeinden und kirchliche Einrichtungen Impulse in den Bereich privater Lebensführung gegeben, um auch dort einen nachhaltigen Konsum anzuregen.

Immer wieder erreichen uns Menschen, die auf die „Zukunft einkaufen“-Homepage ge-stoßen sind und sagen: Endlich – genau so etwas habe ich seit langem gesucht! Was ist es, das die Leute gesucht haben, was spricht sie an?

Da sind zunächst die praktischen Tipps zu nennen – vom recycelten Papier über den re-gionalen, ökologischen und Bio-Einkauf bei Lebensmitteln bis dahin, wie man zu Öko-stromanbietern wechselt. Aber auch die bei-den „Standbeine“ des Projekts werden positiv aufgenommen – dass es sowohl auf die Öko-logie als auch auf die Sozialverträglichkeit ankommt, die Umwelt – und Klimaschutzori-entierung also nicht auf Kosten der Lebens – und Arbeitsbedingungen der Menschen geht, egal auf welchem Teil des Globus sie le-ben. Vor allem aber bekommen wir positive Rückmeldungen, weil wir den Blick darauf lenken und Angebote dazu machen, was die Kirche selbst als wirtschaftliche Akteurin und Marktteilnehmerin tun kann, ohne den Zeigefinger auf andere zu richten. „Hier kehrt die Kirche vor der eigenen Türe“ – das wird von vielen Kirchenmitgliedern erleichtert zur Kenntnis genommen und gerne aufge-griffen.

| Mitmachen leicht gemacht Einrichtungen, die mit dem Projekt „Zukunft einkaufen“ kooperieren, benennen in diesem Dossier ihre Beweggründe fürs Mitmachen

(siehe die folgenden Seiten). Gemeinsam ist ihnen, dass sie glaubwürdig handeln und ei-nen nachprüfbaren Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung und zur sozialen Gerechtig-keit leisten möchten. Daher nehmen sie die ambitionierte Aufgabe, ihre Beschaffung auf ökologische und soziale Kriterien zu grün-den, systematisch in Angriff. Dabei spüren sie Einsparpotentiale einerseits und ökologi-sche und faire Optimierungsmöglichkeiten andererseits auf und realisieren sie. In den Einrichtungen von Diakonie und Caritas un-terstützen und begleiten Projektmitarbeite-rinnen und -mitarbeiter den Umstellungs-prozess. Darüber hinaus stehen auf die jewei-lige Zielgruppe abgestimmte Materialien zur Verfügung.

Die Kooperation im Projekt „Zukunft ein-kaufen“ bietet Gelegenheit, diejenigen ken-nenzulernen, die sich mit ganz ähnlichen Fragen befassen und vor ähnlichen Proble-men stehen. Dies führt dazu, dass die Betei-ligten Hilfe für Lösungen bekommen. Und: Selbst bei kleinen Erfolgen springt der Funke zu den Kirchen-Mitarbeiterinnen und -mit-arbeitern über und motiviert sie zu Verhal-tensänderungen auch beim privaten Einkauf und Verbrauch.

| Zukunft einkaufen – das Managementsystem

Die Umstellung der Beschaffung auf der Grundlage ökologischer und sozialer Kriteri-en bedeutet nicht, hier und da ein bestimm-tes Produkt zu kaufen. Wichtig ist, dass in den Einrichtungen Strukturen geschaffen werden, die Bestand haben – unabhängig von aktuell beteiligten engagierten Personen und den jeweils empfehlenswerten Produk-ten. Den Kern von „Zukunft einkaufen“ bildet das ökofaire Beschaffungsmanagementsys-tem. Es teilt sich in vier Phasen auf.

Die Planungsphase beginnt mit einer Be-standsaufnahme. In Teams sieht sich jede Einrichtung genau ihre bisherige Beschaf-fungspraxis und ihren Verbrauch an. Ge-meinsam füllt man Checklisten aus, die auf die jeweilige Einrichtung zugeschnitten sind, und ermittelt Beschaffungskennziffern. Da-bei wird aufgedeckt, wo zum Beispiel Strom, Benzin oder Papier eingespart und Abfall vermieden werden kann. Die Schwachstellen und die Stärken der bisherigen Beschaffungs-praxis werden deutlich. Die Teams ermitteln die Produktgruppen, bei denen mit dem ge-ringsten Einsatz die größte Wirkung erzielt werden kann. Auf dieser Grundlage kann

Zukunft einkaufenÖkofaire Beschaffung mit System

Die vier Phasen des Beschaffungsmanagementsystems

Quelle: Projektflyer „Zukunft einkaufen“

Umsetzung des Verbesserungs- programms

BestandsaufnahmeVerbesserungsprogramm

Beschaffungsordnung

Anpassen und Weiterentwickeln des Verbesserungs-programms

BewertenKontinuierliche Überprüfungder Beschaffung

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dann ein Verbesserungsprogramm erstellt werden, das im nächsten Schritt mit einer Beschaffungsordnung verbindlich wird.

In der zweiten Phase geht es um die Ver-wirklichung dessen, was in der ersten Phase beschlossen wurde. Die Teams arbeiten dar-an, alle geplanten Maßnahmen umzusetzen, um damit langfristig Strukturen zu schaffen, die den Einkauf bestimmen.

Die dritte Phase steht unter dem Stichwort „Bewertung“. Die zuvor festgelegten Ziele und Regeln – wie zum Beispiel der angestreb-te Anteil von recyceltem Papier und regiona-len Lebensmitteln oder die Festlegung auf Gütesiegel – werden daraufhin überprüft, ob sie sich im Alltag bewähren.

In den Folgejahren werden schließlich in der vierten Phase die Beschaffungsabläufe und -ergebnisse angepasst und weiterentwi-ckelt, indem in das zu Beginn erstellte Ver-besserungsprogramm weitere Maßnahmen aufgenommen werden.

Wesentlich sind also die Elemente ► Strukturen aufbauen ► Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbe-

ziehen► Arbeitsabläufe anpassen ► Standards entwickeln und ► den sich wandelnden Bedarf einer Einrich-

tung berücksichtigen.

Kurz: Es geht darum, ein Beschaffungsma-nagement einzuführen, das mit anderen Ma-nagementsystemen kompatibel ist. Denn in fast allen Einrichtungen wird bereits Quali-tätsmanagement betrieben und in vielen Umweltmanagement. Diese Systeme enthal-ten die Kernelemente des oben skizzierten Kreislaufs.

| Produktinformationen und -angeboteErgänzend zum Managementsystem bietet das Projekt „Zukunft einkaufen“ gezielte Pro-duktinformationen und Beratung bei Ar-beitsabläufen und Kaufentscheidungen. Bei-spielsweise lässt sich erfahren, welche Label zu bevorzugen sind oder für welche Produk-te es im Einkauf Sonderkonditionen gibt. Zur Verfügung stehen auch Informationen zu Produkten, die in Großhaushalten oder Ein-richtungen von Diakonie und Caritas von be-sonderer Relevanz sind, zum Beispiel um-weltschonende Reinigungs- und Waschmit-tel, umweltverträglich hergestellte Textilien oder Inkontinenzmaterialien. Dabei kommt der Optimierung von Arbeitsabläufen und der Veränderung von Gewohnheiten zentra-le Bedeutung zu. Übrigens ist der gemeinsa-me Einkauf auch wirtschaftlicher: Regionale Einkaufsallianzen und Rahmenverträge der Wirtschaftsgesellschaft der Kirchen (WGKD) helfen, die Kosten zu verringern.

„Zukunft Einkaufen“ ist auf dem Weg, sich zu einem lebendigen Netzwerk zu entwi-ckeln. Diejenigen, die in Kirchengemeinden, Bildungshäusern, kirchlichen Verwaltungen oder Einrichtungen aus Diakonie und Caritas für den Einkauf zuständig sind, kommen miteinander in Kontakt, so dass sie sich ge-genseitig beraten und vom Know-how der anderen profitieren können. Mehr als 150 Einrichtungen haben am Projekt bereits teil-genommen und dabei wichtige Erfahrungen gewonnen. In dem Netzwerk „Zukunft ein-kaufen“ werden Info-Tage und Fortbildun-gen zu den Themen angeboten, bei denen es am meisten „brennt“, wo also der größte Be-darf angemeldet wird (seien es „Green IT“, Ökostrom oder ökofaire Textilien für Groß-verbraucher). Eine zentrale Rolle für den Aufbau des Netzwerkes spielt die Internetsei-te von „Zukunft einkaufen“: www.zukunft-einkaufen.de.

Mit alledem kommen wir unserem Ziel des glaubwürdigen, weil nachhaltigen Wirtschaf-tens in Kirchen allmählich näher. Seine Reali-sierung wird eine Wirkung über die Kirchen hinaus haben: Ökologische und soziale Krite-rien für die Beschaffung in kirchlichen Ein-richtungen steigern die Nachfrage nach Pro-dukten, die diesen Kriterien entsprechen. So beeinflussen sie die Märkte; ökofaire Produk-te können größere Marktanteile erobern. Da-mit wären wir dann einen Schritt weiter in Richtung auf eine nachhaltige Wirtschaft. | |

Birgit Weinbrenner ist Projektleiterin von

„Zukunft einkaufen“.

„Zukunft einkaufen“ bietet Ihnen praktische Beratung

Sie möchten das ökofaire Beschaffungs-management vorgestellt bekommen und prüfen, welche Vorteile es ganz konkret für Ihre Einrichtung hat? Wir stellen es Ihnen gerne vor! Sie möchten ökofaire Beschaffung einführen? Wir unterstützen Sie!

Ein Leitfaden und alle notwendigen Arbeitshilfen stehen Ihnen kostenlos zur Verfügung.

Wir vermitteln Ihnen Kontakt zu Pilot-einrichtungen, von deren Erfahrungen Sie profitieren können, und beraten Sie auch gerne persönlich.www.zukunft-einkaufen.deb.weinbrenner@[email protected]

Wir – das Team von „Zukunft einkaufen“.

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Zum ökofairen Einkauf gehört es, Papier zu sparen und zu recyclen.

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Die Dienste für Menschen gGmbH (DfM) mit Sitz in Stuttgart betreibt Pflegestifte, Wohnstifte, ambulante Dienste sowie eine geriatrische Rehabilitationseinrichtung. In den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen werden mehr als 1200 Menschen von rund 1400 Mitarbeitenden gepflegt und betreut. Betreutes Wohnen in rund 350 Wohnungen und ambulante Pfle-gedienste runden das Angebot ab.

Für DfM als Sozialunternehmen mit diako-nischer Ausrichtung sind der verantwor-tungsvolle Umgang mit den Ressourcen und der Schutz der Umwelt zentrale Anliegen. Mit der Teilnahme an dem Projekt „Zukunft einkaufen“ entstehen ganz praktische Regelungen für eine optimierte, nachhal-tige Beschaffung. Dafür wurde zunächst das Beschaffungs- und Konsumverhalten analysiert. Ergebnis sind Vorgaben beispiels-weise für den Einkauf von Pflegematerialien oder die Entsorgung von Müll. 2011 wur-den Handlungsoptionen für die Bereiche Bürobedarf, Küche und Hauswirtschaft entwickelt.

Von der Teilnahme an „Zukunft einkaufen“ erhofft sich DfM auch eine stärkere Wahr-nehmung als nachhaltiger Träger. Schließ-lich schafft dieses Projekt ein deutschland-weites Netzwerk solcher Träger.

Bernhard Udri, Nachhaltigkeitsbeauftragter bei Dienste für Menschen

Die Einrichtungen der Bremischen Evan-gelischen Kirche (BEK) haben sich bei gesellschaftlichen Fragen immer schon eingemischt. So war es nur eine logische Konsequenz, beim Projekt „Zukunft einkau-fen“ als Testregion mit einzusteigen. Die Struktur der BEK bedingt, dass die Gemein-den jeweils eigenständig für sich entschei-den müssen, wie und wo sie handeln. Über die Kirchenkanzlei als zentrale Verwaltung können wir zum einen Angebote und Unter-stützung für die Gemeinden anbieten, zum anderen als Beispiel vorangehen.

Wir haben in der Kirchenkanzlei zunächst analysiert, was eingekauft wird, und dann versucht, Alternativen zu finden. So wurde der Strom zu 100 Prozent auf Naturstrom umgestellt und festgelegt, dass nur noch mit dem Blauen Engel zertifizierte Papiere beschafft werden. Mit den Lieferanten für Büromaterial sowie für Reinigungsmittel haben wir Gespräche aufgenommen mit dem Ziel, Kataloge zu erstellen, in denen ausschließlich ökofaire Produkte aufgeführt werden. Alle Einrichtungen der BEK haben inzwischen über das Intranet einen Zugang zu diesen Katalogen und können daraus bestellen.

In dem Maße, in dem immer mehr Ein-richtungen sich bemühen, auf die neue Einkaufsschiene zu wechseln, wächst auch das Interesse. So fragen zum Beispiel Küster nach den „richtigen“ Kerzen oder wo sie die nötigen Mengen an Keksen zu bezahlbaren Preisen erhalten können. Oder Mitarbeiten-de finden neue Möglichkeiten der Energie-einsparung. Insgesamt ist die Sensibilität für diesen Bereich deutlich angestiegen.

Helmut Junk, Ltg. Innere Dienste, Bremische Evangelische Kirche

„Die Zukunft haben wir von unseren Enkeln geliehen.“ Wer kann dies besser beurteilen als die Bewohner eines Seniorenheimes? Doch kann man die Zukunft kaufen? Nein! Sie liegt nicht in unserer Hand. Als kirchli-che Einrichtung wissen wir, dass letztlich

„Gott, der Schöpfer“ auch das letzte Wort über seine Schöpfung spricht. Aber wenn wir unsere Lebensweise nicht ändern, könnte dieses Geschenk, das wir von unseren En-keln bekommen haben, ein sehr unrühmli-ches Ende finden.

Diese Gedanken haben uns bewogen, neben der Umstellung unserer Bankbeziehungen einen bewussteren Umgang mit Ressourcen (Stromsparen, Müllvermeidung und -tren-nung) zu pflegen, fair gehandelte Produkte zu kaufen und mit Hilfe eines Block-Heiz-Kraftwerkes dezentral Wärme und Strom herzustellen. Mit Hilfe von „Zukunft ein-kaufen“ wollen wir nun unsere Aktivitäten verstärken und durch die Ideen der Initiative erweitern. Als wirtschaftliches Unterneh-men müssen wir aber auch unsere Einnah-men im Auge behalten. Wir hoffen, dass die (vollständige) Umstellung auf nachhaltiges Wirtschaften nicht zu höheren Kosten führt, die durch die Kostenträger dann nicht refi-nanziert werden.

Wir erwarten uns, dass wir wie ein „kleiner Tropfen im Wasser, der Kreise zieht“ etwas für die Veränderung in dieser Welt tun kön-nen: Schöpfung bewahren für unsere Enkel!

Thomas Richter, Heimleiter, Maria im Tann

Zukunft gewinnenEinrichtungen, die sich am Projekt „Zukunft einkaufen“ beteiligen, über ihre Beweggründe und Schritte

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Die Entscheidung im Kirchenkreis Moers sowie in der größten Einrichtung im Kirchen-kreis, dem Diakonischen Werk mit mehreren Dienststellen, an „Zukunft einkaufen“ teilzu-nehmen, wurde zunächst auf der Leitungs-ebene getroffen. Zu Beginn des Prozesses hin zu einer ökofairen Beschaffung hat eine Arbeitsgruppe einen Maßnahmenkatalog erarbeitet. Darin wurden alle relevanten Informationen zu einzelnen Produkten sowie zu beachtende Gütesiegel und Empfehlun-gen aufgelistet. Er ist so gut und hilfreich, dass er in mehreren anderen Kirchenkreisen und Landeskirchen als Grundlage eigener Planungen verwendet wird.

Das Verwaltungsamt und die Kirchengemein-den für unser Anliegen zu gewinnen braucht Überzeugungsarbeit, konkrete Argumente und Ausdauer, da sich eingespielte Struk-turen nicht mal eben schnell verändern lassen. Um innerhalb des Diakonischen Werkes Kirchenkreis Moers Nachhaltigkeit und Verbindlichkeit in der Umstellung zu gewährleisten, wurde eine Jahreszielplanung definiert, die regelmäßig überprüft und ange-passt wird. Eine Herausforderung besteht in der zeitaufwendigen Produktrecherche, die eine zusätzliche Belastung für die Mitarbei-tenden darstellt. Zudem ist der Kostendruck nicht zu unterschätzen. Ökofaire Beschaffung kann am ehesten umgesetzt werden, wenn sie finanziell keine bedeutenden Mehrkosten verursacht. Das ist immer neu auszutarieren und kontinuierlich zu verbessern.

Von vielen Seiten kommen inzwischen Vorschläge für mögliche Optimierungen der ökofairen Beschaffung. Dennoch sind wir aufgrund geringer Ressourcen noch nicht alle so weit, alles ökofair einzukaufen. Wir sind noch nicht am Ziel einer vollständigen Umstellung angekommen, aber wir sind auf dem Weg.

Rainer Tyrakowski-Freese, Geschäftsführer Diakoni-sches Werk Kirchenkreis MoersHinrich Kley-Olsen, Synodalbeauftragter Gerechtig-keit/Eine-Welt und Umwelt im Kirchenkreis Moers

Zukunft gewinnen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das Diakonische Werk im Kirchenkreis Recklinghausen e.V. versteht sich als ein diakonischer Träger mit Verant-wortung für die Menschen in der Region. 1700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versorgen, erziehen, pflegen, betreuen, begleiten und beraten täglich rund 4000 Menschen. „Wir achten die Würde jedes Menschen“ heißt es im Leitbild des Werkes. Zur Würde gehört, „den Frieden bewahren und die Natur schützen“. So steht es einige Sätze weiter. „Zukunft einkaufen“ ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Um-setzung des Leitbildes.

Wir prüfen, zunächst noch an Modellein-richtungen, den kompletten Ressourcen-einsatz mit dem Ziel, der Verantwortung im Umgang mit endlichen Ressourcen gerecht zu werden. Dabei verlieren wir im Sinne des Fairen Handels auch die Produzenten von Waren und Dienstleistungen nicht aus dem Blick.

Es wird daran gedacht, die Erkenntnisse schrittweise auf das gesamte Diakonische Werk im Kirchenkreis Recklinghausen zu übertragen. Schöpfungsverantwortung im Alltag – zwischen Verantwortung und wirt-schaftlichem Handeln – das ist die Heraus-forderung von „Zukunft einkaufen“, der wir uns gerne stellen.

Gerhard Bröker, Leiter Dienstleistungszentrum Wirt-schaftsbetrieb, Diakonisches Werk im Kirchenkreis Recklinghausen e. V.

Das Evangelische Johanneswerk mit Sitz in Bielefeld beschäftigt in mehr als 70 Ein-richtungen rund 6200 Mitarbeitende. In seinen Geschäftsfeldern werden tagtäglich Dienstleistungen erbracht, für die endliche Ressourcen ge- und verbraucht werden. Ein bewusster Umgang damit ist aus ethischen, ökologischen, ökonomischen und gesund-heitlichen Gründen geboten. Bereits in der Vergangenheit hatte das Thema „Nachhaltig-keit“ im Johanneswerk eine große Bedeu-tung. Im Zuge des Projektes „Zukunft ein-kaufen“ sollen in den Bereichen Beschaffung und Entsorgung einheitliche und gleichblei-bende Standards erarbeitet und schrittweise in allen Arbeitsfeldern umgesetzt werden. Über diesen Nutzen für das Johanneswerk hinaus ist sich der diakonische Träger auch der Symbolwirkung des Projektes bewusst. Im Leitbild des Ev. Johanneswerk heißt es dazu: „Durch unser soziales, politisches und ökologisches Handeln setzen wir Zeichen und stärken das Bewusstsein für ein verant-wortliches Miteinander in der Gesellschaft.“

Andreas Jakob Theisen, Referent Milieu- & Umwelt-management, Ev. Johanneswerk e.V.

Die Don Bosco Ka-tholische Jugendhilfe bietet zurzeit rund 270 Kindern, Jugendlichen, Heranwachsenden und ganzen Familien Unterstützung im Rah-men der Jugendhilfe an. Als Einrichtung möchten wir die Chan-ce nutzen, aktiv für die

Bewahrung der Schöpfung und gerechtere Produktionsbedingungen einzutreten. Neben dem zunehmenden Einsatz von Erdwärme, Solarenergie und Photovoltaik in unseren Häusern bietet das Projekt die Möglichkeit, weitergehende Verantwortung zu überneh-men. Gerade in der Jugendhilfe fühlen wir uns verpflichtet, gegenüber unseren Kindern, Jugendlichen und Familien als Vorbild voranzugehen und entsprechende Werte zu vermitteln. Daher freuen wir uns, Teil dieses Projektes zu sein und mit unserem „Haus vol-ler Leben“ aktiv zur Gestaltung der Zukunft beitragen zu können.

Christoph Flegel, Leiter, Don Bosco

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| Stefan Kreutzberger

Mit unserer Konsumweise vergeuden wir schwindende Ressourcen und tra-gen zum Hun ger in der Welt bei. Was jahrzehntelang verdrängt wurde, ist nun Thema europäischer Po litik gewor-den.

An den neueren Studienergebnissen der Welternährungsorganisation der Vereinten Natio nen kann sich keiner mehr vorbeidrü-cken: Rund ein Drittel der weltweit für den menschli chen Verzehr produzierten Lebens-mittel geht verloren oder wird verschwendet. Dies hat zur Folge, dass auch ein Drittel der zur Lebens mittelerzeugung eingesetzten Ressourcen verschwendet wird, die dabei entstehenden Treibhausgase jedoch zusätz-lich unser Klima belasten. Insgesamt werden, so die FAO, weltweit rund 1,3 Milliarden Ton-nen Nahrungsmittel im Jahr umsonst produ-ziert. Das entspricht fast der gesamten Pro-duktion in Afrika südlich der Sahara. Al lein in den Industriestaaten landen pro Jahr 222 Millionen Tonnen Essen auf dem Müll. In Eu-ropa und Nordamerika wirft jeder Bürger durchschnittlich im Jahr mehr als sein Körper gewicht in den Abfall, während gleich-zeitig über eine Milliarde Menschen Hun ger leiden müssen. Bei Früchten, Gemüse, Wur-zeln und Knollen liegen die weltweiten Ver-luste sogar zwischen 40 und 55 Prozent, bei Fisch bis zu 80 Prozent.

Die FAO stellt heraus, dass die globale Ver-schwendung und die Verluste von Nah-rungsmitteln wesentliche Gründe für die in vielen Regionen der Welt herrschenden Nah-rungskrisen sind. Bis zu 40 Prozent der Nah-rungsmittel in Entwicklungs- und Schwel-lenländern verderben, be vor sie überhaupt die Konsumenten erreichen, also bereits auf dem Feld, als Nach ernteverluste und beim Transport. Die Ursachen liegen hauptsäch-lich in finanziellen und technischen Ein-schränkungen bei Erntetechnik, Lagerung und Kühlung, schlechter Infrastruktur und man gelnder Verpackung. In Ländern mit mittleren und hohen Einkommen sieht es hingegen anders aus: Hier entstehen die Ver-

luste besonders bei der Produktion, im Groß- und Ein zelhandel sowie mit rund 40 Prozent am Ende der Ernährungskette auf Verbrau-cherebe ne.

Verantwortlich ist hier neben einer unzu-reichenden Verbraucheraufklärung die im System einkalkulierte Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage. Lebensmittel sind eine Ware wie jede andere und sollen Profite generieren. Dafür müssen Bedürfnisse er-zeugt und Verhaltensweisen geändert wer-den. Der Müll der Wegwerfgesellschaft ge-hört daher untrennbar zu unserem Lebens-stil. Denn was nicht mehr da ist, kann wieder neu produziert werden und die Regale fül-len. Die geplante Überproduktion manifes-tiert sich in knebelnden Lieferverträgen, die die Kosten drücken, preisverzerrenden Ag-rarsubventionen und genormten Qualitäts- und Geschmacksstandards bei einer tatsäch-lichen Abnahme der natürlichen Vielfalt der Lebensmittel.

| Nahrungsenergie und Wasser werden vergeudet

Bereits im Mai 2008 hatte das Stockholm In-ternational Water Institute SIWI in Zusammen arbeit mit der FAO und dem In-ternationalen Wasser Management Institut IWMI die welt weit verschwendeten Kalorien und die Wasservergeudung untersucht. Das schwedische Forscherteam um Professor Jan Lundqvist wählte bei seiner Studie „Saving Water: From Field to Fork“ einen Me ta-Ansatz und verglich die täglich weltweit pro Kopf produzierten Energieeinheiten an ess-baren Feldfrüchten mit den tatsächlich für den privaten Haushalt verfügbaren Kalori-en. Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass entlang der Produktionskette 56 Pro-zent der möglichen Energieeinheiten verlo-ren gehen: Als Nachernteverluste, bei der Tiermast (die einbezogen wird) sowie als Verluste und Abfall bei der Produktion, im Handel und beim Verbraucher. Mehr als die Hälfte der zu Verfügung stehenden Nah-rungsenergie geht demnach verloren und wird vernichtet.

Die intensive industrielle Tiermast benö-tigt riesige Mengen Getreide wie Mais und Weizen und eiweißreiche Futtermittel, haupt-sächlich Soja aus Südamerika. Deutschland belegt dort durch seinen Sojabedarf laut ei-ner aktuellen Studie des WWF bereits eine Fläche so groß wie das Saarland. Rinder und Schweine werden zu Nahrungskonkurrenten des Men schen. In Europa dienen bereits 57 Prozent der Getreideernte der Tierernäh-rung. Und Tie re sind keine guten Futterver-werter, sie verbrauchen viel mehr Energie, als sie über ihr Fleisch wieder für die menschli-che Ernährung zur Verfügung stellen. Was in der Fachspra che der Tiermäster und Metzger als „Veredelung“ bezeichnet wird, ist in Wirk-lichkeit eine gigantische Nahrungsmittelver-schwendung. Jedes Grillhähnchen hat zuvor zwei Kilo Ge treideschrot gefressen, um auf ein Kilo Lebendgewicht zu kommen. Bei Schweinen sind es drei bis vier Kilo und jedes

Essen ist politischIn den Industriestaaten landen jährlich 222 Millionen Tonnen Essen auf dem Müll – das muss sich ändern

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In den Industrieländern gehen rund vierzig Pro-zent der Nahrungsmittelverluste auf das Konto

der Verbraucherinnen und Verbraucher.

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Kilo Rindfleisch schlägt mit acht bis neun Kilo Getreidever brauch zu Buche. Ein durch-schnittlicher Deutscher verspeist in seinem Leben 4 Kühe, 46 Schweine und 945 Hühner. Allein für sein 200 Gramm-Rindersteak mussten demnach 1,6 Kilo Getreide verfüt-tert werden.

Höchstwahrscheinlich lässt sich der Fut-tereinsatz weiter senken, aber dies nur mit-tels gentechnisch veränderter Futterpflan-zen, Massentierhaltung und Fließbandpro-duktion. Und das wollen die Deutschen laut aktuellen Umfragen mehrheitlich nicht. Was aber auch reduziert werden muss, ist der enorme Wasserverbrauch in der Lebensmit-telproduktion. Jedes Kilo Weizen hat 1100 Li-ter Wasser verschluckt und ein Kilo Reis etwa 2700 Liter. Insgesamt sind bis zu 16.000 Li-ter Wasser notwendig, um 1 Kilo Rindfleisch zu erzeugen. In unseren ungegessenen und weggeworfenen Nahrungsmitteln ist also

eine Wassermenge gebunden, die jährlich doppelt so hoch ist, wie all das Wasser, wel-ches wir zum Waschen und Trinken verbrau-chen, insgesamt ein Viertel des weltweiten Wasserverbrauchs.

| Politik, Verbraucher und auch die Kirchen müssen sich bewegen

Will man nicht gleich zum Vegetarier wer-den, kann die Alternative nur heißen: Weni-ger und besseres Fleisch konsumieren, feste vegetarische Tage in der Wo che einlegen und insgesamt gezielter Einkaufen und Reste kreativ verwerten. Das bringt nicht nur Ab-wechslung auf dem Speiseplan, sondern spart auch noch bares Geld. Einmal im Mo-nat mit Freunden zusammen ein überra-schendes Drei-Gang-Menü aus Resten zau-bern, macht obendrein auch noch richtig Spaß. Wer darüber hinaus bewusster seine Ein käufe und Mahlzeiten plant und weniger wegschmeißt, kann viel bewirken. Denn würde die Verschwendung allein in Europa und Nordamerika nur um die Hälfte redu-ziert, könnten theoretisch alle Hungernden in der Welt mindestens drei Mal mit ausrei-chender Nahrung und genügend Trinkwas-ser versorgt werden. Eine Vision, die leider so nicht umsetzbar sein wird: Weltwirtschaft und globale Verteilung folgen anderen Inter-essen.

Für die Unter nehmen ist es rentabler, Überschuss für die Mülltonne zu produzie-ren und die Kosten dafür auf die Preise um-zulegen. Aber dieser Vergleich zeigt auf, was alles möglich wäre, wenn wir Verbraucher in Überflussgesellschaften nur zu einem Teil unsere Konsumgewohnhei ten ändern wür-den. Und so abwegig ist die Vision gar nicht: Nach Ansicht der beauftragten Forscher der Welternährungsorganisation muss das The-ma auf der politischen Agenda weit nach

oben rücken. Sie riefen die Regierungen der Vereinten Völkergemeinschaft auf, bis zum Jahr 2025 die Lebensmittelverschwendung um die Hälfte zu reduzieren. Das EU-Parla-ment folgte diesem Aufruf nun Mitte Januar des Jahres und forderte eine überzeu gende Strategie auf EU- und nationaler Ebene, die jeden Sektor einbezieht.

Auch in Deutschland hat sich einiges be-wegt. Das Land NRW rief einen „Runden Tisch“ von Bauernverbänden, Produzenten, Han del und Verbraucherorganisationen ins Leben und Bundeslandwirtschaftsministe-rin Aigner gab eine empirische Studie in Auf-trag. Im Gegensatz zu Österreich, Großbri-tannien und den USA gibt es hier nämlich noch gar keine gesicherte Datenbasis. Neben dem politi schen Signal an die Produzenten und den Handel sowie einem notwendigen gesetzgeberi schen Regulativ sind aber auch die Verbraucher selbst gefordert. Ein Um-denken hin zu ei ner verantwortungsbewuss-ten ökologischen Ernährung aus der Region ist dringend not wendig. Auch die Kirchen sollten ihr finanziell beträchtliches Ein-kaufs- und Beschaffungswesen nach ökolo-gischen und Fairhandelskriterien ausrich-ten. Hierzu gibt es erfreuliche Ansätze und Initiativen, auch wenn die Kirchen und Dia-konie bislang kaum zehn Prozent der jährli-chen Beschaffungssumme für solche Pro-dukte aufwenden. | |

Stefan Kreutzberger ist freier Journalist und hat zusammen mit Valentin Thurn das Buch „Die Essensvernichter“ verfasst.

Gezielt einkaufen und sich verant-

wortungsbewusst zu ernähren,

bringt Spaß und spart obendrein

Geld.

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| Sussan Ipaktschi

Die Frage nach den sozialen und öko-logischen Herstellungsbedingungen unserer Konsumgüter ist inzwischen im medialen Mainstream angelangt, kaum eine Markenfirma operiert noch ohne eine Strategie zur sozialen Verant-wortung. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern wird ein immer größeres Interesse an nachhaltigem Konsum be-scheinigt. Zweifellos ist dies auch ein Erfolg von jahrzehntelanger Kampag-nenarbeit für gerechtere Arbeitsbedin-gungen. Dennoch hat sich die Situation für die Menschen, die für uns Waren produzieren, kaum verbessert. Ein Bei-spiel dafür ist die Kakaoproduktion.

Auch in diesem Jahr weist die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) auf die massive Verletzung von Arbeits-rechten vor allem in Schwellen- und Entwick-lungsländern hin. Gefördert werden diese Verletzungen durch den weltweiten Wettbe-werb um die günstigsten Produktionsbedin-gungen, der zur grundsätzlichen Funktions-weise der globalisierten Wirtschaft gehört.

Gerade der deutsche Markt gilt für Fachleu-te der Lebensmittel-, Hightech- und Tex-tilbranche als einer der härtesten der Welt, mit einem im internationalen Vergleich au-ßerordentlich niedrigem Preisniveau. Der Kampf um die niedrigsten Preise wird über die gesamte Lieferkette weitergegeben. Oft sind Niedriglöhne, menschenunwürdige Ar-beitsbedingungen und Umweltschäden in den Produktionsländern die Folge.

| Wen macht Schokolade glücklich?Nehmen wir als Beispiel die Kakaoprodukti-on. Die Anbaugebiete von Kakao liegen in Westafrika, Asien und Südamerika. Mehr als 90 Prozent der weltweiten Kakaoernte wer-den laut einer Studie (herausgegeben unter anderem durch das Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg, 2010) von 5,5 Millionen Kleinbauern produziert. Der größte Teil des Kakaos wird in Westafrika

Die Schattenseiten des Wohlstandskon sumsArbeitsbedingungen in Entwicklungsländern

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Hier wird nicht unter sklavereiähnlichen Bedin-gungen produziert: Kakao-Ernte in Esmeraldas,

Ecuador (Foto oben). Rechts: Eine aufgeschnitte-ne Frucht mit Bohnen. Sie enthalten die Samen,

aus denen Kakaopulver hergestellt wird.

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Die Schattenseiten des Wohlstandskon sumsArbeitsbedingungen in Entwicklungsländern

angebaut. Aus der Elfenbeinküste stammen 40 Prozent der Welternte. Allein dort arbeiten nach Angaben der Studie rund 260.000 Kin-der in einem Maße, das gegen Konventionen der ILO verstößt. Das heißt, die Arbeit findet unter ausbeuterischen Bedingungen statt, die Kinder arbeiten im Durchschnitt 14 Stun-den täglich und haben dadurch keine Mög-lichkeit, die Schule zu besuchen. Nur zirka fünf Prozent der Kinder erhalten für ihre Ar-beit einen Lohn.

Zahlreiche dieser Kinder sind so genannte Kindersklaven auf Kakaoplantagen. Die Plan-tagen gehören einheimischen Bauern, die an Zwischenhändler veräußern, welche wieder-um an europäische oder amerikanische Wei-terverarbeitungsfirmen verkaufen. Die Eltern haben den Versprechungen dubioser Ver-mittler Glauben geschenkt, ihre Kinder wür-den im benachbarten Ausland ausgebildet. Stattdessen müssen sie unter unwürdigsten Bedingungen Kakao produzieren. Die großen Süßwarenkonzerne haben diese Problematik inzwischen wahrgenommen. Bereits 2001 wurde das so genannte „Harkin-Engel-Proto-koll“ unterzeichnet, dessen Ziel es ist, die Standards von Kinderarbeit zu verbessern und eine Zertifizierung zu erarbeiten, die Sklavenarbeit verhindert. Getan hat sich je-doch nicht sehr viel.

Die meisten der im Kakaoanbau tätigen Kinder in Westafrika arbeiten auf familienei-genem Farmland. Nicht nur der ausbeuteri-sche Zwischenhandel, sondern auch extrem schwankende Weltmarktpreise sind Teil des Problems, da sie zu den extrem niedrigen Ein-künften der Bauern beitragen. Ihnen ist es dann oft nicht möglich, Erntehelfer zu bezah-len, so dass die Kinder auf diese Weise zum Lebensunterhalt beitragen müssen.

| Fairer Handel als AlternativeEine sinnvolle Alternative ist der Faire Han-del. Zur Herstellung fairer Schokolade bietet er den Kakaobauern einen festen Mindest-preis, der über dem Weltmarktpreis liegt, so-wie eine Fairtrade-Prämie, die es den Koope-rativen ermöglicht, in soziale Projekte für ihre Gemeinde zu investieren. Oft ist dies die Schulbildung, eines der wirksamsten Instru-mente gegen Kinderarbeit. Das Fairtrade-Sie-

gel gewährleistet das Verbot von illegaler Kin-derarbeit und die Einhaltung anderer sozialer Standards, wie faire Preise, freie Gewerk-schaftsbildung, Verbot von Zwangsarbeit, Ar-beitsschutz. Die Einhaltung wird durch die Internationale Fairhandelsorganisation (Fair-trade International) regelmäßig kontrolliert.

Außerdem werden Lizenznehmer dazu ver-pflichtet, langfristige Handelsbeziehungen einzugehen und eine Vorfinanzierung für die Handelspartner zu leisten. Diese partner-schaftlichen Handelsbeziehungen sorgen da-für, dass die Produzierenden von den Welt-marktpreisen unabhängig bleiben, langfristig planen können und Kinderarbeit abgebaut wird.

Viele Verbraucherinnen und Verbraucher möchten sicherstellen, dass ihr Einkauf nicht zur Verletzung von Menschenrechten bei-trägt. Sie erwarten von Politik und Unterneh-men, dass sie für deren Einhaltung sorgen. Das Recht auf menschenwürdige Arbeitsbe-

dingungen ist auf internationaler Ebene in mehreren völkerrechtlich verbindlichen Ab-kommen festgeschrieben, wie den Kernar-beitsnormen der Internationalen Arbeitsor-ganisation, dem Internationalem Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und dem Internationalen Pakt über bürgerli-che und politische Rechte. Ihre Umsetzung scheitert jedoch oft daran, dass sie wirtschaft-lichen Interessen – vor allem auch denen der westlichen Industrieländer – entgegenstehen.

Trotz vieler positiver Entwicklungen ist es weiterhin notwendig, sich für mehr Gerech-tigkeit einzusetzen. Der Faire Handel ist dabei ein wichtiger Baustein, da er als konkretes Handlungsmodell deutlich macht, dass ge-rechtes Wirtschaften auf ganzer Linie mög-lich ist. | |

Spätestens seit der Herausgabe der Stu-die „Zukunftsfähiges Deutschland“ regen wir sowohl deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher als auch Entschei-dungsträgerinnen und Entscheidungs-träger an, den eigenen Naturverbrauch kritisch zu hinterfragen und zu senken. Diese Verantwortung trägt natürlich auch Misereor selbst.

2006 wurde ein interner Umweltbericht erstellt. Genutzt haben wir dafür die EMAS-Systematik. Das Gemeinschafts-system für das freiwillige Umweltma-nagement und die Umweltbetriebs-prüfung (Eco-Management and Audit Scheme, EMAS) ist ein von den Europäi-schen Gemeinschaften 1993 entwickeltes Instrument für Unternehmen, die ihre Umweltleistung verbessern wollen. Eines der Ergebnisse war, dass der Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Misereor im Vergleich zu anderen Unter-nehmen ein hohes Umweltbewusstsein und Verhalten an den Tag legen – beste Voraussetzungen, um die Umweltver-träglichkeit unserer Geschäftsstelle weiter zu verbessern. Es wurde ein Maßnahmenkatalog erstellt, der inzwi-schen weitgehend umgesetzt ist. Die wichtigsten Handlungsfelder waren und sind: Nachhaltig Einkaufen; Abfall als Wertstoff begreifen; sparsamer Umgang mit Wasser und Strom; zukunftsfähige

Stromversorgung; beim Heizen nicht unnötig das Klima anheizen; den Weg zur Arbeit klimafreundlich gestalten und Reisen über Land statt in der Luft.

Auf dem Weg zur emissions- freien GeschäftsstelleIm nächsten Schritt sollen die internen Bemühungen durch eine externe Audi-tierung mit dem Ziel einer Zertifizierung überprüft werden. Seit September 2011 steuert und begleitet das Umweltteam die Einführung des Umweltmanage-mentsystems nach EMAS, innerhalb dessen die ökofaire Beschaffung ihren wichtigen Platz hat. Zusätzlich besteht die grundsätzliche Möglichkeit, die nicht vermeidbaren und nicht weiter reduzierbaren Treibhausgas-Emissionen der Geschäftsstelle durch die Förderung klimafreundlicher Aktivitäten in Ent-wicklungsländern auszugleichen. Dies gilt insbesondere für die nicht vermeid-baren Flugreisen in die Entwicklungs-länder. Daher ist Misereor seit Mai 2011 Gesellschafter des kirchlichen Kompen-sationsfonds Klimakollekte.

Renate Bartholomäus, Abteilungsleiterin Organisation, Misereor

Misereor auf dem Weg zur Nachhaltigkeit

Sussan Ipaktschi ist Referentin für Fairen Handel bei Misereor.

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| Michael von Hauff

Im Jahr 1992 verpflichteten sich auf der „United Nations Conference on Envi-ronment and Development (UNCED)“ in Rio de Janeiro Vertreter aus 178 Na-tionen auf das Leitbild nachhaltiger Entwicklung. Dieses Leitbild hat inter-national eine große Popularität erlangt. Doch die praktische Umsetzung steht noch am Anfang. Das gilt auch für den internationalen Handel. Der Faire Han-del geht mit gutem Beispiel voran.

Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung stellt spezifische Anforderungen, die sich beispielsweise von dem Konzept der Sozia-len Marktwirtschaft eindeutig unterschei-den. Zwei wesentliche Anforderungen sind hervorzuheben: die Realisierung der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit so-wie der Dreidimensionalität. Ihr zufolge nimmt die Wirtschaft nicht weiter die domi-nante Rolle ein wie bisher, sondern die öko-logische und soziale Dimension sind ebenso wichtig. Die Übereinkunft zu nachhaltiger Entwicklung wird heute so interpretiert, dass die drei Dimensionen Ökologie, Ökono-mie und Soziales unter Beteiligung aller ge-sellschaftlichen Gruppen zu einem integ-rierten Handlungskonzept entwickelt wer-den sollen. Denn nur die Zusammenführung dieser Dimensionen kann zu einer Siche-rung bzw. Verbesserung der Lebensqualität führen. Diese Erkenntnis gilt auch für jene aufstrebenden Entwicklungsländer, die sich gegenwärtig durch hohe wirtschaftliche Wachstumsraten auszeichnen.

| Anforderungen an den WelthandelAm Beispiel des Welthandels lässt sich beson-ders deutlich aufzeigen, wie die so genannte Eine Welt in verschiedene Ländergruppen auseinanderfällt. An den internationalen Handelsgewinnen partizipieren die verschie-denen Länder, aber auch die verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den Ländern sehr

unterschiedlich. Neben den Industrielän-dern sind es besonders einige wenige auf-strebende Entwicklungsländer, die hohe Wachstumsraten ihrer Exporte und damit auch hohe Handelsgewinne erzielen. Brasili-en, China und Indien sind hier zu nennen, wobei gerade in diesen Ländern die Teilhabe der Bevölkerung an den Handelsgewinnen extrem auseinanderfällt. Die ungleiche Han-delsstruktur, aber auch die unterschiedliche Entwicklung des internationalen Handels in verschiedenen Regionen bzw. Ländern wurde in jüngerer Vergangenheit aus unterschiedli-chen Richtungen heftig kritisiert. Stellvertre-tend ist einer der international führenden Ökonomen, der Nobelpreisträgere Joseph Stiglitz, zu nennen.

Dabei weist die Präambel der Welthan-delsorganisation eindeutig auf die Ver-pflichtung auf das Leitbild nachhaltiger Ent-wicklung hin. Die vielfältigen internationa-len Verhandlungsrunden führten jedoch nicht dazu, dass es zu einer nachhaltigen Integration der Mehrzahl der Entwicklungs-

länder in das Welthandelssystem kam. Hier-für gibt es in den Entwicklungsländern eine Vielzahl von Ursachen, wie die mangelnde Infrastruktur, das unzureichende Bildungs-system, aber auch eine unzureichende Ver-sorgung mit Energie und Wasser. Dies alles hat für viele Kleinbauern in Entwicklungs-ländern den Zugang zum Welthandel ver-hindert. Doch nicht nur interne, sondern auch externe Ursachen halten sie von der Teilnahme am Welthandel fern: Zu nennen sind besonders die Agrarsubventionen für Landwirte in der EU und die Zölle gegenüber Agrarprodukten aus Entwicklungsländern. Es bedarf also einer Umgestaltung des vor-herrschenden Regelwerkes und der Macht-strukturen des Weltwirtschaftssystems. In diesem Zusammenhang entstand das Kon-zept des Fairen Handels.

| Das Konzept „Fair Trade“Die Anfänge der Fair-Trade-Bewegung liegen in den USA. Im Jahr 1958 eröffnete dort der erste Fair-Trade-Laden. Als nach dem Zwei-ten Weltkrieg in zunehmendem Maße die weniger entwickelten Länder „sichtbar“ ge-worden waren, war ein Bewusstsein für die im internationalen Handel benachteiligten Produzenten in den Entwicklungsländern entstanden. In Deutschland kam es im Jahr 1972 zur Gründung des ökumenischen Ar-beitskreises Entwicklungshilfe, aus dem eine der größten Importorganisationen im Fai-ren Handel hervorging. Das war der Beginn der Fair-Trade-Bewegung in Deutschland. Heute gibt es neben den Eine-Welt-Läden auch konventionelle Einzel- und Großhänd-ler, die Produkte aus dem Fairen Handel ver-kaufen.

Der Faire Handel soll primär Kleinbauern in Entwicklungsländern unterstützen und ihnen die Möglichkeit geben, am internatio-nalen Handel teilzunehmen. Bisher sind sie von Zwischenhändlern abhängig, welche die Produkte vor Ort abholen und dem Impor-teur eine größere Menge des nachgefragten Gutes verkaufen. Für die Kleinbauern ist der Zwischenhändler oft jedoch der einzige Ab-

Fair und nachhaltigDas Konzept „Fairer Handel“ im Zusammenhang der Nachhaltigkeitsbemühungen für die Eine Welt

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Der Faire Handel ermöglicht es Kleinbauern, am Welthandel teilzunehmen: Schokoladenangebot

des Fairhandelshauses GEPA.

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nehmer, der ihnen einen geringen Preis be-zahlt. Durch den Fairen Handel soll der Ex-port der Produkte in die Industrieländer di-rekt, ohne Zwischenhandel, erfolgen. Eine Bedingung ist, dass sich mehrerer Produzen-ten zu Kooperativen zusammenschließen. Die Bedingungen, unter denen der Faire Handel zwischen Importeuren und Produ-zenten stattfindet, können zwischen den Or-ganisationen variieren. Es gibt jedoch einen Grundkonsens: Dazu gehört die Berücksich-tigung der Anforderungen nachhaltiger Ent-wicklung. Produkte sollen ökologisch und sozial verträglich, aber auch nach wirtschaft-lichen Kriterien erzeugt werden.

Bei der Beurteilung des Konzeptes „Fair Trade“ ist es jedoch wenig hilfreich, es grundsätzlich zu idealisieren. Vielmehr gilt es, die Umsetzung des Konzeptes zu analy-sieren. So ist beispielsweise in einigen Fällen die mangelnde Diversifizierung des Anbaus landwirtschaftlicher Produkte zu beobach-ten. Auch ist der Anteil der in den Produzen-tenorganisationen beschäftigten Frauen, insbesondere auf den Entscheidungsebe-nen, immer noch sehr gering. Teilweise ist außerdem eine zu starke Abhängigkeit der Kleinbauern von den Fair-Trade-Organisati-onen festzustellen. Insgesamt lässt sich je-doch sagen, dass das Konzept „Fair Trade“ vielen Kleinbauern eine deutlich verbesser-te Lebenssituation ermöglicht hat. Somit lässt es sich als positiver Beitrag zur Ver-wirklichung des Leitbildes nachhaltiger Ent-wicklung einordnen. | |

Literatur:M. v. Hauff, A. KleineNachhaltige Entwicklung – Grundlagen und Umsetzung, München 2009

M. v. Hauff, K. Claus Fair Trade – Ein Konzept nachhaltigen HandelsKonstanz und München 2012

| Sandra Weiss

Im Hochland Nicaraguas produzieren Kleinbauern einen Kaffee, der ihnen ein Leben in Würde ermöglicht. Für die Konsumenten ist er ein Genuss, da er mit jedem anderen Qualitätskaffee mithalten kann. Bald wird auch in kirch-lichen Einrichtungen noch mehr davon getrunken werden – falls überhaupt ge-nug davon auf dem Markt verfügbar ist.

Manchmal komme sie sich vor wie im Mär-chen, sagt Ana Maria González. Und mär-chenhaft sieht es auch aus auf ihrer Finca Corinto in den Bergen Nicaraguas. Wie ein Gemälde von Claude Monet: sanfte Hügel in allen nur erdenklichen Grünvarianten, da-zwischen die Tupfer bunter Blüten, an denen sich Schmetterlinge und Kolibris laben.  Der schwere, feuchte Boden würzig duftend, die Luft gesättigt von Nebel und Feuchtigkeit. Ein einzigartiges Mikroklima auf knapp tau-send Metern Höhe in den Tropen. Hier

wächst einer der besten Hochlandkaffees weltweit. Gehegt, geerntet und exportiert wird er von den Kleinbauern der Region. Das war nicht immer so.

Das Land gehörte vor 30 Jahren der Familie des Diktators Somoza. González war damals noch keine 20 und arbeitete wie ihre gesam-te Familie als Tagelöhnerin beim Kaffeepflü-cken. Während der Erntezeit erhielten sie ei-nen mageren Lohn, aber den Rest des Jahres hatten sie kaum Verdienstmöglichkeiten und auch das winzige Stückchen Land für den Eigenanbau gab nicht immer etwas zu essen her. Die Kaffeepflücker waren moderne Sklaven, ohne Bildung, ohne Gesundheits-fürsorge; Umweltgiften und Misshandlun-gen ausgesetzt. „Damals habe ich immer nur den Blick gesenkt und hätte es nie gewagt,

Knappes Gut Nicht nur die Umstellung auf ökofaire Beschaffung stimuliert die Nachfrage nach fair gehandeltem Kaffee

Prof. Dr. Michael von Hauff lehrt Volkswirtschaft an der Technischen Universität Kaiserslautern.

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In der Genossenschaft Soppexcca in Nicaragua probiert eine kirchliche Reisegruppe

aus Deutschland, wie der fair produzierte Kaffee schmeckt.

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mich mit jemand zu unterhalten“, sagt die heute so redselige Bäuerin und schickt ein selbstbewusstes Lachen hinterher.

Von der Tagelöhnerin hat es die 52-jährige zur Unternehmerin gebracht. Heute ist sie Mitglied der Kaffeegenossenschaft Soppexc-ca, der 650 Bauern angehören. Gemeinsam haben sie aus der Genossenschaft ein florie-rendes Exportunternehmen gemacht, das in der Nähe der Provinzstadt Jinotega über eine eigene Verarbeitungsanlage verfügt und 100.000 Zentner Kaffee jährlich in alle Welt exportiert. Zur Erntezeit bietet die Genossen-schaft Hunderten von Menschen Arbeitsplät-ze; die Kinder vieler Kaffeebauern haben stu-diert und überwachen heute als Betriebswir-te, Ingenieure oder Kaffeevorkoster die Pro-duktion statt abzuwandern in die großen Städte oder in die USA, wie so viele andere Ju-gendliche in Nicaragua.

| Aufschlag auf den Weltmarktpreis„Geschafft haben wir das alles dank dem Fai-ren Handel“, sagt Yamil Portillo vom Vorstand der Genossenschaft. Die sandinistische Revo-lution überschrieb den Bauern zwar in den 1990er Jahren das Land, doch es fehlte an Fachkenntnis über den Anbau und die Ver-marktung. „Als dann auch noch der Kaffee-preis in den Keller fiel und wir nicht wussten, wie wir überleben sollten, zahlten uns die Vermarkter fairer Produkte das Doppelte und finanzierten uns die Ernte vor“, erinnert sich Portillo. Einer davon war damals die GEPA-Deutschland, die heute noch bei den Bauern von Soppexcca Edelkaffee kauft. „Die Zeiten der bitteren Sandino-Dröhnung sind längst vorbei, heute herrschen strenge Qualitäts-kontrollen, und der Kaffee kann mit jedem

anderen Hochpreiskaffee mithalten“, sagt Pe-tra Münchmeyer von der GEPA. Der Preis wird zwischen Produzenten und Fairhandelsge-sellschaften jedes Jahr von Neuem ausgehan-delt; er besteht aus dem Weltmarktpreis plus einem Aufschlag.

Der Aufpreis kommt zum Teil jedem einzel-nen Genossenschafter zugute, eine Prämie wird jedoch einbehalten, um davon Gemein-schaftsprojekte zu finanzieren – den Ausbau der Schule etwa, Ausbildungskurse, neue Ma-schinen, Versammlungsräume, Wiederauf-forstung, Latrinen. Außerdem gibt es Kredite, um Saatgut und Dünger zu kaufen.  Aus Corin-to ist so ein beschauliches kleines Bergdorf ge-worden. Die Tagelöhner von damals befassen sich heute mit Marketingfragen und Umwelt-management. „In unserer Verarbeitungsanla-ge bereiten wir das Wasser neu auf, und auf einem Grossteil der Fincas wird ökologisch ge-wirtschaftet“, erzählt Portillo. „Außerdem schützen wir den Wald und damit die Wasser-

quellen in den Bergen.“ Deshalb lehnt die Ge-nossenschaft den Umstieg auf den leichter zu pflegenden Sonnenkaffee ab, der in herkömm-lichen Kaffeefincas gerade in Mode ist und für den der Wald gerodet wird.

Fairer Handel leistet so einen Beitrag zum Klimaschutz und wird Teil eines ganzheitli-chen, langfristig angelegten Entwicklungs-konzepts. In Nicaragua haben sich die Genos-senschaften in verschiedenen Dachverbän-den zusammengeschlossen, die sich um Ver-marktung, Export und Qualitätssicherung der Produkte der Kleinbauern kümmern und versuchen, auch den lokalen Markt für fair gehandelte Produkte zu erschließen. Zehn-tausende Kleinbauern haben es dadurch ge-schafft, sich eine würdige Existenz aufzubau-en – ein krasser Gegensatz zum Alltag in den Fertigungsindustrien der Freihandelszonen, wo unter ausbeuterischen Bedingungen Tex-tilien genäht und Elektrogeräte verschweißt werden.

20 Jahre nach seiner Einführung gehört das Fairtrade-Siegel zu den fünf bekanntesten in Deutschland, wie Ulrike Schell von der Ver-braucherzentrale in Nordrhein-Westfalen weiß. Schell war Anfang Februar Teil einer kirchlichen Reisegruppe, die mit dem Evan-

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In der Verarbeitungsanlage von Soppexcca wird Kaffee gewaschen (links) und verlesen (oben).

Links oben: Genossenschaftsmitglied Ana María González und Yamil Portillo vom Vorstand der

Kaffeegenossenschaft. Ganz links: Eine Teilneh-merin einer kirchlichen Besuchergruppe hilft

beim Kaffeepflücken.

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gelischen Entwicklungsdienst (EED) in Nica-ragua unterwegs war, um sich vor Ort ein Bild zu machen vom Fairen Handel. „Ich bin be-eindruckt, wie die Menschen selbst in den ab-gelegensten Gegenden es geschafft haben, sich in den Welthandel zu integrieren“, sagt Ingrid Führing von der Johannes-Diakonie in Mosbach, die jedes Jahr sieben Tonnen fair gehandelten Kaffee kauft und noch mehr fair gehandelte Produkte in ihr Sortiment auf-nehmen will.

| Fünf Euro jährlich für fairen KaffeeDass die Produkte auch wirklich unter fairen Bedingungen hergestellt wurden, garantiert das Siegel von der Dachorganisation Fairtra-de International. Sie kontrolliert und garan-tiert die Einhaltung arbeitsrechtlicher und gesundheitlicher Standards vor Ort. Dass Frauen gleichberechtigt sind und die Produk-te ohne Kinderarbeit hergestellt wurden, ge-hört ebenso dazu wie eine demokratische und transparente Organisation der Bauern-verbände oder Schutzmaßnahmen bei der Arbeit. Für jedes Produkt gibt es dabei ein ge-sondertes Protokoll. Zertifiziert wird die ge-samte Produktionskette vom Produzenten bis zum Exporteur, allerdings nicht der Ein-zelhandel. An den Kosten für die Zertifizie-rung beteiligen sich Produzenten und Einzel-händler anteilig.

Doch noch ist der Anteil der fair gehandel-ten Waren am deutschen Markt gering. Kaf-

fee ist der Spitzenreiter – mit gerade einmal zwei Prozent des Gesamtumsatzes. In Deutschland gibt jeder Einwohner jährlich fünf Euro für faire Produkte aus, in der Schweiz sind es 20. Dem Fairen Handel einen Impuls geben will das Projekt „Zukunft ein-kaufen“: Die Kirchen sind nach dem Staat ei-ner der wichtigsten Großkunden auf dem Lebensmittel- und Beschaffungsmarkt der Bundesrepublik. Doch es ist nicht immer ein-fach, Geschäftsführer oder Geschäftsführe-rinnen kirchlicher Einrichtungen davon zu überzeugen, ein paar Euro mehr für fair ge-handelte Waren auszugeben. Und wie viel Nachfrage kann der Markt überhaupt ver-kraften?

Bei Kaffee und Kakao sind die Kleinbauern bereits an ihre Grenzen gestoßen. Seit auch in Asien der Kaffeekonsum ansteigt und große Kaffeehausketten einen Teil ihres Sortiments auf fairen Kaffee umstellen, klettert der Preis an den Börsen nahezu täglich. Zwar sollen mehr Genossenschaften in das faire System eingebunden werden, doch das braucht seine Zeit. Derzeit wetteifern faire und kommerzi-elle Vermarkter um die Bohnen; Spekulanten überbieten sich gegenseitig und offerieren den Kaffeebauern überhöhte Preise, bar auf die Hand und direkt vom Hof weg. Eine große Verlockung – und eine große Gefahr, warnt Münchmeyer. „Die Spekulanten wollen damit die Beziehung der Genossenschaften zu Fair-handelspartnern zerschlagen, doch die Haus-se wird nicht ewig anhalten, und wenn der Preis wieder sinkt, sind die Bauern dann den Spekulanten ausgeliefert.“

González  hat nicht auf die Lockrufe des schnellen Geldes gehört und ihre Ernte wie vereinbart an die GEPA geliefert. „Sie haben mir damals geholfen, jetzt unterstütze ich sie“, setzt sie das Solidaritätsprinzip vor Ge-winnstreben. Und mit der Fairtrade-Prämie plant sie bereits den nächsten Streich: Ab nächstes Jahr will sie auch Kakao liefern. Fair natürlich. | |

Sandra Weiss, Korrespondentin für Welt, Tagesspiegel, Deutsche Welle in Lateinamerika, ist leitende Redakteurin der tourismuspoli-tischen Sympathiemagazine.

Fairer Kaffee in den Kirchen

Die Aktion „Fairer Kaffee in die Kirchen“, die 2001 initiiert wurde und von den evangelischen Hilfswerken „Brot für die Welt“ und Evangelischer Entwicklungs-dienst (EED) getragen wird, unterstützt diakonische Einrichtungen und kirch-liche Verwaltungen in der Umstellung ihrer Beschaffung auf Fairtrade-zertifi-zierten Kaffee und anderen Produkten aus Fairem Handel. Sie richtet sich an Großverbraucher und bietet Informa-tion, Verkostung und Beratung speziell für Gemeinschaftsverpflegung, Kantinen und Cafés an.

Über 85 Prozent der Landesgeschäfts-stellen der Diakonischen Werke und landeskirchlichen Verwaltungen sowie alle Evangelischen Akademien haben in-zwischen auf Fairtrade-Kaffee umgestellt und üben dadurch eine wichtige Vorbild-funktion für Mitglieder und Besucher aus. Darüber hinaus haben rund 400 diakonische Einrichtungen wie Kran-kenhäuser, Behinderteneinrichtungen oder Altenheime ihren Ausschank auf fair gehandelten Kaffee umgestellt – und machen damit gute Erfahrungen. Einen Anreiz zur Einführung von fairem Kaffee bietet ein Rahmenvertrag zwischen der Wirtschaftsgesellschaft der Kirchen in Deutschland (WGKD) und der GEPA: Kirchliche Großverbraucher können fai-re Produkte zu Sonderkonditionen bezie-hen. Auch über 2000 Kirchengemeinden haben inzwischen mit einem Beschluss bekräftigt, dass sie nur fair gehandelten Kaffee ausschenken.

Trotzdem ist das Thema faire bzw. öko-faire Beschaffung in Kirche und Diako-nie immer noch ein Randthema. So liegt der Anteil an fair gehandeltem Kaffee in diakonischen Einrichtungen und kirchlichen Institutionen lediglich bei geschätzten vier Prozent. Damit bleiben kirchliche Institutionen und diakonische Einrichtungen weit hinter ihren Mög-lichkeiten zurück, ihr Einkaufsverhalten umzustellen. Dazu bedarf es praxisbezo-gener Unterstützung, denn oft handelt es sich um ein zusätzliches Engagement der für die Beschaffung Verantwortli-chen. Das belegt auch eine von „Brot für die Welt“ und dem EED in Auftrag gegebene Studie zur ökofairen Beschaf-fungspraxis in Kirche und Diakonie.

Margarita SigleWeitere Informationen: www.kirchen-trinken-fair.de

4-2012 | Dossier

Zukunft einkaufen18

Die Fotos auf dieser Seite öffnen uns ein Stück der Lebenswelt von Menschen, die mit den di-rekten Folgen des Klimawandels konfrontiert sind. Sie leben in Regionen, in denen der Kli-mawandel als erstes spürbar ist und einen ho-hen Preis fordert. Für das Projekt „Zukunft ein-kaufen“ sind diese Realitäten eine Motivation, aktiv für soziale und ökologische Gerechtigkeit einzutreten.

Wie konnte es zu der „schleichenden“ Kli-makatastrophe kommen? Wir Menschen in den industrialisierten Ländern leben auf großem Fuß. Hätten alle einen Lebensstil wie die Deutschen, bräuchten wir laut dem WWF (World Wide Fund) 2,8 Erden. Seit dem Jahr 1975 hat sich in Deutschland die Zahl der Autos pro Einwohnerin und Einwohner verdoppelt. Insgesamt waren im Jahr 2011 42,3 Millionen PKWs registriert. 70 Prozent aller Deutschen leben in Single- oder Zwei-

Die Schöpfung bewahrenZeugen des Klimawandels

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Christian Kaufmann (48)Schäfer, Grindelwald, Schweiz

Die Berghütte, die mein Großvater in der Nähe des Gletschers errichtet hatte,

ist vor drei Jahren den Hang herabge-rutscht, weil so viel Eis geschmolzen ist.

Der Gletscher hatin den vergangenen 25 Jahren mindestens 80 Prozent seines

Volumens verloren. Das ist enorm. Als mein Großvater die Hütte in den

Vierzigerjahren eröffnete, stand sie etwa auf derselben Höhe wie die Oberfläche

des Gletschers. Doch als er zu schrump-fen begann, wurde die Moräne instabil und rutschte Stück für Stück ab. Es war beängstigend. Auf einmal konnte man sehen, wie sich der Boden neben dem

Haus auftat, und dann stürzte alles ab. Man kann noch sehen, wo das Eis war.

Das sollte uns bewusst machen, dass hier etwas nicht mehr stimmt.

Taibo Tabokai (15)Teenager, Tebunginako, Abaiang Atoll, Kiribati

Man hat uns gesagt, dass unsere Insel un-tergehen wird. Und auch unsere Kirche. Ich mache mir darum sehr große Sorgen. Ich möchte das in der Vergangenheit Geschaf-fene, was unsere Eltern aufgebaut haben, nicht verlieren. Bei einem Sturm wurde der Damm beschädigt und das Meerwasser floss in die Teiche. Ich wünschte, unsere Regierung würde uns helfen, das Dorf zu schützen. Vielleicht können Menschen aus anderen Ländern verhindern, dass dieses Land untergeht. Aber es waren schon Leute da, die uns erklärt haben, dass es keine Hoffnung für uns gibt und dass wir eines Tages alles verlieren werden.

Weitere Geschichten und Gesichter des Klimawan-dels finden sich im Fotobuch „Schicksale des Klima-wandels“ von Mathias Braschler und Monika Fischer, erschienen im Hatje Cantz Verlag, 2011.

Dossier | 4-2012

Zukunft einkaufen 19

Personen-Haushalten, während die Zahl der Haushalte mit drei oder mehr Personen ab-nimmt. Auch wenn das Nettoeinkommen in Einpersonenhaushalten oft unterdurch-schnittlich ist, steigt mit deren Zunahme doch der Energieverbrauch. Wir benutzen tagtäglich Kühl- und Gefrierschrank, Wasch-maschine, Wäschetrockner, Elektro- und/oder Gasherd, DVD-Rekorder, HiFi-Anlage, Fernseher, Backofen, MP3-Player, Handy und Geschirrspülmaschine. Wir verbrauchen auf diese Weise pro Person und Jahr bereits so viel Strom, dass der CO2-Ausstoß allein dafür so hoch ist, wie er es bis zum Jahr 2050 insge-samt sein sollte, nämlich 2 Tonnen. Nur mit diesem Pro-Kopf-Ausstoß kann der Tempe-raturanstieg des Weltklimas auf 2 Grad Celsi-us begrenzt werden. Davon hängt das Über-leben vieler Menschen ab.Petra Kohts, Initiative „Zukunft einkaufen“. | |

Klima-Kollekte

Um den Schaden für das Klima so gering wie möglich zu halten, können Sie den unvermeidbaren Ausstoß kli-maschädlicher Gase ausgleichen. Hier setzt das Angebot der Klima-Kollekte an: Mithilfe der CO2-Rechner lässt sich für die verschiedenen Bereiche Heizen, Strom, Mobilität und Papierverbrauch feststellen, welcher Ausstoß an Klimaga-sen verursacht wurde. Dafür zahlen Sie freiwillig den errechneten Betrag. So viel, dass damit die Treibhausgase an anderer Stelle vermieden werden können.

Das Geld wird zum Beispiel in Solar- oder Biogasprojekte investiert, um dort Treib-hausgase einzusparen. Klima-Kollekte finanziert derzeit Klimaschutzprojekte in Südafrika und Indien. Geplant sind außerdem Projekte in Osteuropa (Tsche-chien).

Weitere Informationen zur Klima-Kollekte finden Sie unter: https://klima-kollekte.de

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3-2012 MÄRZ

MAGAZIN FÜR GLOBALE ENTWICKLUNG UND ÖKUMENISCHE ZUSAMMENARBEIT

MIGRATION: Der Nutzen des Pendelns ist umstritten

BOLIVIEN: Schwere Zeiten für Evo Morales

AFGHANISTAN: Die Bevölkerung wird nicht gefragt

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Das Magazin für alle, die mehr wissen wollen. Weltwirtschaft und Entwicklungspolitik Klimawandel und Umweltschutz Friedensfragen und die Rolle der Religionen

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Impressum20

Dieses Dossier ist eine Beilage zur Ausgabe 4-2012 von .

Konzept und Redaktion: Petra Kohts (Zu-kunft einkaufen), Anja Ruf (im Auftrag von

)

Gestaltung: Silke Jarick, Angelika Fritsch

Verantwortlich i.S.d.P.: Birgit Weinbrenner

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder.

Redaktion „welt-sichten“ Postfach 50 05 50 D-60394 Frankfurt/Main www.welt-sichten.org

Bestellung bei: [email protected]

Katrin Göring-Eckardt

Präses der Synode der Evangelischen

Kirche in Deutschland und Schirmherrin

von „Zukunft einkaufen“:

„Als Christinnen und Christen ist uns seit

jeher aufgetragen, Gottes gute Schöp-

fung zu schützen und zu bewahren. Diese Haltung können wir

vermitteln, vor allem indem wir bei uns selbst mit dem Bewusst-

seinswandel und Veränderungen anfangen. Die Kirche muss

ihrer Verantwortung gerecht werden. Den größten Anteil am

Gesamtvolumen kirchlicher Beschaffung in der EKD haben die

Einrichtungen der Diakonie. Ich freue mich, dass ‚Zukunft ein-

kaufen’ mit seinem Nachfolgeprojekt die diakonischen Einrich-

tungen innerhalb der EKD dabei unterstützt, die Diakonie ‚als

Ort zukünftigen Lebensstils und nachhaltiger Beschaffung‘ zu

profilieren und hoffe, dass dies allen Beteiligten gelingt, so dass

das Projekt eine Strahlkraft für die Kirche insgesamt entwickelt.“

Alois Glück

Vorsitzender des Zentralkomitees der

deutschen Katholiken und Schirmherr

von „Zukunft einkaufen“:

„Die Zukunft der Erde und damit auch

die Zukunft unserer Kinder und Kindes-

kinder ist durch den Klimawandel in hohem Maße gefährdet.

Angesichts der Größe der Gefahr verbietet sich ein schlichtes

‚weiter wie gehabt‘. Umkehr zu einem lebensfördernden, nach-

haltig rücksichtsvollen Umgang mit der Umwelt und den na-

türlichen Ressourcen ist das Gebot der Stunde. Beispielhaftes

und glaubwürdiges Handeln muss ein besonderes Anliegen der

Kirche sein. Die Kirche – insbesondere durch ihre Einrichtungen

der Caritas – hat als Großverbraucherin Marktmacht und sollte

beim Einkauf soziale und Klimaschutz-Kriterien anwenden, um

ihre ethische Kompetenz wirksam zu entfalten.“

DiAKoniE unD CAritAs Als ortE zuKunftsfähiGEn lEbEnsstils unD nAChhAltiGEr bEsChAffunG

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E i n P ro j e k t d e r U m w e l t b e a u f t r a g t e n i n d e r E v a n g e l i s c h e n u n d K a t h o l i s c h e n K i r c h e i n D e u t s c h l a n d

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